Der Affe und die Schreibmaschine

„Ja. Ja. Ja. Ja. Ja. Ja. Ja. Ja. Ja. Ja. Ja. Ja. Ja. Ja. Ja. Ja , sagte Marmie Tallin in sechzehn verschiedenen Tonlagen und Modulationen, während der Adamsapfel in seinem langen Hals krampfhaft auf und nieder hüpfte. Er war ein Schriftsteller.

„Nein“, sagte Lemuel Hoskins und betrachtete ihn mit steinerner Miene durch die stahlgerahmten Brillengläser. Er war ein Herausgeber.

„Dann wollen Sie also keinen wissenschaftlichen Test akzeptieren. Sie wollen nicht auf mich hören. Ich bin überstimmt, wie?“ Marmie machte Anstalten, sich zu erheben, ließ sich wieder zurücksinken, wiederholte den Prozeß und schnaufte resigniert. Sein dunkles Haar stand in Büscheln aufrecht, wo er mit den Fingern hineingefahren war.

„Eins zu sechzehn“, sagte Hoskins.

„Warum müssen Sie immer recht haben?“ sagte Marmie. „Warum muß ich immer schiefliegen?“

„Sie sollten doch wissen, Marmie, nach welchen Gesichtspunkten unsere Arbeit beurteilt wird, Ihre und meine. Wenn die Auflage unserer Zeitschrift sinkt, bin ich ein Versager und fliege auf die Straße. Glauben Sie, der Verleger würde sich mit mir zusammensetzen und lange diskutieren? Er würde sich bloß die Umsatzzahlen ansehen. Aber die Auflage geht nicht herunter, sie steigt, und das macht mich zu einem guten Herausgeber. Und genauso verhält es sich mit Ihnen, mein Freund: Wenn die Herausgeber Ihre Geschichten annehmen, sind Sie ein Talent. Wenn sie Ihre Geschichten ablehnen, sind Sie eine Null, ein Nichts. Im Augenblick sind Sie ein Nichts.“

„Es gibt andere Verleger und Herausgeber, wissen Sie. Sie sind nicht der einzige!“ Marmie hob die Hände mit gespreizten Fingern. „Können Sie zählen? Genauso viele Zeitschriften würden mit Vergnügen und unbesehen eine Tallin-Geschichte nehmen.“

„Gesundheit“, sagte Hoskins.

„Sehen Sie“, sagte Marmie, in dessen Stimme ein beschwörender Ton kam, „Sie wollten zwei Veränderungen, nicht wahr? Sie wollten eine einleitende Szene mit der Schlacht. Nun, die habe ich Ihnen geschrieben: Hier ist sie.“ Er wedelte mit dem Manuskript unter Hoskins Nase, und Hoskin wich zurück.

„Aber Sie wollten auch, daß ich die Szene auf dem Schiffsdeck unterbreche und eine Rückblende einschalte“, fuhr Marmie fort. „Und das können Sie nicht haben. Wenn ich diese Änderung machte, würde ich einen Abschluß ruinieren, der, wie er jetzt ist, Pathos, Tiefe und Gefühl hat.“

Hoskins ließ sich in den Sessel zurückfallen und wandte den Kopf zu seiner Sekretärin, die während des ganzen Gesprächs still an ihrem Platz gesessen und getippt hatte. Sie war diese Szenen gewöhnt.

Hoskins sagte: „Haben Sie das gehört, Miß Kane? Er spricht von Pathos, Tiefe und Gefühl! Was weiß ein Schreiber von solchen Dingen? Passen Sie auf, lieber Freund, wenn Sie die Rückblende einschalten, erhöhen Sie die Spannung; Sie raffen die Geschichte; Sie machen sie überzeugender.“

„Wieso würde ich sie dadurch überzeugender machen?“ rief Marmie verzweifelt. „Meinen Sie etwa, daß die Geschichte überzeugender wird, wenn ein paar Leute auf einem Schiff anfangen, über Politik und Soziologie zu reden, während sie jeden Augenblick in die Luft fliegen können? Mein Gott, Hoskins!“

„Sie können gar nichts anderes tun. Wenn Sie warten, bis der Höhepunkt vorüber ist, bevor Sie Ihre Politik und Soziologie diskutieren, werden Ihnen die Leser einschlafen.“

„Sie irren sich, und ich kann es beweisen, Hoskins. Was nützt es, hin und her zu reden, wenn ich anhand eines vorbereiteten wissenschaftlichen Experiments beweisen kann, daß ich recht habe?“

„Was für ein wissenschaftliches Experiment?“ Hoskins wandte sich wieder zu seiner Sekretärin um. „Wie gefällt Ihnen das, Miß Kane? Er hält sich für eine von seinen eigenen Romanfiguren!“

„Zufällig kenne ich einen Wissenschaftler.“

„Wen?“

„Doktor Arndt Torgesson, Professor für Psychodynamik an der Columbia-Universität.“

„Nie von ihm gehört.“

„Das will was heißen“, sagte Marmie geringschätzig. „Sie haben nie von ihm gehört. Sie haben nie von Einstein gehört, bis Ihre Schriftsteller anfingen, ihn in ihren Geschichten zu erwähnen.“

„Sehr witzig. Was ist mit diesem Torgesson?“

„Er hat ein System ausgearbeitet, um mit wissenschaftlicher Methodik den Wert von etwas Geschriebenem zu bestimmen. Es ist eine ungeheure Sache. Es ist...“

„Ist es geheim?“

„Selbstverständlich ist es geheim. Er ist kein Romanprofessor. Wenn sich ein Romanprofessor eine Theorie ausdenkt, läuft er gleich damit zu den Zeitungen. In der Wirklichkeit sieht es anders aus. Ein Wissenschaftler verbringt manchmal Jahre mit Experimenten und Überlegungen, bevor er etwas in Druck gibt. Eine Veröffentlichung ist eine ernste Sache, von der der gute Ruf abhängt.“

„Wie kommt es dann, daß Sie davon wissen?“

„Doktor Torgesson ist zufällig ein Liebhaber meiner Geschichten. Er hält meine Erzählungen für die beste zeitgenössische Abenteuerliteratur.“

„Und er zeigt Ihnen seine Arbeit?“

„So st es. Ich rechnete damit, daß Sie bei dieser Geschichte hartnäckig bleiben würden, und bat ihn, ein Experiment für uns durchzuführen. Er erklärte sich einverstanden, vorausgesetzt, wir redeten nicht davon. Er sagte, es würde ein interessantes Experiment sein.“

„Was ist an seiner Methode so geheim?“

Marmie zögerte. „Nun ... angenommen, er hätte einen Affen, der Hamlet auf der Schreibmaschine auswendig schreiben kann.“

Hoskins sah ihn bestürzt an. „Was wollen Sie hier abziehen, eine Scherzveranstaltung?“ Er wandte sich zu Miß Kane. „Wenn ein Schriftsteller zehn Jahre lang Abenteuergeschichten schreibt, braucht er eine persönliche Gummizelle.“

Miß Kane tippte unbeeindruckt weiter.

Marmie sagte: „Sie haben richtig gehört: ein gewöhnlicher Affe, sieht sogar noch komischer aus als der durchschnittliche Herausgeber. Ich habe für heute nachmittag eine Verabredung getroffen. Kommen Sie mit mir, oder nicht?“

„Selbstverständlich nicht. Denken Sie, ich würde wegen Ihrer dummen Witze einen so hohen Manuskriptstapel liegenlassen?“ Er hielt die Hand waagerecht vor seinen Kehlkopf. „Meinen Sie, ich würde den Stichwortbringer für Sie spielen?“

„Wenn dies in irgendeiner Weise ein Scherz ist, Hoskins, lade ich Sie in ein Restaurant Ihrer Wahl zum Abendessen ein. Miß Kane ist Zeugin.“

Hoskins beugte sich vorwärts, dann ließ er sich in den Sessel zurückfallen und stieß schnaufend die Luft aus. „Sie wollen mich zum Essen einladen? Sie, Marmaduke Tallin, der bekannteste Mann in New York, weil er überall anschreiben läßt, Sie wollen einen Scheck zu Geld machen?“

Marmie verzog schmerzlich das Gesicht, nicht über die Erwähnung seiner mangelnden Kreditwürdigkeit, sondern weil der andere seinen Vornamen in der ganzen schrecklichen Dreisilbigkeit ausgesprochen hatte. Er sagte: „Ich wiederhole mein Angebot. Ein Abendessen auf meine Kosten, wo und was immer Sie wollen. Steaks, Pilze, Perlhuhnbrust, Alligatorenschwänze, alles.“

Hoskins stand auf und nahm seinen Hut vom Ablageschrank.

„Für eine Gelegenheit“, sagte er, „zu sehen, wie Sie eine großformatige Banknote aus dem hohlen Absatz Ihres linken Schuhes zaubern, wo Sie sie seit zwanzig Jahren vor dem Gerichtsvollzieher versteckt haben, würde ich bis Boston gehen ...“

Dr. Torgesson fühlte sich geehrt. Er schüttelte Hoskins’ Hand mit Herzlichkeit und sagte: „Ich lese Ihre Zeitschrift, seit ich in dieses Land gekommen bin, Mr. Hoskins, und in all den Jahren habe ich mich dabei nie gelangweilt. Besonders gut gefallen mir Mr. Tallins Geschichten.“

„Haben Sie das gehört?“ fragte Marmie.

„Ich habe es gehört“, erwiderte Hoskins und seufzte. „Professor, Marmie sagt, Sie hätten einen Affen mit Talent.“

„Ja“, sagte Torgesson, „aber das muß natürlich unter uns bleiben. Ich bin noch nicht soweit, daß ich etwas publizieren möchte, und ein vorzeitiges Bekanntwerden dieser Dinge könnte meinem wissenschaftlichen Ruf schaden.“

„Sie können sich auf meine Verschwiegenheit verlassen, Professor.“

„Gut, gut. Bitte setzen Sie sich, meine Herren.“ Er schritt vor ihnen auf und ab und rieb sich nachdenklich das Kinn. „Was haben Sie Mr. Hoskins über meine Arbeit gesagt, Marmie?“

„Keinerlei Einzelheiten, Professor.“

„Ich sehe. Nun, Mr. Hoskins, als Herausgeber einer Zeitung, die sich viel mit technologischen Fragen beschäftigt, brauche ich nicht zu fragen, ob Sie etwas von Kybernetik verstehen.“

Hoskins schoß einen Blick durchdringenden Intellekts durch die Brillengläser und sagte: „Ah, ja. Computer - MIT - Norbert Wiener ...“ Seine Stimme verlor sich in Gemurmel.

„Ja. Ja.“ Torgesson beschleunigte seinen Schritt. „Dann müssen Sie wissen, daß man nach kybernetischen Prinzipien schachspielende Computer konstruiert hat. Die Regeln und das Ziel des Schachspiels werden eingespeichert. Aus jeder gegebenen Konstellation auf dem Schachbrett kann die Maschine dann alle möglichen Züge zusammen mit ihren Konsequenzen durchrechnen und denjenigen wählen, der die höchste Wahrscheinlichkeit bietet, das Spiel zu gewinnen. Der Computer kann sogar programmiert werden, das Temperament seines Schachpartners in Betracht zu ziehen.“

„Ah, ja“, sagte Hoskins und strich sich über das Kinn. „Nun stellen Sie sich eine ähnliche Situation vor, in der ein Computer Teile einer literarischen Arbeit erhält, um sie aus seinem vollständigen Wortschatz zum Nutzen des literarischen Wertes zu ergänzen. Natürlich müßte ein solcher Computer wesentlich komplizierter angelegt sein als ein Schachspieler, und seine Speicherkapazität müßte ein Mehrfaches betragen.“

Hoskins regte sich unruhig. „Marmie erwähnte mir gegenüber einen Affen, Professor...“

„Darauf komme ich gleich zu sprechen“, sagte Torgesson. „Selbstverständlich kann im Grunde keine gebaute Maschine hinlänglich vielseitig sein. Aber das menschliche Gehirn ist eine andere Sache. Das menschliche Gehirn ist selbst ein Computer von höchster Leistung. Selbstverständlich könnte ich für meinen Zweck kein menschliches Gehirn verwenden; die Gesetze unseres Landes gestatten es nicht. Aber selbst das Gehirn eines Affen kann mehr leisten als jede von Menschen konstruierte Maschine. Warten Sie. Ich werde den kleinen Rollo holen.“

Er verließ den Raum. Hoskins wartete einen Augenblick, dann warf er Marmie einen vorsichtigen Blick zu. Er sagte mit halblauter Stimme: „Junge, Junge!“

„Was ist los?“ fragte Marmie.

„Was los ist? Der Mann ist nicht echt. Sagen Sie mir, Marmie, wo haben Sie diesen Schwindler aufgegabelt?“

Marmie war entrüstet. „Schwindler? Dies ist das Büro von Professor Torgesson in der Columbia-Universität. Ich hoffe, Sie haben die Gebäude erkannt. Sie müssen die Statue der Alma Mater in der 116. Straße gesehen haben. Ich zeigte Ihnen Eisenhowers Büro.“

„Gewiß, aber...“

„Ja, und dies ist Torgessons Büro! Sehen Sie sich den Staub an.“ Er blies auf ein Buch und wirbelte eine Wolke auf. „Der Staub allein zeigt schon, daß alles hier echt ist. Und sehen Sie sich den Titel des Buches an: ,Die Psychodynamik des menschlichen Verhaltens’, von Professor Doktor Arndt Rolf Torgesson.“

„Zugegeben, Marmie, zugegeben. Es gibt einen Tor-gesson, und dies ist sein Büro. Aber wie soll ich wissen, ob der echte Torgesson nicht in Ferien ist? Schließlich könnten Sie es fertiggebracht haben, seine Erlaubnis zur vorübergehenden Nutzung seines Büros zu erhalten. Aber wenn Sie kommen und mir sagen wollen, dieser komische Kerl mit seinen Affen und Computern sei der echte Torgesson, dann geht das zu weit! Warum führen Sie mich nicht gleich in ein Marionettentheater? Ha!“

„Bei Ihrer mißtrauischen Natur kann ich nur annehmen, daß Sie eine sehr traurige, elende Kindheit hatten und von allen zurückgewiesen wurden.“

„Mein gesundes Mißtrauen ist bloß das Ergebnis langer Erfahrung mit Schriftstellern, Marmie. Ich habe mir das Restaurant schon ausgesucht, und dieses Abendessen wird Sie ein hübsches Stück Geld kosten.“ Marmie schnaufte ärgerlich. „Es wird mich nicht mal den schäbigsten Pfennig kosten, den Sie mir je bezahlt haben. Still, er kommt zurück.“

Auf Torgessons Schulter saß ein melancholisch dreinschauender Kapuzineraffe. „Das ist der kleine Rollo“, sagte der Professor. „Sage guten Tag, Rollo.“

Der Affe zupfte an seinen Stirnhaaren.

Torgesson lächelte und sagte entschuldigend: „Er ist ein wenig müde, fürchte ich. Nun, ich habe hier ein Stück von seinem Manuskript.“

Er setzte den Affen nieder und ließ es zu, daß das Tier sich an seinem Finger festhielt, während er zwei Blätter Papier aus der Jackentasche zog und Hoskins reichte.

Hoskins las mit halblauter Stimme: „Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage: Ob’s edler im Gemüt, die Pfeil und Schleudern des wütenden Geschicks erdulden, oder sich waffnend gegen einen Schwarm von

Plagen, durch Widerstand sie enden? Sterben - schlafen - nichts weiter! - und zu wissen, daß ein Schlaf...“

Er blickte auf. „Der kleine Rollo hat dies getippt?“

„Nicht genau. Es ist eine Kopie des von ihm Geschriebenen.“

„So, eine Kopie. Nun, der kleine Rollo kennt seinen Shakespeare doch nicht so gut. Es heißt: ,sich waffnend gegen eine See von Plagen’.“

Torgesson nickte. „Sie haben ganz recht, Mr. Hoskins. Shakespeare schrieb tatsächlich ,See’. Aber sehen Sie, das ist eine vermischte Metapher. Gegen eine See kämpft man nicht mit Waffen. Mit Waffen kämpft man gegen eine Armee oder einen Schwarm. Rollo entschied sich für ein anderes einsilbiges Wort und tippte ,Schwarm’. Diese etwas verunglückte Metapher ist einer von Shakespeares seltenen Fehlern.“

Hoskins sagte: „Ich möchte ihn gern schreiben sehen.“

„Selbstverständlich.“ Torgesson schob einen kleinen fahrbaren Tisch mit einer Schreibmaschine heran. Ein Kabel hing daran, und er erklärte: „Es ist notwendig, eine elektrische Schreibmaschine zu verwenden, weil die körperliche Anstrengung andernfalls zu groß wäre. Außerdem ist es notwendig, Rollo an seinen Umformer anzuschließen.“

Er tat dies mittels zweier Elektroden, die aus dem Fell auf dem Schädel des kleinen Tieres ragten.

„Rollo“, sagte er, „wurde einer sehr delikaten Gehirnoperation unterzogen, wobei feine Drahtsonden in verschiedene Regionen seines Gehirns eingeführt wurden und sie mit unserem elektronischen Impulsgeber verbanden. Wir können sein Willenszentrum praktisch ausschalten und sein Gehirn einfach als Computer gebrauchen. Ich fürchte, die Einzelheiten würden hier...“

„Ich würde ihn gern tippen sehen“, sagte Hoskins.

„Haben Sie an einen bestimmten Text gedacht?“

Hoskins dachte nach. „Kennt er Chestertons ,Lepanto’?“

„Er kennt nichts auswendig. Sein Schreiben ist reine Kalkulation. Sie brauchen nur ein kleines Stück des Textes laut zu sprechen, damit er die Stimmung des Stückes einschätzen und die Bedeutung der ersten Worte berechnen kann.“

Hoskins nickte, holte Atem und donnerte: „Weiße Fontänen fallen in den Höfen der Sonne, und der Sultan von Byzantium lächelt, da sie dahinstürmen. Ein Lachen wie von springenden Wassern blitzt im gefürchteten Antlitz; es rührt die Waldesdunkelheit des Bartes; es kräuselt den roten Halbmond seiner Lippen: Die See im Mittelpunkt der Welt erbebt von seinen Schiffen...“

„Das ist genug“, sagte Torgesson.

Sie warteten schweigend. Der Affe betrachtete ernst die Schreibmaschine.

„Der Prozeß nimmt natürlich einige Zeit in Anspruch“, erklärte Torgesson halblaut. „Rollo muß den romantischen Stil der Schilderung berücksichtigen, das etwas altertümliche Aroma, und so weiter.“

Und dann schob sich ein kleiner, schwarzer Finger zur Tastatur und berührte eine Taste. Es war ein s.

„Er schreibt keine Großbuchstaben“, sagte der Professor. „Seine Interpunktion ist ganz willkürlich, wenn er nicht überhaupt darauf verzichtet, und des öfteren schreibt er Wörter zusammen. Darum schreibe ich seine Arbeit gewöhnlich noch einmal ab, wenn er fertig ist.“

Der kleine Rollo tippte ein i, dann ein e. Dann, nach einer längeren Pause, drückte er die Leertaste.

„Sie“, sagte Hoskins.

Nach und nach entstand ein Text: sie trotzten der-weißen republik über den küsten italiens sie schlugen dasadriatische rund - den löwen der see: und der papstrang im kummer die hände untröstlich beklagend den verlust, undrief die könige der christen heit daß sie dem treiben einhalt geböten und sich scharten um das kreuz.

„Mein Gott!“ sagte Hoskins.

„Dann geht Chestertons Text ungefähr in dieser Form weiter?“ fragte Torgesson.

„Allmächtiger!“ rief Hoskins.

„Wenn Übereinstimmung da ist, muß Chesterton gute, konsequente Arbeit geleistet haben.“

„Heiliger Strohsack!“ sagte Hoskins.

„Sehen Sie?“ sagte Marmie, die Hand auf Hoskins’ Schulter. „Sehen Sie?“

„Verdammt will ich sein!“ sagte Hoskins.

„Genug davon“, sagte Marmie, der sich während der Niederschrift mit nervösen Fingern durchs Haar gefahren war, daß es wie der Kamm eines Kakadus aufrecht stand. „Kommen wir zur Sache. Befassen wir uns mit meiner Geschichte.“

„Gut, aber...“

„Es geht durchaus nicht über Rollos Fähigkeiten hinaus“, versicherte Torgesson. „Ich lese Rollo häufig Texte aus verschiedenen Erzählungen vor. Es ist erstaunlich, welche Verbesserungen sich auf diese Weise erreichen lassen.“

„Das ist es nicht“, meinte Hoskins. „Jeder Affe kann bessere Geschichten schreiben als einige der Groschenheftautoren, mit denen wir zu tun haben. Aber Marmies Erzählung ist dreizehntausend Worte lang. Der Affe würde eine Ewigkeit brauchen, sie zu tippen.“

„Keineswegs, Mr. Hoskins, keineswegs. Ich werde ihm die Geschichte vorlesen, und an der entscheidenden Stelle lassen wir ihn fortfahren.“

Hoskins verschränkte die Arme. „Dann fangen Sie an. Ich bin bereit.“

„Und ich bin mehr als bereit“, sagte Marmie. Auch er verschränkte die Arme und nickte herausfordernd zu Hoskins hinüber.

Der kleine Rollo kauerte vor der Schreibmaschine, ein pelziges kleines Bündel kataleptischen Elends, während Torgessons weiche Stimme ruhig und mit sorgfältiger Betonung die Schilderung des Kampfes und die anschließenden Bemühungen der Helden vorlas, ihr steuerlos treibendes Schiff wieder in ihre Gewalt zu bringen. Einer der Helden arbeitete sich auf das verwüstete, schräg liegende Deck hinaus, und Torgesson las: „... Stalny blieb stehen und starrte empor in die Stille der ewigen Sterne. Doch der pochende Schmerz in seinem Knie ließ sich nicht lange aus dem Bewußtsein verdrängen, und er ...“

Marmie zupfte an Torgessons Ärmel, und der Professor blickte auf, nickte und zog die Kontaktstecker von den Elektroden auf dem Kopf des kleinen Affen.

„Das war’s“, sagte Marmie. „Ungefähr an dieser Stelle bringt Hoskins seine klebrigen Finger ins Spiel. Bei mir läuft die Szene auf dem Schiffsdeck weiter, bis Stalny die an Bord gegangenen Gegner erledigt hat. Dann kommen die Erklärungen und Reflexionen. Hoskins möchte, daß ich diese Szene unterbreche, ins Schiffsinnere zurückkehre, den Fortgang der Aktion für die Dauer von zweitausend Worten aufhalte und erst dann wieder hinausgehe. Haben Sie jemals solchen Mist gehört?“

„Ich schlage vor, wir lassen den Affen entscheiden“, sagte Hoskins.

Torgesson schaltete den kleinen Rollo ein, und ein runzliger schwarzer Finger streckte sich zögernd zur Tastatur aus. Hoskins und Marmie beugten sich gleichzeitig vorwärts, bis ihre Köpfe über Rollos zusammengekauertem Körper fast zusammenstießen. Die Maschine tippte den Buchstaben z, dann ein o und ein g, worauf sie in rascherem Tempo fortfuhr: „zog sich überverbogene stahlplatten und scharf kantig zerfetztes metall vorwärts, eindröhnendes schlagen beim vorderen not ausstieg ließ ihn erschrocken zusammenfahren als er sich gefaßt hatte ...“

„Wort für Wort“, sagte Marmie hingerissen.

„Jedenfalls hat er Ihren Allerweltsstil gut getroffen“, sagte Hoskins. „Dabei muß man zugeben, daß Sie hier , weniger schwülstig sind als sonst.“

„Die Leser mögen es so.“

„Sie würden es nicht mögen, wenn ihre geistige Entwicklung nicht auf der Stufe von...“ Hoskins brach ab.

„Reden Sie nur weiter“, sagte Marmie, „sagen Sie es ruhig. Sagen Sie, daß die geistige Entwicklung des Lesers auf der Stufe von Zwölfjährigen stehengeblieben ist, und ich werde Sie in allen Fan-Zeitungen des Landes zitieren.“

„Aber meine Herren“, sagte Torgesson. „Sie stören den kleinen Rollo.“

Sie wandten ihre Aufmerksamkeit wieder der Schreibmaschine zu, die immer noch stockend vor sich hin klapperte: - die sterne kreisten überihm im samtenen schwarz als stalny sich taumelnd um seineachse drehte und zu boden stürzte mitgerissen vom schwer fällig rollenden schiffsrumpf...“

Der Wagen der Schreibmaschine fuhr zurück, um eine neue Zeile zu beginnen. Marmie hielt den Atem an. Wenn überhaupt, würde hier -

Und der runzlig kleine Finger bewegte sich über die Tastatur und machte: *

Hoskins schrie: „Sternchen!“

„Sternchen“, stieß Marmie durch die Zähne hervor. „Sternchen?“ sagte Torgesson.

Neun weitere Sternchen folgten in der Zeile.

„Das genügt mir, mein Freund“, sagte Hoskins und wandte sich dem verdutzten Torgesson zu. „Marmie hat die Gewohnheit, eine Reihe von Sternen zu machen, wenn er einen radikalen Szenenwechsel vornimmt. Und ein radikaler Szenenwechsel ist genau, was ich wollte.“

Die Schreibmaschine begann einen neuen Absatz: im schiffsinnern -

„Schalten Sie ihn aus, Professor“, sagte Marmie.

Hoskins rieb sich die Hände. „Wann kriege ich die revidierte Fassung, Marmie?“

„Welche revidierte Fassung?“ fragte Marmie kühl.

„Sie sagten, die Version des Affen ...“

„Richtig. Darum brachte ich Sie hierher. Damit Sie sehen, daß der kleine Rollo eine Maschine ist; eine kalte, brutale, logische Maschine.“

„Und?“

„Und die Sache ist die, daß ein guter Schriftsteller keine Maschine ist. Er schreibt nicht mit dem Verstand, sondern mit dem Herzen. Seinem Herzen!“ Marmie schlug sich mit der Faust an die Brust.

Hoskins ächzte. „Was tun Sie mir an, Marmie? Wenn Sie wieder vom Herzen und der Seele des Schriftstellers anfangen, dann bleibt mir nichts übrig, als mich hier und jetzt zu übergeben. Bleiben wir lieber beim Verstand und bei der gewohnten Für-Geld-schreibe-ich-alles-Basis.“

Marmie sagte: „Hören Sie mich eine Minute an, Hoskins. Der kleine Rollo korrigierte Shakespeare. Sie selbst haben darauf hingewiesen. Rollo wollte Shakespeare ,Schwarm von Plagen’ sagen lassen, und von seinem Maschinenstandpunkt aus gesehen hatte er recht. Eine ,See von Plagen’ ist unter den Umständen keine glückliche Metapher. Aber meinen Sie nicht, daß Shakespeare sich darüber im klaren war? Shakespeare wußte eben, wann er Regeln durchbrechen mußte, das ist alles. Rollo ist eine Maschine, die keine Regeln durchbrechen kann, aber ein guter Schriftsteller kann es, und manchmal muß er es. ,See von Plagen’ ist eindrucksvoller; es hat Schwung und Kraft. Zum Teufel mit der vermischten Metapher.

Wenn Sie jetzt kommen und mir sagen, ich solle die Szene unterbrechen, dann folgen Sie mechanischen Regeln zur Aufrechterhaltung der Spannung, und es ist selbstverständlich, daß Rollo darin mit Ihnen übereinstimmt. Aber ich weiß, daß ich die Regel durchbrechen muß, um die tiefe emotionale Wirkung des Schlusses zu erreichen, wie ich ihn sehe. Andernfalls bekämen wir ein mechanisches Produkt, das ein Computer auswerfen kann.“

Hoskins sagte: „Aber...“

„Nur zu“, sagte Marmie, „stimmen Sie für die mechanische Lösung. Sagen Sie, daß der kleine Rollo der ideale Herausgeber ist.“

„In Ordnung, Marmie, ich werde die Geschichte nehmen, wie sie ist“, sagte Hoskins mit einem leichten Beben in der Stimme. „Nein, geben Sie sie mir nicht mit; schicken Sie sie mit der Post. Ich muß jetzt einen trinken gehen, wenn Sie nichts dagegen haben.“

Er drückte sich den Hut in die Stirn und wandte sich zum Gehen. Torgesson rief ihm nach: „Erzählen Sie niemandem vom kleinen Rollo, bitte.“

„Halten Sie mich für verrückt?“ Das Zuschlagen der Tür bekräftigte die Antwort.

Marmie rieb sich ekstatisch die Hände, als Hoskins draußen war. „Köpfchen, das war es“, sagte er und bohrte den Zeigefinger so tief in seine Schläfe, wie es ging. „Dieser Verkauf hat mir Spaß gemacht. Dieser Verkauf, Professor, ist mir mehr wert als alle anderen zusammengenommen.“ Er ließ sich froh und zufrieden auf den nächstbesten Stuhl fallen.

Torgesson nahm den kleinen Affen behutsam mit einer Hand und hob ihn auf die Schulter. „Aber was hätten Sie getan, Marmaduke“, sagte er sanft, „wenn Rollo Ihre Version getippt hätte?“

Ein bekümmerter Ausdruck überschattete für kurze Zeit Marmies Gesicht. „Ja, verdammt noch mal“, sagte er, „genau das hatte ich erwartet!“



Der Schriftsteller und der Herausgeber in dieser Geschichte waren übrigens einem echten Paar nachempfunden, das über eine wirkliche Geschichte stritt. Dabei ging es um die Erzählung C-CHUTE, die im Oktober 1951 in der Zeitschrift „Galaxy“ erschien und später in meinen Sammelband NIGHTFALL AND OTHER STORIES aufgenommen wurde. Ich war natürlich der Schriftsteller, und Horace Gold war der Herausgeber. Obwohl der Streit und die Geschichte authentisch sind, habe ich die handelnden Personen karikiert. Ich bin überhaupt nicht wie der Schriftsteller in der Geschichte, und Horace ist ganz gewiß nicht wie der Herausgeber. Horace hat seine eigenen Besonderheiten, die bei weitem interessanter sind als jene, die ich mir für die Erzählung ausgedacht habe, und Ähnliches läßt sich von mir sagen - aber das tut hier nichts zur Sache.

Von all meinen Geschichten, die einmal und dann nie wieder erschienen sind, ist diese nächste diejenige, über die ich am meisten spreche. Ich habe sie in Dutzenden von Gesprächen erwähnt und gelegentlich sogar darüber geschrieben, und das aus einem sehr guten Grund.

Im April 1953 war ich in Chikago. Ich reise nicht viel, und dies war mein erster Besuch in Chikago (seitdem bin ich nur einmal wieder dort gewesen). Ich nahm an einer Tagung der Amerikanischen Chemikergesellschaft teil, bei der ich einen kleinen Vortrag halten sollte. Das war nicht sehr lustig, und so beschloß ich, mir ein wenig Abwechslung zu verschaffen und besuchte die Geschäftsräume der Zeitschrift „Universe Science Fiction“ im nördlichen Vorort Evanston.

Die Zeitschrift wurde damals von Bea Mahaffey herausgegeben, einer außerordentlich gutaussehenden jungen Frau. Sie begrüßte mich mit großer Freude und fragte sofort, warum ich ihr nicht eine Geschichte zur Veröffentlichung mitgebracht habe.

„Sie wollen eine Geschichte?“ sagte ich, mich in ihrer Schönheit sonnend. „Ich werde Ihnen eine schreiben. Bringen Sie mir eine Schreibmaschine.“

Tatsächlich wollte ich sie bloß beeindrucken und hoffte, daß sie sich in einem Anfall unbändiger Verehrung mir in die Arme werfen würde. Aber sie tat es nicht. Sie brachte mir eine Schreibmaschine.

Ich mußte zu meinem Wort stehen. Da die Ersteigung des Mount Everest in jenen Tagen viel abgehandelt wurde (seit dreißig Jahren waren Besteigungsversuche unternommen worden, und der siebte Versuch war gerade gescheitert), überlegte ich rasch und schrieb EVEREST.

Bea Mahaffey las die kleine Geschichte, fand Gefallen daran und bot mir dreißig Dollar, die ich mit Freuden annahm. Prompt gab ich die Hälfte davon für ein feines Abendessen mit ihr aus und bemühte mich mit solchem Erfolg, charmant, rücksichtsvoll und liebenswürdig zu sein, daß die Bedienung mir anvertraute, so wie mich wünschte sie sich ihren Schwiegersohn.

Das berechtigte zu den schönsten Hoffnungen, und mit leichtem Herzen brachte ich Bea nach Haus. Ich bin nicht sicher, was ich vorhatte, aber wenn ich wirklich an etwas dachte, was nicht absolut schicklich war (sicherlich nicht!), wurde es vereitelt. Bea brachte es fertig, in die Wohnung zu schlüpfen und mich auf dem Korridor stehen zu lassen, ohne daß ich die Tür aufgehen sah.

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