KAPITEL EINS. Gegenstände aus vergangenen Epochen

»Was weißt du über das Voynich-Manuskript?«

Diese Frage hatte Marcus Brody ihm so ganz nebenbei gestellt, während er gerade damit beschäftigt war, Sahne und Zucker in seinen Kaffee zu rühren, aber Indiana Jones hörte diesen bestimmten Tonfall nicht zum ersten Mal. Auch das Funkeln in den Augen seines alten Freundes war ihm nicht fremd.

»Nicht viel«, bekannte Indy, faltete die Morgenausgabe der New York Times zusammen und legte die Zeitung weg. Sie saßen draußen vor dem Tiger Coffee House, auf dem Bürgersteig Ecke Nassau und Witherspoon, an einem Tischchen, direkt gegenüber dem Campus der Princeton University.

Es regnete.

»Soweit ich mich erinnere, wurde das Manuskript für eine Ausstellung seltener Bücher an Yale ausgeliehen«, begann Indy und trank dann einen Schluck heißen schwarzen Kaffee. »Es ist mindestens vierhundert Jahre alt, wurde in einer unbekannten Sprache von dem Alchemisten Roger Bacon geschrieben und birgt allem Anschein nach das Geheimnis des Steins der Weisen - der laut Überlieferung die

Macht besitzt, Blei in Gold zu verwandeln, und Unsterblichkeit verleiht. Die Entdeckung des Manuskripts hat vor ein paar Jahren international Aufsehen erregt; damals war ich noch Student. Ich meine mich zu entsinnen, daß man es als das >geheimnisvollste Manuskript der Welt< bezeichnete, aber alle Versuche, es zu entschlüsseln, sind fehlgeschlagen.«

»Da hast du verdammt recht«, sagte Brody und gönnte sich ein leises Lächeln. »Ich habe einmal einen Blick darauf geworfen, mehr aus Neugier als aus wissenschaftlichem Interesse, aber ich konnte mir natürlich auch keinen Reim darauf machen. Ich glaube nicht, daß jemand anderer dazu in der Lage sein dürfte, jedenfalls nicht ohne den passenden Lösungsschlüssel.«

»Warum fragst du?«

»Es wurde gestohlen.«

»In den Zeitungen hat nichts darüber gestanden.«

»Nein, und ich rechne auch nicht damit, daß das noch passieren wird«, entgegnete Brody. »Ich habe erst vor ein paar Tagen von dem Diebstahl erfahren, als ein paar überaus seriös wirkende Beamte mir einen Besuch im Museum abstatteten. Und sie haben mir eine Menge Fragen über dich gestellt.«

»Über mich?«

»Ja«, sagte Brody. »Die Universität hat ihnen gesagt, daß du dich im Auftrag des Museums auf einer Expedition befindest, und sie wollten von mir erfahren, wie man mit dir in Verbindung treten kann. Natürlich war ich ihnen nicht von großer Hilfe, zumal die Mayas sich geweigert haben, so etwas Nützliches wie eine Telefonleitung in ihren Ruinen zu installieren. Und außerdem wußte ich nicht, wann du zurückkehren würdest.«

Seit zwei Jahren, also seit genau dem Zeitpunkt, als Bro-dy zum Direktor für Besondere Anschaffungen am American Museum of Natural History in New York ernannt worden war, finanzierte diese Institution stillschweigend Indys >Forschung<. Das Arrangement hatte die Sammlung des Museums beträchtlich vergrößert, während Indy freigestellt war, an jeden Ort der Welt zu reisen, wie und wann es ihm gefiel. Diesen Luxus konnte er während der Depression mit dem Gehalt eines Universitätsprofessors nicht aus eigener Tasche finanzieren.

Abwesend machte Indy sich an der Krawatte zu schaffen, die über den Kragen seiner Strickjacke gerutscht war, und stierte in den dichten Regen, der über der Nassau Street herab ging. An der Ecke stand eine alte Frau mit naß an den Kopf geklatschtem Haar. Auf der Ladefläche eines Holzkarrens verkaufte sie Äpfel. Auf einmal fühlte Indy sich unwohl in seiner Haut. Ein Anflug von schlechtem Gewissen überkam ihn, weil er hier unter dem schützenden Dach saß, Kaffee trank und Brodys Freundschaft genoß.

»Noch etwas Kaffee, Dr. Jones?«

»Wie bitte?«

»Sir, hätten Sie gern noch etwas Kaffee nachgeschenkt?« fragte der Kellner.

»Entschuldigen Sie, ich war gerade in Gedanken versunken«, verriet Indy ihm. »Nein, danke. Ich muß gleich zum Unterricht.«

Brody hielt abwehrend die Hand hoch, woraufhin der Kellner sich höflich verzog.

»Du sagtest, deine Besucher arbeiten für die Regierung?« hakte Indy nach. »Da muß ich mich doch fragen, warum sich das FBI des Diebstahls eines so ungewöhnli-chen Gegenstandes annimmt? Also, wer könnte überhaupt Interesse daran haben, dieses Manuskript zu stehlen?«

»Mein erster Gedanke galt einem privaten Sammler«, meinte Brody. »Genau aus diesem Grund möchten sie sich wahrscheinlich mit dir unterhalten. Sie gehen vielleicht davon aus, daß du sie mit entsprechenden Hinweisen versorgen kannst.«

»Das ist doch eher dein Steckenpferd als meins.«

»Vielleicht wollen sie auch, daß du ihnen bei der Wiederbeschaffung behilflich bist«, wandte er ein, und damit kehrte das Funkeln in seinen Augen zurück. »Falls jemand dazu in der Lage ist, dann bist du das.«

»Kein Interesse«, sagte Indy. »Ich muß mich dringend ausruhen.»

Aus seiner ledernen Aktentasche zog Indy einen Stapel handbeschriebener Blätter. »Hier ist der Bericht über die Cozan-Expedition«, sagte er. Am Morgen hatte Indy Brody schon kurz über den Verlust des Kristallschädels informiert und dabei sorgsam darauf geachtet, kein Wort über den Fluch zu verlieren, der laut Bernabe von dem Gegenstand ausging. »Es tut mir aufrichtig leid, daß die Angelegenheit keinen günstigeren Verlauf genommen hat. Ich weiß nicht mal, wer diese Kerle im Flugzeug waren. Und ich fühle mich beschissen, weil ich das Geld des Museums verpraßt habe und mit leeren Händen zurückgekommen bin.«

Mit einer Handbewegung tat Brody die Entschuldigung ab.

»Die Archäologie ist keine exakte Wissenschaft«, erinnerte er Indy vorsichtig. »Jedes Vordringen in das Unbekannte beinhaltet ein gewisses Risiko. Die Funde, die du für uns bisher gemacht hast, wiegen einen kleinen Rückschlag wie diesen lange auf, und falls ich enttäuscht wirken sollte, dann nur, weil du niedergeschlagen wirkst.«

Indy schüttelte den Kopf.

»Manchmal frage ich mich, ob dieses Sammeln toter Gegenstände aus vergangenen Epochen überhaupt einen Sinn macht«, zweifelte Indy laut. »Auf der Welt leiden so viele Menschen Hunger. Ich bezweifle, daß dieser Frau dort drüben, die Äpfel verkauft, etwas daran liegt, was vor tausend Jahren - oder gestern - passiert ist.«

»Wann immer du philosophisch wirst, fange ich an, mir Sorgen um dich zu machen«, sagte Brody. »Jeder von uns hat seine Rolle zu spielen. Es ist wahr, daß viele von uns im Augenblick zu sehr damit beschäftigt sind, ihre Mägen zu füllen. Aber du, mein Junge - die Rolle, die du mit den toten Gegenständen aus vergangenen Epochen spielst, hilft uns, unsere Seelen zu nähren. Und wer weiß? Möglicherweise stößt du eines Tages auf ein altes Geheimnis, das uns sogar hilft, unsere Mägen vollzukriegen.«

Marcus beugte sich vor.

»Je mehr wir über die Vergangenheit lernen, Indy, desto geringer die Chance, daß wir die gleichen Fehler noch mal machen.«

Der Regen ließ nach. Nur noch selten fiel ein dicker Tropfen in die Pfützen auf der Straße. Indy streckte die Hand aus und fing ein paar Tropfen auf, die vom Rand der grünweiß-gestreiften Markise rannen. Einen Augenblick hielt er das Regenwasser in der Hand, schloß sie dann und ließ es durch die Finger laufen.

»Was ist nur in dich gefahren, Indy?« fragte Marcus. »Bisher habe ich dich noch nie so niedergeschlagen gesehen. Soll ich dir die Liste deiner Verdienste vortragen?«

»Nein, Marcus«, sagte er. »Ich bin in Ordnung, ehrlich.«

»Hat sich auf deiner Expedition etwas zugetragen, von dem du mir nichts erzählt hast?« fragte Marcus nach. »Eine Angelegenheit des Herzens? Du bist einem wunderschönen Indio-Mädchen begegnet, das -«

»Nichts in der Art«, sagte Indy. Seine Miene klärte sich auf. »Die einzige Frau, der ich auf meiner Reise begegnet bin, war aus Quarz und ein paar hundert Jahre zu alt für mich.« Er trank seinen Kaffee aus und blickte zum Himmel auf. »Es war schön, dich zu sehen, Marcus, aber jetzt muß ich mich schleunigst auf den Weg machen.«

»Der Kaffee geht auf meine Rechnung«, meinte Brody.

»Danke«, erwiderte Indy. »Für alles.«

»Überleg dir doch, nach New York zu kommen, zur Eröffnung der neuen Ausstellung über Zentralamerika«, bat Brody ihn. »Würde dir guttun. Es gibt eine Menge zu sehen, und wie du weißt, bist du für die besten Stücke verantwortlich. Darüber hinaus wäre es eine gute Gelegenheit, dich dem Explorers' Club vorzustellen.«

»Nein, danke. Ich habe meine Koffer noch nicht mal ausgepackt. Ich bin gerade aus dem Dschungel zurück, und es drängt mich nicht, mich in den nächsten zu stürzen.«

Indy setzte den Hut auf und klemmte die Aktentasche unter den Arm. Die beiden Männer gaben sich die Hand.

»Ich werde mich melden«, versprach Brody. Nachdem Indy das Cafe verlassen hatte, sagte Brody zu sich selbst: »Mein Junge, ich hoffe, sie ist es wert gewesen.«

An der Ecke blieb Indy stehen, um einen Apfel zu kaufen, den er mit einem Dollarschein bezahlte. Als die Frau sich beschwerte, daß sie nicht über die fünfundneunzig Cents verfüge, die sie ihm rausgeben mußte, bat er sie, das Geld zu behalten und sich davon eine warme Mahlzeit zu kaufen.

Den Apfel verstaute er in der Aktentasche. Ein nagelneuer V-8 Ford fuhr an ihm vorbei. Die Reifen sangen auf dem nassen Asphalt. Der Wagen war schwarz, und die beiden Männer auf den Vordersitzen trugen schwarze Anzüge und Krawatten. Ein dritter Mann - er saß auf der Rückbank -hatte eine Uniform an. Das Nummernschild an der hinteren Stoßstange verriet Indy, daß das Fahrzeug Regierungseigentum war.

Indy ging zum Fitz Randolph Gateway hinüber. Weil das schmiedeeiserne Tor nur zu besonderen Gelegenheiten aufgeschlossen wurde, quetschte Indy sich durch einen schmaleren Eingang nebenan, der normalerweise von Studenten genutzt wurde. Gerade als er den Campus zur Hälfte durchquert hatte und an der großen Kanone vorbeikam, die aus dem Bürgerkrieg stammte, donnerte es am grauen Himmel, und es begann erneut aus allen Wolken zu schütten. Bis auf die Knochen durchnäßt erreichte er die McCormick Hall.

»Wieder völlig naß, hm, Jones?«

»Gruber«, sagte Indy.

Harold Gruber- ein pfeiferauchender Wissenschaftler, der sich aufs Mittelalter spezialisiert hatte und eine Leidenschaft für Macchiavelli pflegte - vertrat gerade den Leiter der Abteilung für Kunst und Architektur an der Princeton University.

Gruber nahm die Meerschaumpfeife aus dem Mund.

»Hören Sie, Jones«, sagte er und zeigte mit dem Pfeifenstiel auf Indy. »Sie sollten sich besser einen Regenschirm zulegen. Es gibt keine Entschuldigung dafür, unvorbereitet zu sein.«

»Danke, Harry«, sagte Indy.

»Harold«, sagte Gruber.

Auf dem Weg nach oben quietschten Indys Schuhe auf den Treppenstufen. Gruber und seine schwelende Pfeife folgten ihm.

»Ich bin sehr froh, daß ich Ihnen über den Weg gelaufen bin«, murmelte Gruber. Die Pfeife hing wieder im Mundwinkel. »Es sind Fragen aufgetaucht, wissen Sie, und als stellvertretender Leiter halte ich es für meine Pflicht, eben diesen Fragen nachzugehen.«

»Fragen?« rief Indy über seine Schulter.

»Ähm, ja«, sagte Gruber. Sie hatten mittlerweile das obere Stockwerk erreicht, und Indys Schuhe hinterließen feuchte Abdrücke auf dem Boden, als er auf sein Büro am Ende des Flurs zuhielt. »Bei uns ist eine Beschwerde vom Britischen Konsulat eingegangen hinsichtlich Ihrer Aktiv i-täten in Britisch Honduras. Wie es scheint, haben sie den Eindruck gewonnen, daß Sie gegen ihr Antiquitätengesetz verstoßen haben, indem Sie quasi durch die Hintertür, in diesem Fall über Guatemala, bestimmte Orte besucht haben.«

»Hintertür?« fragte Indy.

Er schloß die Tür mit der Kennzeichnung 404 E auf und trat ein. Um einen Stapel Nachrichten aufzuheben, die sich hinter der Tür angesammelt hatten, mußte er sich bücken.

»Nun?« fragte Gruber.

Eine zornige Rauchsäule stieg aus seiner Meerschaumpfeife auf. Die Tabakmischung roch wie altes, feuchtes Stroh und brannte Indy in den Augen.

»An Hintertüren kann ich mich nicht erinnern.« Indy stand auf und blätterte beim Sprechen die Nachrichten durch. »Aber ich hatte schon immer Probleme, Karten zu lesen. Ich werde meinem guatemaltekischen Führer schreiben und ihn fragen, wo genau wir gewesen sind. Es wird selbstverständlich ein paar Wochen dauern, bis wir Antwort erhalten, Harry

Damit machte er die Tür zu und schloß sie ab.

»Harold«, rief Gruber von der anderen Seite. »Ich ziehe Harold vor.«

Indy hängte seinen tropfenden Hut und Mantel an einen Kleiderständer aus Holz, der in der Ecke seines winzigen Büros untergebracht war. Die Aktentasche landete auf dem Tisch. Das Büro war seit Beginn der Osterferien verschlossen gewesen und roch nun wie ein Sarkophag. Indy entriegelte das Fenster und schob es ein paar Zentimeter hoch.

Der durchs Fenster dringende Wind verschob die Papiere auf dem Schreibtisch. Indy setzte sich auf den Drehstuhl, entledigte sich seiner Schuhe und drapierte sie mit der Oberseite nach unten auf den zischenden Dampfheizkörper unter dem Fenster.

Sein Büro war vollgestopft mit Büchern, Fachzeitschriften und einem ungewöhnlichen Durcheinander von Artefakten. Ein menschlicher Schädel aus dem Tempel von Angkor Wat grinste vom obersten Brett eines überfüllten Regals auf ihn hinab. Ein Gipsabdruck der irn griechischen Rosetta gefundenen Tafel nahm eine Ecke hinter seinem Schreibtisch ein, während ein grimmig dreinblickender Holzfetisch aus Polynesien in der anderen Ecke Wache hielt. Überall standen Schachteln mit Bogen und Pfeilspitzen, mit Tonscherben und den unterschiedlichsten Fossilien herum. Auf dem Schreibtisch waren ein Telefon, ein Tintenfaß, ein Stapel unbenoteter Hausarbeiten und eine Zeremonienschale aus dem Grab eines ägyptischen Königs zu finden.

Indy setzte seine Lesebrille auf, öffnete die Aktentasche und begann nach den Notizen für die Morgenvorlesung zu

kramen. Da er sie dort nicht fand, suchte er in der Schreibtischschublade weiter. Gerade als er die unterste Schublade durchforstete, klopfte jemand an seine Bürotür.

»Verschwinden Sie, Harold«, rief er.

Das Klopfen setzte erneut ein.

»Dr. Jones?« rief eine Stimme.

Indy murrte leise, warf einen Blick auf die Schreibtischplatte und auf den Boden unter dem Möbelstück, ehe er sich erhob und die Tür aufschloß.

Die drei Männer aus dem V-8 Ford warteten auf der anderen Seite der Tür. Die beiden vorn stehenden Männer trugen dunkle Anzüge, während der Mann hinter ihnen die Uniform eines Armee-Offiziers trug.

»Indiana Jones?«

»Ja«, sagte Indy ungeduldig.

»Entschuldigen Sie die Stör ...«, begann der vierschrötige Mann und hielt dann inne, als er sah, daß Indy sich abklopfte und damit versuchte, die verschwundenen Karten aufzuspüren. »Stimmt was nicht?«

»Was? Oh«, sagte Indy und grinste einfältig. »Ich habe meine Notizen für die Vorlesung heute morgen verlegt. Bitte verzeihen Sie meine Zerstreutheit.«

»Nun, ich denke, sie geht mit Ihrem Beruf Hand in Hand«, räumte der Vierschrötige ein, Indys Socken skeptisch musternd. »Dürfen wir vielleicht reinkommen?«

Die Glocke in der Kuppel auf der Nassau Hall begann in einem glasklaren D zu läuten, als Aufforderung an die Studenten, sich in ihre jeweiligen Unterrichtsräume zu begeben.

»Ich habe nicht viel Zeit«, sagte Indy.

»Wir auch nicht«, sagte der Mann. »Uns beschäftigt eine Angelegenheit von nicht unbeträchtlicher Wichtigkeit, und wir haben den ganzen langen Weg aus Washington zurückgelegt, um Sie zu treffen. Sicherlich können Sie uns ein paar Minuten Ihrer kostbaren Zeit schenken.«

Indy warf einen Blick auf seine Armbanduhr.

»Warum nicht?« lud er sie ein.

Das Trio quetschte sich ins Büro, während Indy schon damit beschäftigt war, Kisten und Schachteln von Stühlen zu räumen und Platz zu schaffen, damit sie sich setzen konnten. Dann trat er hinter seinen Schreibtisch und hob den Telefonhörer ab.

»Es hat sich etwas Wichtiges ergeben«, erklärte er Pene-lope Angstrom, der Abteilungssekretärin. »Hätten Sie die Freundlichkeit, meine Neun-Uhr-Studenten zu informieren? Ja. Ich werde gleich kommen. Oh, und Miss Angstrom? Bitten Sie sie, die Unterlagen über Troja nochmals durchzusehen. Vielen Dank.«

Indy legte den Hörer wieder auf die Gabel zurück.

»Ich bin Agent Bieber«, sagte der muskulöse Mann und streckte ihm die Hand entgegen. »Der Name meines Partners lautet Yartz. Wir sind beim FBI. Das hier ist unser Berater, Major John M. Manly.«

Indy schüttelte allen dreien die Hand. Yartz war ein schlanker, angenehm wirkender Mann. Manly war älter als die beiden, hatte ein markantes Kinn und klare braune Augen.

»Ich kenne Ihre Arbeiten, Major«, verriet Indy. »Ihre Kritik an Newbolds Lösung im Speculum hat mich beeindruckt. Aber hätten Sie eventuell die Freundlichkeit, mir zu erklären, wie es dazu kam, daß der fähigste Chaucer-Ge-lehrte dieses Landes vom Militärischen Geheimdienst angeheuert wurde?«

Manly lächelte.

»Ich verfüge über Talent, was das Zusammensetzen von Puzzles angeht«, sagte Manly. »Kurz bevor Amerika in den Krieg eingetreten ist, wurde ich vom Kryptographiekorps rekrutiert. Und nun stelle ich ihnen hin und wieder meine Dienste zur Verfügung, in der Hoffnung, so den nächsten Krieg verhindern helfen zu können. Sagen Sie, ich glaube, ich habe Ihren Vater Henry Jones kennengelernt, als ich vor dem Krieg an der Universität von Chicago arbeitete. Damals war er hier in Princeton. Wie geht es dem alten Herrn?«

»Dad und ich haben uns seit Jahren nicht gesehen.«

Bieber zündete sich eine Lucky Strike an und streckte Indy das Päckchen hin.

»Ich rauche nicht«, sagte Indy.

Bieber zuckte mit den Achseln und zupfte einen Tabakkrümel von der Unterlippe, ehe er die Zigaretten an Yartz weiterreichte.

»Gentlemen, ich möchte nicht Ihre Zeit verschwenden«, führte Indy aus und legte die Brille ab. »Mein Kollege Marcus Brody hat mir verraten, daß ich mit Ihrem Besuch rechnen darf. Ich fürchte leider, daß ich Ihnen mit dem Voynich-Manuskript nicht behilflich sein kann, weil Verbrechen nicht zu meinem Betätigungsfeld gehören. Diese Dinge, die Sie in diesem Raum aufbewahrt sehen, diese Gegenstände, die der Erde abgetrotzt wurden, das ist es, worin ich gut bin. Falls Sie einen Experten suchen, steht Ihnen ja Professor Manly zur Verfügung.«

»Ein Schritt nach dem anderen«, sagte Bieber und grinste ihn über eine blaue Rauchwolke hinweg an. Er zog einen Bleistift und einen billigen Notizblock aus der Tasche. »Wir werden gern bei Ihnen anfangen, Dr. Jones. Können Sie Ihr Interesse am Okkulten erläutern?«

»Wie bitte, ich verstehe nicht?«

»Man hat mir gesagt, daß Sie eine Nische geschaffen haben in den dunkleren Ecken der Archäologie. Hexen, schwarze Magie, ja selbst Menschenopfer. Einem normalen, durchschnittlichen Menschen muß das etwas ... befremdlich vorkommen.«

Indy lachte.

»Das ist ganz einfach. In alten Kulturen wurde Magie als real angesehen. Sie gehörte zum Alltag der Menschen. Die Magie verriet ihnen, wann sie auf Jagd gehen, wann sie aus -säen, wann sie Städte bauen sollten. Falls man vorhat, diese Kulturen ernsthaft zu studieren, ist die Kenntnis dieser Glaubensformen dringend erforderlich - was aber noch lange nicht heißt, daß ich persönlich ein Anhänger der Schwarzen Magie bin.«

Bieber grunzte.

»Wie verhält es sich mit Ihrer Verbindung zu diesem Museum in New York?« fragte er. »Allem Anschein nach hat es mehrere Beschwerden über Ihre zwielichtigen archäologischen Ausgrabungen gegeben. Ihr Vorgehen, wurde uns gesagt, kann nicht gerade als exemplarisch angesehen werden. Das Britische Konsulat hat ziemlich sauer auf Ihre letzte Eskapade reagiert.«

»Sie haben sich mit Gruber unterhalten, nicht wahr?« wollte Indy erfahren.

»Vielleicht wäre das ein Punkt, wo wir nachhaken sollten«, meinte Bieber. Die Asche seiner Zigarette war auf ein gefährliches Maß angewachsen, und er hatte die Frechheit, sie in Indys Zeremonienschale auf dem Schreibtisch abzustreifen.

Da verzog Indy angewidert die Miene und entfernte die Asche wieder.

»Benutzen Sie bitte den Aschenbecher auf dem Regal hinter Ihnen«, sagte er, »und nicht dieses dreitausend Jahre alte Artefakt aus Ägypten.«

»Entschuldigung«, murmelte Bieber.

»Ich möchte mich für die Ungeschicklichkeit meines Kollegen entschuldigen«, ließ Yartz verlauten und grinste übers ganze Gesicht. »Manchmal verwendet er einen Bulldozer, wo ein herkömmlicher Spaten ausreichen würde. Worauf wir hinauswollen, Dr. Jones, ist der Umstand, daß das Büro bereit wäre, ein paar Ihrer ... Überschreitungen zu übersehen, falls Sie gewillt sind, uns beim Voynich-Manu-skript behilflich zu sein.«

»Wieso ich?« wollte Indy wissen.

»Ihr Ruf eilt Ihnen voraus«, sagte Yartz. »Soweit wir wissen, können Ihre unkonventionellen Vorgehensweisen ziemlich erfolgreich sein. Uns geht es nicht so sehr darum, dieses Verbrechen zu lösen, sondern wir möchten das Manuskript zurückhaben, egal, welche Mittel dazu nötig sind.«

»Egal, welche Mittel dazu nötig sind?« wiederholte Indy. »Das klingt nicht logisch. Warum ist die Regierung so scharf auf ein uraltes, unlesbares Manuskript?«

Die Agenten schwiegen.

Major Manly streckte seine Handflächen nach oben.

»Es tut mir leid, Dr. Jones«, fing er an. »Hierbei handelt es sich um eine FBI-Operation, wenigstens solange wir uns innerhalb der Grenzen der Vereinigten Staaten befinden. Beim Militärischen Geheimdienst handeln wir auf einer wesentlich globaleren Ebene.«

Bieber runzelte die Stirn.

»Hören sie, Dr. Jones«, sagte er. »Seien Sie vernünftig. Sie gewinnen nichts, wenn Sie sich schwierig geben. Sie haben den Ruf, ein guter Lehrer zu sein - so berichten es jedenfalls die Studenten -, und es wäre doch dumm, wenn etwas geschähe, das Ihrem Ruf schadete.«

»Ist das als Drohung gemeint?« fragte Indy.

»Wir sprechen keine Drohungen aus, Dr. Jones«, entgegnete Bieber.

»Meine Herren, es behagt mir nicht, wenn man mich unter Druck setzt«, gestand Indy. »Falls Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich muß zum Unterricht. Sie finden sicherlich nach draußen.«

Bieber ließ seinen Zigarettenstummel fallen und trat ihn mit dem Absatz aus. Yartz grinste, holte einen Stapel Karteikarten aus seiner Jacke und legte sie auf Indys Schreibtisch.

»Die hier haben Sie beim Überqueren der Straße verloren«, sagte er.

Die FBI-Agenten verließen das Büro.

Manly blieb zurück.

»Von einem Gelehrten zum anderen«, sagte er, »diese Sache ist sehr wichtig. Ich möchte mich für die dreiste Vorgehensweise meiner Kollegen entschuldigen. Ehrlich gesagt, Dr. Jones, wir könnten Ihre Unterstützung gut gebrauchen. Wir verfügen nicht über eine einzige Spur, die irgend etwas Substantielles ergeben hat. Denken Sie wenigstens noch mal darüber nach.«

Indy sagte nichts.

»Hier ist meine Karte.« Als Indy keinen Finger rührte, sie entgegenzunehmen, legte er sie auf den Tisch. »Sie können mich zu jeder Tag- und Nachtzeit unter dieser Nummer erreichen.«

Manly schloß die Tür hinter sich.

Mit den Notizen in der Hand blieb Indy vor dem Unterrichtsraum stehen. Seine fünfzehn Studenten rissen Witze oder unterhielten sich über Nebensächlichkeiten. Offenbar freuten sie sich über die zusätzlichen Minuten der Freiheit. Lächelnd machte er die Tür auf.

Auf einen Schlag wurde es still.

»Meine Herren«, setzte Indy an, »ich möchte mich für die Verspätung entschuldigen. Ich hoffe, Sie alle hatten einen angenehmen - wenn auch zu kurzen - Urlaub. Lassen Sie uns den Faden bei unserer Exploration der Beziehung zwischen Mythos und Entdeckung wieder aufnehmen.«

Indy trat an die Tafel.

»Die Geschichte der Archäologie ist die Geschichte unseres schwer zu durchschauenden Wissensdurstes bezüglich der Vergangenheit. Jeder von uns spaziert jeden Tag mit dem kulturellen Mobiliar unserer längst verstorbenen Vorfahren umher, das sich in die hintersten Winkel unseres Unterbewußtseins eingegraben hat.

Für die meisten von uns bedeutet das nicht viel mehr als eine Fußnote des Alltagslebens. Selbst wenn wir nicht abergläubisch sind, fällt es doch zum Beispiel den meisten von uns schwer, den Weg einer schwarzen Katze zu kreuzen, ohne von leichtem Zweifel befallen zu werden. Diesen Rest Aberglaube haben wir den Babyloniern zu verdanken. Aber es gibt noch andere, faszinierende Dinge, die in den hintersten Winkeln unserer Köpfe verweilen: Geschichten, Fabeln, Mythen.«

Indy kritzelte den Namen SCHLIEMAN an die Tafel.

»Für ein paar Personen werden diese Mythen manchmal zu der treibenden Kraft ihrer Leidenschaft, und ihre Lebensaufgabe ist es dann, die Geheimnisse zu enträtseln, die sie umgeben. Es ist wirklich überraschend zu sehen, wie viele Entdeckungen in der Geschichte der Archäologie wir einigen wenigen inspirierten Menschen zu verdanken haben, die als Rüstzeug nur Glauben und harte Arbeit ins Feld führten.«

Vorn meldete sich jemand mit Handzeichen.

»Ja, Mr. Hudson?«

»Ähm, entschuldigen Sie, Dr. Jones«, sagte der Viertse-mestler und drehte dabei nervös den Bleistift in den Händen. »Ich glaube, Schliemann wird mit zwei N geschrieben - das heißt, wenn ich mich nicht irre.«

»Ganz richtig«, sagte Indy und korrigierte seinen Fehler. »Danke. Und bitte melden Sie sich, wann immer Sie das Bedürfnis verspüren. Sie brauchen nicht zu zögern.«

Hudson nickte.

»Nun, an Weihnachten 1829 schenkte ein Vater seinem siebenjährigen Sohn einen Bildband, in dem die Geschichte der Welt aufbereitet war. In diesem Buch gab es auch eine Zeichnung des brennenden Troja. Das Bild, auf dem der schwere Stadtwall zu sehen war und das berühmte Scaeen Tor, entfachte die Imagination des Jungen. Konzentriert lauschte er, wie sein Vater ihm die Geschichte des trojanischen Krieges erzählte, und als er erfuhr, daß die Stadt nicht mehr existierte, daß keine Menschenseele wußte, wo die großartige Zitadelle gestanden hat, war er mehr als erstaunt. Der Junge beschloß, daß er - wenn er groß war -Troja suchen und den Schatz finden wollte, der dort vergraben war.

Der Junge - Heinrich Schliemann - wurde erwachsen. Im Alter von vierzehn Jahren endete seine institutionalisierte Schulausbildung, aber er studierte allein weiter. Während er eine Lehre als Lebensmittelkaufmann absolvierte, als Kabinenjunge und als Buchhalter arbeitete, gelang es ihm, acht Sprachen zu erlernen. Schließlich wurde er ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann, doch seine Troja-Besessenheit legte sich nie.

Endlich, im Alter von sechsundvierzig Jahren, auf der Höhe des Erfolges, zog er sich aus dem Geschäftsleben zurück, um sich seiner selbstgestellten Aufgabe zu widmen. Als Führer diente ihm Homers Erzählung über den trojanischen Krieg, die von den meisten Wissenschaftlern als Märchen abgetan wurde. Aber Schliemann zog Pickel und Schaufel der Meinung anderer vor. 1873, nach jahrelangen Grabungen und just an dem Tag, an dem er beschlossen hatte, die erfolglose Arbeit hinzuschmeißen, stieß er auf die Schatztruhe eines Königs.

Weitere aufsehenerregende Funde sollten folgen«, erzählte Indy. »Zu jener Zeit ging man davon aus, daß alle Museen auf der Welt zusammengenommen etwa ein Fünftel an Goldartefakten beherbergten, im Verhältnis zu dem, was Schliemann in Troja barg. Nun, wer kann für uns Schliemanns Fund in einen archäologischen Kontext stellen? Mr. York.«

»Das Troja, das Schliemann gefunden hat, war wahrscheinlich nicht das Troja des homerischen Mythos«, gab ein junger Rotschopf selbstsicher zum besten. »Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts erkannte Wilhelm Dörpfeld als erster, daß es an jenem Ort neun Städte gab, eine auf den Ruinen der vorherigen erbaut.«

Eine andere Hand fuhr hoch.

»Hudson.«

»Letztes Jahr«, verkündete der scheue Student, »rief Carl Biegen - von der Universität von Cincinnati, denke ich -eine neue Expedition ins Leben. Er geht davon aus, daß eine der neun Städte an jenem Ort das echte Troja ist.«

»Sehr gut«, lobte Indy. »Also, obwohl Schliemann einige Fehler unterlaufen sind - und ihn damalige Experten als schwierigen Außenseiter ansahen -, hat er eine dreitausend Jahre alte Zivilisation entdeckt, von der die meisten Wissenschaftler dachten, daß sie nur ein Mythos wäre. Der Traum, geboren im Herzen eines siebenjährigen Jungen, hat zu diesem sensationellen Ergebnis geführt. Bevor wir uns nun aber mit der Stratifikation in Troja beschäftigen, gibt es bis dahin noch Fragen oder Kommentare?«

Ein Student in der hintersten Reihe hob den Finger.

»Mr. Griffith?«

»Wo«, fragte der junge Mann, »sind Ihre Schuhe?«

Miss Penelope Angstrom war fünfundsechzig Jahre alt und hatte sich der Abteilung für Kunst und Architektur an der Princeton Universität verschrieben, wo sie seit neunundzwanzig Jahren arbeitete. Obwohl sie ziemlich sauer reagierte, wenn man die Meinung äußerte, sie sei mit der Abteilung verheiratet, zerbrach sie sich insgeheim den Kopf darüber, ob sie langsam eine alte Jungfer wurde. Sie lebte allein in einem Zwei-Zimmer-Apartment über einem Tante-Emma-Laden in der Witherspoon Street, von wo aus man einen herrlichen Ausblick auf den Palmer Square hatte. Einsam fühlte sie sich selten, denn sie hatte ihre Bücher und ihre Musik, die ihr Gesellschaft leisteten. Und falls sie sich mal einsam fühlte, las sie Gedichte oder spielte leise Geige bis tief in die Nacht, oder, falls sie sich besonders mutig vorkam, verschlang sie einen Abenteuerroman vom Zeitungsstand an der Ecke.

Es war nicht so, daß sie niemals Verehrer gehabt hätte, aber keiner von ihnen hatte ihren Maßstäben genügt. Sie hatte einen Liebhaber gehabt, im Sommer ihres dreißigsten

Lebensjahres, aber der hatte ihr das Geld und die Unschuld geraubt. Obwohl sie das niemals öffentlich zugegeben hätte - und sich reichlich albern vorkam, wenn sie es sich selbst eingestand - suchte sie einen Mann reinen Herzens, der bereit war, für das Gute in der Welt zu kämpfen - kurz gesagt, sie wollte einen Ritter der Neuzeit. Und sie wollte, daß man extra für sie ein Liebesgedicht schrieb. Aber nun, da der Winter des Lebens näher rückte, ihr dunkelbraunes Haar weiße Strähnen zeigte, schwand ihre Hoffnung auf solch einen Mann. Ihr Sonett schien in weite Ferne gerückt zu sein. Wenn sie nur, dachte sie wehmütig, noch einmal zwanzig sein könnte - heute lagen die Dinge für Mädchen ganz anders. Sie hatte zugesehen, wie eine Generation von Frauen sich die Haare kurz schnitt, Gin trank und nicht darauf wartete, bis einer ihrer Helden auf sie zukam.

Ihr Schreibtisch stand am Ende des Flurs, vor dem Büro des Leiters der Abteilung. Dort sinnierte Penelope Angstrom gerade über derlei Dinge nach, als Indy leise gegen die offene Tür klopfte. Er erschreckte sie so sehr, daß sie den Bleistift fallen ließ, den sie gehalten hatte. Er rollte Indy vor die Füße.

»Habe ich Sie beim Tagträumen erwischt, Miss Angstrom?« fragte er und gab ihr den Stift zurück.

»Bestimmt nicht«, verteidigte sie sich. »Ich habe im Geiste gerade eine Liste der nachmittäglichen Aktivitäten aufgestellt. Das hilft mir hin und wieder, meine Gedanken zu sammeln, Dr. Jones.«

»Ich fand eine Notiz, daß Harold mich sehen möchte«, sagte Indy.

»Aber sicher.« Sie flüsterte ein paar Worte in die Gegensprechanlage. »Dr. Gruber wird Sie in Kürze empfangen. Bitte, nehmen Sie Platz.«

Indy setzte sich auf einen der steifen Holzstühle, die längs einer Bürowand aufgereiht waren. Normalerweise warteten hier mehr oder minder nervöse Studenten.

»Ich hoffe, daß Ihre Reise nach Südamerika erfolgreich verlaufen ist«, bemerkte sie.

»Nicht so produktiv, wie ich erwartet hatte«, erwiderte Indy. »Aber danke der Nachfrage. Wo wir gerade vom Reisen sprechen, haben Sie Nachricht von Dr. Morey erhalten?«

»Ja, gestern kam eine Postkarte von ihm. Er berichtet, daß er im Vatikan eine Menge zu tun hat, Princeton aber doch sehr vermißt und es nicht erwarten kann, im Herbst wieder bei uns zu sein.« Mit verschwörerischer Miene beugte sie sich vor. »Unter uns gesagt, Dr. Jones, ich kann es auch kaum erwarten, bis er wieder zurück ist. In letzter Zeit mußte ich eine Menge Arbeitsstunden darauf verschwenden, das Durcheinander zu entwirren, das unser Dr. Gruber angerichtet hat.«

»Harry scheint nicht über die Begabung zur Leitung einer Abteilung wie dieser zu verfügen«, äußerte Indy seine Meinung. »Und unter uns gesagt, Miss Angstrom, ich weiß, wie tief diese Abteilung in Ihrer Schuld steht - Gott, ich denke, wir könnten keine Woche ohne Sie überleben.«

Sie errötete.

»Danke«, brachte sie stotternd hervor.

Zögernd sagte sie dann: »Wahrscheinlich steht es mir nicht zu, das zu sagen, Dr. Jones, aber ich habe es sehr genossen, daß Sie bei uns waren. Ich weiß auch, daß Sie eine der Persönlichkeiten unter den jüngeren Kollegen sind, die Dr. Morey zu schätzen weiß, und ich finde, daß seine Einschätzung den Tatsachen entspricht. Sie sind überhaupt nicht wie die anderen. Wie kommt es nur, daß sich ein

Mann in einen egoistischen Snob verwandelt, kaum daß er einen Titel vor seinem Namen stehen hat, und das, obwohl er die Studenten absolut abscheulich behandelt? Doch Ihnen und Dr. Morey ist es gelungen, Ihre ... nun, Ihre Menschlichkeit beizubehalten.«

Jetzt war Indy an der Reihe, rot anzulaufen.

»Dr. Jones«, rückte sie plötzlich mit der Sprache heraus, »ich habe tatsächlich meinen Tagträumen nachgehangen, als Sie hereingekommen sind. Ich machte mir Gedanken über die Zeit und wie seltsam es ist, alt zu werden, obwohl ich mich tief in meinem Herzen noch wie ein Schulmädchen fühle. Meine Frage mag Ihnen eigenartig vorkommen, aber glauben Sie, daß es irgendwo tatsächlich so etwas wie einen Jungbrunnen geben könnte?«

»Das ist ein Mythos, der überall auf der Welt existiert«, meinte Indy. »Und es gibt viele Menschen, die ihr ganzes Leben mit der Suche danach zugebracht haben. Ponce de Leon dachte, er läge in Florida, und die Indios in Zentralamerika meinten, der Jungbrunnen sei eine magische Quelle auf den Bahamas.«

Die Gegensprechanlage läutete.

»Dr. Gruber wird Sie nun empfangen«, sagte sie.

Harold Gruber schaute nicht auf, als Indy in das Büro des Leiters trat. Indy stand, während Gruber in Rufus Moreys großem Drehstuhl saß und das getippte Papier in seinen Händen überflog. Nach einer ganzen Weile blickte er auf und schob Indy das Schriftstück hin.

»Das hier ist ein Kündigungsschreiben, das nur noch von Ihnen unterschrieben werden muß«, sagte Gruber und faltete die Hände hinter dem Kopf.

»Darf ich fragen, aus welchem Grund ich kündige?«

»Unterlassen Sie Ihre Spielchen. Das kommt bei mir nicht an«, meinte Gruber und beugte sich vor. »Sie wissen Bescheid. Sie haben gegen das Gesetz verstoßen, als Sie in Britisch Honduras nach Kunstschätzen suchten, um Sie auf dem Schwarzmarkt feilzubieten.«

»Schwarzmarkt?« fragte Indy ungläubig. »Ich habe im Namen des Museums eine Expedition durchgeführt. Rufen Sie Markus Brody in New York an - er wird alle Zweifel ausräumen.«

»Ah, das Museum dient Ihnen als Tarnung. Fungiert Brody als Ihr Partner in dieser Sache?« fragte Gruber. »Die Herren, die mir heute morgen einen Besuch abgestattet haben, hatten die Freundlichkeit, mir detailliert zu berichten. Wie es aussieht, behalten die Sie schon seit einer ganzen Weile im Auge. Im Interesse der Universität wäre es das beste, wenn Sie weiterzögen.«

»Das kommt einer Erpressung gleich«, verteidigte Jones sich. »Die Männer, mit denen Sie sich heute morgen unterhalten haben -«

Gruber hielt die Hand hoch.

»Ich werde Ihre Lügen und Ausreden nicht hinnehmen«, sagte er. »Wenn man dem FBI nicht vertrauen kann, wem soll man dann vertrauen? Sie haben bis heute abend Zeit, um Ihre Sachen aus 404 E zu räumen, oder wir werden Sie rauswerfen lassen.«

Gedankenverloren rieb Indy sein Kinn.

»Was geschieht mit meinen Klassen?«

»Uns steht eine kompetente Fakultät zur Verfügung, die durchaus in der Lage ist, den Ausfall einer Lehrkraft zu beheben.«

»Haben Sie sich mit Dr. Morey in Verbindung gesetzt?«

»Dazu besteht kein Grund«, erwiderte Gruber aalglatt.

»Ich habe heute morgen mit Präsident Dodd konferiert, und er hat sich meiner Einschätzung der Situation angeschlossen. Um ehrlich zu sein, Jones, ich tue Ihnen eigentlich einen Gefallen, indem ich Ihnen die Möglichkeit einräume, selbst zu kündigen.«

»Prima Gefallen.«

»Der Brief, den ich in Ihrem Namen aufgesetzt habe, nennt als Grund für Ihr Ausscheiden >persönliche Beweg-gründe<. Sie täten gut daran, ihn zu unterzeichnen, anderenfalls werden Sie niemals mehr Gelegenheit haben, an irgendeiner Universität zu unterrichten.«

»Nein, ich werde Ihren Vorschlag bestimmt nicht annehmen«, sagte Indy, »denn ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen. Harry, wenn Sie mich loswerden möchten, dann müssen Sie mich schon feuern.« Und damit zerriß er das Kündigungsschreiben.

»Jones«, sagte Gruber eiskalt, »Sie sind gefeuert.«

Загрузка...