Philo Plat kehrte jedes Jahr einmal zum Schauplatz seines Verbrechens zurück. Es war eine Form von Buße. An jedem Jahrestag erstieg er den kahlen Höhenzug und überblickte die Quadratkilometer aus zerschmettertem Metall, Beton und Knochen.
Die Gegend war menschenleere Wüste, und das trok-kene Klima hatte die Metallfetzen blank und unverrostet bewahrt, wild gezackt, in hilfloser Wut gebleckten Zähnen gleich. Irgendwo unter dem Trümmerfeld waren die Skelette der Tausende von Menschen beiderlei Geschlechts und aller Altersstufen, die hier den Tod gefunden hatten. Jedesmal, wenn Plat hier oben stand, bildete er sich ein, daß die Schädel anklagend ihre leeren Augenhöhlen auf ihn richteten und ihn verfluchten.
Der Gestank war seit langem aus der trockenen Wüstenluft gewichen, und die Eidechsen siedelten ungestört im Trümmerfeld. Kein Mensch näherte sich je dem eingezäunten Begräbnisplatz, wo in dem vom Absturz geschlagenen Krater lag, was von den Körpern übriggeblieben war.
Nur Plat kam hierher. Jahr um Jahr kehrte er wieder, und immer hatte er das goldene Medaillon bei sich, als wolle er damit den bösen Blick aus so vielen zertrümmerten Totenschädeln abwehren. Er trug es um den Hals, als er auf dem Kamm stand, und die blitzende goldene Scheibe zeigte klar die sauber gravierten Worte: DEM BEFREIER!
Diesmal war Fulton bei ihm. In den Tagen vor dem Absturz, als es noch Höhere und Niedrige gegeben hatte, war Fulton ein Niedriger gewesen.
Fulton sagte: „Ich bin sehr erstaunt, daß du noch immer darauf bestehst, hierherzukommen, Philo.“
Plat sagte: „Ich muß. Du weißt, der Absturz wurde Hunderte von Kilometern weit gehört; Seismographen auf der ganzen Erde registrierten ihn. Meine Maschine war direkt darüber, und die Schockwellen schleuderten mich kilometerweit. Doch wenn es um Geräusche geht, kann ich mich nur an diesen einen zusammengesetzten Schrei erinnern, als Atlantis zu fallen begann.“
„Es mußte getan werden.“
„Worte“, seufzte Plat. „Es gab Säuglinge und Unschuldige unter ihnen.“
„Niemand ist schuldlos.“
„Auch ich bin es nicht. War es gerecht, daß ich der Scharfrichter sein sollte?“
„Jemand mußte es sein“, sagte Fulton mit fester Stimme. „Betrachte die Welt, wie sie jetzt ist, fünfundzwanzig Jahre später. Die Demokratie wiederhergestellt, Kultur und Bildung den Massen zugänglich, die Wissenschaften wieder im Aufschwung. Zwei Forschungsexpeditionen sind auf dem Mars gelandet.“
„Ich weiß. Ich weiß. Aber auch das war eine Kultur. Sie nannten es Atlantis, weil es eine Insel war, die die Welt beherrschte. Es war eine Insel im Himmel, nicht im Meer. Es war zugleich eine Stadt und eine Welt, Fulton. Du hast ihre Großartigkeit nie gesehen, Fulton.
Atlantis war ein einziges Juwel, geschnitten aus Stein und Metall. Es war ein Traum.“
„Es war konzentrierte Verschwendung und Prunksucht, genährt vom Schweiß der Milliarden gewöhnlicher Leute, die auf der Oberfläche lebten und schufteten.“
„Ja, du hast recht. Es war notwendig. Aber es hätte so anders sein können, Fulton. Weißt du“, fuhr er nachdenklich fort, während er sich auf den harten Felsboden niedersetzte, die Arme auf den Knien kreuzte und das Kinn auf sie stützte, „manchmal denke ich darüber nach, wie es in den alten Zeiten gewesen sein muß, als es auf der Erde Nationen und Kriege gab. Ich stelle mir vor, welch ein Wunder es für die Menschen gewesen sein muß, als die Vereinten Nationen zu einer wirklichen Weltregierung wurden, und was Atlantis ihnen bedeutet haben muß.
Es war eine Hauptstadt, die die Erde beherrschte, aber nicht Teil von ihr war. Es war eine schwarze Scheibe in der Luft, fähig, überall auf Erden in jeder Höhe zu erscheinen. Es gehörte keiner einzelnen Nation, sondern dem ganzen Planeten. Und schließlich war es das Ergebnis nicht irgendeiner nationalen Technologie, sondern die erste große Gemeinschaftsleistung der Menschheit. Und wenn ich dann bedenke, was daraus wurde!“
Fulton sagte: „Sollten wir nicht lieber gehen? Es wäre gut, wenn wir vor Dunkelwerden zur Maschine zurückkämen.“
Plat fuhr fort, als habe er nicht gehört. „In einer Weise war es wohl unvermeidlich. Die Menschheit hat niemals eine Institution hervorgebracht, die nicht als ein Krebsgeschwür endete. Der Medizinmann, der in prähistorischer Zeit als Verwahrungsort für die Weisheit des Stammes anfing, wurde schließlich zum letzten Hindernis für die Weiterentwicklung der Gemeinschaft. Und im alten Rom verwandelte sich die Bürgermiliz ...“
Fulton ließ ihn reden. Es war wie ein seltsames Echo aus versunkener Zeit. Und als er Plat geduldig beobachtete, kam ihm der Gedanke, daß auch in jenen Tagen geduldig abwartende Blicke auf ihm geruht hatten, während er gesprochen hatte.
„ ... die mit Erfolg gegen alle Feinde Roms von Veji bis Karthago gekämpft hatte, in die berufsmäßige Prätorianergarde, die das Imperium verkaufte und Tribut eintrieb. Die Türken entwickelten die Janitscharen-
truppe als ihre unbesiegbare Eliteeinheit gegen Europa, und schließlich war der Sultan selbst eine Marionette in den Händen seiner Janitscharen. Die Feudalherren
des mittelalterlichen Europa schützten ihre Leibeigenen und abhängigen Hintersassen gegen die Wikinger und die Mongolen und Ungarn, um weitere sechshun
dert Jahre als eine Parasitenaristokratie zu herrschen, die Land und Bewohner ausbeutete.“
Plat wurde sich der geduldigen Augen bewußt und sagte: „Verstehst du mich nicht?“
Einer von den kühneren Technikern sagte: „Mit Eurer Erlaubnis, Höherer, wir müssen an die Arbeit gehen.“
„Ja, das ist richtig.“
Der Techniker bedauerte, daß er ihn daran erinnern mußte. Dieser Höhere war ein komischer Typ, aber er meinte es gut. Obwohl er ziemlich viel Unsinn redete, erkundigte er sich auch nach ihren Familien, sagte ihnen, daß sie feine Kerle seien und ihre Arbeit sie zu besseren und nützlicheren Mitgliedern der Gesellschaft mache als die Höheren.
Also räusperte er sich und erklärte: „Seht Ihr, es ist eine weitere Ladung Granit und Stahl für das neue Theater eingetroffen, und wir müssen die Energieverteilung ändern. Es wird immer schwieriger, das zu tun. Die Höheren wollen nicht auf uns hören.“
„Nun, das versuchte ich dir die ganze Zeit klarzumachen, mein Freund. Ihr sollt die Höheren dazu bringen, daß sie auf euch hören.“
Aber sie starrten ihn bloß an, und in diesem Augenblick stahl sich eine Idee in Plats Bewußtsein.
Leo Spinney erwartete ihn auf der Kristallebene. Er war in Plats Alter, aber größer und ansehnlicher. Plat hatte ein schmales, mageres Gesicht, seine Augen waren blaßgrau, und er lächelte nie. Spinney hatte ein angenehmes, ebenmäßiges Gesicht mit gerader Nase und braunen Augen, die immer zu lachen schienen.
Spinney rief: „Wir werden das Spiel noch verpassen!“
„Ich habe keine Lust, hinzugehen, Leo. Bitte.“
„Wieder bei den Technikern gewesen?“ fragte Spinney. „Warum vergeudest du deine Zeit mit denen?“
„Sie arbeiten“, sagte Plat zögernd. „Ich achte sie. Welches Recht haben wir, untätig zu sein?“
„Sollte ich die Welt in Frage stellen, wenn sie mir in allem so gut paßt?“
„Wenn du es nicht tust, werden andere sie eines Tages in Frage stellen.“
„Das mag eines Tages sein, aber nicht heute. Und offen gesagt, du solltest lieber mitkommen. Der Gensek hat bemerkt, daß du bei den Spielen nie anwesend bist, und er hat sein Mißfallen darüber geäußert. Ich persönlich glaube, daß jemand ihm von deinen Gesprächen mit den Technikern und deinen Besuchen auf der Oberfläche erzählt hat. Vielleicht denkt er sogar, daß du mit den Niedrigen gemeinsame Sache machst.“
Spinney lachte darüber wie über einen Scherz, aber Plat sagte nichts. Es würde ihnen nicht schaden, wenn sie mehr Umgang mit den Niedrigen pflegten und etwas über ihr Denken erführen. Atlantis hatte seine Waffen und seine Wachbataillone, doch eines Tages mochte es die Erfahrung machen, daß dies nicht genügte. Nicht genügte, um den Gensek zu retten.
Der Gensek! Plat hatte einen schlechten Geschmack und verspürte das Bedürfnis, auszuspucken. Der volle Titel war „Generalsekretär der Vereinten Nationen“. Vor zwei Jahrhunderten war es noch ein Wahlamt gewesen, ein ehrenhaftes Amt. Jetzt konnte ein Mann wie Guido Garshthavastra das Amt ausfüllen, weil er beweisen konnte, daß er der Sohn eines - ebenso nichtswürdigen - Vaters war.
„Guido G.“ nannten ihn die Niedrigen auf der Oberfläche. Und häufig fügten sie mit bitterer Ironie den Titel hinzu und sagten: „Schah Guido G.“, weil „Schah“ die Amtsbezeichnung einer Dynastie despotischer orientalischer Könige gewesen war. Die Niedrigen erkannten ihn als den, der er war. Plat wollte Spinney das klarmachen, aber es war noch zu früh.
Die eigentlichen Spiele fanden in der oberen Stratosphäre statt, hundert Kilometer über Atlantis, das seinerzeit zwanzig Kilometer über dem Meeresspiegel lag. Das weite Amphitheater war bis auf den letzten Platz besetzt, und die ganze Aufmerksamkeit der Zuschauer galt der großen, leuchtenden Kugel in der Mitte. Jede der winzigen Einsitzermaschinen hoch im Himmel wurde von einem Leuchtzeichen in den Farben der jeweiligen Flotte wiedergegeben. Die kleinen Lichtfunken stellten in maßstabgerechter Verkleinerung die genauen Manöver der Maschinen dar.
Das Spiel hatte bereits angefangen, als Plat und Spinney ihre Sitze einnahmen. Die Lichtfunken, ursprünglich in zwei Formationen einander gegenüber, jagten schon aufeinander zu und versuchten, in kurvenreichen, komplizierten Manövern, den Gegner zu fassen. Eine große Anzeigetafel verkündete den Stand des Gefechts in einer konventionellen Symbologie, die Plat nicht verstand. Es herrschte ein tobendes Durcheinander von Hochrufen und Anfeuerungsschreien für beide Flotten wie auch für einzelne Maschinen.
Unter einem Baldachin ganz oben thronte der Gensek, der Schah Guido G., wie die Niedrigen ihn nannten. Plat konnte ihn aus der Entfernung nicht deutlich sehen, aber er sah die kleinere Version der leuchtenden Kugel, die für den privaten Gebrauch des Gensek in seiner Loge aufgebaut war.
Plat wohnte dem Spiel zum erstenmal bei. Er verstand nichts von den Feinheiten und wunderte sich über die allgemeine Erregung und die hitzigen Schreie. Er wußte nur, daß jeder Lichtpunkt eine Kampfmaschine darstellte und daß die häufig von diesen Lichtpunkten ausgehenden Strahlen Energieprojektionen wiedergaben, die hundert Kilometer über ihnen unerbittliche Wirklichkeit waren. Jedesmal, wenn ein Lichtstrahl hinausschoß, schwoll der Zuschauerlärm an und erstarb kurz darauf in einem unheimlichen, vielstimmigen Stöhnen, wenn der Zielpunkt noch rechtzeitig abschwenken und entkommen konnte.
Und dann gab es einen allgemeinen Aufschrei, und die Zuschauer im weiten Rund des Amphitheaters, Männer und Frauen, sprangen auf. Einer der Lichtfunken war getroffen worden und stürzte in langen Spiralen ab. Hundert Kilometer höher trudelte eine echte Maschine ab, stürzte mit zunehmender Geschwindigkeit in die tieferen, dichteren Schichten der Lufthülle, wo der speziell konstruierte Magnesiumrumpf durch die Reibungswärme zu harmloser, pulvriger Asche verglühte, bevor er die Erdoberfläche erreichen konnte.
Plat stand auf. „Ich gehe, Spinney.“
Spinney machte eine Eintragung in seine Punktkarte und sagte: „Das ist schon die fünfte Maschine, die die Grünen diese Woche verloren haben. Wir ...“ Er sprang auf und schrie in wilder Begeisterung: „Noch eine!“
Der Ruf ging im aufbrandenden Gebrüll der Zuschauermenge unter.
Plat sagte: „In dieser Maschine ist eben ein Mann gestorben.“
„Darauf kannst du dich verlassen. Und einer von den Besten, die die Grünen haben! Verdammt gute Sache.“
„Ist dir klar, daß da oben einer umgekommen ist?“
„Es sind bloß Niedrige. Was kümmert es dich?“
Plat arbeitete sich langsam durch die Sitzreihe zum Ausgang. Einige Leute blickten auf, sahen ihn und flüsterten miteinander, aber die meisten hatten nur Augen für die leuchtende Kugel. Die Luft war parfümgeschwängert, und aus der Ferne war gelegentlich sanfte Musik zu vernehmen, wenn der Lärm ein wenig abflaute. Als Plat einen der breiten Ausgänge erreichte, ließ ein vieltausendstimmiger Aufschrei über ihm die Luft erzittern. Plat kämpfte verbissen gegen die Übelkeit an.
Er ging eine halbe Stunde weit, dann machte er halt. Stahlträger schwangen an den Enden diamagneti-scher Strahlen wie von Geisterhand bewegt, und rauh gebrüllte Befehle in den Dialekten der Niedrigen flogen hin und her.
Auf Atlantis wurde immer gebaut. Vor zweihundert Jahren, als Atlantis der wirkliche Regierungssitz gewesen war, hatte es weite Flächen und klare Linien gegeben. Jetzt war es viel mehr als das; es war der Vergnügungspalast Xanadu, von dem Coleridge geschrieben hatte.
In den letzten zwei Jahrhunderten war das mächtige
Kristalldach viele Male angehoben und erweitert worden. Jedesmal hatte man es zugleich verstärkt, damit es den möglichen Einschlägen kleiner Meteoriten widerstehe, die in der dünnen äußeren Lufthülle noch nicht ganz verglüht waren.
Und als Atlantis zunehmend nutzloser und anziehender wurde, überließen mehr und mehr Höhere ihre Landsitze und Fabriken den Händen von Verwaltern und bezahlten Direktoren und nahmen ihren dauernden Wohnsitz auf der Himmelsinsel. Diese wurde immer größer, höher und komplizierter.
Und hier war ein weiteres Bauwerk im Entstehen.
Angehörige eines Wachbataillons standen in gleichmütiger Pflichterfüllung dabei. Es waren ausnahmslos Frauen, und aus gutem Grund. Richtig ausgebildet und trainiert, waren Frauen zielbewußter und fanatischer als Männer, weniger anfällig für Zweifel und Gewissensbisse.
Wenn irgendwo gebaut wurde, waren Wachen dabei, denn die Bauarbeiten wurden von Niedrigen ausgeführt, und auf Atlantis mußten Niedrige bewacht werden. Genauso wie jene Niedrigen auf der Oberfläche eingeschüchtert werden mußten. Allein in den letzten fünfzig Jahren war die Feuerkraft der auf der Unterseite von Atlantis installierten weittragenden Atomartillerie verdreifacht worden.
Plat sah den Stahlträger langsam herabsinken und sanft aufsetzen, während zwei Männer einander Anweisungen zubrüllten. Bald würde es auf Atlantis keinen Raum mehr für neue Gebäude geben.
Die Idee, die ihm früher am Tag durch den Kopf gegangen war, kehrte zurück und füllte plötzlich sein Bewußtsein aus.
Seine Nasenflügel blähten sich.
Er näherte sich einem der Techniker, dessen Gesicht einen intelligenten Eindruck machte, und sagte: „Ich denke ernsthaft daran, ein neues Haus zu bauen, und hätte gern deinen Rat hinsichtlich der bestmöglichen Lage.“
Der Techniker war verblüfft und dankbar. „Ich danke Euch, Höherer. Es ist gut, daß Ihr danach fragt, denn es wird immer schwieriger, Lastverteilung und vorhandene Energie miteinander in Einklang zu bringen.“
„Darum bin ich zu dir gekommen.“
Sie sprachen lange miteinander. Plat stellte viele Fragen, und als er zur Kristallebene zurückkehrte, war er tief in Gedanken und Überlegungen versunken. Zwei Tage vergingen mit quälenden Zweifeln, dann erinnerte er sich an den glänzenden Lichtfunken, wie er in langen Spiralen abgestürzt war, und die unbekümmerten braunen Augen, aus denen das Lachen auch dann nicht vergangen war, als Spinney gesagt hatte: „Es sind bloß Niedrige.“
Er faßte einen Entschluß und bat um eine Audienz beim Gensek.
Des Genseks gedehnter Tonfall akzentuierte die Langeweile, die zu verbergen er sich keine Mühe gab. Er sagte: „Die Plats sind eine gute Familie, doch Sie unterhalten sich mit Technikern. Man sagt mir, Sie sprächen zu ihnen wie zu Ebenbürtigen. Ich hoffe, es wird nicht notwendig sein, Sie zu erinnern, daß Ihre Liegenschaften auf der Erdoberfläche Ihrer persönlichen Anwesenheit bedürfen.“
Das hätte natürlich Exil von Atlantis bedeutet. Plat sagte: „Es ist notwendig, die Techniker im Auge zu behalten, Herr. Sie sind von niederer Herkunft.“
Der Gensek runzelte die Stirn. „Das ist Aufgabe unserer Wachmannschaft.“
„Die Wachen tun ihr Bestes, daran zweifle ich nicht, Herr, aber ich habe mich mit den Technikern angefreundet. Sie sind nicht vertrauenswürdig. Würde ich meine Hände mit ihnen beschmutzen, wenn es nicht um die Sicherheit von Atlantis ginge?“
Der Gensek hörte zu. Zweifelnd zuerst, dann mit deutlicher Unruhe in den weichen Zügen. „Ich werde sie in Gewahrsam nehmen lassen“, sagte er. „Ich werde ...“
„Langsam, Herr“, sagte Plat. „Wir können vorerst nicht ohne sie auskommen, weil niemand von uns die technischen Installationen und die antigraven Anlagen bedienen kann. Es wäre besser, ihnen keine Gelegenheit zur Rebellion zu geben. In zwei Wochen soll das neue Theater mit Spielen und Festlichkeiten eröffnet werden.“
„Und was haben sie dann vor?“
„Ich habe noch keine Gewißheit, Herr. Aber ich weiß genug, um dringend zu empfehlen, daß eine Division Wachtruppen nach Atlantis verlegt wird. Das müßte natürlich im geheimen und in der letzten Minute geschehen, so daß die Verschwörer ihre Pläne nicht mehr ändern und Spuren verwischen können. Das Eingreifen der Division muß im geeigneten Augenblick handstreichartig erfolgen, mit einer einzigen, massierten Landung. Ich brauche wohl nicht zu betonen, Herr, daß niemand im voraus von der Aktion erfahren darf. Wenn die Techniker vorzeitig über unsere Gegenmaßnahmen unterrichtet würden, könnte es schlimm ausgehen.“
Der Gensek strich sich das Kinn mit juwelenbesetzter Hand, überlegte - und glaubte.
Schah Guido G., dachte Philo Plat. Du wirst als Schah Guido G. in die Geschichte eingehen.
Philo Plat beobachtete die Lustbarkeiten aus der Ferne. Schwarzes Menschengewimmel füllte die zentralen Plätze von Atlantis. Das war gut. Ihm selbst war es nur mit Schwierigkeiten gelungen, wegzukommen. Und keinen Augenblick zu früh, denn die Maschinen der Wachdivision hatten bereits den Himmel gerastert.
Jetzt schlossen die Geschwader auf und gingen in dichter Formation über Atlantis riesiger erhöhter Landefläche nieder, die imstande war, alle Maschinen gleichzeitig aufzunehmen.
Plat blickte von dem imposanten Schauspiel der senkrecht niedergehenden Luftflotte zur Stadt selbst. Auf den Plätzen und Straßen war es ruhiger geworden, als die Bevölkerung die unerwartete Demonstration bestaunte, und es schien ihm, daß er auf der Himmelsinsel noch nie so viele Höhere auf einmal gesehen hatte. Letzte Bedenken regten sich. Eine Warnung war immer noch möglich.
Noch als er daran dachte, wußte er, daß es nicht so war. Die Flotte ging rasch auf das Landefeld nieder. Er mußte sich beeilen, wenn er mit seiner eigenen kleinen Maschine entkommen wollte. Er fragte sich beklommen, ob seine Freunde auf der Erdoberfläche die gestrige Warnung erhalten hatten und ob sie ihr glauben würden. Wenn sie nicht rasch handelten, würden die Höheren sich von diesem ersten Schlag erholen, so vernichtend er auch sein mochte.
Er war in der Luft, als die Wachdivision landete, siebenhundertfünfzig tropfenförmige Maschinen, die sich wie ein herabfallendes Netz auf das Flugfeld senkten. Plat zog den Steuerknüppel an und ließ die Maschine steigen, während er beobachtete ...
Und Atlantis erlosch! Es war wie eine Kerzenflamme, über der sich plötzlich eine mächtige Hand schließt. Eben noch hatte die Himmelsinsel mit Hunderttausenden von Lichtern wie ein Leuchtfeuer weithin die Nacht erhellt; jetzt war sie in der unendlichen Schwärze untergegangen.
Die ungezählten Angstschreie verschmolzen in Plats Kopfhörern zu einem dünnen Kreischen, das rasch verstummte. Er floh, und die Schockwellen vom Aufprall der Himmelsinsel Atlantis auf die Erde erfaßten seine Maschine und schleuderten sie weit hinaus.
Der Schrei aber blieb ihm bis an sein Lebensende im Ohr.
Fulton starrte ihn an. Er sagte: „Hast du das jemals jemandem erzählt?“
Plat schüttelte den Kopf.
Fulton blieb eine Weile still; auch seine Gedanken gingen ein Vierteljahrhundert zurück. „Natürlich empfingen wir deine Botschaft“, sagte er endlich. „Es fiel uns schwer, daran zu glauben, wie du erwartetest. Viele fürchteten eine Falle, selbst nachdem die ersten Meldungen vom Absturz eingingen. Aber - nun, es ist ausgestanden, Geschichte geworden. Die Höheren, die sich auf der Erdoberfläche aufgehalten hatten, waren demoralisiert und wurden erledigt, ehe sie sich erholen konnten. Aber sage mir, wie du es gemacht hast“, fragte er und wandte sich in plötzlicher Neugierde zu Plat. „Wir waren immer davon ausgegangen, daß du die Energieerzeugung sabotiertest.“
„Ich weiß. Die Wahrheit ist viel weniger romantisch, Fulton. Die Welt aber zieht es vor, an ihre Mythen zu glauben. Laß sie.“
„Darf ich wenigstens die Wahrheit erfahren?“ „Wenn du willst. Wie ich dir sagte, wurde Atlantis immer wieder erweitert und ausgebaut. Die antigrav wirkenden Energiestrahlen hatten ein Gewicht zu tragen, das sich im Lauf der Zeit verdoppelte und verdreifachte. Die Forderungen der Techniker nach größeren und leistungsfähigeren Generatoren wurden abgewiesen, da die Höheren den Raum und das Geld lieber für ihre herrschaftlichen Villen verwendeten und die Energieerzeugung immer noch ausreichend war.
So wurde ein Stadium erreicht, wo die Techniker sich bereits wegen der Errichtung einzelner Gebäude Sorgen machten. Ich sprach mit ihnen und erfuhr, wie sehr der Sicherheitsspielraum zusammengeschrumpft war. Sie wollten nur noch die Fertigstellung des neuen Theaters abwarten, um abermals vorstellig zu werden. Sie wußten allerdings nicht, daß Atlantis auf meine Anregung hin die zusätzliche Last einer voll ausgerüsteten Wachdivision mit siebenhundertfünfzig Maschinen würde tragen müssen!
Als die Division landete, brach die Energieversorgung der Antigravanlage zusammen, und Atlantis war nur noch ein riesiger Brocken aus Metall und Gestein, zwanzig Kilometer über dem Erdboden. Was blieb einem solchen Brocken übrig, als zu fallen?“
Plat stand auf. Zusammen traten sie den Rückweg zu ihrer Maschine an.
Fulton lachte rauh auf. „Weißt du, Namen haben manchmal etwas Verhängnisvolles.“
„Wie meinst du das?“
„Nun, es ist das zweite Mal in der Geschichte, daß ein Atlantis unterging.“
Als David unterwegs war, wurde es offensichtlich, daß wir nicht in dieser unmöglichen Wohnung in Somerville bleiben konnten. Da ich nun in der Lage war, einen Wagen zu fahren, waren wir nicht länger auf die Buslinie angewiesen und konnten uns in der weiteren Umgebung umsehen. Im Frühjahr 1951 bezogen wir eine Wohnung in Waltham, Massachusetts. Sie stellte gegenüber der vorigen eine große Verbesserung dar, obwohl auch sie im Sommer ziemlich heiß war. Im Wohnzimmer gab es zwei kleine eingebaute Bücherschränke, in denen ich eine Sammlung meiner eigenen Bücher in chronologischer Reihenfolge unterbrachte. Während wir in dieser Wohnung lebten, brachte ich es auf siebzehn Bücher. Als im Jahre 1952 mein Lehrbuch für Biochemie erschien, erhielt es seinen Platz unter den anderen. Ich sah nicht ein, warum ein wissenschaftliches Lehrbuch größere Respektabilität beanspruchen sollte als ein Science-Fiction-Roman.
Wenn ich Ambitionen hatte, so waren sie nicht auf Respektabilität gerichtet. Ich hatte vielmehr den Wunsch, lustige Sachen zu schreiben.
Humor ist allerdings eine komische Sache. Oder eine sonderbare Sache, wenn man eine Abneigung gegen Wortspiele hat. Es ist nicht möglich, ein wenig oder einigermaßen oder leidlich komisch zu sein. Man ist entweder komisch oder nicht komisch; dazwischen gibt es nichts. Und gewöhnlich ist der Schreiber derjenige, der sich für komisch hält, während der Leser ganz anderer Meinung ist.
Humor ist also keine Sache, die man auf die leichte Schulter nehmen sollte. Besonders in den frühen Tagen der schriftstellerischen Karriere, wenn man noch keine Erfahrung im Umgang mit seinen Werkzeugen hat, sollte man damit vorsichtig sein. Und doch versucht es fast jeder angehende Schriftsteller mit Humoresken, überzeugt, es sei weiter nichts dabei.
Ich machte darin keine Ausnahme. Als ich vier Erzählungen geschrieben und eingeschickt, aber noch nicht verkauft hatte, meinte ich bereits, es sei an der Zeit, eine lustige Geschichte zu schreiben, und ich machte mich daran. Sie hieß RING AROUND THE SUN, und es gelang mir tatsächlich, sie zu verkaufen. Später wurde sie in den Sammelband THE EARLY ASIMOV aufgenommen.
Aber selbst in ihrer Entstehungszeit fand ich sie nicht wirklich erfolgreich komisch, und das gleiche galt für mehrere andere lustige Geschichten, an denen ich mich versuchte, wie etwa CHRISTMAS ON GANYMEDE und ROBOT AL-76 GOES ASTRAY (Doubleday, 1964).
Erst 1952 gelang mir der Durchbruch (nur in meinem eigenen Urteil; das Ihrige will ich damit nicht vorwegnehmen). In den beiden Kurzgeschichten BUTTON, BUTTON und THE MONKEY’S FINGER glaubte ich endlich den richtigen Ton gefunden zu haben. Während des Schreibens kicherte ich in einem fort, und es gelang mir, beide Geschichten an „Startling Stories“ zu verkaufen, wo sie im Januar beziehungsweise Februar 1953 erschienen.
Und, lieber Leser, wenn Sie sie nicht komisch finden, so sagen Sie es mir nicht. Lassen Sie mir meine Illusionen.