Sansa

Sansa machte sich mit Septa Mordane und Jeyne Poole zum Turnier der Hand auf, in einer Sänfte mit Vorhängen von gelber Seide, die so fein war, daß man durch sie hindurchsehen konnte. Die ganze Welt war wie in Gold verwandelt. Jenseits der Stadtmauern waren einhundert Zelte am Ufer des Flusses errichtet worden, und das einfache Volk kam zu Tausenden, um sich die Spiele anzusehen. Der ganze Prunk raubte Sansa förmlich den Atem, die schimmernden Rüstungen, die mächtigen Schlachtrosse, herausgeputzt in Gold und Silber, der Jubel der Menge, die flatternden Banner im Wind… und die Ritter selbst, vor allem anderen die Ritter.

«Es ist besser als in den Liedern«, flüsterte sie, als sie die Plätze fanden, die ihr Vater ihr versprochen hatte, zwischen den hohen Herren und Damen. Sansa war an diesem Tag ganz wunderschön gekleidet, mit einem grünen Kleid, welches das Kastanienbraun ihres Haars hervorhob, und sie spürte, wie man sie ansah und lächelte.

Sie sahen die Helden aus Hunderten von Liedern herbeireiten, jeder noch glorreicher als der Vorangegangene. Die sieben Ritter der Königsgarde kamen auf den Platz, bis auf Jaime Lannister allesamt in Rüstungen von milchiger Farbe, die Umhänge weiß wie frisch gefallener Schnee. Auch Ser Jaime trug den weißen Umhang, doch darunter war er von Kopf bis Fuß aus glänzendem Gold, mit einem Löwenkopf als Helm und einem goldenen Schwert. Ser Gregor Clegane, der Reitende Berg, donnerte wie eine Lawine an ihnen vorüber. Sansa erinnerte sich an Lord Yohn Royce, der vor zwei Jahren zu Gast auf Winterfell gewesen war.»Seine Rüstung ist aus Bronze, Tausende und Abertausende von Jahren alt, mit eingravierten Zauberrunen, die ihn schützen«, flüsterte sie Jeyne zu. Septa Mordane deutete auf Lord Jason Mallister,

Indigo mit Silber durchwirkt, die Schwingen eines Adlers auf dem Helm. Drei von Rhaegars Vasallen hatte er am Trident niedergemacht. Die Mädchen kicherten über den Kriegerpriester Thoros von Myr, mit seinen flatternden, roten Roben und dem rasierten Schädel, bis die Septa ihnen erzählte, daß er einst die Mauern von Pyke mit flammendem Schwert in der Hand erklommen hatte.

Andere Reiter kannte Sansa nicht. Unbedeutende Ritter von den Vier Fingern, aus Highgarden und den Bergen von Dorne, unbesungene Reiter und frisch ernannte Knappen, die jüngeren Söhne von hohen Herren und die Erben geringerer Familien. Junge Männer, die meisten hatten bisher noch nichts Größeres vollbracht, doch Sansa und Jeyne waren sich darin einig, daß sie eines Tages in aller Munde sein würden, überall in den Sieben Königslanden. Der Erbe des Bronzenen Yohn, Ser Andar Royce, und sein jüngerer Bruder Ser Robar, deren versilberte Rüstungen in Bronze mit denselben alten Runen filigran verziert waren, die ihren Vater schützten. Die Zwillinge Ser Horas und Ser Hobber, auf deren Schilden das Traubensiegel der Redwynes zu sehen war, Burgunderrot auf Blau. Patrek Mallister, Lord Jasons Sohn. Sechs Freys vom Kreuzweg: Ser Jared, Ser Hosteen, Ser Danwell, Ser Emmon, Ser Theo, Ser Perwyn, Söhne und Enkel von Lord Walder Frey, und außerdem sein Bastardsohn Martyn Rivers.

Jeyne Poole gestand, daß Jalabhar Xho ihr angst machte, ein verbannter Prinz von den Summer Isles, der seinen grünen Umhang und rote Federn auf einer Haut trug, die dunkel wie die Nacht war, doch als sie den jungen Lord Beric Dondarrion erblickte, mit seinem Haar wie rotes Gold und seinem schwarzen Schild, von einem Blitz durchzogen, erklärte sie sich auf der Stelle bereit, diesen zu heiraten.

Auch der Bluthund ritt auf den Kampfplatz, ebenso wie der Bruder des Königs, der gutaussehende Lord Renly von Storm's End. Jory, Alyn und Harwin ritten für Winterfell und den

Norden.»Zwischen den anderen sieht Jory wie ein Bettler aus«, sagte Septa Mordane naserümpfend, als er erschien. Sansa konnte ihr nur zustimmen. Jorys Rüstung war blaugrau, ohne Sinnbild oder Verzierung, und ein dünner, grauer Umhang hing wie ein schmutziger Lumpen von seinen Schultern. Doch machte er seine Sache gut, hob Horas Redwyne beim ersten Durchgang aus dem Sattel, und einen der Freys beim zweiten. Im dritten Kampf ritt er drei Attacken gegen einen freien Ritter namens Lothor Brune, dessen Rüstung so trist wie die seine war. Keiner der beiden Männer verlor den Halt, doch Brunes Lanze blieb ruhiger, und seine Stöße waren besser plaziert, und daher sprach der König ihm den Sieg zu. Alyn und Harwin erging es weniger gut. Harwin wurde bei seinem ersten Durchgang gegen Ser Meryn von der Königsgarde aus dem Sattel gehoben, während Alyn Ser Balon Swann zum Opfer fiel.

Die Kämpfe dauerten den ganzen Tag bis in die Dämmerung, und die Hufe der großen Streitrösser stampften die Bahnen entlang, bis der Platz eine zerklüftete Ödnis von aufgerissener Erde war. Ein dutzendmal hatten Jeyne und Sansa gemeinsam aufgeschrien, als Reiter zusammenprallten, die Lanzen splitterten, während das gemeine Volk seinen Favoriten bejubelte. Jeyne hielt sich stets die Augen zu, wenn ein Mann stürzte, wie ein ängstliches, kleines Mädchen, doch Sansa war aus anderem Holz geschnitzt. Eine große Dame wußte, wie man sich bei Turnieren verhielt. Selbst Septa Mordane bemerkte ihre Haltung und nickte zufrieden.

Der Königsmörder ritt hervorragend. Er besiegte Ser Andar Royce und den Marschländer Lord Bryce Caron derart mühelos, als wäre er beim Ringreiten, und dann entschied er einen schweren Kampf gegen den weißhaarigen Barristan Selmy für sich, der seine ersten beiden Durchgänge gegen Männer gewonnen hatte, die dreißig und vierzig Jahre jünger waren als er.

Auch Sandor Clegane und sein Riese von einem Bruder, Ser Gregor, der Berg, schienen unaufhaltsam und ritten einen Gegner nach dem anderen auf grimmige Weise nieder. Der grausigste Anblick des Tages ergab sich während Ser Gregors zweitem Kampf, als dessen Lanze abrutschte und einen jungen Ritter aus dem Grünen Tal mit solcher Wucht unter der Halsbeuge traf, daß sie seinen Hals durchbohrte und ihn auf der Stelle tötete. Der Jüngling stürzte keine zehn Fuß von dort, wo Sansa saß. Die Spitze von Ser Gregors Lanze war in seinem Hals gebrochen, und langsam pulste das Blut aus ihm hervor, schwächer und immer schwächer. Seine Rüstung war poliert und neu, und wie Feuer blitzte es an seinem ausgestreckten Arm auf, als die Sonne sich im Stahl brach. Dann verschwand die Sonne hinter einer Wolke, und das Feuer war erloschen. Sein Umhang war blau, von der Farbe des Himmels an einem klaren Sommertag, besetzt mit einer Borte von Halbmonden, doch als sein Blut einsickerte, verdunkelte sich der Stoff, und die Monde wurden rot, einer nach dem anderen.

Jeyne Poole weinte derart hysterisch, daß Septa Mordane sie schließlich fortbrachte, damit sie ihre Fassung wiederfand, doch Sansa saß mit gefalteten Händen auf ihrem Schoß da und sah wie gebannt zu. Nie zuvor hatte sie gesehen, wie ein Mensch starb. Auch sie hätte weinen sollen, so dachte sie, doch wollten die Tränen nicht kommen. Vielleicht hatte sie alle Tränen für Lady und Bran verbraucht. Es wäre anders gewesen, wenn es sich um Jory oder Ser Rodrik oder Vater gehandelt hätte, sagte sie sich. Der junge Ritter mit dem blauen Umhang bedeutete ihr nichts, irgendein Fremder aus dem Tal von Arryn, dessen Name ihr entfallen war, sobald sie ihn gehört hatte. Und nun würde auch die Welt seinen Namen vergessen, soviel war Sansa klar, man würde keine Lieder von ihm singen. Das war traurig.

Nachdem man die Leiche fortgeschafft hatte, rannte ein Junge mit einem Spaten über den Platz und schaufelte Erde auf die Stelle, wo er gestürzt war, um das Blut zu verdecken. Dann wurde das Turnier wieder aufgenommen.

Auch Ser Balon Swann unterlag Gregor, und Lord Renly unterlag dem Bluthund. Renly wurde derart heftig aus dem Sattel gerissen, daß er rückwärts von seinem Streitroß zu fliegen schien, mit beiden Händen in der Luft. Sein Kopf schlug mit hörbarem Knacken auf, das die Menge aufstöhnen ließ, doch brach nur das goldene Geweih an seinem Helm. Eine Sprosse war gebrochen. Als Lord Renly wieder auf die Beine kam, jubelte das Volk ihm zu, denn König Roberts ansehnlicher, junger Bruder war einer der Favoriten. Er reichte seinem Bezwinger die gebrochene Sprosse mit anmutiger Verbeugung. Der Bluthund schnaubte und warf das Geweihstück in die Menge, wo sich das gemeine Volk um das kleine Stückchen Gold stritt und schlug, bis Lord Renly dazwischentrat und den Frieden wiederherstellte. Mittlerweile war Septa Mordane allein zurückgekehrt. Jeyne fühlte sich nicht wohl, wie sie erklärte. Sie hatte sie in die Burg zurückgebracht. Sansa hatte Jeyne schon fast vergessen.

Später fiel ein unbekannter Ritter mit kariertem Umhang in Ungnade, als er Beric Dondarrions Pferd tötete, woraufhin er aus dem Turnier genommen wurde. Lord Beric hob seinen Sattel auf ein neues Pferd, nur um sofort von Thoros von Myr herabgestoßen zu werden. Ser Aron Santagar und Lothor Brune ritten dreimal ergebnislos gegeneinander. Danach fiel Ser Aron durch Lord Jason Mallister, und Brune fiel durch Yohn Royces jüngeren Sohn Robar.

Am Ende blieben noch vier: der Bluthund und sein monströser Bruder Gregor, Jaime Lannister der Königsmörder, und Ser Loras Tyrell, der Jüngling, den man den Ritter der Blumen nannte.

Ser Loras war der jüngste Sohn von Mace Tyrell, dem Lord von Highgarden und Wächter des Südens. Mit sechzehn war er der jüngste Reiter auf dem Platz, doch hatte er am Morgen bei seinen ersten Kämpfen drei Ritter der Königsgarde aus dem Sattel gehoben. Nie zuvor hatte Sansa einen so schönen Mann gesehen. Seine Rüstung war kunstvoll verziert und als Strauß von tausend verschiedenen Blumen bemalt, und sein schneeweißer Hengst war mit einer Decke aus roten und weißen Rosen behängt. Nach jedem Sieg nahm Ser Loras seinen Helm ab, ritt langsam am Zaun entlang, zupfte eine einzelne weiße Rose aus der Decke und warf sie einer schönen Maid in der Menge zu.

Sein letzter Kampf des Tages ging gegen den jüngeren Royce. Die Runen von Ser Robars Vorvätern boten nur wenig Schutz, als Ser Loras seinen Schild spaltete und ihn aus dem Sattel trieb, daß er mit schrecklichem Krachen zu Boden stürzte. Stöhnend lag Robar da, als der Sieger seine Runde um den Platz drehte. Schließlich rief man nach einer Trage und trug ihn, benommen und reglos, in sein Zelt. Nichts von alledem sah Sansa. Sie hatte nur Augen für Ser Loras. Als das weiße Pferd vor ihr stehenblieb, glaubte sie, das Herz solle ihr übergehen.

Den anderen Jungfern hatte er weiße Rosen gegeben, doch für sie pflückte er eine rote.»Holde Jungfer«, sagte er,»kein Sieg ist auch nur halb so schön wie Ihr. «Schüchtern nahm Sansa die Blume entgegen, sprachlos ob seiner Galanterie. Sein Haar war eine Pracht fließender, brauner Locken, die Augen waren flüssiges Gold. Sie atmete den süßen Duft der Rose ein, saß da und drückte sie noch an sich, nachdem Ser Loras schon lange fortgeritten war.

Als Sansa endlich aufblickte, beugte sich ein Mann über sie und starrte sie an. Er war klein, mit spitzem Bart und einer Silbersträhne im Haar, fast so alt wie ihr Vater.»Ihr müßt eine ihrer Töchter sein«, sagte er zu ihr. Er hatte graugrüne Augen, die nicht lächelten, wenn sein Mund es tat.»Ihr seht aus wie eine Tully.«

«Ich bin Sansa Stark«, erwiderte sie beklommen. Der Mann trug einen schweren Umhang mit pelzbesetztem Kragen, befestigt mit einer silbernen Nachtigall, er hatte die unangestrengte Art und Weise eines hohen Herrn an sich, und doch kannte sie ihn nicht.»Ich hatte noch nicht die Ehre, Mylord.«

Eilig mischte sich Septa Mordane ein.»Liebes Kind, das ist Lord Petyr Baelish aus dem Kleinen Rat des Königs.«

«Eure Mutter war einst meine Schönheitskönigin«, gestand der Mann leise. Sein Atem roch nach Minze.»Ihr habt ihr Haar. «Seine Finger berührten ihre Wange, als er über eine kastanienbraune Locke strich. Jäh wandte er sich ab und ging davon. Inzwischen stand der Mond hoch am Himmel, und die Menge war müde, so daß der König erklärte, die drei letzten Kämpfe sollten am Morgen ausgetragen werden, vor dem Buhurt, einem ritterlichen Spiel, bei dem die Edlen sich in Gruppen miteinander maßen, einem regelrechten Handgemenge. Während das gemeine Volk nach Hause ging, von den Kämpfen des Tages sprach und dem Rest des Turniers, das am Morgen stattfinden sollte, zog sich der Hof ans Ufer zurück und begann das Festmahl. Drei mächtige Auerochsen wurden seit Stunden gegrillt und drehten sich langsam auf Holzspießen, während Küchenjungen sie mit Butter und Krautern begossen, bis das Fleisch knisterte und spritzte. Vor den Zelten standen Bänke und Tische mit Bergen von Erdbeeren und frischgebackenem Brot.

Sansa und Septa Mordane bekamen Plätze von hohen Ehren, zur Linken des erhöhten Podiums, auf dem der König neben seiner Königin saß. Als Prinz Joffrey sich zu ihrer Rechten setzte, spürte Sansa, wie sich ihr die Kehle zuschnürte. Kein Wort hatte er zu ihr gesagt, seit diese schreckliche Sache geschehen war, und sie hatte nicht gewagt, ihn anzusprechen. Anfangs glaubte sie, ihn für das, was sie Lady angetan hatten, zu hassen, doch nachdem die Tränen getrocknet waren, dachte sie bei sich, es sei nicht Joffreys Werk gewesen, nicht wirklich.

Die Königin hatte es getan, sie war die Hassenswerte, sie und Arya. Wäre Arya nicht gewesen, wäre auch nichts Schlimmes geschehen.

Sie konnte Joffrey heute abend nicht hassen. Dafür war er zu hübsch. Er trug ein dunkelblaues Wams, besetzt mit einer Doppelreihe von goldenen Löwenköpfen, und um seine Stirn eine schmale, kleine Krone aus Gold, mit Saphiren besetzt. Sein Haar war so hell wie das Metall. Sansa sah ihn an und zitterte, fürchtete, er könne sie mißachten, wieder so abscheulich werden, daß sie weinend vom Tisch liefe.

Statt dessen lächelte Joffrey und küßte ihre Hand, edel und galant wie die Prinzen in den Liedern.»Ser Loras hat ein scharfes Auge für Schönheit, holde Jungfer.«

«Er war allzu freundlich«, wandte sie ein, um bescheiden zu bleiben und die Ruhe zu bewahren, obwohl ihr Herz vor Freude sang.»Ser Loras ist ein wahrer Ritter. Glaubt Ihr, daß er morgen gewinnen wird, Mylord?«

«Nein«, sagte Joffrey.»Mein Hund wird ihn erledigen, oder vielleicht mein Onkel Jaime. Und in ein paar Jahren, wenn ich alt genug bin, auf dem Platz zu stehen, werde ich sie allesamt erledigen. «Er hob eine Hand, um einen Diener mit einer Flasche gekühltem Sommerwein zu rufen, und schenkte ihr einen Becher voll. Ängstlich blickte sie zu Septa Mordane hinüber, bis Joffrey sich vorbeugte und auch den Becher der Septa füllte, so daß sie nickte, ihm anmutig dankte und kein Wort mehr sagte.

Die Diener sorgten dafür, daß die Becher den ganzen Abend über voll waren, doch konnte sich Sansa später nicht erinnern, den Wein auch nur gekostet zu haben. Sie brauchte keinen Wein. Sie war trunken von den Bildern dieser Nacht, benommen vom Zauber, mitgerissen von Schönheit, die sie sich stets erträumt, doch nie gehofft hatte, sie je zu erleben. Sänger saßen vor dem Zelt des Königs, erfüllten die

Dämmerung mit Musik. Ein Jongleur sorgte für eine Kaskade brennender Keulen, die durch die Luft wirbelten. Der Narr des Königs, ein Pfannkuchengesichtiger Einfaltspinsel namens Moon Boy, tanzte im Narrenkleid auf Stelzen und verhöhnte jedermann mit derart gewandter Grausamkeit, daß Sansa sich schon fragte, ob er tatsächlich einfältig war. Selbst Septa Mordane konnte sich seiner nicht erwehren, und als er sein kleines Lied über den Hohen Septon sang, mußte sie so sehr lachen, daß sie Wein über sich vergoß.

Und Joffrey war die Höflichkeit in Person. Den ganzen Abend über unterhielt er sich mit Sansa, überhäufte sie mit Komplimenten, brachte sie zum Lachen, verriet ihr manches vom Klatsch und Tratsch bei Hofe, erklärte Moon Boys Scherze. Sansa war davon so bezaubert, daß sie allen Anstand vergaß und Septa Mordane, die zu ihrer Linken saß, gar nicht beachtete.

Währenddessen kamen und gingen die Gänge. Eine dicke Suppe aus Gerste und Wildbret. Salate aus süßem Gras und Spinat und Pflaumen, mit geraspelten Nüssen bestreut. Schnecken in Honig und Knoblauch. Sansa hatte noch nie vorher Schnecken gegessen. Joffrey zeigte ihr, wie man die Schnecke aus ihrem Haus bekam, und fütterte sie höchstpersönlich mit dem ersten süßen Bissen. Dann gab es Forelle, frisch aus dem Fluß, in Tonerde gebacken. Der Prinz half ihr, die harte Hülle aufzubrechen, um an das flockige, weiße Fleisch darunter zu kommen. Und als der Fleischgang gebracht wurde, bediente er sie selbst, schnitt eine königliche Portion vom Braten und lächelte, als er diese auf ihren Teller legte. An seinen Bewegungen konnte sie sehen, daß sein rechter Arm ihm noch immer Schwierigkeiten bereitete, doch beklagte er sich nicht.

Später gab es Bries und Taubenpastete und Bratäpfel mit Zimt und Zitronenkuchen mit Zuckerguß, doch da war Sansa mittlerweile so satt, daß sie nicht mehr als zwei kleine

Zitronenkuchen schaffte, sosehr sie diese auch liebte. Schon überlegte sie, ob sie es noch mit einem dritten versuchen sollte, als der König zu schreien begann.

Mit jedem Gang war König Robert lauter geworden. Von Zeit zu Zeit hatte Sansa gehört, wie er lachte oder einen Befehl über die Musik und das Klappern von Tellern und Besteck hinweg brüllte, doch waren sie zu weit von ihm entfernt, als daß sie seine Worte hätte verstehen können.

Nun konnte jedermann ihn hören.»Nein«, donnerte er mit einer Stimme, die alle anderen Gespräche erstickte. Erschrocken sah Sansa, daß der König auf den Beinen war, rot im Gesicht und wankend. Er hielt einen Weinkelch in der Hand und war so betrunken, wie man es nur sein konnte.»Du sagst mir nicht, was ich zu tun habe, Frau«, schrie er Königin Cersei an.»Ich bin hier der König, hast du mich verstanden? Hier herrsche ich, und wenn ich sage, daß ich morgen kämpfe, dann kämpfe ich morgen!«Alle starrten zu ihm hinauf. Sansa sah Ser Barristan und Renly, den Bruder des Königs, und den kleinen Mann, der so seltsam zu ihr gesprochen und ihr Haar berührt hatte, doch niemand rührte sich, um einzugreifen. Das Gesicht der Königin war eine Maske, so blutleer, daß sie eine Skulptur aus Schnee hätte sein können. Sie erhob sich vom Tisch, sammelte ihre Röcke um sich und stürmte wortlos davon, mit ihrer Dienerschaft im Schlepptau.

Jaime Lannister legte dem König eine Hand auf die Schulter, doch der König stieß ihn harsch von sich. Lannister stolperte und fiel. Der König brach in schallendes Gelächter aus.»Der große Ritter. Ich kann Euch noch immer in den Dreck stoßen. Vergeßt das nicht, Königsmörder. «Er schlug sich mit dem juwelenbesetzten Kelch an die Brust und verspritzte den Wein auf seinem seidenen Gewand.»Gebt mir meinen Hammer, und kein Mann im ganzen Reich kann gegen mich bestehen!«

Jaime Lannister stand auf und bürstete den Schmutz von seinen Kleidern.»Ganz wie Ihr meint, Majestät. «Seine

Stimme klang gepreßt.

Lord Renly trat lächelnd vor.»Du hast deinen Wein verschüttet, Robert. Laß mich dir einen neuen Kelch bringen.«

Sansa zuckte zusammen, als Joffrey seine Hand auf ihren Arm legte.»Es wird spät«, sagte der Prinz. Er hatte einen sonderbaren Ausdruck im Gesicht, als sähe er sie gar nicht.»Braucht Ihr Begleitung zurück zur Burg?«

«Nein«, setzte Sansa an. Sie sah nach Septa Mordane und fand sie zu ihrem Erstaunen mit dem Kopf auf der Tischplatte, leise und damenhaft schnarchend.»Ich wollte sagen… ja, vielen Dank, das wäre sehr freundlich. Ich bin müde, und der Weg ist so dunkel. Für etwas Schutz wäre ich dankbar.«

Joffrey rief:»Hund!«

Sandor Clegane schien geradewegs aus dem Dunkel der Nacht zu erstehen, so schnell war er da. Er hatte seine Rüstung gegen ein rotes Wollgewand mit ledernem Hundekopf vorn auf der Brust getauscht. Das Licht der Fackeln ließ sein verbranntes Gesicht in trübem Rot aufleuchten.»Ja, Majestät?«sagte er.

«Bringt meine Verlobte auf die Burg zurück und sorgt dafür, daß ihr kein Leid getan wird«, erklärte der Prinz ihm barsch. Und ohne jedes Abschiedswort schritt Joffrey davon und ließ sie stehen.

Sansa fühlte, daß der Bluthund sie beobachtete.»Dachtet Ihr, Joff würde Euch persönlich geleiten?«Er lachte. Es klang, als knurrten Hunde im Zwinger.»Die Chancen stehen schlecht. «Er zog sie widerstandslos auf die Beine.»Kommt, Ihr seid nicht die einzige, die Schlaf braucht. Ich habe zuviel getrunken, und morgen werde ich wohl meinen Bruder töten müssen. «Wieder lachte er.

Von plötzlicher Angst ergriffen stieß Sansa Septa Mordane an die Schulter, in der Hoffnung, sie damit zu wecken, doch die schnarchte nur noch lauter. König Robert war davongewankt, und plötzlich stand die Hälfte aller Bänke leer. Das Festmahl war beendet, und mit ihm hatte auch der schöne Traum sein Ende gefunden.

Der Bluthund nahm sich eine Fackel, um ihnen damit den Weg zu leuchten. Sansa folgte ihm auf dem Fuße. Der Boden war felsig und uneben. Im flackernden Licht schien er sich unter ihren Füßen zu bewegen und zu verschieben. Sie hielt ihren Blick gesenkt, achtete darauf, wohin sie trat. Sie gingen zwischen den Zelten, jedes davon mit seinem eigenen Banner, die Rüstung davor aufgehängt, und die Stille wog mit jedem Schritt nur schwerer. Sansa konnte seinen Anblick nicht ertragen, so sehr machte er ihr angst, doch war sie in aller Form zur Höflichkeit erzogen. Eine wahre Lady würde sein Gesicht nicht bemerken, so sagte sie sich selbst.»Ihr seid heute stattlich geritten, Ser Sandor«, brachte sie hervor.

Sandor Clegane knurrte sie an:»Erspare mir deine leeren Komplimente, Mädchen… und dein Ser. Ich bin kein Ritter. Ich spucke auf die und deren Schwüre. Mein Bruder ist ein Ritter. Hast du den heute reiten gesehen?«

«Ja«, flüsterte Sansa zitternd.»Er war…«»Stattlich?«beendete der Bluthund ihren Satz. Er spottete, das merkte sie.»Niemand war ihm gewachsen«, brachte sie endlich hervor, stolz auf sich. Es war nicht gelogen. Urplötzlich machte Sandor Clegane mitten auf einem dunklen und leeren Feld halt. Sie konnte nur neben ihm stehenbleiben.»Irgendeine Septa hat dich gut abgerichtet. Du bist wie einer von diesen Vögeln von den Summer Isles, was? Ein hübscher, kleiner, sprechender Vogel, der all die hübschen, kleinen Worte wiederholt, die man ihm beigebracht hat.«

«Das ist nicht nett. «Sansa spürte, wie das Herz in ihrer Brust zu flattern begann.»Ihr macht mir angst. Ich möchte gehen.«

«Niemand war ihm gewachsen«, schnarrte der Bluthund.

«Das ist wohl wahr. Niemand war Gregor je gewachsen. Dieser Junge heute, sein zweiter Gegner, oh, das war eine hübsche Angelegenheit. Das hast du doch gesehen, nicht? Der dumme Junge hatte hier nichts zu suchen. Kein Geld, kein Knappe, keiner, der ihm in die Rüstung half. Diese Halsberge war nicht ordentlich befestigt. Meinst du, Gregor hätte das nicht bemerkt? Du meinst, Ser Gregors Lanze sei versehentlich hochgerutscht, nicht? Hübsches, kleines, sprechendes Mädchen, wenn du das glaubst, dann bist du wahrlich hirnlos wie ein Vogel. Gregors Lanze trifft dort, wo Gregor treffen will. Sieh mich an. Sieh mich an!«Sandor Clegane setzte seine riesige Hand unter ihr Kinn und zwang ihr Gesicht nach oben. Er kauerte vor ihr und brachte die Fackel näher heran.»Hier ist was Hübsches für dich. Sieh es dir gut und lange an. Du weißt, daß du es möchtest. Ich habe gesehen, wie du dich auf dem ganzen Weg die Kingsroad hinunter abgewandt hast. Sieh es dir nur an.«

Seine Finger hielten ihr Kinn so fest wie eine Eisenfalle. Seine Augen beobachteten die ihren. Trunkene Augen, düster vor Zorn. Sie mußte hinsehen.

Die rechte Seite seines Gesichts war ausgemergelt, mit scharfen Wangenknochen und einem grauen Auge unter schwerer Braue. Seine Nase war groß und krumm, sein Haar dünn und dunkel. Er trug es lang und kämmte es seitwärts, denn auf der anderen Seite dieses Gesichts wuchs kein Haar.

Die linke Gesichtshälfte war eine Ruine. Sein Ohr war weggebrannt, dort war nur mehr ein Loch. Sein Auge war noch gut, doch drumherum fand sich nur ein entstellender Wust von Narben, glattem, schwarzem Fleisch, so hart wie Leder, von Kratern übersät und durchzogen von tiefen Rissen, die rot und feucht glänzten, wenn er sich bewegte. Unten an seinem Kinn sah man eine Andeutung von Knochen, wo das Fleisch versengt war.

Sansa fing zu weinen an. Da ließ er sie los und drückte die

Fackel im Dreck aus.»Keine hübschen Worte dafür, Mädchen? Keine kleinen Komplimente, die dich die Septa gelehrt hat?«Als keine Antwort kam, fuhr er fort.»Die meisten glauben, es wäre eine Schlacht gewesen. Eine Belagerung, ein brennender Turm, ein Feind mit einer Fackel. Ein Narr fragte, ob ein Drache Feuer gespien hätte. «Diesmal klang sein Lachen weicher, doch nicht minder bitter.»Ich will dir sagen, was es war, Mädchen«, sagte er, eine Stimme aus der Nacht, ein Schatten, der so nah herankam, daß sie den säuerlichen Gestank von Wein in seinem Atem riechen konnte.»Ich war jünger als du, sechs, vielleicht sieben. Ein Holzschnitzer richtete seine Werkstatt unter der Burg meines Vaters ein, und um ihn wohlwollend zu stimmen, schickte er uns Gaben. Der alte Mann baute wundervolles Spielzeug. Ich weiß nicht mehr, was ich bekam, doch wollte ich Gregors Geschenk. Ein hölzerner Ritter, bemalt, und alle Gelenke einzeln aufgehängt und mit Bändern befestigt, damit man ihn kämpfen lassen konnte. Gregor ist fünf Jahre älter als ich, das Geschenk bedeutete ihm nichts, er war bereits ein Knappe, fast sechs Fuß groß, mit Muskeln wie ein Ochse. Also nahm ich seinen Ritter, doch hatte ich keine Freude daran, das kann ich dir sagen. Ich fürchtete mich dauernd, und schließlich fand er mich. Es war eine Kohlenpfanne im Raum. Gregor sagte kein Wort, klemmte mich nur unter seinen Arm und drückte mein Gesicht in die brennenden Kohlen und hielt mich dort fest, während ich schrie und schrie. Du hast gesehen, wie stark er ist. Damals schon mußten drei ausgewachsene Männer mich von ihm befreien. Die Septonen predigen von den sieben Höllen. Was wissen die schon? Nur jemand, der verbrannt wurde, weiß, wie die Hölle wirklich ist.

Mein Vater erzählte jedermann, mein Lager habe Feuer gefangen, und unser Maester gab mir Salben. Salben! Auch Gregor bekam seine Salben. Vier Jahre später hat man ihn mit den sieben Ölen gesalbt, und er hat seinen ritterlichen Eid abgelegt, und Rhaegar Targaryen hat ihm das Schwert auf die Schulter gelegt und gesagt: >Erhebt Euch, Ser Gregor. <«

Die schnarrende Stimme erstarb. Schweigend kauerte er vor ihr, ein ungeschlachter, schwarzer Schatten, von der Nacht umhüllt, vor ihrem Blick verborgen. Sansa konnte seinen rauhen Atem hören. Sie empfand Trauer für ihn, das merkte sie. Irgendwie war die Angst verflogen.

Das Schweigen dauerte an, so lange, daß sie sich schon wieder fürchtete, doch fürchtete sie um ihn, nicht um sich selbst.»Er war kein wahrer Ritter«, flüsterte sie ihm zu.

Der Bluthund warf seinen Kopf in den Nacken und brüllte. Sansa taumelte zurück, fort von ihm, doch nahm er sie beim Arm.»Nein«, knurrte er sie an,»nein, kleiner Vogel, er war kein wahrer Ritter.«

Den Rest des Weges in die Stadt sagte Sandor Clegane kein Wort mehr. Er führte sie dorthin, wo die Wagen warteten, sagte einem Kutscher, er solle sie zum Red Keep bringen, und stieg nach ihr ein. Schweigend fuhren sie durchs Königstor und die fackelbeschienenen Straßen hinauf. Er öffnete die Seitentür und führte sie in die Burg, wobei sein verbranntes Gesicht zuckte und die Augen brüteten, und er blieb einen Schritt hinter ihr, als sie die Stufen zum Turm erklommen. Er brachte sie sicher den ganzen Weg zum Korridor vor ihrem Schlafgemach hinauf.

«Ich danke Euch, Mylord«, sagte Sansa demütig. Der Bluthund packte sie beim Arm und beugte sich über sie.»Was ich dir heute abend erzählt habe«, sagte er, und seine Stimme klang noch rauher als gewöhnlich.»Falls du es je Joffrey erzählst…deiner Schwester, deinem Vater… irgendwem…«

«Das tue ich nicht», flüsterte Sansa.»Ich verspreche es.«

Es genügte nicht.»Falls du es irgend jemandem erzählst«, endete er,»werde ich dich töten.«

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