7


Andrej schwamm mit ruhigen, kraftvollen Zügen durch die Brandung. Das Wasser war so kalt, daß er zitterte, und statt ihn zu erfrischen, schien die Kälte nur noch mehr an seinen Kräften zu zehren. Trotzdem schwamm er nicht zum Ufer zurück, sondern bewegte sich mit einem Dutzend wuchtiger Schwimmstöße weiter aufs offene Meer hinaus.

Er achtete streng darauf, niemals länger als eine Minute unter Wasser zu bleiben, ehe er wieder auftauchte und einen tiefen Atemzug nahm. Er traute den Brüdern nicht unbedingt und wollte auf alles gefaßt sein. Außerdem wollte er Frederic nicht mit Sergé alleine lassen. Der Junge planschte irgendwo weit hinter ihm am Strand in der Dünung, und Sergé wartete auf die Rückkehr seines Bruders. Andrej war sicher, daß der vorgebliche Schausteller ihn beobachtete.

Seit jenen Stunden am Lagerfeuer, in denen sie ihr zerbrechliches Bündnis geschlossen hatten, waren zwei Nächte und ein Tag vergangen. Sergé hatte zwar keine entsprechende Bemerkung gemacht, aber man mußte keine außergewöhnliche Menschenkenntnis besitzen, um zu spüren, daß er mißtrauisch geworden war. Zwei seiner Brüder waren tot und er selbst schwer verletzt, während Andrej vor aller Augen durch die Flammen geschritten war, ohne dabei mehr als sein Haar und die Augenbrauen einzubüßen. Die sprichwörtliche Zähigkeit der Delãnys hatte schon oft Mißtrauen erregt, doch es war vielleicht noch nie so berechtigt gewesen wie jetzt. Andrej verstand selbst nicht, warum er und der Junge sich so schnell von ihren Brandverletzungen erholten - es hatte etwas geradezu Unheimliches an sich, wie schnell sich die verbrannte Haut abgestoßen hatte, um Platz zu machen für neues, zartrosa Gewebe.

Delãny tauchte auf, atmete tief durch und bewegte sich einen Moment lang wassertretend auf der Stelle. Er erschrak ein wenig, als er sah, wie weit er sich vom Ufer entfernt hatte. Es wurde Zeit, den Rückweg anzutreten.

Sein Blick suchte aufmerksam das Ufer ab, während er versuchte, seinen Rhythmus dem der Brandung anzugleichen, damit sie ihm half, schneller zum Strand zurückzugelangen, statt gegen sie ankämpfen zu müssen. Das fiel ihm alles andere als leicht; sein Körper war noch immer so geschwächt, daß er ihm keine Höchstleistungen abverlangen konnte - obwohl es mehr als erstaunlich war, daß er sich überhaupt schon wieder bewegen und schwimmen gehen konnte. Er konnte Sergés Mißtrauen anläßlich seiner schnellen Genesung verstehen. Bislang hatte er die faszinierende Fähigkeit seines Körper, mit Verletzungen und Verwundungen aller Art fast spielerisch fertig zu werden, für ein Geschenk Gottes gehalten. Mittlerweile war er sich gar nicht mehr so sicher, wer ihm diese Gabe vermacht hatte.

Er entdeckte Frederic am Strand, ziemlich genau an der Stelle, wo er ihn zurückgelassen hatte. Der Junge hatte sich vom Meer fasziniert gezeigt, konnte aber nicht schwimmen - genau wie Andrej übrigens, als er in seinem Alter gewesen war.

Sergé hingegen war verschwunden. Andrej suchte den ganzen Strand ab, konnte ihn aber nirgends entdecken. Ein schwacher Anflug von Sorge machte sich in ihm breit. Sergés Verletzungen waren schwerer, als es im ersten Moment den Anschein gehabt hatte. Er hatte hohes Fieber, und auch wenn er zu stolz war, es zuzugeben, war doch unübersehbar, daß er unerträgliche Schmerzen litt. Andrej war klar, daß er Sergé so wenig trauen konnte wie dessen Bruder. Sie hatten ein Zweckbündnis geschlossen, das genau so lange halten würde, wie sich die beiden anderen einen Vorteil davon versprachen - und keinen Moment länger. Trotzdem fühlte er sich für die beiden angeblichen Schausteller verantwortlich, vor allem für das, was ihnen im Gasthaus zugestoßen war. Wenn einer von ihnen an seinen Verletzungen starb, dann wäre es für Andrej beinahe so, als hätte er ihn selbst getötet.

Warum war alles so kompliziert? Michail Nadasdy hatte ihn so vieles gelehrt, und trotzdem kam Andrej mit jeder Stunde deutlicher zu Bewußtsein, wie wenig er im Grunde über das Leben wußte. Um nicht zu sagen: nichts! Die Zeit, die er in selbstauferlegter Isolation mit Raqi verbracht hatte, war sicher die glücklichste Zeit seines Lebens gewesen, und doch erwies sich diese Isolation nun mehr und mehr als Fluch. Er wußte nichts von der Welt, nichts vom Leben und vor allem nichts von den Menschen. Abgesehen von Raqi hatte er in den letzten Jahren mit keinem Menschen länger Kontakt gehabt, als nötig gewesen war, um ein Stück Fleisch zu kaufen, einen Sack Mehl oder ein Stück Stoff, aus dem sich Raqi ein neues Kleid schneiderte. Er wußte einfach nicht, wie weit er Sergé und seinem Bruder trauen konnte und ob überhaupt.

Er erreichte das Ufer, richtete sich auf und legte die letzten Schritte mit einem Wanken zurück. Sein Herz hämmerte. Das Wasser hatte ihn bis auf die Knochen ausgekühlt, und er zitterte am ganzen Leib. Wahrscheinlich würde er noch Tage brauchen, um seine ursprüngliche körperliche Verfassung zurückzuerlangen.

Tage, die er nicht hatte.

»Andrej!« Frederic kam mit weit ausgreifenden Schritten auf ihn zugerannt. Unter seinen nackten Füßen spritzte das Wasser hoch, und zum ersten Mal seit der vorletzten Nacht sah Andrej wieder ein Lachen auf seinem Gesicht. Wären sein fast kahler Kopf und seine abgesengten Augenbrauen und Wimpern nicht gewesen, man hätte fast vergessen können, daß es die schrecklichen Minuten in dem brennenden Gasthaus überhaupt gegeben hatte. Der Junge winkte aufgeregt mit beiden Armen und legte die letzten Schritte mit komischen Hüpfern zurück; ein ausgelassenes Kind, das einfach die Schönheit des Augenblickes genoß, ohne sich um den nächsten irgendeinen Gedanken zu machen. Für einen Moment verspürte Andrej einen absurden Neid auf diese kindliche Unbefangenheit, die er für immer verloren hatte.

»Ich war schon in Sorge um dich«, sagte Frederic lachend, als er heran war. »Du warst lange weg.«

»Und du hast geglaubt, ich wäre ertrunken?« Andrej ließ sich in die Hocke sinken und bespritzte Frederic lachend mit Wasser. »Zu früh gefreut! Ich bin ein ausgezeichneter Schwimmer!«

Frederic wich kichernd zurück und hob die Hände vors Gesicht. Andrej bespritzte ihn weiter mit Wasser. Der Junge machte zwei weitere ungeschickte Schritte rückwärts, stolperte und fiel prustend in den Sand.

Für einen Moment war Andrej einfach nur glücklich. Er warf sich mit weit ausgebreiteten Armen auf Frederic, riß ihn vollends zu Boden und rollte lachend und prustend mit ihm durch die Brandung. Alle Sorgen fielen von ihm ab. Indem er Frederic umarmte und lachend und ausgelassen mit ihm durch den Sand rollte, war es, als fließe ein Teil der jugendlichen Kraft und Energie des Knaben in ihn selbst. Andrej war sich darüber im klaren, daß dies nur Selbstbetrug war; aber es war eine süße Lüge, ein kurzer, kostbarer Augenblick des Glücks, der ihm vielleicht nicht zustand, der aber trotzdem unbeschreiblich guttat.

Schließlich hörten sie auf, sich lachend in der Gischt zu wälzen, und lagen schwer atmend und leise lachend nebeneinander im Sand. Andrej blinzelte in das grelle Licht der Morgensonne, und selbst der beißende Schmerz, den die dünnen Lichtpfeile in seine Augen sengten, erschien ihm in dieser Situation wie ein Geschenk. Schmerz bedeutete Leben. Vielleicht war Schmerz sogar das einzige, was den Unterschied zwischen Leben und Tod wirklich definierte.

»Wieso kann ich nicht schwimmen wie du?« fragte Frederic lachend.

Andrej richtete sich auf die Ellbogen auf und wischte sich mit dem Handrücken das Salzwasser aus den Augen. »Ich nehme an, weil du es nie gelernt hast«, antwortete er. »Wäre das eine passende Erklärung?«

»Wann hast du es gelernt?« fragte Frederic.

Der Augenblick unschuldigen Glücks zerschmolz. Plötzlich war er wieder ein junger Mann, stand zitternd vor Furcht in einem Boot in der Mitte eines Sees, und Michail Nadasdy saß grinsend zwei Meter vor ihm und warf sich rhythmisch von rechts nach links und wieder zurück, mit keinem anderen Ziel, als das Boot - und vor allem ihn! - aus dem Gleichgewicht zu bringen.

»Ein ... guter Freund hat es mich gelehrt«, antwortete er zögernd. Aus seinem absurden Neid auf Frederic wurde ein ebenso absurder Groll, daß der Junge den Augenblick kindlicher Unschuld mit dieser harmlosen Frage zerstört hatte. Schon in der nächsten Sekunde fühlte er sich dieses Gedankens schuldig, und sein schlechtes Gewissen meldete sich. Ein Teufelskreis - albern, dumm, aber quälend.

»Und?« fragte Frederic. »Bringst du es mir auch bei? Ich würde gerne schwimmen können.«

»Ich fürchte, das ist nicht möglich«, antwortete Andrej. Es war wie ein kalter Wasserguß; unendlich kälter, als die eisige Brandung jemals sein konnte. Er setzte sich auf, legte die Unterarme auf die angesengten Knie und mußte für einen Moment mit aller Kraft darum kämpfen, seinen unsinnigen Groll auf Frederic nicht zu vollkommen absurdem Haß werden zu lassen.

Er sah den Jungen nicht einmal an, und trotzdem konnte er spüren, wie dessen Stimmung plötzlich umschlug. Ganz wie bei ihm selber waren die jugendliche Unschuld und Fröhlichkeit mit einem Schlag verschwunden, und eine dumpfe Traurigkeit ergriff von Frederic Besitz.

»Du hast mich gerettet, Andrej«, sagte er leise. »Ich wäre verbrannt, hättest du mich nicht aus dem Haus geholt.«

»Du hättest dasselbe für mich getan, wenn du gekonnt hättest«, sagte Andrej. Es klang dumm; es war dumm.

»Ich ... muß dir etwas sagen, Andrej«, sagte Frederic zögernd. Die Worte kamen schleppend. Andrej spürte, wie schwer es dem Jungen fiel, sie auszusprechen. Und er wußte auch, was er als nächstes sagen würde. Er wollte es nicht hören.

»Nein«, sagte er. »Das mußt du nicht.« Es kostete ihn große Kraft, den Kopf zu drehen und Frederic ins Gesicht zu blicken. Er sah genau das, was er erwartet hatte: Frederics Gesichtsausdruck war gequält. Er hatte Angst vor dem, was er sagen wollte, und unendlich viel mehr Angst vor der Antwort, die er vielleicht erhalten mochte.

»Aber du ...«

»Ich weiß, was du sagen willst«, fiel ihm Andrej ins Wort. »Ich will es nicht hören. Wir werden deine Mutter und die anderen Dorfbewohner befreien. Darauf gebe ich dir mein Wort. Mehr kann ich nicht tun. Ich wollte, ich könnte es - aber ich kann es nicht.«

Etwas an der Art, wie Frederic ihn ansah, irritierte - ja, erschreckte - ihn. Aber er gestattete sich nicht, den Gedanken weiter zu verfolgen. Es zu tun hätte vielleicht bedeutet, sich endgültig einzugestehen, daß er das Unglück über Borsã gebracht hatte. Diesen Gedanken könnte er nicht ertragen - nicht jetzt.

Andrej stand auf, drehte sich herum und registrierte erleichtert, daß Sergé wieder da war. Er kam aus einer völlig anderen als der erwarteten Richtung auf ihn zu und schien es ziemlich eilig zu haben. Er rannte noch nicht, war aber auch nicht mehr sehr weit davon entfernt. Nur wenig später tauchte auch Krusha über den Dünen auf. Er hatte sich tief über den Hals seines Pferdes gebeugt und trieb das Tier mit aller Kraft an.

»Da stimmt etwas nicht«, murmelte Andrej.

Er registrierte Frederics Reaktion nur aus den Augenwinkeln, aber sie schockierte ihn dennoch: Frederic stand auf und drehte sich zu den beiden näher kommenden Männern herum, und auf seinem Gesicht erschien plötzlich ein Ausdruck von Ernst, der im krassen Gegensatz zu seiner Jugend stand. Nicht zum ersten Mal, seit er Frederic kennengelernt hatte, kam ihm zu Bewußtsein, wie wenig Kind Frederic manchmal war. Nicht oft - aber manchmal eben doch - zeigte der Junge eine Abgeklärtheit, die ihm nach Andrejs Meinung nicht zustand. Und vielleicht war das sogar der wirkliche Grund, aus dem sie jetzt hier waren. Vater Domenicus und seine Begleiter hatten mehr getan, als Borsã das Rückgrat zu brechen und die Menschen, die sie liebten, zu töten - sie hatten nicht nur Marius, sondern auch Frederics Jugend gestohlen, das kostbarste Gut eines Menschen.

Die Brüder trafen nahezu gleichzeitig bei ihnen ein. Krusha wirkte erschöpft. Vom Maul seines Pferdes troff flockiger weißer Schaum, und er selbst war am ganzen Leib in Schweiß gebadet. Er mußte die ganze Strecke von Constãntã bis hier im Galopp zurückgelegt haben.

»Was ist passiert?« fragte Frederic, noch bevor Krusha ganz aus dem Sattel gestiegen war. »Wirst du verfolgt?«

»Nein.« Krusha ließ sich schwerfällig zu Boden gleiten und wandte den Kopf in die Richtung, aus der er gekommen war. »Jedenfalls glaube ich es nicht«, fügte er etwas leiser hinzu.

»Warum bist du dann so schnell geritten?« hakte Andrej nach. Er ergriff die Zügel von Krushas Pferd, zog den Kopf des Tieres zu sich herab und streichelte beruhigend seine Nüstern. Das Tier zitterte vor Anstrengung und war nicht fähig stillzustehen. Noch ein kurzes Stück weiter, dachte Delãny zornig, und Krusha hätte es zuschanden geritten.

»Weil ich interessante Neuigkeiten habe«, antwortete Krusha gereizt. Er machte aber keine Anstalten, diese Worte irgendwie zu erklären, sondern ging steifbeinig zwischen Andrej und Frederic hindurch, ließ sich kurz vor der Brandungslinie in die Hocke sinken und schöpfte mit beiden Händen Wasser, um sein Gesicht zu kühlen.

Andrej folgte ihm. Er beherrschte sich nur mit Mühe. Er hatte längst eingesehen, daß es ein Fehler gewesen war, sich mit Krusha und seinem Bruder einzulassen. Aber er hatte keine andere Wahl gehabt.

Krusha schüttete sich eine weitere Ladung Wasser ins Gesicht, stand auf und strich sich mit beiden Händen das nasse Haar aus der Stirn, ehe er sich wieder zu ihnen herumdrehte.

»Es war eine gute Idee, nicht nach Constãntã zu gehen«, begann er. »Die Stadt ist in Aufruhr wegen des Brandes. Sie suchen uns.«

»Uns?« fragte Frederic erschrocken.

»Wieso uns?« fügte Sergé verwirrt hinzu.

»Nicht direkt uns«, antwortete sein Bruder. »Nicht dich oder mich oder die beiden da. Ich meine: Sie wissen nicht, wer wir sind, aber sie suchen nach ein paar Männern, die nach dem Brand aus dem Gebäude gelaufen und im Wald verschwunden sind. Einer von ihnen sah aus wie ein transsilvanischer Dörfler und hatte langes Haar.«

»Aber wieso denn?« fragte Sergé.

Sein Bruder lächelte humorlos. »Acht Tote sind kein Pappenstiel«, erklärte er. »Selbst wenn es sich nur um ein paar dumme Bauern und einen fetten Schankwirt handelt. Die Menschen zahlen Steuern. Sie verlangen dafür eine Gegenleistung.«

»Einen Moment«, sagte Sergé. »Du willst damit sagen, daß sie ... uns für den Brand verantwortlich machen?«

Krusha hob die Schultern. »Auf jeden Fall hat der Herzog seine persönliche Leibwache ausgeschickt, um nach den Männern zu suchen, die man ihm beschrieben hat.«

»Aber wir haben den Brand nicht gelegt!« protestierte sein Bruder.

»Warum reitest du dann nicht in die Stadt und gehst zum Herzog, um ihm genau das zu sagen?« fragte Andrej spöttisch.

Sergé wollte auffahren, aber Krusha brachte ihn mit einer harschen Geste zum Schweigen. »Wir sind nicht in Gefahr«, sagte er. »Jedenfalls glaube ich das nicht. Immerhin sind wir fast zehn Meilen von der Stadt entfernt.« Er wandte sich an Andrej. »Ich habe die Männer gefunden, nach denen ihr sucht.«

»Wo sind sie?« fragte Andrej.

»Nicht so schnell, Delãny. Ich habe sie gefunden, und ich glaube, ich weiß auch, wo eure Leute sind. Aber bevor ich es dir sage, müssen wir noch etwas klären.«

Andrej bemerkte aus den Augenwinkeln, daß Frederic auffahren wollte, und versuchte ihn mit einer Geste zu beruhigen. »Wir haben eine Abmachung«, sagte er. »Ich wüßte nicht, was es noch zu klären gibt.«

»Abmachungen sind dazu da, gegebenenfalls geändert zu werden«, entgegnete Krusha ungerührt. »Du hast uns nicht die Wahrheit gesagt, Delãny.«

»Inwiefern?« fragte Andrej. Natürlich hatte er Krusha und Sergé nicht die ganze Wahrheit gesagt, als er von den Geschehnissen in Borsã und dem Wehrturm seiner Vorväter berichtet hatte. Aber er hatte auch nur wenig weggelassen und sich der Wahrheit so weit angenähert, wie es gerade noch ging.

»Du hast uns nicht gesagt, daß wir es mit der Inquisition zu tun haben«, erklärte Krusha und behielt sein Gegenüber bei diesen Worten scharf im Auge, als warte er auf eine ganz bestimmte Reaktion - oder vielleicht auch auf ihr Ausbleiben.

»Die ... römische Inquisition?« murmelte Sergé. »Hier? Am Schwarzen Meer? Das kann nicht sein.«

Sein Bruder starrte weiter unverwandt Delãny an. »Aber es ist so«, fuhr er fort. »Und ich habe mich umgehört. Den richtigen Leuten ein Bier ausgegeben, eine Kleinigkeit für eine Information bezahlt ...« Er zuckte mit den Schultern. »Es war nicht besonders schwer. Vater Domenicus ist kein Raubritter, der sich als Geistlicher tarnt. Er ist im Auftrag der Kirche hier. Es heißt, sie seien eigens nach Transsilvanien gekommen, um einen Hexer zu suchen, der in der Abgeschiedenheit des Borsã-Tal sein Unwesen treibt.«

»Und jetzt glaubst du, ich sei dieser Hexer«, meinte Andrej lachend. Auch Krusha verzog kurz das Gesicht, aber sein Lächeln hielt nur eine Sekunde, und seine Augen blieben kalt.

»Ich könnte mich schon fragen, wie es kommt, daß du vor unseren Augen in ein brennendes Haus gerannt und wieder herausgekommen bist, ohne größeren Schaden genommen zu haben«, sagte er. »Aber das wäre ziemlich undankbar von mir, nicht wahr? Immerhin hast du Sergé und mir das Leben gerettet. Hättest du die beiden Bogenschützen nicht erschlagen, hätten sie uns getötet.«

»Und es wäre auch nicht besonders klug«, fügte Frederic hinzu. »Wenn wir wirklich Hexer wären, wäre es sogar ziemlich dumm, uns herauszufordern.«

»Nein, das wäre wirklich nicht klug«, gab Krusha zu. Aber er betonte diese Worte auf eine Weise, die Delãny nicht zu deuten vermochte.

»Was willst du, Krusha?« fragte er. »Uns erklären, daß dir die Sache zu gefährlich wird? Erzähl mir nicht, daß du Angst vor der Kirche hast.«

»Nein«, antwortete Krusha. »Ich frage mich nur, was du uns noch alles verschwiegen hast.«

»Ich habe nichts von der Inquisition gewußt; es hätte ohnehin nichts geändert!«

»Für uns einiges«, sagte Krusha. »Du verstehst anscheinend immer noch nicht, Delãny. Es ist nicht damit getan, deine Leute zu finden und zu befreien. Vater Domenicus und seine Männer sind in offizieller Mission hier. Sie sind Gäste auf dem Schloß.«

»Jetzt verstehe ich«, murmelte Sergé. »Deshalb fragt auch niemand, wer das Feuer im Gasthaus wirklich gelegt hat.«

»Und unsere Leute?« fragte Andrej.

Krusha machte eine schwer zu deutende Handbewegung. »Ich weiß es nicht genau. Aber ich nehme an, daß sie im Kerker des Schlosses sitzen. Ich habe mich für heute abend mit einem Mann verabredet, der mir Nachrichten darüber verkaufen will.«

»Und was willst du nun von mir?« fragte Andrej. Er ahnte die Antwort auf seine Frage, und Krusha enttäuschte ihn nicht.

»Es ist eine Sache, es mit einer Bande von Straßenräubern aufzunehmen«, sagte er. »Aber jetzt haben wir es mit dem Herzog zu tun. Und seiner ganzen Armee.«

»Es wird ihnen nichts nutzen«, grollte Sergé. »Ich werde sie töten, und wenn sie sich im Vatikan selbst verstecken sollten!«

»Sei kein Narr, Sergé«, versuchte Andrej den Aufbrausenden zu beruhigen. »Dein Bruder hat recht. So lange sich die Männer im Schloß aufhalten ...«

»... sind sie auch nicht sicherer als anderswo«, fiel ihm Krusha ins Wort. »Sie werden die Nacht nicht überleben. Aber ich fürchte, wir können nichts für eure Leute tun.«

»Ihr seid Feiglinge!« begehrte Frederic auf.

»Es hat nichts mit Mut zu tun, in ein Verlies einzudringen, das von zwanzig Soldaten bewacht wird, mein Junge«, entgegnete Krusha ruhig. »Sondern allerhöchstem mit Dummheit.«

»Ihr seid feige!« beharrte Frederic. Er setzte ein grimmiges Gesicht auf. »Aber geht ruhig! Andrej und ich werden sie allein befreien!«

»Natürlich«, sagte Krusha. »Und dann bringt ihr sie aus der Stadt, besorgt Lebensmittel und Wasser für fünfzig Personen und marschiert in aller Ruhe in euer Dorf zurück, und der Herzog steht wahrscheinlich am Straßenrand und winkt euch wohlgefällig zu.« Er lachte abfällig. »Vielleicht weiß ich ja einen anderen Weg.«

»Und welchen?« fragte Andrej.

Krusha lächelte dünn. »Das kommt ganz darauf an, was dir meine Ratschläge wert sind, Delãny.«

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