21. KAPITEL Venezianische Justiz

Im Laufe der folgenden Tage war Cyprien eifrig damit beschäftigt, die fortschreitende Entwicklung seines Experiments zu beobachten. Infolge einer neuen Einrichtung des Schweißofens - er hatte ihm besseren Zug gegeben - hoffte er, daß die Entstehung des Diamants diesmal weniger Zeit in Anspruch nehmen werde als beim ersten Versuch.

Es versteht sich von selbst, daß Miss Watkins sich für diesen zweiten Versuch lebhaft interessierte, da sie sich ja zum Teil als dessen Urheberin betrachten konnte. Deshalb begleitete sie auch den jungen Ingenieur häufig zum Ofen, den dieser täglich wiederholt besuchte, und vergnügte sich damit, durch die Gucklöcher in seinem Mauerwerk die Intensität des darin lodernden Feuers zu beobachten.

John Watkins interessierte sich, freilich aus ganz anderen Gründen, nicht weniger als seine Tochter für diese Herstellung. Es verlangte ihn, bald aufs neue Besitzer eines Steins zu sein, dessen Wert nach Millionen maß. Seine große Furcht war nur die, daß das Experiment ein zweites Mal nicht gelingen könnte, und daß der Zufall bei dem Gelingen des ersten vielleicht unbemerkt eine sehr große Rolle gespielt habe.

Wenn der Farmer ebenso wie Miss Watkins den jungen Ingenieur aber aufmunterte, die künstliche Herstellung von Diamanten weiter zu verfolgen und zu vervollkommnen, so war das mit den Minengräbern des Griqualands freilich nicht der Fall. Zwar befanden sich Annibal Pantalacci, James Hilton und Herr Friedel nicht mehr hier, dagegen viele ihrer Kameraden, die in dieser Beziehung ebenso dachten wie sie. Durch heimliche Hetzereien versuchte auch der Jude Nathan die Inhaber der Claims gegen den jungen Ingenieur aufzuwiegeln. Wenn die künstliche Herstellung von Diamanten einmal praktisch geübt wurde, war es um den

Handel mit Diamanten und anderen kostbaren Steinen geschehen. Man hatte ja schon weiße Saphire oder Corindons, Amethyste, Topase und selbst Smaragde fabriziert. Doch waren all diese Edelsteine nur Tonerdekristalle und gefärbt durch geringe metallische Beimischungen. Immerhin erschien schon das für den Handelswert dieser Steine beunruhigend, da er langsam herabging. Wenn nunmehr der Diamant nach Belieben erzeugt werden konnte, so bedeutete das den Ruin der Diamantendistrikte des Kaps ebenso wie den der anderen Fundstätten.

All das war schon nach dem ersten Versuch des jungen Ingenieurs wiederholt worden und wurde jetzt mit noch mehr Gehässigkeit und mit noch größerem Eifer beobachtet. Die Minengräber traten oft zu vertraulichen Gesprächen zusammen, die für die Arbeiten Cypriens nichts Gutes vorhersagten. Dieser selbst ließ sich darum freilich kein graues Haar wachsen, und blieb nach wie vor entschlossen, seine Versuche zu Ende zu führen, was man auch sagen oder tun mochte. Nein, er wollte vor der öffentlichen Meinung nicht zurückweichen, und seine Entdeckung, da sie überhaupt allen zugute kommen sollte, jedenfalls nicht etwa geheimhalten.

Wenn er aber sein Vorhaben ohne Zögern und ohne Furcht weiterführte, so fing doch Miss Watkins, die alles erfuhr, was vor sich ging, an, für ihn zu zittern. Sie machte sich Vorwürfe, ihn zu diesen Versuchen ermuntert zu haben. Auf die Polizeigewalt des Griqualands zu vertrauen, um ihn zu schützen, das hieß auch auf sehr losen Grund ge-

baut. Ein Schurkenstreich war ja so schnell ausgeführt, und Cyprien konnte vielleicht mit seinem Leben den Schaden zu bezahlen haben, den seine Arbeiten den Minengräbern Afrikas anzudrohen schienen.

Alice war also sehr unruhig und konnte diese Empfindung auch dem jungen Ingenieur gegenüber nicht verhehlen. Dieser beruhigte sie, so gut er konnte, und dankte ihr für die Teilnahme, die sie ihm schenkte. In dem Interesse, das das junge Mädchen für ihn hegte, erkannte er ja den Ausdruck des wärmeren Gefühls, das zwischen ihnen kaum ein Geheimnis zu nennen war. Abgesehen von allem andern, wünschte Cyprien sich Glück, daß sein Vorhaben seitens Miss Watkins einen ihm so wohltätigen Herzenserguß veranlaßte, und fuhr unbeirrt in seiner Arbeit fort.

»Was ich hier tue, Miss Alice, geschieht für uns beide!« wiederholte er ihr.

Wenn Miss Watkins dagegen bedachte, was und wie in den Claims gesprochen wurde, dann lebte sie in immerwährenden Ängsten.

Das war auch wirklich nicht ohne Grund! Gegen Cyprien erhob sich allmählich eine Feindschaft, die sich nicht immer auf bloße Einsprüche oder Drohungen beschränken, sondern gewiß zu handgreiflichen Ausschreitungen führen würde.

Wirklich fand Cyprien, als er eines Abends zu einem Besuch des Ofens kam, die ganze Einrichtung geplündert. Während der Abwesenheit Bardiks hatte ein Haufen Männer, die sich die Dunkelheit zunutze machten, binnen we-nigen Minuten die Arbeit von vielen Tagen zerstört. Das Mauerwerk war demoliert, die Feuerstätte zertrümmert, das Feuer selbst gelöscht und die Geräte zerbrochen und verstreut. Von der ganzen Anlage, die dem jungen Ingenieur so viele Mühe und Sorge gemacht hatte, war rein nichts mehr übrig - alles mußte er von neuem beginnen - wenn er der Mann dazu war, der Gewalt nicht zu weichen, oder er mußte die ganze Sache aufgeben.

»Nein«, rief er, »nein! Ich gebe nicht nach, und morgen schon führe ich Klage gegen die Buben, die mein Eigentum zerstört haben. Ich will doch sehen, ob es im Griqualand keine Gerechtigkeit mehr gibt!«

Es gab zwar eine, aber nicht eine solche, wie der junge Ingenieur sie benötigt hätte.

Ohne gegen jemand etwas zu äußern, selbst ohne Miss Watkins etwas mitzuteilen, was sich zugetragen hatte, aus Furcht, ihr noch einen neuen Schreck einzujagen, ging Cyprien nach seiner Hütte zurück und legte sich, fest entschlossen, morgen seine Klage anzubringen, und müßte er bis zum Gouverneur des Kaplands gehen, ganz ruhig nieder.

Er mochte 2 oder 3 Stunden geschlafen haben, als das Geräusch der sich öffnenden Tür ihn plötzlich weckte.

Fünf schwarz maskierte, mit Revolvern und Gewehren bewaffnete Männer drangen in sein Zimmer. Sie trugen jene Laternen mit grünen Linsengläsern, die man in englischen Ländern »Bulls eyes« (Ochsenaugen) nennt, und stellten sich stillschweigend an seinem Bett auf.

Cyprien hatte keinen Augenblick den Gedanken, diesem mehr oder weniger tragischen Aufzug eine zu hohe Bedeutung beizumessen. Er dachte vielmehr an irgendeinen Scherz und fing schon fast an zu lachen, obwohl er im Grunde dazu wenig Lust verspürte und den ganzen Spaß etwas ungezogen fand.

Da legte sich aber eine rauhe Hand auf seine Schulter, und einer der maskierten Männer, der ein Papier in der Hand hielt, begann mit einem Ton, in dem gar nichts Scherzhaftes lag, folgendes laut zu lesen:

Cyprien Mere!

Beifolgendes soll Ihnen anzeigen, daß Sie durch das Geheimgericht des Vandergaart-Lagers, das aus 82 Beisitzern besteht und im Namen der allgemeinen Wohlfahrt handelt, am heutigen Tag um Mitternacht und 25 Minuten einstimmig zum Tode verurteilt worden sind.

Sie sind beschuldigt und überführt, durch eine unzeitgemäße, ungesetzliche Entdeckung alle Menschen, die, seit sie im Griqualand oder anderswo von der Aufsuchung, der Bearbeitung und dem Verkauf von Diamanten ihr Leben fristen, in ihrem Interesse und in dem ihrer Familien schwer geschädigt zu haben.

Das Gericht hat in seiner Weisheit beschlossen, daß eine solche Erfindung vernichtet werden müsse, und daß der Tod eines einzigen dem Untergang vieler Tausende von menschlichen Wesen weit vorzuziehen sei.

Es hat ferner festgestellt, daß Ihnen 10 Minuten gegönnt werden, sich auf den Tod vorzubereiten, daß Sie die Art selbst wählen dürfen, daß alle Ihre Papiere verbrannt werden sollen, mit Ausnahme der offenen Briefschaften, die Sie etwa für Ihre nächsten Verwandten hinterlassen, und daß Ihre Wohnung endlich dem Erdboden gleichgemacht werde.

So geschehe es mit allen Verrätern!

Als er sich so verurteilt hörte, fühlte Cyprien sein voriges Vertrauen doch merklich erschüttert, und er fragte sich, ob diese düstere Komödie, wenn man die wilden Sitten des Landes berücksichtigte, doch nicht vielleicht ernster gemeint war, als er anfänglich geglaubt hatte.

Der Mann, der ihn an der Schulter hielt, sollte ihm sehr bald die letzten Zweifel rauben.

»Stehen Sie sofort auf«, drängte er ihn roh, »wir haben keine Zeit zu verlieren.«

»Das ist ein Mord!« erwiderte Cyprien, der aus dem Bett entschlossen auf die Füße sprang, um einige Kleider umzuwerfen.

Er war mehr empört als erregt und konzentrierte alle Macht seines Denkvermögens über das, was ihm hier widerfuhr, mit derselben Kaltblütigkeit, die er etwa beim Studium eines mathematischen Problems angewandt hätte. Wer waren diese Männer ? Er vermochte das, selbst aus dem Ton ihrer Stimme, nicht zu erraten.

Jedenfalls bewahrten diejenigen von ihnen, die er persönlich kannte, klugerweise Stillschweigen.

»Haben Sie unter den verschiedenen Todesarten Ihre Wahl getroffen?« ergriff der maskierte Kerl wieder das Wort.

»Ich habe keine solche Wahl zu treffen, sondern nur Widerspruch zu erheben gegen das schändliche Verbrechen, dessen ihr euch schuldig zu machen im Begriff steht!« antwortete Cyprien mit fester Stimme.

»Erheben Sie Widerspruch, aber gehenkt werden Sie deshalb doch! Haben Sie etwa noch eine letzte Willensäußerung niederzuschreiben?«

»Keine, die ich meinen Mördern anvertrauen möchte.«

»Vorwärts also !« befahl der Anführer.

2 Männer stellten sich zu den Seiten des jungen Ingenieurs und der kleine Zug schickte sich an, nach der Tür zu gehen.

In diesem Augenblick ereignete sich aber ein ganz unerwarteter Zwischenfall. Mitten unter die Henker der Van-dergaart-Kopje stürzte sich eben ein Mann herein.

Das war Matakit, der junge Kaffer, der in der Nacht zuweilen in der Umgebung des Lagers umherzuschweifen pflegte; er war den vermummten Männern aus Instinkt gefolgt, als diese sich eben nach der Hütte des jungen Ingenieurs begaben, um deren Tür zu sprengen. Dort hatte er alles belauscht, was gesprochen wurde, und auch begriffen, was seinem Herrn drohte. Ohne zu zögern und ohne zu bedenken, welche Folgen für ihn selbst dieser Schritt haben könnte, hatte er die Gruppe der Männer geteilt und sich Cyprien zu Füßen geworfen.

»Väterchen, warum wollen diese Männer dich töten?« rief er, die Knie seines Herrn umklammernd, trotz der Anstrengung, die die anderen machten, ihn von jenem loszureißen.

»Weil ich einen künstlichen Diamanten hergestellt habe«, antwortete Cyprien, der die Hand Matakits, der sich von ihm nicht trennen wollte, bewegt drückte.

»Ach, Väterchen, wie unglücklich und beschämt bin ich wegen dessen, was ich getan habe«, schluchzte der junge Kaffer weinend.

»Was soll das heißen?« rief Cyprien.

»Ach, ich will ja alles gestehen, da man dich zum Tod führen will!« fuhr Matakit fort. »Ja ... ich verdiene es, getötet zu werden, denn ich war's, der den großen Diamanten in den Ofen gesteckt hatte.«

»Werft diesen Schwätzer hinaus!« rief der Anführer der Bande.

»Ich wiederhole, daß ich es war, der den Diamanten in den Apparat steckte!« erklärte Matakit, sich wehrend, noch einmal. »Ja, ja, ich habe das Väterchen getäuscht! . . . Ich wollte ihn glauben machen, daß sein Experiment geglückt sei!«

Er gebärdete sich bei seiner Erklärung so wild, daß er sich schließlich Gehör erzwang.

»Sprichst du die Wahrheit?« fragte Cyprien, gleichzeitig erstaunt und enttäuscht über das, was er eben hörte.

»Ja doch! ... Hundertmal ja! ... Ich rede die Wahrheit!«

Er kauerte jetzt auf der Erde, und alle hörten ihm zu, denn was er hier aussagte, gab der Sache ja eine ganz andere Wendung.

»Am Tag jenes großen Einsturzes«, erklärte er, »als ich unter dem Gebälk begraben lag, hatte ich jenen großen Diamanten gefunden! Ich hielt ihn noch in der Hand und sann auf Mittel und Wege, ihn zu verbergen, als die Erdwand neben mir einstürzte, um mich für mein verbrecherisches Vorhaben zu bestrafen . . . Wieder zum Bewußtsein gekommen, fand ich den Stein in dem Bett, in welches das Väterchen mich hatte schaffen lassen. Ich wollte ihm denselben ausliefern, schämte mich aber zu gestehen, daß ich ein Dieb sei, und beschloß, eine günstige Gelegenheit dazu abzuwarten. Nun wollte das Väterchen bald nachher versuchen, selbst einen Diamanten zu machen und hatte mich beauftragt, das Feuer zu unterhalten. Am 2. Tage, als ich mich allein am Ofen befand, platzte der Apparat mit schrecklichem Krachen, und es fehlte nicht viel, so wäre ich von den Bruchstücken erschlagen worden. Da dachte ich mir, das Väterchen werde sich darüber härmen, daß sein Experiment mißglückt sei. Ich brachte also in das gesprungene Kanonenrohr den mit einer Handvoll Erde umhüllten Diamanten und beeilte mich, alles im Ofen möglichst wieder in Ordnung zu bringen, so daß das Väterchen nichts bemerkte . . . Dann wartete ich ruhig, ohne ein Wort zu sagen, und als das Väterchen den Diamanten fand, war er hoch erfreut darüber!«

Ein schallendes Gelächter, das die fünf maskierten Männer nicht zurückhalten konnten, begleitete Matakits letzte Worte.

Cyprien selbst lachte freilich nicht, sondern biß sich aus Enttäuschung auf die Lippen. Der Ton des jungen Kaffern ließ gar keinen Zweifel aufkommen. Seine Erzählung beruhte offenbar auf Wahrheit!

Vergeblich forschte Cyprien in seiner Erinnerung oder Einbildung nach Tatsachen, sie anzuzweifeln und jenen Lügen zu strafen. Vergebens sagte er sich:

»Ein natürlicher Diamant hätte sich, einer Hitze, wie der im Ofen ausgesetzt, verflüchtigen müssen . . .«

Die einfache gesunde Vernunft gab ihm dagegen ein, daß der von einer Art Lehmhülle umschlossene Stein recht gut der intensiven Einwirkung der Hitze habe entgehen können, oder daß sie nur teilweise auf ihn gewirkt habe. Vielleicht verdankte er gerade dieser langen Erwärmung seine schwarze Farbe; vielleicht hatte er sich innerhalb seiner Kruste verflüchtigt und war dann erst wieder kristallisiert.

All diese Gedanken bestürmten das Hirn des jungen Ingenieurs und verknüpften sich darin mit außerordentlicher Geschwindigkeit. Er stand betroffen vor der ihm unerklärlichen Tatsache.

»Ich entsinne mich recht gut, am Tag jenes Einsturzes in der Hand des Kaffern einen Klumpen Erde gesehen zu haben«, bemerkte da einer der Männer, als die allgemeine Heiterkeit sich etwas beruhigt hatte. »Er preßte ihn so fest darin zusammen, daß man darauf verzichten mußte, den Erdklumpen daraus zu entfernen.«

»An der ganzen Sache ist überhaupt nicht mehr zu zweifeln«, meinte ein anderer. »Ist's denn möglich, Diamanten künstlich herzustellen? Wahrlich, wir sind rechte Schwachköpfe, so etwas je haben glauben zu können. Da könnte einer ebensogut versuchen, einen Stern machen zu wollen!«

Wieder fingen alle an zu lachen.

Cyprien litt sicher mehr unter ihrer jetzigen Ausgelassenheit, als vorher unter ihrem rohen Auftreten.

Nachdem die fünf Männer endlich heimlich beratschlagt hatten, ergriff ihr Anführer wieder das Wort:

»Wir sind der Ansicht, Cyprien Mere«, sagte er, »daß wegen des über Sie verhängten Todesurteils noch eine Beratung stattzufinden habe. Sie gehen vorläufig frei aus! Vergessen Sie aber nicht, daß dieses Urteil nach wie vor über Ihnen schwebt! Ein Wort, ein Zeichen, davon die Polizei zu benachrichtigen, und Sie sind unrettbar verloren! Wen's juckt, der kratze sich!«

Mit diesen Worten zog er sich, gefolgt von seinen Begleitern, nach der Tür zurück.

Das Zimmer lag wieder im Dunkeln. Cyprien hätte sich fast fragen können, ob er nicht das Spiel eines bloßen Traums gewesen sei. Das Schluchzen Matakits aber, der sich auf dem Boden niedergestreckt hatte und heftig, den Kopf in die Hände stützend, weinte, zwang ihn wohl zu glauben, daß alles, was hier vor sich gegangen, auch wirklich geschehen war.

Die Wahrheit lag also zutage ! Er war zwar dem Tod entgangen, aber um den Preis einer fast vernichtenden Demütigung. Er, ein Bergwerksingenieur, er, ein Zögling der polytechnischen Schule, ein hervorragender Chemiker und schon namhafter Geologe, er hatte sich durch die plumpe List eines elenden Kaffern betrügen lassen! Oder es war vielmehr seine eigene Eitelkeit, seine lächerliche Voreingenommenheit, die ihn diesen entsetzlichen Bock hatte schießen lassen. Seine Verblendung war so weit gegangen, eine Theorie für die Entstehung der Kristallbildungen finden zu wollen! ... Konnte es etwas noch Lächerlicheres geben? ... Ist es nicht die Sache der Natur allein, unter Mithilfe Jahrhunderte überdauernder Zeiträume, derartige Bildungsprozesse zu Ende zu führen? ... Und doch, wer hätte sich gegenüber der vor Augen liegenden Tatsachen nicht täuschen lassen? . . . Er erhoffte einen Erfolg, hatte alles zu dessen Sicherung vorbereitet und mußte logischerweise annehmen, einen solchen errungen zu haben. Sogar die außergewöhnlichen Dimensionen des Diamanten waren ja nur dazu angetan, eine solche Täuschung zu nähren. Auch ein Depretz hätte sie wahrscheinlich geteilt . . . Kommen denn ähnliche Irrtümer nicht alle Tage vor? ... Sieht man zum Beispiel nicht die erfahrensten Numismatiker falsche Münzen häufig genug für echte halten?

Cyprien suchte sich durch derartige Vorstellungen einigermaßen zu trösten.

Da machte ihn plötzlich ein Gedanke fast zu Eis erstarren:

»Und mein Bericht an die Akademie! ... Wenn ihn jene Schurken nicht mit weggeschleppt haben!«

Er entzündete eine Kerze. Nein, Gott sei Dank, sein Be-richt fand sich noch vor. Niemand hatte ihn gesehen. Er atmete erst auf, nachdem er ihn verbrannt hatte.

Das Wehklagen Matakits war inzwischen so herzzerreißend, daß er wohl versuchen mußte, ihn zu beruhigen. Das sollte nicht so schwer werden. Auf den ersten wohlwollenden Zuspruch »des Väterchens« schien der arme Kerl wirklich neu aufzuleben. Wenn Cyprien ihm jedoch versicherte, daß er ihm keinen Groll nachtrage und ihm von ganzem Herzen verzeihe, so geschah das nur unter der Bedingung, daß er sich zu ähnlichen heimlichen Handlungen nicht wieder verleiten lasse.

Matakit beteuerte das bei dem Namen dessen, der ihm am heiligsten war, und als sich sein Herr darauf wieder niedergelegt hatte, tat er desgleichen.

So endete diese nächtliche Szene, die erst einen recht traurigen Ausgang zu nehmen drohte.

Wenn sie in dieser Weise für den jungen Ingenieur endete, sollte das für Matakit nicht ebenso der Fall sein.

Am folgenden Tag nämlich, als man nun wußte, daß der »Südstern« nichts anderes als ein natürlicher Diamant war, daß der junge Kaffer, der seinen Wert genügend erkannte, ihn einfach gefunden hatte, trat die Frage wegen seines Verbleibs mit erneuerter Lebhaftigkeit zutage. John Watkins verlieh seinen Klagen lauten Ausdruck. Nur Matakit konnte der Dieb dieses unschätzbaren Steins sein! Nachdem er schon seinem eigenen Geständnis nach gleich anfangs daran gedacht hatte, ihn für sich zu behalten, lag ja nichts nä-her, als die Annahme, daß er ihn auch aus dem Festsaal entwendet hatte.

Cyprien konnte dieser Auffassung widersprechen und für die Rechtlichkeit des jungen Kaffern Bürgschaft übernehmen so viel er wollte, man hörte ihn einfach nicht an, was den mehr als hinreichenden Beweis lieferte, wie recht Matakit, der seine vollständigste Schuldlosigkeit beschwor, daran getan hatte, zu flüchten, und wie unrecht, nach dem Griqualand zurückgekehrt zu sein.

Da brachte der junge Ingenieur, der seine Sache nicht verloren geben wollte, ein Argument zur Geltung, das niemand erwartete und das seiner Annahme nach Matakit retten mußte.

»Ich selbst glaube an seine Unschuld«, sagte er zu John Watkins; »doch selbst wenn er schuldig wäre, ginge das im Grunde nur mich an. Ob Natur oder Kunsterzeugnis, jedenfalls gehörte der Diamant mir, bevor ich ihn Miss Alice angeboten hatte . . .«

»Ah, er gehörte Ihnen ?« antwortete Mr. Watkins in eigentümlich schmerzhaftem Ton.

»Ohne Zweifel!« erklärte Cyprien. »Ist er nicht von dem bei mir in Diensten stehenden Matakit in meinem Claim gefunden worden?«

»Ganz richtig«, erwiderte der Farmer; »aber eben deshalb kommt er mir zu, weil laut Vertrag die drei ersten in Ihrem Claim ausgegrabenen Diamanten in mein ausschließliches Eigentum überzugehen hatten.«

Cyprien wußte auf diesen Einwurf nichts zu antworten.

»Nun, ist mein Ausspruch wohl gerecht?« fragte Mr. Watkins.

»Ganz gerecht!« stammelte Cyprien.

»Ich würde Ihnen sehr dankbar sein für eine ausdrückliche schriftliche Anerkennung meines guten Rechts, für den Fall, daß wir den Spitzbuben dahin bringen könnten, den auf so unverschämte Weise gestohlenen Diamanten wieder herauszugeben!«

Cyprien nahm ein Stück weißes Papier und schrieb darauf:

Ich erkenne hiermit an, daß der in meinem Claim von einem in meinen Diensten stehenden Kaffern gefundene Diamant gemäß dem Konzessionsvertrag das Eigentum von Mr. John Napleton Watkins ist.

Cyprien Mere.

Man wird zugeben, daß dieser Umstand alle Träume des jungen Ingenieurs vernichtete. Kam nun der Diamant jemals wieder zum Vorschein, so gehörte er nicht als Geschenk, sondern von Rechts wegen John Watkins, und ein neuer Abgrund, den nur viele Millionen ausfüllen konnten, eröffnete sich zwischen Cyprien und Alice.

Wenn aber die Reklamation des Farmers die Interessen der beiden jungen Leute schädigte, so war das noch mehr bezüglich Matakits der Fall. Jetzt war es John Watkins, gegen den er sich ein Vergehen hatte zuschulden kommen lassen ... John Watkins war der Bestohlene! ... Und John

Watkins war nicht der Mann danach, die Verfolgung dieser ihn so tief berührenden Angelegenheit aufzugeben, wenn er den Dieb in Händen zu haben glaubte.

Der arme Teufel wurde also verhaftet, eingesperrt und nach Verlauf von kaum 12 Stunden, trotz allem, was Cy-prien zu seiner Verteidigung anführen mochte, verurteilt, gehenkt zu werden . . . wenn er sich nicht entschloß, oder er nur außerstande war, den »Südstern« zurückzuerstatten.

Da er ihn nun tatsächlich nicht zurückliefern konnte, weil er ihn ja gar nicht genommen hatte, so lag seine Sache ganz klar, und Cyprien wußte nicht mehr, was er beginnen sollte, um den Unglücklichen zu retten, an dessen Schuld er nun einmal nicht glauben konnte.

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