III Gemischte Gesellschaft

Am Morgen des vierzehnten Tages saß Bolitho in seiner Kajüte vor einem Becher Kaffee und grübelte zum soundsovielten Male darüber nach, was er bisher erreicht hatte.

Am Vorabend hatten sie den runden Buckel der Insel Teneriffa gesichtet, der sich wie eine Wolkenbank am Horizont abzeichnete. Er hatte sich entschlossen, beizudrehen. In der Nacht die Küste anzulaufen, war ein Risiko, das er lieber vermeiden wollte. Vierzehn Tage — sie kamen ihm wie eine Ewigkeit vor. Die meiste Zeit hatten sie sich mit schlechtem Wetter herumschlagen müssen. Er blätterte in seinem privaten Logbuch und überflog die vielen deprimierenden Eintragungen: Gegenwind; gelegentlich starker Sturm; ständig mußten Segel gekürzt oder gerefft werden, mußten sie Stürme abreiten. Nur die gefürchtete Biskaya hatte sich ihnen freundlich erwiesen, und das war wenigstens ein Trost. Andernfalls wäre fast die halbe Mannschaft zu seekrank gewesen, um aufzuentern; und von den Gesunden hätte die Hälfte zu viel Angst gehabt, um auf den wie betrunken schwankenden Rahen herumzuturnen, wenn die Deckoffiziere und Maaten nicht hart dazwischenschlugen — nein, bei schlechtem Wetter wäre die Undine nicht über die Biskaya hinausgekommen.

Bolitho hatte durchaus Verständnis dafür, wie dem Großteil der Mannschaft zumute war. Der heulende Wind, die Enge im knarrenden, rollenden Rumpf, wo sie ihr Essen (wenn sie überhaupt etwas herunterwürgen konnten) ein paar Minuten später in die Bilge erbrachen. Diese Verhältnisse bewirkten eine Art Erstarrung wie bei einem Mann, der unbemerkt über Bord gefallen ist. Eine Zeitlang schwimmt er tapfer, aber ohne zu wissen, wohin; dann ist er so erschöpft und verwirrt, daß ihm alles gleichgültig wird — das ist der Punkt, an dem sich sein Schicksal entscheidet.

Bolitho erkannte alle diese Zeichen wieder und wußte, daß sie für ihn eine ähnliche Herausforderung bedeuteten: gab er seinem Verständnis, seinem Mitgefühl nach, hörte er sich von seinen überlasteten Leutnants und Deckoffizieren zu viele Entschuldigungen an, würde er das Schiff nie in den Griff bekommen, nie seine Leute in Schwung bringen, wenn es wirklich hart auf hart ging. Er wußte, daß viele ihn heimlich verfluchten und beteten, der Schlag möge ihn treffen oder er möge nachts über Bord fallen. Er sah ihre finsteren Blicke, spürte ihren Widerstand, wenn er an ihnen vorbeiging, zu jeder Stunde des Tages. Segeldrill immer wieder und wieder, stets nach Herricks Uhr gestoppt; und mit voller Absicht ließ er alle Beteiligten merken, daß er genau beobachtete, ob sie sich auch wirklich Mühe gaben. Er ließ die Mannschaften der drei Masten beim Segelsetzen oder Reffen miteinander in Wettbewerb treten, bis sie schließlich mit äußerster Anstrengung arbeiteten — nicht in sportlichem Geist, sondern in keuchender Wut und unter lautlosen Flüchen.

Jetzt, über seinem Becher Kaffee, empfand er widerwillige Befriedigung über das, was sie gemeinsam geleistet hatten, sei es aus freiem Willen oder unter hartem Zwang. Wenn die Undine an diesem Tag in Santa Cruz vor Anker ging, würden die kritischen Spanier eine Demonstration disziplinierter Seemannschaft zu sehen bekommen — der gleichen, die sie in Kriegszeiten kennen und fürchten gelernt hatten.

So wie er seine Mannschaft bis an die Grenze ihrer Kräfte getrieben hatte, hatte er auch sich selbst nicht geschont. Und das spürte er trotz der einladenden Strahlen der Morgensonne, die über die Decksaufbauten spielte. Fast bei jeder Wache, ob Tag oder Nacht, war er eine Zeitlang an Deck gewesen und hatte sich um den Dienst gekümmert. Leutnant Davy besaß wenig Erfahrung in der Schiffsführung bei widrigem Wetter; aber mit der Zeit würde er es schon lernen. Soames verlor zu leicht die Geduld, wenn etwas nicht gleich klappte. Dann schubste er den unglücklichen Matrosen beiseite, brüllte:»Ihr habt ja keine Ahnung! Lieber mach' ich es selbst!«und riß ihm die Arbeit aus den Händen. Nur Herrick war imstande, den Sturm der endlosen Forderungen Bolithos abzuwettern; und diesem tat es leid, daß ausgerechnet sein Freund die Hauptlast zu tragen hatte. Es war leicht, einen Matrosen zu bestrafen, wenn in Wirklichkeit der Offizier den Kopf verloren oder in einer scharfen Brise nicht das richtige Wort gefunden hatte. Herrick stand wie ein Fels zwischen Offiziersmesse und Logis, zwischen Kapitän und Mannschaft.

Zweimal mußte sogar Prügelstrafe verhängt werden — Bolitho hatte gehofft, dergleichen vermeiden zu können. Beide Fälle hatten ihre Ursache im privaten Bereich des Mannschaftslogis. Beim erstenmal hatte sich ein Dieb an den geringen Ersparnissen eines Matrosen vergriffen. Der zweite Fall war weit ernster: eine wilde Messerstecherei, bei der einem Mann das Gesicht vom Ohr bis zum Kinn aufgeschlitzt worden war. Bolitho wußte nicht einmal, ob es sich um eine wirkliche Feindschaft handelte oder ob bei der allgemeinen Gereiztheit nur ein rascher Funken Mißmut den Brand entzündet hatte. In einem Schiff mit gutem Ausbildungsstand hätte er in beiden Fällen kaum von der Sache gehört. Dann hätte nämlich die Justiz des Mannschaftslogis wesentlich drastischer und rascher funktioniert, wenn ihre private Welt von einem Dieb oder Messerstecher bedroht wurde. Bolitho verabscheute Kapitäne, die ihre Disziplinargewalt gebrauchten, ohne zu bedenken, wie sie einen Menschen zerbrechen konnte; die brutale körperliche Strafen verhängten, ohne dem Übel an die Wurzel zu gehen und so Bestrafungen zu vermeiden, Herrick wußte, wie Bolitho darüber dachte. Als sie sich kennenlernten, war Herrick der jüngste Leutnant auf dem Schiff gewesen, dessen vorheriger Kapitän so streng, so gedankenlos brutal gestraft hatte, daß der Boden für eine Meuterei aufs Beste bereitet war. Herrick wußte in solchen Dingen besser Bescheid als die meisten Offiziere, und doch hatte er es auf sich genommen, persönlich bei Bolitho gegen den Vollzug der Prügelstrafe zu intervenieren. Das war ihre erste wirkliche Meinungsverschiedenheit; und Bolitho hatte mit großem Bedauern an Herricks Augen gesehen, wie sehr diesen die Ablehnung verletzte.

«Wir haben eine neue Mannschaft«, hatte Bolitho gesagt.»Es braucht seine Zeit, die Leute so zusammenzuschweißen, daß sich jeder einzelne unter allen Umständen auf seine Kameraden verlassen kann. Viele haben überhaupt keine Ahnung, was bei der Marine gefordert wird. Es empört sie, wenn sie sehen, daß andere straflos ausgehen für Verstöße, die sie selber sorgsam meiden. In diesem Stadium können wir nicht zulassen, daß sich die Männer in Fraktionen spalten: seebefahrene alte Leute gegen neue Rekruten; Gewohnheitsverbrecher gegen Schwache, die sich nur dadurch schützen können, daß sie sich einer anderen Clique anschließen.»

Aber Herrick wollte nicht nachgeben.»In Friedenszeiten, Sir, dauert es eben etwas länger.»

«Das abzuwarten, wäre ein Luxus, den wir uns nicht leisten können. «Absichtlich schlug Bolitho einen härteren Ton an.»Sie wissen genau, wie ich darüber denke. Auch mir fällt das nicht leicht!»

Der Dieb hatte keinen Laut von sich gegeben, als er seine Strafe erlitt, ein Dutzend Peitschenhiebe. Friedlich segelte die Undine unter blauem Himmel dahin, und die Schatten einiger Möwen kreisten unablässig über dem grimmigen Schauspiel, das an Deck ablief. Beim Verlesen der betreffenden Kriegsartikel hatte Bolitho seine Mannschaft beobachtet: die gaffenden Männer in der Takelage; die schnurgeraden roten Reihen der Marineinfanteristen unter Hauptmann Bellairs; auch Herrick und die anderen Offiziere.

Der zweite Delinquent, Sullivan hieß er, war ein Vieh von einem Kerl. Er hatte sich in Portsmouth freiwillig beim Rekrutierungskommando gemeldet und machte durchaus den

Eindruck eines Gewohnheitsverbrechers. Aber er hatte schon einmal auf einem Kriegsschiff gedient und wurde daher als willkommener Zuwachs angesehen. Er bekam drei Dutzend Peitschenhiebe, nach dem Maßstab der Kriegsmarine wenig genug für jemanden, der einen Schiffskameraden halb umgebracht hatte. Wenn er sich an einem Offizier vergriffen hätte, wäre er wahrscheinlich nicht ausgepeitscht, sondern gehängt worden.

Auch das Auspeitschen war furchtbar. Beim ersten Hieb auf seinen nackten Rücken brach Sullivan völlig zusammen, und bei den weiteren Hieben, welche ihm zwei Maaten abwechselnd über Schultern und Rücken zogen, wand und krümmte er sich unter irrem Gebrüll. Er hatte Schaum vorm Mund; die Augen quollen ihm wie Glaskugeln aus dem verzerrten Gesicht.

Midshipman Armitage fiel beinahe in Ohnmacht; und manche, die eben mit ihrer Seekrankheit fertig geworden waren, fingen gleichzeitig an, sich zu übergeben. Das grobe Fluchen der Deckoffiziere und Maaten nützte gar nichts. Dann war es vorbei, und als» Wegtreten «befohlen wurde, ging es wie ein Seufzer der Erleichterung durch die Männer. Sullivan wurde losgebunden und zu Whitmarsh ins Lazarett geschafft, wo er ohne Zweifel zunächst eine doppelte Ration Rum bekam.

In den Tagen nach dem Strafvollzug fühlte Bolitho, wenn er auf dem Achterdeck patrouillierte oder Schiffsmanöver beobachtete, ständig die Blicke der Männer in seinem Rücken. Vielleicht sahen sie in ihm eher einen Feind als ihren Kapitän. Oft genug hatte er sich gesagt: wenn man die Ehre eines Kommandos will, muß man auch alles andere, was damit zusammenhängt, akzeptieren. Nicht nur die Autorität und das stolze Gefühl, über ein lebendiges Schiff zu herrschen, sondern auch die Stöße und Püffe.

Es klopfte, und Herrick trat in die Kajüte.»Noch eine Stunde, bis wir unter Land sind, Sir. Mit Ihrer Erlaubnis werde ich alles außer Marssegel und Klüver reffen lassen. Dann kommen wir leichter herein.»

«Trinken Sie einen Kaffee mit, Thomas!«Bolitho entspannte sich, als Herrick Platz nahm.»Ich frage mich, wie es mit uns weitergeht.»

Herrick nahm den Becher entgegen und probierte vorsichtig.»Ich auch. «Er lächelte über den Becherrand hinweg.»Ein- oder zweimal dachte ich, wir würden überhaupt nicht mehr Land zu sehen kriegen.»

«Ja. Ich kann verstehen, wie manchen Leuten an Bord zumute ist. Viele haben die See überhaupt noch nicht gesehen, und schon gar nicht sind sie je so weit von England weg gewesen. Und auf einmal haben sie Afrika gleich backbords vor dem Bug. Anschließend segeln wir auf die andere Seite der Erde. Aber manche fangen wahrhaftig schon an, sich als Seeleute zu fühlen, obwohl sie vor vierzehn Tagen noch zwei linke Hände mit lauter Daumen hatten.»

Herrick lächelte noch breiter.»Das ist Ihr Verdienst, Sir. Manchmal bin ich dem Schicksal sehr dankbar, daß ich nicht Kapitän bin und keine Aussicht habe, einer zu werden.»

Bolitho betrachtete ihn nachdenklich. Der Riß war also verheilt.»Ich fürchte, die Entscheidung darüber liegt nicht bei Ihnen, Thomas. «Er stand auf.»Jedenfalls werde ich dafür sorgen, daß Sie ein eigenes Schiff kriegen, sobald sich Gelegenheit ergibt, und sei es auch nur, damit etwas von Ihrem wilden Idealismus in die Bilge geht.»

Sie grinsten einander an wie Verschworene.

«Jetzt hauen Sie ab, damit ich mir einen besseren Rock anziehen kann. «Er verzog das Gesicht.»Wir müssen unseren spanischen Freunden doch Respekt erweisen, wie?»

Eine gute Stunde später näherte sich die Undine, höchst eindrucksvoll über ihrem Spiegelbild schwebend, majestätisch langsam der Reede von Santa Cruz. In der hellen Sonne schien die Insel Teneriffa von lauter Farbe überzufließen. Starr vor Staunen blickten die Männer hinüber, und Bolitho hörte manchen Matrosen tief und ehrfürchtig aufseufzen. Die Berge lagen nicht mehr im Schatten; es war, als ob sie, von tausend Nuancen und Schattierungen überspielt, in der gleißenden Luft tanzten. Alles schien heller und größer als zu Hause; wenigstens kam es den unbefahrenen Männern so vor. Schimmernd weiße Häuser, blitzend blaue See mit brandungsumsäumten Stranden — manchem Mann verschlug es bei diesem Anblick Atem und Sprache.

Allday stand achtern an der Kampanje und murmelte:»Der eine oder andere von den Dons würde uns liebend gern eine Salve verpassen, wie wir da so schön langsam reinkommen. Darauf möcht' ich wetten.»

Bolithos Blicke überflogen noch einmal sein Schiff; er versuchte, es so zu sehen, wie man es von Land aus mustern würde. Die Undine sah höchst elegant aus, nichts deutete auf die anstrengende Arbeit hin, die nötig gewesen war, um sie so in Form zu bringen. Der schönste Wimpel flatterte von der Gaffel; sein Rot paßte genau zu den Scharlachröcken der Marineinfanteristen, die soeben auf dem Achterdeck antraten. Am Steuerborddecksgang hielt Tapril, der Stückmeister, eine letzte eilige Besprechung mit seinen Maaten ab, zur Vorbereitung des Saluts für die spanische Flagge, die stolz über der Batterie des Vorgebirges flatterte.

Der alte Mudge stand neben dem Ruder, die Hände tief in den Taschen seines Wachmantels, den er anscheinend bei jedem Wetter trug. In den weiträumigen Taschen hatte er stets eine Unmenge von Instrumenten und privaten Kleinigkeiten. Vielleicht, dachte Bolitho, hatte er früher einmal, als er eilig an Deck mußte, die Hälfte von all dem Zeug in seiner Kabine lassen müssen, und seitdem hatte er seine Taschen nicht mehr geleert. Er knurrte die Rudergasten an; sie drehten das Rad um ein paar Speichen, worauf sich das Großmarssegel füllte, aber gleich wieder schlaff wurde, weil das Schiff langsam in Lee des Landes geriet.

Herrick richtete das Teleskop auf die Küste und meldete dann:»Wir runden das Kap, Sir.«»Ausgezeichnet. «Bolitho gab Tapril einen Wink.»Salut schießen!»

Und während die britische Fregatte langsam auf die Reede zuhielt, erzitterte die frische Morgenluft unter dem regelmäßigen Krachen der Kanonen. Geschütz um Geschütz antworteten die Spanier. Fast bewegungslos hing der Rauch über dem flacher werdenden Wasser.

Bolitho preßte hinter seinem Rücken die Hände zusammen und spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Unter dem schweren Uniformrock klebte das frische Hemd wie ein nasser Lappen am Körper.

Ein seltsames Gefühl, so unbewegt dazustehen, während das Schiff langsam an der Sperrmauer entlangglitt — wie ein Traum oder ein Zaubertrick. Jeden Moment, glaubte er, müsse sein Achterkastell unter einer Kanonenkugel bersten oder ein Treffer in die angetretenen Seesoldaten schlagen und blutiges Hackfleisch aus ihnen machen.

Der letzte Schuß dröhnte in seinen Ohren, und als der dichte Pulverrauch sich vom Deck hob, sah er eine andere Fregatte am Kopf der Mole vor Anker liegen: ein spanisches Schiff und größer als die Undine; bunt standen seine Fahnen und Wimpel vor der grünen Küste. Der Kommandant dieser Fregatte erinnerte sich bestimmt ebenfalls an frühere Zeiten, dachte Bolitho und blickte zum Wimpel im Großtopp empor, der lustlos in der leichten Brise flappte. Jetzt war es bald soweit: neue Befehle würden ein weiteres Stück in dem großen Puzzlespiel ergänzen.

Mudge schnaubte sich kräftig die riesige Nase wie jedesmal, wenn er im Begriff war, ein Segelmanöver einzuleiten.

«Alles klar, Sir.»

«Gut. An die Brassen! Klar zum Halsen!»

Mr. Mudge gab den Befehl weiter; die nackten Füße der Matrosen platschten im Takt über die frischgescheuerten Decksplanken, und Bolitho atmete erleichtert aus, als jeder Mann ohne Zwischenfälle seine Station erreicht hatte.

«Fier auf Marssegelschoten!»

Die Flagge über der Küstenbatterie dippte kurz im blendenden Sonnenlicht und stieg dann wieder hoch. Ein paar kleine Boote legten von Land ab, die meisten mit Früchten und anderen Handelswaren beladen. Triphook, der Zahlmeister, würde viel zu tun bekommen, denn fast der gesamte Brotvorrat war im ersten Sturm verdorben, und was sie noch an frischem Obst hatten, war der reine Abfall gegen das, was die Boote da heranbrachten.

«Gei auf Marssegel!»

Ein Bootsmannsmaat schüttelte die Faust und brüllte zu einem der Männer auf der Vormarsrah hinauf:

«Schafskopf, ungeschickter! Halt' dich gefälligst mit einer Hand fest, sonst siehst du deine Alte nie wieder!»

Bolitho verfolgte genau, wie der Streifen Wasser zwischen Schiff und Land immer schmaler wurde. Die Sonne blendete; er mußte die Augen zukneifen.

«Ruder in Lee!»

Gespannt wartete er, bis die Undine unter heftigem Killen der noch stehenden Segel würdevoll herumschwang.»Fallen Anker!»

Ein Ruf vom Vorschiff, und mit mächtigem Platschen verschwand der Anker unter der goldenen Gallionsfigur. Herrick wartete, bis der letzte Streifen Leinwand wie weggezaubert an den Rahen verschwunden war, und sagte dann:»Gar nicht so schlecht, Sir, finde ich.»

Bolitho sah ihn todernst an — nur mit Mühe konnte er ein Lächeln unterdrücken.»Gar nicht so verdammt schlecht, Mr. Herrick.»

Der grinste.»Sie werden die Gig nicht brauchen, Sir. Ein Boot hält schon auf uns zu — und was für eins!»

Allday trat heran und reichte Bolitho seinen Degen. Stirnrunzelnd murmelte er, anscheinend tief bekümmert:»Nicht die Gig, Captain?»

Bolitho hob die Arme, damit Allday ihm das Degengehänge umschnallen konnte.»Diesmal nicht, Allday. «Schlimm, wie sowohl Herrick als auch Allday jede seiner Bewegungen beobachteten.

Die Marineinfanteristen traten unter Scharren und Stampfen am Fallreep an. Sergeant Coakers breites Gesicht glänzte unter seinem schwarzen Tschako wie eine mächtige, taufeuchte Frucht.

Bolitho wandte sich der näher kommenden Barkasse zu, einem großartigen Fahrzeug mit vergoldeter und von einem Baldachin überdachter Achterplicht. Dagegen hätte sich Alldays Gig wie ein armseliges Falmouther Hafenboot ausgenommen. Ein reichbetreßter Offizier stand aufrecht im Boot, eine Schriftrolle unterm Arm, und musterte die ankernde Fregatte. Die üblichen Willkommensworte. Die Einleitung zu dem, was jetzt kam.

«Sie bleiben an Bord, Mr. Herrick«, sagte Bolitho bestimmt.»Mr. Davy wird mich an Land begleiten. «Er ignorierte Herricks offensichtliche Enttäuschung.»Passen Sie gut auf und sorgen Sie dafür, daß unsere Leute jederzeit zu allem bereit sind.»

Herrick faßte an den Hut.»Aye, aye, Sir«, sagte er und eilte davon, um Davy von seinem Glück Mitteilung zu machen.

Bolitho lächelte nachdenklich. Bei den vielen Küstenbooten und sonstigen Versuchungen würde Herrick sein ganzes Können aufbieten müssen, damit das Schiff nicht von Händlern und anderen, weniger respektablen Besuchern überschwemmt wurde.

Er hörte He rrick sagen:»Also Sie werden den Captain an Land begleiten, Mr. Davy.»

Davy zögerte, er wog wohl die Gunst des Augenblicks und Herricks Stimmung gegeneinander ab. Schließlich meinte er möglichst beiläufig:»Eine kluge Wahl, Mr. Herrick, wenn ich so sagen darf.»

«Na ja — an Bord würden Sie ja auch verdammt wenig nützen, nicht wahr?«blaffte Herrick, und Bolitho wandte sich ab, um sein Lächeln zu verbergen. Dann intonierten die vier

Trommelbuben auf ihren Pfeifen das alte Flottenlied:»Herzen stark wie Eiche…«, Bellairs schwitzende Seesoldaten präsentierten ihre Musketen, und Bolitho trat herzu, um seinen Besucher zu begrüßen.

Die Residenz des Gouverneurs lag sehr schön an einer sanft ansteigenden Straße oberhalb des Hafens. Auf der Fahrt im Boot und nachher in der Equipage war Bolitho erleichtert, daß seine Eskorte, ein Major der Artillerie, sehr schlecht englisch sprach, so daß er sich, wenn sie an etwas Auffälligem vorbeifuhren, mit kurzen, bewundernden Ausrufen begnügen konnte. Offensichtlich war alles sorgfältig geplant; gleich nachdem man am vorigen Abend die Royals der Undine gesichtet hatte, mußten die Dinge in Bewegung gekommen sein.

Die Unterredung mit dem Gouverneur selbst war so kurz, daß Bolitho sich später kaum noch an ihn erinnerte: ein bärtiger, höflicher Mann, der ihm die Hand schüttelte, die Grüße des Königs entgegennahm, sich dann zurückzog und es seinem Adjutanten überließ, die beiden britischen Offiziere in den Nebenraum zu geleiten. Davy, der in solchen Dingen wahrhaftig nicht leicht zu beeindrucken war, flüsterte:»Bei Gott, Sir, diese Dons wissen zu leben. Kein Wunder, daß die Goldtransporter aus Südamerika hier Station machen. Ein guter Markt für sie, möchte ich meinen.»

Der Raum, in den man sie geführt hatte, war in der Tat großartig: langgestreckt, kühl, mit gekacheltem Fußboden und einer Kollektion reichgeschnitzter Möbel und schöner Teppiche. In der Mitte stand ein mächtiger Tisch aus Marmor. Sieben Geschützbedienungen, dachte Bolitho, würden Mühe haben, ihn von der Stelle zu bringen.

Ungefähr ein Dutzend Personen umstanden diesen Tisch — in vorher festgelegter Ordnung, wie es ihm vorkam, so daß er ohne Zeitverlust unterscheiden konnte, wer hier etwas zu sagen hatte und wer nicht.

Der Mann, den er für James Raymond hielt, trat vor und erklärte:»Ich bin Raymond, Captain. Wir hatten Sie eigentlich etwas eher erwartet. «Er sprach schnell und abgehackt — der Zeitersparnis wegen oder aus innerer Unsicherheit? Schwer zu sagen. Raymond stand in der ersten Hälfte der Dreißig, war elegant gekleidet und wäre ein gutaussehender Mann gewesen, wenn ihn nicht sein ständiges gereiztes Stirnrunzeln entstellt hätte.

Er fuhr fort:»Und hier ist Don Luis Puigserver, persönlicher Beauftragter Seiner Katholischen Majestät, des Königs von Spanien.»

Puigserver war kräftig gebaut, sein Teint wirkte wie brauner Zwieback, und die buschigen schwarzen Augenbrauen beherrschten das ganze Gesicht. Trotz seiner harten Augen besaß er einen gewissen männlichen Charme. Er trat vor und ergriff Bolithos Hand.

«Es ist mir ein Vergnügen, Capitan. Sie haben ein schönes Schiff. «Mit einer Geste zu einem großen schlanken Mann am Fenster fuhr er fort: «Capitan Alfonso Triarte, Kommandant der Nervion, war sehr erfreut zu sehen, wie gut es manövriert.»

Bolitho sah sich den Mann an. Schon bei Jahren — das mußte er auch sein, wenn er die große Fregatte kommandierte, die draußen an der Mole lag. Er erwiderte Bolithos abschätzende Blicke ohne sonderliche Freude. Sie sahen sich an wie zwei Hunde, die vielleicht einmal zu oft miteinander gerauft hatten.

Bolitho vergaß Triarte sofort, als Puigserver in beiläufigem Ton weitersprach:»Ich will mich kurz fassen. Sie werden bald auf Ihr Schiff zurückkehren wollen, um alle Vorbereitungen zur Abreise nach unserem Ziel zu treffen.»

Bolitho sah ihn überrascht an. Puigserver hatte entschieden etwas Gewinnendes: breit gebaut, die Beine in den feinen Seidenstrümpfen außerordentlich muskulös, fester, kraftvoller Händedruck — ein selbstsicherer und vertrauenerweckender Mann. Kein Wunder, daß der Gouverneur es vermieden hatte, ihn warten zu lassen. Zweifellos war Puigserver eine Respektsperson.

Jetzt schnippte er mit seinen spatelförmigen Fingern, und sofort stürzte ein nervöser Adjutant herzu, um Bolitho Hut und Degen abzunehmen. Ein zweiter winkte einige Bediente herbei, und zwei Minuten später saßen alle um den altarähnlichen Tisch; vor jedem stand ein prachtvoller Kelch.

Nur Puigserver war stehengeblieben. Mit völlig unbewegter Miene überwachte er die Diener, die funkelnden Wein einschenkten. Doch als Bolitho zufällig den Blick senkte, sah er, daß Puigserver ungeduldig mit der Fußspitze wippte.

Dann erhob er sein Glas:»Meine Herren — auf unsere Freundschaft. «Sie standen auf und tranken. Der Wein war ausgezeichnet; Bolitho mußte an sein unsicheres Herumsuchen in jenem Laden in der St. James' Street denken. Puigserver fuhr fort:»Der Krieg hat wenig erbracht außer der Erkenntnis, daß weiteres Blutvergießen vermieden werden muß. Ich will Ihre Zeit nicht mit leeren Versprechungen in Anspruch nehmen, die ich doch nicht einhalten kann; ich kann nur hoffen, daß wir in Zukunft unseren jeweiligen Interessen in Frieden nachgehen werden.»

Bolitho warf einen raschen Blick auf die anderen. Raymond lehnte sich in seinem Stuhl zurück und versuchte, gelassen auszusehen, aber in Wirklichkeit war er gespannt wie eine Stahlfeder. Der spanische Kapitän blickte über sein Glas hinweg in irgendwelche Fernen. Die Mehrzahl der anderen hatte den leeren Gesichtsausdruck von Menschen, die so tun, als ob sie alles verstehen, aber in Wirklichkeit keine Ahnung haben. Wahrscheinlich, dachte Bolitho, verstanden sie von zehn Worten nur eins.

Davy saß an der anderen Seite der Tafel. Seine klargeschnittenen Züge glänzten vor Schweiß, und er bemühte sich, ein streng dienstliches Gesicht zu machen.

Im Grunde zählten nur sie drei: Don Luis Puigserver, Raymond und Bolitho selbst. Der erstere sagte:»Spanien hat Menorca mit Dank wieder in Empfang genommen, ebenso gewisse andere Inseln — Konzessionen, welche sich aus diesem unglückseligen Kriege ergaben. «Eine Sekunde lang hafteten seine Augen an Bolitho; dunkle, fast schwarze Augen, wie spanische Oliven.»Als Gegenleistung hat sich Seine Katholische Majestät veranlaßt gesehen, dieser neuen gemeinsamen Unternehmung Ihren Allerhöchsten Segen zu erteilen. Die Unternehmung ist übrigens nicht ohne Risiko. «Er blickte zu Raymond hinüber.»Vielleicht sind Sie so freundlich, die Einzelheiten zu erläutern?»

Raymond machte Miene aufzustehen, blieb aber dann doch sitzen.»Wie Ihnen bekannt sein wird, Captain Bolitho«, begann er,»hat der französische Admiral Suffren mehrfach unsere Schiffe und Territorien in Ostindien sowie in Indien selbst angegriffen. Holland und Spanien — «, er zögerte, weil Capitan Triarte ein diskretes, aber vorwurfsvolles Hüsteln vernehmen ließ,»- waren Frankreichs Alliierte, hatten aber nicht die erforderlichen Geschwader und Truppen zur Verfügung, um ihre Besitzungen in diesem Gebiet zu schützen. Suffren tat es für sie. Er eroberte unseren Hafen Trincomali und gab ihn den Holländern nach dem Krieg zurück. Es gibt da noch mehrere ähnliche Fälle, doch werden Ihnen die meisten bereits bekannt sein. Nun hat Spanien im Austausch gegen gewisse andere

Vergünstigungen, die für Sie im Moment ohne Interesse sind, prinzipiell eingewilligt, eines seiner Territorien auf Borneo an England abzutreten. «Er warf Bolitho einen Blick zu, den dieser als impertinent empfand.»Und dahin segeln Sie natürlich.»

Natürlich. Es klang so einfach: Die Reise wurde eben zweioder dreitausend Meilen länger. Raymond sprach von Borneo, als handle es sich um Plymouth.

Gelassen warf Bolitho ein:»Mir ist der Sinn dieser — hm — Abmachungen nicht ganz klar.»

Puigserver mischte sich ein.»Das glaube ich Ihnen gern, Capitan.«Er warf Raymond einen kalten Blick zu.»Reden wir offen. Um bei diesem unsicheren Waffenstillstand weitere Spannungen zu vermeiden, denn genau das ist dieser Friedensschluß, müssen wir mit äußerster Vorsicht vorgehen. Die Franzosen haben trotz ihrer Anstrengungen in Indien so gut wie nichts gewonnen; und sie sind empfindlich gegen jede rasche Expansion eines anderen Staates in der Umgebung ihrer ohnehin schrumpfenden Einflußzonen. Ihr Ziel, Capitan, ist Teluk Pendang: ein ausgezeichneter Ankerplatz, eine beherrschende Position für jedes Land, das den Wunsch hat, noch weitere Stützpunkte in diesem Gebiet anzulegen. Kurz, die Brücke zu einem Weltreich.»

«Ich sehe schon, was Sie meinen, Senor«, nickte Bolitho. Aber er sah gar nichts, und er hatte auch noch nie von diesem Ort gehört.

Raymond riß das Gespräch wieder an sich.»Als im vorigen Jahr der Friede unterzeichnet war, sandte unsere Regierung die Fregatte Fortunante mit den Dokumenten dieses Abkommens nach Madras. Unterwegs stieß sie in Höhe des Kaps der Guten Hoffnung auf zwei heimkehrende Fregatten des Admirals Suffren. Diese wußten, was durchaus natürlich war, nichts von dem Friedensschluß und ließen dem Kapitän der Fortunate auch keine Zeit zu Erklärungen. Es kam zum Gefecht; die Fortunate schoß eines der französischen Schiffe so zusammen, daß es in Brand geriet und sank. Unglücklicherweise fing sie selbst ebenfalls Feuer und ging mit dem Großteil ihrer Mannschaft unter.»

Bolitho konnte sich die Szene ausmalen. Drei Schiffe auf offener See. Zwischen ihren Ländern herrschte zwar endlich Friede, aber die Kapitäne wußten nichts davon, sondern waren noch voller Kampfeseifer, wie man es ihnen beigebracht hatte.

«Wie dem auch sei«, fuhr Raymond fort,»der überlebende französische Kapitän war ein alter Haudegen namens Le Chaumareys, einer der besten Frankreichs.»

Bolitho lächelte.»Ich habe von ihm gehört.»

«Ja«, sagte Raymond nervös,»bestimmt haben Sie das. Gewisse Leute in der Regierung nehmen nun an, daß die Franzosen durch Le Chaumareys von diesem unserem Abkommen mit Spanien erfuhren. Wenn das der Fall ist, muß sich Frankreich aufs höchste beunruhigen über die Aussicht, daß wir ein weiteres jener Territorien, um die es für Spanien gekämpft hat, in Besitz nehmen wollen.»

Jetzt hatte Bolitho begriffen: darum all die vagen Andeutungen in der Admiralität, die ganze Geheimnistuerei. Kein Wunder. Wenn Frankreich Wind von Englands Absicht bekam, in Ostindien eine expansive Politik zu betreiben, dann mußte ein neuer Krieg ausbrechen. Es war, als stünde jemand mit einer brennenden Lunte in einem Pulvermagazin.»Was sollen wir also tun?«fragte Bolitho.

Raymond entgegnete:»Sie werden zusammen mit der Nervion segeln. «Er schluckte.»Sie wird das Führungsschiff sein, und Sie werden sich entsprechend verhalten. In Madras werden Sie den neuen britischen Gouverneur an Bord nehmen und ihn mit den gegebenenfalls zur Verfügung stehenden Truppen an seinen neuen Amtssitz bringen, nämlich nach Teluk Pendang. Ich begleite Sie, denn ich habe Depeschen für ihn und soll ihm, soweit es mir möglich ist, mit Rat und Tat zur Seite stehen.»

Puigserver sah ihn an wie ein guter Onkel seinen kleinen klugen Neffen.»Und ich werde an Ort und Stelle dafür sorgen, daß unsere Leute keinen Unsinn machen, wie?»

Mißmutig sprach Raymond weiter.»Die Franzosen haben eine Fregatte in diesen Gewässern, die Argus, mit 44 Geschützen. Es heißt, daß Le Chaumareys sie kommandiert. Er kennt die Sunda-Inseln und Borneo so gut, wie es einem Europäer möglich ist.»

Bolitho atmete langsam aus. Der Plan war soweit ganz gut. Die Entsendung eines britischen Geschwaders hätte früher oder später zur offenen Seeschlacht geführt; aber zwei Fregatten verschiedener Nationalität waren nicht so auffällig und würden doch der Argus mehr als gewachsen sein, sowohl prestigemäßig als auch hinsichtlich der Feuerkraft.

Langsam schritt Puigserver zu dem großen Fenster und starrte auf die vor Anker liegenden Schiffe hinunter.»Eine lange Reise, meine Herren, die aber, wie ich hoffe, uns allen zum Vorteil gereichen wird. «Er wandte sich Bolitho zu; sein Gesicht lag im Schatten.»Sind Sie seeklar?»

«Aye, Senor. Wir müssen nur noch Trinkwasser übernehmen und frisches Obst, wenn das möglich ist.»

«Wird bereits erledigt, Capitan.«Er lächelte breit.»Es tut mir leid, daß ich Ihnen nicht auf einige Zeit Gastfreundschaft erweisen kann, aber diese Insel ist sowieso ein trauriger Aufenthalt. Wenn Sie aber einmal nach Bilbao kommen sollten — «, er küßte die Fingerspitzen,»- dann kann ich Ihnen zeigen, wie man lebt. «Er lachte dem übellaunig dreinschauenden Raymond ins Gesicht.»Und ich denke, wir werden einander wesentlich besser kennen, wenn diese Reise zu Ende ist.»

Die spanischen Adjutanten verneigten sich ehrerbietig, als Puigserver zur Tür schritt.»Wir sehen uns noch, bevor wir segeln!«rief er und fügte, schon im Hinausgehen, hinzu:»Aber morgen lichten wir Anker, komme was wolle.»

Lebhafte, gedämpfte Unterhaltung setzte ein, und Raymond kam um den Tisch herum zu Bolitho.»Dieser verdammte Kerl!«flüsterte er wütend.»Noch ein Tag mit ihm, und ich hätte ihm meine Meinung gesagt!»

«Auf welchem Schiff wollen Sie segeln?«fragte Bolitho.»Meins ist ja ganz ordentlich, aber viel kleiner als der Spanier.»

Raymond drehte sich halb nach dem spanischen Kapitän um, der mit seinen Leuten außer Hörweite sprach.

«Mit dem Spanier segeln? Und wenn Ihr Schiff eine lausige Kohlenschute wäre — mir wäre es immer noch lieber als die Nervion!»

Davy flüsterte:»Ich glaube, sie erwarten, daß wir gehen.»

Raymonds Gesicht wurde noch finsterer.»Ich komme mit auf Ihr Schiff, da können wir alles besprechen. Hier kann man ja nicht einmal atmen, ohne daß einer lauscht.»

Bolitho sah seine Eskorte bereits vor der Tür warten und lächelte. Raymond mochte eine bedeutende Rolle bei dieser Mission spielen, aber Takt war jedenfalls nicht seine starke Seite.

Fast ohne ein Wort kehrten sie zur Pier zurück; aber Bolitho spürte deutlich die Spannung, unter der Raymond stand. Irgend etwas quälte ihn. Vielleicht fühlte er sich seinen dienstlichen Aufgaben nicht gewachsen?

Als die Gouverneursbarke zur Undine zurückstrebte, fühlte sich Bolitho erleichtert. Ein Schiff, das verstand er. Raymonds Welt jedoch war ihm so fremd wie der Mond.

Raymond kletterte an Bord und starrte leeren Blicks auf die angetretene Ehrenformation und die geschäftigen Matrosen, die an den Taljen und Blöcken des Ladegeschirrs arbeiteten. Fässer und allerlei Netze mit Früchten und Strohhüten gegen die Sonne wurden an Deck gehievt.

Bolitho nickte Herrick zu.»Alles wohl an Bord?«Er berührte Raymonds Arm.»Dies ist Mr. Raymond, unser Passagier. «Er fuhr herum, denn eben ertönte schrilles Frauengelächter vom Niedergang her.

«Wer hat dieses Weib an Bord gelassen? Bei Gott, Mr. Herrick, wir sind hier nicht in Portsmouth Point oder Nore!»

Dann sah er das Mädchen — klein, dunkel, rot gekleidet. Sie sprach mit Allday, dem das offensichtlich Spaß machte.

Bedrückt sagte Raymond:»Ich hatte gehofft, Ihnen das eher erklären zu können. Sie ist ein Dienstmädchen, die Zofe meiner Frau.»

Herrick versuchte, Bolithos plötzlichen Zorn zu besänftigen.»Sie ist vor etwa einer Stunde mit ihrer Herrin an Bord gekommen, Sir. Anweisung vom Gouverneur. Ich konnte nichts machen«, sagte er verkniffen.

«Ach so. Dann allerdings«, murmelte Bolitho und schritt zum Achterdeck. Sie hatten tausend Meilen in einem kleinen, vollgestopften Kriegsschiff vor sich. Raymond allein war schon schlimm genug, aber seine Frau und ihre Zofe — das war zuviel! Er sah, wie ein paar Matrosen einander grinsend anstießen. Wahrscheinlich hatten sie nur darauf gewartet, wie er reagieren würde.

Sehr gemessen sagte er:»Vielleicht würden Sie mich vorstellen, Mr. Raymond?»

Sie gingen zusammen nach achtern, und Davy wisperte:»Himmelkreuz noch mal, Mr. Herrick, das wird ja eine sehr gemischte Reisegesellschaft!»

Herrick sah ihn böse an.»Und Sie haben sich vermutlich inzwischen gut amüsiert.»

«Ein wenig Wein, ein paar hübsche Frauen…«Er kicherte.»Aber ich habe auch an Sie gedacht, Sir.»

Herrick mußte lachen.»Zur Hölle mit Ihnen! Jetzt ziehen Sie sich gefälligst Ihre Bordgarnitur an und beaufsichtigen Sie den Laden. Heute braucht man überall Augen.»

Inzwischen war Bolitho in seiner Kajüte angelangt und schaute sich verzweifelt um. Koffer überall, Kleider über Möbel und Kanonen geworfen, als wären Einbrecher an Bord gewesen. Mrs. Raymond war groß und schlank; nicht das kleinste Lächeln erhellte ihr Gesicht. Offenbar war sie wütend.

«Du hättest mit dem Auspacken noch warten sollen, Violet!«rief ihr Gatte erschrocken.»Hier ist unser Kapitän.»

Bolitho verbeugte sich kurz.»Richard Bolitho, Ma'am. Ich hatte Ihrem Gatten gegenüber eben erwähnt, daß eine Fregatte nur wenig Bequemlichkeit zu bieten hat. Aber da Sie mit uns zu segeln wünschen, werde ich selbstverständlich alles tun, was… «Er kam nicht weiter.

«Wünschen?«Ihre Stimme klang heiser vor Wut.»Bitte geben Sie sich keiner Täuschung hin, Captain! Mein Mann will nicht, daß ich auf der Nervion reise. «Sie verzog den Mund vor lauter Verachtung.»Er fürchtet um meine Ehre, wenn ich bei einem spanischen Edelmann an Bord bin!»

Bolitho bemerkte, daß sich Noddall nervös in der Speisenische herumdrückte, und blaffte ihn ärgerlich an:»Helfen Sie Mrs. Raymonds Zofe, all dieses… — «, er blickte sich hilflos um, — »dieses Geschirr zu verstauen!«Raymond ließ sich mittlerweile schwer wie ein Sterbender auf die Sitzbank fallen. Kein Wunder, daß er so mitgenommen aussah.»Und lassen Sie dem Ersten Leutnant ausrichten, daß ich ihn sprechen will!«Er sah sich in der Kajüte um und sprach seine Gedanken laut aus.»Wir müssen die Zwölfpfünder vorübergehend herausnehmen und statt dessen Attrappen montieren.»

Raymond sah stumpfen Blickes hoch.»Attrappen?»

«Hölzerne Kanonenrohre. Damit es so aussieht, als ob wir voll armiert wären.»

Herrick erschien in der Tür.»Sir?»

«Wir müssen ein paar Behelfswände errichten, Mr. Herrick, damit unsere Passagiere ein Schlafabteil erhalten. An Backbord, denke ich.»

«Nur für mich und meine Zofe, bitte«, sagte Mrs. Raymond kalt und warf einen uninteressierten Blick auf ihren Gatten.»Er kann irgendwo anders auf diesem Schiff schlafen.»

Herrick betrachtete sie aufmerksam und sagte:»Also dann schläft Mr. Raymond an Steuerbord. Aber was wird mit Ihnen,

Sir?»

Bolitho seufzte.»Ich nehme den Kartenraum. «Und mit einem Blick auf das Ehepaar:»Wir werden zusammen speisen, wenn Sie nichts dagegen haben. «Keiner von ihnen gab eine Antwort. Midshipman Keen trat an der offenen Tür von einem Fuß auf den anderen und ließ kein Auge von den beiden Frauen.»Mr. Soames läßt respektvoll melden, Sir, daß der Kapitän der Nervion an Bord kommt«, sagte er.

Bolitho fuhr herum und fluchte leise, denn er hatte sich das Schienbein an einem der schweren Koffer gestoßen. Mit zusammengebissenen Zähnen sagte er:»Ich werde mich bemühen, ihm die geziemende Gastfreundschaft zu erweisen, Mr. Herrick.»

Herrick verzog keine Miene.»Gewiß, Sir.»

Der Morgen graute bereits, als Bolitho müde in seine Koje sank. Der Kopf rauchte ihm noch von der Bewirtung des Capitan Triarte und seiner Offiziere. Später hatten sie ihn überredet, mit auf die Nervion zu kommen; und Triarte hatte es sich nicht nehmen lassen, sein geräumiges Schiff mit der beengten Undine zu vergleichen. Aber es hatte bei den Raymonds nichts genützt. Nun war wieder Ruhe an Bord, und Bolitho versuchte, sich Mrs. Raymond vorzustellen, wie sie hinter der neugezogenen Wand schlummerte. Er hatte sie in der Kajüte beobachtet, als die spanischen Offiziere an Bord waren. Hoheitsvoll, aber charmant; und aus den Gefühlen, die sie für ihren Gatten hegte, machte sie durchaus kein Hehl. Eine gefährliche Frau, wenn man sie zur Feindin hatte, dachte er.

Wie still das Schiff war. Vielleicht waren alle, wie er selbst, zu müde, um sich auch nur zu rühren. Die Geschütze der Kapitänskajüte waren mit großen Schwierigkeiten unter Deck gefiert worden. Um die richtige Trimmung wieder herzustellen, mußte Proviant und schweres Geschirr nach achtern geschafft werden. Nun wirkte die Kajüte ohne die Geschütze viel größer, aber er würde nicht viel davon haben. Er grub seinen schmerzenden Kopf ins Kissen, und das war so anstrengend, daß ihm der Schweiß ausbrach. Eins war sicher: kaum jemals hatte er so viel Ursache gehabt, eine Reise zu beschleunigen.

Bei Tageslicht war er wach und aus der Koje; es drängte ihn, seine Arbeit zu erledigen, ehe die Hitze das Denken erschwerte. Am späten Nachmittag, unter den fernen Klängen einer Militärkapelle und dem Geschrei der Menge, die sich am Ufer zusammengefunden hatte, lichtete die Undine Anker. Hinter der Nervion, deren mächtiges Vormarssegel ein prachtvolles Kreuz in Scharlach und Gold aufwies, kam sie klar von der Reede und setzte dann mehr Segel, um vor den Wind zu gehen.

Ein paar kleine Schiffe gaben ihnen das Geleit, aber die schnellen Fregatten ließen sie bald hinter sich. Als es Nacht wurde, hatten sie das Meer für sich allein, und nur die Sterne leisteten ihnen Gesellschaft.

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