Trotz des furchtbar langsamen und unpersönlichen Sprachstils und der langen Pausen zwischen den Sätzen war es offensichtlich, daß sich Khone unterhalten wollte. Was noch wichtiger war, sie beabsichtigte, Fragen zu stellen. Doch fiel es ihr außerordentlich schwer, diese Fragen in Worte zu kleiden, da sie offenbar zu einer Sorte gehörten, die ihre Spezies noch nie vorgebracht hatte.
Conway kannte viele Mitgliedspezies der galaktischen Föderation, deren Standpunkte und Verhaltensmuster äußerst fremd und für einen Terrestrier sogar häufig abstoßend waren, und das selbst für einen terrestrischen Arzt mit reicher extraterrestrischer Erfahrung wie ihm selbst. Deshalb konnte er sich umgekehrt gut vorstellen, welche enorme Mühe sich Khone nun geben mußte, um diesen schrecklichen Außerplanetarier zu verstehen, der sich — neben seinen weiteren merkwürdigen Angewohnheiten — gar nichts dabei dachte, ein Lebewesen aus anderen Gründen als zur Paarung oder Kinderpflege zu berühren. Für ein solches Wesen, das einen derartigen Kampf mit sich selbst austragen mußte, brachte er viel Mitgefühl und auch eine Menge Geduld auf.
In einer der scheinbar endlosen Pausen versuchte er, das Gespräch voranzutreiben, indem er die Schuld für das, was geschehen war, auf sich nahm. Khone tat die Entschuldigung allerdings mit der Bemerkung ab, daß es, wenn die Außerplanetarier die Katastrophe nicht heraufbeschworen hätten, durch irgendeine unglückliche Verkettung gogleskanischer Ereignisse sowieso dazu gekommen wäre. Dann berichtete sie ausführlich von dem angerichteten Schaden. Der werde zwar mit der Zeit behoben, und auch das zerstörte Schiff werde man neu bauen, doch wäre sie nicht einmal überrascht, wenn noch vor Beendigung der Arbeiten wieder ein ähnliches Unglück über die Gogleskaner hereinbrechen würde.
Wie sie weiterhin ausführte, verlören sie mit jedem Gruppenzusammenschluß ein wenig mehr an Boden, bliebe ihnen immer weniger von ihrer Technologie übrig — so primitiv diese nach den Maßstäben von Außerplanetariern auch sein mochte —, so daß selbst die geringen Fortschritte, die sie hatten erzielen können, langsam, aber sicher zunichte gemacht würden. Nach den Geschichten, die von Generation zu Generation weitergegeben worden seien, und nach den Fragmenten der Geschichtsschreibung zu urteilen, die die regelmäßigen Selbstzerstörungsorgien überlebt hätten, sei dies schon immer so gewesen, schloß Khone ihre Ausführungen.
„Falls in irgendeiner Weise geholfen werden kann, sei es nun durch Informationen, Ratschläge oder durch medizinische Mittel oder Geräte, ist nichts weiter als eine einfache Bitte nötig, um all das zur Verfügung zu stellen“, schlug Conway im unpersönlichen Sprachstil der Gogleskaner vor.
„Der Wunsch lautet, daß unsere Spezies von dieser Last befreit wird“, entgegnete Khone nachdenklich. „Die erste Bitte erstreckt sich auf Informationen.“
Da Khone die gestrigen Vorfälle so gnädig verziehen hatte, störte es sie wahrscheinlich nicht allzusehr, wenn Conway die lästigen sprachlichen Feinheiten wegließ, die immerhin einen Teil der Barriere zwischen ihnen ausmachten. „Sie können mir jede Frage zu jedem Thema stellen, ohne dabei befürchten zu müssen, mich zu kränken“, sagte er.
Zwar zuckten Khones Haare, als sie so direkt angesprochen wurde, trotzdem antwortete sie prompt. „Es werden Informationen über andere außerplanetarische Spezies aus Ihrem Erfahrungsschatz erbeten, die ähnliche Probleme haben, wie sie auf Goglesk bestehen. Besonderes Interesse besteht dabei natürlich an denjenigen Spezies, die diese Probleme bereits gelöst haben.“
Auch die Ärztin war in ihrer Formulierung ein bißchen weniger unpersönlich geworden. Conway staunte über die Mühe, die es die Gogleskanerin gekostet haben mußte, ihre lebenslange geistig-seelische Ausrichtung zu durchbrechen oder zumindest an dieser ein wenig zu kratzen. Das Problem war nur, daß er die verlangten Informationen nicht besaß.
Um sich Zeit zum Nachdenken zu verschaffen, beantwortete er die Frage nicht direkt, sondern beschrieb einige der ausgefalleneren Lebensformen, aus denen sich die Föderation zusammensetzte — allerdings nicht so, wie er sie ihr noch vor kurzem beschrieben hatte. Jetzt stützte er sich auf seine im Hospital gemachten Erfahrungen und schilderte die Aliens als Patienten, die sich bei einer unglaublichen Vielfalt an Krankheiten im Orbit Hospital operieren oder behandeln lassen mußten. Er versuchte, Khone Hoffnung zu machen, wußte aber, daß er in Wirklichkeit nichts anderes tat, als Zeit zu schinden, indem er einem Wesen — das zwar eine Art Arzt war, das aber nicht einmal seine Patienten berühren konnte — Krankheitsbilder und klinische Prozeduren beschrieb. Da er nie viel davon gehalten hatte, seinen Patienten falsche Auskünfte zu erteilen, wollte er auch bei einer Arztkollegin nicht damit anfangen.
„Jedenfalls weiß ich ganz genau, daß das Problem, von dem Ihre Spezies betroffen ist, einzigartig ist“, fuhr er fort. „Wenn ein ähnlicher Fall entdeckt worden wäre, hätte man ihn in der wissenschaftlichen Literatur gründlich untersucht und diskutiert, und in einem Hospital mit vielen verschiedenen Spezies wäre er zur Pflichtlektüre für das Personal geworden.
Es tut mir leid“, entschuldigte er sich, „aber der einzige hilfreiche Vorschlag, den ich machen kann, besteht darin, daß ich die Lage auf Goglesk so genau wie möglich untersuche, und zwar unter Mitwirkung eines Wesens, das sowohl Patient als auch Arzt ist, also mit Ihnen.“
Während er auf Khones Stellungnahme wartete, hörte Conway hinter sich Wainright herankommen, der sich aber nicht in das Gespräch einmischte.
„Die Zusammenarbeit ist möglich und erwünscht, darf aber nicht mit engem Körperkontakt vonstatten gehen“, antwortete die Gogleskanerin schließlich.
Conway stieß einen erleichterten Seufzer aus. „Im Gebäude hinter mir befindet sich ein Raum zur Haltung und Beobachtung der einheimischen Tierwelt unter geringstmöglicher Einschränkung der körperlichen Bewegungsfreiheit. Zum Schutz der Beobachter ist der Raum durch eine unsichtbare, aber äußerst widerstandsfähige Wand getrennt. Wäre es unter diesen Bedingungen möglich, sich in Ihre unmittelbare Nähe zu begeben, um Ihren Körper zu untersuchen?“
„Sofern die Widerstandsfähigkeit der Wand nachgewiesen wird, ist diese unmittelbare Nähe möglich“, antwortete die Gogleskanerin vorsichtig.
Wainright räusperte sich und sagte: „Sie müssen schon entschuldigen, wenn ich mich einmische, Doktor, aber bis jetzt hat noch keine Notwendigkeit bestanden, diesen Raum zu nutzen. Deshalb lagere ich dort Brennstoffzellen. Sie brauchen mir nur zwanzig Minuten Zeit zum Aufräumen zu geben, und schon steht er Ihnen zur Verfügung.“
Während Khone und Conway langsam zur Rückseite des Gebäudes herumgingen, erklärte er ihr, daß der Raum, wie sie selbst sehen konnte, einen direkten Ausgang ins Freie besaß, der es gefangenen Lebensformen ermöglichte, nach der Freilassung schnell in die eigene Umgebung zurückzukehren. Wie Conway der Gogleskanerin versicherte, werde man in ihrem Fall natürlich keinerlei Mittel einsetzen, die ihre Bewegungsfreiheit einschränken könnten, und zudem stehe es ihr frei, jede Erörterung oder Untersuchung nach Belieben abzubrechen.
Conways Absicht war es, eine Erklärung für das Verhalten der Gogleskaner zu finden, und zwar durch eine genaue physiologische Untersuchung der Spezies unter besonderer Berücksichtigung des Schädelbereichs, der für ihn vollkommen neuartige Merkmale aufwies und der schon deshalb für die Untersuchung möglicherweise von entscheidender Bedeutung sein konnte. Natürlich hegte er keinesfalls die Absicht, Khone physische oder psychische Schmerzen zuzufügen.
„Auf ein wenig Unbehagen ist man innerlich durchaus eingestellt“, bemerkte die FOKT.
Um Khone noch mehr zu beruhigen, betrat Conway den Raum als erster, und während ihm die Gogleskanerin vom Außeneingang zusah, bewies er ihr mit Fäusten und Füßen die Widerstandsfähigkeit der Wand. Dann deutete er auf die Decke des Raums und beschrieb dabei kurz den Zweck des in beiden Richtungen arbeitenden Kommunikators und der Projektoren der nichtmateriellen Halte- und Greifvorrichtungen, wobei er Khone versicherte, diese nur mit ihrem ausdrücklichen Einverständnis einzusetzen. Anschließend ging er durch die Tür, die weiß umrandet war, damit man sie in der völlig unsichtbaren Wand sehen konnte, und gab dann der Gogleskanerin Zeit, sich an den Raum zu gewöhnen.
Inzwischen hatte Wainright die Brennstoffzellen bereits aus der für den Beobachter bestimmten Hälfte des Raums entfernt und sie durch einen 3-D-Projektor und Conways gesamte medizinische Ausrüstung ersetzt. Außerdem hatte er die Aufnahmen vom Vortag bereitgelegt sowie einige Videoaufzeichnungen mit grundlegenden Informationen, wie sie beim Erstkontakt mit fremden Spezies benutzt wurden.
„Ich werde das Ganze vom Kommunikationszentrum nebenan überwachen und aufnehmen“, sagte Wainright und blieb einen Moment im Inneneingang stehen. „Khone hat die Informationsvideos zwar schon gesehen, aber ich dachte, Sie wollen Ihr vielleicht noch einmal die fünfminütige Sequenz über das Orbit Hospital vorspielen. Falls Sie sonst noch etwas brauchen sollten, lassen Sie es mich wissen, Doktor.“
Nur durch eine dünne, durchsichtige Wand und einen Zwischenraum von etwa drei Metern — was eigentlich viel zuviel war — voneinander getrennt, blieben Khone und Conway allein im Raum zurück.
Auf Hüfthöhe legte Conway die Handfläche gegen die transparente Wand und sagte: „Bitte kommen Sie so nah wie möglich heran, und versuchen Sie, eins Ihrer Greiforgane von Ihrer Seite aus dort auf die durchsichtige Wand zu legen, wo sich meine Hand befindet. Es eilt nicht. Der Zweck des Ganzen ist, Sie an die unmittelbare Nähe zu mir zu gewöhnen, ohne wirklich Körperkontakt herzustellen.“
Während er weiterhin beruhigend auf Khone einredete, kam diese langsam immer näher, und nach mehreren Versuchen, die stets mit einem überhasteten Zurückweichen endeten, legte sie schließlich ihre Fingerbüschel von der anderen Seite der Wand gegen Conways Hand. Jetzt waren sie weniger als einen Zentimeter voneinander entfernt. Mit der freien Hand holte Conway vorsichtig den Scanner hervor und drückte ihn auf gleicher Höhe mit dem Schädel der FOKT ebenfalls an die Wand. Ohne erst gebeten werden zu müssen, preßte die Gogleskanerin ihren Kopf mit der Seite gegen die durchsichtige Oberfläche.
„Ausgezeichnet!“ rief Conway und stellte die Abtasttiefe des Scanners neu ein. „Obwohl die Physiologie der Gogleskaner Elemente aufweist, die mir völlig fremd sind, gleicht die Lebensform im großen und ganzen den übrigen warmblütigen und Sauerstoffatmenden Spezies“, erklärte er. „Die Unterschiede konzentrieren sich auf den Kopfbereich, und diese Tatsache bedarf der Untersuchung, bei der man womöglich auf eine Erklärung stößt, die eventuell keine rein physische Grundlage hat.
Kurz gesagt, wir untersuchen hier eine ziemlich normale Lebensform, die sich lediglich hin und wieder anomal verhält“, faßte er zusammen. „Wenn wir davon ausgehen, daß Verhaltensmuster durch Umwelt- und Evolutionseinflüsse geprägt werden, sollten wir mit der Untersuchung Ihrer Vergangenheit beginnen.“
Er ließ Khone einen Moment lang Zeit zum Nachdenken und fuhr dann fort: „Nach Aussage von Lieutenant Wainright, der von sich selbst mit Recht behaupten kann, ein recht guter Freizeitarchäologe zu sein, ist Ihr Planet seit der Entwicklung Ihrer noch nicht intelligenten Vorfahren beachtlich stabil gewesen. Es hat keine Veränderungen der Umlaufbahn gegeben, keine größeren seismischen Störungen und keine Eiszeiten oder irgendwelche merklichen Klimaveränderungen. All das deutet darauf hin, daß sich Ihr spezielles Verhaltensmuster, das gegenwärtig den Fortschritt Ihrer Zivilisation hemmt, als Reaktion auf eine sehr frühe Bedrohung durch natürliche Feinde entwickelt hat. Was für Feinde sind beziehungsweise waren das?“
„Wir haben keine natürlichen Feinde“, antwortete Khone prompt. „Auf Goglesk gibt es nichts, was für uns eine Bedrohung darstellt — außer uns selbst.“
Das konnte Conway nur schwerlich glauben. Er führte den Scanner zu einer der Stellen, wo ein teilweise von der Kopfbehaarung verdeckter Stachel lag, und verfolgte dann dessen Verbindung zur Giftdrüse, während ein vergrößertes Bild der Abtastung für Khone auf den Bildschirm übertragen wurde. „Das ist eine wirksame natürliche Waffe“, stellte er fest. „Dabei ist es ganz egal, ob sie zum Angriff oder zur Verteidigung gebraucht wurde, und ohne jeden Grund hätte sie sich bestimmt nicht entwickelt. Gibt es irgendwelche Erinnerungen, schriftliche oder mündliche Zeugnisse oder fossile Überreste von einer Lebensform, die derart furchtbar war, daß sie der Grund für die Entwicklung eines solch tödlichen Schutzes gewesen sein könnte?“
Wiederum lautete die Antwort nein, doch Conway mußte Wainrights Hilfe in Anspruch nehmen, um der Gogleskanerin zu erklären, was Fossilien waren. Es stellte sich heraus, daß Khone durchaus von Zeit zu Zeit Versteinerungen gesehen hatte, aber sich nicht im klaren gewesen war, worum es sich dabei handelte, oder sie nicht für wichtig gehalten hatte. Als Wissenschaft war Archäologie ihrem Volk unbekannt. Doch jetzt, wo sie wußte, was die eigenartig geformten Zeichen und Gegenstände in bestimmten Steinen bedeuteten, schien es fast wahrscheinlich, daß die Ärztin eine neue Wissenschaft auf Goglesk ins Leben rufen würde.
„Haben Sie jemals irgendwelche Träume oder Alpträume von einem derartigen Ungeheuer gehabt?“ fragte Conway, ohne von seinem Scanner aufzusehen.
„Bloß die Hirngespinste der Kindheit“, antwortete Khone rasch, wodurch sie bei Conway den Eindruck erweckte, daß sie das Thema lieber wechseln wollte. „Den Köpfen von Erwachsenen machen solche Dinge nur selten zu schaffen.“
„Aber wenn Sie hin und wieder solche Träume haben“, hakte Conway nach, „ist es dann möglich, sich an sie zu erinnern und die Kreatur oder die Kreaturen zu beschreiben?“
Fast eine volle Minute verging, bis die Gogleskanerin darauf antwortete, und in dieser Zeit war auf Conways Scanner ein merkliches Anschwellen der Muskeln rings um die Giftblase und an den Wurzeln der Stacheln zu beobachten. Ganz offensichtlich war er in einen äußerst sensiblen Bereich vorgedrungen, und die ausstehende Antwort würde von großer Bedeutung sein.
Doch die von Khone erteilte Auskunft sollte enttäuschend ausfallen und nur weitere Fragen aufwerfen.
„Es handelt sich dabei nicht um ein Lebewesen mit einer bestimmten Körperform“, sagte die FOKT. „In den Träumen herrscht ein Gefühl großer Gefahr, einer gestaltlosen Bedrohung durch eine sehr flinke wilde Bestie vor, die beißt, zerreißt und verschlingt. Das ist eine Wahnvorstellung, die die Kinder ängstigt, und der Gedanke daran beunruhigt die Erwachsenen. Die Kinder können ihren Ängsten freien Lauf lassen und sich zusammenschließen, damit sie sich wohler fühlen, weil sie noch nicht die körperliche Kraft besitzen, um in ihrer Umgebung größere Schäden zu verursachen. Aber Erwachsene müssen solche destruktiven Gemütsverfassungen vermeiden und sich sowohl körperlich als auch seelisch von anderen absondern.“
„Wollen Sie damit sagen, daß sich junge Gogleskaner nach Belieben zusammenschließen können, die erwachsenen aber nicht?“ erkundigte sich Conway verdutzt.
„Die Kinder daran zu hindern ist schwierig“, antwortete Khone. „Aber man versucht die Zusammenschlüsse einzuschränken, damit sie nicht zu einer Angewohnheit werden, die im Erwachsenenalter zu schwer abzulegen wäre. Mir ist klar, daß Sie darauf brennen, einen Zusammenschluß zu beobachten, bei dem kein Schaden angerichtet wird, doch einen Zusammenschluß von Kindern aus der Nähe zu verfolgen, ohne den betreffenden Eltern psychische Qualen zu bereiten, wodurch man wiederum einen ungewollten Zusammenschluß von Erwachsenen hervorrufen würde, wäre unmöglich.“
Conway seufzte. Khone war ihm einen Schritt voraus, denn genau danach hätte er sich als nächstes erkundigt. Statt dessen fragte er: „Hat meine Spezies denn irgendeine Ähnlichkeit mit diesem Hirngespinst aus ihrer Jugend?“
„Nein“, antwortete Khone. „Aber Ihre unmittelbare Nähe und insbesondere der Körperkontakt mit einem Gogleskaner erschienen gestern als Bedrohung. Die Ursache für die Reaktion und den Ausstoß des Notrufs war völlig instinktiv und nicht logisch bedingt.“
„Wenn wir ganz genau wüßten, was für diese eindeutige Panikreaktion, die sich auf die gesamte Spezies erstreckt hat, verantwortlich war, könnten wir versuchen, sie abzustellen. Aber was genau ist dieses Schreckgespenst eigentlich?“
Das lange Schweigen, das nun folgte, wurde von dem sich räuspernden Lieutenant unterbrochen. „Könnte es sich angesichts der ungenauen Beschreibung sowie des schnellen und lautlosen Auftauchens dieser mysteriösen Gestalt und aufgrund der Tatsache, daß das Tier seine Beute in Stücke reißt und verschlingt, nicht um einen großen, einheimischen Raubvogel aus Vorzeiten gehandelt haben?“ fragte er zögernd.
Während Conway mit dem Scanner die Nervenverbindungen zwischen den dünnen, glänzenden Fühlern inmitten der gröberen Kopfbehaarung und dem mineralienreichen Lappen am Gehirnstamm, wo sie entsprangen, abtastete, dachte er darüber nach. „Gibt es denn für ein derartiges Tier fossile Belege?“ fragte er. „Und wenn die Erinnerung daran bis in die Zeit zurückreicht, als die FOKTs noch keine Intelligenz besaßen und im Meer lebten, wäre es dann nicht möglich, daß der Lebensraum des Raubtiers nicht die Luft, sondern ebenfalls das Wasser gewesen ist?“
Einen Augenblick blieb der Kommunikator stumm; dann entgegnete Wainright: „An den wenigen Stellen, die ich untersucht habe, habe ich keinen Beweis für die Existenz großer Vögel gefunden, Doktor. Aber wenn wir ganz weit zurückgehen, und zwar bis zu der Zeit, als noch sämtliches Leben in den gogleskanischen Meeren war, dann hat es allerdings einige wirklich sehr große Tiere gegeben. Etwa dreißig Kilometer südlich von hier gibt es eine Fläche auf dem Meeresgrund, die — nach geologischen Maßstäben — erst vor ziemlich kurzer Zeit nach oben gedrückt worden ist. Wann immer ich ein paar Stunden dafür erübrigen konnte, habe ich einen Abschnitt davon, der reich an Versteinerungen ist und einst ein weit unter dem Meeresspiegel liegendes Tal gebildet hat, bis in die tiefen Schichten untersucht, um davon eine Computerrekonstruktion zu erstellen. Daraus hat sich ein äußerst verwirrendes Bild ergeben, weil ein beträchtlicher Teil der Fossilien beschädigt oder unvollständig ist.“
„Eine auf seismische Aktivitäten zurückzuführende Verzerrung meinen Sie?“ fragte Conway.
„Möglicherweise“, antwortete der Lieutenant skeptisch. „Aber nach meiner Vermutung wurde die Verzerrung erst durch eine Aktivität in unserer Zeit hervorgerufen. Das Band liegt auf meinem Zimmer, Doktor. Soll ich es holen? Ich meine, dann könnten wir feststellen, ob diese Bilder, so verwirrend sie auch für mich sind, dem Gedächtnis unserer Freundin auf die Sprünge helfen.“
„Ja, bitte“, stimmte Conway zu, und an Khone gewandt fuhr er fort: „Können Sie mir vielleicht sagen, falls die Erinnerung daran nicht zu schmerzhaft sein sollte, wie oft Sie sich schon mit anderen Erwachsenen als Antwort auf eine wirkliche oder eingebildete Bedrohung zusammengeschlossen haben? Und sind Sie in der Lage, die körperliche, geistige und emotionale Verfassung vor, während und nach einem Zusammenschluß zu beschreiben? Ich möchte Ihnen keine Schmerzen bereiten, aber wenn eine Lösung für das Problem gefunden werden soll, ist es wichtig, den Vorgang zu untersuchen und zu verstehen.“
Daß Khone die Erinnerung Unbehagen bereitete, war offensichtlich, doch genauso klar war, daß die Ärztin nach besten Kräften mitarbeiten wollte. Vor dem gestrigen Tag, teilte sie Conway mit, habe es drei Zusammenschlüsse gegeben. Die Reihenfolge der Ereignisse sei folgende: zuerst der Unfall oder die plötzliche Überraschung oder die Gefahr für Leib und Leben, der oder die das bedrohte Wesen veranlaßte, ein akustisches Notsignal auszustoßen, das sämtliche, in Hörweite befindlichen Mitglieder der eigenen Spezies anzog und darüber hinaus in den gleichen Gefühlszustand versetzte. War ein Gogleskaner bedroht, dann war jeder andere, der sich in Hörweite befand, auch bedroht und stand unter demselben Zwang, sofort zu reagieren, sich mit den anderen zusammenzuschließen und die Bedrohung zu überwinden. Khone deutete auf das Organ, von dem das Signal erzeugt wurde, eine Membran, die unabhängig vom Atmungssystem zum Schwingen gebracht werden konnte.
Conway kam der Gedanke, daß diese Membran unter Wasser wahrscheinlich sogar noch wirkungsvoller war, aber er hörte zu eifrig zu, um Khone zu unterbrechen.
Die Gogleskanerin beschrieb nun den Eindruck erhöhter Sicherheit, sobald sich die Körperhaare der FOKTs miteinander verwoben, und das angenehme, aufregende Gefühl gesteigerter Intelligenz und erweiterten Bewußtseins, wenn sich die ersten paar Gogleskaner zusammenschlossen und geistig miteinander verschmolzen. Doch ab einem gewissen Stadium wich diese Empfindung mit jedem weiteren FOKT, der sich anschloß, und das Denken wurde zunehmend schwieriger und wirrer, bis es von dem einen, unwiderstehlichen Drang ausgeschaltet wurde, die Gruppe durch den Angriff auf alles und jeden in der Nähe zu schützen. Als einzelnes Wesen noch irgendwelche zusammenhängenden Gedanken zu fassen war dann völlig unmöglich.
„Sobald die Gefahr beseitigt worden ist oder das Ereignis vorüber ist, das zu dem Zusammenschluß geführt hat, und wenn selbst das getrübte Verständnis des Gruppenwesens keine Bedrohung mehr empfindet, löst sich die Gruppe langsam auf“, fuhr Khone fort. „Eine Zeitlang ist der einzelne geistig verwirrt körperlich erschöpft und schämt sich für sich selbs und die Zerstörung, die er zusammen mit den anderen angerichtet hat. Um als intelligente Spezies zu überleben, muß jeder Gogleskaner nach Einsamkeit streben.“
Conway gab keine Antwort. Sein Verstand mußte sich erst einmal an die plötzliche Erkenntnis gewöhnen, daß die Gogleskaner über telepathische Kräfte verfügten.