Catelyn

Von allen Räumen in Winterfells Großem Turm waren Catelyns Schlafgemächer die wärmsten. Nur selten mußte sie Feuer machen. Die Burg war über natürlichen, heißen Quellen errichtet worden, und siedendes Wasser rauschte durch die Mauern und Kammern wie Blut durch den Körper eines Menschen, vertrieb die Kälte aus den steinernen Hallen, erfüllte die gläsernen Gärten mit feuchter Wärme und verhinderte, daß der Boden gefror. Offene Tümpel rauchten Tag und Nacht in einem ganzen Dutzend Höfe. Das war im Sommer kaum von Belang. Im Winter war es eine Frage von Leben und Tod.

Catelyns Bad war stets heiß und dampfte, und auch ihre Wände waren warm, wenn man die Hand darauf legte. Die Wärme erinnerte sie an Riverrun, an Tage im Sonnenschein mit Lysa und Edmure, doch Ned konnte die Hitze nie ertragen. Die Starks seien für die Kälte geschaffen, erklärte er ihr dann, woraufhin sie lachte und ihm erklärte, in diesem Fall hätten sie ihre Burg ganz sicher am falschen Ort gebaut.

Danach wälzte sich Ned von ihr herunter und stieg aus dem Bett, wie er es schon Tausende von Malen getan hatte. Er durchmaß den Raum, zog die schweren Gobelins zurück, stieß die hohen schmalen Fenster eines nach dem anderen auf und ließ Nachtluft in die Kammer.

Der Wind umwehte ihn, wie er dort stand, der Dunkelheit zugewandt, nackt und mit leeren Händen. Catelyn zog die Felle bis ans Kinn und betrachtete ihn. In gewisser Weise sah er kleiner und verwundbarer aus, wie der Junge, den sie in der Septe von Riverrun geheiratet hatte, vor fünfzehn Jahren. Noch immer schmerzten ihre Lenden von der Heftigkeit seiner Liebe. Es war ein angenehmer Schmerz. Sie spürte Neds Samen in sich. Sie betete, daß er sie befruchten möge. Drei Jahre waren vergangen, seit sie Rickon geboren hatte. Sie war noch nicht zu alt. Sie konnte ihm noch einen Sohn schenken.

«Ich werde ihm eine Absage erteilen«, sagte Ned, als er sich wieder zu ihr umdrehte. Sein Blick wirkte gehetzt, seine Stimme war vom Zweifel belegt.

Catelyn setzte sich im Bett auf. «Das könnt Ihr nicht tun. Das dürft Ihr nicht.«

«Ich werde hier im Norden gebraucht. Ich hege nicht den Wunsch, Robert als Rechte Hand zu dienen.«

«Er wird es nicht verstehen. Er ist jetzt König, und Könige sind nicht wie andere Menschen. Wenn Ihr Euch weigert, ihm zu dienen, wird er sich fragen, warum, und früher oder später wird er vermuten, daß Ihr gegen ihn steht. Seht Ihr nicht, in welche Gefahr wir dadurch gerieten?«

Ned schüttelte den Kopf, weigerte sich, es zu glauben.»Mir oder einem der Meinen würde Robert niemals schaden. Wir standen uns näher als Brüder. Er liebt mich. Wenn ich ihm eine Absage erteile, wird er brüllen und fluchen und toben, und nächste Woche lachen wir gemeinsam darüber. Ich kenne den Mann!«

«Ihr kanntet den Mann«, sagte sie.»Der König ist Euch ein Fremder. «Catelyn erinnerte sich an den toten Schattenwolf im Schnee, das zerbrochene Geweih in der Kehle. Sie mußte ihn überzeugen.»Stolz ist für einen König alles, Mylord. Robert ist den ganzen Weg hierher zu Euch gekommen, um Euch diese große Ehre anzutragen, und Ihr könnt sie ihm nicht so einfach vor die Füße werfen.«

«Ehre?«Ned lachte bitter.

«In seinen Augen, ja«, sagte sie.

«Und in Euren?«

«Und in meinen«, fuhr sie ihn zornig an. Wieso sah er es nicht ein?» Er bietet unserer Tochter seinen eigenen Sohn zur Heirat an, wie würdet Ihr es anders nennen? Vielleicht wird Sansa eines Tages Königin. Ihre Söhne könnten von der Mauer bis zu den Bergen von Dorne herrschen. Was ist so schlecht daran?«

«Bei allen Göttern, Catelyn, Sansa ist erst elf«, sagte Ned.»Und Joffrey.. Joffrey ist..«

Sie beendete den Satz für ihn.»… Kronprinz und Erbe des Eisernen Throns. Und ich war erst zwölf, als mein Vater mich Eurem Bruder Branden versprach.«

Das rief einen bitteren Zug um Neds Mundwinkel.»Branden. Ja. Brandon wüßte, was zu tun ist. Das wußte er immer. Alles war für Brandon gedacht. Du, Winterfell, alles. Er war dazu geboren, die Rechte Hand des Königs zu sein und Königinnen zu zeugen. Ich habe nie darum gebeten, daß mir dieser Kelch gereicht würde.«

«Vielleicht nicht«, sagte Catelyn,»aber Brandon ist tot, der Kelch wurde weitergereicht, und Ihr müßt daraus trinken, ob es Euch nun gefällt oder nicht.«

Ned wandte sich von ihr ab, sah wieder in die Nacht hinaus. Er stand da und starrte in die Dunkelheit, betrachtete wohl den Mond und die Sterne oder vielleicht auch die Wachen auf der Mauer.

Es besänftigte Catelyn, als sie seinen Schmerz sah. Eddard Stark hatte sie an Brandons Stelle geheiratet, wie es Sitte war, doch der Schatten seines Bruders stand noch immer zwischen ihnen, wie auch der andere, der Schatten dieser Frau, die er nicht preisgeben wollte, der Frau, die ihm seinen unehelichen Sohn geboren hatte.

Schon wollte sie zu ihm gehen, da klopfte es an der Tür, laut und unerwartet. Stirnrunzelnd wandte sich Ned ab.»Was gibt es?«

Desmonds Stimme drang durch die Tür.»Mylord, Maester

Luwin ist draußen und bittet dringend um eine Audienz.«

«Ihr habt ihm erklärt, daß ich Weisung gegeben habe, nicht gestört zu werden?«

«Ja, Mylord. Er besteht darauf.«

«Also gut dann. Schickt ihn herein.«

Ned trat an den Kleiderschrank und warf sich ein schweres Gewand über. Catelyn spürte, wie kalt es plötzlich geworden war. Sie setzte sich im Bett auf und zog die Felle bis ans Kinn.»Vielleicht sollten wir die Fenster schließen«, schlug sie vor.

Ned nickte abwesend. Maester Luwin wurde hereingeführt.

Der Maester war ein kleiner, grauer Mann. Seine Augen waren grau und schnell und sahen viel. Sein Haar war grau, auch wenn ihm die Jahre nur wenige gelassen hatten. Seine Robe war aus grauer Wolle, mit weißem Fell besetzt, den Farben der Starks. In den großen, hängenden Ärmeln waren Taschen verborgen. Ständig stopfte Luwin manches in diese Ärmel und zauberte anderes aus ihnen hervor: Bücher, Botschaften, seltsame Artefakte, Spielzeug für Kinder. Bei allem, was er in seinen Ärmeln verbarg, überraschte es Catelyn, daß Maester Luwin seine Arme überhaupt heben konnte.

Der Maester wartete, bis sich die Tür geschlossen hatte, bevor er sprach.»Mylord«, sagte er zu Ned,»verzeiht mir, daß ich Eure Nachtruhe störe. Man hat mir eine Nachricht hinterlassen.«

Ned schien verdutzt.»Hinterlassen? Wer? War ein Reiter da? Man hat mir nichts gesagt.«

«Es war kein Reiter, Mylord. Nur ein geschnitzter Holzkasten, den jemand auf dem Tisch meines Observatoriums abgestellt hat, während ich schlief. Meine Diener haben niemanden gesehen, doch muß er von jemandem aus dem Gefolge des Königs gebracht worden sein. Wir hatten sonst

keinen Besuch aus dem Süden.«

«Ein Holzkasten, sagt Ihr?«sagte Catelyn.

«Darin war eine feine, neue Linse für das Observatorium, allem Anschein nach aus Myr. Die Linsenschleifer von Myr sind ohnegleichen.«

Ned legte die Stirn in Falten. Er hatte nur wenig Geduld mit solcherart Dingen, wie Catelyn wußte.»Eine Linse«, sagte er.»Was hat das mit mir zu tun?«

«Dieselbe Frage habe ich mir auch gestellt«, antwortete Maester Luwin.»Ganz offensichtlich war mehr an dieser Sache, als es den Anschein hatte.«

Unter dem schweren Gewicht ihrer Felle erschauerte Catelyn.»Eine Linse ist ein Instrument, das uns helfen soll zu sehen.«

«Das ist sie allerdings. «Er fingerte an seiner Ordenskette herum, die schwer und eng um seinen Hals hing, gleich unter seiner Robe, jedes Glied aus anderem Metall geschmiedet.

Catelyn spürte, wie sich wieder diese Angst in ihr breitmachte.»Was mag es sein, von dem man möchte, daß wir es deutlicher erkennen?«

«Genau das habe auch ich mich gefragt. «Maester Luwin zog ein fest zusammengerolltes Stück Papier aus seinem Ärmel.»Ich fand die eigentliche Botschaft in einem doppelten Boden, als ich den Kasten zerlegte, doch ist dieser Brief nicht für meine Augen bestimmt.«

Ned streckte eine Hand aus.»Dann gebt ihn mir!«

Luwin rührte sich nicht.»Verzeiht, Mylord. Die Nachricht gilt auch nicht Euch. Sie ist für die Augen der Lady Catelyn bestimmt, und nur für sie. Darf ich mich nähern?«

Catelyn nickte, wagte nicht zu sprechen. Der Maester legte das Papier auf den Tisch neben dem Bett. Es war mit einem kleinen Klecks von blauem Wachs versiegelt. Luwin verneigte sich und wollte gehen.

«Bleibt!«befahl ihm Ned. Seine Stimme klang drohend. Er sah Catelyn an.»Was ist? Mylady, Ihr zittert.«

«Ich sorge mich«, gab sie zu. Sie griff nach dem Brief und hielt ihn mit bebenden Händen. Unbemerkt rutschten die Felle von ihrem nackten Leib. Im blauen Wachs waren Mond und Falke zu erkennen, das Siegel des Hauses Arryn.»Er ist von Lysa. «Catelyn sah ihren Gatten an.»Er wird uns keine Freude bereiten«, sagte sie.»Trauer liegt in diesem Brief, Ned. Ich kann es spüren.«

Ned runzelte die Stirn, und seine Miene verfinsterte sich.»Öffnet ihn!«

Catelyn brach das Siegel.

Ihre Augen zuckten über die Worte. Anfangs ergaben sie keinen Sinn. Dann erinnerte sie sich.»Lysa ist kein Risiko eingegangen. Als wir beide Mädchen waren, hatten wir eine Geheimsprache, sie und ich.«

«Könnt Ihr sie lesen?«

«Ja«, gab Catelyn zu.

«Dann sagt es uns.«

«Vielleicht sollte ich mich zurückziehen«, sagte Maester Luwin.

«Nein«, sagte Catelyn.»Wir werden Euren Ratschlag brauchen. «Sie warf die Felle zurück und stieg aus dem Bett. Die Nachtluft war kalt wie ein Grab auf ihrer Haut, als sie barfuß durch das Zimmer lief.

Maester Luwin bedeckte seine Augen. Selbst Ned sah sie erschrocken an.»Was tut Ihr?«fragte er.

«Ich will ein Feuer machen«, erklärte Catelyn. Sie suchte ihren Morgenmantel und zog ihn über, dann kniete sie vor dem kalten Kamin.

«Maester Luwin…«, sagte Ned.

«Maester Luwin hat alle meine Kinder zur Welt gebracht«, sagte Catelyn.»Es ist nicht der rechte Augenblick für falsche Scham. «Sie schob das Papier zwischen die Zweige und legte schwere Scheite darauf.

Ned durchmaß den Raum, nahm sie beim Arm und zog sie auf die Beine. So hielt er sie, sein Gesicht nur Zentimeter von dem ihren entfernt.»Mylady, sagt es mir! Was besagt diese Nachricht?«

Catelyn versteifte sich in seinem Griff.»Eine Warnung«, erklärte sie sanft.»Wenn wir klug genug sind, sie herauszuhören.«

Seine Augen suchten in ihrem Gesicht.»Weiter.«

«Lysa sagt, Jon Arryn wurde ermordet.«

Seine Finger schlossen sich um ihren Arm.»Von wem?«

«Den Lannisters«, erklärte sie.»Der Königin.«

Ned ließ ihren Arm los. Dunkelrote Abdrücke waren auf ihrer Haut zu sehen.»Bei allen Göttern«, flüsterte er. Seine Stimme war heiser.»Eure Schwester ist krank vor Trauer. Sie weiß nicht, was sie sagt.«

«Sie weiß es«, sagte Catelyn.»Lysa ist leidenschaftlich, ja, aber diese Nachricht war sorgsam geplant, klug verborgen. Sie wußte, daß es den Tod bedeutet, wenn der Brief in falsche Hände geriete. Um soviel zu riskieren, muß sie mehr als nur einen Verdacht gehabt haben. «Catelyn sah ihren Mann an.»Jetzt haben wir tatsächlich keine Wahl mehr. Ihr müßt Roberts Rechte Hand werden. Ihr müßt mit ihm in den Süden ziehen und die Wahrheit in Erfahrung bringen.«

Augenblicklich sah sie, daß Ned zu einem gänzlich anderen Entschluß gekommen war.»Die einzigen Wahrheiten, die ich kenne, sind hier. Der Süden ist ein Nest von Nattern, das ich besser meiden sollte.«

Luwin zog an seiner Kette, wo sie an der weichen Haut des

Halses gescheuert hatte.»Die Rechte Hand des Königs besitzt große Macht, Mylord. Macht, die Wahrheit über Lord Arryns Tod herauszufinden, seine Mörder vor Gericht zu bringen. Macht, Lady Arryn und ihren Sohn zu schützen, falls das Schlimmste wirklich wahr sein sollte.«

Hilflos sah sich Ned im Schlafgemach um. Catelyns Herz strebte ihm zu, doch wußte sie, noch durfte sie ihn in diesem Augenblick nicht in die Arme schließen. Erst mußte der Sieg errungen sein, um ihrer Kinder willen.»Ihr sagt, Ihr liebt Robert wie einen Bruder. Würdet Ihr zulassen, daß Euer Bruder von Lannisters umzingelt bleibt?«

«Sollen die Anderen Euch beide holen«, murmelte Ned finster. Er wandte sich von ihnen ab und trat ans Fenster. Sie sagte nichts, und auch der Maester nicht. Sie warteten schweigend, während Eddard Stark Abschied von seinem Heim nahm, das er so sehr liebte. Als er sich schließlich vom Fenster abwandte, war seine Stimme müde und voller Melancholie, und etwas Feuchtes glitzerte in seinen Augenwinkeln.»Mein Vater zog einmal gen Süden, um dem Ruf eines Königs zu folgen. Er kam nie mehr zurück.«

«Es war eine andere Zeit«, erwiderte Maester Luwin,»ein anderer König.«

«Ja«, sagte Ned wie betäubt. Er setzte sich auf einen Stuhl vor dem Kamin.»Catelyn, Ihr bleibt auf Winterfell.«

Wie ein eisiger Lufthauch trafen sie seine Worte ins Herz.»Nein«, sagte sie plötzlich erschrocken. Sollte das ihre Strafe sein? Nie wieder sein Gesicht zu sehen, nie wieder seine Arme um sich zu spüren?

«Ja«, sagte Ned mit einer Stimme, die keine Widerworte duldete.»Ihr müßt an meiner Stelle im Norden regieren, während ich mich um Roberts Angelegenheiten kümmere. Stets muß ein Stark auf Winterfell sein. Robb ist vierzehn. Bald wird er erwachsen sein. Er muß lernen zu regieren, und ich werde nicht für ihn dasein. Laßt ihn an Euren Entscheidungen teilhaben. Er muß bereit sein, wenn seine Zeit gekommen ist.«

«Mögen uns die Götter gnädig sein, daß es noch viele Jahre dauert«, murmelte Maester Luwin.

«Maester Luwin, ich vertraue Euch wie meinem eigenen Fleisch und Blut. Steht meiner Frau in allen großen und kleinen Dingen zur Seite. Lehrt meinen Sohn alles, was er wissen muß. Der Winter naht.«

Maester Luwin nickte feierlich. Dann machte sich Stille breit, bis Catelyn den Mut fand, die Frage zu stellen, deren Antwort sie am meisten fürchtete.»Was wird mit den anderen Kindern?«

Ned stand auf und schloß sie in die Arme, dann brachte er sein Gesicht ganz nah an ihres.»Rickon ist noch sehr klein«, sagte er sanft.»Er sollte hier bei Euch und Robb bleiben. Die anderen werde ich mit mir nehmen.«

«Das könnte ich nicht ertragen«, sagte Catelyn bebend.

«Ihr müßt«, gab er zurück.»Sansa muß Joffrey heiraten, das ist jetzt klar, denn wir dürfen ihnen keinen Anlaß bieten, unsere Ergebenheit zu bezweifeln. Und es ist schon lange überfällig, daß Arya die Sitten und Gebräuche der Höfe im Süden lernt. In wenigen Jahren wird auch sie im heiratsfähigen Alter sein.«

Sansa würde im Süden erblühen, so dachte Catelyn bei sich, und — bei den Göttern — Arya hatte eine Verfeinerung ihrer Umgangsformen bitter nötig. Widerstrebend löste sie sich im Herzen schon von ihnen. Doch nicht Bran. Niemals Bran.»Ja«, sagte sie,»aber bitte, Ned, bei aller Liebe, die Ihr für mich empfinden mögt, laßt Bran hier bei mir auf Winterfell bleiben. Er ist erst sieben.«

«Ich war acht, als mich mein Vater auf die Eyrie schickte«, sagte Ned.»Ser Rodrik berichtet mir, es gäbe böses Blut zwischen Robb und Prinz Joffrey. Das ist nicht gut. Bran kann diese Kluft überbrücken. Er ist ein süßer Junge, lacht gern,

jedermann liebt ihn. Laßt ihn mit den jungen Prinzen aufwachsen, laßt ihn deren Freund werden, wie Robert der meine wurde. Unser Haus wird dadurch sicherer.«

Er hatte recht, das wußte Catelyn. Es machte den Schmerz nicht leichter zu ertragen. Sie würde also alle vier verlieren: Ned, beide Mädchen und ihren süßen, liebevollen Bran. Nur Robb und der kleine Rickon würden ihr bleiben. Schon jetzt fühlte sie sich einsam. Winterfell war so groß.»Nur haltet ihn von Mauern fern«, sagte sie tapfer.»Ihr wißt, wie gern Bran klettert.«

Ned küßte ihr die Tränen von den Augen, bevor sie fallen konnten.»Ich danke Euch, Mylady«, flüsterte er.»Es ist schwer, ich weiß.«

«Was wird mit Jon Snow, Mylord?«fragte Maester Luwin.

Bei der bloßen Nennung seines Namens verspannte sich Catelyn. Ned spürte den Zorn in ihr und löste sich von ihr.

Viele Männer zeugten Bastarde. In diesem Bewußtsein war Catelyn aufgewachsen. Es konnte sie nicht überraschen, als sie im ersten Jahr ihrer Ehe erfuhr, daß Ned ein Kind von irgendeinem Mädchen hatte, dem er auf einem Feldzug begegnet war. Schließlich hatte er die Bedürfnisse eines Mannes, und sie waren in jenem Jahr getrennt gewesen, als Ned gen Süden in den Krieg zog, während sie in der Sicherheit der Burg ihres Vaters in Riverrun blieb. Ihre Gedanken waren mehr bei Robb, dem Säugling an ihrer Brust, als bei dem Gatten, den sie kaum kannte. Sollte er doch allen Trost zwischen den Schlachten suchen, den er brauchte. Und falls sein Same Früchte trug, erwartete sie, daß er sich um die Bedürfnisse des Kindes kümmerte.

Er tat weit mehr als das. Die Starks waren nicht wie andere Menschen. Ned brachte seinen Bastard mit nach Hause und nannte ihn» Sohn«, damit der ganze Norden es wußte. Als die Kriege schließlich ein Ende hatten und Catelyn nach Winterfell

ritt, hatten sich Jon und seine Amme bereits dort eingerichtet.

Das schmerzte sehr. Ned wollte über die Mutter nicht sprechen, kein einziges Wort, doch eine Burg wahrt keine Geheimnisse, und Catelyn hörte die Geschichten der Zofen, die diese von den Soldaten ihres Mannes wußten. Sie flüsterten von Ser Arthur Dayne, dem Schwert des Morgens, dem gefürchtetsten der sieben Ritter aus Aerys' Königsgarde, und daß der junge Lord ihn im Kampf Mann gegen Mann erschlagen hatte. Und sie erzählten, wie Ned danach Ser Arthurs Schwert der schönen, jungen Schwester gebracht hatte, die ihn in einer Burg mit Namen Starfall an der Küste des Sommermeers erwartet hatte. Die Lady Ashara Dayne, groß und blond, mit betörend veilchenblauen Augen. Vierzehn Tage hatte sie gebraucht, um ihren Mut zu sammeln, doch schließlich hatte Catelyn ihren Mann eines Abends im Bett rundheraus danach gefragt.

Es war das einzige Mal in all den Jahren gewesen, daß Ned ihr jemals Furcht eingeflößt hatte.»Fragt mich nie nach Jon«, sagte er kalt wie Eis.»Er ist von meinem Blut, und mehr müßt Ihr nicht wissen. Und jetzt werde ich erfahren, woher Ihr diesen Namen habt, Mylady. «Sie hatte gelobt, ihm zu gehorchen. Sie erzählte es ihm. Und von diesem Tag an hatte das Flüstern ein Ende, und Ashara Daynes Name wurde in Winterfell nie mehr erwähnt.

Wer auch immer Jons Mutter sein mochte: Ned mußte sie sehr geliebt haben, denn nichts von allem, was Catelyn sagte, konnte ihn dazu bringen, den Jungen fortzuschicken. Es war das einzige, was sie ihm nie verzieh. Sie liebte ihren Mann inzwischen von ganzem Herzen, doch nie hatte sie in sich Liebe für Jon empfunden. Um Neds willen hätte sie über ein ganzes Dutzend Bastarde hinwegsehen können, solange sie diese nicht vor Augen haben mußte. Jon war immer da, und je größer er wurde, desto ähnlicher sah er Ned, mehr noch als die Söhne, die sie ihm gebar. Das hatte es in gewisser Weise noch

verschlimmert.»Jon muß gehen«, sagte sie jetzt.

«Er und Robb stehen sich nahe«, sagte Ned.»Ich hatte gehofft…«

«Er kann nicht bleiben«, beharrte Catelyn und schnitt ihm das Wort ab.»Er ist Euer Sohn, nicht meiner. Ich will ihn hier nicht haben. «Es war hart, das wußte sie, aber nichtsdestotrotz die Wahrheit. Ned würde dem Jungen keinen Gefallen tun, wenn er ihn hier auf Winterfell zurückließ.

Mit gequältem Blick sah Ned sie an.»Ihr wißt, daß ich ihn nicht mit in den Süden nehmen kann. Es wird dort bei Hofe kein Platz für ihn sein. Ein Junge mit dem Namen eines Bastards… Ihr wißt, wie man über ihn reden wird. Man wird ihn meiden.«

Catelyn schützte ihr Herz gegen das stille Flehen in den Augen ihres Mannes.»Man sagt, Euer Freund Robert habe selbst ein gutes Dutzend Bastarde gezeugt.«

«Und keiner von ihnen wurde je bei Hofe gesehen!«fuhr Ned sie an.»Dafür hat diese Lannister gesorgt. Wie könnt Ihr so verdammt grausam sein, Catelyn? Er ist noch ein Junge. Er… «

Zorn hatte ihn ergriffen. Er hätte mehr gesagt, und Schlimmeres, doch Maester Luwin ging dazwischen.»Eine weitere Möglichkeit bietet sich«, sagte er mit leiser Stimme.»Euer Bruder Benjen kam vor einigen Tagen wegen Jon zu mir. Es scheint, als strebe der Junge an, das Schwarz anzulegen.«

Ned schien zu erschrecken.»Er hat darum gebeten, in die Nachtwache aufgenommen zu werden?«

Catelyn sagte nichts. Ließ es Ned allein durchdenken. Ihre Meinung wäre jetzt nicht willkommen. Doch wie gern hätte sie in diesem Augenblick dem Maester einen Kuß gegeben. Es war die perfekte Lösung. Benjen Stark gehörte der Bruderschaft an. Jon wäre ihm wie ein Sohn, das Kind, das er nie haben würde.

Und beizeiten würde auch der Junge den Eid ablegen. Er würde keine Söhne zeugen, die eines Tages Catelyns eigenen Enkeln Winterfell streitig machen konnten.

Maester Luwin sagte:»Es ist eine große Ehre, Dienst auf der Mauer zu leisten, Mylord.«

«Und selbst ein Bastard kann es in der Nachtwache zu etwas bringen«, überlegte Ned. Dennoch klang seine Stimme sorgenvoll.»Jon ist so jung. Wenn er als erwachsener Mann darum gebeten hätte, wäre das eine Sache, aber ein Junge von vierzehn… «

«Ein hartes Opfer«, gab Maester Luwin ihm recht.»Doch sind es harte Zeiten, Mylord. Sein Weg ist nicht grausamer als Eurer oder der Eurer Lady.«

Catelyn dachte an die drei Kinder, die sie verlieren würde. Das Schweigen fiel ihr nicht leicht.

Ned wandte sich von ihnen ab, blickte aus dem Fenster, das lange Gesicht still und nachdenklich. Schließlich seufzte er und drehte sich wieder um.»Also gut«, sagte er zu Maester Luwin.»Ich vermute, es wird das Beste sein. Ich werde mit Ben sprechen.«

«Wann wollen wir es Jon sagen?«fragte der Maester.

«Wenn es sein muß. Erst müssen die Vorbereitungen getroffen werden. Es wird zwei Wochen dauern, bis wir zur Abreise bereit sind. Ich möchte Jon lieber seine letzten paar Tage genießen lassen. Der Sommer geht noch schnell genug zu Ende, und seine Kindheit auch. Wenn es an der Zeit ist, will ich es ihm selbst sagen.«

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