27 Allein sein

Perrin steckte das Heft seiner Streitaxt gegenüber dem Köcher durch die Schlaufe an seinem Gürtel, nahm seinen Langbogen aus der Ecke, schlang sich die Satteltaschen über die Schulter und verließ die Räume, die er mit Faile geteilt hatte, ohne einen Blick zurück zu werfen. Sie waren hier glücklich gewesen -die meiste Zeit. Er glaubte nicht, daß er jemals zurückkäme. Manchmal fragte er sich, ob glückliche Stunden mit Faile an einem Ort bedeuteten, daß er niemals dorthin zurückkehren würde. Er hoffte es nicht.

Die Diener, die ihm in den Palastgängen begegneten, trugen tiefschwarze Livreen. Vielleicht hatte Rand das angeordnet, aber vielleicht hatten die Diener es auch einfach selbst übernommen. Sie hatten sich ohne Livree unwohl gefühlt, als wüßten sie nicht, wohin sie gehörten, und Schwarz schien wegen der Asha'man als Rands Farbe sicher. Jene, die Perrin erblickten, eilten so schnell wie möglich von dannen, ohne sich die Zeit für Verbeugungen oder Hofknickse zu lassen. Angstgeruch folgte ihnen.

Dieses eine Mal hatten seine gelben Augen nichts damit zu tun, daß alle ihn fürchteten. Es war vielleicht nicht ratsam, sich in der Nähe eines Mannes aufzuhalten, den der Wiedergeborene Drache heute morgen öffentlich mit seinem Zorn überschüttet hatte. Perrin lockerte seine Schulter unter den Satteltaschen. Es war eine geraume Weile vergangen, bis ihn jemand aufgespürt und erwischt hatte. Natürlich hatte es auch niemand zuvor mit der Macht versucht Besonders eine Erinnerung verfolgte ihn.

Er stieß sich hoch, hielt seine Schulter und richtete den Rücken an der eckigen Säule auf, die seine Flucht aufgehalten hatte. Er glaubte, sich vielleicht einige Rippen gebrochen zu haben. Rund um die Große Halle der Sonne versuchten verschiedene Adlige, die wegen der einen oder anderen Sache bei Rand vorsprechen wollten, ihn nicht anzusehen und vorzugeben, nicht da zu sein. Nur Dobraine beobachtete ihn und schüttelte seinen grauen Kopf, während Perrin den Thronsaal durchschritt.

»Ich werde mit den Aes Sedai umspringen, wie ich es will!« schrie Rand. »Hörst du mich, Perrin? Wie ich es will!«

»Du hast sie gerade den Weisen Frauen ausgeliefert«, grollte er als Erwiderung und stieß sich von der Säule ab. »Du weißt nicht, ob sie auf Seide schlafen oder ihre Kehlen durchschnitten wurden! Du bist nicht der Schöpfer!«

Rand warf mit wütendem Knurren den Kopf zurück. »Ich bin der Wiedergeborene Drache!« schrie er. »Es kümmert mich nicht, wie sie behandelt werden! Sie verdienen den Kerker!« Perrin regte sich unbehaglich, als Rands Blick von der gewölbten Decke abließ. Blaues Eis wäre daneben warm und sanft gewesen, um so mehr, da Rand aus einem von Qual verzerrten Gesicht zu ihm blickte. »Geh mir aus den Augen, Perrin. Hörst du mich? Verlasse Cairhien! Heute! Jetzt! Ich will dich niemals Wiedersehen!« Er machte auf dem Absatz kehrt und schritt davon, während die Adligen sich fast auf den Boden warfen, als er vorüberging.

Perrin wischte sich etwas Blut vom Mundwinkel. Er war sich eben noch sicher gewesen, daß Rand ihn töten würde.

Er schüttelte den Kopf, um sich von diesem Gedanken zu befreien, umrundete eine Biegung und prallte fast gegen Loial. Der Ogier, der ein großes Bündel auf den Rücken gebunden und eine ausreichend große Tasche über die Schulter geschlungen hatte, daß ein Schaf hineingepaßt hätte, benutzte seine Streitaxt als Spazierstock. Die geräumigen Taschen seiner Jacke waren von Büchern ausgeheult.

Loials Pinselohren richteten sich bei Perrins Anblick auf und erschlafften dann jäh wieder. Sein ganzes Gesicht erschlaffte, wobei seine Augenbrauen bis auf die Wangen reichten. »Ich habe es gehört, Perrin«, dröhnte er traurig. »Das hätte Rand nicht tun sollen. Überstürzte Worte bewirken lang anhaltenden Kummer. Ich weiß, daß er noch mal darüber nachdenken wird. Morgen vielleicht.«

»Es ist schon in Ordnung«, erwiderte Perrin.

»Cairhien ist zu ... vornehm ... für mich ohnehin. Ich bin Schmied, kein Höfling. Morgen werde ich schon weit fort sein.«

»Du und Faile könntet mit mir kommen. Karldin und ich wollen alle Stedding durch die Wegetore aufsuchen, Perrin.« Ein hellhaariger Bursche mit einem schmalen Gesicht, der hinter Loial stand, wandte sich mit einem Stirnrunzeln von Perrin zu Loial. Er hatte ebenfalls eine Tasche und ein Bündel bei sich und trug zudem ein Schwert an der Hüfte. Perrin erkannte, trotz der blauen Jacke, einen der Asha'man. Karldin wirkte nicht erfreut, als er Perrin sah. Außerdem roch er kalt und verärgert. Loial spähte den Gang hinter Perrin hinab. »Wo ist Faile?«

»Sie ist... Wir treffen uns in den Ställen. Wir haben uns gestritten.« Das war die schlichte Wahrheit. Faile schien es manchmal zu lieben herumzuschreien. Er dämpfte seine Stimme. »Loial, ich würde nicht dort darüber reden, wo jedermann es hören könnte. Ich meine, über die Wegetore.«

Loial schnaubte ausreichend heftig, daß sich selbst ein Stier erschrocken hätte, aber er dämpfte seine Stimme ebenfalls. »Ich sehe niemanden außer uns«, polterte er. Niemand, der weiter als zwei oder drei Schritte hinter Karldin gestanden hätte, hätte ihn noch hören können. Seine Ohren ... peitschten, das war das einzig passende Wort, und er legte sie verärgert an. »Jedermann hat Angst, in deiner Nähe gesehen zu werden. Und das nach allem, was du für Rand getan hast.«

Karldin zog Loial am Ärmel. »Wir müssen gehen«, sagte er und sah Perrin an. Jeder, den der Wiedergeborene Drache zur Rechenschaft zog, gehörte, soweit es ihn betraf, nicht in die Tore. Perrin fragte sich, ob er gerade jetzt die Macht umarmte.

»Ja, ja«, murmelte Loial und winkte mit seiner großen Hand ab, stützte sich dann aber auf seine Streitaxt und runzelte nachdenklich die Stirn. »Das gefällt mir nicht, Perrin. Rand jagt dich davon. Und mich schickt er auch fort. Wie ich mein Buch beenden soll...« Seine Ohren zuckten, und er hustete. »Dich, mich, und nur das Licht weiß, wo sich Mat befindet. Min wird er als nächste fortschicken. Er hat sich heute morgen vor ihr verborgen gehalten. Er hat mich vorgeschickt, um ihr zu sagen, er sei nicht da. Ich glaube, sie wußte, daß ich log. Er wird allein sein, Perrin. ›Es ist schrecklich, allein zu sein.‹ Das hat er zu mir gesagt. Er plant, alle seine Freunde fortzuschicken.«

»Das Rad webt, wie das Rad es wünscht«, sagte Perrin. Loial blinzelte bei diesem Echo Moiraines. Perrin hatte in letzter Zeit häufig an sie gedacht. Sie hatte immer weniger Einfluß auf Rand. »Leb wohl, Loial. Paß auf dich auf, und vertraue niemandem, dem du nicht vertrauen mußt.« Er sah Karldin nicht an.

»Das meinst du doch nicht so, Perrin.« Loial klang entsetzt. Er schien jedermann zu vertrauen. »Das kann nicht sein. Kommt mit mir, du und Faile.«

»Wir werden uns eines Tages Wiedersehen«, sagte Perrin sanft und eilte an ihm vorbei, bevor er noch mehr sagen mußte. Er log nicht gern, besonders nicht einem Freund gegenüber.

Im Nordstall standen die Dinge ähnlich wie im Palast. Stallburschen sahen ihn hereinkommen, ließen Mistgabeln und Pferdestriegel fallen und drängten sich durch schmale Türen an der Rückseite des Stalls hinaus. Rascheln auf dem Heuboden über ihm, das jemand anderer vielleicht nicht gehört hätte, verriet ihm, daß sich auch dort Menschen verbargen. Er konnte beunruhigtes, ängstliches Atmen hören. Er führte Traber aus einer grün gestreiften Box, legte ihm das Zaumzeug an und band ihn an einem Trensenring fest. Dann holte er Zaumzeug und Sattel aus der Sattelkammer, in der die Hälfte aller Sättel silberoder goldverziert waren. Der Stall paßte mit seinen reich verzierten Balken sehr gut zu einem Palast, und Perrin war froh, der Pracht den Rücken kehren zu können.

Nördlich der Stadt folgte er der Straße, die er erst vor wenigen Tagen so verzweifelt mit Rand herabgekommen war, und ritt, bis die hügelige Landschaft Cairhien verbarg. Dann wandte er sich nach Osten, wo noch ein ansehnlicher Wald geblieben war, ritt einen hohen Hügel hinab und über den nächsten, noch höheren, hinweg. Unmittelbar hinter der Waldgrenze trieb Faile ihre Stute Schwalbe zu ihm, während Aram ihr auf seinem Pferd wie ein Hund folgte. Aram strahlte bei Perrins Anblick, obwohl das nicht viel bedeutete. Er teilte seine treuen Hundeblicke einfach zwischen ihm und Faile auf.

»Mein Ehemann«, sagte sie nicht allzu kühl, aber rasiermesserscharfer Zorn und dornige Eifersucht durchdrangen den sauberen Geruch ihres Körpers und ihrer Kräuterseife noch immer. Sie trug Reisekleidung, ein dünner Staubmantel hing ihren Rücken herab, und rote, zu ihren Stiefeln passende Handschuhe sahen unter den dunklen, engen Reitröcken hervor, die sie bevorzugte. Immerhin vier Dolche staken an ihrem Gürtel.

Hinter ihr kamen Bain und Chiad heran sowie Sulin mit einem Dutzend weiterer Töchter des Speers. Perrin wölbte die Augenbrauen. Er fragte sich, was Gaul davon hielt. Der Aiel hatte gesagt, er freue sich darauf, Bain und Chiad allein zu erwischen. Aber Failes andere Begleiter waren eine noch größere Überraschung.

»Was tun sie hier?« Er deutete mit dem Kopf auf eine kleine Gruppe Reiter, die ihre Pferde zurückhielten. Er erkannte Selande und Camaille und die große Tairenerin, alle noch immer in Männerkleidung und mit Schwertern. Der gedrungene Bursche in einer Jacke mit weiten Ärmeln, der seinen Bart ölte und spitz formte, wirkte, obwohl er sein Haar mit einem Band zurückgenommen trug, ebenfalls vertraut. Die anderen beiden Männer, beide Cairhiener, kannte Perrin nicht, aber er konnte anhand ihrer Jugend und des Bandes, das ihr Haar hielt, vermuten, daß sie zu Selandes ›Gesellschaft‹ gehörten.

»Ich habe Selande und einige ihrer Freunde in meinen Dienst genommen.« Faile sprach leichthin, aber sie gab plötzlich unklare, warnende Schwingungen ab. »Sie hätten sich in der Stadt früher oder später in Schwierigkeiten gebracht. Sie brauchen jemanden, der ihnen die Richtung weist. Betrachte es als gutes Werk. Ich werde Sorge tragen, daß sie dich nicht stören.«

Perrin seufzte und kratzte sich den Bart. Ein weiser Mann sagte seiner Frau nicht ins Gesicht, daß sie etwas vor ihm verbarg. Besonders wenn diese Frau Faile war. Sie würde genauso schrecklich werden wie ihre Mutter. Wenn sie es nicht bereits war. Ihn nicht stören? Wie viele dieser ... jungen Leute hatte sie aufgenommen? »Ist alles bereit? Schon bald wird irgendein Dummkopf in der Stadt beschließen, er könne sich Gunst erschleichen, indem er Rand meinen Kopf bringt. Ich wäre gern vorher fort.« Aram brummte leise.

»Niemand wird dir deinen Kopf nehmen, mein Ehemann.« Faile lächelte und fuhr in einem Flüsterton fort, den nur er verstehen konnte. »Außer mir vielleicht.« Dann sagte sie in normaler Lautstärke: »Alles ist bereit.«

In einer Mulde jenseits des Waldes warteten die Leute aus den Zwei Flüssen neben ihren Pferden in einer Zweierkolonne, die sich seitlich um den Hügel außer Sicht wand. Perrin seufzte erneut. Das rote Wolfskopf-Banner und der Rote Adler von Manetheren flatterten an der Spitze der Kolonne leicht in einem heißen Wind. Weitere, vielleicht ein Dutzend Töchter des Speers kauerten in der Nähe der Banner auf ihren Fersen. Auf der anderen Seite zeigte Gaul einen für einen Aiel ungewöhnlich mürrischen Gesichtsausdruck.

Als Perrin abstieg, kamen zwei Männer in schwarzen Jacken zu ihm und salutierten mit einer auf die Brust gepreßten Faust. »Lord Perrin«, sagte Jur Grady. »Wir sind schon seit gestern abend hier. Wir sind bereit.«

Gradys wettergegerbtes Bauerngesicht ließ Perrin sich in seiner Gegenwart fast wohl fühlen, aber Fager Neald war eine andere Sache. Er war vielleicht zehn Jahre jünger als Grady und hätte nach allem, was Perrin wußte, ebenfalls ein Bauer sein können, aber er gab sich gern als mehr aus und trug seinen kümmerlichen Schnurrbart gewachst und annähernd spitz. Wo Grady ein Geweihter war, war er ein Soldat, ohne das an seinen Kragen gesteckte Silberschwert, aber das hielt ihn nicht davon ab, die Stimme zu erheben. »Lord Perrin, ist es wirklich nötig, die Frauen mitzunehmen? Sie werden uns nur Schwierigkeiten machen, sie alle, und das wißt Ihr nur zu gut.«

Einige der Frauen, von denen er sprach, standen nicht weit von den Leuten aus den Zwei Flüssen entfernt, die Stolen über ihre Arme geschlungen. Edarra schien die älteste der sechs Weisen Frauen zu sein. Sie beobachtete unbewegt die beiden Frauen, auf die Neald mit einer Kopfbewegung gedeutet hatte. Tatsächlich beunruhigten die beiden Perrin ebenfalls. Seonid Traighan, ganz reservierte Kühle in grüner Seide, hatte hochmütig versucht, die Aielfrauen zu ignorieren - die meisten Cairhiener, die nicht vorgaben, Aiel zu sein, verachteten diese -, aber als sie Perrin sah, wechselte sie die Zügel ihres Kastanienbraunen in die andere Hand und stieß Masuri Sokawa in die Rippen. Masuri Duckte zusammen - Braune schienen sich häufig in Tagträumen zu verlieren -, sah die Grüne Schwester ausdruckslos an und richtete ihren Blick dann auf Perrin. Sie hätte ihn eher einem seltsamen und vielleicht gefährlichen Tier gewähren können, eines, bei dem sie Gewißheit haben wollte, bevor sie sich abwandte. Sie hatten geschworen, Rand al'Thor zu gehorchen, aber inwieweit würden sie Perrin Aybara folgen? Es schien unnatürlich, Aes Sedai Befehle zu erteilen. Aber es war immer noch besser als umgekehrt.

»Alle kommen mit«, sagte Perrin. »Und wir sollten aufbrechen, bevor wir gesehen werden.« Faile rümpfte die Nase.

Crady und Neald salutierten erneut und traten dann zur Mitte der freien Fläche. Perrin wußte nicht, wer von beiden das Notwendige tat, aber plötzlich drehte sich der jetzt vertraute senkrechte Silberblitz in der Luft, bis er zu einem Wegetor wurde, das kaum hoch genug war, daß man hätte hindurch reiten können. Jenseits der Öffnung waren Bäume zu sehen, die sich nicht sehr von denjenigen auf den umgebenden Hügeln unterschieden. Grady schritt sofort hindurch, wurde aber fast von Sulin und einer kleinen Horde verschleierter Töchter des Speers überrannt. Sie hatten die Ehre, als erste durch das Wegetor zu gehen, anscheinend für sich reserviert und wollten sie sich von niemandem nehmen lassen.

Perrin sah hundert Probleme voraus, an die er nicht gedacht hatte, während er Traber durch das Wegetor in eine weniger hügelige Landschaft führte. Hier war keine Lichtung, aber die Stelle war auch nicht so dicht mit Bäumen bewachsen wie der Wald in Cairhien; die vereinzelten Bäume waren höher, aber genauso verdorrt. Er erkannte nur die Eichen und Lederblattbäume. Die Luft schien ein wenig heißer zu sein.

Faile folgte ihm, aber als er sich nach links umwandte, führte sie Schwalbe auf seine rechte Seite. Aram blickte sorgenvoll zwischen ihnen hin und her, bis Perrin mit dem Kopf auf seine Frau deutete. Der ehemalige Kesselflicker zog seinen Wallach hinter ihr her, aber so schnell er auch reagierte, war er doch nicht schneller als Bain und Chiad, die noch immer verschleiert waren. Trotz aller Befehle Perrins, daß die Leute aus den Zwei Flüssen als nächste kommen sollten, drangen jetzt Selande und gut zwei Dutzend junge Cairhiener und Tairener aus dem Wegetor, die ihre Pferde ebenfalls hinter sich herzogen. Zwei Dutzend! Perrin blieb kopfschüttelnd neben Grady stehen, der sich hierhin und dorthin wandte und das karge Waldgebiet betrachtete.

Gaul schritt heran, während Dannil die Leute aus den Zwei Flüssen schließlich im Laufschritt durch das Tor brachte, die ihre Pferde ebenfalls führten. Diese verdammten Banner tauchten unmittelbar hinter Dannil auf und wurden gehißt, sobald sie durch das Wegetor gelangt waren. Der Mann hätte sich diesen törichten Schnurrbart abrasieren sollen.

»Die Frauen sind unglaublich«, murrte Gaul.

Perrin öffnete den Mund, um Faile zu verteidigen, bevor er erkannte, daß der Mann Bain und Chiad gemeint haben mußte. Um es zu überspielen, sagte er: »Habt Ihr eine Frau, Grady?«

»Sora«, antwortete Grady wie abwesend, seine Aufmerksamkeit noch immer auf die umgebenden Bäume gerichtet. Perrin hätte gewettet, daß er jetzt bestimmt die Macht umarmte. Jedermann konnte in diesem Wald - im Vergleich zu den heimischen Wäldern - weit sehen, aber es konnte sich immer noch jemand anschleichen. »Sie vermißt mich«, fuhr Grady wie zu sich selbst fort. »Das lernt man gleich zu erkennen. Ich wünschte jedoch, ich wüßte, warum ihr Knie schmerzt.«

»Ihr Knie schmerzt«, sagte Perrin tonlos. »Gerade jetzt schmerzt es.«

Grady merkte anscheinend plötzlich, daß er vor sich hinstarrte, und Gaul ebenfalls. Er blinzelte, nahm seine Betrachtung aber dann sofort wieder auf. »Verzeiht, Lord Perrin. Ich muß aufpassen.« Er schwieg einen langen Moment und sagte dann zögernd: »Ein Bursche namens Canler hat das herausgefunden. Der M'Hael mag es nicht, wenn wir Dinge allein herauszufinden versuchen, aber wenn es erst geschehen ist...« Sein unmerklich verzerrtes Gesicht besagte, daß Taim es wohl selbst dann nicht so leicht genommen hatte. »Wir glauben, es könnte vielleicht etwas Ähnliches wie der Bund zwischen Bchütcrn und Aes Sedai sein. Nur etwa einer unter dreien von uns ist verheiratet. Wie dem auch sei, dadurch blieben viele Ehefrauen, anstatt davonzulaufen, als sie erfuhren, wer ihre Ehemänner waren. Daher wißt Ihr, wenn Ihr fort seid, daß es ihr gutgeht, und sie weiß, daß es Euch gutgeht. Ein Mann weiß gern, daß seine Frau in Sicherheit ist.«

»In der Tat«, erwiderte Perrin. Was wollte Faile mit diesen Narren? Sie war jetzt aufgesessen, und sie standen alle dicht um sie herum und schauten zu ihr auf. Er würde es ihr durchaus zutrauen, selbst in diesen Ji'e'toh-Unsinn einzutauchen.

Seonid und Masuri glitten mit den drei Behütern zwischen sich hinter den letzten der Männer aus den Zwei Flüssen heran und die Weisen Frauen wiederum unmittelbar hinter ihnen, was nicht überraschend war. Sie würden die Aes Sedai stets im Auge behalten. Seonid nahm die Zügel ihres Pferdes auf, als wollte sie aufsitzen, aber Edarra sagte leise etwas und deutete auf eine dicke, schief stehende Eiche. Die beiden Aes Sedai sahen sie an, die Köpfe gleichzeitig drehend, wechselten Blicke und führten ihre Pferde zu dem Baum. Alles würde ein wenig glatter ablaufen, wenn diese beiden stets so sanftmütig wären - nun, nicht wirklich sanftmütig. Seonid wirkte stocksteif.

Dahinter kamen, unter den wachsamen Blicken von Leuten von Dobraines Besitz, die vermutlich wußten, worum es ging, die frischen Reitpferde, eine Herde zu zehnt an eine Führleine gebundene Ersatzpferde. Auch viele hochrädrige Versorgungskarren kamen durch das Wegetor heran, deren Kutscher die Pferde zogen und schrien, als fürchteten sie, das Wegetor könnte sich um sie schließen - es waren viele Karren, weil man auf ihnen nicht so viel transportieren konnte wie auf Wagen, und man hatte Karren bevorzugt, weil Wagen mit Gespannen nicht durch das Wegetor paßten. Anscheinend konnten weder Neald noch Grady ein so großes Wegetor gestalten, wie Rand oder Dashiva es konnten.

Als der letzte Karren schließlich quietschend hindurchrollte, erwog Perrin, das Wegetor sofort schließen zu lassen, aber Neald hielt es geöffnet, und er befand sich noch auf der anderen Seite in Cairhien. Kurz darauf war es zu spät.

Berelain schritt mit einer Stute hindurch, die so weiß wie Schwalbe schwarz war, und er dankte dem Licht im stillen, daß ihr graues Reitgewand bis zum Hals geschlossen war. Andererseits lag es von der Taille aufwärts so eng an wie jedes andere tarabonische Gewand. Perrin stöhnte. Mit ihr kamen Nurelle und Bertain Gallenne, der Lordhauptmann ihrer Beflügelten Wachen, ein grauhaariger Bursche, der seine schwarze Augenklappe so trug, wie ein anderer vielleicht eine Feder am Hut getragen hätte, und danach folgten die rot gerüsteten Beflügelten Wachen selbst, mehr als neunhundert Mann. Nurelle und die anderen, die auch bei den Brunnen von Dumai dabeigewesen waren, trugen ein gelbes Band um den linken Oberarm.

Berelain saß auf und ritt mit Gallenne zu einer Seite davon, während Nurelle die Beflügelten Wachen zwischen den Bäumen formierte. Es mußten sich fünfzig Schritt Entfernung und Dutzende von Bäumen zwischen Berelain und Faile befinden, aber sie postierte sich so, daß sie einander so ausdruckslos anstarren konnten, daß Perrins Haut kribbelte. Er hatte es für klug gehalten, Berelain zur Nachhut - und dadurch so weit von Faile entfernt wie möglich - zu beordern, aber diesem würde er jeden verdammten Abend gegenüberstehen. Verfluchter Rand!

Jetzt kam Neald durch das Wegetor, strich sich über seinen lächerlichen Schnurrbart und gebärdete sich vor allen, die ihn vielleicht beobachteten, wie ein eitler Pfau, während die Öffnung verschwand. Aber tatsächlich beobachtete ihn niemand, so daß er mit verstimmter Miene aufsaß.

Perrin saß auf Traber auf und ritt eine kleine Anhöhe hinauf. Wegen der Bäume konnten ihn nicht alle sehen, aber es genügte, daß sie ihn hören konnten. Bewegung kam in die Versammlung, als er sein Pferd verhielt, und die Menschen bemühten sich um bessere Sicht.

»Soweit aller Augen-und-Ohren in Cairhien bekannt ist«, sagte er laut, »wurde ich verbannt. Die Erste von Mayene befindet sich auf dem Weg nach Hause, und ihr anderen seid einfach verschwunden wie Nebel in der Sonne.«

Er war überrascht, als sie lachten. Der Ruf »Perrin Goldaugen« stieg auf, und das nicht nur von den Leuten aus den Zwei Flüssen. Er wartete darauf, daß es wieder ruhiger würde, aber es dauerte eine Weile. Faile lachte nicht und rief auch nicht, ebensowenig wie Berelain. Beide Frauen schüttelten den Kopf. Beide waren der Meinung, daß er nicht so viel offenbaren sollte, wie er beabsichtigte. Dann sahen sie einander an und erstarrten jäh. Es gefiel ihnen nicht, wenn sie einer Meinung waren. Perrin war nicht überrascht, als sich ihre Blicke mit gleichem Ausdruck ihm zuwandten. In den Zwei Flüssen gab es ein altes Sprichwort, obwohl es von den Umständen und der eigenen Person abhing, wie man es sagte und was man damit ausdrücken wollte. Es lautete: »Es ist stets der Fehler eines Mannes.« Etwas hatte er gelernt, das Frauen besser konnten als alles andere: einen Mann das Seufzen zu lehren.

»Einige von Euch fragen sich vielleicht, wo wir sind und was wir hier tun«, fuhr er fort, als schließlich wieder Ruhe eingekehrt war. Dieses Mal erfolgte schwächeres Gelächter. »Wir befinden uns in Ghealdan.« Ehrfürchtiges Murmeln und vielleicht Unglauben darüber, fünfzehnhundert Meilen oder mehr mit nur einem Schritt zurückgelegt zu haben. »Unsere erste Aufgabe wird darin bestehen, Königin Alliandre davon zu überzeugen, daß wir nicht hierhergekommen sind, um ihr. Land einzunehmen.« Berelain sollte mit Alliandre sprechen, und Faile würde deshalb mit ihm streiten. »Dann werden wir einen Burschen suchen, der sich der Prophet des Lord Drache nennt.« Das würde auch kein Vergnügen. Masema war schon unangenehm gewesen, bevor er überschnappte.

»Dieser Prophet hat einige Probleme verursacht, aber wir werden ihn wissen lassen, daß Rand al'Thor nicht will, daß ihm jemand aus Angst folgt, und wir werden ihn und all seine Leute, die zum Lord Drache zurückkehren wollen, mitnehmen.« Und wir werden Masema zu Tode erschrecken, damit er dem folgt, wenn es sein muß, dachte er sarkastisch.

Sie spendeten ihm Beifall. Sie brüllten und riefen, daß sie diesen Propheten für den Lord Drache nach Cairhien zurück schleifen würden, bis Perrin hoffte, daß dieser Fleck, auf dem sie sich befanden, noch weiter vom nächsten Dorf entfernt war, als er sein sollte. Selbst die Kutscher und Pferdepfleger fielen mit ein. Aber hauptsächlich betete Perrin, daß alles reibungslos und schnell vonstatten gehen würde. Je eher er soviel Entfernung wie möglich zwischen Berelain und sich selbst und Faile legen könnte, desto besser. Er wollte keine Überraschungen erleben, wenn sie gen Süden ritten. Es war an der Zeit daß sich sein Ta'veren einmal als nützlich erwies.

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