»Hey, Donna, hör mal«, sagte er. »Magst du Katzen?«
Sie blinzelte mit geröteten Augen. »Klamme kleine Dinger. Schleichen ungefähr ‘nen Meter über dem Boden daher.«
»Über, nein, auf dem Boden.«
»Klamm. Hinter den Möbeln.«
»Dann eben kleine Frühlingsblumen«, sagte er.
»Ja«, sagte sie. »Das gefällt mir – kleine Frühlingsblumen, mit Gelb drin. Die, die zuerst rauskommen.«
»Vorher«, sagte er. »Früher als alle anderen«
»Ja.« Sie nickte, die Augen geschlossen, sehr weit weg auf ihrem Trip. »Bevor alle auf ihnen rumtrampeln und sie – weg sind.«
»Du kennst mich wirklich«, sagte er. »Du kannst meine Gedanken lesen. «
Sie lehnte sich zurück und legte die Hasch-Pfeife beiseite. Sie war ausgegangen. »Nichts mehr da«, sagte sie, und ihr Lächeln verschwand langsam.
»Was ist los mit dir?« sagte er.
»Nichts.« Sie schüttelte den Kopf, und das war alles.
»Darf ich meine Arme um dich legen?« fragte er. »Ich möchte dich festhalten. Okay? Dich nur ein bißchen in den Arm nehmen, ja?«
Ihre dunklen, müden Augen mit den geweiteten Pupillen öffneten sich. »Nein«, sagte sie, ohne ihn direkt anzublicken. »Nein, du bist zu häßlich.«
»Was?« sagte er.
»Nein«, sagte sie, diesmal mit einer gewissen Schärfe. »Ich schniefe ‘ne Menge Koks; ich muß supervorsichtig sein, weil ich ‘ne Menge Koks schniefe.«
»Häßlich?« wiederholte er wie ein Echo. Er war wütend auf sie. »Du verfickte –«
»Geh mir bloß nicht an die Wäsche«, sagte sie und starrte ihn an.
»Klar«, sagte er. »Natürlich nicht.« Er kam auf die Füße und wich vor ihr zurück. »O ja, darauf kannst du Gift nehmen!« Er spürte das unwiderstehliche Bedürfnis, zu seinem Wagen hinauszugehen, die Pistole aus dem Handschuhfach zu holen und ihr das Gesicht wegzuschießen – ihren Schädel und ihre Augen in kleine Stückchen zerplatzen zu lassen. Und dann verging das alles wieder – dieser Hasch-Haß, diese Hasch-Wut. »Ach Scheiße«, sagte er niedergeschlagen.
»Ich hab’s nicht gern, wenn irgendwelche Leute meinen Körper betatschen«, sagte Donna. »Ich muß aufpassen, weil ich so viel kokse. Eines Tages – jedenfalls hab’ ich das vor – werde ich über die kanadische Grenze gehen, mit vier Pfund Koks drin, in meiner Möse, meine ich. Ich werde sagen, ich sei katholisch und Jungfrau. Wo willst du hin?« Sichtlich alarmiert erhob sie sich halb.
»Ich hau ab«, sagte er.
»Dein Wagen steht bei dir zu Hause. Ich hab’ dich hergefahren.« Das Mädchen kämpfte sich hoch, zerzaust und durcheinander und halb schlafend, stolperte hinüber zum Schrank, um ihre Lederjacke herauszuholen. »Ich fahre dich heim. Aber verstehst du wenigstens, warum ich meine Möse schützen muß? Vier Pfund Coke bringen in Kanada –«
»Ach, laß doch den Scheiß«, sagte er. »Du bist zu stoned, um zehn Meter weit zu fahren, und du läßt ja nie jemand anders an diesen blöden kleinen Rollschuh ran.«
Sie baute sich vor ihm auf und schrie ihn an: »Weil außer mir keiner meinen Wagen fahren kann, darum! Kein anderer kriegt das jemals richtig hin, erst recht kein Mann! Weder das Fahren noch sonstwas! Deine Pfoten waren schon wieder unten in meiner –«
Und dann war er irgendwo draußen in der Dunkelheit, irrte ziellos umher, ohne Mantel, in einem Teil der Stadt, den er nicht kannte. Er ganz allein. Beschissen allein, dachte er, und dann hörte er Donna, die hinter ihm hereilte, Donna, die versuchte, ihn einzuholen. Ihr Atem ging keuchend, weil sie in letzter Zeit so viel Pot und Hasch geraucht hatte und ihre Lungen von dem ganzen Harz halb verschlammt waren. Er hielt an, stand da, ohne sich umzudrehen, wartete. Er fühlte sich echt down.
Als sie nur noch wenige Schritte von ihm entfernt war, wurde Donna langsamer und keuchte: »Mir tut’s schrecklich leid, daß ich dir weh getan hab’. Mit dem, was ich gesagt hab’, meine ich. Ich war gar nicht so richtig da.«
»Yeah«, sagte er. »Zu häßlich!«
»Wenn ich den ganzen Tag gearbeitet habe und super-super-müde bin, dann haut mich manchmal schon die erste Pfeife um. Wülste nich’ wieder reinkommen? Oder sollen wir was anderes machen? Wülste ins Drive-in? Und was ist mit dem Southern Comfort? Ich kann keinen kaufen … sie verkaufen ihn mir nicht«, sagte sie und unterbrach sich einen Moment lang. »Bin schließlich noch minderjährig, stimmt’s?«
»Okay«, sagte er. Zusammen gingen sie zurück.
»Das Hasch ist doch wohl echt Klasse, was?« sagte Donna.
Bob Arctor sagte: »Das Hasch ist schwarz und klebrig, was bedeutet, daß es mit Opium-Alkaloiden gesättigt ist. Was du rauchst, ist Opium und kein Hasch – weißt du das eigentlich? Darum ist es auch so teuer – weißt du das eigentlich?« Er hörte, wie seine Stimme immer lauter wurde; er blieb stehen. »Du rauchst kein Hasch, Herzchen. Du rauchst Opium, und das bedeutet lebenslängliche Sucht. Und dafür bezahlst du … wie teuer ist dieses Hasch eigentlich im Augenblick pro Pfund? Und du wirst das Zeug rauchen und wegnicken, wegnicken und nicht mal mehr in der Lage sein, deinen Wagen anzuwerfen und dich an Lieferwagen dranzuhängen, und du wirst es jeden Tag brauchen, bevor du zur Arbeit gehst –«
»Ich brauch’ das heute schon«, sagte Donna. »Ich meine, ich muß mir jedesmal erst ‘n Pfeifchen reinziehen, bevor ich zur Arbeit gehe. Und auch mittags und sobald ich nach Hause komme. Darum deale ich ja – um mir mein Hasch kaufen zu können. Hasch ist fab. Hasch bringt’s.«
»Opium«, wiederholte er. »Wieviel kostet Hasch jetzt?«
»Ungefähr zehntausend Dollar pro Pfund«, sagte Donna. »Die gute Sorte.«
»Heiliger Himmel! So viel wie Smack!«
»Ich würd’ nie ‘ne Fixe nehmen. Ich hab’s nie getan und werd’s auch nie tun. Man hält ungefähr noch sechs Monate lang durch, wenn man zu schießen anfängt, ganz egal, was man nun schießt. Sogar Leitungswasser. Man wird süchtig –«
»Du bist süchtig.«
Donna sagte: »Das sind wir doch alle. Du nimmst Substanz T. Also? Wo ist denn da der Unterschied? Ich steh’ eben drauf, mir jeden Abend, wenn ich nach Hause komme, ‘ne Ladung klasse Hasch reinzuziehen … das ist mein Trip. Versuch nicht, mich zu ändern. Versuch niemals, mich zu ändern. Mich oder meine Moralvorstellungen. Ich bin, was ich bin. Und ich fahre nun mal auf Hasch ab. Es ist mein Leben.«
»Schon mal Bilder von einem dieser alten Opiumraucher gesehen, wie es sie früher in China gab? Oder von einem Hasch-Raucher heutzutage in Indien? Weißt du, wie die hinterher mal aussehen, wenn sie älter werden?«
Donna sagte: »Ich rechne gar nicht damit, lange zu leben. Also? Ich will gar nicht lange hier rumhängen. Du etwa? Warum? Was ist denn so toll an dieser Welt? Hast du eigentlich mal gesehen – Scheiße, denk doch bloß mal an Jerry Fabin; schau dir jemanden an, der sich zu viel Substanz T in den Kopf geknallt hat. Gibt dir diese Welt wirklich was, Bob? Sie ist doch nur eine Zwischenstation auf dem Weg in die nächste, wo sie uns dafür bestrafen, daß wir von Natur aus bös sind –«
»Du bist ja tatsächlich eine Katholikin.«
»Wir werden sowieso bestraft. Wenn du also dann und wann mal auf ‘n Trip gehen kannst, dann tu’s, zum Teufel noch mal. Neulich war ich fast verunglückt, als ich mit meinem MG zur Arbeit gefahren bin. Ich hatte das Acht-Kanal-Stereo voll auf und rauchte gerade meine Hasch-Pfeife, und da hab’ ich diesen alten Macker in seinem 84er Ford Imperator nicht gesehen –«
»Du bist ja total behämmert«, sagte er. »Super behämmert.«
»Weißt du, ich werde früh sterben. Auf jeden Fall. Egal, was ich tue. Vielleicht auf dem Freeway. Hast du eigentlich schon bemerkt, daß die Bremsen an meinem MG völlig durch sind? Und ich hab’ mir dieses Jahr schon vier Strafzettel wegen überhöhter Geschwindigkeit eingehandelt. Jetzt muß ich wieder zum Verkehrsunterricht gehen. Mann, das fuckt einen ab. Sechs ganze Monate lang.«
»Eines Tages«, sagte er, »werde ich dich also urplötzlich nie mehr sehen. Richtig? Nie wieder.«
»Wegen des Verkehrsunterrichts? Nein, nach den sechs Monaten –«
»Weil du auf dem Friedhof liegst«, erläuterte er. »Ausradiert, bevor du nach kalifornischem Recht alt genug bist, um dir eine Dose Bier oder eine Flasche Schnaps zu kaufen. «
»Yeah!« rief Donna lebhaft aus. »Der Southern Comfort! Also los! Soll’n wir uns jetzt ‘ne Pulle Southern Comfort reinziehen und uns dann die Affen-Streifen reintun? Soll’n wir? Es sind immer noch acht übrig, darunter auch der –«
»Hör mir doch mal zu«, sagte Bob Arctor und legte seine Hand auf ihre Schulter; instinktiv entzog sie sich ihm.
»Nein«, sagte sie.
Er sagte: »Weißt du, was sie dich ein einziges Mal machen lassen sollten? Vielleicht nur ein einziges Mal? Sie sollten dir erlauben, in einen Laden zu gehen und dir ganz legal eine Dose Bier zu kaufen.«
»Warum?« sagte sie verblüfft.
»Als Geschenk für dich, weil du gut bist«, sagte er.
»Einmal haben sie Alkohol an mich ausgeschenkt!« rief Donna voller Begeisterung aus. »In einer Bar! Die Cocktail-Kellnerin – ich hatte mich richtig in Schale geworfen und war mit ‘nen paar anderen Leuten da – hat mich gefragt, was ich denn wünsche, und ich hab’ gesagt: ‘Ich hätte gerne einen Wodka Collins’, und sie hat mich tatsächlich bedient! Das war übrigens im La Paz, ‘n echt dufter Laden. Wow, kannst du dir das vorstellen? Ich hab’ das mal in ‘ner Werbung gesehen und mir gemerkt, den Wodka Collins, meine ich. Damit ich, wenn man mich irgendwann mal in ‘ner Bar fragen würde, auch ganz cool klingen würde. Irre, was?« Plötzlich hakte sie sich bei ihm ein und drückte sich an ihn, während sie die Straße entlangschlenderten, etwas, was sie sonst fast nie tat. »Das war der allertollste Supertrip meines Lebens.«
»Ich glaube«, sagte er, »dann hast du dein Geschenk wohl schon bekommen. Das eine, wunderbare Geschenk.«
»Ich find’ das toll«, sagte Donna. »Ich find’ das echt toll! Natürlich haben sie mir hinterher erzählt – die Leute, mit denen ich zusammen da war, meine ich –, daß ich mir einen mexikanischen Drink hätte bestellen müssen, zum Beispiel einen Tequila Sunrise, weil das eben so eine Art mexikanische Bar ist, die im La Paz-Restaurant. Beim nächsten Mal werde ich das natürlich wissen; ich hab’s oben in meinem Gedächtnisspeicher aufgezeichnet, für den Fall, daß ich da mal wieder hingehe. Weißt du, was ich eines Tages tun werde, Bob? Ich werde nach Norden ziehen, nach Oregon, und im Schnee leben. Ich werde jeden Morgen den Schnee vor dem Eingang wegschaufeln. Und ein kleines Haus haben und einen Gemüsegarten.«
Er sagte: »Dafür mußt du sparen. Dein ganzes Geld sparen. So was ist teuer.«
Donna streifte ihn mit einem seltsam verlegenen Blick. »Es klappt bestimmt. Er wird schon dafür sorgen.«
»Wer?«
»Na, du weißt schon.« Ihre Stimme klang weich, als sie ihn an ihrem Geheimnis teilhaben ließ, ihm ihr Geheimnis offenbarte, weil er, Bob Arctor, ihr Freund war und sie ihm vertrauen konnte. »Mister Wunderbar. Ich weiß ganz genau, wie er sein wird – er wird einen Aston-Martin fahren und mich darin nach Norden mitnehmen. Und genau da steht das kleine, altmodische Haus im Schnee, nördlich von hier.« Nach einer Pause fügte sie hinzu: »Schnee soll doch ganz hübsch sein, nicht wahr?«
Er sagte: »Weißt du das nicht selbst?«
»Ich bin noch nie im Schnee gewesen, außer einmal oben in den Bergen in San Berdoo, und da war es mehr Graupelregen als Schnee, und ich bin im Schlamm ausgerutscht und voll auf die Schnauze geflogen. Solchen Schnee meine ich nicht; ich meine richtigen Schnee.«
Bob Arctors Herz wurde schwer. Er kannte dieses Gefühl nur zu gut. »Bist du dir da ganz sicher? Es wird wirklich so kommen?«
»Es wird so kommen!« Sie nickte. »Es steht für mich in den Karten.«
Schweigend gingen sie dann weiter. Zurück zu Donnas Bude, um ihren MG zu holen. Donna, eingehüllt in ihre eigenen Träume und Pläne; und er – er mußte plötzlich wieder an Barris denken, an Luckman und Hank und das Kontroll-Zentrum. Und an Fred.
»Hey, du«, sagte er, »kann ich mit dir nach Oregon gehen? Wenn du hier endgültig deinen Abflug machst?«
Sie lächelte ihn an, sanft und so voller Zärtlichkeit, daß es weh tat. Und er begriff, daß die Antwort nein lautete.
Und weil es sie so gut kannte, verstand er auch, daß sie es wirklich so meinte. Und daran würde sich nichts ändern. Er erschauerte.
»Ist dir kalt?« fragte sie.
»Yeah«, sagte er. »Sehr.«
»Die Heizung in meinem MG ist echt Spitze«, sagte sie. »Wir drehen sie einfach voll auf, wenn wir im Drive-in sind … dann kannst du dich richtig schön aufwärmen.« Sie nahm seine Hand, drückte sie, hielt sie fest, und dann, ganz plötzlich, ließ sie sie wieder los.
Aber der Nachklang dieser kurzen Berührung blieb noch lange in ihm, in seinem Herzen. Wenigstens das blieb ihm. In all den Jahren seines Lebens, die noch vor ihm lagen, in den langen Jahren ohne sie, ohne die Hoffung, sie jemals wiederzusehen oder etwas von ihr zu hören oder etwas über sie zu erfahren, nicht einmal, ob sie lebte oder glücklich war oder tot oder was auch immer, blieb die Erinnerung an diese Berührung in ihm beschlossen, eingesiegelt in seinem Innern, und verließ ihn nie. Die Erinnerung an diese eine kurze Berührung ihrer Hand.
*
Er nahm einen netten kleinen Nadel-Freak namens Connie mit zu sich nach Hause, um sie im Austausch dafür zu bumsen, daß er ihr ein Päckchen mit zehn Mex-Hits gegeben hatte.
Das Mädchen – sie war mager und hatte merkwürdig glattes Haar – setzte sich auf die Bettkante und kämmte sich; es war das erste Mal, daß sie mit ihm mitgekommen war – er hatte sie auf einer Fixerparty kennengelernt –, und er wußte sehr wenig über sie, obwohl er doch ihre Telefonnummer schon seit Wochen mit sich herumtrug. Da sie ein Nadel-Freak war, war sie natürlich frigide, aber das törnte ihn durchaus nicht ab; Sex war ihr letztlich gleichgültig, weil sie kein Vergnügen daran hatte, aber andererseits machte es ihr deshalb auch nichts aus, welche Art von Sex es war.
Das merkte man sofort, wenn man sie einfach nur anschaute. Connie saß halb ausgezogen da, schon ohne Schuhe, eine Haarklammer im Mund, gleichgültig vor sich hin starrend, offensichtlich irgendwo in ihrem Kopf auf einem Trip unterwegs. Ihr längliches, knochiges Gesicht war herb und irgendwie ausdrucksvoll; wahrscheinlich, entschied er, weil die Knochen, besonders die Kieferlinien, so stark hervortreten. Auf der rechten Wange hatte sie einen Pickel. Zweifellos kümmerte sie das nicht, ja, wahrscheinlich bemerkte sie ihn nicht einmal; genau wie Sex bedeuteten ihr auch Pickel herzlich wenig.
Vielleicht konnte sie nicht einmal einen Unterschied erkennen. Für sie, die sie schon lange an der Nadel hing, mochten Sex und Pickel vielleicht etwas ganz Ähnliches oder sogar das gleiche sein. Was für ein Gedanke, dachte er, dieser flüchtige Einblick in die Gedankenwelt eines Fixers.
»Hast du eine Zahnbürste, die ich benutzen kann?« sagte Connie; sie war ein bißchen weggenickt und hatte vor sich hin zu murmeln begonnen, wie es bei Fixern manchmal nachts um diese Zeit vorkam. »Ach, Scheiße – Zähne sind Zähne. Ich putze sie mir …« Ihre Stimme war so leise geworden, daß er ihre nächsten Worte nicht mehr hören konnte, obwohl er an der Bewegung ihrer Lippen erkennen konnte, daß sie weiter vor sich hin brabbelte.
»Weißt du, wo das Badezimmer ist?«
»Was für ein Badezimmer?«
»Das hier im Haus.«
Sie riß sich mühsam zusammen und begann wieder, sich mit mechanischen Bewegungen zu kämmen. »Was sind das für Typen, die da draußen rumhängen? Sich Joints drehen und immer weiterquatschen, obwohl’s schon so spät ist? Ich nehme an, die wohnen hier bei dir. Klar wohnen die hier. Wo sollten Typen wie die auch sonst wohnen?«
»Zwei davon jedenfalls«, sagte Arctor.
Ihre Augen, die an die eines toten Kabeljaus erinnerten, wandten sich ihm zu und starrten ihn an. »Bist du schwul?« fragte Connie.
»Ich kämpfe dagegen an, so gut ich kann. Genau deshalb bist du ja heute nacht hier.«
»Dann wird das wohl eine ziemlich heiße Schlacht werden, was?«
»Worauf du Gift nehmen kannst.«
Connie nickte. »Schätze, ich werd’s wohl gleich rausfinden. Wenn du ein latenter Schwuler bist, wirst du’s vielleicht mögen, wenn ich die Initiative übernehmen. Leg dich hin, und ich besorg’s dir. Soll ich dich ausziehen? Okay, du liegst einfach nur da, und ich mach’ alles.« Sie griff nach dem Reißverschluß seiner Hose.
*
Später döste er im Halbdunkel vor sich hin, schläfrig vom Abdrücken seiner eigenen Fixe, wenn man das so nennen konnte. Connie schnarchte neben ihm vor sich hin. Die lag auf dem Rücken, die Arme beiderseits ihres Körpers auf der Decke. Er konnte sie nur verschwommen erkennen. Sie schlafen wie Graf Dracula, dachte er, diese Junkies. Starren unverwandt immer nur nach oben, bis sie sich urplötzlich aufrichten, wie eine Maschine, die von Position A auf Position B umgeschaltet wird. »Es – muß – schon – Tag – sein«, sagt der Junkie. Oder jedenfalls das Tonband in seinem Kopf, das ihm seine Anweisungen vorspielt. Der Geist eines Junkies ist wie die Musik, die du aus dem Radiowecker hörst … manchmal klingt sie ja hübsch, aber sie ist nur dazu da, dich zu etwas ganz Bestimmtem zu veranlassen. Die Musik aus dem Radiowecker soll dich aufwecken; die Musik des Junkies soll dich in ein Werkzeug zur Beschaffung von immer mehr Stoff verwandeln, ein Werkzeug, das der Junkie so einsetzt, wie es ihm nützt. Er, der selber eine Maschine ist, wird dich in seine Maschine verwandeln.
Jeder Junkie, dachte er, ist eine Bandaufnahme.
Wieder döste er vor sich hin und sann dabei über diese häßlichen Dinge nach. Und wenn der Junkie eine Puppe ist, dann hat er schließlich nichts zu verkaufen als seinen Körper. Wie Connie, dachte er; Connie, die hier neben mir liegt.
Er öffnete seine Augen und drehte sich zu dem Mädchen neben sich um – und sah Donna Hawthorne.
Mit einem Ruck setzte er sich im Bett auf. Donna! dachte er. Er konnte ihr Gesicht deutlich erkennen. Ein Irrtum war unmöglich. Herr im Himmel! dachte er und tastete nach der Lampe auf dem Nachttisch. Seine Finger stießen dagegen; die Lampe kippte um und fiel zu Boden. Das Mädchen merkte nichts davon, sondern schlief ruhig weiter. Immer noch starrte er sie an, und dann, ganz allmählich, sah er wieder Connie, sah ihr scharfgeschnittenes, kantiges Gesicht mit den eingefallenen Wangen, das hagere, düstere Gesicht eines völlig ausgemergelten Junkies – Connie und nicht Donnas; das eine Mädchen und nicht das andere.
Niedergeschlagen ließ er sich wieder zurücksinken, dämmerte wieder ein bißchen weg und fragte sich, was das wohl bedeuten mochte, wieder und wieder, bis sich seine Gedanken in der Dunkelheit verloren.
»Ich hab’ mir nie was draus gemacht, daß er gestunken hat«, murmelte das Mädchen neben ihm irgendwann später verträumt im Schlaf. »Ich habe ihn trotzdem geliebt.«
Er fragte sich, wen sie damit meinte. Ihren ersten Freund? Ihren Vater? Ein heißgeliebtes Spielzeugtier aus ihren Kindertagen? Vielleicht sie alle, dachte er. Aber die Worte hatten »Ich habe ihn geliebt« gelautet, nicht »Ich liebe ihn«. Offenbar gab es diesen Er, wer oder was auch immer er gewesen sein mochte, jetzt nicht mehr. Vielleicht, überlegte Arctor, haben sie (wer immer sie sein mochten) Connie dazu gezwungen, ihn rauszuwerfen, weil er so übel stank.
Durchaus möglich. Er fragte sich, wie alt sie damals wohl gewesen war, dieses verbrauchte Junkie-Mädchen, das neben ihm schlummerte und im Traum ihren Erinnerungen nachhing.