20. Duell in den Tiefen

Der Lichtpunkt in der Mitte des Mikrosonarschirms war unser eigener Wagen, aber der Verfolger war nun so nahe, daß sich die beiden Punkte fast berührten.

Diese Subs sind bewaffnet; aber bei der Geschwindigkeit, mit der wir uns bewegten, sind Waffen nutzlos. Sie haben Torpedos und Seeraketen und Minen, aber nichts davon ist schneller als ein mit voller Geschwindigkeit dahinrasender Seewagen, besonders in diesen Tiefen. Und wir waren einander so nahe, daß eine Explosion, die uns vernichtete, auch Hallam Sperrys Wagen zerstört hätte. Allein die Druckwellen hätten schon den Rumpf beider Fahrzeuge eingedrückt.

Wir mußten also nur fürchten, gerammt zu werden, und das konnte jetzt jeden Moment geschehen.

Mein Onkel Stewart hatte sich nun so erholt, als habe er einen Monat der Ruhe unter Troyon-Lampen verbracht; er war an den Instrumenten. Den Seewagen hatte er gebaut, und er konnte den letzten Knoten herausholen. Einen Vorsprung vor Sperry schaffte er jedoch nicht. Jede Minute kam er eine Spur näher, jede Sekunde mußten wir nun mit dem Rammstoß rechnen, der die Platten unseres Rumpfes bersten ließe und uns in die Tiefe und in den Schlamm schickte.

Wir waren schon zu tief, und von Sicherheit konnte keine Rede mehr sein. Gideon und Bob Eskow versuchten eine Leckstelle nach der anderen abzudichten, aber die Dichtung wurde vom Wasserdruck noch schneller herausgedrückt wie sie hineingetrieben wurde. Wir waren jetzt fünfzehnhundert Faden tief, also unterhalb der Sicherheitszone eines normalen Seewagens und zweimal so tief, wie es unser hinkendes leckendes Schiffchen eigentlich zuließ.

An Flucht war nicht zu denken. Wir konnten nicht einmal kämpfen. Nur rennen konnten wir. Und auch das war hoffnungslos.

»Verdammt noch mal!« röhrte mein Onkel Stewart. »Gideon und Bob — verzeiht mir, daß ich euch in diese Lage brachte. Bei dir, Jim, brauche ich mich nicht zu entschuldigen. Wir sind vom gleichen Blut. Aber dein Kampf ist's nicht. Bob, auch nicht deiner, Gideon.«

Gideon grinste breit. »Jetzt schon, Captain«, sagte er. »Und der von Bob Eskow auch. Was, Bob? Ich bezweifle, daß Hallam Sperry uns am Leben ließe, selbst wenn wir uns ihm ergäben.«

Stewart Eden schlug auf den Tiefenkompaß, so daß sich die Nadel wie irre drehte. »Das wollte ich nur wissen. Na, schön, meine Jungen! Einer für alle — alle für einen, was? Ich kann euch keine Hoffnung machen, aber ich werde mit uns ein paar von den Sperrys ertränken. Auf die Stationen!«

Schon standen wir auf unseren Posten — eine wohl überflüssige Geste bei dem, was wir vor uns hatten. Aber für Bob und mich war dies selbstverständlich, der Drill von der Akademie wirkte nach. Und Gideon hatte so viele Jahre unter der See verbracht, daß er automatisch dem Befehl gehorchte.

Onkel Stewart wendete den Wagen so plötzlich, daß er einen Satz tat. Er stellte sich also zum Kampf. Sollten sie's haben, wenn sie gerammt werden wollten! Und keinen sanften Stoß von hinten, sondern mit voller Kraft von vorne, und wenn wir dabei in die Tiefe geschickt wurden — nun, die anderen kamen auch nicht ungeschoren davon.

Unsere Verfolger schwangen weg, nach außerhalb unseres Wendekreises und in die andere Richtung. Auf einer graphischen Darstellung hätte der Kurs der beiden Wagen ausgesehen wie ein Blütenblatt mit einem Schwung von zweihundertsiebzig Grad. Am Ende der Wendung rasten wir beide aufeinander los, und das bedeutete für uns beide die völlige Vernichtung.

Sie wichen aus. Stewart hatte dies vorausgesehen, und er hatte das kaum sichtbare Zucken auf dem Schirm bemerkt, als Hallam Sperrys Hand für einen Sekundenbruchteil unentschlossen über den Instrumenten hing, weil er die Vernichtung beider Wagen — vor allem des seinen natürlich — vermeiden wollte. Onkel Stewart schwang das Ruder herum, aber unsere Maschinen ermüdeten schon, während das andere Schiff für eine endlose Unterseekreuzfahrt ausgerüstet war.

Aber dann rasten wir wieder in gerader Linie durch die Tiefen, nur waren diesmal die Rollen vertauscht: Wir waren die Verfolger, die anderen das gehetzte Wild. Sie rannten mit der ganzen Kraft ihrer Maschinen.

Stewart Eden hatte wieder sein Kampflächeln aufgesetzt. »Es ist's wert, Junge, auf diese Art zu enden«, sagte er mit dem leisen Lachen in seiner Stimme, »es ist's wert, einen Hallam Sperry davonlaufen zu sehen. Ah! Fast könnte ich ihm dieses Augenblicks wegen verzeihen.«

»Aber so können wir ihn doch nicht rammen«, wandte ich ein. »Wir haben nicht genug Tempo drauf; ihm würde nichts passieren, aber unsere Platten würden zweifellos nachgeben.«

»Da hab' ich noch einen Trick oder auch zwei auf Lager, Junge. Beobachte seinen Kurs, Junge. Er rennt wie ein aufgescheuchter Hase. Wenn er nur zwei Knoten an uns verliert, wenn er nur einen Gradbruchteil vom Kurs abkommt— ich nagle ihn schon fest, vertrau mir nur!«

Es stimmte. Der Kurs von Hallam Sperrys Schiff war alles andere als pfeilgerade. Er schoß hier- und dorthin, auf und ab; das war keine Ausweichtaktik, wie wir sie in der Akademie gelernt hatten, sondern es konnte nur pure Unentschlossenheit sein, als breche jemand, der die Instrumente bediene, allmählich unter der Anstrengung zusammen; als habe er Angst, das Falsche zu tun, um es um so sicherer zu tun!

Dann kam der Moment. Der fliehende Seewagen bog zwei Punkte nach Steuerbord aus, zögerte, kehrte zurück, bog wieder aus. An Tempo verlor er dabei nicht viel, aber das genügte. Mein Onkel ließ seine Faust niedersausen auf den Notschalter, und sofort war es stockdunkel um uns. Alle Lichter waren aus, die Ballastpumpen hielten an. Die Luftzirkulatoren rührten sich nicht mehr, die Heizschlangen erkalteten, sogar die Instrumen-tenlichter gingen aus.

Und jedes Watt gesparter Energie ging in die summenden Maschinen. Zwei Knoten machten wir mehr, und Stewart navigierte blind. Aber wir stürmten voran.

Dann kam der Aufprall.

Von vorne hörten wir einen kreischenden Krach. Unsere Bugplatten hatten sich an den Schrauben des anderen verhängt. Unser Wagen bäumte sich auf, dann war er frei.

Stewart stellte mit einer einzigen Handbewegung alle Verbindungen wieder her, alle Stromkreise arbeiteten wieder, und er spähte auf den Mikrosonarschirm.

»Schau mal, wie die rollen«, rief er.

Das taten sie auch. Die Spur auf dem Schirm zeigte Sperrys Schiff, das in irren Spiralen herumtorkelte. Wir hatten eine der Schrauben zerschlagen, vielleicht sogar die Tauchvorrichtung im Heck demoliert. Tödlich war dieser Schaden vermutlich noch nicht, doch das Schiff war mindestens vorübergehend außer Kontrolle.

Unser eigenes Schiff sah auch nicht gut aus, das entdeckten wir, als alle Lichter wieder brannten. Vorher waren es nur winzige Springbrunnen gewesen, aber jetzt röhrte ein Strom am vorderen Schanzkleid. Gideon lief, um den Schaden zu besehen.

»Sieht schlimm aus«, meldete er ernst. »Wenn wir jetzt gleich aufsteigen könnten, wäre es vielleicht zu machen, daß wir nach Hause hinken.«

Stewart Eden schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Gideon«, flüsterte er, »schau dir mal den Mikrosonar-Schirm an.«

Wir alle schauten, und sofort wußten wir: Dies war das Ende. Die irre Spirale des Sperry-Schiffes hatte sich wieder gestreckt. Sie lagen jetzt auf unserem Kurs, etwa eine Viertelmeile unter uns und ziemlich weit westlich, doch sie näherten sich mit voller Geschwindigkeit. Der Schaden, den wir ihnen zugefügt hatten, mußte sich auf das Tempo nicht auswirken.

Und wir nahmen Wasser auf. Oben hätten wir pumpen und treiben können, doch in der Tiefe waren wir zum Untergang verdammt auch dann, wenn sie uns nicht rammten. Sie konnten es aber leicht tun. Mit dem zusätzlichen Wassergewicht war unser Schiffchen recht langsam und schwerfällig.

Sie rammten uns nicht.

Während wir den Schirm beobachteten, kam der andere Wagen auf unsere Höhe und zog, wie früher die alten Flugzeuge, eine Schleife; es stieg und ging dann hinab, schoß mit Volltempo in die Tiefen, immer weiter, immer weiter, bis der Lichtpunkt vom Mikrosonar-Schirm verschwand.

»Was in aller Welt...«, begann Bob Eskow. Wir wußten es nicht.

»Vielleicht haben wir ihnen doch einen größeren Schaden zugefügt als wir dachten«, meinte ich, doch mein Onkel schüt-telte den Kopf.

»Nein . . . Aber . . .«

Erklären konnten wir es uns nicht, was sie taten, und wir konnten kaum glauben, was wir sahen.

Ich ahne vielleicht, was im Seewagen vorgegangen war. Ich erinnerte mich an Brand Sperry am ersten Tag in der Akademie. Er war streng und martialisch, aber kein Verbrecher. Als er herausfand, daß sein Vater all dies tat, was ihn zu hassen gelehrt wurde, als er erfuhr, daß die Herrschaft seiner Familie über Marinia Blut, Terror und Bestechung bedeutete, da, glaube ich, hat er eine Grenze gesehen und ernsthaft erklärt: »Nein! So nicht!« Ich denke, als der Wagen in diesen Spiralen floh, da war es nicht der Kampf eines Rudergängers mit seinem Instrument, sondern eher einer zwischen Vater und Sohn, schweigend und tödlich in den tiefen Wassern des Pazifiks, und es ging um das Kommando. Ich denke, als der Wagen wieder ausgerichtet war, dann stieg und fiel, da hatte der Sohn gewonnen — und gleichzeitig verloren.

Auf dem Schirm torkelte ein Lichtpunkt herum. »Da sind sie!« rief Bob Eskow. »Sie kommen zurück!«

Aber mein Onkel Stewart war erfahrener als Bob. Er schüttelte den Kopf. Ohne jede Hast setzte er den Seewagen auf einen Kurs, der sanft und langsam nach oben wies. Er sparte damit Energie, die den schwer arbeitenden Pumpen zugute kam.

»Der Seewagen?« fragte er. »Nein, das nicht, Bob. Schau mal ganz genau auf den Schirm.«

Wir schauten alle. Es war kein Seewagen, diese formlose Masse. Es sah aus wie eine Luftblase, die wabbelnd zur Oberfläche trieb.

Eine Luftblase. Nichts kam von dem zerstörten Schiff an die Oberfläche als nur eine Luftblase. Nichts sonst kündete den Tod von Vater und Sohn.

Wir stiegen auf zur Oberfläche und setzten Kurs auf Fisher-man's Island, wo wir zur Rückkehr nach Thetis abgeholt werden konnten.

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