15


Kurze Zeit darauf erschienen vier Männer in Andrejs Zelle, die ihn von den Ketten befreiten und ihm Wasser und saubere Kleider brachten, so daß er sich waschen und umziehen konnte. Die Soldaten hatten ständig die Hände griffbereit auf dem Schwertknauf, und Andrej konnte hören, daß auf dem Gang noch weitere Männer warteten. Ein Fluchtversuch wäre zum jetzigen Zeitpunkt nicht nur vollkommen aussichtslos gewesen, sondern zudem äußerst dumm. Er mußte abwarten, bis sich eine Gelegenheit ergab, die seine Bewacher ablenkte und ihm einen Vorteil verschaffte. Vielleicht würde sie nie kommen ... vielleicht war sie aber auch nur Minuten entfernt. Es galt einfach, die Nerven zu behalten und den richtigen Moment abzuwarten. Andrej hatte nicht vor, sich widerstandslos abschlachten zu lassen - weder schnell noch langsam.

Als er erneut in Ketten gelegt und aus der Zelle geführt wurde, ließ er alles bereitwillig mit sich geschehen. Wie erwartet befand sich seine Zelle im tiefsten Kerker des Schlosses. Sie gingen einen schmalen, finsteren Gang entlang, der so niedrig war, daß sich die Männer nur gebückt darin bewegen konnten, und an dessen Ende sich eine schmale, steil nach oben führende, endlos lange Treppe befand. Nachdem sie eine Tür aus massiven Eichenbohlen passiert hatten, gelangten sie in das eigentliche Gefängnis, das weit oberhalb seiner Zelle lag.

Als sie den Gefängnistrakt betraten, konnte Andrej das Leid, das in der Luft lag, fast körperlich spüren. Nicht nur er, sondern sogar seine Bewacher hatten im ersten Augenblick Mühe, überhaupt zu atmen. Die beiden großräumigen Zellen hinter riesigen Eisengittern, die den Gang flankierten, waren hoffnungslos überfüllt. Der Gestank menschlicher Exkremente vermischte sich mit dem von Krankheit und Tod; außerdem drang von beiden Seiten ein unentwegtes, gedämpftes Stöhnen und Wehklagen auf sie ein. Angesichts der gut fünfzig Männer, Frauen und Kinder, die in den beiden Zellen zusammengepfercht waren, erschienen Andrej diese Geräusche erstaunlich leise. Viele der Gefangenen hatten wohl nicht einmal mehr die Kraft, ihrem Leid Ausdruck zu verleihen.

Der Anblick zog Andrejs Herz zu einem harten, eisigen Klumpen zusammen, so daß er mehrmals hastig die Augen niederschlug, um ihn nicht länger ertragen zu müssen. Als man ihn in seinen Kerker gebracht hatte, war er ohne Bewußtsein gewesen, da einer der Soldaten ihn niedergeschlagen hatte; er war erst wieder zu sich gekommen, als man ihn bereits in seiner Zelle angekettet hatte. Jetzt begriff er, daß dies eine Gnade gewesen war. Die Tage, die er allein mit sich und seinen Gedanken dort unten verbracht hatte, waren schlimm genug gewesen; aber mit den Bildern dessen vor Augen, was Demagyar den gefangenen Dorfbewohnern angetan hatte, wären sie zur Hölle geworden. Zwar hatte er gewußt, daß sich Frederics Familie und Freunde hier unten befanden, aber diese Wirklichkeit hier war um etliches schlimmer als alles, was er sich in seiner Phantasie ausgemalt hatte.

So unangenehm ihm diese Bilder des Schreckens auch waren, Andrej zwang sich doch, sich noch einmal nach beiden Seiten umzusehen. Er sah graue, von Leid und Schmerz und vor allem Furcht gezeichnete Gesichter, aber dasjenige Frederics war nicht unter ihnen. Wenn Demagyar die Wahrheit gesagt hatte und sich der Junge in seiner Gewalt befand, wurde er an einem anderen Ort gefangengehalten.

Sie gingen weiter nach oben und traten schließlich auf den Hof hinaus. Andrej schloß geblendet die Augen und hob ganz instinktiv die Hand, um sich vor dem grellen Sonnenlicht zu schützen. Sofort hob einer seiner Begleiter sein Schwert und setzte die Klinge an Andrejs Kehle, und ein zweiter drückte ihm die Spitze seiner Hellebarde in den Magen. Andrej erstarrte für einen Moment zur Reglosigkeit. Was immer Demagyar oder Domenicus über ihn erzählt haben mochten - die Soldaten des Herzogs hatten einen höllischen Respekt vor ihm. Diesen Umstand würde er zu seinen Gunsten ausnutzen können. Aber nicht jetzt. Neben allem anderen, was dagegen sprach, machte es ihm allein schon die Tatsache, daß der Herzog auch Frederic in seiner Gewalt hatte, vollkommen unmöglich, jetzt zu fliehen.

Vorsichtig senkte er die Hand wieder, wartete ab, bis die Soldaten ihre Waffen zurückgezogen hatten, und zwang sich zu einem leicht verunglückten Grinsen. War das Angst, was er auf den Gesichtern dieser Männer las, oder war es Haß? Immerhin glaubten sie, daß er einen ihrer Kameraden getötet hatte.

Während sie weitergingen, sah sich Andrej ein zweites Mal aufmerksam auf dem Innenhof der Burganlage um. Seine Augen gewöhnten sich rasch an das grelle Tageslicht, aber der Anblick, der sich ihm bot, wurde dadurch nicht angenehmer. Die Festung wirkte auch am Tage so düster und abweisend wie in der Nacht, nur konnte man diesen Eindruck jetzt nicht mehr auf die Dunkelheit und die gespenstischen Schatten schieben. Andrej sah einen abweisenden, kalten Ort, an dem ihm jede menschliche Regung und jedes Lachen fehl am Platze schienen.

Die Soldaten führten ihn in einen großen, spärlich möblierten Saal in der ersten Etage des Palas - Ják Demagyars Thronsaal, wie Andrej vermutete. Der Raum wurde von einem großen, zur Zeit allerdings erloschenen Kamin beherrscht, über dem das Wappenschild der Demagyars hing, darunter ein mit einem Morgenstern gekreuztes Schwert. Beide Waffen dienten nicht nur der Dekoration, sondern zeigten ebenso wie der Schild deutliche Spuren früherer Kämpfe.

Vor dem Kamin war eine lange Tafel aufgestellt worden, an der Demagyar und drei Andrej unbekannte Männer Platz genommen hatten. Nur einer von ihnen trug die Farben des Herzogs, die beiden anderen waren in zivile, allerdings sehr kostbare Gewänder gekleidet. Vermutlich handelte es sich um Würdenträger der Stadt. Zwei weitere Plätze an der Tafel waren noch frei, einer davon direkt neben dem Herzog.

»Ihr wißt, warum Ihr hier seid«, begann Demagyar unmittelbar.

»Um Eure Gastfreundschaft zu genießen?« fragte Andrej. »Wenn dem so ist, dann hätte ich eine Beschwerde, was mein Zimmer anbe ...«

Einer der Soldaten schlug ihm mit solcher Wucht in den Nacken, daß er taumelte. Andrej tat ihnen nicht den Gefallen, zu stöhnen, sondern biß die Zähne zusammen und blinzelte ein paarmal.

»Ihr scheint Euch immer noch nicht über den Ernst der Lage im klaren zu sein, Delãny«, sagte Demagyar stirnrunzelnd.

»Die Freundlichkeit der Bedienung läßt auch zu wünschen übrig«, murmelte Andrej. Er spürte, wie der Mann hinter ihm erneut ausholte, und spannte sich, aber der Herzog hob abwehrend die Hand, und der erwartete Hieb blieb aus.

Dann wandte sich Demagyar mit einem angedeuteten Kopfschütteln an den Mann zu seiner Linken. »Wie ich Euch gesagt habe, Graf Bathory - er ist ein transsilvanischer Barbar. Anscheinend ist ihm nicht einmal bewußt, in welcher Situation er sich befindet.«

Der Angesprochene hob die Hand, um den Herzog zum Schweigen zu bringen, und wandte sich direkt an Andrej. »Ist das so, Delãny?« fragte er. »Wißt Ihr überhaupt, warum Ihr hier seid? Was man Euch vorwirft?«

Andrej verstand immer weniger, was hier vorging. Daß dieser ganze sogenannte Prozeß nichts anderes als eine Farce sein würde, war ihm vollkommen klar; Demagyar hatte ihm ja offen gesagt, daß das Urteil bereits feststand. Nach Graf Bathorys Worten wäre der fast beschwörende Blick, den der Herzog ihm zuwarf, kaum mehr nötig gewesen, um klarzumachen, daß seine Richter ihm eine goldene Brücke bauen wollten. Aber was sollte das alles?

»Ich sage Euch doch, Graf Bathory«, beharrte Demagyar, als Andrej immer noch nicht antwortete, »er ist ein Narr. Seine Komplizen haben ihn vorausgeschickt, weil er dumm genug ist, sich auf ein solch aussichtsloses Unternehmen einzulassen.«

»Das mag sein«, mischte sich jetzt der zweite Fremde ein. »Ich bin trotzdem dafür, ihn einer peinlichen Befragung zu unterziehen. Vielleicht spielt er ja nur den Dummkopf.«

»Was sollte ihm das nutzen, Florescu?« fragte der Herzog. »Er weiß, daß er keine Gnade zu erwarten hat.« Er räusperte sich, sah Andrej einen Moment lang ausdruckslos an und erhob sich.

»Also gut, Andrej Delãny vom Borsã-Tal, ich beschuldige Euch offiziell folgender schwerer Verbrechen: Da wäre zum ersten der versuchte Diebstahl des herzoglichen Schatzes, sowie der Einbruch in unser Schloß und insbesondere in unsere Schlafgemächer. Ferner der tätliche Angriff auf Ják Demagyar, den Herzog von Constãntã und Stellvertreter des Königs.« Er wedelte mit seiner verletzten Hand. »Du weißt es vielleicht nicht, Wilder, aber nach unserer Rechtsprechung muß jeder tätliche Angriff auf den Herzog unverzüglich mit dem Tode geahndet werden. Gibst du diese Verbrechen zu?«

Den toten Soldaten erwähnte er nicht einmal. Aber schließlich hatte der Mann ja auch nur das getan, wozu Soldaten in Demagyars Augen da waren: Er war gestorben.

»Habe ich denn eine andere Wahl?« fragte Andrej.

Diesmal hielt Demagyar den Soldaten nicht davon ab, ihn zu schlagen. Andrej gab aber auch jetzt keinen Laut von sich, wenngleich es ihm schwerfiel, sich auf den Beinen zu halten.

»Es ist sinnlos«, seufzte der Herzog. »Trotzdem will ich Euch noch eine Chance geben.«

Er stand auf, ging zu einem kleinen Tischchen, das neben dem Kamin aufgestellt war, und kam mit zwei bauchigen Lederbeuteln zurück.

»Ihr wurdet mit drei von diesen Beuteln überrascht, Andrej Delãny«, sagte er, während er die zwei angeblichen Beweisstücke vor sich auf den Tisch stellte, »in denen Ihr Euer Diebesgut fortbringen wolltet. Zwei konnten Euch entrissen werden, aber mit dem dritten sind Eure Komplizen entkommen - und das heißt: unglücklicherweise auch mit einem Drittel unseres Vermögens.« Er lächelte gezwungen. »Wir hätten dieses Drittel gerne zurück, Andrej Delãny.«

Andrej verstand nun gar nichts mehr. Ják Demagyar wußte vermutlich als einziger hier im Raum, wo sich Krusha und Sergé und mit ihnen auch der Rest der Beute befanden. Warum wollte der Herzog sich selbst bestehlen?

»Ich weiß nicht, wovon Ihr redet«, sagte Andrej.

Florescu schlug wütend mit der flachen Hand auf den Tisch. »Werde nicht unverschämt, Kerl! Du solltest besser antworten. Wenn nicht, so verfügen wir durchaus über gewisse Methoden, deine Zunge zu lösen!«

»Wer sind deine Komplizen?« fragte Graf Bathory. »Wo habt ihr euch verabredet? Und wer hat euch von der Schatztruhe des Herzogs erzählt?«

»Oder wart Ihr am Ende gar nicht hinter dem Geld her?« fügte Demagyar hinzu und hob mit einer dramatischen Bewegung seine verletzte Hand. »Sollte Euer Messer am Ende meine Kehle treffen, nicht nur meine Hand?«

»Wenn ich Euren Tod gewollt hätte, dann könntet Ihr diese Frage jetzt nicht mehr stellen«, entgegnete Andrej ruhig. Er spannte sich, aber der erwartete Schlag in den Nacken blieb aus.

Der Herzog seufzte, blickte erst zu Andrej, dann zu dem Soldaten hinter dem Angeklagten und bewegte fast unmerklich den kleinen Finger der rechten Hand; praktisch im selben Moment explodierte ein so gräßlicher Schmerz in Andrejs Nieren, daß er mit einem Stöhnen auf die Knie sank und sekundenlang gegen eine drohende Bewußtlosigkeit ankämpfte.

»Unsere Geduld ist bald erschöpft, Delãny«, sagte Demagyar kalt. »Ich hasse es, einen Mann foltern zu lassen, aber ich werde nicht zögern, das zu tun, wenn Ihr weiter so verstockt seid! Nennt uns die Namen Eurer Komplizen, und sagt uns, wo sie sich versteckt halten, dann werde ich vielleicht noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen!«

Andrej kämpfte sich mühsam auf die Beine hoch. Ihm war übel, und sein Rücken schmerzte unerträglich. Er hatte Mühe, Demagyars Worten zu folgen. Allerdings hätte er das vermutlich selbst dann gehabt, wenn er von dem Soldaten nicht an den Rand der Bewußtlosigkeit geprügelt worden wäre. Immerhin begriff er allmählich, daß dieser sogenannte Prozeß ein sorgsam vorbereitetes Theaterstück war, das vermutlich Florescu und Bathory galt. Was aber versuchte Demagyar ihnen vorzugaukeln?

»Ich weiß nicht, wo sie sind«, sagte er stockend. »Ich weiß nicht einmal genau, wer sie sind. Ich habe sie erst vor ein paar Tagen kennengelernt.«

»Wo?« fragte Bathory.

Andrej starrte ihn trotzig an. Graf Bathory hielt seinem Blick einige Sekunden lang stand, ehe er einem der Soldaten hinter ihm zunickte. Der Mann ging mit schnellen Schritten an Andrej vorbei, legte ein in Leinen eingeschlagenes Bündel vor Graf Bathory auf den Tisch und nahm rückwärts gehend wieder seine vorherige Position ein.

Graf Bathory wickelte das Päckchen rasch aus, und Andrej erkannte, daß es die zerrissenen Kleider enthielt, die Frederic und er in dem leerstehenden Haus zurückgelassen hatten.

»Gehören diese Kleider dir?« fragte Graf Bathory. »Wenn ja, dann erkläre mir, warum sie zerrissen wurden.«

»Was spielt das für eine Rolle?« fragte Andrej. »Ich habe doch schon zugegeben, daß ich versucht habe, den Herzog zu bestehlen.«

»Was deinen sicheren Tod bedeutet«, bemerkte Florescu. »Ich frage mich nur, warum ein Mann zusätzlich noch schwere Qualen in Kauf nimmt, nur um zwei Komplizen zu schützen, die er angeblich erst seit ein paar Tagen kennt.«

»Bedenke deine nächsten Worte genau, Delãny«, fügte Graf Bathory hinzu. »Dein offensichtlich verbranntes Haupthaar ist Beweis genug dafür, daß du und deine Freunde auch für den Brand in dem Gasthaus vor zwei Tagen verantwortlich seid, was ein weiteres schweres Verbrechen darstellt.«

»Ihr könnt mich nur einmal töten, oder?« fragte Andrej kühl. Er sah Demagyar an. Der Herzog gab sich alle Mühe, ein finsteres Gesicht zu machen, aber es gelang ihm dennoch nicht völlig, das triumphierende Glitzern in seinen Augen zu unterdrücken. Andrej wußte noch immer nicht genau, worauf Demagyar hinauswollte, aber diese Vernehmung schien sich ganz in seinem Sinne zu entwickeln.

»Du irrst dich, Andrej Delãny«, entgegnete Florescu. »Dein Tod wird keine kurze Angelegenheit sein. Mir widerstrebt es ebenso wie Ják Demagyar, einen Mann der Folter zu unterziehen, aber deine Verbrechen wiegen zu schwer. Das Volk schreit nach Gerechtigkeit. Wenn du weiter so verstockt bist, wird sich dein Tod über einen ganzen Tag hinziehen.«

»Es sei denn«, fügte Graf Bathory hinzu, »du gibst die Namen deiner Komplizen preis. Und den eures Auftraggebers.«

»Ich verstehe nicht, was Ihr meint«, sagte Andrej - und das entsprach in diesem Moment sogar der Wahrheit.

»Dann will ich es dir ein wenig leichter machen«, sagte Florescu. »Du bist nicht so einfältig, wie du uns glauben machen willst. Niemand ist so dumm zu glauben, er könnte ungesehen in das Schlafgemach des Herzogs eindringen, seine Schatztruhe ausrauben und dann auch noch entkommen. Ich will dir sagen, was deine wirkliche Absicht war: Du wolltest den Herzog ermorden.«

»Was zweifellos sehr viel leichter ist, als nur sein Geld zu stehlen«, bemerkte Andrej sarkastisch.

»Vielleicht hast du ja gehofft, in dem Durcheinander nach dem Tode des Herzogs entkommen zu können«, beharrte Florescu.

Graf Bathory wirkte äußerst nachdenklich, auch ein wenig erschrocken. Demagyar hingegen konnte seine Zufriedenheit nicht verbergen.

»Sag uns den Namen eures Auftraggebers und das Versteck deiner Komplizen, und ...« Florescu hielt für einen ganz kurzen Moment inne; gerade lange genug, um sich mit einem fragenden Blick an Demagyar zu wenden, den dieser mit einem angedeuteten Nicken beantwortete, »...du bleibst am Leben«, schloß Florescu.

Graf Bathory runzelte die Stirn. »Verzeiht, Florescu, aber dieser Mann ...«

»Dieser Mann«, fiel ihm der Angesprochene ins Wort, »ist nicht mehr als ein Werkzeug. Es nutzt wenig, den Dolch zu zerbrechen, wenn man nicht weiß, wessen Hand ihn geworfen hat.«

Graf Bathory setzte zu einer Erwiderung an, doch er kam nicht zu Wort. Draußen wurden wütende Stimmen laut, dann wurde die Tür aufgestoßen, und zwei hilflos mit den Armen fuchtelnde Wachtposten stolperten rückwärts in den Gerichtssaal, gefolgt von einem dunkelhaarigen Racheengel, aus deren Augen Blitze schössen; begleitet wurde die aufs höchste erregte Frau von zwei Männern in polierten Brustharnischen aus Messing, die Andrej nur zu gut kannte: Einer von ihnen war der hühnenhafte Malthus, der ihn bereits einmal fast getötet hatte, den zweiten hatte er zum erst Mal in dem anschließend verbrannten Gasthaus gesehen.

Herzog Demagyar erhob sich halb aus seinem Stuhl. »Komteß!« begann er. »Was...?«

»Was geht hier vor?!« unterbrach ihn die Schwester des Inquisitors scharf. Sie war nahe daran, zu schreien.

»Bitte, verzeiht, Komteß«, sagte Demagyar unbehaglich, »aber ich muß Euch bitten, wieder zu gehen. Wir sitzen zu Gericht, und ...«

»Über einen Mann, den wir beanspruchen!« unterbrach ihn Maria zornig.

»Wie bitte?« Demagyar blickte die Frau fragend an.

Maria ignorierte die beiden Männer, die unbeholfen versuchten, ihr den Weg zu versperren oder sie auf andere Weise aufzuhalten, ohne dabei in die peinliche Situation zu geraten, die junge Frau berühren zu müssen; sie stürmte entschlossen auf Demagyar zu und blieb herausfordernd vor dem Tisch stehen.

»Spart Euch Euer vornehmes Getue, Demagyar«, fuhr sie ihn scharf an. »Ihr habt kein Recht, diesen Mann zu verurteilen! Das Recht, Gericht über den Mörder meines Bruders zu halten, steht allein mir zu! Und ich nehme dieses Recht in Anspruch!«

Der Herzog antwortete nicht sofort auf diese Forderung, sondern blickte Maria nur auf eine schwer zu deutende Art an. Auch Florescu wirkte ebenso verwirrt wie betroffen, während Graf Bathory wenigstens den Versuch unternahm, die Situation ein wenig zu entspannen. Andrej sah aus den Augenwinkeln, wie die beiden goldenen Ritter näher kamen und wie zufällig rechts und links hinter ihm stehen blieben. Er glaubte jedoch nicht, daß sie ihn angreifen würden. Sie konnten es sich so wenig leisten, ihn vor den Augen Demagyars und der anderen zu töten, wie sie das bei ihrem letzten Zusammentreffen auf dem Marktplatz in Anwesenheit all der unliebsamen Zeugen gekonnt hatten.

»Komteß, Ihr könnt versichert sein, daß wir Euren Schmerz verstehen und teilen«, sagte Graf Bathory. »Dennoch...«

»Dennoch habe ich Demagyars Wort«, unterbrach ihn Maria. »Oder habt Ihr bereits vergessen, daß Ihr mir versichert habt, ihn und den Jungen an mich auszuliefern, Herzog?«

Demagyar deutete ein Kopfschütteln an. »Keineswegs«, antwortete er mit steinernem Gesicht. »Aber das war, bevor Delãny ins Schloß eingedrungen ist und versucht hat, mich zu ermorden.«

Maria warf Andrej einen fast erschrockenen Blick zu. »Ist... das wahr?«

»Nein«, antwortete Andrej ruhig.

Der Herzog lachte. »Natürlich leugnet er. Was habt Ihr erwartet?«

»Daß Ihr Euer Wort haltet, Herzog.«

»Aber so versteht doch, Komteß«, seufzte Demagyar. »Ich kann Delãny nicht an Euch ausliefern, nicht einmal, wenn ich es wollte.«

»Er sagt die Wahrheit.« Graf Bathory deutete auf Andrej. »Delãny hat sich mehrerer schwerer Verbrechen schuldig gemacht. Es ist uns gar nicht möglich, ihn an Euch - oder irgend jemand anderen - auszuliefern. Nicht bevor der Gerechtigkeit hier Genüge getan ist.«

Maria ballte die Fäuste. Für Sekundenbruchteile zitterte sie am ganzen Leib. Andrej konnte sich vorstellen, was in der jungen Frau vorging. Aber sie beherrschte sich. Nach einem weiteren Augenblick öffnete sie die Fäuste, entspannte sich sichtbar und trat zwei Schritte zurück.

»Das werden wir sehen«, sagte sie gepreßt. »Ich würde Euch jedenfalls nicht raten, ihn anzurühren.«

»Bitte beruhigt Euch, Komteß«, sagte Demagyar sanft. »Ich verstehe Euren Schmerz, aber ich kann leider nichts für Euch tun.«

»Ihr versteht anscheinend nicht, worum es geht«, entgegnete Maria kühl. »Wenn mein Bruder stirbt, dann werdet Ihr Euch fragen lassen müssen, weshalb Ihr Euch weigert, den Mörder eines Inquisitors auszuliefern. Wollt Ihr wirklich den Zorn der römischen Kirche herausfordern?«

Wenn mein Bruder stirbt? dachte Andrej verblüfft. »Euer Bruder ... lebt?« fragte er.

»Schweigt!« donnerte Demagyar. »Ihr habt nur zu reden, wenn man Euch dazu auffordert.«

Maria antwortete trotzdem: »Er lebt. Aber ich weiß nicht, wie lange noch. Wenn er stirbt, dann Gnade Euch Gott, Andrej Delãny. Von mir jedenfalls habt Ihr keine Gnade zu erwarten.« Sie wandte sich wieder an den Herzog. »Und für Euch gilt dasselbe, Ják Demagyar. Ich weiß, daß ihr hier nicht allzuviel von der römischen Kirche haltet, aber mein Bruder ist kein gewöhnlicher Geistlicher. Er hat mächtige Freunde, die sich fragen werden, wie er zu Schaden kommen konnte, während er sich im Schütze Eurer Gastfreundschaft befand. Und bedenkt: Wenn die Türken wirklich zum Schlag gegen Constãntã ausholen, werdet auch Ihr Freunde brauchen!«

Demagyar erwiderte nichts auf diese Drohung, aber man sah ihm deutlich an, wie wenig sie ihn beeindruckte. Die junge Frau hatte wohl unbeabsichtigt die Wahrheit gesagt: Das Wort des Vatikans galt in diesem Teil des Landes nicht besonders viel. Rom war zwar mächtig, aber Rom war auch sehr weit entfernt. Und wenn die Türken wirklich versuchen sollten, Constãntã einzunehmen, würde der Papst sie nicht daran hindern können - selbst wenn er wollte.

»Wenn ich Euch nun bitten dürfte zu gehen«, sagte er nach einer Weile, freundlich, aber in wesentlich kühlerem Ton. »Ich werde mich später gerne mit Euch unterhalten.«

»Vergeßt nicht, was ich Euch gesagt habe«, sagte Maria. Sie drehte sich herum, streifte Andrej mit einem eisigen Blick und verließ in Begleitung der beiden Goldenen den Raum.

Загрузка...