11. Mein Partner, mein Feind

Hallam Sperry öffnete mir persönlich.

Das war schon etwas anderes als die kleine Kabine, die ich auf dem Deck darunter bewohnte. Es war eine richtige Suite, und ich denke, so sollte es auch sein, schließlich war die Isle of Spain einer von einem Dutzend Tiefsee-Riesen der Sperry -Linie. An den Wänden befanden sich große Fotomurale, in Drucktanks flitzten winzige Fische herum und »blühten« die merkwürdigen Blumentiere der Tiefsee; getönte Troyon-Röhren wärmten die Räume und erzeugten die Illusion von Sonnenschein.

Hallam Sperry nahm meine Hand in einen stählernen Griff. Er war ein Riese von einem Mann, so groß wie mein Onkel gewesen war, aber dunkel, während mein Onkel Stewart blond war, schwarzbärtig im Gegensatz zum rötlichen Bart Onkel Stewarts. Seine Augen waren durchdringend und forschend, tiefblau und kalt wie die Seetiefen. Aber auf seinen Lippen lag ein Lächeln, und seine Worte waren mehr als nur höflich.

»Jim Eden«, sagte er, »ich weiß eine ganze Menge über Sie, junger Mann. Ich kannte Ihren Vater und seinen Bruder sehr gut. Schlimm, das mit Stewart, aber er war ja immer tollkühn. Von meinem Jungen hörte ich über Ihr Pech auf der Akademie.«

Er bot mir einen Stuhl an. Was konnte ich zu diesem Mann sagen? Daß mein »Pech« auf der Akademie die Tat seines Sohnes war? Daß der Kampf zwischen ihm und den Edens ein öffentlicher Skandal war?

Ich sagte nichts davon. Auf der Akademie hatten wir gelernt, erst zu sprechen, wenn man wußte, was man zu sagen hatte. Möglich war ja, daß Hallam Sperry nicht ganz so schwarz war, wie man ihn zeichnete, also war es nicht fair, ihn auf der Basis von Gerüchten und alten Erinnerungen anzugreifen.

Er bot mir ein Kristallglas an mit einer blaßgrünen, starken Flüssigkeit darin. Ich nippte nur daran, dann setzte ich das Glas ab; irgendein merkwürdiges Getränk aus den Tiefen.

,,Mein alter Freund, Stewart Eden«, sagte er. ,,Oh, wir hatten natürlich unsere Meinungsverschiedenheiten, aber bewundert habe ich Ihren Onkel immer. Großer Mann. Jammerschade, daß er so abtreten mußte.«

Es war egal, was ich zur Antwort gab, er rumpelte weiter mit seinem tiefen Baß. ,,Hab' viele Jahre mit ihm gearbeitet. Mit Ihrem Vater auch. Sie werden sicher schon manche Geschichte über unsere Kämpfe gehört haben. Egal, Junge. Er ist jetzt tot. Und unsere Meinungsverschiedenheiten sind es auch. Frage: Was jetzt?«

»Verzeihung?« bat ich.

»Was jetzt für Sie«, knurrte er fast ungeduldig. »Was Sie tun wollen. Sie reisen nach Thetis. Warum?«

»Ich bin der Erbe meines Onkels, Mr. Sperry«, erwiderte ich steif. »Er hat mir alle seine Beteiligungen hinterlassen.«

»Beteiligungen!« schniefte Sperry. »Quatsch. Eine bankrotte Firma. Ein gesunkenes Schiff. Ich weiß, was diese Beteiligungen waren . . . Sie können es ja gleich wissen. Ihr Onkel hat mir Geld geschuldet. Ziemlich viel. Mehr als der Wert seines Besitzes sein kann, Junge.«

Ich rutschte unbehaglich herum. »Davon weiß ich nichts. Mr. Faulkner, Onkel Stewarts Anwalt, hat davon auch gar nichts erwähnt.«

»Natürlich nicht. Faulkner wußte es ja auch nicht.

Gentlemen's Agreement zwischen Ihrem Onkel und mir. Ich lieh ihm Geld. Ohne etwas Schriftliches. Frage: Wollen Sie das honorieren?«

Ich wollte etwas sagen, doch er redete schon weiter. »Kann im Moment zurückgestellt werden. Geschäfte haben später auch noch Zeit. Erst erzählen Sie mir was über sich selbst.« Ehe ich noch reden konnte, lachte er mich breit an. »Und trinken Sie Ihr Glas leer, Junge. Das ist ein Befehl.«

Allmählich wurde mir der Mann sympathischer. Er hatte Charme und eine harte Strenge, und die Mischung gefiel mir. Vielleicht sagte er die Wahrheit. Vielleicht waren seine bitteren Kämpfe mit meinem Vater und Onkel Stewart rein geschäftliche Auseinandersetzungen zwischen starken Männern, die miteinander rivalisierten.

Ich erzählte ihm von der Akademie und meinen Beziehungen zu seinem Sohn, Brand Sperry, von dem Ärger in Italien und meinem erzwungenen Ausscheiden. Er hörte sehr aufmerksam zu. Sogar von den Radiogrammen Faulkners erzählte ich ihm und von meinen Antworten, auch von dem Mann mit dem roten Hut und dem kleinen Grauen, der mit Lethine den Steward ermordet hatte, obwohl ich gemeint war.

Wie unvorsichtig ich doch war ...

Hallam Sperry gehörte das Schiff und alles darinnen; sicher würde er sowieso alles wissen, was darin vorging. Und ich entdeckte, daß er noch sehr viel mehr wußte.

Als ich meine Geschichte beendet hatte, nippte er an seinem See-Brandy. »Junge, das war viel Pech. Frage: Was tun Sie jetzt?«

Ich schüttelte den Kopf. »Das weiß ich noch nicht genau, Sir. Erst gehe ich jetzt nach Thetis. Dann schaue ich mich um und sehe, was sich tun läßt. Über Marinia weiß ich tatsächlich noch nicht viel.«

Er lachte rumpelnd. »Hätte nie geglaubt, daß ein Eden dies zugibt! Junge, Eden Dome ist nach Ihrer Familie benannt!«

»Das weiß ich, Sir«, erwiderte ich steif. »Aber ich war ja doch noch nicht hier. Ich weiß nicht einmal, was mein Onkel in den letzten Jahren getan hat.«

Er sah mich erstaunt an. »Oh, das kann ich Ihnen schon sagen. Ich weiß alles, was in Marinia vorgeht. Besonders über Ihren Onkel Stewart wußte ich Bescheid, Junge . . . Erstens, dieser Platinplan in den Mountains of Darkness. Hat ein Jahr daran gearbeitet, aber die Ader lief aus. Dann Petroleum. Sah erst recht gut aus, aber Ihr Onkel hat das Vorkommen verkauft, weil er für etwas Geld brauchte. Und wofür? Für die Marine Mines Ltd. Jeden Nickel, auf den er die Hand legen konnte, hat er da hineingesteckt. Stewart war von jeher ein Wagehals, wissen Sie.«

»Das sagten Sie mir schon«, antwortete ich.

»Aber jetzt zurück zur Hauptfrage. In den letzten paar Jahren hab' ich Ihren Onkel besonders genau beobachtet. Schuldet mir Geld, mehr als eine halbe Million Dollar. Was wollen Sie da unternehmen?«

»Das weiß ich nicht, Sir«, gab ich kleinlaut zu. »Von Ihnen höre ich zum erstenmal davon. Ich muß erst mit Mr. Faulkner darüber sprechen.«

Zum erstenmal war sein Gesicht nun irgendwie ruhig, eigentlich seltsam; aber jetzt grinsten mich seine Augen an, und das fand ich alarmierend. »Lassen Sie sich Zeit, Junge«, riet er mir, läutete nach einem Steward und bestellte Kaffee.

»Zeit zum Schafengehen«, bemerkte er. »In ein paar Minuten lasse ich Sie schon gehen. Wollen Sie sonst noch etwas wissen, Junge?«

»Nein, ich glaube nicht, Sir«, erwiderte ich. »Aber vielleicht fällt mir noch etwas ein, das ich wissen müßte.«

Er zuckte die breiten Schultern. »Habe ich Ihnen schon etwas über Marine Mines erzählt?« wollte er wissen.

»Nun, ich weiß eine Kleinigkeit darüber. Von Mr. Faulkner.«

»Wahrscheinlich sehr wenig. Ist auch nicht viel zu erzählen. Typisches Dickkopfmodell Ihres Onkels. Die Eden-Deeps ausbeuten! Er konnte doch dem Boden nicht auf tausend Faden nahekommen, nicht einmal mit seinem eigenen Edenit. Das habe ich ihm zu sagen versucht, aber genützt hat's nichts. Er wollte keine Vernunft annehmen.«

»Das haben die Mathematiker gesagt«, erklärte ich so beißend wie nur möglich. »Als Onkel Stewart nämlich zum erstenmal seinen Edenitprozeß erklärte, behaupteten die Wissenschaftler sofort, das sei unmöglich. Mit Tatsachen und Zahlen wiesen sie nach, wie lächerlich es sei. Aber als Onkel Stewart die erste Edenbeschichtung praktisch einsetzte, redeten die Mathematiker schnell von ganz anderen Dingen.«

Sperry grinste. »Gut gesagt, Junge«, gab er zu. »Ich glaube, so etwa dachte ich auch. Er ließ sich jedenfalls nicht davon abbringen, öffnete in Seven Dome ein Büro, direkt neben den Tiefen. Er hatte einen Mann namens Westervelt oder so bei sich. Ich weiß nicht, wo er jetzt ist. Als Ihr Onkel starb, verschwand er. Ich hörte zuletzt, er verstecke sich in Kelly's Kingdom, weil er Schwierigkeiten mit dem Gesetz hatte. Mehr weiß ich nicht. Und die Marine Mines haben nie etwas erreicht. Ist nur eine Papierfirma. Mit Papiervermögen.«

Ich versuchte mein Temperament im Zaum zu halten. »Dieses Vermögen war aber für jemanden hundertsech-zigtausend Dollar wert, Papier oder nicht Papier.«

»Für wen?«

»Das weiß ich nicht«, mußte ich zugeben. »Ein Klient Faulkners.«

»Natürlich können Sie's nicht wissen, aber ich sag's Ihnen, wenn Sie's wissen wollen. Ich war's, der die hundertsechzigtausend angeboten hat, aber Sie wollten nicht. Vielleicht haben Sie mir damit sogar einen Gefallen getan. Ist's sowieso nicht wert.«

Ich starrte ihn an. »Warum . . . wie ...«

Er stand auf und lachte schallend. »Junge, Junge, Sie sind für Marinia noch etwas zu feucht hinter den Ohren. Keine Beleidigung beabsichtigt. Ich sag' Ihnen auch den Grund: Sie haben nämlich in den Mines einen Partner.«

»Nun, natürlich. Aber . . .«

»Nichts aber. Der Partner bin ich. Mir gehören zwanzig Prozent des Firmenkapitals. Den Rest sollte ich aus Profiten bekommen. Welche Profite? Wurden ja nie Profite gemacht. Aber ich konnte mir das Spiel leisten, also ging ich drauf ein. Ich habe verloren. Wenn ich aber Alleinbesitzer der Mines bin, vielleicht kann ich dann etwas damit anfangen. Ich habe in Marinia ein bißchen Einfluß, wissen Sie. Ich könnte mir den Claim vielleicht um ein paar Jahre verlängern lassen. Vielleicht kommt doch noch was dabei 'raus. Ein Spiel bleibt es trotzdem und nicht einmal sehr aussichtsreich für mich, weil ich ja nur eine Minorität habe. Verstehen Sie?«

Nein, ich verstand nichts. Aber ich war zu jung und zu stur, als daß ich das hätte zugeben können. »Ich werde lieber erst mit Mr. Faulkner sprechen, Sir. Ich bezweifle nichts von dem, was Sie sagen, Sir, aber .. .«

»Aber, aber . . .«, spöttelte er. Noch immer lachte er so kalt wie vorher. Aber nun veränderte sich abrupt seine Stimmung. Er setzte die Kaffeetasse so hart auf den Tisch, daß sie klirrte. »Nun ist's aber genug«, knurrte er. »Zeit fürs Bett. Gehen Sie in Ihre Kabine, Junge. Und schlafen Sie.«

Er läutete nach dem Steward, rieb sich die Augen und öffnete mir die Tür. »Schlafen Sie drüber, Junge«, sagte er. »Wollen Sie die Schulden Ihres Onkels bezahlen oder soviel Sie können? Nehmen Sie mein Angebot für die Anteile an, dann vergesse ich den Rest. Oder nicht? Zwingen kann ich Sie selbstverständlich nicht. Es ist ja ein Getlemen's Agreement. Aber entscheiden Sie sich.«

Ohne jede Eile stapfte er zur Tür, die in den Nebenraum führte. Der Steward verbeugte sich höflich und schloß mir die äußere Tür vor der Nase zu.

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