13 Wie Schnee schwebend

Der nördliche Horizont leuchtete durch den heftigen Regen, der im Osten Illians die Nacht hindurch niedergegangen war, purpurfarben. Über ihnen drohte ein Morgenhimmel düster brodelnder Wolken, und starker Wind ließ die Umhänge flattern und die Banner — das weiße Drachenbanner und das karmesinrote Banner des Lichts, sowie die hellen Standarten des Adels aus Illian und Cairhien und Tear — auf dem Hügelkamm knattern und krachen wie Peitschen. Die Adligen blieben für sich, drei weitläufig angeordnete, in gold- und silberglänzenden Stahl, Seide, Samt und Spitze gehüllte Gruppen, die sich aber allesamt unbehaglich umsahen. Selbst ihre erfahrensten Pferde warfen die Köpfe auf und stampften mit den Hufen auf den schlammigen Boden. Der Wind war kalt und fühlte sich noch kälter an, weil er die sengende Hitze so jäh verdrängt hatte, ebenso wie der Regen nach so langer Trockenheit beängstigend gewesen war. Jede Nation hatte darum gebetet, daß die Dürre ein Ende nehmen möge, aber niemand wußte, was er mit den unerbittlichen Stürmen als Antwort auf ihre Gebete anfangen sollte. Einige beobachteten Rand, wenn sie glaubten, daß er es nicht bemerkte. Vielleicht fragten sie sich, ob er ihnen auf diese Weise geantwortet hatte. Der Gedanke ließ ihn leise und verbittert lachen.

Er tätschelte mit lederbehandschuhter Hand den Hals seines schwarzen Wallachs und war froh, daß Tai'daishar keine Nervosität zeigte. Das kräftige Tier stand unbewegt wie eine Statue, wartete auf den Druck von Zügeln oder Knien, ehe es sich bewegte. Das Pferd des Wiedergeborenen Drachen schien ebenso kalt wie er, als schwebten sie gemeinsam im Nichts. Obwohl die Eine Macht ihn durchströmte, Feuer und Eis und Tod, war er sich des Windes kaum bewußt, der seinen goldbestickten Umhang flattern ließ und durch seine Jacke fuhr, grüne, üppig goldbestickte Seide und nicht für solches Wetter gemacht. Die Wunden an seiner Seite schmerzten und pochten —der alte Schnitt und der darüber verlaufende neue, die Wunden, die niemals heilen würden — aber auch sie nahm er nur entfernt wahr, wie die Verletzungen eines anderen Menschen. Die Schwerterkrone hätte mit den scharfen Spitzen der winzigen Klingen zwischen ihren goldenen Lorbeerblättern in die Schläfen eines anderen stechen können. Er spürte jedoch die Blicke der Adligen in seinem Rücken.

Er rückte sein Schwertheft zurecht und beugte sich vor. Er konnte die dichte Ansammlung niedriger, bewaldeter Hügel eine halbe Meile östlich so deutlich wie durch sein Fernglas sehen. Das Land war hier flach, die einzigen Erhebungen jene bewaldeten Hügel und dieser langgezogene, aus der Heide hervorragende Grat. Das nächste dichte Gestrüpp, das diese Bezeichnung auch verdiente, war annähernd zehn Meilen entfernt. Nur sturmzerschlagene, halb entlaubte Bäume und wirres Unterholz waren auf den Hügeln zu sehen, aber er wußte, was sie verbargen. Zwei-, vielleicht dreitausend der Männer, die Sammael hier versammelt hatte, um ihn an der Einnahme Illians zu hindern.

Dieses Heer hatte sich aufgelöst, als die Soldaten erfuhren, daß der Mann, der sie gerufen hatte, tot war, daß Mattin Stepaneos verschwunden oder vielleicht ebenfalls tot war und daß es in Illian einen neuen König gab. Viele waren in ihr Heim zurückgekehrt, aber fast ebenso viele blieben auch noch zusammen. Meist nur zwanzig Mann hier, dreißig dort, aber ein großes Heer, wenn sie sich wieder vereinigten, und ansonsten zahllose bewaffnete Horden. Wie auch immer — man durfte nicht zulassen, daß sie das Land durchstreiften. Der Mangel an Zeit und die Verantwortung lasteten schwer auf Rands Schultern. Es war niemals genug Zeit, aber vielleicht dieses eine Mal... Feuer und Eis und Tod.

Was würdest du tun? dachte er. Bist du da? Und dann zweifelnd und den Zweifel hassend: Warst du jemals da? Schweigen antwortete ihm, tief und unzugänglich in der ihn umgebenden Leere. Oder erklang irgendwo in den entlegenen Winkeln seines Geistes wahnsinniges Gelächter? Bildete er es sich ein wie das Gefühl, es sehe ihm jemand über die Schulter, jemand, der fast seinen Rücken berührte? Oder wie die Farben, die gerade außerhalb seines Sichtkreises umherwirbelten, mehr als Farben, und dann wieder verschwanden? Wahrnehmungen Wahnsinniger. Sein behandschuhter Daumen glitt an den sich um das Drachenszepter windenden Schnitzereien entlang. Die grünweißen Quasten unter der glänzenden Speerspitze flatterten im Wind. Feuer und Eis und der Tod würden kommen.

»Ich werde selbst mit ihnen reden«, verkündete er, wodurch er jedoch einen Aufruhr bewirkte.

Lord Gregorin, der die grüne Schärpe des Konzils der Neun schräg über seinen kunstvoll vergoldeten Brustharnisch geschlungen hatte, drängte seinen weißen Wallach mit den schlanken Fesseln von den Illianern heran, dicht gefolgt von Demetre Marcolin, Erster Befehlshaber der Gefährten auf einem kräftigen Kastanienbraunen. Marcolin war der einzige unter ihnen, der weder Seide noch Spitze trug, der einzige in einfacher, wenn auch glänzend polierter Rüstung, obwohl der auf dem Sattelknauf aufliegende konische Helm drei dünne goldene Federn aufwies. Lord Marac hob die Zügel an, ließ sie aber unsicher wieder sinken, als er sah, daß keiner der übrigen Neun sich regte. Als kräftiger Mann mit schwerfälliger Art und neu im Konzil, sah er trotz der üppigen Seide unter seiner verschwenderischen Rüstung und der darüber wogenden Spitze häufig eher wie ein Handwerker aus. Die Hohen Herren Weiramon und Tolmeran ritten eilig von den Tairenern herbei, ebenso gold- und silberglänzend wie jeder andere der Neun und wie auch Rosana, gerade erst zur Hochdame erhoben und mit dem Falken-und-Sterne-Emblem ihres Hauses auf dem Brustharnisch. Auch andere machten halbherzige Anstalten zu folgen, blieben aber dann mit besorgter Miene zurück. Der gertenschlanke Aracome und der blauäugige Maraconn sowie der kahlköpfige Gueyam waren tote Männer. Sie wußten es nicht, aber wie sehr sie sich auch ins Zentrum der Macht wünschten, fürchteten sie doch, daß Rand sie töten würde. Von den Cairhienern kam nur mit zerschlagener Rüstung, von der die Vergoldung abblätterte, Lord Semaradrid auf einem Grauen heran, der auch schon bessere Zeiten gesehen hatte. Semaradrid hatte ein hageres, hartes Gesicht; die Vorderseite seines Schädels war rasiert und bepudert wie bei einem einfachen Soldaten, und seine dunklen Augen schimmerten vor Verachtung gegenüber den größeren Tairenern.

Es war überhaupt viel Verachtung im Spiel. Die Tairener und die Cairhiener haßten einander. Die Illianer und die Tairener verachteten einander. Nur die Cairhiener und die Illianer kamen einigermaßen miteinander zurecht und selbst unter ihnen gab es gewisse Spannungen. Ihre beiden Nationen konnten vielleicht nicht annähernd die lange schwierige Geschichte aufweisen, die sich Tear und Illian teilten, aber die Cairhiener waren mit ihren Waffen und Rüstungen noch immer Fremde auf illianischem Boden, bestenfalls halbherzig willkommen geheißen und auch das nur, weil sie Rand folgten. Aber trotz all des Stirnrunzelns und der Verärgerung und den Versuchen, das erste Wort zu haben, während sie in einem Wirbel vom Wind bewegter Umhänge um Rand herum schwirrten, hatten sie jetzt ein gemeinsames Ziel. Gewissermaßen.

»Majestät«, sagte Gregorin hastig und verbeugte sich auf seinem goldverzierten Sattel, »ich bitte Euch, mich oder den Ersten Befehlshaber Marcolin an Eurer Stelle gehen zu lassen.« Der eckig gestutzte Bart, der seine Oberlippe freiließ, umrahmte ein rundes, besorgt gefurchtes Gesicht. »Diese Männer müssen wissen, daß Ihr ein König seid — die Verkündigungen müssen in jedem Dorf, sozusagen an jeder Kreuzung zu lesen sein —, und doch werden sie Eurer Krone gegenüber vielleicht nicht den angemessenen Respekt zeigen.« Marcolin mit dem kantigen, glatt rasierten Kinn und den tiefliegenden Augen gab nicht zu erkennen, was sich hinter seiner gleichmütigen Miene verbarg. Die Treue der Gefährten galt der Krone von Illian, und Marcolin war alt genug, um sich an die Zeit zu erinnern, als Tam al'Thor über ihm zweiter Befehlshaber gewesen war, und nur er wußte, was er von Rand al'Thor als König hielt.

»Mein Lord Drache«, begann Weiramon feierlich, während er sich verbeugte und nicht abwartete, bis Gregorin geendet hätte. Der Mann verfiel stets in einen feierlichen Singsang und schien sich selbst auf dem Pferderücken zu brüsten. Samt, gestreifte Seide und üppige Spitze bedeckten fast seine ganze Rüstung, und sein spitzer grauer Bart strömte einen blumigen Geruch nach Duftölen aus. »Dieser Pöbel ist zu unbedeutend, als daß sich der Lord Drache persönlich darum kümmern sollte. Ich sage, Hunde sollten Hunde fangen. Sollen die Illianer sie aufspüren. Verdammt sei meine Seele, aber sie haben Euch bisher nur mit Reden gedient.« Man konnte fest darauf vertrauen, daß er eine Übereinkunft mit Gregorin in eine Beleidigung ummünzte. Tolmeran war so hager, daß selbst Weiramon neben ihm wuchtig und düster wirkte. Er war kein Narr und ein Rivale Weiramons, und doch nickte er nur zögernd. Es war keinerlei Zuneigung zu den Illianern vorhanden.

Semaradrid schaute verächtlich zu den Tairenern, wandte sich aber unmittelbar an Rand. »Diese Ansammlung umfaßt zehnmal so viele Leute wie jede bisher angetroffene, mein Lord Drache.« Der König von Illian kümmerte ihn nicht, und der Wiedergeborene Drache nicht wesentlich mehr, nur daß der Thron Cairhiens von Rand vergeben wurde und Semaradrid hoffte, er würde jemandem übergeben, dem er folgen könnte, anstatt ihn bekämpfen zu müssen. »Ihre Treue muß wohl Brend gelten, sonst wären nicht so viele geblieben. Ich befürchte, es ist Zeitverschwendung, mit ihnen zu sprechen, aber wenn Ihr reden müßt, laßt mich ihnen mit Stahl verdeutlichen, welchen Preis sie dafür zu bezahlen haben, wenn sie aus der Reihe tanzen.«

Rosana, eine hagere Frau, nicht groß, aber annähernd so groß wie er, mit Augen wie blaues Eis, sah Semaradrid offen an. Sie wartete ebenfalls nicht, bis er geendet hatte, und sprach ebenfalls an Rand gewandt. »Ich habe einen zu weiten Weg hinter mir, um Euch jetzt vergebens sterben zu sehen«, sagte sie ungeziert. Rosana war ebensowenig töricht wie Tolmeran und hatte einen Platz im Hohen Konzil beansprucht, obwohl tairenische Hochdamen dies selten taten, und ungeziert war die passende Beschreibung für sie. Obwohl die meisten adligen Frauen Rüstungen trugen, führte keine Frau ihre Waffenträger tatsächlich in den Kampf, aber Rosana hatte einen Streitkolben mit hervorspringender Kante an ihrem Sattel befestigt, und Rand dachte bisweilen, sie bekäme wohl gern die Gelegenheit, ihn zu benutzen. »Ich bezweifle, daß diese Illianer keine Bogen besitzen«, sagte sie, »und es ist nur ein Pfeil nötig, auch den Wiedergeborenen Drachen zu töten.« Marcolin schürzte nachdenklich die Lippen, nickte, bevor er sich dessen bewußt wurde, und wechselte dann bestürzte Blicke mit Rosana, einer überraschter als der andere, mit einem alten Feind gleicher Meinung zu sein.

»Diese Bauern hätten ohne Unterstützung niemals den Mut aufgebracht, unter Waffen zu bleiben«, fuhr Weiramon gelassen fort, indem er Rosana ignorierte. Er war geübt darin, jeden zu ignorieren, den er nicht bemerken wollte. Er war ein Narr. »Darf ich vorschlagen, daß mein Lord Drache hinsichtlich dieser sogenannten Neun auf die Quelle achtet?«

»Ich verwehre mich gegen die Beleidigungen dieses tairenischen Dickschädels, Majestät!« grollte Gregorin augenblicklich, eine Hand drohend am Schwert. »Ich verwehre mich nachdrücklich dagegen!«

»Es sind dieses Mal zu viele«, sagte Semaradrid im selben Augenblick. »Die meisten werden sich gegen uns wenden, zumindest sobald Ihr ihnen den Rücken kehrt.« Seiner finsteren Miene nach zu urteilen, hätte er ebensogut von den Tairenern wie von den Männern auf den bewaldeten Hügeln sprechen können. Vielleicht war es auch so. »Wir sollten sie besser töten und es dabei bewenden lassen!«

»Habe ich nach Euren Meinungen gefragt?« stieß Rand scharf hervor. Das Gezänk verstummte. Nur noch das Knattern der im Wind flatternden Umhänge und Banner war zu hören. Plötzlich ausdruckslose Gesichter betrachteten ihn, von denen nicht nur eines grau wurde. Sie wußten nicht, daß er die Macht festhielt, obwohl sie ihn zu kennen glaubten. Nicht alles, was sie wußten, entsprach der Wahrheit, aber es erfüllte den gleichen Zweck, daß sie es glaubten. »Ihr werdet mit mir kommen, Gregorin«, sagte Rand mit wieder ruhigerer, aber dennoch ausreichend harter Stimme. Sie verstanden nur Stahl. Wurde er weich, würden sie sich gegen ihn wenden. »Und auch Ihr, Marcolin. Die übrigen bleiben hier. Dashiva! Hopwil!«

Alle nicht Genannten nahmen ihre Pferde rasch zurück, als die beiden Asha'man zu Rand ritten, und die Illianer betrachteten die Männer in den schwarzen Jacken, als wären sie gern auch zurückgeblieben.

Corlan Dashiva blickte finster drein und murrte, wie so häufig, leise vor sich hin. Alle waren sich dessen bewußt, daß Saidin die Männer früher oder später wahnsinnig werden ließ, und Dashiva mit dem einfachen Gesicht wirkte gewiß bereits wahnsinnig, das dünne, ungeschnittene Haar im Winde wehend, während er sich die Lippen leckte und den Kopf schüttelte. Eben Hopwil, gerade sechzehn Jahre alt und noch mit einigen verstreuten Pusteln auf den Wangen, blickte ebenfalls düster ins Leere. Zumindest kannte Rand den Grund dafür.

Während sich die Asha'man näherten, konnte Rand nicht umhin, den Kopf zu neigen, um zu lauschen, obwohl sich das, worauf er lauschte, in seinem Kopf vollzog. Alanna war natürlich dort. Weder das Nichts noch die Macht änderten irgend etwas daran. Die Entfernung dämpfte das Bewußtsein — das Bewußtsein, daß sie existierte, irgendwo im fernen Norden —, und doch war da heute mehr, etwas, das er in letzter Zeit mehrmals, wenn auch nur vage gespürt hatte. Ein erschrecktes Flüstern vielleicht, oder Zorn, ein Hauch von etwas Durchdringendem, das er nicht ganz greifen konnte.

Sie mußte das, was immer sie bewegte, sehr stark empfinden, wenn er sich dessen auf diese Entfernung so bewußt war. Vielleicht vermißte sie ihn. Ein abwegiger Gedanke. Er vermißte sie nicht. Alanna zu ignorieren war leichter geworden als früher. Sie war da, aber gegenwärtiger war die Stimme, die ihm üblicherweise etwas von Tod und Morden zu schrie, wann immer ein Asha'man in Sicht kam. Lews Therin war fort. Es sei denn, das Gefühl, jemand betrachte angestrengt seinen Hinterkopf und streiche mit einem Finger über seine Schulterblätter, wäre er. Ertönte tatsächlich tief in seinen Gedanken das rauhe Gelächter eines Wahnsinnigen? Oder war es sein eigenes? Der Mann war dort gewesen! Wahrhaftig!

Er merkte, daß Marcolin ihn anstarrte und Gregorin sich sehr bemühte, es nicht zu tun. »Noch nicht«, belehrte er sie spöttisch und mußte fast lachen, als sie unzweifelhaft sofort verstanden. Die Erleichterung auf ihren Gesichtern war zu offensichtlich, als daß sie es nicht verstanden haben könnten. Er war nicht verrückt. Noch nicht. »Kommt mit«, sagte er und trieb Tai'daishar im Trab den Hang hinab. Er fühlte sich allein, obwohl ihm die Männer folgten. Er fühlte sich trotz der Macht leer.

Zwischen ihrem Hügelkamm und den anderen Hügeln lagen stellenweise dichtes Gestrüpp und lange Striche verdorrtes Gras, eine vom Regen niedergedrückte, glänzende Matte aus Braun und Gelb. Noch vor wenigen Tagen war der Boden so ausgedörrt gewesen, daß Rand geglaubt hatte, die Erde könne einen Fluß aufsaugen, ohne sich zu verändern. Dann kamen die Sturzbäche, vom letztendlich gnädigen Schöpfer oder vielleicht in einem Anfall schwarzen Humors vom Dunklen König gesandt. Er wußte es nicht. Jetzt ließen die Pferdehufe bei jedem zweiten Schritt Schlamm aufspritzen. Er hoffte, daß dies nicht lange so anhielt. Hopwils Bericht zufolge hatte er ein wenig Zeit, aber nicht ewig. Vielleicht Wochen, wenn er Glück hatte. Er brauchte aber Monate. Licht, er brauchte Jahre, die er niemals zur Verfügung hätte!

Sein Hörvermögen war durch die Macht verstärkt, so daß er einiges von dem verstehen konnte, was die Männer hinter ihm sprachen. Gregorin und Marcolin ritten dicht nebeneinander, versuchten ihre Umhänge im Wind festzuhalten und sprachen leise über die Männer vor ihnen, über ihre Angst davor, daß die Männer kämpfen könnten. Keiner von beiden zweifelte daran, daß sie vernichtet würden, wenn sie sich auf einen Kampf einließen, aber sie fürchteten die Auswirkungen auf Rand und seine Wirkung auf Illian, wenn die Illianer ihn bekämpften, jetzt, da Brend tot war. Sie konnten sich noch immer nicht dazu überwinden, Brend bei seinem wahren Namen Sammael zu nennen. Die bloße Vorstellung, daß einer der Verlorenen in Illian regiert hatte, ängstigte sie noch mehr als die Tatsache, daß jetzt der Wiedergeborene Drache dort herrschte.

Dashiva, der wie ein Mensch, der niemals zuvor ein Pferd gesehen hatte, im Sattel kauerte, murrte verärgert vor sich hin — in der Alten Sprache, die er so flüssig wie ein Gelehrter sprach und schrieb. Rand beherrschte sie ein wenig, aber nicht genug, um verstehen zu können, was der Bursche murmelte. Wahrscheinlich Klagen über das Wetter. Dashiva hielt sich, obwohl er ein Bauer war, nicht gern draußen auf, es sei denn, der Himmel war wolkenlos.

Nur Hopwil ritt schweigend und blickte manchmal stirnrunzelnd auf etwas jenseits des Horizonts, Haar und Umhang peitschten ebenso wild im Wind wie Dashivas. Hin und wieder umfaßte er unbewußt das Heft seines Schwertes. Rand mußte ihn dreimal ansprechen, das letzte Mal mit Nachdruck, bevor er überrascht zusammenzuckte und seinen schlanken Kastanienbraunen neben Tai'daishar lenkte.

Rand betrachtete ihn. Der junge Mann, trotz seines Alters kein Kind mehr, war voller geworden, seit Rand ihm zum ersten Mal begegnet war, obwohl seine Nase und Ohren noch immer für einen größeren Mann gemacht schienen. Ein Drache in mit rotem Emaille belegtem Gold ergänzte jetzt ebenso wie bei Dashiva das silberne Schwert an seinem hohen Kragen. Er hatte einst gesagt, er würde ein Jahr lang vor Freude lachen, wenn ihm der Drache erst gehörte, aber jetzt betrachtete er Rand ausdruckslos, als blicke er durch ihn hindurch.

»Was Ihr erfahren habt, waren gute Nachrichten«, belehrte Rand ihn. Nur mit Mühe konnte er sich daran hindern, das Drachenszepter in seiner Hand zu zerbrechen. »Ihr habt es gut gemacht.« Er hatte erwartet, daß die Seanchaner zurückkehren würden, hatte jedoch gehofft, daß es nicht so bald geschehen würde und nicht im Handumdrehen Städte erobert wurden. Als er herausfand, daß Händler in Illian schon Tage vorher Bescheid gewußt hatten, bevor jemand von ihnen die Neun informierte — das Licht verhüte, daß sie eine Möglichkeit, etwas zu verdienen, verlören, weil zu viele zuviel wußten! —, hätte er die Stadt beinahe bis auf die Grundmauern niedergerissen. Aber es war dennoch eine gute Nachricht, oder zumindest so gut, wie sie unter den gegebenen Umständen sein konnte. Hopwil war nach Amador und in die umliegende Gegend gereist und hatte herausgefunden, daß die Seanchaner anscheinend abwarteten. Vielleicht mußten sie erst verdauen, was sie vereinnahmt hatten. Das Licht gebe, daß sie daran erstickten! Rand zwang sich, seinen Griff um das Drachenszepter zu lockern. »Wenn Morr nur halb so gute Nachrichten bringt, habe ich Zeit, Illian zu festigen, bevor ich mich um sie kümmere.« Und auch Ebou Dar! Das Licht verbrenne die Seanchaner! Sie bedeuteten eine Ablenkung, die er weder brauchte noch ignorieren durfte.

Hopwil schwieg und schaute nur.

»Seid Ihr aufgebracht, weil Ihr Frauen töten muß-tet?« Desora, von den Musara Reyn, und Lamelle, von den Rauchwasser-Miagoma, und... Rand verdrängte die Litanei wieder, sobald sie durch das Nichts zu schweben begann. Neue Namen waren auf dieser Liste aufgetaucht, Namen, die hinzugefügt zu haben er sich nicht erinnern konnte. Laigin Arnault, eine Rote Schwester, die bei dem Versuch umgekommen war, ihn als Gefangenen nach Tar Valon zu bringen. Sie hatte gewiß kein Recht auf einen Platz, hatte aber dennoch einen beansprucht. Colavaere Saighan, die sich lieber erhängt hatte, als Gerechtigkeit zu akzeptieren. Und weitere. Auch Männer waren zu Tausenden gestorben, durch Weisung oder durch seine eigene Hand, aber es waren die Gesichter der Frauen, die seine Träume heimsuchten. Jede Nacht stellte er sich ihren schweigend anklagenden Blicken. Vielleicht hatte er ihre Augen in letzter Zeit gespürt.

»Ich habe Euch von den Damane und Sul'dam berichtet«, sagte Rand ruhig, obwohl Zorn in ihm aufflammte und Feuer sich wie Spinnweben um die Leere des Nichts legte. Das Licht verdamme michich habe mehr Frauen getötet, als alle deine Alpträume enthalten könnten! Meine Hände sind befleckt vom Blut der Frauen! »Hättet Ihr diese seanchanische Patrouille nicht ausgelöscht, hätte sie gewiß Euch getötet.« Er sagte nicht, daß Hopwil sie hätte meiden sollen und damit die Notwendigkeit, sie zu töten. Dafür war es nun zu spät. »Ich bezweifle, daß Damane auch nur wissen, wie man einen Mann abschirmt. Ihr hattet keine Wahl.« Und es war besser, daß sie alle tot waren, als daß einige mit der Nachricht über einen Mann entkommen wären, der die Macht lenken konnte und sie auskundschaftete.

Hopwil berührte wie abwesend seinen linken Ärmel, wo Schwärze den feuerverkohlten Stoff verbarg. Die Seanchaner waren nicht leicht oder schnell gestorben. »Ich habe die Leichen in einer Grube aufgeschichtet«, sagte er tonlos. »Auch die Pferde und alles andere. Dann habe ich alles zu Asche verbrannt. Weiße Asche, die auf dem Wind wie Schnee dahinschwebte. Es hat mich überhaupt nicht berührt.«

Rand hörte die Lüge von den Lippen des Mannes, aber Hopwil mußte lernen. Und schließlich hatte er gelernt. Sie waren, was sie waren, und mehr gab es dazu nicht zu sagen. Mehr nicht. Liah, von den Cosaida Chareen, ein in Feuer geschriebener Name. Moiraine Damodred, ein weiterer Name, der die Seele eher versengte, als nur zu brennen. Eine namenlose Schattenfreundin, nur durch ein Gesicht gegenwärtig, die durch sein Schwert gestorben war, fast...

»Majestät«, sagte Gregorin laut und deutete voraus. Ein einzelner Mann trat am Fuße des nächstgelegenen Hügels aus dem Wald und blieb dann in herausfordernder Haltung stehen. Er hatte einen Bogen bei sich und trug einen spitzen Stahlhelm sowie ein gegürtetes Kettenhemd, das ihm fast bis an die Knie reichte.

Rand trieb sein Pferd von Macht erfüllt zu dem Mann. Saidin konnte ihn vor Menschen schützen.

Aus der Nähe wirkte der Bogenschütze nicht mehr so tapfer. Rost befleckte Helm und Kettenhemd, und er war durchnäßt. Schlamm reichte ihm bis zu den Oberschenkeln, und das feuchte Haar hing ihm das schmale Gesicht herab. Er hustete hohl und fuhr sich mit dem Handrücken über die lange Nase. Seine Bogensehne, die er vor dem Regen geschützt hatte, war jedoch gespannt. Und die Befiederung an den Pfeilen in seinem Köcher war ebenfalls trocken.

»Seid Ihr hier der Anführer?« fragte Rand.

»Man könnte sagen, daß ich in seinem Namen spreche«, erwiderte der hagere Mann vorsichtig. »Warum?« Während die anderen hinter Rand herangaloppierten, änderte der Mann seine Haltung, die dunklen Augen wie die eines in die Enge getriebenen Dachses. In die Enge getriebene Dachse waren gefährlich.

»Hütet Eure Zunge, Mann!« fauchte Gregorin. »Ihr sprecht mit Rand al'Thor, dem Wiedergeborenen Drachen, Herr des Morgens und König von Illian! Kniet vor Eurem König nieder! Wie heißt Ihr?«

»Er soll der Wiedergeborene Drache sein?« fragte der Bursche zweifelnd. Er betrachtete Rand von der Krone auf seinem Kopf bis zu den Stiefeln, wobei sein Blick einen Moment auf der vergoldeten Drachenschnalle seines Schwertgürtels verweilte, dann schüttelte der Mann den Kopf, als hätte er jemand Älteren oder Eindrucksvolleren erwartet. »Herr des Morgens, sagt Ihr? Unser König hat sich niemals so bezeichnet.« Er machte keinerlei Anstalten, sich hinzuknien oder seinen Namen zu nennen. Gregorins Miene verdüsterte sich beim Tonfall und vielleicht auch aufgrund der Weigerung des Mannes, Rand als König anzusehen, zusehends. Marcolin nickte leicht, als hätte er nicht mehr erwartet.

Schwaches Rascheln erklang im Unterholz zwischen den Bäumen. Rand hörte es frühzeitig und spürte jäh, wie Hopwil von Saidin erfüllt wurde. Hopwil starrte nicht mehr ins Leere, sondern beobachtete mit wildem Feuer in den Augen aufmerksam den Waldrand. Dashiva strich sich ruhig das dunkle Haar aus dem Gesicht und wirkte eher gelangweilt. Gregorin beugte sich im Sattel vor und öffnete verärgert den Mund. Feuer und Eis, aber noch nicht Tod.

»Immer mit der Ruhe, Gregorin.« Rand erhob seine Stimme nicht, aber er wob Stränge aus Luft und Feuer, so daß seine Worte bis zum Wald getragen wurden. »Ich mache Euch ein großzügiges Angebot.« Der Mann mit der langen Nase wankte bei dem Klang, und Gregorins Pferd scheute. Jene verborgenen Männer würden ihn deutlich verstehen. »Legt die Waffen nieder. Jene von Euch, die heimkehren möchten, können dies tun. Jene, die statt dessen mir folgen wollen, können dies ebenfalls tun. Aber niemand verläßt diesen Ort bewaffnet, der mir nicht folgt. Ich weiß, daß die meisten von Euch gute Männer sind, die dem Ruf ihres Königs und des Konzils der Neun gefolgt sind, um Illian zu verteidigen, aber jetzt bin ich Euer König, und ich will nicht, daß sich jemand von Euch versucht fühlt, zum Straßenräuber zu werden.« Marcolin nickte grimmig.

»Was ist mit dem Abbrennen von Bauernhöfen durch Eure Drachenverschworenen?« erklang die verängstigte Stimme eines Mannes aus dem Wald. »Sie sind Banditen!«

»Was ist mit Euren Aiel?« rief ein weiterer Mann. »Ich habe gehört, sie brennen ganze Dörfer nieder!« Weitere Stimmen von unsichtbaren Männern schlossen sich an, die alle dasselbe riefen, von Drachenverschworenen und Aiel, mörderischen Banditen und Wilden. Rand knirschte mit den Zähnen.

Als die Rufe verstummten, sagte der Mann mit dem schmalen Gesicht: »Seht Ihr?« Er hielt inne, um zu husten, räusperte sich und spie aus. Ein erbärmlicher Anblick, aber sein Rückgrat war ebenso gerade wie seine Bogensehne. Er ignorierte Rands Blick genauso leicht wie Gregorins. »Ihr fordert uns auf, unbewaffnet nach Hause zu ziehen, außerstande, uns oder unsere Familien zu verteidigen, während Eure Leute Häuser anzünden und stehlen und töten. Sie sagen, der Sturm käme gewiß«, fügte er hinzu und schien überrascht, daß er es gesagt hatte, und einen Moment auch verwirrt.

»Die Aiel, von denen Ihr gehört habt, sind meine Feinde!« Dieses Mal nicht spinnwebartiges Feuer, sondern massiver Zorn, der sich um das Nichts schlang. Rands Stimme klang jedoch eisig. Sie erinnerte an strengen Winter. Der Sturm kam gewiß? Licht, er war der Sturm! »Meine Aiel jagen sie. Meine Aiel jagen die Shaido, sie und Davram Bashere und die meisten der Gefährten jagen Banditen, wie auch immer sie sich nennen! Ich bin der König von Illian, und ich werde niemandem gestatten, den Frieden in Illian zu stören!«

»Selbst wenn Eure Behauptung der Wahrheit entspricht...«, begann der Mann mit dem schmalen Gesicht.

»Es ist wahr!« fauchte Rand. »Ihr habt bis zum Mittag Zeit, Euch zu entscheiden.« Der Mann runzelte unschlüssig die Stirn. Wenn die drohenden Wolken nicht aufklarten, mochte ihm die Zeit bis Mittag lang und schwer werden. Rand gewährte ihm keine Erleichterung. »Entscheidet weise!« sagte er, dann wandte er Tai'daishar jäh um und trieb ihn im Galopp zum Hügelkamm zurück, ohne auf die anderen zu warten.

Er ließ die Macht widerwillig los, zwang sich, nicht wie jemand daran festzuhalten, der sich noch mit den Fingernägeln an Rettung klammerte, wenn das Leben schon aus ihm entwich. Er sah einen Moment doppelt. Die Welt schien sich schaukelnd zu neigen. Dieses Problem hatte er erst in letzter Zeit, und er machte sich Sorgen darüber, daß es Teil der Krankheit sein könnte, die Männer, welche die Macht lenkten, tötete, aber die Benommenheit hielt stets nur Augenblicke an. Es war das letzte Loslassen, was er bedauerte. Die Welt wurde anscheinend stumpf. Nein, sie wurde stumpf und verringerte sich irgendwie. Die Farben verblaßten, und der Himmel wurde, verglichen mit vorher, kleiner. Er wollte die Quelle verzweifelt erneut ergreifen und die Macht daraus herauspressen. Es war stets so, wenn die Macht aus ihm entwich.

Kaum war Saidin jedoch geschwunden, als Zorn an seiner Stelle aufwallte, weiß, heiß und versengend, fast so vereinnahmend, wie die Macht es gewesen war. Die Seanchaner genügten nicht. Und Banditen, die sich hinter seinem Namen versteckten? Er konnte sich keine tödlichen Ablenkungen leisten. Griff Sammael aus seinem Grab heraus? Hatte er die Shaido ausgestreut, um wie Dornen zu sprießen, wo immer Rand eine Hand hinlegte? Warum? Der Mann konnte nicht geglaubt haben, daß er sterben würde. Und wenn auch nur die Hälfte der Geschichten stimmten, die Rand gehört hatte, gab es in Murandy und Altara und nur das Licht wußte wo noch weitere Shaido! Viele von ihnen, die bereits gefangengenommen worden waren, hatten von einer Aes Sedai gesprochen. Konnte die Weiße Burg in irgendeiner Weise damit zu tun haben? Würde die Weiße Burg ihn niemals in Ruhe lassen? Niemals? Niemals.

Während er gegen seinen Zorn ankämpfte, bemerkte er nicht, wie Gregorin und die übrigen herankamen. Als sie den Hügelkamm mit den wartenden Adligen erreichten, verhielt Rand sein Pferd so jäh, daß Tai'daishar sich aufbäumte und Schlamm von seinen Hufen spritzte. Die Adligen nahmen ihre Pferde zurück, von Rands Wallach fort, von ihm fort.

»Ich habe ihnen bis heute mittag Zeit gegeben«, verkündete er. »Beobachtet sie. Ich will nicht, daß diese Horde in fünfzig kleinere Banden zerfällt und sich davonstiehlt. Ich bin in meinem Zelt.« Bis auf ihre vom Wind verwehten Umhänge hätten sie aus Stein sein können, am Fleck verwurzelt, als hätte er den Befehl auf sie selbst gemünzt. In diesem Moment kümmerte es ihn nicht, ob sie dort blieben, bis sie gefroren oder zerschmolzen.

Ohne ein weiteres Wort stieg er die Rückseite des Hügels hinab, gefolgt von zwei schwarz gewandeten Asha'man und seinen illianischen Bannerträgern. Feuer und Eis und der Tod kamen. Aber er war aus Stahl. Er war Stahl.

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