13


Nach Einbruch der Dunkelheit sah das Schloß noch weniger wie ein Schloß aus, ja, es wirkte nicht einmal mehr wie eine Burg oder Festung; der gewaltige Umriß erinnerte Andrej eher an einen düsteren, von Dämonen bewohnten Berg, dessen Grate und Gipfel in unbestimmbarer Entfernung mit der Schwärze des Himmels verschmolzen und aus dessen Flanken ihn winzige, boshafte Teufelsaugen anstarrten.

Nichts davon war mehr als eine optische Täuschung oder das, was seine überreizten Nerven in dieses Durcheinander aus Schatten und kantiger Dunkelheit hineininterpretierten; aber diese Erkenntnis änderte nichts daran, daß dem riesigen Bauwerk etwas Unheimliches und Drohendes anhaftete.

Krushas Stimme unterbrach den morbiden Fluß seiner Gedanken und holte Andrej jäh in eine Wirklichkeit zurück, die allerdings auch nicht wesentlich angenehmer war. »Das Fenster dort oben.«

Sein Begleiter deutete auf eines der erleuchteten Fenster in den Mauern der Türme.

»Das Schlafzimmer des Herzogs. Die Wachen patrouillieren in unregelmäßigen Abständen auf dem Wehrgang darunter. Du mußt also achtgeben, daß dich niemand sieht.«

»Und wo werdet ihr sein?« fragte Andrej.

»Mach dir keine Sorgen um uns.« Krusha griff unter sein Gewand und förderte drei Lederbeutel zutage, die größer waren, als Andrej angenommen hatte. Als er danach griff und sie flüchtig untersuchte, stellte er fest, daß sie gut zur Hälfte mit kleinen Korkstücken gefüllt waren.

»Wasser?«

»Wir warten in einem Boot unterhalb der Mauer«, bestätigte Krusha. »Sobald du die Beutel aus dem Fenster geworfen hast, verschwindest du. Wir treffen uns im ›Einäugigen Bären‹. Sergé und ich werden dort bis Mitternacht auf dich warten.«

Das war in gut drei Stunden - nicht viel Zeit, wenn er bedachte, was vor ihm lag; zugleich konnten drei Stunden aber auch eine Ewigkeit sein. Ihr Vorhaben würde entweder schnell oder gar nicht gelingen.

Er schob die Lederbeutel unter den weiß und orange gestreiften Waffenrock, den Ják ihm vor einer halben Stunde gebracht hatte, und betrachtete das Ergebnis einen Moment lang kritisch; dann schob, drückte und quetschte er so lange, bis sich die Beutel zumindest nicht mehr überdeutlich unter dem groben Stoff abzeichneten. Der ausgestopfte Waffenrock sah trotzdem lächerlich aus - und genauso fühlte er sich auch: lächerlich und vollkommen hilflos. Dieses ganze Unternehmen war Wahnsinn. Seine Verkleidung würde nicht einmal einer flüchtigen Musterung standhalten, geschweige denn einem argwöhnischen Blick.

Andrej mochte vielleicht wie ein Mann der herzoglichen Garde aussehen, aber er wußte weder, wie er sich zu bewegen, noch, wie er sich zu verhalten hatte; und spätestens, wenn er angesprochen wurde, mußte der Schwindel auffliegen.

»Geh jetzt«, sagte Krusha. »Ják wartet am Tor auf dich.«

Andrej starrte ihn wortlos an, dann drehte er sich zu Sergé und Frederic herum und reichte dem Jungen schweren Herzens das in die Fetzen seines Gewandes gewickelte Sarazenenschwert.

»Paß gut darauf auf«, sagte er. Allein diese Worte auszusprechen kostete ihn Kraft. Andrej war selbst ein wenig überrascht, wie schwer es ihm fiel, sich von der Waffe zu trennen. Das Sarazenenschwert war viel mehr als ein Schwert für ihn. Seit Michail Nadasdys Tod hatte er die Waffe fast ununterbrochen getragen, und sie war niemals außerhalb seiner Reichweite gewesen. Aber es war unmöglich, sie mit ins Schloß zu nehmen. In seinem Gürtel steckte statt dessen ein plumpes, schlecht gearbeitetes Schwert, wie es zur normalen Bewaffnung der herzoglichen Garde gehörte - Andrejs Meinung nach kaum mehr als ein Stück Altmetall, nicht das Eisen wert, aus dem es geschmiedet war.

»Das werde ich tun«, versprach Frederic feierlich.

»Und wenn ich nicht zurückkomme, dann denk daran, was ich dir über diese Waffe erzählt habe.«

»Wie rührend«, bemerkte Sergé spöttisch. »Mach dir keine Sorgen, Delãny. Sollte dir etwas zustoßen, dann geben wir schon auf deinen Bruder acht. Und auch auf dein Schwert.«

Welchen Sinn hatte es schon, dieses Gespräch fortzusetzen? Andrej ersparte sich jede Antwort, drehte sich auf dem Absatz herum und setzte den lächerlichen, an eine Barbierschüssel erinnernden Helm auf, bevor er mit schnellen Schritten losging.

Er verlangsamte nicht sein Tempo, aber seine Unsicherheit wuchs mit jedem Schritt, den er sich dem Schloß näherte. Er hatte jetzt nicht mehr das Gefühl, einen schrecklichen Fehler zu begehen, er wußte, daß es ein Fehler war. Er war kein Dieb, und doch wurde er nun schon wieder unschuldig in einen Diebstahl verwickelt - als ob der Kirchenraub in Rotthurn sein Leben nicht schon genug in Unordnung gebracht hätte. Einen Moment lang fragte er sich, warum er nicht das Nächstliegende getan und die Antworten, die er haben wollte, einfach aus Ják und den beiden angeblichen Brüdern herausgeprügelt hatte.

Wenig später näherte er sich dem Tor, das zwar weit offen stand, aber von gleich vier Bewaffneten flankiert wurde, denen man schon von weitem ansah, daß sie ihre Aufgabe weit ernster nahmen als der Mann, mit dem er am Stadttor gesprochen hatte. Von Ják war nichts zu sehen.

Andrej senkte den Blick - nicht so sehr, daß es auffiel, aber doch tief genug, daß der größte Teil seines Gesichts unter dem Rand seines breitkrempigen Helmes verborgen war -, beschleunigte seine Schritte ein wenig und ließ die Schultern zugleich leicht nach vorne sinken; so hoffte er, den Eindruck eines Mannes zu erwecken, der nach einem langen Tag erfolgloser Suche erschöpft zurückkehrte und nicht mehr in der Stimmung war, zu reden oder auch nur einen freundlichen Blick mit seinen Kameraden zu tauschen. Von Ják wußte er, daß wegen der Türkengefahr im Schloß an die hundertfünfzig Soldaten stationiert waren - das waren zwar viele, aber bei weitem nicht genug, um ein unbekanntes Gesicht als etwas Selbstverständliches hinzunehmen.

Drei der vier Männer ignorierten ihn tatsächlich oder warfen ihm lediglich einen flüchtigen Blick zu. Die Atmosphäre äußerster Anspannung, die den ganzen Tag über der Stadt gelegen hatte, war auch hier deutlich zu spüren. Vielleicht herrschte im Schloß ja ein solches Kommen und Gehen, daß es die Männer am Tor einfach müde waren, jede Gestalt in Weiß und Orange einer genaueren Prüfung zu unterziehen.

Auf drei dieser Männer traf dies zweifelsfrei zu. Der vierte aber sah zu Andrejs Erschrecken genauer hin, straffte sich plötzlich und trat ihm mit einem schnellen Schritt in den Weg. Andrej konnte im letzten Moment den Impuls unterdrücken, nach seiner Waffe zu greifen. Statt dessen blieb er stehen und sah dem Posten fest in die Augen.

Bevor er oder der andere jedoch etwas sagen konnten, erscholl im Inneren des Torhauses ein halblauter Ruf, und als Andrej aufsah, erblickte er Ják, der eilig auf sie zukam. Er trug jetzt einen schlichten, aber geschmackvoll geschneiderten Mantel und dazu eine Mütze aus dunkelrotem Samt. Allein aus der Reaktion der Wachtposten konnte Andrej schließen, daß Ják mehr als ein untergeordneter Höfling oder nur irgendein Dienstbote im Sold des Herzogs war.

»Andrej!« rief er. »Wo bleibt Ihr? Glaubt Ihr vielleicht, daß es einen guten Eindruck macht, wenn Ihr an Eurem ersten Tag gleich zu spät kommt?« Er gab dem Soldaten einen Wink. »Laßt den Mann passieren!«

Er sagte nicht bitte. Sein Tonfall sagte nicht bitte. Er befahl, und er war es gewohnt, zu befehlen. Der Posten trat diensteifrig zurück und senkte hastig den Blick; Ják wedelte erneut unwillig mit der Hand.

Andrej beeilte sich, dieser Aufforderung zu folgen. Rasch und mit demütig gesenktem Blick trat er an dem Wachtposten vorbei in das eigentliche Torhaus hinein, das größer war, als er erwartet hatte - und wesentlich älter.

Der Geruch von feuchtem Stein und Schimmel lag in der Luft, und die wuchtigen Balken, die gut fünf Meter über seinem Kopf die Decke trugen, waren vom Alter sowie dem Ruß und Staub der Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte, pechschwarz geworden. Das Holz des gewaltigen zweiflügeligen Tores, das sie passierten, schien längst zu Stein geworden zu sein, aber Andrej entging nicht, daß die Scharniere gut geölt waren. Er glaubte das Rätsel, weshalb sich diese Trutzburg mitten innerhalb der Stadtmauern befand, inzwischen gelöst zu haben: Sie war, von den Hafenanlagen einmal abgesehen, der älteste Teil der Stadt. Constãntã war erst im Laufe der Zeit um diese Burg herum gewachsen, wie kleine Schößlinge, die rings um die Wurzeln eines uralten, mächtigen Baumes aus dem Boden sprießen.

Was Andrej jedoch weniger denn je verstand, war die Frage, warum dieses Bauwerk den Eindruck erweckte, als befände es sich schon jetzt im Belagerungszustand. Der Herzog von Constãntã schien sich bei den Einwohnern der Stadt keiner allzu großen Beliebtheit zu erfreuen - oder er schien schon sehr bald mit dem Auftauchen einer türkischen Streitmacht zu rechnen.

»Ihr kommt spät«, murmelte Ják, als Andrej ihn eingeholt hatte. Sie liefen schnellen Schrittes auf das zweite, innere Tor zu.

»Wir müssen uns jetzt beeilen.«

»Wieso?« Andrej sah seinen Begleiter nicht an. Er wußte zwar weniger denn je, wer der Grauhaarige war, hatte aber aus den Reaktionen der Männer am Tor geschlossen, daß es den einfachen Soldaten des Herzogs nicht erlaubt war, den direkten Blickkontakt mit Adligen zu suchen. Vielleicht jedoch fürchteten sich die Untergebenen des Herzogs auch nur.

»Weil ich gewisse Vorbereitungen getroffen habe«, antwortete Ják. Obwohl er jetzt sehr leise sprach, war seine Stimme noch immer so klar und durchdringend, daß Andrej fast fürchtete, man könne sie überall im Schloß hören. Das Reden gehörte sicherlich zu Jáks Aufgaben hier am Hof. »Das ganze Schloß ist in Aufruhr! Hätte ich vorhin auch nur geahnt, was Ihr mit Eurem feigen Mordanschlag auf Vater Domenicus angerichtet habt, hätte ich den Teufel getan, mich auf dieses Unternehmen einzulassen!«

»Warum habt Ihr es überhaupt getan?« fragte Andrej. Als Ják nicht direkt antwortete, sondern ihm nur einen spöttisch-fragenden Blick zuwarf, fügte er hinzu: »Ich meine: Ihr seid ein Edelmann, habe ich recht? Kein einfacher Bediensteter, wie Ihr Krusha und seinen Bruder glauben machen wollt, sondern ein Mitglied des Hofstaates. Vielleicht sogar ein enger Vertrauter des Herzogs selbst.«

»Ihr habt ein scharfes Auge, Delãny«, sagte Ják.

»Wieso bestehlt Ihr Euren Herrn? Wenn Ihr gefaßt werdet, wird man Euch hängen.«

»Hängen? Oh nein, so gnädig ist unser Herr nicht.« Ják lachte leise. »Um Eure Frage zu beantworten: Auch Edelleute müssen essen, ihre Ländereien unterhalten und ihre Bediensteten bezahlen. Es gibt manche, die die Ehre, für den Herzog arbeiten zu dürfen, als hinreichende Belohnung ansehen. Leider aber füllt Ehre keine leeren Bäuche. Und unser Herr ist nicht besonders großzügig.« Er deutete ein Achselzucken an. »Darüber hinaus haben etliche der Goldstücke, die jetzt in seiner Schatztruhe sind, ihren Weg aus meinem Geldbeutel dorthin gefunden. Und jetzt schweigt. Hier haben die Wände Ohren.«

Sie hatten den Hof mittlerweile zur Hälfte überquert, und Andrej sah sich verstohlen um. Die Anlage der Festung war einfach, aber sehr zweckmäßig konzipiert: Links vom Torhaus erhob sich ein halb aus Stein, halb aus einfachem Fachwerk erbautes Gebäude, das wahrscheinlich die Stallungen sowie die Waffen- und Vorratskammer beherbergte. Daneben befand sich eine Anzahl kleinerer Häuser - Gesinde -und Wirtschaftsgebäude, wie Andrej annahm -, die aussahen, als stammten sie aus verschiedenen Jahrhunderten; und dem Tor gegenüber lag schließlich der Palas, ein beinahe freundlich wirkendes, dreigeschossiges Haus mit großen Fenstern, einer einladenden Freitreppe und einer Anzahl kleiner, offensichtlich nur der Zierde dienender Türmchen und Erker.

Beherrscht wurde die gesamte Anlage jedoch von einem gewaltigen, mindestens hundert Fuß hohen Donjon, dessen Architekturstil und Baumaterial sichtlich älter waren als der gesamte Rest der Festung. Der Eingang befand sich auf zwanzig Fuß Höhe am Ende einer schmalen, leicht zu verteidigenden Treppe, und es gab nur wenige, an Schießscharten erinnernde Gucklöcher. Dieser Turm war für sich genommen schon eine Festung, eine Burg innerhalb der Burg, die zu stürmen so gut wie unmöglich sein mußte.

»Beeindruckend, nicht wahr?« fragte Ják. Andrejs prüfender Blick war ihm nicht entgangen. »Er wurde im Laufe seiner Geschichte ein dutzendmal belagert, aber niemals eingenommen.«

Andrej blickte nach oben, zu dem einzigen trüb erleuchteten Fenster unterhalb der zinnengesäumten Spitze des Turmes. »Ich frage mich, was das für ein Mensch sein mag, der es vorzieht, in einem so düsteren Gemäuer zu leben statt in einem Haus.« Er deutete auf den Palas.

»Vielleicht ein Mensch, der Sicherheit dem Luxus und der Verweichlichung vorzieht«, antwortete Ják und lachte spöttisch. »Die Welt ist schlecht, Andrej. Constäntä hat viele Neider.« Er machte eine knappe Geste. »Still jetzt!«

Sie hatten den Hof überquert und näherten sich dem Turm. Um ihn zu erreichen, mußten sie entweder einen ebenso überflüssigen wie auffälligen Bogen schlagen oder nahe an der Freitreppe vorbeigehen, die zum Palas hinaufführte ... Und selbstverständlich öffnete sich genau in dem Moment, in dem Andrej und Ják darunter vorbeiliefen, die Tür am oberen Ende der Treppe.

Ein halbes Dutzend Bewaffnete sowie einer der beiden Goldenen, dessen Namen er nicht kannte, und die Schwester des Inquisitors traten heraus. Andrej senkte sofort den Blick, unterdrückte aber den Impuls, seinen Schritt zu beschleunigen. Für einen kurzen, ihm dennoch unendlich lang erscheinenden Augenblick glaubte er, daß ihn der Ritter erkannt hatte, ja erkennen müßte, wenn er nur für einen Moment den Kopf zu ihm wandte. Doch der Goldene lief mit schnellen Schritten die Treppe hinab, ohne auch nur einmal aufzusehen. Maria und die Männer des Herzogs folgten ihm etwas langsamer. Domenicus' Schwester trug das Haar nun zu einem strengen Knoten hochgesteckt. Ihr blutbesudeltes Kleid hatte sie gegen ein schlichtes schwarzes Gewand getauscht, und ihr Gesicht verbarg sich hinter einem halbtransparenten, durchbrochenen Schleier. Sie sah noch schöner aus als bei ihrer Begegnung am Morgen auf dem Marktplatz.

»Macht Euch keine Hoffnungen, Andrej«, sagte Ják spöttisch. »Eine solche Frau ist nichts für Euch. Sie wäre es nicht einmal, wenn Ihr ihrem Bruder keinen Dolch in den Hals gerammt hättet.«

Andrej war irritiert. Sah man ihm seine Gefühle so deutlich an? Ein einziger Blick in Jáks Gesicht genügte, um diese Frage mit einem klaren Ja zu beantworten. Andrejs Verwirrung verwandelte sich in Schrecken. Was war mit ihm los? Er war auf dem Weg in die Höhle des Löwen, er brauchte jedes Quentchen Konzentration, um die nächste halbe Stunde zu überstehen - und er hatte nichts Besseres zu tun, als über eine Frau nachzudenken!

Sie betraten den Turm nicht über die Treppe, wie Andrej erwartet hatte, sondern Ják führte ihn zu einem kleinen, offenbar nachträglich an die Seite des Donjon angebauten Gebäude aus klobigen Felssteinen, öffnete eine niedrige Tür und winkte ungeduldig mit der Hand. Andrej bückte sich unter dem niedrigen Sturz, drehte sich dann aber noch einmal um und sah über den Hof. Maria und ihre Begleiter befanden sich auf halbem Wege zum Tor. Trotz der vorgerückten Stunde wollte die junge Frau das Schloß offensichtlich noch einmal verlassen - deshalb auch die Eskorte, die der Herzog ihr mitgegeben hatte. Der goldene Ritter hingegen steuerte mit schnellen Schritten auf den Pferdestall zu. Andrej sah ihm nach, bis er darin verschwunden war.

»Ein unheimlicher Bursche, nicht wahr?« fragte Ják. »Genau wie die beiden anderen. Ich bin froh, wenn sie wieder weg sind.«

»Wer sind sie?« fragte Andrej, während er nun vollends durch die Tür trat, sich aufrichtete und sich in dem düsteren Raum zu orientieren suchte - und sich dabei verzweifelt fragte, warum Ják von insgesamt drei goldenen Rittern gesprochen hatte, wo doch Sergé einen von ihnen bereits getötet hatte. Irgendwie ging die Rechnung nicht auf.

»Sie stehen im Dienste des Inquisitors, aber viel mehr weiß niemand über sie. Ich glaube, nicht einmal der Herzog selbst.« Ják deutete auf eine Tür in der gegenüberliegenden Wand. »Von hier aus müßt Ihr allein weitergehen. Aber Ihr könnt den Weg im Grunde nicht verfehlen. Die Treppe hinauf, bis ins letzte Stockwerk. Das Schlafzimmer des Herzogs liegt ganz am Ende des Ganges.« Er lächelte flüchtig. »Ihr werdet es leicht erkennen. Vor der Tür steht ein bewaffneter Posten. Normalerweise sind es zwei, aber der Herzog hat fast alle seine Männer losgeschickt, um nach Domenicus' Mördern zu suchen.«

»Wie komme ich an ihm vorbei?« fragte Andrej.

Jáks Lächeln wurde noch kälter. »Er darf keine Zeit finden, um Hilfe zu rufen«, sagte er. »Draußen auf dem Wehrgang patrouillieren Männer. Nicht so viele wie sonst, aber ein Mann hört einen Schrei so gut wie fünf, nicht wahr?«

»Ihr verlangt also, daß ich ihn töte«, sagte Andrej grimmig. »Einen Eurer eigenen Männer.«

»Einen Soldaten«, erwiderte Ják achselzuckend. »Wozu sind Soldaten da, wenn nicht zum Sterben? Und wenn Euch Euer Gewissen plagt, Andrej, seht es von diesem Standpunkt aus: Ihr nehmt ein Leben und rettet dafür fünfzig.«

»Was sollte mich daran hindern, diese Rechnung mit Euch auszumachen?« fragte Andrej leise. »Ihr wißt, wo die Gefangenen sind.« Er legte die Hand auf den Gürtel.

Ják lächelte zynisch. »Laßt Eure Waffe stecken, Delãny«, sagte er. »Ihr wollt wissen, wo die Gefangenen sind? Ich sage es Euch. Wir sind ganz in ihrer Nähe. Der Kerker befindet sich unmittelbar unter unseren Füßen. Ihr müßt nur der Treppe nach unten folgen statt nach oben, um sie zu finden. Ihr könnt den Gestank so wenig ignorieren, wie Ihr das Gejammer überhören werdet. Es sind nicht einmal viele Wachen da. Zwei, vielleicht drei ...« Er zuckte mit den Achseln. »Für einen Mann wie Euch kein Hindernis, nehme ich an. Aber wie wollt Ihr fünfzig Menschen unbemerkt aus dem Schloß bringen, von denen noch dazu die Hälfte krank oder verletzt ist?«

Andrej starrte Ják an, ohne zu antworten. Aber plötzlich spürte er eine Regung in sich, die neu war: Er hatte das Bedürfnis, diesen Mann zu schlagen - nicht um ihn für etwas zu bestrafen oder um eine Information aus ihm herauszupressen, sondern einfach, weil er ihm weh tun wollte.

»Wißt Ihr, Ják«, sagte er nach einer kurzen Pause, in der er versuchte, seine Fassung wiederzugewinnen, »ich kenne Euren Herrn nicht - aber ich bin ziemlich sicher, daß Ihr und er hervorragend zusammenpaßt.«

»Besser, als Ihr ahnt, Delãny. Falls Ihr Mitternacht überlebt, treffen wir uns im ›Einäugigen Bären‹. Dann habt Ihr Zeit genug, mich nach Herzenslust zu beschimpfen.«

Er deutete noch einmal auf die Tür hinter sich, nickte Andrej zu und trat dann wortlos an ihm vorbei auf den Hof hinaus. Einen Augenblick später fiel die Tür zu, und Andrej fand sich in fast vollständiger Dunkelheit wieder. Für einen kürzen Moment war er felsenfest davon überzeugt, daß er in der nächsten Sekunde das Geräusch des Riegels hören würde, mit dem Ják ihn einschloß; dann aber erinnerte er sich, daß der Riegel auf der Innenseite der Tür war. Er war auf dem besten Wege, Gespenster zu sehen. Wenn sein Helfer ihn in eine Falle locken wollte, dann hätte er das schon längst getan.

Andrej streckte den linken Arm aus, ging mit vorsichtigen kleinen Schritten los und erreichte die Tür, die Ják ihm gezeigt hatte. Sie war nicht verschlossen. Als Andrej sie behutsam einen Spaltbreit öffnete, fiel ihm flackerndes, düsteres rotes Licht entgegen. Auf der anderen Seite befand sich die Treppe, von der Ják gesprochen hatte. Sie war viel schmaler, als Andrej angenommen hatte, vermutlich aber nur eine von mehreren, die im Inneren des Donjons in die Höhe führten.

Andrej lauschte. Die mehr als meterdicken Wände des Turmes verschluckten jeden Laut von außen, aber das bedeutete keineswegs, daß es hier drinnen still gewesen wäre. Aus der Tiefe des Treppenschachtes drangen dumpfe, im einzelnen kaum zu identifizierende Laute zu ihm empor. Er gestattete seiner Phantasie nicht, sie mit dem in Verbindung zu bringen, was Ják ihm vor wenigen Minuten berichtet hatte; das hätte ihn womöglich stärker von seiner Aufgabe abgelenkt, als er es sich erlauben durfte.

Schnell, aber ohne zu rennen, bewegte er sich die Treppe hinauf. Auch von oben drangen ihm Geräusche entgegen, die aber eindeutig natürlichen Ursprungs waren: Das an- und abschwellende Heulen, mit dem der Wind durch die steinernen Zinnen des Turmes fuhr, manchmal ein Knistern und Ächzen, das die uralten Balken und mächtigen Steinquader des gewaltigen Gebäudes von sich gaben. Diese Art von Geräuschen erschreckte Andrej nicht, denn er kannte sie. In seiner Kindheit hatte er oft unerlaubt im Wehrturm von Borsã gespielt, einem vielleicht nicht ganz so großen, aber mindestens ebenso alten und kaum weniger wuchtigen Bauwerk.

Er kam nur dann und wann an einer der Fackeln vorbei, die flackerndes, aber nur schwaches Licht sowie Ruß verbreiteten; dazwischen gab es immer wieder große, vollkommen lichtlose Bereiche - und der Weg nach oben schien einfach kein Ende nehmen zu wollen.

Die Treppe endete nach gut zweihundert Stufen vor einer aus massiven Bohlen gefertigten Tür, die zusätzlich mit schweren Eisenbändern verstärkt war. Das Holz war so alt, daß es sich wie Stein anfühlte, und obwohl die Tür nicht verschlossen war, kostete es Andrej enorme Anstrengung, sie weit genug aufzuschieben, um durch den Spalt hindurchschlüpfen zu können. Der Riegel auf der anderen Seite war so massiv, daß er wahrscheinlich dem Ansturm von hundert tobenden Stieren standgehalten hätte. Ják hatte mit seiner Bemerkung, der Herzog lege großen Wert auf Sicherheit, nicht übertrieben.

Nachdem er sich durch den Spalt gequetscht hatte, schob Andrej die Tür wieder sorgfältig zu und sah sich aufmerksam um. Er befand sich in einer schmalen Nische, die auf einen weitaus breiteren und besser beleuchteten Gang hinausführte. Die Treppe, über die er heraufgekommen war, stellte vermutlich nicht den offiziellen Aufgang dar, sondern war möglicherweise ein geheimer Fluchtweg für den - unwahrscheinlichen - Fall, daß der Turm doch einmal gestürmt wurde. Der Herzog hatte wirklich an alles gedacht.

Andrej schob sich behutsam vor und lugte um die Ecke. Wie Ják gesagt hatte, endete der Gang nach zehn oder fünfzehn Schritten vor einer geschlossenen Tür, die von einem Soldaten in den Farben des Herzogs bewacht wurde. Es wäre geschmeichelt gewesen zu sagen, daß der Mann seine Aufgabe nicht ernst nahm. Er stand, halb auf seinen Speer gestützt, halb gegen die Wand gelehnt, da und schnarchte so laut, daß Andrej dies selbst von seinem Versteck aus deutlich hören konnte. Andrej warf einen raschen, sichernden Blick in die andere Richtung, um sich zu vergewissern, daß Jáks Behauptung, es gebe zur Zeit nur diesen einen Wachtposten, zutraf; dann trat er aus der Nische heraus und bewegte sich schnell und nahezu lautlos auf die Tür am Ende des Korridors zu.

Er war vollkommen sicher, keine unvorsichtige oder gar falsche Bewegung gemacht zu haben - trotzdem mußte der Posten etwas gehört haben oder vielleicht auch nur die Nähe eines anderen Menschen gespürt haben. Denn plötzlich fuhr der Mann zusammen und blinzelte erschrocken in Andrejs Richtung. Erschrocken, aber kein bißchen benommen oder müde.

Andrej änderte blitzschnell seine Taktik. Er schritt rascher und mit energischen Bewegungen aus, begann mit der rechten Hand zu gestikulieren und sagte in scharfem Ton: »Was fällt dir ein, auf deinem Posten zu schlafen, Kerl? Wenn der Herzog davon erfährt, läßt er dich auspeitschen, ist dir das klar?«

Der Mann starrte ihn verwirrt an. Er war natürlich erschrocken, weil man ihn bei seiner kleinen Verfehlung ertappt hatte, aber Andrej las ebenso deutlich in seinen Augen, daß er sich fragte, wer zum Teufel der Kerl überhaupt war, der da auf ihn zukam; und sein Mißtrauen gewann schnell Oberhand über seine Verlegenheit.

»Wer ... ?« begann er.

»Ich habe eine Nachricht vom Herzog an dich«, fiel ihm Andrej ins Wort. Noch zwei Schritte, und er hatte ihn erreicht.

»Was für eine Nachricht?« fragte der Posten mißtrauisch. »Der Herzog war...«

Andrej stand jetzt dicht vor dem Posten und machte eine wedelnde, zornige Geste mit der rechten Hand, die dem einzigen Zweck diente, den Mann noch einmal abzulenken; mit der anderen riß er das Schwert aus dem Gürtel. Die Waffe fuhr in einer geraden, ungemein wuchtigen Bewegung nach oben. Der Kopf des Soldaten wurde mit einem dumpfen Knall gegen den Türrahmen geschmettert, als ihn der Schwertknauf mit der Wucht eines Hammerschlages unter dem Kinn traf.

Andrej stieß die Waffe in die Scheide zurück und fing den Soldaten auf, der auf der Stelle zusammenbrach. Er versuchte, den Speer des Überwältigten aufzufangen, verfehlte ihn aber, so daß die Waffe mit einem lauten Scheppern und Klirren zu Boden fiel.

Andrej hielt für einen Moment den Atem an. Das metallische Klirren hallte so lange und durchdringend in seinen Ohren wider, daß er felsenfest davon überzeugt war, es müsse im gesamten Schloß zu hören sein. Aber es geschah nichts. Draußen auf dem Wehrgang wurden keine Schreie laut, und er hörte auch keine Schritte, die hastig die Treppe heraufpolterten. Es waren nur seine Nerven. Dieb, dachte er bitter, war eindeutig nicht der richtige Beruf für ihn.

Er rückte das Gewicht des bewußtlosen Soldaten in seinen Armen zurecht, stieß die Tür zum Gemach des Herzogs mit dem Knie auf und bugsierte den Mann ächzend in den dahinterliegenden Raum. Andrej sah sich aufmerksam um und prüfte, ob er tatsächlich allein war, dann ließ er den Mann zu Boden sinken, trat noch einmal aus dem Zimmer auf den Gang und hob die Hellebarde auf. Nachdem er die Tür sorgsam hinter sich geschlossen hatte, ließ er sich neben dem Soldaten auf die Knie sinken und untersuchte ihn flüchtig. Der Mann war bewußtlos, und das so tief, daß er vermutlich erst nach Stunden wieder erwachen würde - aber er lebte. Ják würde sich wohl oder übel damit abfinden müssen, daß er in diesem Punkt von ihrem ursprünglichen Plan abgewichen war.

Andrej stand wieder auf, ging zur Tür und legte den Riegel vor. Erst danach unterzog er das Zimmer einer zweiten, sehr viel eingehenderen Untersuchung.

Und was er sah, entsprach im großen und ganzen dem Bild, das er sich von dem Bewohner dieser Gemächer gemacht hatte, ohne ihn zu kennen: Die Einrichtung war einfach und nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit ausgewählt, nicht nach denen der Schönheit. Trotzdem lag ein Hauch von Luxus über dem Raum, was vermutlich einfach an seiner Größe lag. Das Schlafgemach des Herzogs mußte einen Großteil des gesamten Stockwerkes einnehmen. Die Möbel, obwohl für sich betrachtet wuchtig und schwer, wirkten in der Weite des rechteckigen Raumes geradezu winzig, so daß sich jeder Besucher - Andrej eingeschlossen - hier einfach verloren vorkommen mußte: Ein Effekt, der vermutlich beabsichtigt war und mehr über den Bewohner dieses Raumes aussagte, als dieser ahnen mochte.

Innerhalb weniger Sekunden hatte sich Andrej alles eingeprägt, was er wissen mußte. Die Schatztruhe stand genau dort, wo Ják es ihm beschrieben hatte: auf einer kleinen Kommode neben dem Bett. Doch bevor er dorthin ging, trat er ans Fenster und blickte hinaus. Wäre es heller gewesen, hätte Andrej die ganze Stadt überblicken können. So hingegen sah er nur eine scheinbar endlose Fläche kantiger Schatten, in der überraschend wenige schwache Lichter glommen. Das Fenster lag allerdings auch in Richtung auf den Hafen und das Meer; vermutlich hätte sich ihm zum Marktplatz hin ein anderer Anblick geboten.

Andrej beugte sich weiter vor und begriff erst jetzt den Sinn von Krushas Warnung, er solle vorsichtig sein, in seiner vollen Tragweite. Der Turm, der zugleich Teil der äußeren Verteidigungsanlage war, überragte die Mauer mit den aufgesetzten hölzernen Hürden um ein gutes Stück - mindestens zwanzig Fuß, wenn nicht mehr. Trotzdem mochte ein zufälliger Blick von jemandem, der dort unten vorbeiging, durchaus genügen, um ihn zu entdecken.

Im Augenblick war allerdings nichts von einer Patrouille zu sehen, so daß Andrej es wagte, sich noch ein Stück weiter vorzubeugen und nach unten zu schauen. Der rückwärtige Teil des Schlosses endete in einem Wassergraben, vielleicht auch einem kleinen, künstlich angelegten See, auf dem er die Umrisse eines Bootes ausmachen konnte. Krusha und sein Bruder waren bereits dort unten.

Obwohl Andrej fast sicher war, daß sie es nicht sehen konnten, winkte er ihnen zu und trat dann vom Fenster zurück. Es wurde Zeit, daß er seine Beute einsammelte und von hier verschwand. Also begab er sich, ohne weiter zu zögern, zu der Truhe und wollte deren eisenbeschlagenen Deckel öffnen, stellte aber ohne sonderliche Überraschung fest, daß er verschlossen war.

Er zog seinen Dolch aus dem Gürtel und versuchte das Schloß zu öffnen; doch es erwies sich als erstaunlich widerstandsfähig, so daß er schließlich das Schwert zu Hilfe nahm. Wenn die Stabilität der Truhe Rückschlüsse auf den Wert ihres Inhaltes zuließ, mußte sich ein Vermögen darin verbergen. Andrej schlug drei- oder viermal mit aller Kraft den Schwertknauf auf das Schloß, ehe der Mechanismus endlich mit einem leisen Knirschen kapitulierte und er die Truhe öffnen konnte.

Sie war gut zur Hälfte mit kleinen, runden Goldmünzen unterschiedlicher Größe gefüllt; hinzu kamen zwei kleine Säckchen aus Samt, die Edelsteine der verschiedensten Art und Farbe enthielten. Für einen kurzen Augenblick drohte Andrej der Versuchung zu erliegen, einige der Münzen einzustecken. Wenn Ják Wort hielt und es ihm gelang, Frederics Angehörige zu befreien, würden sie nicht nur Glück brauchen, um den Rückweg zu bewältigen, sondern auch Geld. Doch er entschied sich dagegen. Angesichts seiner Situation war das vielleicht ein Fehler, aber er war nun einmal kein Dieb.

Hastig steckte er das Schwert wieder ein, zog die drei mit Kork gefüllten Lederbeutel unter seiner Uniform hervor und verteilte den Inhalt der Schatztruhe auf sie. Als er fertig war und die Säckchen sorgsam verknotete, stellte er fest, daß sie ziemlich schwer waren. Er war nicht sicher, ob sie tatsächlich auf dem Wasser schwimmen würden, hoffte aber, daß Krusha - und vor allem Ják - wußten, was sie taten.

Andrej überprüfte die Knoten noch einmal auf ihre Festigkeit, ehe er ans Fenster trat und vorsichtig hinausspähte. Nur wenige Armeslängen unter ihm schritten zwei Soldaten des Herzogs über den Wehrgang. Die Männer hatten es nicht besonders eilig; sie schlenderten gemächlich dahin und blieben von Zeit zu Zeit sogar stehen, um einen Blick auf die Stadt hinabzuwerfen. Es dauerte eine geraume Weile, bis sie endlich außer Sichtweite waren - und noch erheblich länger, bis Andrej sicher war, daß sie ihn mit Bestimmtheit nicht mehr sehen konnten.

Dann holte er entschlossen aus und warf den ersten Beutel so weit aus dem Fenster, wie er nur konnte. Das Boot mit Krusha und seinem Bruder war nicht zu sehen, aber Andrej zweifelte nicht daran, daß ihre Blicke gebannt auf das erleuchtete Fenster unter der Turmspitze gerichtet waren.

Als er den zweiten Beutel aus dem Fenster werfen wollte, raschelte es hinter ihm, und eine leise, aber sehr klare Stimme sagte: »Das reicht jetzt, Delãny.«

Andrej fuhr erschrocken herum, ließ den Beutel fallen und griff nach seinem Schwert, zog die Waffe jedoch nicht, als er bemerkte, daß Ják hinter einem roten Samtvorhang hervortrat; offenbar mußte sich hinter diesem Vorhang eine Geheimtür verbergen.

»Ják?« murmelte er. Dann verfinsterte sich sein Gesicht. »Seid Ihr verrückt? Was tut Ihr hier? Und wieso ... habt Ihr mir nichts von dieser Geheimtür gesagt?«

Doch sein vermeintlicher Verbündeter reagierte nicht, sondern ging mit raschen Schritten zu dem bewußtlosen Posten und kniete neben ihm nieder. Als er sah, daß der Mann noch am Leben war, runzelte er die Stirn und sagte: »Ihr habt ein zu weiches Herz, Delãny.«

»Ich habe Euch etwas gefragt, Ják«, bemerkte Andrej scharf. »Was tut Ihr hier?« Irgend etwas stimmte nicht.

»Wir müssen unsere Pläne ändern.« Ják deutete mit einer Kopfbewegung auf die beiden Lederbeutel, die zu Andrej s Füßen lagen. »Werft sie bitte nicht auch noch hinaus! Es wäre doch zu schade, wenn ihr Inhalt irgendwie zu Schaden käme, oder?«

»Ják, verdammt!« schnappte Andrej. Er trat einen Schritt auf den Grauhaarigen zu, blieb dann aber wieder stehen. Seine Gedanken überschlugen sich. Was ging hier vor? Was um alles in der Welt hatte das zu bedeuten?

»Wie gesagt: Wir müssen unsere Pläne ändern - geringfügig.« Ják seufzte und zog einen schmalen Dolch unter seinem Gewand hervor, mit dem er dem bewußtlosen Soldaten die Kehle durchschnitt.

Andrejs Augen weiteten sich. »Was ...?!«

Ják erhob sich, war mit zwei Schritten bei der Tür und zog deren Riegel zurück. Im selben Atemzug fügte er sich mit der Mordwaffe eine fingerlange, heftig blutende Schnittwunde auf dem Rücken seiner linken Hand zu. Dann stieß er die Tür auf und schrie mit lauter Stimme: »Wachen!«

Andrej zog sein Schwert und wollte sich auf ihn stürzen, aber es war schon zu spät. Ják ließ den Dolch fallen, sprang zur Seite und fuchtelte mit seiner verletzten Hand wild in der Luft herum. Der Raum füllte sich so schnell mit Männern in Orange und Weiß, als hätten die Soldaten des Herzogs auf dem Gang nur auf ihren Einsatz gewartet. Und so war es wohl auch! Andrej wich hastig zur Wand zurück und führte einen weit ausholenden, kraftvollen Hieb aus, der zwar keinen seiner Gegner traf, ihm aber wenigstens für einen kurzen Augenblick Luft verschaffte.

Verzweifelt hielt er Ausschau nach einem Fluchtweg - aber es gab keinen. Vom Gang stürmten immer mehr Bewaffnete herein, und Andrej stand jetzt schon annähernd einem Dutzend Männern gegenüber, die ihre Schwerter und Speere auf ihn gerichtet hatten. Er hatte zwar keine Angst davor, gegen mehrere Gegner gleichzeitig zu kämpfen, aber diese Übermacht war selbst für ihn zu groß. Für Bruchteile von Sekunden zögerte er, doch dann legte er das Schwert vor sich auf den Boden und hob die Arme. Einer der Soldaten trat auf ihn zu und setzte ihm das Schwert an die Kehle.

»Halt!« rief Ják scharf. »Rührt ihn nicht an! Ich will ihn lebend!«

Der Soldat senkte sein Schwert und trat hastig einen Schritt zurück. »Sehr wohl, Herr«, sagte er.

Andrej blinzelte, starrte Ják an und wiederholte in fragendem Tonfall: »Herr?«

»Herr«, bestätigte der Herzog von Constãntã.

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