«Schiff klar zum Gefecht, Sir. «Gespannt wartete Herrick auf Bolithos Reaktion. Der ließ langsam sein Fernrohr vom Bug bis zum Heck gleiten. Er versuchte, das sich überschneidende Gewirr von Wanten und Schoten zu meiden und seinen Blick auf die Küste zu konzentrieren. Wegen des grellen Sonnenlichts, das bereits durch den Morgendunst sickerte, war es unmöglich, einen exakten Blickpunkt festzulegen und Entfernungen zu schätzen.
«Das dauert zu lange, Mr. Herrick«, erwiderte er.»Sie müssen auf zwölf Minuten kommen. «Aber er redete nur, damit er etwas mehr Zeit bekam, seine Gedanken zu sammeln.
Das ferne Geschützfeuer hatte aufgehört, aber es waren mindestens ein Dutzend Schüsse gefallen: scharf und laut, trotz der großen Entfernung. Kleine Kaliber, wahrscheinlich.
Bolitho ließ den Blick weiter nach Steuerbord schweifen. Als niedriger Keil schob sich das Land vor, parallel zum Kurs der Undine, die langsam heranglitt. Der östliche Arm der Pendang Bay, ganz ohne Zweifel.
Etwas Dunkles kam in die Linse; es war die Brigg, leicht krängend in der schwachen Brise; auf den Rahen wimmelten winzige Gestalten, das Reffen der Segel war fast beendet. Eine große spanische Flagge wehte an der Besangaffel, und er überlegte einen Augenblick, wie der Kapitän der Rosalind wohl auf Puigservers nationale Ambitionen reagieren mochte.
Fast gegen seinen Willen sprach er seine Gedanken laut aus:»Ich wünschte, Puigserver wäre bei uns. Gemeinsames Planen und Handeln wären meiner Meinung nach jetzt angebracht.»
Conway grunzte.»Überflüssig. Die Undine ist das Kriegsschiff, Bolitho, nicht die Brigg. Heute will ich mich mit keinem verdammten Spanier rumärgern müssen.»
«Was halten Sie davon, Sir?«fragte Herrick.
Bolitho wiegte nachdenklich den Kopf.»Vielleicht ein Überfall auf den Stützpunkt. Aber soweit ich weiß, ist er gut befestigt.»
Grob fuhr Conway dazwischen:»So viel Theater um ein paar lausige Wilde!»
Herrick, der dicht neben Mudge stand, flüsterte diesem zu:»Das hat wahrscheinlich auch der arme Captain Cook gesagt.»
Bolitho fuhr herum:»Wenn Sie weiter nichts zu tun haben, als dämliche Bemerkungen zu machen…«Er wandte sich wieder ab und befahl:»Sofort zwei gute Lotgasten aufs Wasserstag, und sie sollen regelmäßig aussingen! Mr. Mudge, lassen Sie einen Strich abfallen!»
Sein scharfer Ton wirkte. Männer, die eben noch ihre Mutmaßungen über die Vorgänge an Land ausgetauscht hatten, standen auf einmal stumm und eifrig bei den Geschützen, sammelten sich an den Fallen und Brassen und warteten auf das nächste Kommando. Das Ruder knarrte laut in der plötzlichen Stille, und der Rudergast sang aus:»Nordost zu Nord, Sir.»
«Recht so. «Fasziniert blickte Bolitho Conway an. Er sah ihn im Profil, seine Augen glitzerten vor Spannung.
Vom Vorschiff her kam die Meldung des Lotgasten:»Kein Grund, Sir!»
Bolitho blickte zu Mudge hinüber, aber dessen massiges Gesicht war fast ausdruckslos. Wahrscheinlich hielt er das Loten für überflüssig. Nach der Karte und allen sonstigen Informationen war ausgewiesen, daß diese Gewässer bis auf etwa eine Kabellänge vor Land tief genug waren. Aber vielleicht dachte Mudge auch, der Captain sei nur deshalb so vorsichtig, weil er nichts dem Zufall überlassen wollte.
Noch ein Krachen, ein einzelnes nur, rollte von der dunstigen Küste herüber und verklang.
Bolitho zog seine neue Uhr hervor und starrte lange auf das Zifferblatt. Bei der geringen Fahrt, die sie jetzt machten, würden sie fast eine Stunde bis an Land brauchen. Aber das war nicht zu ändern.
«Kein Grund, Sir!»
«Weitergeben an Hauptmann Bellairs«, befahl Bolitho.»Ein komplettes Landungsdetachement! Und an Mr. Davy: Boote klar zum Aussetzen, sobald wir ankern. Er übernimmt das Kommando selbst!»
«Eine sichere Küste, nach allem, was ich gehört habe«, sagte Conway.»Die Ansiedlung und das Fort liegen am westlichen Abhang der Bucht.»
Herrick kam wieder nach achtern. Er faßte grüßend an den Hut und fragte mit einer gewissen Zurückhaltung:»Soll ich die Geschütze laden lassen, Sir?»
«Noch nicht, Mr. Herrick.»
Bolitho richtete sein Fernrohr über Backbord voraus. Die Ansiedlung, das Fort — er konnte sie nicht deutlich erkennen; vielleicht bildete er sich auch nur ein, etwas zu sehen. Eigentlich war alles nur ein verwischtes Grün, ohne Anzeichen von Besiedlung.
Er hörte das Befehlsgebrüll des Sergeanten der Marineinfanterie und das Getrampel der Seesoldaten, die für das Landungsdetachement in Gruppen eingeteilt wurden. Bellairs beaufsichtigte den Vorgang vom Steuerborddecksgang aus. Sein Gesicht war vollkommen ausdruckslos, aber seinen Augen entging nichts.
«Zwanzig Faden!«[15] sang der Mann unterm Bugspriet triumphierend aus.
Düster nickte Mudge.»Stimmt ungefähr. Hier sind es überall zwanzig Faden.»
Ein paar kleine Vögel flitzten kreuz und quer über die Wasserfläche und kreisten um die gebraßten Rahen. Bolitho sah ihnen zu und dachte an die Mauersegler, die um das graue Steinhaus in Falmouth flogen. Dort mußte es jetzt schön sein! Sonne, leuchtende Farben, Schafe und Rinder auf den Hügeln. Und in der Stadt selbst ein Gewimmel von Farmern und Seeleuten, die seit uralten Zeiten einer von des anderen Arbeit lebten.
Bolitho bemerkte Herrick in der Nähe und sagte leise:»Tut mir leid, daß ich vorhin grob geworden bin.»
Herrick lächelte.»Hat nichts zu sagen, Sir. Sie hatten ganz recht. Wir sind auf dieser Reise schon mal reingefallen, weil wir nicht aufgepaßt haben. Schwierigkeiten verschwinden nicht davon, daß man wegsieht.»
«Die Rosalind setzt wieder ihre Vorsegel, Sir!«Sie wandten sich um und sahen, daß die Brigg sich vor den Wind legte und mehr Fahrt zu machen begann.»Bei Gott«, knurrte Conway,»der Kerl will vor uns einlaufen! Der Teufel soll ihn holen!»
«Das ist sein gutes Recht, Sir. «Bolitho richtete sein Teleskop auf die Brigg, sah die geschäftigen Gestalten an Deck und in der Takelage, sah, wie der Wimpel mit großartigem Schwung im Wind schlug und das Wappen darauf im Sonnenlicht glänzte.»Bis die Übergabe offiziell vollzogen ist, bleibt es Territorium der Spanischen Handelskompanie.»
«Eine bloße Formalität«, erwiderte Conway wütend und starrte Bolitho ins Gesicht.»Geben Sie einen Warnschuß ab, Captain!»
«Befehl weitergeben zum Vorschiff, Mr. Herrick! Eine Kugel! Aber aufpassen, daß sie die Brigg nicht trifft!»
Der Mann an der Lotleine sang aus:»Achtzehn Faden!»
Die Lafette quietschte und knarrte, als das Geschütz ausgefahren wurde. Der Stückführer visierte am Rohr entlang, und als ein Sonnenstrahl ihn traf, sah Bolitho, daß seine eine Hand ein eiserner Haken war: Turpin.
«Klar zum Schuß, Sir!«meldete Herrick.
«Dann Feuer frei.»
Die Kanone krachte, und Sekunden später spritzte ein dünner Wasserstrahl hoch, weitab vom Bug der Brigg.
«Nun wissen sie wenigstens, daß wir kommen, Sir«, sagte Bolitho.
«Diese Wilden!«schimpfte Conway.»Ich werde es ihnen schon zeigen!»
Mit einem Seufzer der Erleichterung sah Bolitho, daß die Brigg einen Strich abfiel. Der Klüver wurde, als Reaktion auf das grobe Signal, bereits aufgegeit. Der Gedanke, daß eine unzureichend bewaffnete Brigg zwischen einen eventuellen Feind und seine eigenen Kanonen geriet, war ihm unerträglich. Und noch dazu, da sie an Bord der Rosalind war.
Scharf wandte er sich ab; er ärgerte sich über sich selbst, weil er seine Gedanken wieder einmal ihre eigenen Wege gehen ließ. Gerade jetzt mußte er völlig klaren Kopf behalten.
«Mr. Mudge, was wissen Sie noch von dieser Gegend, außer dem, was Sie mir schon erzählt haben?»
Der Steuermann zuckte die Schultern.»Kaum jemand kennt das Hinterland, Sir: Kopfjäger und viele Stammesfehden, wie ich gehört habe. Die Eingeborenen sind zum Teil Seefahrer, Piraten aus Nordborneo. Seedajaks nennt man sie. Manches gute Schiff, das nichtsahnend hier vor Anker lag, ist von diesen Teufeln überfallen worden. «Er schüttelte so heftig den Kopf, daß seine Backen schwappten.»Dann hauen sie mit diesen langen Messern zu, und es ist aus und vorbei.»
In diesem Moment deutete ein Matrose, der neben einem Sechspfünder stand, nach oben, wo der Wimpel im Topp auf einmal energisch zu flattern begann. Wie ein langer, träger Vorhang hob sich der Dunst und zerstob. Endlose Strande, dichter Dschungel und schließlich weit hinten die sich überschneidenden Berge wurden sichtbar. Herrick ließ das Teleskop sinken.
«Und das soll der Stützpunkt sein, Sir?»
Bolitho behielt sein Glas vorm Auge; er wagte nicht, Conway ins Gesicht zu sehen. Was er zuerst für einen Haufen gefällter und aufeinandergeschichteter Baumstämme gehalten hatte, wurde nun zu langen, spitzen Palisaden, in unregelmäßigen Zwischenräumen von niedrigen Blockhäusern verstärkt. Als sich der Dunst vollends verflüchtigt hatte, konnte er die Gouverneursresidenz ausmachen. Das mußte sie sein, das größte Gebäude, das zu sehen war. Es war ebenfalls aus Baumstämmen erbaut, mit einem oberen und einem unteren Wehrgang und einem spinnenbeinigen Wachtturm in der Mitte, an dem die spanische Flagge sich manchmal in der schwachen Brise träge hob.
«Um Gottes willen«, sagte Conway gepreßt — kaum wollten ihm die Worte aus der Kehle.
Angestrengt spähte Bolitho hinüber, ob sich nicht außer der Flagge etwas regte — irgendein Zeichen menschlichen Lebens. Der Bau sah primitiv aus, war aber günstig gelegen und leicht zu verteidigen. Überall auf der Welt mußte es solche Stützpunkte geben. Aber wie hatte es hier vorher ausgesehen? Irgendwer mußte als erster aus einem Boot gestiegen und an Land gewatet sein, um eine Fahne zu hissen und damit das Gebiet für sein Vaterland in Besitz zu nehmen. Bolitho hatte von Inseln im Pazifik gehört, die abwechselnd von einem halben Dutzend Nationen als ihr Eigentum beansprucht wurden. Manchmal lag der echte Wunsch nach Kolonisierung vor; manchmal aber war nur ein Schiff eingelaufen, das nichts weiter wollte, als Wasser und Brennholz zu übernehmen.
«Zehn Faden!«sang der Mann am Lot aus.
«Wir ankern bei acht Faden«, sagte Bolitho zu Herrick. Allday machte sich bereits an der festgelaschten Gig zu schaffen.»Und dann die Boote zu Wasser, so schnell es geht!»
Er betrachtete aufmerksam die kabbligen kleinen Wellen, welche die auffrischende Brise vor sich hertrieb: eine große, gutgeschützte Bucht. Wie es heißt, hatte die Königlich Spanische Handelsgesellschaft sie vor einigen Jahren beinahe zufällig in Besitz genommen. Eigentlich hatte sie ihren Stützpunkt weiter nördlich errichten wollen, um Zugang zum Handel mit den Philippinen zu gewinnen. Aber da war Fieber ausgebrochen, es hatte Verluste an Schiffen und Vorräten gegeben, und so hatten sie sich schließlich hier festgesetzt. Es war leicht zu verstehen, warum die Spanier den Mut verloren hatten, und noch leichter war einzusehen, wieviel wichtiger das Gebiet für die Briten sein würde. Beide Indien waren von hier aus erreichbar und desgleichen die weiträumigen, bisher kaum erforschten Reserven des Chinesischen Meeres. So konnte der Stützpunkt Teluk Pendang ein lebenswichtiges Bindeglied sein, vorausgesetzt, er bekam Zeit, sich zu entwickeln, und wurde geschickt regiert. Jetzt, da die Spanier und Franzosen sich aus dieser Gegend zurückgezogen hatten, gab es nur noch die Konkurrenz des holländischen Ostindienhandels.
Bolitho warf einen raschen Blick auf Conways maskenstarres Gesicht. War er der Mann, so etwas in Angriff zu nehmen?
Berufssoldaten sahen selten etwas anderes als die Taktik der unmittelbaren Situation. Und wenn ein solcher Mann noch dazu durch eigene Fehler verbittert und verzweifelt war, so würde er um so weniger zu Kompromissen bereit sein.
«Da kommen Leute aus den Palisaden, Sir!»
Bolitho hob sein Teleskop aufs neue. Zu zweit und dritt kamen sie; einige trugen Musketen, andere hinkten waffenlos über den Sand auf die lange, noch unfertige Pier aus Baumstämmen und Steinen. Manche waren so dunkelhäutig, daß man sie für Eingeborene halten konnte; aber ihre Uniformen waren ohne Zweifel spanisch.
Keiner winkte. Sie standen oder saßen stumpf da und beobachteten das langsame Einlaufen der Fregatte.
«Mein Gott!«murmelte Herrick.»Die sehen ja aus wie Vogelscheuchen.»
«Was haben Sie denn erwartet, Mr. Herrick, Sir?«Ungesehen und ungehört war der Schiffsarzt aufs Achterdeck gekommen. Sein Gesicht und sein Hals sahen wie rohes Fleisch aus.
Mit unbewegter Miene musterte Bolitho ihn.»Sie haben sich inzwischen erholt, Mr. Whitmarsh?»
Der starre Blick des Arztes wanderte zum Kapitän hinüber. Seine Augen waren rotgerändert und schienen in ihren Höhlen zu brennen. Undeutlich murmelte er:»Wir sind am Ziel, wie ich sehe, Sir. «Er tastete nach einem Halt, fand keinen und fiel beinahe lang hin.»Immer geht's nach dem gleichen Muster«, murmelte er.»Erst kommen wir als Schutzmacht, wenn notwendig mit Kriegsschiffen und Soldaten, damit's auch ein richtiges Protektorat wird. Und wenn alles gesichert ist, dann kommen die Kaufleute, und von da an regiert die Flagge der Handelskompanie.»
«Und was weiter?«fragte Bolitho kalt.
Whitmarsh richtete seinen leeren Blick auf ihn.»Dann wird der Landstrich eine Kolonie. Und wenn wir ihn ausgesogen haben wie eine Auster, dann — hick — schmeißen wir die Schale weg.»
Erst jetzt schien Conway zu hören, was er sagte.»Scheren Sie sich unter Deck, Sie versoffener Kerl!«Verzweiflung arbeitete in seinem Gesicht; er mußte sich durch diesen Wutausbruch entlasten.»Oder es wird Ihnen leid tun, beim Himmel!»
Der Arzt brachte eine wacklige Verbeugung zustande.»Aber es tut mir schon jetzt leid, glauben Sie mir! Sie tun mir leid, daß Sie hier eine so elende Aufgabe übernehmen müssen. «Schwankend wendete er sich Bolitho zu.»Und der gute Captain hier tut mir leid, der schließlich zwischen Gerechtigkeit und Tyrannei seinen Kopf hinhalten muß. Und vielleicht am meisten tut mir…«Er taumelte, brach zusammen und blieb unbeweglich liegen wie ein Bündel Lumpen.
«Acht Faden Tiefe!»
Die Meldung des Lotgasten brachte Bolitho in die Wirklichkeit zurück.»Schafft ihn in seine Koje!«befahl er kurz. Einige Matrosen schleppten den leblosen Arzt zum Niedergang, und Bolitho bekam den sauren Gestank von vergossenem Wein und Erbrochenem in die Nase. Da verfaulte ein guter Mann.
Conway starrte immer noch auf die Decksplanken.»Noch eine Sekunde, und ich hätte ihn in Eisen legen lassen. «Er warf Bolitho einen wütenden Blick zu.»Nun?»
«Es war schon etwas an dem, was er sagte, Sir. Was ein Nüchterner nur denkt, spricht ein Betrunkener oft genug aus.»
«Wir sind nahe genug, Sir, glaube ich«, rief Herrick dazwischen.
Bolitho eilte zum Achterdeck, froh, Conways düsterer Stimmung zu entrinnen. Jetzt konnte er die Küstenlinie studieren, die der kleinen Landzunge an Backbord und die der größeren östlichen an Steuerbord. Beide reichten weit ins Meer hinaus und hatten in der Frühsonne bereits einen zartgrünen Schimmer.
«Signalisieren Sie der Rosalind, was wir vorhaben, und dann ankern Sie bitte. «Er wartete, bis die Ankermannschaft über dem Kranbalken bereitstand, dann fügte er hinzu:»Sagen Sie Mr. Davy, er soll unsere Leute zusammenhalten, wenn wir an Land gehen. Ich will keine Seuche an Bord.»
«Glauben Sie, daß es hier Fieber gibt, Sir?«Sekundenlang glomm Angst in Herricks Augen auf. Wie die meisten Seeleute konnte er Blut und Breitseiten verkraften, auch die harte Disziplin, die seinen Alltag beherrschte. Aber das Unbekannte, die Schrecken der Seuchen, die ein ganzes Schiff dienstunfähig machen, es in ein schwimmendes Grab verwandeln konnten — das war etwas anderes.
«Wir werden es bald merken.»
«Die Rosalind hat unser Signal bestätigt, Sir.»
Keen schien so munter und sorglos wie immer zu sein. Sogar Armitage blickte beinahe erwartungsvoll zum Land hinüber.
«Ruder legen!»
«An die Leebrassen!»
Das Ruder schwang herum, und Bolitho schritt auf Conways Seite hinüber, um dem Gerenne der Matrosen auf dem Achterdeck aus dem Wege zu gehen; langsam drehte die Fregatte in den Wind.
«Wollen Sie auf Don Puigserver warten, Sir?»
Conway blickte ihn an; an seinem Hals zuckte ein Nerv, als der Anker mit einer mächtigen Schaumkaskade ins Wasser platschte.
«Muß ich ja wohl. «Er spähte zur Brigg hinüber, die schon an ihrer Ankertrosse schwojte.»Ich wünsche, daß Sie mich begleiten.»
«Es ist mir eine Ehre, Sir.»
«So, finden Sie?«Conway nahm den goldbetreßten Hut ab und fuhr sich mit der Handfläche über das graue Haar.»Wir werden ja sehen«, sagte er mit bitterem Lächeln.
Noddall kam mit Bolithos Degen an Deck, zog sich aber sehr schnell zurück, als Allday ihn wütend anknurrte:»He — gib mir das!«Er eilte zu Bolitho und schnallte ihm den Degen sorgfältig um.»Was der sich einbildet!«murmelte er dabei. Dann richtete er sich auf und starrte die Boote an, die hochgehievt und ausgeschwungen wurden.
«Da haben wir eine lange Reise hinter uns gebracht, Captain. «Er wandte sich halb um und beobachtete, wie auch die Boote der Brigg abgefiert wurden.»Das ist kein guter Ort, finde ich.»
Aber Bolitho hörte nicht hin. Er sah zu, wie die Seesoldaten in die dümpelnden Boote kletterten, mit ihren roten Röcken, den ständig ausrutschenden Stiefeln und, wie immer, mit mächtigem Waffengeklirr. Hauptmann Bellairs inspizierte jeden einzelnen und ganz besonders den jungen Corporal, der die verhüllte Flagge Englands trug, die bald über dem fremden Boden wehen sollte.
Wie viele Marineoffiziere hatte sich auch Bolitho oft die Inbesitznahme neuer Gebiete im Geist ausgemalt; aber dann war das Zeremoniell großartiger und glänzender gewesen: endlose Reihen von Soldaten, dazu Militärkapellen, eine hurraschreiende Volksmenge, und der ebenso prachtvolle wie mächtige Anblick der draußen vor Anker liegenden Kriegsschiffe. Jetzt sah er das ganz anders. Aber es war schließlich nur ein Anfang. Klein, doch darum nicht weniger beeindruckend.
«Na, dann wollen wir mal«, sagte Conway.»Wie ich sehe, ist der Don schon unterwegs.»
Tatsächlich ruderten die Boote der Brigg bereits auf die Küste zu; das eine trug die spanische Flagge, das andere die der East India Company. Erleichtert stellte Bolitho fest, daß Viola Raymond an Bord geblieben war.
Conway kletterte hinter Bolitho in die Gig; die anderen Boote, bis zum letzten Platz voll schwerbewaffneter Seesoldaten, folgten in Fächerformation; so bewegte sich die Flottille auf die nächste Bucht zu.
Lange bevor sie in Rufweite der am Ufer hinter der Brandungslinie stehenden Leute waren, konnte Bolitho den Urwald riechen, wie Weihrauch, verwirrend und überwältigend. Er faßte den Degengriff fester und versuchte, sich zusammenzunehmen. Das war ein Moment, den er nie vergessen durfte. Er warf einen raschen Blick auf Conway, aber der schien völlig unbeteiligt zu sein; ernst, fast melancholisch, irgendwie abwesend sah er aus.
Der neue Gouverneur von Teluk Pendang war eingetroffen.
Leutnant Thomas Herrick ging ein paar Schritte quer über das Achterdeck. Nervös beobachtete er Bellairs' Seesoldaten und einige Matrosen unter den nächstgelegenen Palisaden. Es war kurz nach zwölf Uhr mittags, und die Sonne brannte mit voller Wucht auf die vor Anker liegenden Schiffe herab. Wer von den Matrosen nichts zu tun hatte, suchte Schatten unter den Decksgängen. Aber Herrick traute sich nicht, das Deck zu verlassen, obwohl ihm der Kopf bereits schwamm und ihm das Hemd am Leibe klebte wie ein nasser Fetzen.
Die Undine zerrte an ihrer Ankerkette. Sie war geschwojt, jetzt zeigte ihr Heck auf den langen hellen Strand. Die Sicht war klarer geworden, man erkannte deutlicher, wie groß der Gebäudekomplex war, der jetzt Conway unterstand. Er war weitläufiger, als es auf den ersten Blick ausgesehen hatte, und offensichtlich von einem Festungsbaumeister entworfen. Selbst die noch unfertige hölzerne Pier machte einen soliden Eindruck, aber wie der ganze Komplex war auch sie sehr vernachlässigt.
Jedesmal wenn Herrick das Achterdeck überquerte oder über die Heckreling spähte, sah er Bolitho und ein paar Männer vom Landungskommando irgendwo auf den hölzernen Brustwehren; auch im Raum zwischen den Palisaden, welche den Zugang zum Fort und den anderen Gebäuden schützten, hatte er sie beobachtet. Wie tote Fische lagen die Boote auf dem Strand da, wo sie vor vier Stunden gelandet waren. Ein paar Seesoldaten hatten die Drehgeschütze zum Fort geschafft; andere, von dem bulligen Sergeanten Coaker gescheucht, hatten die Brustwehren besetzt oder patrouillierten jetzt auf der Pier. Die wenigen spanischen Soldaten hatten sich ins Innere des Forts zurückgezogen; und der Feind — oder worauf sie vorhin gefeuert hatten — war nirgends zu sehen.
Schwere Schritte kamen über die Planken; Herrick wandte sich um und erblickte Soames, der mit der einen Hand seine Augen beschattete und in der anderen ein Stück Schiffszwieback hielt, an dem er kaute.»Schon ein Signal, Sir?«Soames betrachtete die ferne Ansiedlung ohne sonderliche Begeisterung.»An solch einem Ort sein Leben zu beenden — nein, danke!»
Herrick war besorgt. Inzwischen hätte eigentlich etwas geschehen sein müssen. Es sollten sich etwa dreihundert spanische Soldaten nebst Troß im Stützpunkt befinden, und Gott weiß wie viele Eingeborene außerdem. Aber gesehen hatte er bisher nur ganz wenige. Der alte unheimliche Gedanke fuhr ihm wieder durch den Sinn: die Pest vielleicht? Oder etwas noch Schlimmeres?
«Anscheinend inspizieren sie die inneren Verteidigungsanlagen«, erwiderte er.»Kein Wunder, daß die Dons diesen Posten loswerden wollen. «Er schauderte.»Von hier aus hat man den Eindruck, daß der verdammte Dschungel die Menschen wieder ins Meer drängen will.»
Achselzuckend deutete Soames mit seinem angebissenen Zwieback zum Geschützdeck.»Soll ich die Geschützbedienungen wegtreten lassen? Sieht nicht so aus, als ob uns die da drüben noch Grund zum Eingreifen geben werden.»
«Nein. Es sind ja nur fünf Geschütze bemannt. Lassen Sie die Bedienungen ablösen, und schicken Sie sie unter Deck zum Ausruhen. «Herrick war froh, als Soames ging. Er wollte sich konzentrieren, wollte sich über Entscheidungen klarwerden, wenn er plötzlich handeln mußte, ohne daß Bolitho hinter ihm stand. Beim letzten Mal war es anders gewesen. Da war eine wilde Verwegenheit über ihn gekommen, noch verstärkt durch die Notwendigkeit, Bolitho auf dem schnellsten Wege zu Hilfe zu eilen.
Aber hier gab es keine schreienden Wilden, keine heranflitzenden Kanus, die er mit ein paar Ladungen Hackblei zerschmettern konnte. Nur Schweigen. Deprimierende, unbewegte Stille.
Da rief Midshipman Penn mit seiner schrillen Knabenstimme:»Eins der Boote wird zu Wasser gebracht, Sir!»
Herrick spürte sein Herz klopfen, als der Mann dort drüben am Strand die grüngestrichene Gig der Undine ins flache Wasser stieß. Dann kam Bolitho — seine schlanke Gestalt war unverkennbar — zum Strand herunter, blieb einen Moment stehen, um Davy etwas zu sagen, und schwang dann die Beine über das Dollbord.
Endlich. Bald würde er wissen, was los war. Nur vier Stunden hatte es gedauert, aber sie waren ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen.
«Klar zum Seitepfeifen!»
Als Bolitho durch die Pforte an Bord kam, fiel Herrick auf, wie besorgt und nachdenklich er dreinsah. Sein Rock war voller Sand und Staub, das Gesicht schweißnaß. Blicklos starrte er auf das strammstehende Empfangskommando.
«Schiffsarzt mit Sanitätsgasten an Land!«befahl Bolitho.»Soll sich bei Mr. Davy melden. Wenn die anderen Boote kommen, schicken Sie Pulver, Blei und frisches Obst hinüber!«Er spähte nach der vor Anker liegenden Brigg und dem Boot aus, das sich wieder in rascher Fahrt dem Land näherte.»Ich habe die Rosalind aufgefordert, nach besten Kräften zu helfen. «Er warf einen Blick auf Herricks rundes Gesicht und lächelte zum erstenmal.»Beruhigen Sie sich, Thomas — es ist noch nicht das Ende. Nur beinahe. Kommen Sie in meine Kajüte, wenn Sie die Befehle weitergegeben haben. Allday hat eine Liste von alldem, was gebraucht wird.»
Als Herrick schließlich zu Bolitho in die Kapitänskajüte kam, fand er ihn mit entblößtem Oberkörper vor einem großen Krug Zitronenlimonade.
«Setzen Sie sich, Thomas. «Herrick nahm Platz. Er sah, daß Bolitho sich wieder gefaßt hatte. Aber da war noch irgend etwas; seine Gedanken liefen in einer anderen Richtung.
«Bei Kriegsende lag hier eine Garnison von rund dreihundert Mann. «Es war, als zeichne Bolitho ein Bild nach, das jemand für ihn gemalt hatte.»Der Kommandant, bewährter Ratgeber des Königs von Spanien, war Oberst Don Jose Pastor, ein bekannt tüchtiger Soldat und bewandert in der Errichtung derartiger Stützpunkte. Er verschaffte sich einiges Vertrauen bei den Eingeborenen und konnte durch Tauschgeschäfte und andere Überredungsmittel, nach spanischem Brauch auch durch Gewaltanwendung, eine starke Verteidigungslinie aufbauen und außerdem ein ziemlich großes Stück Urwald in unmittelbarer Nähe roden. Es gibt sogar eine Art Straße, die jetzt allerdings überwuchert ist. Eine Wildnis.»
«Fieber?«riet Herrick.
«Das natürlich auch, aber nicht schlimmer, als in einer solchen Gegend zu erwarten. «Er sah Herrick ein paar Sekunden aufmerksam ins Gesicht; seine Augen waren sehr grau in dem reflektierten Licht.»Nein, der Stützpunkt wurde über ein Jahr lang fast ununterbrochen angegriffen. Zuerst dachten sie, es handle sich um irgendwelche räuberischen Stämme, Dajakpiraten vielleicht, denen der wachsende spanische Einfluß in ihrem Gebiet nicht paßte. Oberst Pastor hatte nicht weit vom eigentlichen Stützpunkt eine katholische Mission eingerichtet. Man fand die Mönche fürchterlich verstümmelt und ohne Köpfe. «Er beachtete Herricks entsetzte Miene nicht.»Dann gab es Todesfälle durch Vergiftung der
Zisternen. Die Garnison mußte mit dem kleinen Bach auskommen, der innerhalb der Palisaden entspringt. Ohne ihn wäre schon längst alles aus gewesen. Stellen Sie sich vor, Herrick, Sie wären hier Offizier, müßten versuchen, die Moral aufrechtzuerhalten, ständig gegen einen unsichtbaren Feind kämpfen, und hätten Tag für Tag ein paar Männer weniger. Jeden Morgen bei Sonnenaufgang suchen Sie die Kimm ab, beten um ein Schiff, irgendein Schiff, das Hilfe bringen könnte. Nur eins kam in der ganzen Zeit, aber der Kapitän ließ niemanden an Land, aus Angst vor der Pest. Er warf nur Depeschen ab und segelte weiter. Ich kann das, weiß Gott, verstehen. Die da drüben sehen aus wie lebende Skelette. «Ein Boot legte vom Rumpf ab, und er wandte sich um.»Hoffen wir, daß unser Arzt jetzt weniger an sich selbst denkt und lieber anderen hilft.»
Leise fragte Herrick:»Was gedenkt Admiral Conway zu tun,
Sir?»
Bolitho schloß die Augen und erinnerte sich an die kleine Konferenz im Turmzimmer des Palisadenforts, wo Puigserver mit bebender Stimme den Bericht des Hauptmanns Vega, des einzigen überlebenden spanischen Offiziers, übersetzt hatte.
Die Überfälle hatten nicht aufgehört. Einmal, als eine Patrouille in einen Hinterhalt geraten war, wurden die Verteidiger im Fort schier verrückt von den furchtbaren Schreien ihrer Kameraden, die in Sichtweite zu Tode gemartert wurden.
«Westlich von uns liegt eine kleine Inselgruppe, die Benuas«, sagte Bolitho. Obwohl Herrick den Zusammenhang nicht verstand, nickte er.»Ja, wir haben sie gestern passiert.»
«Sie beherrscht den Eingang zur Straße von Malakka, zwischen Borneo, Sumatra und Java. «Bolithos Stimme klang stahlhart.
«Dieser Fürst von eigenen Gnaden, Muljadi, hat dort seine Festung. Vor vielen Jahren haben die Holländer sie als Fort errichtet, gaben sie aber auf, nachdem fast die ganze Besatzung an einer Seuche starb. «Düster blickte er zum Heckfenster hinaus.»Nicht so ein Blockhaus wie Conways neue Residenz, Thomas. Eine richtige Festung aus Stein.»
Herrick versuchte, Bolitho aus seiner Depression zu reißen.»Aber mit ein paar Schiffen und genügend Soldaten müßte man doch diesem Muljadi eins verpassen können, Sir.»
«Einmal vielleicht. «Bolitho trank aus und starrte in das leere Glas.»Heute morgen wurde wieder ein Versuch gemacht, die Verteidiger hier zu überwältigen. Ich nehme an, die Angreifer sahen die Undine gestern die Meerenge passieren und wußten daher, daß sie sich beeilen mußten. Jetzt sind sie im Urwald verschwunden. Hauptmann Vega von der Garnison sagt, sie ziehen sich westwärts in die Marschen an der Küste zurück, dort werden sie abgeholt und über See in Muljadis Festung gebracht. «Er seufzte laut.»Im ganzen Stützpunkt leben gerade noch fünfzig Menschen. Giftpfeile, Musketenkugeln — denn die Wilden haben europäische Waffen — und auch das Fieber forderten einen furchtbaren Zoll. Es hat sogar eine Meuterei gegeben, und Vegas Leute mußten gegen ihre eigenen Eingeborenen kämpfen; dabei wußten sie vor Trunkenheit und Verzweiflung kaum noch, was sie eigentlich hier sollten.»
Entsetzt starrte Herrick ihn an.»Und was ist mit Oberst Pastor, Sir? Wurde auch er getötet?»
Bolitho rieb sich die weiße Narbe auf der Brust.»Darauf wollte ich gerade kommen. Vor ein paar Wochen traf tatsächlich ein Schiff ein — aber nicht um zu helfen, nicht um Menschen, die immerhin vom selben Erdteil stammen, Unterstützung zu gewähren. Es war die Argus, Thomas. «Er fuhr herum, und die Mattigkeit fiel von ihm ab wie ein Mantel.»Eine Fregatte von vierundvierzig Kanonen, unter dem Befehl von Capitaine Le Chaumareys. Er kam selbst an Land und verhandelte mit Oberst Don Pastor. Unter anderem brachte er eine Botschaft von Muljadi. Persönlich.«Bolitho hielt sich mit beiden Händen am Tischrand fest.»Und er forderte Pastor auf, die Flagge zu streichen und sich im Namen Spaniens aller Ansprüche auf diesen Stützpunkt zu begeben.»
«Mein Gott!»
«Das kann man wohl sagen. Anscheinend sprach der Oberst von Hilfe, die bald eintreffen würde, aber Le Chaumareys lachte ihn aus. Keine Rede von Hilfe, sagte er; kein einziges Schiff würde durchkommen.»
«Dann haben also die Franzosen ihre Finger hier drin, Sir?»
«Ganz erheblich. «Bolithos Miene erhellte sich.»Merken Sie nichts, Thomas? Le Chaumareys hatte Instruktion, die Spanier zur Aufgabe ihrer hiesigen Besitzung zu zwingen. Er wußte besser als jeder andere, daß die Nervion oder die Undine — oder beide — mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln aufgehalten werden würden. War der Stützpunkt einmal offiziell an Muljadi übergeben, und hatte der Franzose eine schriftliche Einverständniserklärung von Pastor in Händen, der schließlich hier der Repräsentant seines Königs ist, dann hätten wir oder sonst jemand nichts weiter tun können. Zweifellos hatte Le Chaumareys außerdem Befehl, im Namen Frankreichs die Souveränität Muljadis anzuerkennen und ihn um jeden Preis als Verbündeten Frankreichs zu gewinnen. «Er blickte zum Strand hinüber, wo die Matrosen zwei Boote löschten.»Aber wir sind durchgekommen, Thomas. Zu spät allerdings für Pastor, der auf der Argus zu Muljadi gefahren ist, um zu Gunsten seiner Leute mit ihm zu verhandeln. Er tut mir leid, wenn ich auch seinen Mut bewundere.»
Herrick nickte langsam, seine Augen umwölkten sich.
«Und als Pastor weg war«, fuhr Bolitho fort,»begann der letzte Angriff. Kein Befehlshaber, sehr wenige Verteidiger… Tote reden nicht viel.»
Herrick dachte daran, wie sie morgens ganz langsam in die Bucht eingelaufen waren, wie der Dunst bei dem Kanonenschuß vom Wasser hochgewirbelt war. Kein Wunder, daß die zerlumpten Verteidiger nicht mehr imstande gewesen waren, sie durch Winken oder Rufen zu begrüßen. Die Undine mußte ihnen wie eine Erscheinung vorgekommen sein.
Bolitho sprach weiter:»Don Puigserver ist unser einziger Trumpf. Er kann im Namen seines Königs handeln und Conway beweisen, daß Spanien ihm vertraut.»
«Wie hat er denn auf all das reagiert?»
Bolitho dachte an das Gesicht des Spaniers bei Vegas' Bericht: voll Schrecken, Scham und schließlich Wut. Was aber Conway von der Situation hielt, war nicht zu erkennen gewesen. Er hatte wenig gesagt, war nicht einmal auf Raymond eingegangen, als dieser anfing, sich darüber auszulassen, was das Parlament wohl sanktionieren würde und was nicht. Eines war sicher: die Angelegenheit mußte in engen Grenzen gehalten werden. Truppenverstärkungen konnten sie sich nicht erhoffen; es durfte überhaupt nicht offiziell zur Kenntnis genommen werden, daß hier oder anderswo ein Machtwechsel stattfand. Wie Raymond mehr als einmal versicherte, hatten die Holländer viel zuviel damit zu tun, ihre Kriegsverluste zu kompensieren, als daß sie sich in ihrem Einflußgebiet einen neuen Konflikt leisten konnten. Wenn Frankreich andererseits mehr Seekräfte in diese Gewässer warf, dann mochte Spanien seine Ansichten über die bisher noch unerprobte Allianz mit England ändern. Unter Umständen konnte es wieder Krieg geben.
Erst als sich Bolitho anschickte, wieder an Bord zu gehen, hatte der Konteradmiral ihn in eine Ecke gezogen.
Leise hatte er gesagt:»Politik, Handelsprivilegien, Expansion kolonialer Macht — das sind Punkte, über die man verschiedener Ansicht sein kann. Nur eines ist mir vollkommen klar und sollte auch Ihnen klar sein, Bolitho. «Er blickte ihn starr an, um eine Reaktion zu erkennen, bevor er weitersprach:»Jedes Rätsel hat eine Lösung. Dieses hier hat sogar zwei, nämlich die Undine und die Argus. Vielleicht versuchen die Regierungen später, hier mehr Kräfte einzusetzen; aber dann ist es zu spät für uns. Wenn die Undine verlorengeht, sind auch wir verloren. Seien Sie sicher, daß Le Chaumareys das ganz genau weiß!«Bolitho wollte etwas fragen, aber Conway redete schon weiter:»Er ist ein sehr fähiger Seeoffizier, geben Sie sich da keinen Täuschungen hin. Unsere Geschwader hatten im Krieg alle Ursache, ihn in die tiefste Hölle zu wünschen. Frankreich hat Muljadi seinen besten Mann geliehen; ich hoffe nur, England hat dasselbe für mich getan!»
Bolitho hatte wohl manches von dem, was ihm im Kopf herumging, laut ausgesprochen, denn Herrick rief erschrocken:»Aber wir haben doch keinen Krieg mehr, Sir! Kein Franzose wird den Degen ziehen, eben aus Angst, es könnte wieder Krieg geben!»
Bolitho blickte Herrick an, froh, daß er da war.»Le Chaumareys hat bestimmt einen Kaperbrief. Er ist alles andere als ein Narr. Wenn er seine vierundvierzig Kanonen ausrennt, dann wird Muljadis Flagge an seinem Großtopp wehen, nicht das Lilienbanner Frankreichs!«Er stand auf und ging ziellos in der Kajüte hin und her.»Aber jedes Geschütz wird eine erfahrene Mannschaft bedienen, die Besten der französischen Flotte. Wir dagegen…«Er wandte sich ab; plötzlich war sein Gesicht wieder wie ausgelaugt.»Aber genug davon. Seeschlachten werden nicht durch Tagträume gewonnen.»
Herrick nickte.»Und was tun wir jetzt, Sir?»
Bolitho fuhr in sein Hemd, das gleiche fleckige wie vorher.»Wir werden Anker lichten, sobald es die Tide erlaubt. Wenn Muljadi Schiffe in diesen Gewässern hat, müssen wir Berührung mit ihnen suchen. Wir müssen ihm zeigen, daß wir zu Ende zu führen gedenken, was wir begonnen haben.»
Ein Hornsignal tönte melancholisch über das glitzernde Wasser, und Bolitho zog Herrick zum Heckfenster. Über dem Fort wehte Conways neue Flagge; die wenigen Marineinfanteristen am Flaggenmast sahen aus wie kleine rote Insekten.»Sehen Sie, Thomas, eine Rückzugsmöglichkeit gibt es nicht. Weder für Conway noch für uns.»
Voller Zweifel beobachtete Herrick das kleine militärische Schauspiel.»Es wäre sicherlich besser, die Bedford abzuwarten, Sir. Mit mehr Truppen und Geschützen hätten wir eine bessere Chance.»
«Genau das wird auch Le Chaumareys denken. «Er lächelte und sah dabei plötzlich ganz jung aus.»Ich hoffe es jedenfalls.»
Herrick tastete nach seinem Hut und war froh, daß er etwas zu tun hatte, das die Spannung überbrückte, die Bolithos Ausführungen bewirkt hatten.»Werden wir Bellairs und seine Seesoldaten an Land lassen?«fragte er.
«Zur Hälfte. Es gibt eine Menge zu tun. Überall liegen unbestattete Leichen; die ganze Gegend ist ein Seuchenherd. Die Verteidigungsanlagen sind stark, aber sie brauchen gute Wachen und Patrouillen. Auch die Rosalind wird hierbleiben, unter dem Schutz der Festungsartillerie — viel taugt sie allerdings nicht. Ich glaube, der Kapitän würde am liebsten so schnell wie möglich absegeln, aber mit Conway wird er so leicht nicht fertig.»
Herrick ging zur Tür.»Das habe ich mir aber ganz anders vorgestellt, Sir.»
«Ich auch. Doch ob es uns nun paßt oder nicht, wir müssen unsere Pflicht tun. Wenn wir mit Muljadi und seiner Drohung fertig werden wollen, dann muß er als gemeiner Seeräuber behandelt werden. «Er wischte mit der Hand über die Tischplatte.»Ganz egal, ob er die Argus als Verbündeten hat oder nicht!»
Herrick eilte hinaus, seine Gedanken überstürzten sich. In der Offiziersmesse stieß er auf Mudge, der düster auf einen Teller Salzfleisch starrte.»Segeln wir wieder los, Mr. Herrick?»
Der mußte lächeln. In einem kleinen Schiff wurden aus Gerüchten sehr rasch Tatsachen.»Ja, Mr. Mudge. Die Argus treibt sich hier herum. Als Kaperschiff, nicht offen im Namen Frankreichs.»
Unbeeindruckt gähnte Mudge.»Nichts Neues. Wir haben früher dasselbe für die East India Company gemacht. Wenn so ein Rajah nicht recht weiß, wie er sich verhalten soll, dann sind ein paar schußbereite Rohre ein ganz gutes Argument, mit dem man ein bißchen nachhelfen kann.»
Seufzend blickte Herrick ihn an.»Also werden die Froschfresser einen bewaffneten Aufstand unterstützen, wir dagegen werden den Schutz der Handelswege übernehmen. Aber was ist mit den Menschen, die dazwischengeraten, Mr. Mudge?»
Mit Widerwillen stieß der Steuermann seinen Teller weg.»Die sind noch nie gefragt worden. «Weiter sagte er nichts.