9. Kapitel

Als er aus dem ungewohnten Blickwinkel des Patienten zu den Displays aufblickte und das angenehme Gefühl genoß, seine von den qualvollen Krämpfen befreiten Gliedmaßen in voller Länge ausgestreckt zu haben, gewann Conway den Eindruck, an jedes Meß- und Überwachungsgerät in der Anlage angeschlossen zu sein, das zur Verfügung stand. Er bewegte die Augen und erblickte Prilicla, der ihn von der Decke aus aufmerksam betrachtete, sowie Murchison und Naydrad, die auf der einen Seite am Bett standen und ebenfalls auf ihn heruntersahen. Zwischen ihnen befand sich ein auf einem langen, röhrenförmigen Stiel sitzendes großes Auge, das Danalta in derselben Absicht voll ausgefahren hatte.

Conway befeuchtete sich die Lippen und fragte: „Was ist denn passiert?“

„Das ist eigentlich erst die zweite Frage“, entgegnete Murchison. „Die erste lautet stets: Wo bin ich?“

„Ich weiß, wo ich bin, verdammt noch mal. Auf dem Unfalldeck der Rhabwar. Und warum bin ich immer noch an dieses Ding angeschlossen? Du kannst doch bestimmt sehen, daß die Biosensoren ein optimales Niveau aller Lebensfünktionen anzeigen. Was ich wissen will, ist, wie ich hierhergekommen bin.“

Die Pathologin atmete schwach durch die Nase aus. „Das Denken und das Gedächtnis sind offensichtlich nicht beeinträchtigt worden, und du, braust genauso leicht auf wie immer. Aber du mußt dich ausruhen. Die Wirkung des gogleskanischen Gifts ist zwar neutralisiert worden, aber trotz der Displayanzeigen bist du körperlich noch merklich erschöpft und könntest aufgrund eines schweren geistigen Traumas durchaus noch einen verspäteten Schock erleiden. Darum ist äußerste Ruhe angezeigt, und zwar wenigstens so lange, bis wir ins Hospital zurückgekehrt sind und dich dort einer gründlichen Gesamtüntersüchung unterzogen haben.

Und glaub bloß nicht, du könntest mir gegenüber den Chefarzt spielen,

nur um aus dem Bett zu kommen“, fuhr sie mit säuselnder Stimme fort, als Conway in genau dieser Absicht den Mund öffnete. „Diesmal bist du der Patient und nicht der Arzt, Doktor.“

„Dies ist ein guter Augenblick, um uns zurückzuziehen und es Ihnen zu ermöglichen, die Ruhe zu finden, die Sie brauchen, mein Freund“, warf Prilicla an dieser Stelle ein. „Wir sind alle sehr erleichtert und freuen uns, daß Sie sich auf dem Weg der Besserung befinden, und ich glaube, es wäre weniger anstrengend für Sie, wenn wir jetzt alle hinausgehen, damit Freundin Murchison Ihre Fragen allein beantworten kann.“

Der GLNO eilte an der Decke entlang auf den Eingang zu, Naydrad murmelte irgend etwas vor sich hin, das der Translator nicht übersetzte, und folgte dem Empathen. Danalta zog den Augenstiel ein, verfestigte sich zu einer dunkelgrünen, ungleichmäßigen Kugel und rollte hinterher. Schweigend und mit mehr Konzentration, als die Arbeit normalerweise verdiente, nahm Murchison dem Chefarzt die überflüssigen Biosensoren ab und schaltete die Monitore aus.

„Was ist denn nun passiert?“ fragte Conway leise. Als er keine Antwort erhielt, fuhr er fort: „Dieses Gift. Ich habe versucht, mich selbst zu verknoten. Wainright sollte mir das Muskelrelaxans injizieren, aber er war nicht da. Dann, glaube ich mich zu erinnern, wurde das Licht schwächer, und ich wußte, daß er den Hyperraumfünk benutzte. Aber ich habe nicht damit gerechnet, auf derRhabwar aufzuwachen.“

… oder überhaupt wieder aufzuwachen, fügte er in Gedanken hinzu.

Noch immer ohne ihn anzublicken, erklärte Murchison, daß das Ambulanzschiff gerade mit der kompletten Besatzung an Bord direkt außerhalb der Sprungdistanz zum Orbit Hospital neue Geräte getestet habe. Da ihnen die genauen Koordinaten von Goglesk bekannt gewesen seien, als der Hyperraumfunkspruch des Lieutenant einging, hätten sie mit startbereiter Landefähre in unmittelbarer Nähe des Planeten in den Normalraum eintreten können, und seien so in der Lage gewesen, Conway in etwas weniger als vier Stunden zu erreichen.

Als sie ihn gefunden hätten, habe er immer noch versucht, sich zu verknoten, doch seien die Muskelkrämpfe durch die Verabreichung einer starken Dosis des Relaxans DM82 wesentlich verringert worden. Dadurch hätten sich die Verkrampfungen in Grenzen gehalten, so daß er sich keine Knochen gebrochen oder irgendwelche Muskeln oder Sehnen gerissen habe. Er habe sehr großes Glück gehabt.

Conway nickte und entgegnete mit ernster Stimme: „Also hat es der Lieutenant tatsächlich noch geschafft, mit dem Muskelrelaxans rechtzeitig zu mir zu gelangen. Ich würde sagen, keine Sekunde zu spät.“

Murchison schüttelte den Kopf. „Es war die einheimische Gogleskanerin namens Khone, die dir das DM82 verabreicht hat. Nachdem sie dich um ein Haar umgebracht hätte, hat sie dir das Leben gerettet! Als wir dich von dort fortgeschafft haben, hat sie uns ständig von weitem gefragt, ob du auch wirklich wieder gesund wirst, und erst damit aufgehört, als die Einstiegsluke geschlossen war. Da hast du dir ja eine merkwürdige Freundin angelacht, Doktor.“

„Um mir diese Spritze zu geben, mußte sie sich psychisch ungeheuer anstrengen, vielleicht mehr, als ich es unter den gleichen Umständen gekonnt hätte“, merkte Conway an. „Wie nah ist sie denn an euch herangekommen, als ihr mich zur Landefähre gebracht habt?“

Murchison überlegte einen Augenblick lang und antwortete dann: „Als Lieutenant Haslam, der die Fähre geflogen hat, und ich von Wainright an der Schleuse empfangen wurden, hat sie sich uns bis auf etwa zwanzig Meter genähert. Als dann Naydrad, Prilicla und Danalta mit der Trage herausgekommen sind, wurde sie immer unruhiger und hat sich ungefähr auf die doppelte Entfernung zurückgezogen. Wainright hat uns erzählt, was zwischen dir und Khone alles vorgefallen ist. Natürlich haben wir nichts getan oder gesagt, was von ihr als feindlicher Akt ausgelegt werden konnte. Ehrlich gesagt hätte ich ihr für das, was sie dir angetan hat, trotzdem gerne einen Tritt in das Körperteil gegeben, wo sich bei ihr der Musculus glutaeus maximus befindet. Vielleicht hat sie einfach Angst vor der Strafe gehabt.“

„So gut, wie ich Khones Gefühle kenne, hätte sie die Strafe gerne auf sich genommen“, erwiderte Conway mit ernster Miene. Erneut atmete Murchison durch die Nase aus und setzte sich auf die Bettkante, wobei sie sich Conway mit dem Gesicht zuwandte und sich mit den Händen auf der Decke neben seinen Schultern abstützte. Auf ihrem Gesicht war nun auch nichts mehr von der kühlen Sachlichkeit zu sehen, und mit zittriger Stimme sagte sie: „Verdammt, Doktor, du hast dich beinahe umgebracht.“

Plötzlich hatten sich ihre Arme um ihn geschlungen, und ihr Gesicht befand sich nah an seinem. Ohne zu überlegen, zog Conway schnell den Kopf weg. Mit einem überraschten Blick richtete sich Murchison auf.

„Ich. ich bin heute nicht ganz auf dem Posten“, entschuldigte er sich. Wiederum ohne nachzudenken, hatte er sich der stehenden Redewendung bedient, die am Orbit Hospital die annehmbare Entschuldigung für merkwürdiges oder uncharakteristisches Verhalten darstellte.

„Du meinst, daß du ein Schulungsband im Kopf gespeichert hast und dich O'Mara nach Goglesk geschickt hat, ohne es zu löschen?“ fauchte Murchison ihn wütend an. „Was ist es denn, ein Tralthaner, ein Melfaner? Ich weiß, beide Spezies finden den Körper einer terrestrischen Frau alles andere als begehrenswert. Oder bist du freiwillig mit einem Schulungsband im Kopf in den Urlaub gegangen? Toller Urlaub!“

Conway schüttelte den Kopf. „Es ist kein Physiologieband, und O'Mara hat nichts damit zu tun. Ich hatte mit Khone einen sehr engen und ziemlich intensiven telepathischen Kontakt. Das ist ganz unvermutet passiert, ein Unfall, aber die gogleskanische FOKT-Klassiffkation besitzt einige außergewöhnliche Verhaltensmerkmale, und dazu gehört auch.“

Bevor sich Conway zurückhalten konnte, beschrieb er schon die Gesamtsituation auf Goglesk und seine Erlebnisse mit Khone und vor allem mit dem Gruppenwesen, das eine ganze Stadt zerstört hatte. Als eine der führenden Pathologinnen des Hospitals, über der nur noch der große Thornnastor höchstpersönlich stand, hätte diese Schilderung eigentlich Murchisons fachliches Interesse erregen müssen. Das sollte zwar auch noch kommen, doch in diesem Moment war deutlich zu erkennen, daß sie an nichts anderes dachte als an den Zustand, in dem sie Conway noch ein paar Stunden zuvor vorgefunden hatte.

„Der für mich wichtige Punkt ist, daß du niemanden an dich heranlassen willst, sofern er nicht wie ein bunter Heuhaufen aussieht“, sagte sie und versuchte dabei zu lächeln. „Als Entschuldigung ist das allemal besser als K opfschmerzen.“

Conway erwiderte das Lächeln. „Das stimmt überhaupt nicht. Körperkontakt kann jederzeit hergestellt werden, ohne einen Zusammenschluß herbeizuführen, vorausgesetzt, es steckt eine Absicht dahinter, die etwas mit Fortpflanzung zu tun hat.“ Mit der einen Hand griff er nach oben und zog Murchisons Gesicht mit sanftem Druck seiner Handfläche auf ihren Nacken zu sich herunter. „Möchtest du den letzten Satz noch mal hören?“

„Du bist äußerst geschwächt“, gab sie mit einem erleichterten Blick zu bedenken und versuchte, den Kopf unter seiner Hand herauszuziehen, wobei sie sich allerdings nicht sonderlich bemühte. Conway spreizte die Finger in ihrem Haar und ließ auch nicht los, als ihre Gesichter nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. „Du bringst mir noch die ganze Frisur durcheinander“, hauchte sie ihm ins Ohr.

Conway schob ihr die andere Hand um die Hüfte. „Keine Angst. Dadurch bekommst du viel mehr Ähnlichkeit mit einem begehrenswerten Heuhaufen…“

Er hatte keinerlei Beschwerden und fühlte sich auch nicht besonders geschwächt, aber auf einmal zitterte er, als ihn der verspätete Schock von dem Zwischenfall mit Khone überkam. Plötzlich erinnerte er sich an die qualvollen Muskelkrämpfe, und erst jetzt wurde ihm bewußt, wie nah er dem Tod gewesen war. Murchison hielt ihn fest, bis das Zittern aufgehört hatte, und auch noch eine lange Zeit danach.

Daß sich der sanfte und verständnisvolle Prilicla in seiner Unterkunft zwei Decks über ihnen über die emotionale Ausstrahlung jedes Lebewesens auf dem Schiff im klaren war, wußten sie beide. Der Empath würde schon dafür sorgen, daß sie niemand störte, bis diese Art der Heilbehandlung abgeschlossen war.

Zehn Stunden später — die Rhabwar hatte es nicht nötig gehabt, auf dem Rückfug irgendwelche Rekorde zu brechen — dockte das Ambulanzschiff an der Unfallaufnahmeschleuse auf Ebene einhundertdrei an. Oberschwester Naydrad, die es mit den Bestimmungen manchmal geradezu fanatisch genau nahm, bestand darauf, Conway mit der Trage auf die Beobachtungsstation zu bringen. Conway beharrte seinerseits genauso nachdrücklich darauf, wenigstens das Verdeck zurückzuschieben und beim Transport aufrecht zu sitzen, um die terrestrischen und extraterrestrischen Kollegen zu beruhigen, die in der Einlaßschleuse warteten und sich beunruhigt nach seinem Zustand erkundigten. Murchison hatte ihn verlassen, um Thornnastor Bericht zu erstatten, und Prilicla war vorausgegangen, um den etwas ungestümen Emotionen zu entgehen, die um Conways Trage herum ausgestrahlt wurden.

Doch auf der Beobachtungsstation brauchten der leitende Arzt und sein Stab weniger als eine Stunde, um die Untersuchung abzuschließen und Conways Selbstdiagnose zu bestätigen, daß er körperlich in jeder Hinsicht in guter Verfassung war.

Wiederum eine Stunde später befand sich Conway im Büro von Major O'Mara, der sich um die körperliche Verfassung des Chefarztes keine übermäßigen Sorgen machte.

„Das ist nicht der übliche Eindruck, den die Schulungsbänder hervorrufen“, sagte der Chefpsychologe, als Conway seine Erlebnisse mit Khone beschrieben hatte. „Normalerweise sind auf einem Schulungsband ja sämtliche Gehirnströme desjenigen Wesens aufgezeichnet, von dem es zur Verfügung gestellt worden ist, und trotz der psychologischen Streiche, die demjenigen gespielt werden, der das Band im Kopf gespeichert hat, ist die Persönlichkeit auf dem Band völlig von der des Empfängers getrennt. Die Aufnahme kann nicht verändert werden. Darum ist es möglich, das Band ohne schädliche Auswirkungen auf die Persönlichkeit oder die Geistesverfassung des Empfängers wieder aus dessen Kopf zu löschen. Doch zwischen Ihnen und dieser Khone hat ein vollständiger Austausch stattgefunden, und das bedeutet, Sie haben einen ganz schönen Schwall an Erinnerungen, Gefühlen und Denkprozessen in den kargen Nährboden Ihres Verstands aufgenommen, und die bedauernswerte Khone — Gott stehe ihrer geistigen Gesundheit bei! — hat wiederum einen ziemlich großen Teil Ihrer Welt abbekommen. Sowohl Ihr als auch Khones Verstand war sich des Vorgangs bewußt und wurde durch ihn verändert. Aus diesem Grund sehe ich keine Möglichkeit, bei Ihnen gezielt die gogleskanischen Eindrücke zu entfernen, ohne Schäden an Ihrer Persönlichkeit zu riskieren, so geschädigt diese bereits auch sein mag. Psychologisch gesehen hat, von beiden Gehirnen ausgehend, eine gegenseitige Beeinflussung stattgefunden.

Eine Möglichkeit gibt es allerdings, wenn auch nur eine geringe“, fuhr O'Mara mürrisch fort. „Falls Khone überredet werden könnte, hierherzukommen und ein eigenes Schulungsband zur Untersuchung zur Verfügung zu stellen, wäre es möglich, etwas zu versuchen, das.“

„Sie würde niemals hierherkommen“, erwiderte Conway.

„Nach dem zu urteilen, was Sie mir erzählt haben, neige ich ausnahmsweise einmal dazu, Ihnen zuzustimmen“, sagte der Chefpsychologe, wobei sich sogar ein Anflug von Mitgefühl in seine Stimme stahl. „Das heißt, Sie sitzen jetzt mit Ihrem gogleskanischen Alter ego da, Conway. Ist es. schlimm?“

Conway schüttelte den Kopf. „Abgesehen davon, daß ich mir bei den Reaktionen auf eine bestimmte Situation manchmal nicht sicher bin, ob sie nun von mir ausgegangen ist oder von Khone, ist es auch nicht viel fremdartiger als ein Melfanerband. Ich glaube, ich werde ohne psychiatrischen Beistand damit fertig.“

„Gut“, erwiderte O'Mara trocken und fügte hinzu: „Wie ich Sie kenne, befürchten Sie, daß die Behandlung schlimmer als das Leiden selbst werden könnte, und da haben Sie wahrscheinlich auch recht.“

„Trotzdem gibt es noch etwas zu bedenken“, sagte Conway in bestimmtem Ton. „Die Geschichte mit den Gogleskanern, meine ich. Die gesamte Spezies wird durch einen artspezifischen Reflex am Fortschritt gehindert. Gegen dieses Problem mit dem zerstörungswütigen Gruppenwesen müssen wir irgend etwas unternehmen.“ „Nicht wir, sondern Sie werden etwas dagegen unternehmen müssen“, berichtigte ihn O'Mara, „und zwar neben ein paar anderen Aufgaben, die wir für Sie vorgesehen haben. Schließlich sind Sie derjenige unter uns, der den besten Einblick in die Lage auf Goglesk hat, weshalb sollte ich also jemand anderen beauftragen? Doch zunächst einmal nehme ich an, daß Sie neben der Zerstörung gogleskanischer Städte und dem fehlgeschlagenen Versuch, sich von Ihrer FOKT-Kollegin zu Tode stechen zu lassen, noch ein wenig Zeit für die Entscheidung erübrigt haben, ob Sie sich nun um die Stelle eines Diagnostikers bemühen wollen oder nicht. Wahrscheinlich haben Sie auch mit Ihrer persönlichen Pathologin die damit verbundenen. ahm. Probleme bereits erörtert, nicht wahr?“

Conway nickte. „Wir haben uns darüber unterhalten, und ich werde es versuchen. Aber was die anderen Aufgaben angeht, von denen Sie gesprochen haben ich bin mir nicht sicher, ob ich in der Lage bin.“

Der Chefpsychologe hob die Hand. „Natürlich sind Sie dazu in der Lage. Sowohl Chefarzt Prilicla als auch Pathologin Murchison haben Sie in jeder Hinsicht für physisch und psychisch gesund erklärt.“

Er blickte Conway fest ins Gesicht, dann fügte er hinzu: „Murchison ist nicht auf Einzelheiten eingegangen, sie hat nur gesagt, sie sei zufrieden. Haben Sie noch weitere Fragen?“

„Um wie viele weitere Aufgaben handelt es sich denn?“ erkundigte sich Conway argwöhnisch.

„Um mehrere“, antwortete O'Mara. „Auf dem Video, das Sie sich im Vorzimmer geben lassen können, sind sie genau beschrieben. Ach ja, Doktor, ich hatte von Ihnen keine andere Entscheidung erwartet. Doch von nun an werden Sie für Ihre Diagnosen, Entscheidungen und Behandlungsdirektiven ein größeres Maß an Verantwortung auf sich nehmen müssen, als Sie es als Chefarzt gewohnt waren, und das für Patienten, die normalerweise ausschließlich Ihre Untergebenen sehen werden, sofern nicht irgend etwas völlig danebengeht. Natürlich werden Sie weiterhin Kollegen vom Range eines Diagnostikers oder jedes anderen Dienstgrads um Rat und Hilfe bitten dürfen, aber nur, wenn Sie mich und sich selbst davon überzeugen können, daß Sie ohne eine derartige Unterstützung nicht mehr weiterkommen.

So, wie ich Sie kenne, Doktor“, fügte er mürrisch hinzu, „ist es schwierig zu sagen, wer von uns beiden in der Frage schwerer zu überzeugen wäre.“

Conway nickte. Es war nicht das erstemal, daß ihn O'Mara wegen seines zu großen Berufsstolzes — beziehungsweise seiner Sturheit — kritisiert hatte. Doch ernsthafte Schwierigkeiten hatte Conway stets vermeiden können, weil er in den meisten Fällen eben auch recht behalten hatte.

Er räusperte sich und entgegnete leise: „Ich verstehe. Trotzdem scheint es mir immer noch wichtig, daß man sich mit der Lage auf Goglesk umgehend befassen muß.“

„Das ist bei dem Problem in der geriatrischen Abteilung für FROBs nicht anders“, hielt O'Mara ihm entgegen. „Ganz zu schweigen von der dringenden Notwendigkeit, eine Unterkunft für ein schwangeres Wesen und dessen Nachkommen zu entwerfen, und erst recht von den verschiedenen Lehrverpflichtungen, den praxisbezogenen Vorträgen im OP und allen möglichen anderen Gelegenheitsarbeiten, die sich ergeben könnten und für die Sie sich mit Ihren beruflichen Qualitäten so eignen. Einige dieser Probleme haben wir schon eine lange Zeit, obwohl natürlich nicht so viele Tausende von Jahren wie unsere gogleskanischen Freunde. Als angehender Diagnostiker tragen Sie außerdem die Verantwortung für die Entscheidung, welcher Fall oder welche Fälle vorrangig behandelt werden sollten. Natürlich erst nach reiflicher Überlegung.“

Conway nickte. Seine Stimmbänder hatten offenbar die Verständigung mit dem Gehirn abgebrochen, das die ganzen Auswirkungen einer wahren Flut von Aufträgen in sich aufzunehmen versuchte, zumal deren komplette Erledigung praktisch unmöglich erschien. Einige dieser Probleme und auch die Diagnostiker, die sich mit ihnen befaßt hatten, kannte er, und die Gerüchteküche des Hospitals hatte etliche grauenerregende Berichte über verschiedene Fehlschläge verbreitet. Und während seiner Probezeit als Diagnostiker hatte er nun offensichtlich diese Probleme am Hals.

„Sitzen Sie hier nicht so tatenlos rum, und glotzen Sie mich nicht so dumm an“, sagte O'Mara. „Ich bin mir sicher, Sie finden eine sinnvollere Beschäftigung.“

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