»Aber ich war nicht mit ihm zusammen«, sagte Guillam, und jetzt kam ihm auch der Zorn zu Hilfe. »Ich bin nicht derjenige, der hier sein Spielchen spielt. Das sind Sie. Also lassen Sie mich in Frieden.«

Im gleichen Augenblick spürte er die Entspannung in der Tischrunde, wie ein fast unmerkliches Absinken in Langeweile, wie die allgemeine Erkenntnis, daß Alleline sein Pulver verschossen hatte und das Ziel unberührt geblieben war. Skordeno fummelte an einem Stückchen Elfenbein herum, einem Talisman, den er immer bei sich trug. Hand hatte seine Lektüre wieder aufgenommen, Bill Haydon trank seinen Kaffee und fand ihn abscheulich, denn er schnitt eine Grimasse zu Mo Delaware und setzte die Tasse ab. Toby Esterhase hatte das Kinn in die Hand gestützt, die Brauen gehoben, und starrte auf die Glut-Attrappe im victorianischen Kamin. Nur die Russen wandten auch weiterhin kein Auge von ihm, wie zwei Terrier, die nicht glauben wollten, daß die Jagd abgeblasen war.

»Er hat also mit Ihnen über Danny geplaudert, wie? Und Ihnen gesagt, daß er sie liebe«, sagte Alleline, der sich wieder den Dokumenten zugewandt hatte. »Wer ist Dannys Mutter?«

»Eine Eurasierin.«

Jetzt ergriff Haydon zum erstenmal das Wort. »Unverkennbar Eurasierin, oder könnte sie auch aus einer näher gelegenen Gegend stammen?«

»Tarr findet offenbar, sie sehe völlig europäisch aus. Die Kleine auch, findet er.«

Alleline las vor: »Zwölf Jahre alt, langes blondes Haar, braune Augen, schlank. Ist das Danny?«

»Ich würde sagen, sie könnte es sein. Hört sich so an.«

Lange Zeit herrschte Schweigen, und nicht einmal Haydon machte Miene, es zu brechen.

»Wenn ich Ihnen also sagte«, fuhr Alleline schließlich fort und wählte seine Worte mit äußerster Vorsicht, »wenn ich Ihnen sagte, daß Danny und ihre Mutter vor drei Tagen mit dem direkten Flug aus Singapur am Flughafen London hätten landen sollen, so dürfte ich annehmen, daß Sie ebenso perplex wären wie wir.«

»Ja, das wäre ich.«

»Und Sie würden darüber schweigen, nachdem Sie dieses Haus verlassen haben. Kein Wort, nicht einmal zu ihren zwölf allerbesten Freunden?«

Aus geringer Entfernung kam Phil Porteous' Schnurren: »Die Quelle ist strengstens geheim, Peter. Für Sie mag es sich anhören wie eine gewöhnliche Flugauskunft. Aber es ist ultra-ultra-ge-heim.«

»Aha, in diesem Fall will ich versuchen, meine Klappe ultra-geschlossen zu halten«, sagte Guillam zu Porteous, und während Porteous rot wurde, grinste Bill Haydon aufs neue wie ein Schuljunge.

Alleline kam wieder zum Thema. »Und wie würden Sie diese Information beurteilen? Los, Peter«, wieder der herausfordernde Ton, »los, Sie waren sein Boß, sein Führer, Philosoph und Freund, wo um Gottes willen bleibt Ihre Psychologie? Warum kommt Tarr nach England?«

»Davon haben Sie kein Wort gesagt. Sie sagten, Tarrs Frau und ihre Tochter Danny seien vor drei Tagen in London erwartet worden. Vielleicht will sie Verwandte besuchen. Vielleicht hat sie einen neuen Freund. Wie soll ich das wissen?«

»Stellen Sie sich doch nicht dumm, Mann. Leuchtet es Ihnen nicht ein, daß man dort, wo Danny ist, vermutlich nicht sehr weit nach Tarr zu suchen braucht? Wenn er nicht schon hier ist, was ich beinahe glauben möchte, denn im allgemeinen kommt der Mann zuerst und läßt die Troßweiber später nachkommen. Pardon, Mo Delaware, ist mir so herausgerutscht.«

Zum zweitenmal gestattete Guillam sich einen kleinen Temperamentsausbruch. »Bisher hat es mir nicht eingeleuchtet, nein. Bisher war Tarr ein Überläufer. Das wurde vor sechs Monaten offiziell festgelegt. Stimmt's, Phil, oder nicht? Tarr saß in Moskau, und alles, was er wußte, war als verraten zu betrachten. Stimmt's,

Phil? Man nahm das auch zum Anlaß, in Brixton die Lichter zu löschen und eine Portion unserer Arbeit London Station und den Rest Tobys Aufklärern zu übertragen. Was soll Tarr jetzt eigentlich machen - wieder zu uns überlaufen?«

»Wieder überlaufen würde eine verdammt milde Bezeichnung sein, das kann ich Ihnen nur sagen«, erwiderte Alleline, ohne von den Papieren vor ihm aufzublicken. »Hören Sie zu, hören Sie gut zu, und merken Sie sich's. Denn ich zweifle nicht, daß Sie, genau wie meine übrigen Mitarbeiter, ein Gedächtnis haben wie ein Sieb, ihr Primadonnas seid alle gleich. Danny und ihre Mutter reisen mit gefälschten britischen Pässen unter dem Namen Poole. Die Pässe sind russische Fälschungen, und Tarr hat einen dritten von der gleichen Sorte, der wohlbekannte Mister Poole. Tarr ist bereits in England, aber wir wissen nicht, wo. Er ist vor Danny und ihrer Mutter abgereist und hat eine andere Route genommen, unseren Nachforschungen zufolge eine schwarze. Seine Frau oder Freundin oder was immer«, er sagte das, als hätte er keins von beidem, »nochmals pardon, Mo, sollte ihm eine Woche später nachkommen, was offenbar bis heute nicht der Fall war. Diese Information erreichte uns gestern, wir haben also noch eine Menge Kleinarbeit zu leisten. Tarr wies sie an - Danny und ihre Mutter -, falls es ihm aus irgendeinem Grund nicht möglich sein sollte, mit ihnen in Verbindung zu treten, so müßten sie sich auf Gnade und Ungnade einem gewissen Peter Guillam anvertrauen. Das sind Sie, wenn ich nicht irre.«

»Wenn sie vor drei Tagen fällig gewesen wären, was ist ihnen passiert?«

»Verspätet. Flugzeug verpaßt. Pläne geändert. Flugtickets verloren. Wie zum Teufel soll ich das wissen?«

»Oder aber, die Information ist falsch«, schlug Guillam vor. »Das ist sie nicht«, schnappte Alleline. Wut, Irreführung, Guillam klammerte sich an beide. »Na schön. Die Russen haben Tarr umgedreht. Sie haben seine Angehörigen herübergeschickt - Gott weiß, warum, ich hätte gedacht, sie legen sie auf Eis - und ihn dazu. Was ist daran so heiß? Was für eine Funktion kann er haben, wenn wir kein Wort von dem glauben, was er sagt?«

Dieses Mal, stellte er mit Erheiterung fest, beobachteten die Zuhörer Alleline, der, so schien es Guillam, schwankte zwischen einer vernünftigen, aber indiskreten Antwort und einer, mit der er sich lächerlich machen würde.

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