Der Smoking war es, der mich so täuschte, daß ich ihn nicht gleich erkannte. Für mich war er bloß ein möglicher Klient, seit einer Woche der erste, den ein gütiges Geschick zu mir hereinwehte. Und er sah schön aus.
Sogar um halb zehn Uhr früh und in einem Smoking sah er schön aus. Zehn Zentimeter knochiges Handgelenk und sechzehn Zentimeter knorrige Hand machten weiter, wo der Ärmel aufhörte; Sockenränder und Hosenbeine fanden nicht ganz zusammen; trotzdem sah er schön aus.
Dann blickte ich ihm ins Gesicht, und es war überhaupt kein Klient. Es war mein Onkel Otto. Mit der Schönheit war es vorbei. Onkel Ottos Gesicht hatte den gewohnten Ausdruck eines alten Schweißhundes, der gerade einen Fußtritt von seinem Herrn bekommen hat.
Meine Reaktion war nicht sehr originell. Ich sagte: „Onkel Otto!“
Sie würden ihn auch kennen, wenn Sie dieses Gesicht einmal in Ihrem Leben gesehen hätten. Als er vor ungefähr fünf Jahren auf der Titelseite des Nachrichtenmagazins TIME abgebildet wurde (das war entweder 1957 oder 1958), gingen 204 Leserzuschriften ein, deren Absender bekannten, daß sie dieses Gesicht niemals vergessen würden. Die meisten fügten Bemerkungen über Alpträume hinzu. Wenn Sie den vollen Namen meines Onkels wissen wollen, er heißt Otto Schlem-melmayer. Aber lassen Sie sich nicht zu voreiligen Schlußfolgerungen verleiten. Er ist der Bruder meiner Mutter. Ich heiße Smith.
Er sagte: „Harry, mein Junge“, und ächzte.
Interessant, aber nicht erhellend. Ich sagte: „Warum der Smoking?“
Er sagte: „Er ist geliehen.“
„Na schön. Aber warum trägst du ihn am Morgen?“
„Ist es schon Morgen?“ Er blickte ungewiß umher, dann ging er zum Fenster und schaute hinaus.
Das ist mein Onkel Otto Schlemmelmayer.
Ich versicherte ihm, daß es Morgen sei, und mit einiger Anstrengung folgerte er, daß er die ganze Nacht durch die Straßen gelaufen sein müsse. Er nahm eine Handvoll Finger von der Stirn und sagte verwundert: „Aber ich war so aufgeregt, Harry. Beim Bankett...“
Die Finger wedelten einen Augenblick ziellos vor meinem Gesicht, dann schlossen sie sich zu einer Faust, die auf meinen Schreibtisch niedersauste. „Aber jetzt ist Schluß! Von nun an mache ich es so, wie ich will.“
Das sagte mein Onkel Otto, seit es mit dem „Schlem-melmayer-Effekt“ angefangen hatte. Vielleicht überrascht Sie das. Vielleicht glauben Sie, es sei der Schlem-melmayer-Effekt, der meinen Onkel berühmt gemacht hat. Nun, es kommt alles darauf an, wie man es sieht.
Er entdeckte den Effekt im Jahre 1952; wahrscheinlich wissen Sie darüber so viel wie ich. Er entwickelte ein Germanium-Relais, das auf Gedankenwellen, oder vielmehr auf die elektromagnetischen Felder der Gehirnzellen reagiert. Er arbeitete jahrelang daran, ein solches Relais in eine Flöte einzubauen, so daß sie allein durch die Kraft des Gedankens Musik spielen würde. Es war seine Liebe, sein Lebensziel, es sollte die Musik revolutionieren. Jeder würde in Zukunft spielen können; Technik und Geschicklichkeit wären nicht mehr nötig - nur der Gedanke.
Dann, es mag fünf Jahre her sein, modifizierte Stephen Wheland, ein junger Forscher im Dienst der Rüstungsfirma Consolidated Arms, den Schlemmelmay-er-Effekt und kehrte ihn gewissermaßen um. Er entwickelte ein Feld von Ultraschallwellen, die das Gehirn über ein Germanium-Relais aktivieren und braten konnten. Im Experimentierstadium tötete er damit eine Ratte aus sieben Metern Entfernung. Wie sich später herausstellte, wirkte die Methode auch bei Menschen.
Daraufhin erhielt Wheland einen Bonus von zehntausend Dollar und wurde befördert, während die Mehrheitsaktionäre der Consolidated Arms Millionen machten, als die Regierung die Patente kaufte und ihre Aufträge erteilte.
Und mein Onkel Otto? Er kam auf die Titelseite der TIME.
Von da an wußte jeder, der sich ihm auf ein paar Kilometer näherte, daß er einen Kummer hatte. Manche meinten, es liege daran, daß er kein Geld bekommen hatte; andere, daß seine großartige Entdeckung zu einem Instrument des Krieges und des Tötens gemacht worden war.
Alles Unsinn! Es war seine Flöte! Der arme Onkel Otto. Er liebte seine Flöte. Er trug sie ständig bei sich, stets zu einer Demonstration bereit. Wenn er aß, ruhte sie in ihrem Spezialfutteral neben ihm auf dem Tisch, und wenn er schlief, verwahrte er sie am Kopfende seines Bettes. Sonntagvormittags erfüllten Onkel Ottos nicht immer harmonische Flötentöne die Physiklaboratorien der Universität, wenn das Instrument unter unvollkommener geistiger Kontrolle deutsche Volkslieder zum besten gab.
Das Problem war, daß kein Hersteller etwas damit zu tun haben wollte. Sobald die Existenz des neuartigen Instruments bekanntgeworden war, hatte die Musikergewerkschaft mit landesweitem Streik gedroht. Die
Unterhaltungsindustrie alarmierte ihre Vertrauensmänner im Parlament und ließ einen Gesetzentwurf zur Unterbindung unlauterer Konkurrenz im Musikwesen einbringen; und selbst der alte Pietro Faranini steckte sich den Dirigentenstab hinters Ohr und gab gegenüber der Presse glühende Erklärungen über den bevorstehenden Untergang der Kunst ab.
Onkel Otto erholte sich von alledem nie mehr.
„Gestern war meine letzte Hoffnung“, sagte er zu mir. „Consolidated gab mir zu Ehren ein Bankett. Wer weiß, sagte ich mir. Vielleicht werden sie doch noch meine Flöte kaufen.“
Die Vorstellung erregte meine Phantasie. „Großartige Idee!“ sagte ich. „Tausend riesige Flöten, an strategischen Punkten im Feindesland verborgen, lassen Schlager und Propagandamusik ertönen, bis ...“
„Still! Still!“ Onkel Otto schlug mit der flachen Hand auf meinen Schreibtisch, daß es wie ein Pistolenschuß knallte, und der Plastik-Terminkalender sprang vor Schreck in die Höhe und fiel tot nieder. „Auch von dir Gespött? Wo ist dein Respekt?“
„Es tut mir leid, Onkel Otto.“
„Dann hör zu. Ich nahm an dem Bankett teil, und sie hielten Ansprachen über den Schlemmelmayer-Effekt und wie er die Kraft des Geistes bändige. Dann, als ich dachte, sie würden den Ankauf meiner Flöte verkünden, gaben sie mir dies!“
Er zog etwas aus der Tasche, das wie ein Zweitausenddollar-Goldstück aussah, und warf es mir zu. Ich duckte mich.
Hätte es das Fenster getroffen, so wäre es durch die Scheibe geflogen und hätte einen Fußgänger erschlagen, aber es traf die Wand, und ich hob es auf. Man konnte am Gewicht merken, daß es nur vergoldet war. Auf einer Seite stand in Großbuchstaben: ELIAS BAN-CROFT SUDFORD-PREIS, und in kleineren Buchstaben: „Dr. Otto Schlemmelmayer für seinen Beitrag zur wissenschaftlichen Forschung“. Auf der Rückseite war ein Profil zu sehen, das offensichtlich nicht meinen Onkel Otto darstellte. Es sah überhaupt nicht wie irgendeine Hundeart aus; mehr wie ein Schwein.
„Das“, sagte mein Onkel Otto, „ist Elias Bancroft Sudford, der Verwaltungsratsvorsitzende von Consolidated Arms.“
Er fuhr fort: „Als ich sah, daß das alles war, stand ich auf und sagte den Herren sehr höflich, sie sollten tot umfallen, und ging hinaus.“
„Und dann liefst du die ganze Nacht durch die Straßen“, ergänzte ich, „und kamst hierher, ohne auch nur die Kleider zu wechseln. Du bist immer noch im Smoking.“
Onkel Otto streckte den Arm aus und betrachtete die Röhre, in der er steckte. „Ein Smoking?“ sagte er.
„Ein Smoking.“
Seine langen Hängebacken wurden fleckig rot, und er brüllte: „Ich komme in einer Angelegenheit von größter Wichtigkeit hierher, und du bestehst darauf, daß wir über nichts als Smokings sprechen! Mein eigener Neffe!“
Ich ließ das Feuer ausbrennen. Mein Onkel Otto ist der brillante Kopf in der Familie, daher suchen wir schwachsinnigen Verwandten zu verhindern, daß er in Abzugsgräben fällt oder aus Fenstern läuft, und lassen ihn im übrigen in Ruhe.
„Und was kann ich für dich tun, Onkel?“ fragte ich ihn. Ich versuchte es geschäftsmäßig zu sagen und das Gespräch auf die Ebene Anwalt-Klient zu überführen.
Er wartete eindrucksvoll lange und sagte dann: „Ich brauche Geld.“
Da war er bei mir an der falschen Adresse. Ich sagte: „Onkel, im Moment habe ich nicht...“
„Nicht von dir“, sagte er, und gleich wurde mir woh-ler. „Es gibt einen neuen Schlemmelmayer-Effekt“, fuhr er fort. „Einen besseren. Diesen werde ich nicht in Fachzeitschriften veröffentlichen. Ich werde meinen großen Mund halten. Diese Erfindung soll allein mir gehören.“ Während er sprach, fuchtelte er mit der knochigen Faust, als dirigierte er ein imaginäres Orchester. „Mit diesem neuen Effekt werde ich Geld verdienen und meine eigene Flötenfabrik eröffnen.“
„Großartig“, sagte ich zweifelnd.
„Aber ich weiß nicht, wie.“
„Schlecht“, sagte ich.
„Das Dumme ist, ich bin einseitig begabt. Ich kann Ideen entwickeln, mit denen gewöhnliche Leute überhaupt nichts anzufangen wissen. Aber leider, Harry, kann ich keine Methode entwickeln, wie mit meinen anderen Ideen Geld zu verdienen ist. Das ist ein Talent, das mir fehlt.“
„Schlecht“, sagte ich, diesmal mit Überzeugung.
„Also komme ich zu dir als einem Rechtsanwalt.“
Ich kicherte verlegen und hob abwehrend die Hände.
„Ich komme zu dir“, fing er wieder an „daß du mir mit deinem krummen, verschlagenen, hinterlistigen, unehrlichen Anwaltsgehirn hilfst.“
Ich verbuchte die Aufzählung innerlich unter „unerwartete Komplimente“ und sagte: „Ich liebe und schätze dich auch, Onkel Otto.“
Er mußte die Ironie herausgehört haben, denn er lief purpurrot an und schrie: „Sei nicht so empfindlich! Sei wie ich: geduldig, verständnisvoll und ungezwungen.
Holzkopf! Wer sagt etwas über dich als Mensch? Als Mensch bist du ein ehrlicher Dummkopf, aber als Anwalt mußt du ein Halunke sein. Jeder weiß das.“
Ich seufzte. Die Anwaltsvereinigung hatte mich gewarnt, daß es Tage wie diesen geben würde.
„Was hat es mit deinem neuen Effekt auf sich, Onkel Otto?“ fragte ich.
„Ich kann in die Zeit zurückgreifen und Dinge aus der Vergangenheit bringen.“
Ich handelte schnell. Mit der Linken zog ich meine Taschenuhr aus der Weste und starrte bestürzt auf das Zifferblatt. Mit der Rechten griff ich zum Telefon.
„Nun, Onkel“, sagte ich herzlich, aber mit einem gequälten Unterton, „mir fällt gerade ein, daß ich eine äußerst wichtige Verabredung habe. Ich habe mich schon um eine Stunde verspätet. Es freut mich immer, dich zu sehen, aber jetzt muß ich mich wirklich verabschieden. Tut mir leid. Ja, Onkel, es war mir ein Vergnügen, ein echtes Vergnügen. Nun, auf Wiedersehen. Laß es dir gut...“
Ich konnte den Hörer nicht abnehmen. Ich zog mit aller Kraft, aber Onkel Ottos Hand lag auf der meinen und drückte sie nieder. Es war kein Wettkampf. Habe ich gesagt, daß mein Onkel Otto während seiner Studienjahre in Heidelberg Mitglied einer Ringermannschaft war?
Er ergriff sanft (für seine Begriffe) meinen Ellbogen, und ich stand. Es ersparte mir jede Muskelanstrengung. „Laß uns zum Laboratorium gehen“, sagte er.
Er ging zu seinem Laboratorium, und da ich weder das geeignete Messer noch die Neigung hatte, mir den linken Arm an der Schulter abzutrennen, ging ich auch zu seinem Laboratorium...
Onkel Ottos Laboratorium ist in einem der Universitätsgebäude untergebracht. Seit sich herausgestellt hat, daß der Schlemmelmayer-Effekt eine große Sache ist, hat man ihn von aller Lehrtätigkeit befreit und ganz sich selbst und seinen Forschungen überlassen. Sein Laboratorium sah danach aus.
Ich sagte: „Schließt du die Tür nicht mehr zu?“ Er warf mir einen schlauen Blick zu, rümpfte die riesige Nase und schnüffelte. „Sie ist verschlossen. Mit einem Schlemmelmayer-Relais. Ich denke mir ein Wort -und die Tür öffnet sich. Ohne das Wort kommt niemand hinein. Nicht mal der Präsident der Universität. Ja, nicht einmal der Hausmeister!“
Ich begann mich für die Sache zu erwärmen. „Nicht möglich! Herr des Himmels, Onkel Otto! Ein gedankengesteuertes Schloß könnte dir eine Menge...“
„Hah! Ich soll das Patent verkaufen, damit ein anderer reich wird? Nach dem gestrigen Abend? Niemals! Ich will selbst reich werden.“
Eines muß man meinem Onkel lassen: Er gehört nicht zu den Leuten, auf die man einreden muß wie auf einen kranken Gaul, bevor ihnen ein Licht aufgeht. Bei ihm weiß man im voraus, daß er das Licht nie sehen wird.
Also wechselte ich das Thema und sagte: „Und die Zeitmaschine?“
Mein Onkel Otto ist einen Fuß größer als ich, dreißig Pfund schwerer und stark wie ein Ochse. Wenn er einem die Hände um den Hals legt und schüttelt, bleibt einem nichts übrig, als blau und violett anzulaufen.
„Pssst!“ machte er.
Ich verstand.
Er ließ mich los und sagte: „Niemand weiß von Projekt X.“ Er beugte sich über mich und wiederholte raunend: „Projekt X. Du verstehst?“
Ich nickte. Da mein Kehlkopf nur langsam heilte, hätte ich sowieso nicht sprechen können.
„Ich erwarte nicht, daß du dich mit meinem Wort zufriedengeben wirst“, sagte er. „Ich will für dich eine Demonstration machen.“
Ich versuchte in der Nähe der Tür zu bleiben.
„Hast du ein Stück Papier mit deiner eigenen Handschrift darauf?“ fragte er.
Ich suchte in meiner Brusttasche. Irgendwo mußten Notizen sein, die ich für ein Gespräch mit einem Klienten gemacht hatte.
Onkel Otto sagte: „Zeig es mir nicht. Zerreiß es einfach in kleine Stücke und tue diese hier in den Becher.“
Ich zerriß das Blatt in einhundertachtundzwanzig Stücke.
Er betrachtete sie gedankenvoll und begann Knöpfe an einer - nun ja, an einer Maschine einzustellen. An einer Seite war eine dicke, undurchsichtige Glasplatte befestigt, die wie eine Instrumentenablage am Behandlungsstuhl eines Zahnarztes aussah. Ich wartete eine Weile, während er sich mit der Einstellung beschäftigte.
Dann richtete er sich auf, sagte: „Aha!“ und trat einen Schritt zurück.
Ungefähr fünf Zentimeter über der Glasplatte erschien etwas, das wie ein verschwommenes Stück Papier aussah. Während ich hinsah, gewann es an Schärfe, und - aber warum ein Aufhebens davon machen? Es waren meine Notizen. Meine Handschrift. Das Blatt war vollständig und vom ersten bis zum letzten Buchstaben lesbar.
„Kann man es anfassen?“ Ich war ein bißchen heiser, teils vor Verblüffung, teils wegen der überzeugenden Art meines Onkels Otto, Verschwiegenheit zu erzwingen.
„Geht nicht“, sagte er und fuhr mit der Hand durch das vermeintliche Papier; es blieb, wo es war, unberührt. Er sagte: „Es ist nur eine Wiedergabe im Brennpunkt eines vierdimensionalen Paraboloiden. Der andere Brennpunkt befindet sich an einer Stelle in der Zeit, als du das Blatt noch nicht zerrissen hattest.“
Ich steckte auch meine Hand durch das Papier. Es war nichts zu fühlen.
„Nun paß auf“, sagte er. Er drehte einen Knopf an der Maschine, und die Wiedergabe des Papiers verschwand. Darauf nahm er ein paar Papierfetzen aus dem Becher, warf sie in einen Ascher und zündete sie an. Er spülte die Asche in den Ausguß. Zur Maschine zurückgekehrt, drehte er abermals den Knopf, und die Wiedergabe des Papiers erschien aufs neue. Aber etwas war anders. Das Blatt Papier zeigte hier und dort unregelmäßig gezackte Löcher.
„Die verbrannten Stücke?“ fragte ich.
„Genau. Die Maschine muß in der Zeit den Vektoren der Moleküle folgen, auf die sie eingestellt ist. Wenn bestimmte Moleküle umgewandelt oder in der Luft verteilt sind - pfffft!“
Ich hatte eine Idee. „Angenommen, du hättest nur die Asche eines Dokuments.“
„Dann könnten nur diese Moleküle zurückverfolgt werden.“
„Aber angenommen, die Asche wäre noch beisammen“, meinte ich. „Dann wären die Moleküle so gut verteilt, daß du vielleicht ein unscharfes Bild des ganzen Dokuments gewinnen könntest.“
„Hmm. Vielleicht.“
Ich begann die Idee aufregend zu finden. „Mensch, Onkel Otto! Weißt du, wieviel die Polizeibehörden für eine solche Maschine bezahlen würden? Es wäre eine enorme Erleichterung für die ...“
Ich brach ab. Die Art und Weise, wie seine Haltung sich plötzlich versteifte, war mir unheimlich. Höflich sagte ich: „Was meintest du, Onkel?“
Er blieb bemerkenswert ruhig. „Ein für allemal, Neffe“, sagte er in einem Ton, der kaum mehr als ein Schnauzen war. „Alle meine Erfindungen werde ich von nun an selbst entwickeln. Zuerst muß ich Anfangskapital zusammenbringen. Kapital aus einer Quelle, die nicht dem Verkauf meiner Gedanken entspringt. Danach werde ich eine Fabrik für meine Flöten aufmachen. Das kommt zuerst. Später kann ich mit meinen Gewinnen solche Maschinen herstellen. Aber zuerst meine Flöten, vor allen anderen. Das habe ich mir gestern abend geschworen.
Durch die Selbstsucht einiger weniger wird die Welt großer Musik beraubt. Soll mein Name als der eines Mörders in die Geschichte eingehen? Soll der Schlem-melmayer-Effekt eine Methode sein, die Gehirne von Menschen zu braten? Oder soll er schöne Musik zum Erklingen bringen? Große, wundervolle Musik, die von Dauer ist?“
Er hatte eine Hand orakelhaft erhoben und die andere hinter dem Rücken. Die Fenster vibrierten schrill zu seinen Worten.
„Onkel Otto“, sagte ich rasch, „man wird dich hören!“ „Dann schrei nicht so laut!“ erwiderte er.
„Aber so hör doch“, protestierte ich. „Wie willst du zu deinem Anfangskapital kommen, wenn du nicht bereit bist, diese Erfindungen auszubeuten?“
„Ich habe es dir noch nicht gesagt, aber ich kann eine Abbildung Wirklichkeit werden lassen. Wie, wenn die Abbildung wertvoll wäre?“
Das klang gut. „Du meinst, wie ein verlorengegangenes Dokument oder Manuskript, eine Erstausgabe - so etwas, wie?“
„Nein, eigentlich nicht. Es gibt da einen Haken. Zwei Haken. Nein, drei.“
Ich wartete, daß er weiterzähle, aber drei schien die Grenze zu sein.
„Was für Haken sollen das sein?“ fragte ich.
„Erstens muß ich das Objekt in der Gegenwart vor mir haben, um die Maschine darauf einzustellen, sonst kann ich es in der Vergangenheit nicht ausmachen.“
„Du meinst, du kannst nichts zurückholen, was nicht jetzt und hier existiert, wo du es sehen kannst?“
„Ja.“
„In diesem Fall sind die Haken zwei oder drei rein akademischer Natur. Aber sage mir trotzdem, was sie sind.“
„Ich kann nur ein Gramm Material aus der Vergangenheit holen.“
Ein Gramm! „Warum nicht mehr? Nicht genug Energie?“
„Es ist eine umgekehrt exponentiale Beziehung“, sagte Onkel Otto ungeduldig. „Alle Energie des Universums könnte nicht mehr als vielleicht zwei Gramm bringen.“
„Und der dritte Haken?“ sagte ich.
„Ja, also ...“ Er zögerte, nahm einen neuen Anlauf. „Je weiter die zwei Brennpunkte voneinander entfernt sind, desto flexibler die Verbindung. Sie muß eine gewisse Länge haben, bevor sie in die Gegenwart gezogen werden kann. Mit anderen Worten, ich muß mindestens einhundertfünfzig Jahre in die Vergangenheit gehen.“
„Ich sehe“, sagte ich und versuchte meiner Stimme den selbstsicheren, geschäftsmäßigen Ton eines Rechtsanwalts zu verleihen. „Du möchtest etwas aus der Vergangenheit bringen, was du in ein kleines Kapital ummünzen kannst. Es muß etwas sein, was existiert und was du sehen kannst, also darf es kein verlorener Gegenstand von historischem oder archäologischem Wert sein. Es darf nicht mehr als ein Gramm wiegen, also kann es nicht der Cullinan-Diamant oder etwas dergleichen sein. Es muß mindestens einhundertfünfzig Jahre alt sein, also kann es auch keine seltene Briefmarke sein.“
„Genau“, sagte mein Onkel. „Du hast es verstanden.“
„Ja, das ist wirklich interessant“, sagte ich. „Nun, dann bis zum nächstenmal, Onkel.“ Ich glaubte nicht, daß es klappen würde, aber ich versuchte, zu gehen.
Es klappte nicht. Onkel Otto faßte mich bei den Revers meiner Jacke, und ich stand mit den Zehenspitzen auf einem Zoll Luft.
„Du zerknitterst meine Jacke, Onkel Otto.“
„Harold“, sagte er. „Als Rechtsanwalt schuldest du mir als einem Klienten mehr als einen schnellen Abschied.“
„Ich habe keinen Vorschuß genommen“, gurgelte ich. Der Hemdkragen begann mir zu eng zu werden. Ich versuchte zu schlucken, und der oberste Knopf sprang ab.
„Unter Verwandten ist ein Vorschuß nicht so wichtig“, sagte er. „Eine reine Formalität. Als Klient und als Onkel habe ich einen Anspruch auf deine Loyalität. Und außerdem, wenn du mir nicht hilfst, werde ich dir die Füße in den Nacken binden und Korbball mit dir spielen.“
Nun, als Anwalt bin ich für Logik immer empfänglich. Ich sage: „Ich gebe auf. Du hast gewonnen.“
Er ließ mich fallen.
Und dann - dies ist der Teil, der mir im Rückblick am unglaublichsten erscheint - hatte ich eine Idee.
Es war ein Knüller von einer Idee. Eine, wie man sie nur einmal im Leben hat.
Ich sagte Onkel Otto nicht alles auf einmal. Ich wollte mir ein paar Tage Zeit nehmen, um darüber nachzudenken. Aber ich sagte ihm, was zu tun sei. Ich sagte ihm, er würde nach Washington fahren müssen. Es war nicht einfach, ihn dazu zu überreden, aber wenn man meinen Onkel Otto kennt, dann weiß man, daß es Wege gibt.
Ich fand zwei Zehndollarnoten, die jämmerlich in meiner Brieftasche versteckt lagen, und gab sie ihm. „Ich werde einen Scheck für das Fahrgeld ausstellen, und du kannst die zwei Zehner behalten, wenn sich herausstellt, daß ich unehrlich mit dir bin.“
Er überlegte. „Du bist kein Dummkopf, der zwanzig Dollar für nichts riskieren würde“, gab er zu. Und damit hatte er recht.
Zwei Tage später war er wieder da und verkündete, daß er die Einstellung für das Objekt habe. Es war nicht weiter schwierig gewesen, heranzukommen, denn schließlich war es öffentlich ausgestellt. Es wird in einem mit Stickstoff gefüllten, luftdichten Glasbehälter verwahrt, aber mein Onkel meinte, das spiele keine Rolle. Und die Einstellung werde auch im Laboratorium, sechshundert Kilometer entfernt, unverändert genau bleiben.
Ich sagte: „Noch zwei Punkte, Onkel Otto, bevor wir etwas unternehmen.“
„Was? Was? Was?“ fragte er ungeduldig. „Was hast du? Was? Was?“
Ich hatte den Eindruck, daß er unruhig wurde. „Bist du sicher, daß das Stück, welches wir aus der Vergangenheit holen, nicht aus dem Gesamtobjekt verschwinden wird, wie es jetzt existiert?“
Onkel Otto rang die knochigen Hände, daß die Gelenke knackten, und sagte: „Wir erschaffen neue Materie und stehlen keine alte. Wozu brauchten wir sonst die enorme Energiemenge?“
Ich ging zum zweiten Punkt über. „Was ist mit meinem Honorar?“
Sie werden es nicht glauben, aber bis dahin hatte ich von Geld nichts erwähnt. Mein Onkel Otto auch nicht, aber das war kein Wunder.
Sein Mund dehnte sich in der schlechten Imitation eines verständnisinnigen Lächelns. „Ein Honorar?“
„Zehn Prozent der Einnahmen“, sagte ich. „So viel muß ich haben.“
Seine Hängebacken zitterten. „Aber wie hoch sind die Einnahmen?“
„Vielleicht einhunderttausend Dollar. Dir würden also neunzigtausend bleiben.“
„Neunzigtausend - Himmel! Worauf warten wir noch?“
Er sprang zu seiner Maschine, und eine halbe Minute später erschien über der Glasscheibe die Wiedergabe eines Stückes Pergament. Es war mit sauberer, gleichmäßiger Handschrift bedeckt und sah wie eine Prüfungsarbeit für einen Schönschreibewettbewerb aus.
Am Fuß des Pergamentblatts standen viele Namen: ein großer und fünfundfünfzig kleine.
Mir stockte der Atem. Ich hatte viele Reproduktionen gesehen, aber dieses Ding war echt. Die echte Unabhängigkeitserklärung!
„Ich - ich will verdammt sein“, stammelte ich ergriffen. „Du hast es geschafft.“
Onkel Otto kam sofort zur Sache. „Und die hunderttausend?“ fragte er.
„Siehst du, Onkel, am Fuß des Dokuments stehen Unterschriften. Das sind die Namen von berühmten Männern, die wir alle als die Väter unseres Landes verehren. Alles an ihnen ist für jeden echten Amerikaner von Interesse.“
„Von mir aus“, murrte Onkel Otto. „Wenn es für den Verkauf nützlich ist, werde ich dazu auf meiner Flöte die Nationalhymne spielen.“
Ich lachte schnell, um ihm zu zeigen, daß ich die Bemerkung als einen Scherz aufnahm. „Nun“, fuhr ich fort, „einer dieser Unterzeichner starb im Jahr 1777, ein Jahr nach der Unterzeichnung der Unabhängigkeitserklärung. Er hinterließ der Nachwelt nicht viel, darum sind authentische Autographen von ihm außerordentlich selten und werden von Spezialisten gesucht. Der Name des Mannes war Button Gwinnett.“
„Und wie hilft uns das beim Kassemachen?“ fragte Onkel Otto, unverändert auf die ewigen Wahrheiten des Lebens konzentriert.
„Hier ist eine authentische, echte Unterschrift von Button Gwinnett, hier auf der Unabhängigkeitserklärung. Du siehst sie ganz links mit den zwei anderen Unterschriften für den Staat Georgia, Lyman Hall und George Walton. Du siehst, daß sie ihre Namen eng aneinander geschrieben haben, obwohl oben und unten reichlich Platz vorhanden ist. Der Anfangsbuchstabe G von Gwinnett kommt sogar mit Halls Namen in Berührung. Wir werden also nicht versuchen, sie zu trennen. Wir werden sie en bloc nehmen. Kannst du das machen?“
Haben Sie jemals einen Schweißhund gesehen, der ein glückliches Gesicht machte? Nun, mein Onkel Otto brachte es zuwege.
Ein hellerer Lichtfleck wanderte über das Dokument und kam auf den Namen der drei Unterzeichner aus Georgia zum Stillstand. Onkel Otto sagte ein wenig atemlos: „Ich habe das noch nie versucht.“
„Was?“ fragte ich entgeistert.
„Es hätte zuviel Energie benötigt. Ich wollte nicht, daß die Universität mißtrauisch wird und nachforscht, was hier vorgeht. Aber keine Sorge! Meine Mathematik kann nicht falsch sein.“
Der Lichtschein wurde heller, und ein Summen entstand, das bald das ganze Laboratorium erfüllte und alle anderen Geräusche auslöschte. Onkel Otto drehte einen Knopf, dann einen zweiten und einen dritten.
Erinnern Sie sich noch, welche Aufregung es gab und wie die Zeitungen zeterten, als vor nicht langer Zeit ganz New York zwölf Stunden lang ohne Elektrizität war, weil das Verbundnetz wegen Überlastung zusammengebrochen war? Ich will nicht sagen, daß wir das taten, denn ich habe keine Lust, mich auf Schadenersatz verklagen zu lassen. Aber ich will so viel sagen: Der Strom fiel aus, als mein Onkel Otto den dritten Knopf drehte.
Alle Lampen im Laboratorium erloschen, und als ich meine momentane Benommenheit überwunden hatte, fand ich mich am Boden liegend, ein schreckliches Dröhnen und Summen in den Ohren. Onkel Otto lag über mir.
Wir halfen einander auf die Füße, und Onkel Otto fand eine Taschenlampe. Ein Blick auf seine Maschine ließ ihn aufheulen. „Durchgebrannt! Geschmolzen! Meine Maschine ist ruiniert!“
„Aber die Unterschriften!“ schrie ich. „Hast du sie?“
Er brach mitten im Gejammer ab. „Ich habe nicht nachgesehen.“
Er sah nach, und ich schloß die Augen. Das Verschwinden von hunderttausend Dollar ist nicht schön anzusehen.
Dann hörte ich ihn. „Ah, ha!“ rufen und öffnete schnell die Augen. Er hatte ein Stück Pergament in der Hand, nicht größer als fünf Quadratzentimeter. Es trug drei Unterschriften, und die oberste gehörte Button Gwinnett.
Die Unterschrift war absolut echt, wohlgemerkt. Sie war keine Nachahmung. Die ganze Transaktion war nicht im mindesten schwindelhaft, das möchte ich klargestellt wissen. Auf Onkel Ottos breiter Handfläche lag Button Gwinnetts Unterschrift auf dem authentischen Pergament der echten Unabhängigkeitserklärung.
Wir beschlossen, daß Onkel Otto mit dem Pergamentstück nach Washington fahren sollte. Ich war für den Zweck weniger geeignet. Ich war Rechtsanwalt, und mir würde man zu viel Durchtriebenheit zutrauen. Er aber war ein, wissenschaftliches Genie, von dem man keine faulen Tricks und Winkelzüge erwartete. Für jeden, der ihn kannte, war Dr. Otto Schlemmel-mayer die Ehrlichkeit selbst.
Wir verbrachten eine Woche mit der Vorbereitung einer geeigneten Geschichte. Ich kaufte zu dem Anlaß ein Buch, eine alte Geschichte des Staates Georgia während der Kolonialzeit. Es war ein antiquarisches Buch, und Onkel Otto sollte es mitnehmen und behaupten, er habe zwischen den Seiten der alten Schwarte ein Dokument gefunden, einen Brief des neugegründeten Staates Georgia an den Bundeskongreß. Er habe diesen alten Brief nicht weiter beachtet und über einen Bunsenbrenner gehalten, um ihn zu verbrennen. Warum sollte er, ein Physiker, an alten Briefen interessiert sein? Dann habe er einen sonderbaren Geruch wahrgenommen, der ihm beim Verbrennen in die Nase gestiegen sei, und gleichzeitig sei ihm aufgefallen, daß das Papier schlecht brannte. Darauf habe er die Flammen ausgeschlagen, aber nur das Stück mit den Unterschriften sei noch übrig gewesen. Er habe es betrachtet und studiert, und schließlich habe der Name Button Gwinnett eine undeutliche Erinnerung wachgerufen.
Wir übten die Geschichte ein, bis er sie auswendig wußte. Ich brannte die Ränder des Pergamentstücks an, so daß der unterste Name, der George Walton gehörte, ein wenig angesengt wurde.
„So sieht es realistischer aus“, erläuterte ich. „Eine Unterschrift ohne Brief ist natürlich weniger wert als ein komplettes Schriftstück, aber dafür haben wir die Signaturen aller drei Unterzeichner.“
Onkel Otto wurde nachdenklich. „Und wenn sie die Signaturen mit denen auf der Unabhängigkeitserklärung vergleichen und feststellen, daß sie haargenau übereinstimmen? Werden sie nicht einen Betrug vermuten?“
„Sicherlich. Aber was können sie machen? Das Pergament, die Tinte, die Unterschriften - alles ist authentisch. Das werden sie zugeben müssen. Gleichgültig, wie sehr sie einen Schwindel vermuten, sie können nichts beweisen. Ich hoffe sogar, daß sie versuchen werden, ein Aufhebens davon zu machen. Die Publizität wird den Preis in die Höhe treiben.“
Der letzte Satz brachte Onkel Otto zum Lachen. Am folgenden Tag nahm er den Zug nach Washington, erfüllt von Zukunftsvisionen, in denen Flöten die Hauptrolle spielten. Lange Flöten, kurze Flöten, Baßflöten, Querflöten, Flöten für den Solisten und Flöten für das Orchester. Eine Welt von Flöten für gedankenerzeugte Musik.
„Vergiß nicht“, waren seine letzten Worte, „ich habe kein Geld, um die Maschine neu zu bauen. Diese Sache muß klappen.“
Und ich sagte: „Onkel Otto, es kann nichts schiefgehen.“
Ha!
Nach einer Woche war er zurück. Ich hatte jeden Tag Ferngespräche geführt, und jeden Tag hatte er mir gesagt, daß sie Nachforschungen anstellten.
Nachforschungen. Was konnte ihnen das nützen?
Ich erwartete ihn am Bahnhof. Er stieg mit ausdrucksloser Miene aus dem Zug, und ich wagte es nicht, ihn in der Öffentlichkeit zu fragen. Ich wollte sagen: „Nun, wie ist es? Ja oder nein?“ Aber dann dachte ich, laß ihn reden.
Ich fuhr ihn zu meinem Büro, bot ihm eine Zigarre und etwas zu trinken an. Ich versteckte meine Hände unter dem Schreibtisch, aber das führte nur dazu, daß der Schreibtisch auch zitterte, also steckte ich sie in die Hosentaschen und zitterte am ganzen Körper.
Er sagte: „Sie haben nachgeforscht.“
„Natürlich! Ich sagte dir, daß sie das machen würden, nicht wahr? Ha, ha, ha! Hm?“
Onkel Otto sog verdrießlich an der Zigarre, räusperte sich umständlich und sagte: „Der Mann in der Doku-mentenabteilung kam zu mir und sagte: ,Professor
Schlemmelmayer’, sagte er, ,Sie sind das Opfer eines schlauen Betrugs.’ Ich sagte: ,So? Wie kann es ein Betrug sein? Ist die Unterschrift eine Fälschung?’ Und er antwortete: ,Sie sieht gewiß nicht wie eine Fälschung aus, muß aber eine sein!’ Und ich fragte ihn, warum es eine sein müsse.“
Mein Onkel Otto legte die Zigarre weg, stellte das Whiskyglas auf den Schreibtisch und beugte sich zu mir herüber. Er hatte mich so in Spannung gebracht, daß ich mich vorwärts neigte, ihm entgegen. So verdiente ich in einer Weise, was ich bekam.
„Genau!“ babbelte ich aufgeregt. „Warum muß es eine Fälschung sein? Sie können nicht beweisen, daß irgend etwas daran falsch ist, weil alles echt und richtig ist. Warum muß es eine Fälschung sein, eh? Warum?“
Onkel Ottos Stimme war erschreckend ruhig und freundlich. Er sagte: „Wir holten das Pergament aus der Vergangenheit, nicht wahr?“
„Ja. Du weißt es.“
„Aus ferner Vergangenheit.“
„Richtig. Mehr als hundertfünfzig Jahre. Du sagtest ...“
„Und vor hundertfünfzig Jahren war das Pergament, auf dem die Unabhängigkeitserklärung steht, noch ziemlich neu, nicht wahr?“
Ich begann zu begreifen, aber nicht schnell genug. Onkel Ottos Stimme schwoll zu dumpf grollendem Donner an. „Und wenn Button Gwinnett 1777 starb, du elender Dummkopf, wie kann eine authentische Unterschrift von ihm auf einem neuen Stück Pergament stehen?“
Danach war alles um mich her nur noch ein Vorwärts- und Rückwärtsstürzen.
Ich rechne damit, bald aus dem Krankenhaus entlassen zu werden. Die Schmerzen sind noch nicht vergangen, aber der Arzt sagt, es habe keine Knochenbrüche gegeben.
Trotzdem, mein Onkel Otto hätte mich nicht zwingen müssen, das verdammte Pergament zu schlucken.
Wenn ich gedacht hatte, nach diesen Geschichten als ein Meister des Humors anerkannt zu werden, so sah ich mich getäuscht. L. Sprague de Camp, einer der erfolgreichsten Verfasser humorvoller Science Fiction, hatte in seinem Handbuch der Science Fiction, das 1953 erschien, nicht lange nach diesen (meiner Meinung nach) erfolgreichen Vorstößen in das Gebiet des Humors, folgendes über mich zu sagen:
„Asimov ist ein kräftiger und jugendlich aussehender Mann mit welligem, braunem Haar, blauen Augen und einem frischen, jovialen und zuweilen überschäumenden Temperament, der von seinen Freunden wegen seiner großzügigen, warmherzigen Natur geschätzt wird. Außerordentlich gesellig, beredsam und witzig, ist er ein vollkommener Ausbringer von Trink sprüchen. Diese Neigung zum Humor im persönlichen Umgang kontrastiert mit der Nüchternheit seiner Erzählungen.“
Nüchternheit!
Auf der anderen Seite nahm Groff Conklin die vorliegende Erzählung zwölf Jahre später in seine Anthologie 13 ABOVE THE NIGHT (Dell, 1965) auf und sagte dazu: „Wenn der gute Doktor beschließt, einen Tag
freizunehmen und lustig zu sein, dann gibt es in der Tat zu lachen ...“
Nun, obwohl Groff und Sprague beide sehr gute Freunde von mir waren (Groff ist leider nicht mehr am Leben), steht in diesem besonderen Fall wohl außer Frage, daß Groff den besseren Geschmack zeigt.
Bevor ich fortfahre, sollte ich übrigens erklären, was es mit Spragues Bemerkung über meine „großzügige, warmherzige Natur“ auf sich hat, die all jene verwundern mag, die mich als ein boshaftes, dreckiges Scheusal kennen.
Spragues Vorurteil zu meinen Gunsten beruht vermutlich auf einem einzigen Zwischenfall.
1942 arbeiteten Sprague und ich im Marinearsenal von Philadelphia. Es war Kriegszeit, und zum Betreten des abgesperrten Geländes brauchten wir Ausweisplaketten. Wer seine Plakette vergaß, mußte sich eine Stunde lang mit der Bürokratie herumschlagen, um einen befristeten Passierschein zu bekommen, büßte einen Stundenlohn ein und erhielt eine Eintragung des Vergehens in die Personalakte.
Als wir am bewußten Tag zum Tor gingen, nahm sein Gesicht einen grünlichen Pastellton an, und er sagte: „Ich habe meine Plakette vergessen!“ Er hoffte zu der Zeit auf die Ernennung zum Leutnant der Kriegsmarine und befürchtete, daß selbst ein kleiner Fleck auf seiner Weste nachteilige Auswirkungen haben könnte.
Nun, ich hatte keine solchen Ambitionen und war von der Schule her so daran gewöhnt, ins Büro des Direktors gerufen zu werden, daß mich ein Anpfiff vom Feldwebel nicht schrecken konnte.
Also gab ich ihm meine Plakette und sagte: „Stecke dir das an die Jacke und gehe ‘rein, Sprague. So genau werden sie nicht hingucken.“ Er ging durch das Tor, und sie ließen ihn passieren. Ich meldete, daß ich meine Plakette vergessen hätte und holte mir meinen Anpfiff.
Sprague hat das nie vergessen. Bis zum heutigen Tag geht er herum und erzählt den Leuten, was für ein großartiger Kerl ich sei, ungeachtet der Tatsache, daß alle ihn ungläubig anstarren Diese eine impulsive Tat hatte eine lebenslange Propaganda zu meinen Gunsten zur Folge. Laß dein Boot übers Wasser fahren, wie es bei Salomo 11,1 so schön heißt...
Aber wir wollen weitergehen.