6 Alte Angst und neue Angst

Rand gelangte ohne Schwierigkeiten durch die wogende Menge. Vielleicht war es die Anwesenheit der Töchter des Speers und der Asha'man, oder vielleicht handhabten Rand oder einer der schwarzen Männer die Macht -auf jeden Fall teilte sich die Menge für ihn und Min, für eine sehr unterwürfige Annoura, die mit ihm zu sprechen versuchte, und für Loial, der trotz aller Widrigkeiten noch immer versuchte, in sein Buch zu schreiben und seine Streitaxt zu tragen. Perrin und Faile sahen einander an, und Faile verpaßte die Gelegenheit, sich den anderen anzuschließen bevor sich die Menge wieder zusammenschloß.

Sie sagte eine Weile lang nichts und er auch nicht, nicht was er sagen wollte, nicht in Arams Gegenwart, der sie ehrfürchtig ansah. Und nicht in Dobraines Gegenwart, der die seiner Obhut unterstellte bewußtlose Frau stirnrunzelnd betrachtete. Niemand sonst war auf dem Podest verblieben. Havien war mit Rand gegangen, um Berelain zu finden, und sobald Rand ging, waren die anderen Bediensteten auf die Türen zugeeilt, ohne Perrin oder Faile noch einen zweiten Blick zu gönnen - oder Colavaere, sie war nicht einmal eines ersten Blicks gewürdigt worden. Sie rafften einfach ihre gestreiften Röcke und liefen davon. Stöhnen und Fluchen stieg aus der Menge auf, und nicht nur von Männern. Obwohl Rand bereits gegangen war, wünschten sich diese Menschen augenblicklich fort. Vielleicht dachten sie, Perrin würde bleiben, um Bericht zu erstatten, obwohl sie, wenn sie zurückgeblickt hätten, gemerkt hätten, daß sein Blick nicht auf ihnen ruhte.

Perrin trat zu Faile, nahm ihre Hand und atmete tief ihren Duft ein. Jetzt, wo er ihr so nahe war, zählten die noch in der Luft schwebenden anderen Düfte nicht mehr. Alles andere konnte warten. Sie brachte von irgendwoher einen roten Spitzenfächer hervor, und bevor sie ihn ausbreitete, um sich Kühle zuzufächeln, berührte sie damit zuerst ihre Wange und dann seine. In ihrer Heimat Saldaea gab es eine eigenständige Fächersprache. Sie hatte ihn ein wenig dieser Sprache gelehrt. Aber er wünschte, er wüßte, was das Berühren der Wange bedeutete. Es mußte etwas Gutes sein. Andererseits brachte ihr Geruch eine scharfe Note mit sich, die er nur zu gut kannte.

»Er hätte sie aufs Schafott schicken sollen«, murrte Dobraine, und Perrin zuckte unbehaglich die Achseln. Aus dem Tonfall des Mannes war nicht zu erkennen, ob er meinte, daß es das Gesetz verlangte, oder daß es barmherziger gewesen wäre. Dobraine verstand nicht. Rand hätte sich eher Flügel wachsen lassen.

Faile bewegte ihren Fächer jetzt langsamer, bis er fast zur Ruhe kam, und sah Dobraine über die karmesinrote Spitze hinweg von der Seite an. »Ihr Tod wäre vielleicht für jedermann das beste gewesen. Er ist die vorgeschriebene Strafe. Was werdet Ihr tun, Lord Dobraine?« Auch wenn sie ihn nur von der Seite ansah, wirkte ihr Blick doch sehr direkt und bedeutungsvoll.

Perrin runzelte die Stirn. Kein Wort für ihn, aber Fragen an Dobraine? Faile roch wieder unterschwellig nach Eifersucht, was ihm einen Seufzer entlockte.

Der Cairhiener erwiderte ihren Blick gleichmütig, während er seine Handschuhe hinter seinen Schwertgürtel steckte. »Ich tue, was mir befohlen wurde. Ich halte mich an meine Eide, Lady Faile.«

Der Fächer wurde schneller als ein Gedanke geöffnet und wieder geschlossen. »Er hat tatsächlich Aes Sedai zu den Aiel geschickt? Als Gefangene?« Ihre Stimme klang ungläubig.

»Einige, Lady Faile.« Dobraine zögerte. »Andere schworen ihm auf den Knien Treue. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Sie gingen ebenfalls zu den Aiel, aber ich denke nicht daß man sie als Gefangene bezeichnen kann.«

»Ich habe es auch gesehen, Mylady«, schaltete sich Aram von seinem Platz auf den Stufen aus ein, und ein breites Lächeln teilte sein Gesicht, als sie ihn ansah.

Rote Spitze vollführte einen heftigen Ruck. Sie schien den Fächer fast unbewußt zu führen. »Ihr habt es beide gesehen.« Die Erleichterung in ihrer Stimme - und in ihrem Geruch - war so deutlich, daß Perrin sie anstarrte.

»Was hast du geglaubt, Faile? Warum sollte Rand lügen, besonders wenn es innerhalb eines Tages ohnehin jedermann wüßte?«

Anstatt zu antworten, betrachtete sie stirnrunzelnd Colavaere. »Ist sie noch immer bewußtlos? Obwohl es vermutlich nicht wichtig ist. Sie weiß mehr, als ich jemals aussprechen würde. Alles, was wir so bestrebt geheimhielten. Auch das hat sie Maire gegenüber erwähnt. Sie weiß zuviel.«

Dobraine hob mit dem Daumen nicht allzu sanft eines von Colavaeres Augenlidern an. »Als wäre sie von einer Keule getroffen worden. Schade, daß sie sich auf den Stufen nicht das Genick gebrochen hat. Aber sie wird ins Exil gehen und lernen, als Bäuerin zu leben.« Für kurze Zeit schwebte ein schroffer, verärgerter Geruch von Faile heran.

Plötzlich verstand Perrin, was seine Frau so umständlich vorgeschlagen hatte, und was Dobraine ebenso umständlich abgelehnt hatte. Jedes einzelne Haar an seinem Körper richtete sich auf. Er hatte von Anfang an gewußt, daß er eine sehr gefährliche Frau geheiratet hatte. Aber er hatte nicht gewußt, wie gefährlich sie tatsächlich war. Aram spähte zu Colavaere, die Lippen in düsteren Gedanken geschürzt. Der Mann würde alles für Faile tun.

»Ich glaube nicht, daß es Rand gefiele, wenn sie irgend etwas davon abhielte, den Hof zu erreichen«, sagte Perrin fest, den Blick abwechselnd auf Aram und Faile gerichtet. »Mir würde es auch nicht gefallen.« Er war recht stolz auf sich. Er konnte genauso gut um eine Sache herumreden wie die beiden anderen.

Aram beugte kurz den Kopf - er verstand -, aber Faile versuchte, über ihren sanft bewegten Fächer hinweg unschuldig zu wirken, als verstünde sie nicht, wovon er sprach. Plötzlich erkannte er, daß nicht aller Geruch nach Angst von den sich noch immer an den Türen drängenden Menschen kam. Er wehte auch schwach und zitternd von ihr heran. Beherrschte Angst, und doch war sie vorhanden.

»Was ist los, Faile? Licht, du hast gedacht, Coiren und ihre Leute hätten gesiegt anstatt...« Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, aber der angsterfüllte Geruch wurde stärker. »Hast du deshalb zunächst nichts gesagt?« fragte er sanft. »Hattest du Angst, wir wären als Marionetten zurückgekommen, die sie bewegen?«

Sie betrachtete die schnell abnehmende Menschenmenge am anderen Ende der Halle. Niemand war ihnen allzu nahe, und alle verursachten gehörigen Lärm, aber sie senkte ihre Stimme dennoch. »Aes Sedai können so etwas tun, wie ich gehört habe. Mein Ehemann, niemand weiß es besser als ich, daß es sogar Aes Sedai schwerfallen würde, dich als Marionette tanzen zu lassen, viel schwerer als bei einem Mann, der nur der Wiedergeborene Drache ist, aber als du hier hereinkamst, hatte ich mehr Angst als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt, seit du fortgegangen warst.« Die ersten Worte waren von Belustigung durchdrungen, wie winzige Bläschen in seiner Nase spürbar, und von einer warmen Freude und Liebe, ihr Geruch klar und rein und stark, aber all das schwand bei ihren letzten Worten, und es blieb nur dieser schwache zitternde Angstgeruch.

»Licht, Faile, es ist wahr. Jedes Wort, was Rand gesagt hat. Du hast Dobraine gehört, und Aram.« Sie lächelte und nickte und bewegte ihren Fächer. Aber er konnte die bebende Angst noch immer riechen. Blut und Asche, was kann ich tun, um sie zu überzeugen? »Würde es helfen, wenn er Verin den Sa'sara tanzen ließe? Sie wird es tun, wenn er es ihr befiehlt.« Er meinte es als Scherz. Er wußte vom Sa'sara nur, daß er als anstößig galt - und daß Faile einst eingestanden hatte, ihn zu beherrschen, obwohl sie diesem Thema in letzer Zeit auswich und ihr Eingeständnis fast leugnen wollte. Er meinte es als Scherz, aber sie schloß ihren Fächer und klopfte damit leicht aufs Handgelenk. Er kannte diese Geste. Ich erwäge deinen Vorschlag ernsthaft.

»Ich weiß nicht, was helfen würde, Perrin.« Sie zitterte leicht. »Gibt es irgend etwas, was eine Aes Sedai nicht tun oder womit sie sich nicht abfinden würde, wenn die Weiße Burg es ihr befiehlt? Ich habe die Geschichte studiert und gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen. Mashera Donavelle gebar einem Mann sieben Kinder, den sie verabscheute, was auch immer gesagt wird, und Isebaille Tobanyi lieferte die geliebten Brüder an ihre Feinde aus, und den Thron von Arad Doman mit ihnen, und Jestian Redhill...« Sie erzitterte erneut und dieses Mal stärker.

»Alles ist gut«, murmelte er, während er sie in die Arme nahm. Er hatte selbst mehrere Geschichtsbücher studiert, aber diese Namen waren ihm niemals begegnet. Die Tochter eines Lords erhielt eine andere Ausbildung als die Kinder eines Schmieds. »Es ist wirklich wahr« Dobraine wandte den Blick ab und Aram ebenfalls, wenn auch mit breitem Grinsen.

Zunächst widersetzte sie sich, aber nicht sehr. Er konnte niemals sicher sein, wann sie einer öffentlichen Umarmung aus dem Weg gehen und wann sie sie willkommen heißen würde, nur daß sie es, wenn sie es nicht wollte, sehr deutlich machte - mit oder ohne Worte. Dieses Mal schmiegte sie ihr Gesicht an seine Brust, umarmte ihn ebenfalls und drückte ihn fest.

»Wenn irgendeine Aes Sedai dir jemals Schaden zufügt«, flüsterte sie, »werde ich sie töten.« Er glaubte ihr. »Du gehörst mir, Perrin t'Bashere Aybara.« Er glaubte ihr auch das. Als ihre Umarmung heftiger wurde, verstärkte sich auch der scharfe Geruch ihrer Eifersucht. Er mußte fast lachen. Es schien, als sei ihr das Recht vorbehalten, ihm ein Messer in den Leib zu rammen. Er hätte auch wirklich gelacht, wenn nicht ein kleiner Rest Furcht geblieben wäre. Er konnte sich zwar nicht selbst riechen, aber er wußte, was da war. Angst. Alte Angst und neue Angst, wegen des nächsten Mals.

Die letzten Adligen erkämpften sich ihren Weg aus der Großen Halle, ohne daß jemand niedergetrampelt wurde. Perrin schickte Aram davon, um Dannil aufzutragen, die Leute von den Zwei Flüssen in die Stadt zu bringen - und fragte sich, wie er sie versorgen sollte -, bot Faile den Arm und führte sie hinaus, während er Dobraine und Colavaere zurückließ, die endlich zu sich kam. Er wollte nicht in der Nähe sein, wenn sie erwachte, und Faile, deren Hand auf seinem Handgelenk lag, anscheinend ebensowenig. Sie gingen hastig, bestrebt, ihre Räume zu erreichen, wenn auch nicht unbedingt aus denselben Gründen.

Die Adligen hatten anscheinend das Weite gesucht, nachdem sie die Große Halle verlassen hatten. Die Gänge waren bis auf die Diener, welche die Augen gesenkt hielten und leise davoneilten, leer, aber noch bevor sie sehr weit gekommen waren, hörte Perrin das Geräusch von Schritten und erkannte, daß ihnen jemand folgte. Es schien unwahrscheinlich, daß Colavaere noch offene Unterstützung fand, aber wenn dem so war, könnten sie daran denken, Rand durch seinen Freund zu treffen, der mit seiner Frau allein war.

Aber als Perrin mit der Hand an der Streitaxt herumfuhr, schaute er nur, anstatt die Waffe zu ziehen. Hinter ihnen waren Selande und ihre Freunde aus der Eingangshalle, unter denen acht oder neun unbekannte Gesichter zu sehen waren. Sie erschraken, als er herumfuhr, und wechselten verlegene Blicke. Einige waren Tairener, einschließlich einer Frau, die größer war als alle anderen. Sie trug den Umhang und die enge Hose eines Mannes, genau wie Selande und die übrigen Frauen, und ein Schwert an der Hüfte. Er hatte noch nicht davon gehört, daß sich dieser Unsinn bis zu den Tairenern ausgeweitet hatte. »Warum folgt Ihr uns?« fragte er. »Wenn Ihr versucht, mich in irgendwelche Eurer unsinnigen Händel zu verstricken, schwöre ich, daß ich Euch alle von hier bis Bei Tine treten werde!« Er war mit diesen Toren - oder zumindest ähnlichen Toren - schon früher aneinandergeraten. Sie dachten nur an ihre Ehre und daran, Duelle auszufechten und sich gegenseitig zum Gai'shain zu nehmen. Letzteres machte die Aiel wirklich zornig.

»Hört auf meinen Ehemann und gehorcht«, warf Faile barsch ein. »Mit ihm ist nicht zu spaßen.« Die verlegenen Blicke vergingen, und sie wichen unter Verbeugungen und stark errötend um eine Biegung zurück.

»Verdammte junge Possenreißer«, murrte Perrin, während er Faile wieder den Arm bot.

»Mein Mann ist weise an Jahren«, murmelte sie. Ihr Tonfall klang zutiefst ernst, aber ihr Geruch besagte wieder etwas anderes.

Perrin unterdrückte ein Schnauben. Tatsächlich waren einige dieser Toren vielleicht eines oder zwei Jahre älter als er, aber manchmal waren sie alle wie Kinder. Jetzt, wo Faile guter Stimmung war, schien ein genauso guter Zeitpunkt wie irgendwann sonst zu sein, mit dem zu beginnen, worüber sie sprechen mußten. Worüber er sprechen mußte. »Faile, wie kam es, daß du zu einer von Colavaeres Bediensteten wurdest?«

»Die Diener, Perrin.« Sie sprach leise. Niemand, der auch nur zwei Schritte entfernt gewesen wäre, hätte etwas hören können. Sie wußte alles über Perrins Hörvermögen und die Wölfe. Das konnte ein Mann vor seiner Ehefrau nicht verbergen. Sie berührte mit dem Fächer ihr Ohr und mahnte ihn auf diese Weise, vorsichtig zu sein. »Zu viele Leute vergessen es, wenn Diener in der Nähe sind, aber Diener lauschen auch. In Cairhien lauschen sie viel zu häufig.«

Keiner der livrierten Diener, die er sehen konnte, lauschte in irgendeiner Weise. Die wenigen, die nicht in Seitengängen verschwanden, wenn sie ihn und Faile sahen, gingen eilig an ihnen vorbei, die Blicke gesenkt und in sich gekehrt. Aber jegliche Neuigkeiten verbreiteten sich in Cairhien wie ein Lauffeuer. Es wurde inzwischen gewiß bereits auf der Straße von den Geschehnissen in der Großen Halle erzählt und wahrscheinlich auch schon außerhalb der Stadt. Zweifellos befanden sich in Cairhien Augen-und-Ohren der Aes Sedai und der Weißmäntel und wahrscheinlich auch anderer Länder.

Sie fuhr trotz ihrer Mahnung, vorsichtig zu sein, gedämpft fort. »Colavaere konnte mich nicht schnell genug aufnehmen, nachdem sie erfahren hatte, wer ich bin. Der Name meines Vaters beeindruckte sie genauso sehr wie der meiner Cousine.« Sie nickte leicht, als hätte sie seine Frage damit beantwortet.

Und es genügte auch fast als Antwort. Ihr Vater war Davram, Hochsitz des Hauses Bashere, Lord von Bashere, Tyr und Sidona, Wächter der Grenze zur Großen Fäule, Verteidiger des Herzlandes und MarschallGeneral der Königin Tenobia von Saldaea. Und Failes Cousine war Tenobia selbst - mehr als ausreichende Gründe für Colavaere, Faile eiligst zu einer ihrer Bediensteten zu machen. Aber er hatte inzwischen Zeit gehabt, die Dinge zu überdenken, und war stolz darauf, sich allmählich an ihre Art zu gewöhnen. Das Eheleben lehrte einen Mann einiges über Frauen, oder zumindest über eine Frau. Die Antwort, die sie nicht gegeben hatte, bestätigte etwas. Faile erkannte Gefahren nicht -nicht wenn diese sie selbst betrafen.

Natürlich konnte er hier auf dem Gang nicht darüber sprechen. Auch wenn er sehr leise flüsterte - sie besaß nicht sein Hörvermögen und würde zweifellos erneut darauf beharren, daß jeder Diener im Umkreis von fünfzig Schritten lauschte. Er faßte sich in Geduld und ging mit ihr weiter, bis sie die Räume erreichten, die vor bald einem Zeitalter, wie ihm schien, für sie reserviert worden waren. Die Lampen waren entzündet und ließen die dunkel glänzenden Wände schimmern, deren hohe Holzpaneele mit konzentrischen Rechtecken verziert waren. Die Feuerstelle im eckigen Steinkamin war saubergefegt und mit einigen wenigen erbärmlichen Zweigen von Lederblattbäumen bestückt worden. Sie waren noch fast grün.

Faile ging direkt zu einem kleinen Tisch, auf dem auf einem Tablett zwei goldene Becher mit einer kühlen, außen an den Bechern Wasserperlen bildenden Flüssigkeit standen. »Man hat uns Blaubeertee und gewürzten Weinpunsch hingestellt. Ich glaube, der Wein ist aus Tharon. Sie kühlen den gewürzten Wein in Zisternen unter dem Palast. Was möchtest du lieber?«

Perrin öffnete seinen Gürtel und warf ihn und die Streitaxt auf einen Sessel. Er hatte sich auf dem Weg hierher sehr sorgfältig überlegt, was er sagen wollte. Sie konnte sehr empfindlich sein. »Faile, ich habe dich stärker vermißt, als ich es sagen kann, und ich habe mir Sorgen um dich gemacht...«

»Du hast dir Sorgen gemacht!« fauchte sie und fuhr zu ihm herum. Sie stand aufrecht da, der Blick wild wie der ihres Namensvetters, des Falken, und vollführte mit dem Fächer eine heftige Bewegung zu seiner Mitte hin. Diese war kein Teil der Fächersprache. Sie vollführte diese Geste auch manchmal mit einem Dolch. »Obwohl fast die ersten Worte aus deinem Mund der Frage nach dieser ... dieser Frau galten!«

Sein Kinn sank herab. Wie hatte er den Geruch vergessen können, der ihm in die Nase gestiegen war? Er war versucht, die Hand zur Nase zu führen, um nachzuprüfen, ob sie blutete.

»Faile, ich wollte ihre Diebefänger. Be...« Nein, er war nicht dumm genug, diesen Namen zu wiederholen. »Bevor ich ging, sagte sie mir, sie hätte Beweise für das Gift. Du hast es gehört! Ich will nur den Beweis, Faile.«

Es nützte nichts. Der scharfe Geruch wurde keine Spur milder, und dazu kam noch der schwache, säuerliche Geruch von Verletztheit. Was, unter dem Licht, hatte er gesagt, was sie verletzen konnte?

»Ihren Beweis! Ich habe umsonst Hinweise gesammelt, aber ihr Beweis brachte Colavaeres Kopf aufs Schafott. Oder hätte es tun sollen.« Das war seine Gelegenheit, aber sie würde ihn kein Wort einwenden lassen. Sie griff ihn weiterhin an. Er konnte nur zurückweichen. »Weißt du, welche Geschichte diese Frau in Umlauf gebracht hat?« stieß Faile fast zischend hervor. Eine schwarze Viper hätte nicht so viel Gift versprühen können. »Weißt du es? Sie sagte, du seist nicht hier, weil du dich auf einem Gut nicht weit von der Stadt befändest. Wo sie dich besuchen könnte! Ich habe die von mir vorbereitete Geschichte erzählt -, daß du auf der Jagd seist, und das Licht weiß, daß du genügend viele Tage mit der Jagd verbracht hast! -, aber jedermann glaubte, ich würde bei euch gute Miene zum bösen Spiel machen! Colavaere hat es genossen. Ich kann mir durchaus vorstellen, daß sie die Mayener Dirne nur als Bedienstete genommen hat um uns beide zusammenzupferchen. ›Faile, Berelain, kommt und schnürt mir mein Gewand. Faile, Berelain, kommt und haltet der Friseuse den Spiegel. Faile, Berelain, kommt und wascht mir den Rücken.‹ So hatte sie ihren Spaß daran, darauf zu warten, daß wir einander die Augen auskratzen würden! Das habe ich in Kauf genommen! Für dich, du...!«

Er prallte mit dem Rücken gegen die Wand. Etwas in ihm zerbrach. Er hatte eine Heidenangst um sie gehabt, war zu Tode erschreckt und bereit gewesen, sich Rand oder dem Dunklen König selbst zu stellen. Und er hatte nichts getan, hatte Berelain niemals ermutigt, hatte alles in seiner Macht Stehende unternommen, um die Frau zu vertreiben. Und das war sein Dank.

Er nahm sie sanft bei den Schultern und hob sie hoch, bis diese großen, schrägstehenden Augen auf gleicher Höhe mit seinen waren. »Hör mir zu«, sagte er ruhig. Er versuchte, seine Stimme ruhig zu halten, obwohl sie seiner Kehle eher als Grollen entwich.

»Wie kannst du es wagen, so mit mir zu sprechen? Wie kannst du es wagen? Ich habe mich fast zu Tode geängstigt, aus Furcht, daß du verletzt worden sein könntest. Ich liebe dich, und niemand anderen als dich. Ich will keine andere Frau als dich. Hörst du mich? Hörst du?« Er drückte sie fest an seine Brust, hielt sie, wollte sie niemals wieder loslassen. Lieht, er hatte solche Angst gehabt. Er zitterte wegen dem, was hätte sein können, sogar jetzt noch. »Wenn dir etwas zugestoßen wäre, wäre ich gestorben, Faile. Ich hätte mich auf dein Grab gelegt und wäre gestorben! Glaubst du, ich wüßte nicht, wie Colavaere herausgefunden hat, wer du bist? Du hast sichergestellt, daß sie es herausfinden mußte.« Sie hatte ihm einmal gesagt das Spionieren sei die Aufgabe der Ehefrau. »Licht, Frau, du hättest das gleiche Ende finden können wie Maire. Colavaere weiß, daß du meine Frau bist. Meine Frau. Perrin Aybara, Rand al'Thors Freund. Ist es dir niemals in den Sinn gekommen, daß sie mißtrauisch werden könnte? Sie hätte... Licht, Faile, sie hätte...«

Plötzlich erkannte er, was er tat. Sie stieß an seiner Brust Laute aus, aber keine Worte, die er hätte erkennen können. Er wunderte sich, daß er ihre Rippen nicht brechen hörte. Er schalt sich selbst einen Dummkopf und ließ sie sofort los, aber bevor er sich entschuldigen konnte, verschränkte sie ihre Finger in seinem Bart.

»Also liebst du mich?« sagte sie sanft. Sehr sanft. Sehr liebevoll. Sie lächelte auch. »Eine Frau hört es gern, wenn dies auf die richtige Art gesagt wird.« Sie hatte den Fächer fallen lassen und zog die Fingernägel ihrer freien Hand über seine Wange, beinahe fest genug, daß es hätte bluten können, aber ihr kehliges Lachen verhieß Leidenschaft, und das Leuchten in ihren Augen zeugte so wenig von Verärgerung wie nur möglich. »Gut daß du nicht gesagt hast, du würdest niemals andere Frauen ansehen, sonst hätte ich geglaubt, daß du blind geworden wärst.«

Ihm fehlten die Worte. Rand verstand die Frauen, Mat verstand die Frauen, aber Perrin war sich darüber im klaren, daß er sie niemals verstehen würde. Faile war stets genauso sehr Eisvogel wie Falke und veränderte sich schneller als ein Gedanke, aber dies... Der scharfe Geruch war vollkommen verschwunden, und an seine Stelle war ein anderer ihrer Gerüche getreten, den er gut kannte. Ein Geruch, der sie war, rein und kräftig und sauber. Wenn man dies und ihren Blick bedachte, sollte sie jeden Moment etwas über Bauernmädchen bei der Ernte sagen. Saldeanische Bauernmädchen waren offenbar allbekannt.

»Wenn du dich auf mein Grab legst«, fuhr sie fort, »wenn du das tust, wird meine Seele deine heimsuchen, das verspreche ich dir. Du wirst eine angemessene Zeit um mich trauern, und dann wirst du dir eine andere Frau suchen. Hoffentlich eine Frau, die ich billige.« Sie streichelte mit sanftem Lachen seinen Bart. »Du kannst wirklich nicht für dich selbst sorgen, weißt du. Also versprich es mir.«

Das sollte er besser nicht riskieren. Wenn er sagte, daß er es nicht versprechen wollte, würde diese würdevolle Stimmung vielleicht von einem Feuersturm vereinnahmt.

Wenn er sagte, daß er es versprechen wollte... Ihrem Geruch nach zu urteilen, war jedes Wort die pure Wahrheit des Lichts, aber er würde es erst glauben, wenn Pferde auf Bäumen schliefen. Er räusperte sich. »Ich muß baden. Ich habe wer weiß wie lange keine Seife mehr gesehen. Ich muß wie ein Viehstall riechen.«

Sie lehnte sich an seine Brust und atmete tief ein. »Du riechst wundervoll. Wie du.« Ihre Hände streichelten seine Schultern. »Ich fühle mich, als...«

»Perrin, Berelain ist nicht ... tut mir leid. Verzeiht« Rand stand verlegen und gar nicht wie der Wiedergeborene Drache da. Draußen im Gang waren Töchter des Speers. Min streckte den Kopf um den Türrahmen, schaute kurz herein, grinste Perrin an und wich wieder zurück.

Faile trat so ruhig und würdevoll von Perrin zurück, daß niemand jemals vermutet hätte, was sie kurz zuvor gesagt hatte. Oder was sie hatte sagen wollen. Ihre Wangen waren jedoch leicht gerötet und heiß. »Es ist zu freundlich von Euch, mein Lord Drache«, sagte sie kühl, »daß Ihr so unerwartet hereinschaut. Entschuldigt, daß wir Euer Klopfen nicht gehört haben.« Vielleicht war sie sowohl vor Zorn als auch vor Verlegenheit errötet.

Jetzt war es an Rand zu erröten, und er strich sich mit der Hand durchs Haar. »Berelain ist nicht im Palast. Sie hat die Nacht ausgerechnet auf diesem MeervolkSchiff verbracht, das im Fluß vor Anker liegt. Annoura hat es mir erst erzählt, als ich fast bei Berelains Räumen angekommen war.«

Perrin bemühte sich sehr, nicht zusammenzuzucken. Warum mußte Rand den Namen der Frau ständig wiederholen? »Du wolltest mit mir über etwas anderes sprechen, Rand?« Er hoffte, daß er seine Worte nicht zu sehr betont hatte, daß Rand seine Absicht aber doch begreifen würde. Er sah Faile nicht an, aber er prüfte schnell die Luft. Keine Eifersucht, noch nicht. Aber reichlich Zorn.

Rand sah ihn einen Moment an, blickte durch ihn hindurch. Lauschte auf etwas anderes. Perrin verschränkte die Arme, um nicht zu zittern.

»Ich muß es wissen«, sagte Rand schließlich. »Willst du das Heer gegen Illian noch immer nicht befehligen? Ich muß es jetzt wissen.«

»Ich bin kein Feldherr«, sagte Perrin rauh. Es würde in Illian Kämpfe geben. Bilder blitzten in seinem Kopf auf. Männer überall um ihn herum, und die Streitaxt wirbelte in seiner Hand umher und bahnte ihm den Weg, Immer mehr Männer, wie viele er auch niederstreckte, in endlosen Reihen. Und in seinem Herzen wuchs ein Same. Dem konnte er sich nicht mehr stellen. Er würde es nicht tun. »Außerdem sollte ich in deiner Nähe bleiben.« Min hatte das nach einer ihrer Visionen gesagt. Perrin mußte zwei Mal in seiner Nähe sein, sonst würde Rand eine Katastrophe erleiden. Das erste Mal war vielleicht bei den Brunnen von Dumai gewesen, aber das zweite Mal stand noch aus.

»Wir müssen alle Risiken auf uns nehmen.« Rands Stimme klang sehr ruhig. Und sehr hart. Min spähte erneut um den Türrahmen herum und wollte wohl zu ihm kommen, aber dann sah sie Faile an und blieb draußen.

»Rand, die Aes Sedai...« Ein kluger Mann würde diese Lüge wahrscheinlich unterlassen. Aber er hatte niemals behauptet, besonders klug zu sein. »Die Weisen Frauen sind fast bereit, ihnen die Haut abzuziehen. Du darfst nicht zulassen, daß ihnen Schaden zugefügt wird, Rand.« Sulin wandte sich im Gang um und sah ihn durch den Türrahmen an.

Der Mann, den er zu kennen glaubte, lachte schnaufend. »Wir müssen alle Risiken auf uns nehmen«, wiederholte er.

»Ich werde nicht zulassen, daß ihnen Schaden zugefügt wird, Rand.«

Kalte blaue Augen erwiderten seinen Blick. »Du wirst es nicht zulassen?«

»Ich werde es nicht zulassen«, belehrte Perrin ihn gleichmütig. Er wich unter Rands Blick keinen Schritt zurück. »Sie sind Gefangene und keine Bedrohung. Sie sind Frauen.«

»Sie sind Aes Sedai.« Rands Stimme ähnelte der Stimme Arams damals an den Brunnen von Dumai so sehr, daß es Perrin fast den Atem nahm.

»Rand... «

»Ich tue, was ich tun muß, Perrin.« Er war jetzt wieder der alte Rand, dem nicht gefiel, was vor sich ging. Er wirkte einen Moment todmüde. Nur einen Moment. Dann war er wieder der neue Rand - stahlhart.

»Ich werde keiner Aes Sedai Schaden zufügen, die es nicht verdient hat, Perrin. Mehr kann ich dir nicht versprechen. Wenn du das Heer nicht befehligen willst, kann ich dich ebensogut anderweitig brauchen. Ich wünschte, ich könnte dich länger als ein oder zwei Tage rasten lassen, aber das geht nicht. Wir haben keine Zeit. Keine Zeit - und wir müssen tun, was wir tun müssen. Verzeih die Unterbrechung.« Er vollführte eine angedeutete Verbeugung, eine Hand auf seinem Schwertheft. »Faile.«

Perrin wollte seinen Arm ergreifen, aber er war schon aus dem Raum und die Tür wurde hinter ihm geschlossen, bevor Perrin sich auch nur regen konnte. Rand war anscheinend wirklich nicht mehr Rand. Ein oder zwei Tage? Wohin, im Licht, wollte Rand ihn schicken, wenn nicht zu dem Heer, das sich unten in den Ebenen von Maredo sammelte?

»Mein Ehemann«, hauchte Faile, »du hast den Mut von drei Männern. Und den Verstand eines Kindes an Marionettenfäden. Was ist nur der Grund dafür, daß der Verstand eines Mannes abnimmt, wenn sein Mut zunimmt?«

Perrin brummte entrüstet. Er versagte es sich, über Frauen zu sprechen, die sich der Aufgabe widmeten, Mörder auszuspionieren, die sicherlich wußten, daß sie ausspioniert wurden. Frauen redeten stets darüber, wie logisch sie im Vergleich zu Männern handelten, aber er selbst hatte bisher herzlich wenig davon bemerkt.

»Nun, vielleicht will ich die Antwort gar nicht wirklich hören, selbst wenn du sie weißt.« Sie streckte ihre Arme über den Kopf und lachte kehlig. »Außerdem habe ich nicht die Absicht, ihn die Stimmung verderben zu lassen. Ich fühle mich noch immer wie ein Bauernmädchen bei... Warum lachst du? Hör auf, mich auszulachen, Perrin t'Bashere Aybara! Hör auf, sage ich, du ungehobelter Dummkopf! Wenn du nicht...«

Die einzige Möglichkeit, diese Tirade zu beenden, bestand darin, sie zu küssen. In ihren Armen vergaß er Rand und die Aes Sedai und die Kämpfe. Wo Faile war, war sein Zuhause.

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