23. KAPITEL Unterbrochene Festfreuden

Der überglückliche John Watkins, jetzt der reichste Farmer des ganzen Griqualands, konnte, nachdem er früher die Geburt des »Südsterns« gefeiert, nichts Besseres tun, als nun ein zweites Festmahl zur Feier seiner Auferstehung anzustellen. Diesmal verstand es sich indes von selbst, daß alle Vorsichtsmaßnahmen, sein nochmaliges Verschwinden zu verhüten, getroffen waren - und Dada wurde auch nicht zum Schmaus eingeladen.

Am Nachmittag des folgenden Tages war denn die Festlichkeit schon im vollsten Gang.

Schon vom frühen Morgen an hatte John Watkins den Vor- und Nachbann seiner Tischfreunde aufgeboten, von den Schlachtern des Distrikts Fleischvorräte beziehen lassen, die eine ganze Infanteriekompanie zu sättigen ausgereicht hätten, und dafür gesorgt, daß in seiner Küche alle Viktualien, Konservenbüchsen, Wein- und Likörflaschen, welche die Kantinen der Umgebung nur zu liefern vermochten, aufgespeichert wurden.

Um 4 Uhr stand die Tafel im Saal fix und fertig, die Flaschenbatterie auf dem Schanktisch in musterhafter Ordnung und draußen dufteten die Rinderviertel und Lammbraten aus dem heißen Ofen.

Um 6 Uhr erschienen die Eingeladenen im Festanzug. Um 7 Uhr hatte die Lebhaftigkeit der Unterhaltung schon einen so hohen Grad erreicht, daß es selbst einem Hornisten schwer geworden wäre, den Trubel zu übertönen.

Hier befanden sich Matthis Pretorius - jetzt viel ruhiger, da er die schlechten Scherze Annibal Panatalaccis nicht mehr zu fürchten brauchte; Thomas Steele, ein Muster strotzender Kraft und strahlender Gesundheit, der Händler Nathan, und daneben Farmer, Minengräber, Kaufleute und Polizeibeamte.

Auf Ansuchen Alices hatte auch Cyprien nicht abschlagen können, dem Festmahl beizuwohnen, da das junge Mädchen ebenfalls bei ihm zu erscheinen gezwungen war. Beide spielten aber recht traurige Figuren, denn - das leuchtete aus allem hervor - der fünfzigfache Millionär Watkins konnte gar nicht mehr daran denken, seine Tochter einem einfachen Ingenieur zu geben, »der nicht einmal Diamanten zu fabrizieren verstand«. Ja, der egoistische Mann ließ das den jungen Mann, dem er sein Vermögen doch erst verdankte, deutlich genug an seinem Benehmen gegen ihn merken. Das Gastmahl nahm also unter dem wenig in

Schranken gehaltenen Enthusiasmus der Tafelrunde seinen weiteren Fortgang.

Vor dem glücklichen Farmer - heute also nicht hinter ihm - glitzerte der »Südstern« auf kleinem blausamtnen Kissen, aber unter dem Doppelschutz eines befestigten Metalldrahtgewebes und eines Glassturzes, im Schein zahlreicher Kerzen.

Man hatte schon zehn Toasts auf sein Wohlergehen, auf seine unvergleichliche Klarheit und seinen bisher unerreichten Strahlenglanz ausgebracht.

Allmählich wurde es drückend warm.

Einsam und wie in sich selbst zurückgezogen, schien Miss Watkins inmitten des Tumults gar nichts zu hören. Ihre Augen ruhten auf dem wie sie selbst verstimmten Cy-prien und drohten sich immer mit Tränen zu füllen.

Drei kräftig gegen die Tür des Saals geführte Schläge unterbrachen plötzlich das Geräusch der Unterhaltung und das Klingen und Klirren der Gläser.

»Herein!« rief John Watkins mit heiserer Stimme. »Wer es auch sei, er kommt zur rechten Stunde, wenn er nur Durst mitbringt!«

Die Tür öffnete sich.

Auf der Schwelle erhob sich die lange hagere Gestalt Jacobus Vandergaarts.

Alle Tischgäste sahen sich bei dieser unerwarteten Erscheinung verwundert an. Ringsum im Land kannte ja jedermann zu gut die Gründe der Feindschaft, welche die beiden Nachbarn, John Watkins und Jacobus Vandergaart, voneinander entfernt hielten, so daß sofort ein dumpfes Gemurmel um den Tisch lief. Alle erwarteten einen mehr oder weniger ernsten Auftritt.

Jetzt herrschte Totenstille. Aller Augen waren auf den alten silberhaarigen Steinschneider gerichtet. Dieser erschien, als er so mit gekreuzten Armen, den Hut auf dem Kopf und in langem schwarzen Überrock aus besseren Tagen dastand, wie ein Ebenbild der personifizierten Vergeltung.

Mr. Watkins fühlte sich von unerklärlichem Schrecken und geheimem Schauer gepackt. Er erbleichte unter der kupferroten Hautschicht, die ein langandauernder Alkoholmißbrauch auf seinen Backen erzeugt hatte.

Der Farmer suchte jedoch die unbehaglichen Empfindungen niederzukämpfen, über die er sich nicht klarwerden konnte.

»He, das hat aber lange gedauert, Nachbar Vandergaart«, sagte er, sich als der erste an Jacobus wendend, »bis Sie mir das Vergnügen bereiten, sich in meinen vier Wänden sehen zu lassen! Welcher günstige Wind führt Sie denn heute zu mir?«

»Der Wind der - Gerechtigkeit, Nachbar Watkins«, antwortete der Greis sehr kühl. »Ich komme nur, Ihnen anzumelden, daß das gute Recht nach einem Zeitraum von 7 Jahren doch endlich triumphiert und zum Durchbruch gelangt; ich komme, Ihnen zu verkünden, daß die Stunde der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand geschlagen und daß die Kopje, der ja von jeher mein Name verblieben ist, in Zukunft auch gesetzlich wieder mein Eigentum ist, wie sie das vor dem Richterstuhl der Billigkeit immerfort war . . . John Watkins, Sie haben einst fast geraubt, was mir gehörte . . . heute ist es das Gesetz, das Sie wieder aus dem Besitz setzt und Sie verurteilt, mir zurückzuerstatten, was Sie mir vor langer Zeit genommen!«

So sehr John Watkins sich zunächst bei der plötzlichen Erscheinung Jacobus Vandergaarts und bei der noch gleichsam nebelhaften Gefahr, die diese zu verkünden schien, versteinert gefühlt hatte, ebenso entsprach es seinem heftigen, gewalttätigen Charakter, einer ihn unmittelbar bedrohenden und deutlich erkennbaren Gefahr trotzig die Stirn zu bieten.

Nachdem er sich sicher gegen die Rückenlehne seines Armsessels gestützt hatte, fing er jetzt in höchst verächtlicher Weise zu lachen an.

»Der gute Mann ist übergeschnappt!« sagte er, sich an seine Gäste wendend. »Ich hab's zwar schon lange gewußt, daß bei ihm eine Schraube locker war . . . seit einiger Zeit scheint aber sein Oberstübchen ganz aus den Fugen zu gehen!«

Die ganze Tafelrunde beklatschte den plumpen Witz. Jacobus Vandergaart verzog dabei keine Miene.

»Wer zuletzt lacht, lacht am besten!« sagte er ernsthaft und zog dabei ein Papier aus der Tasche. »Sie wissen, John Watkins, daß ein oberstes und nicht mehr anzufechtendes Urteil, das selbst die Königin nicht mehr umzustoßen vermöchte, Ihnen den westlich vom 25. Längengrad östlich von Greenwich gelegenen Landstrich dieser Gegend, und mir das Land zugesprochen hat, das östlich der genannter Linie liegt ?«

»Gewiß, mein ehrenwerter Faselhans!« rief John Wat-kins. »Und deshalb eben täten Sie besser, nach Hause zu gehen und sich ins Bett zu legen, wenn Sie krank sind, als hier Ehrenmänner, die niemandem etwas schuldig sind, bei ihrer Mahlzeit zu stören!«

Jacobus Vandergaart hatte sein Papier entfaltet.

»Hier ist eine Erklärung«, ergriff er in mildestem Ton wieder das Wort, »eine vom Gouverneur gegengezeichnete und in Victoria unter dem gestrigen Datum registrierte Erklärung des Katasteramts, die einen bis heute in allen Karten des Griqualands vorkommenden Irrtum betrifft. Dieser Irrtum, den die mit der Vermessung des Landes betrauten Geometer vor 10 Jahren dadurch begingen, daß sie die Abweichung der Magnetnadel von dem richtigen Nordpunkt unberücksichtigt ließen, dieser Irrtum, sage ich, fälscht nun alle Karten und alle aufgrund jener Vermessungen eingezeichneten Grundpläne. Infolge der eben stattgefundenen Richtigstellung verschiebt sich in unserer Breitenlage die früher als 25. Längengrad angenommene Linie um etwa 3 Meilen weiter nach Westen. Ferner überschreibt mir diese von jetzt ab offizielle Berichtigung wieder das Eigentum an der früher Ihnen zugefallenen Kopje, denn nach Ansicht der Regierungsanwälte und des Chefs der Justizverwaltung selbst bleibt die frühere Entscheidung unbedingt zu Recht bestehen. Das war es, John Watkins, was ich Ihnen sagen wollte!«

Ob der Farmer diese Auseinandersetzung nicht richtig aufgefaßt hatte oder es nur vorzog, sie absichtlich nicht zu verstehen, jedenfalls versuchte er noch einmal den alten Steinschneider als Antwort mit verächtlichem Lachen abzufertigen.

Diesmal klang dieses Lachen aber doch etwas gezwungen und fand auch keinen rechten Widerhall an der Tafel.

Verblüfft hielten alle Zeugen dieses Auftritts ihre Augen auf Jacobus Vandergaart gerichtet und schienen von seinem würdevollen Ernst, von der Sicherheit, mit der er sprach, wie von der unerschütterlichen Siegesgewißheit, die sich in seiner ganzen Erscheinung ausdrückte, gleichmäßig betroffen.

Zuerst war es der Händler Nathan, der als Dolmetscher der allgemeinen Empfindungen hierbei auftrat.

»Was da der Herr Vandergaart anführt«, begann er, sich an John Watkins wendend, »ist von vornherein nicht als sinnlos zurückzuweisen. Jener Irrtum bezüglich Feststellung des Längengrads kann ja tatsächlich vorgekommen sein, und vielleicht erscheint es, ehe man sich weiter darüber ausspricht, rätlicher, eingehendere Erklärungen abzuwarten.«

»Erklärungen abwarten!« fuhr Mr. Watkins auf und hämmerte mit der geballten Faust wütend auf den Tisch. »Hier hab' nur ich Erklärungen abzugeben. Ich kümmere mich den Teufel um Erklärungen von anderen! Bin ich hier bei mir zu Hause oder bin ich es nicht? Ist mir nicht das Besitzrecht an der Kopje ordnungsgemäß zugesprochen worden durch eine letztinstanzliche Entscheidung, deren Rechtsgültigkeit das alte Krokodil jetzt anzutasten wagt? Ach, was kümmert mich die ganze Geschichte! Will mich jemand im friedlichen Besitz meines Eigentums stören, so tu' ich, was schon einmal geschah, ich wende mich an das zuständige Gericht, und dann wird sich's ja zeigen, wer bei der Sache den kürzeren zieht.«

»Ein weiteres Eingreifen der Gerichte ist jetzt ausgeschlossen«, entgegnete Jacobus Vandergaart mit unerschütterlicher Mäßigung. »Alles liefe nur auf die festzustellende Tatsache hinaus, gelegentlich der Frage, ob der 25. Breitengrad wirklich längs der Linie verläuft, welche die Katasterpläne dafür enthalten. Nun ist aber schon offiziell anerkannt, daß hier ein Irrtum untergelaufen war, und daraus ergibt sich als notwendige Schlußfolgerung, daß die Kopje wieder in meinen Besitz zurückgeht.«

Bei diesen Worten zeigte Jacobus Vandergaart die offizielle, mit allen Stempeln und Siegeln beglaubigte Bestätigung vor, die er in der Hand hielt.

John Watkins' Unbehagen nahm sichtlich zu. Er rückte auf seinem Stuhl hin und her, versuchte höhnisch zu lachen, aber es gelang ihm nur schlecht. Da fielen seine Blicke zufällig auf den »Südstern«. Dieser Anblick schien ihm das Vertrauen wiederzugeben, das ihn schon verlassen hatte.

»Und wenn's an dem wäre«, rief er, »wenn ich aller Gerechtigkeit zum Hohn auf dieses Besitztum verzichten müßte, das mir auf gesetzlichem Weg zugesprochen wurde und das ich seit 7 Jahren in Frieden genoß, was kann mir das schaden? Hab' ich nicht etwas, mich darüber zu trösten, und wär's nur dieser einzige Juwel, den ich in der Westentasche mit forttragen kann und vor jeder wiederholten Fähr-lichkeit zu schützen wissen werde?«

»Das ist wiederum ein Irrtum, John Watkins«, bemerkte Jacobus Vandergaart sehr trocken. »Der >Südstern< gehört in Zukunft aufgrund desselben Titels nur mir, wie alle Produkte der Kopje, die sich in Ihrem persönlichen Besitz vorfinden, wie das Mobiliar dieses Hauses, der Wein in diesen Flaschen oder das Fleisch, das dort noch auf den Schüsseln liegt. Alles hier ist mein rechtmäßiges Eigentum, da es von der arglistigen Übervorteilung herrührt, die mich einst traf ... Sorgen Sie sich darum nicht weiter«, fügte er hinzu, »meine Vorsichtsmaßnahmen sind getroffen.«

Jacobus Vandergaart klatschte gleichzeitig in die fleischlosen Hände.

Sofort erschienen Konstabler in schwarzer Uniform in der Tür, und ihnen folgte ein Offizier des Sheriffs, der raschen Schritts eintrat und die Hand auf einen Stuhl legte.

»Im Namen des Gesetzes«, begann er, »verkünde ich hiermit die vorläufige Beschlagnahme aller Mobilien und Wertgegenstände jeder Art, die sich in diesem Haus vorfinden!«

Alle mit Ausnahme John Watkins' waren plötzlich aufgestanden. Verwirrt und in seinem weiten hölzernen Lehnstuhl zusammengesunken, erschien der Farmer wie vom Blitz getroffen.

Alice hatte sich an seinen Hals geworfen und suchte ihn durch tröstlichen Zuspruch wieder aufzurichten.

Jacobus Vandergaart verlor seinen Gegner inzwischen nicht aus dem Gesicht. Er betrachtete ihn, während er auch auf den »Südstern« ein wachsames Auge hatte, mit mehr Mitleid als Haß. Der Stein schien inmitten des hereingebrochenen Unglücks nur noch feuriger zu glänzen.

»Ruiniert! ... Ruiniert!«

Das waren die einzigen Worte, die sich den zitternden Lippen Mr. Watkins' entrangen.

Da trat auch Cyprien an ihn heran und sagte mit ernster Stimme:

»Mr. Watkins, da Ihr bisheriges Eigentum von einem nicht wieder auszugleichenden Schlag bedroht ist, so gestatten Sie mir, in diesem Ereignis nur die Möglichkeit zu sehen, mich Ihrem Fräulein Tochter zu nähern . . . Ich habe die Ehre, Sie um die Hand von Miss Alice Watkins zu bitten!«

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