1. Am Strand von Tarna

Schon bevor das Boot durch das Riff kam, sah Mirissa, daß Brant wütend war. Die gespannte Haltung, in der er am Steuer stand — allein die Tatsache, daß er das letzte Stück der Durchfahrt nicht Kumars fähigen Händen überlassen hatte — zeigte, daß ihn etwas aus der Fassung gebracht hatte.

Sie trat aus dem Schatten der Palmen und ging langsam zum Strand hinunter, der nasse Sand klebte an ihren Füßen. Als sie das Wasser erreichte, war Kumar schon dabei, das Segel einzurollen. Ihr kleiner Bruder — jetzt war er fast schon so groß wie sie und bestand nur aus Muskeln — winkte ihr fröhlich zu. Wie oft hatte sie sich gewünscht, daß auch Brant Kumars gelassene Gutmütigkeit hätte, die offenbar keine Krise jemals stören konnte…

Brant wartete nicht ab, bis das Boot auf den Sand auflief, sondern sprang schon ins Wasser, als es ihm noch bis zur Taille reichte, und kam zornig spritzend auf sie zugewatet. Er hatte ein verbogenes Metallstück mit zerrissenen Drähten in der Hand und hielt es hoch, damit sie es sich ansehen konnte.

„Schau nur!“ schrie er. „Jetzt haben sie es schon wieder gemacht.“

Mit der freien Hand deutete er zum nördlichen Horizont hinüber. „Diesmal lasse ich es ihnen nicht mehr durchgehen! Und die Bürgermeisterin kann, verdammt noch mal, sagen, was sie will!“

Mirissa trat beiseite, als der kleine Katamaran sich langsam, wie ein urzeitliches Seeungetüm bei seinem ersten Ansturm aufs feste Land, auf seinen rotierenden Außenbordrollen den Strand hinaufschob. Sobald es über der Hochwasserlinie war, schaltete Kumar den Motor ab, sprang heraus und trat neben seinen noch immer vor Wut kochenden Kapitän.

„Ich sage es Brant immer wieder“, meinte er, „es muß ein Unfall gewesen sein — vielleicht ein nachschleifender Anker. Warum sollten die Nordleute so etwas schließlich absichtlich machen?“

„Das kann ich dir schon sagen“, gab Brant zurück. „Weil sie zu faul sind, um sich die Technik selbst zu erarbeiten. Weil sie Angst haben, daß wir zuviele Fische fangen. Weil…“ Er sah, wie der andere grinste und schleuderte das Durcheinander aus zerrissenen Drähten nach ihm. Kumar fing es mühelos auf.

„Wie auch immer — selbst wenn es ein Unfall ist, sie sollten hier gar nicht ankern. Das Gebiet ist auf der Karte deutlich markiert: ZUTRITT VERBOTEN — FORSCHUNGSPROJEKT. Also werde ich trotzdem Protest einlegen.“

Brant hatte seine gute Laune schon wiedergefunden; selbst seine heftigsten Wutanfälle dauerten selten länger als ein paar Minuten. Um ihn in Stimmung zu halten, strich Mirissa ihm mit den Fingern über den Rücken und redete mit ihrer sanftesten Stimme auf ihn ein.

„Habt ihr einen guten Fang gehabt?“

„Natürlich nicht“, antwortete Kumar. „Er ist ja nur hinter statistischen Daten her — Kilogramm pro Kilowatt — solchen Unsinn. Ein Glück, daß ich meine Angelrute mitgenommen habe. Zum Abendessen gibt es Thunfisch.“

Er griff ins Boot und zog einen fast einen Meter langen, stromlinienförmigen Fisch heraus, voll Kraft und Schönheit, seine Farben verblaßten schnell, und seine blicklosen Augen zeigten schon die glasige Starre des Todes.

„So einen fängt man nicht oft“, sagte er stolz. Sie waren noch dabei, sein Paradestück zu bewundern, als die Geschichte nach Thalassa zurückkehrte und die einfache, sorglose Welt, die sie ihr ganzes, junges Leben lang gekannt hatten, unvermittelt zu Ende ging.

Das Zeichen ihres Vergehens war in den Himmel geschrieben, als hätte eine Riesenhand ein Stück Kreide über die blaue Ätherkuppel gezogen. Noch während sie hinsahen, franste der leuchtende Kondensstreifen schon an den Rändern aus und zerfiel in Wolkenfetzen, bis es aussah, als sei von Horizont zu Horizont eine Brücke aus Schnee geschlagen worden.

Und dann rollte ferner Donner vom Rand des Weltraums herab. Es war ein Laut, wie ihn Thalassa seit siebenhundert Jahren nicht mehr vernommen hatte, den aber jedes Kind sofort erkennen würde.

Trotz der Wärme des Abends fröstelte Mirissa, und ihre Hand tastete nach der von Brant. Obwohl seine Finger sich um die ihren schlossen, schien er es kaum wahrzunehmen; er starrte noch immer in den gespaltenen Himmel.

Selbst Kumar war beeindruckt, aber er ergriff als erster das Wort: „Eine von den Kolonien muß uns gefunden haben.“

Brant schüttelte langsam, aber nicht sehr überzeugt den Kopf. „Warum sollen sie sich die Mühe machen? Sie müssen die alten Landkarten haben — sie wissen sicher, daß Thalassa fast nur aus Ozean besteht. Es wäre sinnlos, hierherzukommen.“

„Wissenschaftliche Neugier?“ schlug Mirissa vor. „Um zu sehen, was aus uns geworden ist? Ich habe schon immer gesagt, wir sollten die Kommunikationsverbindung reparieren…“

Das war ein alter Streit, der alle paar Jahrzehnte neu entbrannte. Eines Tages, darüber waren sich die meisten Leute einig, sollte Thalassa die große Schüssel auf der Ostinsel wirklich wieder aufbauen, die vor vierhundert Jahren, beim Ausbruch des Mount Krakan, zerstört worden war. Aber inzwischen gab es soviel, was wichtiger — oder einfach amüsanter — war.

„Ein Sternenschiff zu bauen ist ein gewaltiges Projekt“, sagte Brant nachdenklich. „Ich glaube nicht, daß eine Kolonie das tun würde — wenn sie nicht müßte. Wie die Erde…“

Seine Stimme verklang. Auch nach so vielen Jahren war es noch schwer, diesen Namen auszusprechen.

Wie ein Mann wandten sie sich nach Osten, wo die Äquatornacht schnell über das Meer hereinkam.

Ein paar der helleren Sterne waren schon aufgegangen, und gerade jetzt stieg die unverwechselbare, kompakte, kleine Gruppe des Dreiecks über den Palmen herauf. Seine drei Sterne waren fast gleich groß — aber einmal hatte ein paar Wochen lang ein weit hellerer Eindringling nahe der Südspitze der Konstellation aufgeleuchtet.

Seine jetzt zusammengeschrumpfte Schale war mit einem mäßig starken Teleskop immer noch zu sehen. Aber den ihn umkreisenden Schlackebrocken, der einst der Planet Erde gewesen war, konnte kein Instrument sichtbar machen.

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