Catelyn

«In etwa einer Stunde legen wir in King's Landing an.«

Catelyn wandte sich von der Reling ab und zwang ein Lächeln hervor.»Eure Ruderer haben uns gut gedient, Kapitän. Jeder von ihnen soll einen Silberhirschen bekommen, als Ausdruck meiner Dankbarkeit.«

Kapitän Moreo Tumitis deutete eine Verbeugung an.»Ihr seid zu großzügig, Lady Stark. Die Ehre, eine große Dame wie Euch zu befördern, ist aller Lohn, den sie nur brauchen.«»Aber nehmen würden sie das Silber dennoch. «Moreo lächelte.»Ganz wie es Euch beliebt. «Er sprach die Gemeine Zunge fließend, mit dem kaum erkennbaren Akzent eines Tyroshi. Seit dreißig Jahren durchpflügte er nun die Meerenge, soviel hatte er ihr erzählt, als Ruderer, als Steuermann und schließlich als Kapitän seiner eigenen Handelsgaleeren. Die Storni Dancer war sein viertes Schiff, und sein schnellstes dazu, eine zweimastige Galeere mit sechzig Ruderern.

Es war das schnellste Schiff in White Harbor gewesen, als Catelyn und Ser Rodrik Cassel nach ihrem stürmischen Galopp flußabwärts dort eintrafen. Die Tyroshi waren für ihre Habsucht berühmt, und Ser Rodrik hatte dafür plädiert, auf den Three Sisters von Fischern eine Schaluppe zu mieten, doch Catelyn hatte auf einer Galeere bestanden. Und daran hatte sie gut getan. Die Winde waren fast während der gesamten Reise gegen sie gewesen, und ohne die Ruderer wären sie noch nicht an den Fingers vorbei, während sie jetzt schon King's Landing und dem Ende ihrer Reise entgegensahen.

So nah, dachte sie. Unter dem Verband aus Leinen pochte es noch immer an den Stellen, wo der Dolch ihr ins Fleisch geschnitten hatte. Der Schmerz war ihre Geißel, so empfand es Catelyn, damit sie nicht vergaß. Sie konnte die letzten beiden

Finger ihrer linken Hand nicht mehr bewegen, und mit den anderen wäre sie nie mehr so geschickt wie früher. Dennoch war es nur ein geringer Preis, den sie für Brans Leben bezahlt hatte.

Diesen Augenblick wählte Ser Rodrik, um sich an Deck zu zeigen.»Mein guter Freund«, sagte Moreo durch seinen grünen Gabelbart. Die Tyroshi liebten grelle Farben, selbst in ihrer Gesichtsbehaarung.»Es tut gut, zu sehen, daß es Euch bessergeht.«

«Ja«, bestätigte Ser Rodrik.»Seit zwei Tagen wollte ich nun schon nicht mehr sterben. «Er verneigte sich vor Catelyn.»Mylady.«

Er sah wirklich besser aus. Einen Hauch dünner als bei ihrer Abreise von White Harbor, doch fast wieder er selbst. Die starken Winde im Bite und die rauhe See der Meerenge hatten ihm nicht gutgetan, und beinah war er über Bord gegangen, als der Sturm sie unerwarteterweise vor Dragonstone packte, doch irgendwie hatte er sich an ein Tau geklammert, bis drei von Moreos Männern ihn retten und sicher unter Deck geleiten konnten.

«Der Kapitän teilt mir eben mit, daß unsere Reise bald zu Ende geht«, sagte sie.

Ser Rodrik brachte ein schiefes Lächeln zustande.»Schon?«Merkwürdig sah er ohne seinen großen, weißen Backenbart aus, kleiner irgendwie, weniger grimmig und zehn Jahre älter. Doch am Bite schien es vernünftig, sich dem Rasiermesser eines Seemannes zu fügen, nachdem sein Backenbart zum dritten Mal hoffnungslos besudelt worden war, als er über der Reling gehangen und in die wirbelnden Winde gereihert hatte.

«Ich überlasse Euch Euren Angelegenheiten«, sagte Kapitän Moreo. Er verneigte und empfahl sich.

Wie eine Libelle flog die Galeere übers Wasser, und ihre Ruder tauchten im perfekten Gleichklang ein und wieder auf.

Ser Rodrik hielt sich an der Reling fest und sah zum vorüberziehenden Ufer hin.»Ich war nicht eben der heldenhafteste aller Beschützer.«

Catelyn legte ihm die Hand auf den Arm.»Wir sind da, Ser Rodrik, und zwar unbeschadet. Nur das allein zählt wirklich.«

Ihre Hand suchte etwas unter ihrem Umhang, mit steifen, unsteten Fingern. Der Dolch war noch an ihrer Seite. Hin und wieder mußte sie ihn berühren, um sich zu beruhigen.»Nun müssen wir den Waffenmeister des Königs erreichen und beten, daß ihm zu trauen ist.«

«Ser Aron Santagar ist ein eitler Mann, doch auch ein ehrlicher. «Ser Rodrik hob eine Hand an sein Gesicht, um über den Backenbart zu streichen, und stellte einmal mehr fest, daß dieser nicht mehr vorhanden war. Er wirkte ratlos.»Er könnte den Dolch kennen, ja… nur, Mylady, sobald wir an Land gehen, befinden wir uns in Gefahr. Und es gibt bei Hofe auch solche, die Euch vom Sehen her kennen.«

Catelyn kniff den Mund zusammen.»Littlefinger«, murmelte sie. Sie sah sein Gesicht vor Augen, ein jungenhaftes Gesicht, auch wenn er schon lange kein Junge mehr war. Sein Vater war vor Jahren gestorben, so daß er nun selbst Lord Baelish hieß, dennoch nannte man ihn Littlefinger. Ihr Bruder Edmure hatte ihm diesen Namen gegeben, vor langer Zeit in Riverrun. Die bescheidenen Besitztümer seiner Familie lagen auf dem kleinsten der Finger, und Petyr war für sein Alter schmal und klein gewesen.

Ser Rodrik räusperte sich.»Lord Baelish hat einmal, nun…«Sein Gedanke verklang unsicher auf der Suche nach einem höflichen Ausdruck.

Catelyn setzte sich über etwaige Empfindlichkeiten hinweg.»Er war Mündel meines Vaters. Wir sind in Riverrun zusammen aufgewachsen. Für mich war er wie ein Bruder, doch seine Gefühle für mich waren… mehr als brüderlich. Als verkündet wurde, daß ich Brandon Stark heiraten sollte, forderte Petyr ihn zum Kampf um das Recht auf meine Hand heraus. Es war Irrsinn. Brandon war zwanzig, Petyr kaum fünfzehn. Ich mußte Brandon anflehen, Petyrs Leben zu schonen. Er ließ ihn mit einer Narbe entkommen. Danach schickte mein Vater ihn fort. Seither habe ich ihn nicht gesehen. «Sie hob ihr Gesicht der Gischt zu, als könne der frische Wind Erinnerungen verwehen.»Er hat mir nach Riverrun geschrieben, nachdem Brandon tot war, doch habe ich den Brief ungelesen verbrannt. Inzwischen wußte ich, daß Ned mich an seines Bruders Stelle heiraten würde.«

Erneut tasteten Ser Rodriks Finger nach dem nicht vorhandenen Backenbart.»Littlefinger sitzt mittlerweile im Kleinen Rat.«

«Ich wußte, er würde es weit bringen«, sagte Catelyn.»Er war schon immer findig, schon als Junge, nur ist es eine Sache, findig zu sein, und eine andere, weise zu sein. Ich frage mich, was die Jahre aus ihm gemacht haben.«

Hoch über ihnen rief der Ausguck etwas aus der Takelage. Kapitän Moreo hastete übers Deck, gab Befehle, und überall um sie breitete sich hektisches Treiben auf der Storni Dancer aus, als King's Landing auf seinen drei hohen Hügeln in Sicht kam.

Vor dreihundert Jahren, das wußte Catelyn, waren diese Hügel von Wald bedeckt gewesen, und nur eine Handvoll Fischer hatte an der Nordküste des Blackwater Rush gelebt, wo dieser tiefe, schnelle Fluß ins Meer mündete. Dann war Aegon der Eroberer von Dragonstone gekommen. Hier hatte er seine Armee zum ersten Mal an Land gebracht, und dort auf dem höchsten Hügel seine erste grobe Schanze aus Holz und Erde errichtet.

Jetzt überzog die Stadt das Ufer so weit Catelyns Auge reichte. Wohnhäuser und Lauben und Kornkammern, steinerne

Lagerhäuser und hölzerne Wirtshäuser und Händlerbuden, Tavernen und Friedhöfe und Bordelle, alles übereinandergestapelt. Sie konnte das Geschrei vom Fischmarkt selbst aus dieser Entfernung hören. Zwischen den Häusern führten breite, von Bäumen gesäumte Straßen, gewundene, bucklige Gassen, die so schmal waren, daß zwei Männer kaum aneinander vorübergehen konnten. Visenyas Hügel war von der Großen Septe von Baelor mit ihren sieben Kristalltürmen gekrönt. Auf der anderen Seite der Stadt, auf dem Hügel von Rhaenys, standen die schwarzen Mauern der Drachenhöhle, deren mächtige Kuppel in sich zusammengebrochen war und deren bronzene Türen nun seit einem Jahrhundert schon verschlossen waren. Dazwischen verlief die Straße der Schwestern, schnurgerade. In der Ferne ragten die Stadtmauern auf, hoch und fest.

Einhundert Kais reihten sich im Hafen aneinander, und an ihnen drängten sich die Schiffe. Fischerboote und Kähne kamen und gingen, Fährmänner stakten über den Blackwater Rush hin und her, Handelsgaleeren entluden Lebensmittel aus Braavos und Pentos und Lys. Catelyn entdeckte die reichverzierte Barkasse der Königin, die neben einem dickbäuchigen Walfänger aus dem Hafen von Ibben vertäut lag, dessen Rumpf schwarz vom Teer war, während flußaufwärts ein Dutzend schlanker, goldener Kriegsschiffe auf Holzgerüsten ruhte, die Segel eingerollt, vorn mit schrecklichen Eisenrammen bestückt, an die das Wasser schlug.

Und über allem ragte der Red Keep auf, blickte finster von Aegons hohem Hügel herab: sieben mächtige Rundtürme, von eiserner Brustwehr gekrönt, ein riesenhaftes, grimmiges Vorwerk, große Gewölbe und überdachte Brücken, Kasernen und Verliese und Getreidespeicher, massive Zwischenmauern, besetzt mit Nestern für Bogenschützen, alles aus hellem, rotem Stein. Aegon, der Eroberer, hatte den Bau befohlen. Sein Sohn

Maegor, der Grausame, hatte ihn fertiggestellt. Danach hatte er jeden einzelnen Steinmetz, Zimmermann und Maurer, der daran mitgearbeitet hatte, köpfen lassen. Nur das Blut des Drachen sollte je um die Geheimnisse dieser Festung wissen, welche die Drachenlords erbaut hatten, so lautete sein Schwur.

Doch inzwischen waren die Banner, die von ihren Zinnen flatterten, golden, nicht schwarz, und wo einst der dreiköpfige Drachen Feuer spie, stolzierte nun der gekrönte Hirsch des Hauses Baratheon.

Ein langmastiges Schwanenschiff von der Summer Isles kam gerade aus dem Hafen, die weißen Segel prall im Wind. Die Storni Dancer zog an ihm vorüber, steuerte langsam das Ufer an.

«Mylady«, sagte Ser Rodrik,»während ich bettlägerig war, habe ich darüber nachgedacht, wie wir am besten vorgehen. Ihr dürft die Burg in keinem Fall betreten. Ich werde an Eurer Stelle gehen und Ser Aron an einem sicheren Ort zu Euch bringen.«

Sie betrachtete den alten Ritter, als sich die Galeere einem Pier näherte. Moreo rief etwas im üblichen Valyrisch der Freien Städte.»Ihr würdet ein ebenso großes Risiko eingehen wie ich.«

Ser Rodrik lächelte.»Vorhin habe ich mein Spiegelbild im Wasser gesehen und mich kaum erkannt. Meine Mutter war die letzte, die mich ohne Bart gesehen hat, und die ist seit vierzig Jahren tot. Ich denke, ich setze mich keiner Gefahr aus, Mylady. «Moreo bellte ein Kommando. Wie ein Mann hoben sechzig Ruderer ihre Riemen aus dem Wasser, drehten sie um und setzten zurück. Die Galeere wurde langsamer. Wieder ein Bellen. Die Riemen glitten in den Rumpf zurück. Als das Schiff an die Kaimauer stieß, sprangen einige Tyroshi herunter, um es zu vertäuen. Moreo kam eilig heran, strahlte.»King's Landing, Mylady, ganz wie Ihr befohlen, und kein Schiff hat je eine schnellere oder sicherere Reise hinter sich gebracht. Braucht Ihr Beistand, um Euer Gepäck zur Burg zu bringen?«

«Wir wollen nicht zur Burg. Vielleicht könntet Ihr uns ein Wirtshaus empfehlen, sauber, komfortabel und nicht zu weit vom Fluß entfernt.«

Der Tyroshi fingerte an seinem grünen Gabelbart herum.»Gut möglich. Ich kenne verschiedene Häuser, die Euren Wünschen entsprechen dürften. Doch erst, wenn ich so unhöflich sein dürfte, ist da noch die Sache mit der zweiten Hälfte der Zahlung, auf die wir uns geeinigt haben. Und natürlich das zusätzliche Silber, das Ihr freundlicherweise in Aussicht gestellt hattet. Sechzig Hirsche, glaube ich, waren es.«

«Für die Ruderer«, erinnerte Catelyn ihn.

«Oh, seid unbesorgt«, beteuerte Moreo.»Obwohl ich es für sie verwahren sollte, bis wir wieder in Tyrosh sind. Um ihrer Frauen und Kinder willen. Wenn man ihnen das Silber hier gibt, Mylady, verspielen sie es oder geben alles für die Freuden einer Nacht aus.«

«Es gibt schlimmere Dinge, für die man sein Geld ausgeben könnte«, warf Ser Rodrik ein.»Der Winter naht.«

«Die Männer müssen ihre eigene Wahl treffen«, sagte Catelyn.»Sie haben das Silber verdient. Wofür sie es ausgeben, ist nicht meine Angelegenheit.«

«Was immer Ihr sagt, Mylady«, erwiderte Moreo, verbeugte sich und lächelte.

Um sicherzugehen, bezahlte Catelyn die Ruderer persönlich, einen Hirschen für jeden, und ein Kupferstück für die beiden Männer, die ihre Truhen halb auf Visenyas Hügel zu jenem Wirtshaus schleppten, das Moreo vorgeschlagen hatte. Es war ein verschachtelter, alter Schuppen an der Eel Alley. Die Frau, der es gehörte, war eine sauertöpfische Alte mit ruhelosem Blick, die sie argwöhnisch musterte und auf die Münze biß, die

Catelyn ihr gab, um sich zu versichern, ob sie auch echt war. Ihre Zimmer jedoch waren groß und luftig, und Moreo schwor, ihr Fischeintopf sei der schmackhafteste in allen Sieben Königslanden. Das Beste allerdings war, daß sie sich nicht für ihre Namen interessierte.

«Ich halte es für das Beste, wenn Ihr den Schankraum meidet«, riet ihr Ser Rodrik, nachdem sie sich eingerichtet hatten.»Selbst in einem Haus wie diesem weiß man nie, von wem man gesehen wird. «Er trug ein Kettenhemd, seinen Dolch und ein Langschwert unter einem dunklen Umhang mit einer Kapuze, die er sich über den Kopf ziehen konnte.»Ich werde vor Einbruch der Dunkelheit zurück sein, mit Ser Aron«, versprach er.»Ruht ein wenig, Mylady.«

Catelyn war wirklich müde. Die Reise war lang und anstrengend gewesen, und sie war nicht mehr so jung wie einst. Ihre Fenster gingen auf Gasse und Dächer hinaus, mit Blick auf den Blackwater dahinter. Sie sah, wie sich Ser Rodrik auf den Weg machte, indem er stracks durch die geschäftigen Straßen schritt, bis er sich in der Menge verlor, dann beschloß sie, seinem Rat zu folgen. Das Bettzeug war mit Stroh statt mit Federn ausgestopft, doch hatte sie keine Mühe einzuschlafen.

Sie wurde vom Klopfen an der Tür geweckt.

Abrupt setzte sich Catelyn auf. Draußen vor dem Fenster leuchteten die Dächer von King's Landing rot im Licht der untergehenden Sonne. Sie hatte länger geschlafen, als es ihre Absicht gewesen war. Erneut hämmerte eine Faust an ihre Tür, und eine Stimme rief:»Öffnet, im Namen des Königs.«

«Einen Moment«, rief sie. Sie hüllte sich in einen Umhang. Der Dolch lag auf ihrem Nachtschrank. Sie nahm ihn, bevor sie die schwere Holztür öffnete.

Die Männer, die ins Zimmer drängten, trugen das schwarze Kettenhemd und den goldenen Umhang der Stadtwache. Ihr Anführer lächelte angesichts des Dolches in ihrer Hand.»Den

braucht Ihr nicht, Mylady. Wir begleiten Euch zur Burg.«

«Auf wessen Befehl?«fragte sie.

Er zeigte ihr ein Siegel. Catelyn fühlte, wie ihr der Atem stockte. Das Siegel war eine Spottdrossel in grauem Wachs.»Petyr«, sagte sie. So bald. Irgend etwas mußte mit Ser Rodrik geschehen sein. Sie sah den Führer der Gardisten an.»Wißt Ihr, wer ich bin?«

«Nein, Mylady«, sagte er.»M'lord Littlefinger sagte nur, wir sollten Euch zu ihm bringen und dafür sorgen, daß man Euch gut behandelt.«

Catelyn nickte.»Ihr dürft draußen warten, während ich mich ankleide.«

Sie wusch ihre Hände im Becken und umwickelte sie mit sauberen Leinentüchern. Ihre Finger waren dick und unbeholfen, als sie damit rang, ihr Mieder zu schnüren und sich einen groben, braunen Umhang um ihren Hals zu knoten. Wie konnte Littlefinger wissen, daß sie hier war? Ser Rodrik hätte es ihm nie gesagt. Alt mochte er sein, doch war er stur und fast schon allzu treu. Kamen sie zu spät? Hatten die Lannisters schon vor ihnen King's Landing erreicht? Nein, falls das stimmte, wäre auch Ned hier, und sicher wäre er zu ihr gekommen. Wie…?

Dann dachte sie: Moreo. Der Tyroshi wußte, wer sie waren und wo sie waren. Verdammt sollte er sein. Nun, hoffentlich hatte er einen guten Preis für die Information bekommen.

Sie führten ein Pferd für sie bei sich. Die Laternen entlang der Straßen wurden angezündet, als sie sich auf den Weg machten, und Catelyn spürte beim Reiten, daß die Blicke der Stadt auf ihr lasteten, wie sie umgeben von der Garde in ihren goldenen Umhängen dahinzog. Als sie zum Red Keep kamen, waren die Fallgitter unten und die großen Tore für die Nacht verriegelt, doch in den Burgfenstern flackerte Licht. Die Gardisten ließen die Pferde vor den Mauern und eskortierten sie durch eine schmale Seitentür, dann endlose Treppen in einem Turm hinauf.

Er war allein im Raum, saß an einem schweren Holztisch, neben sich eine Öllampe, da er schrieb. Als man sie hereinschob, legte er seine Feder beiseite und sah sie an.»Cat«, sagte er leise.

«Warum hat man mich auf diese Weise hergebracht?«

Er stand auf und winkte die Garde brüsk hinaus.»Laßt uns allein. «Die Männer verließen den Raum.»Ich hoffe, man hat Euch gut behandelt«, sagte er, nachdem sie gegangen waren.»Ich habe strenge Anweisung gegeben. «Er bemerkte ihre Bandagen.»Eure Hände…«

Catelyn überging die unterschwellige Frage.»Ich bin es nicht gewohnt, wie eine Dienstmagd herbeizitiert zu werden«, äußerte sie eisig.»Als Junge wußtet Ihr um die Bedeutung der Höflichkeit.«

«Ich habe Euch verärgert, Mylady. Das war nicht meine Absicht. «Er wirkte reumütig. Dieser Blick rief bei Catelyn lebhafte Erinnerungen wach. Er war ein verschlagenes Kind gewesen, doch nach seinen Missetaten wirkte er stets reumütig. Er hatte diese Gabe. Die Jahre hatten ihn kaum verändert. Petyr war als Junge klein gewesen, und er war zu einem kleinen Mann herangewachsen, eine bis zwei Daumenbreit kleiner als Catelyn, schlank und behende, mit scharfen Zügen, an die sie sich gut erinnerte, und dieselben fröhlichen grüngrauen Augen. Er hatte ein kleines, spitzes Kinn und silberne Strähnen im dunklen Haar, obwohl er noch keine dreißig war. Die Strähnen paßten gut zu der silbernen Spottdrossel, die seinen Umhang zusammenhielt. Schon als Kind hatte er das Silber geliebt.

«Woher wußtest Ihr, daß ich in der Stadt bin?«

«Lord Varys weiß alles«, sagte Petyr mit hintergründigem Lächeln.»Er wird sich bald schon zu uns gesellen, doch wollte ich Euch vorher allein sprechen. Es ist so lange her, Cat. Wie

viele Jahre?«

Catelyn überhörte seine Vertraulichkeit. Es gab wichtigere Fragen.»Dann war es also die Königsspinne, die mich gefunden hat.«

Littlefinger zuckte zusammen.»Ihr solltet ihn besser nicht so nennen. Er ist sehr empfindlich. Ich vermute, es rührt daher, daß er Eunuch ist. In dieser Stadt geschieht nichts ohne Varys' Wissen. Oftmals weiß er es, bevor es geschieht. Er hat seine Informanten überall. Seine kleinen Vögel, nennt er sie. Einer seiner kleinen Vögel hat von Eurem Besuch erfahren. Glücklicherweise kam Varys damit zuerst zu mir.«

«Warum zu Euch?«

Er zuckte mit den Achseln.»Warum nicht zu mir? Ich bin Meister der Münze, Berater des Königs. Selmy und Lord Renly sind nach Norden geritten, um sich mit Robert zu treffen, und Lord Stannis ist nach Dragonstone unterwegs, so bleiben nur Maester Pycelle und ich. Ich war die naheliegende Wahl. Ich war stets ein guter Freund Eurer Schwester Lysa, das weiß Varys.«

«Weiß Varys von.. «

«Lord Varys weiß alles… nur nicht, warum Ihr hier seid. «Er zog eine Augenbraue in die Höhe.»Warum seid Ihr hier?«

«Eine Ehefrau darf Sehnsucht nach ihrem Mann verspüren, und wenn eine Mutter ihre Tochter bei sich haben will, wer kann es ihr verdenken?«

Littlefinger lachte.»Oh, sehr gut, Mylady, doch erwartet bitte nicht von mir, daß ich es glaube. Ich kenne Euch zu gut. Wie waren noch die Worte der Tullys?«

Ihre Kehle war trocken.»Familie, Pflicht, Ehre«, antwortete sie steif. Er kannte sie zu gut.

«Familie, Pflicht, Ehre«, wiederholte er.»Die allesamt von Euch verlangten, daß Ihr auf Winterfell bleibt, wo unsere

Rechte Hand Euch zurückgelassen hat. Nein, Mylady, irgend etwas ist geschehen. Diese überstürzte Reise verrät eine gewisse Dringlichkeit. Ich bitte Euch, laßt mich helfen. Gute, alte Freunde sollten niemals zögern, sich aufeinander zu verlassen. «Es klopfte leise an der Tür.»Herein«, rief Littlefinger.

Der Mann, der durch die Tür trat, war plump, parfümiert, gepudert und haarlos wie ein Ei. Er trug eine Weste aus gewebtem Goldfaden über einer weiten Robe aus roter Seide, und an seinen Füßen steckten spitze Pantoffeln aus weichem Samt.»Lady Stark«, grüßte er und hielt ihre Hand mit beiden Händen,»Euch nach so vielen Jahren wiederzusehen, ist mir eine Freude. «Seine Haut war weich und feucht, und sein Atem roch nach Veilchen.»Oh, Eure armen Hände. Habt Ihr Euch verbrannt, Verehrteste? Die Hände sind so zart… Unser guter Maester Pycelle stellt eine großartige Salbe her. Soll ich einen Tiegel bringen lassen?«

Catelyn zog ihre Hand aus seinem Griff.»Ich danke Euch, Mylord, doch mein eigener Maester Luwin hat sich meiner Schmerzen bereits angenommen.«

Varys nickte ausgiebig.»Ich war zutiefst erschüttert, von Eurem Sohn zu hören. Und noch so jung. Die Götter sind grausam.«

«Darin sind wir einig, Lord Varys«, erwiderte sie. Der Titel war nur eine Gefälligkeit aufgrund seiner Tätigkeit als Ratsherr. Varys war nur Lord über sein Spinnennetz, Herr nur über seine Ohrenbläser.

Der Eunuch breitete seine weichen Arme aus.»In noch weit mehr, wie ich hoffe, Verehrteste. Ich habe große Achtung vor Eurem Mann, unserer neuen Rechten Hand, und ich weiß, daß wir beide König Robert lieben.«

«Ja«, sagte sie gezwungenermaßen.»Mit Gewißheit.«»Nie zuvor war ein König so beliebt wie unser Robert«, spöttelte

Littlefinger. Er lächelte verschlagen.»Zumindest nach allem, was Lord Varys hört.«

«Gute Frau«, sagte Varys mit übertriebenem Eifer.»Es gibt in den Freien Städten Männer mit wundersamen Heilkräften. Sagt nur ein Wort, und ich schicke Euch jemanden für Euren geliebten Bran.«

«Maester Luwin tut alles, was für Bran zu tun ist«, erklärte sie ihm. Sie wollte nicht über Bran sprechen, nicht hier, nicht mit diesen Männern. Sie vertraute Littlefinger nur wenig und Varys überhaupt nicht. Diesen beiden wollte sie ihre Trauer nicht offenbaren.»Lord Baelish sagt, ich hätte es Euch zu verdanken, daß man mich hergebracht hat.«

Varys kicherte wie ein kleines Mädchen.»Oh, ja, ich vermute, daß es meine Schuld ist. Ich hoffe, Dir verzeiht mir, freundliche Lady. «Er ließ sich auf einen Stuhl herab und legte die Hände ineinander.»Ich frage mich, ob wir Euch die Unannehmlichkeit zumuten dürfen, uns den Dolch zu zeigen?«

Catelyn Stark starrte den Eunuchen mit sprachlosem Unglauben an. Er war eine Spinne, dachte sie, ein Zauberer oder Schlimmeres. Er wußte Dinge, die unmöglich jemand wissen konnte, es sei denn…»Was habt Ihr mit Ser Rodrik gemacht?«verlangte sie zu wissen.

Littlefinger war verdutzt.»Ich fühle mich etwas wie ein Ritter, der ohne seine Lanze zur Schlacht erscheint. Von welchem Dolch ist hier die Rede? Wer ist Ser Rodrik?«

«Ser Rodrik Cassel ist Waffenmeister auf Winterfell«, erklärte Varys.»Ich versichere Euch, Lady Stark, dem guten Ritter ist nicht das mindeste geschehen. Er besuchte uns am frühen Nachmittag. Er war bei Ser Aron Santagar in der Waffenkammer, und sie haben sich über einen bestimmten Dolch unterhalten. Bei Sonnenuntergang verließen sie die Burg gemeinsam und liefen zu dieser entsetzlichen Bruchbude, in der Ihr wohnt. Sie sind noch dort, trinken im Schankraum, warten auf Eure Rückkehr. Ser Rodrik war sehr besorgt, als er feststellte, daß Ihr fort wart.«

«Wie könnt Ihr das alles wissen?«

«Das Geflüster kleiner Vögel«, antwortete Varys lächelnd.»Ich weiß manches, Verehrteste. Das ist der Sinn meiner Dienste. «Er zuckte mit den Achseln.»Ihr habt doch einen Dolch bei Euch, ja?«

Catelyn zog ihn unter ihrem Umhang hervor und warf ihn vor ihm auf den Tisch.»Hier. Vielleicht flüstern Euch die kleinen Vögel den Namen des Mannes zu, dem er gehört.«

Varys hob das Messer mit übertriebenem Zartgefühl an und strich mit dem Daumen an der Klinge entlang. Blut quoll hervor, und er stieß einen Schrei aus und ließ den Dolch auf die Tischplatte fallen.

«Vorsicht«, warnte Catelyn,»er ist scharf.«

«Nichts hat eine Schneide wie valyrischer Stahl«, sagte Littlefinger, während Varys an seinem blutenden Daumen sog und Catelyn mit stiller Drohung anblickte. Littlefinger hielt das Messer lose in der Hand, prüfte den Griff. Er warf es in die Luft, fing es mit der anderen Hand auf.»Welch wunderbare Balance. Ihr wollt den Besitzer finden, ist das der Grund für diesen Besuch? Dafür braucht Ihr Ser Aron nicht. Ihr hättet zu mir kommen sollen.«

«Und wenn ich es getan hätte«, sagte sie,»was hättet Ihr mir erklärt?«

«Ich hätte Euch erklärt, daß es nur ein solches Messer in King's Landing gibt. «Er hielt die Klinge zwischen Daumen und Zeigefinger, hob sie über seine Schulter und warf sie mit geübtem Dreh aus dem Handgelenk durchs Zimmer. Sie traf die Tür und bohrte sich zitternd tief in die Eiche.»Es gehört mir.«

«Euch?«Es ergab keinen Sinn. Petyr war nicht in Winterfell

gewesen.

«Bis zum Turnier an Prinz Joffreys Namenstag«, sagte er und durchmaß das Zimmer, um den Dolch aus dem Holz zu ziehen.»Ich habe Ser Jaime beim Kampf unterstützt, gemeinsam mit dem halben Hofstaat. «Mit seinem schüchternen Lächeln sah Petyr halbwegs wieder wie ein Junge aus.»Als Loras Tyrell ihn aus dem Sattel hob, wurde mancher von uns um einiges ärmer. Ser Jaime verlor einhundert Golddrachen, die Königin verlor eine Smaragdkette, und ich verlor mein Messer. Ihre Majestät bekam den Smaragd zurück, doch den Rest hat der Gewinner einbehalten.«

«Wer?«forderte Catelyn zu wissen, und ihr Mund war trocken vor Angst. Ihre Finger brannten vom Schmerz in ihrer Erinnerung.

«Der Gnom«, sagte Littlefinger, während Lord Varys ihr Gesicht im Auge behielt.»Tyrion Lannister.«

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