16. Kapitel

Die Station war kalt und dunkel. Zum Schutz vor der vom Flugverkehr in unmittelbarer Umgebung des Orbit Hospitals freigesetzten Strahlung und Hitze war sie stark abgeschirmt und isoliert, und sie besaß auch keine Fenster, da selbst der von den fernen Sternen ausgehende Schimmer nicht in diese Ebene eindringen durfte. Aus diesem Grund waren die Bilder, die auf dem Bildschirm des Fahrzeugs erschienen, aus dem nicht sichtbaren Spektrum ins sichtbare umgewandelt worden, was ihnen den unwirklichen Anstrich von Phantasien gab. Die Schuppen, von denen Diagnostiker Semlics seesternförmiger Körper mit den acht Tentakeln bedeckt war, strahlten kalt wie vielfarbige Diamanten durch den Methannebel und ließen ihn wie irgendein wunderbares Wappentier erscheinen.

Bilder und Scanneraufzeichnungen von der SNLU-Lebensform hatte Conway schon oft eingehend betrachtet, aber dies war das erstemal, daß er Semlic außerhalb seines tiefgekühlten Lebenserhaltungsfahrzeugs gesehen hatte. Trotz der bewährten Brauchbarkeit von Conways eigenem isolierten Fahrzeug hielt der Diagnostiker einen gewissen Sicherheitsabstand ein.

„Ich komme auf Ihre kürzlich ausgesprochene Einladung hin“, sagte Conway zögernd, „und um dem Tollhaus da oben für eine Weile zu entfliehen. Ich habe nicht die Absicht, einen Ihrer Patienten zu untersuchen.“

„Ach, Conway, Sie sind das da in dem Ding!“ Semlic kam ein ganz kleines Stückchen näher. „Meine Patienten werden über Ihr mangelndes Interesse äußerst erleichtert sein. Der Backofen, in dem Sie unbedingt sitzen müssen, macht sie nämlich nervös. Aber wenn Sie rechts neben der Zuschauergalerie parken, genau dort, können Sie alles sehen und hören, was passiert. Sind Sie schon mal hiergewesen?“

„Zweimal“, antwortete Conway. „Beide Male ausschließlich, um meine Neugier zu befriedigen und um die Ruhe und den Frieden zu genießen.“

Semlic gab einen Laut von sich, der nicht übersetzt wurde, und entgegnete dann: „Ruhe und Frieden sind relativ, Conway. Damit Ihr Translator meine Stimme laut genug empfängt, um sie verarbeiten zu können, müssen Sie die Eingangsempfndlichkeit Ihres Außenmikrophons ein ganzes Stück erhöhen, und dabei spreche ich für einen SNLU schon laut. Einem Wesen wie Ihnen, das fast taub ist, kommt es hier bloß ruhig vor. Ich hoffe, daß Ihnen die Umgebung, so lebhaft und laut sie für mich ist, zu der Stille und dem Frieden verhilft, die Ihr Kopf so dringend braucht.

Und vergessen Sie nicht“, fügte Semlic hinzu, während er sich entfernte, „drehen Sie die Geräuschempfndlichkeit hoch, und schalten Sie den Translator ab.“

„Danke“, erwiderte Conway. Für einen Moment erfüllte ihn die wie Edelsteine glitzernde seesternförmige Gestalt des Diagnostikers fast mit kindlichem Staunen, so daß sich seine Augen durch eine plötzliche Gefühlswelle trübten und den Verwischungseffekt des Methannebels auf der Station verstärkten. „Sie sind ein freundliches, verständnisvolles und sehr warmherziges Wesen“, fügte er hinzu.

Semlic stieß einen weiteren unübersetzbaren Laut aus und entgegnete: „Ich sehe keinen Grund, weshalb Sie plötzlich beleidigend werden.“

Lange Zeit sah Conway dem Treiben auf der belebten Station zu. Wie er feststellte, trugen einige von den unter niedrigen Temperaturen lebenden Schwestern, die die Patienten pflegten, leichte Schutzanzüge, was darauf hindeutete, daß sie eine etwas andere Atmosphäre als die allgemein auf der Station herrschende benötigten. Er sah, wie sie an ihren Schützlingen Arbeiten verrichteten und für sie Dinge taten, die überhaupt keinen Sinn ergaben, sofern er sich nicht ein SNLU-Band im Kopf speichern ließ. Zudem arbeiteten die Schwestern mit der fast absoluten Lautlosigkeit von Wesen mit einer Überempfndlichkeit gegen akustische Schwingungen, und zunächst war nichts zu hören. Doch je mehr er sich konzentrierte, desto deutlicher wurde er sich der auftretenden zarten Schallformen bewußt, einer Art fremder Musik, die kalt und rein war und nichts ähnelte, was er bisher gehört hatte. Schließlich konnte er sogar einzelne Stimmen und Wortwechsel unterscheiden, die sich wie das kühle, leidenschaftslose, zarte und unaussprechlich süße Klingen von sich berührenden Schneeflocken anhörten. Nach und nach ergriffen der Frieden und die Schönheit und die tiefe Fremdartigkeit des Ganzen ihn und die anderen Teile seines Verstands und lösten mit sanfter Gewalt all den Stress und die Konflikte und die geistige Verwirrung auf.

Selbst Khone, bei der Xenophobie ein dringendes Erfordernis der Evolution war, konnte in dieser Umgebung nichts Bedrohliches entdecken und fand ebenfalls die Stille und den Frieden, die es dem Verstand ermöglichen, sich entweder gedankenlos treiben zu lassen oder scharf, ruhig und ohne Sorgen nachzudenken.

Das heißt, bis auf die kleine, quälende Sorge darüber, daß er hier jetzt schon mehrere Stunden saß, während wichtige Arbeit auf ihn wartete. Außerdem waren beinahe zehn Stunden vergangen, seit er etwas gegessen hatte.

Die Kälteebene hatte ihren Zweck sehr gut erfüllt, da sie Conway in jeder Beziehung abgekühlt hatte. Er blickte sich nach Semlic um, aber der Diagnostiker war auf einer Nebenstation verschwunden. Dann schaltete er den Translator ein, um zwei Patienten in der Nähe zu bitten, dem Diagnostiker seinen Dank auszurichten, änderte aber rasch seine Meinung, als er die beiden miteinander reden hörte.

Die zarten, klingelnden und klirrenden Stimmen der beiden SNLU-Patienten wurden vom Translator folgendermaßen übersetzt: „…nichts als eine winselnde, hypochondrische Memme! Wenn er nicht ein so freundliches Wesen wäre, würde er Ihnen das sagen und Sie wahrscheinlich aus dem Hospital werfen. Und die schamlose Art, in der Sie versuchen, seine Zuneigung zu gewinnen, grenzt an Verführung.“ Und die Antwort darauf lautete: „Dafür haben Sie niemanden, den Sie verführen könnten, Sie eifersüchtiges altes Miststück! Sie fallen doch schon auseinander. Aber trotzdem weiß er, wer von uns beiden wirklich krank ist, auch wenn ich das zu verbergen versuche.“

Als er die Station verließ, machte sich Conway in Gedanken die Notiz, O'Mara zu fragen, was eigentlich die unter extremer Kälte lebenden SNLUs unternahmen, um emotional erhitzte Gemüter abzukühlen. Und was das anging, was konnte er selbst tun, um den ständig schwangeren Beschützer des Ungeborenen zu beruhigen, dem er einen Besuch abstatten wollte, sobald er etwas zu essen hatte? Allerdings hatte er das bestimmte Gefühl, daß die Antwort in beiden Fällen gleich lautete — nämlich gar nichts.

Nachdem er in die normale Wärme und Helligkeit des Korridors zwischen den Ebenen zurückgekehrt war, dachte er nicht mehr länger darüber nach.

Die Entfernung zwischen seinem gegenwärtigen Standort und der Ebene, auf der sich der Beschützer befand, war etwa die gleiche wie die zur Hauptkantine, die in entgegengesetzter Richtung lag. Folglich hatte er den doppelten Weg vor sich, egal, wohin er zuerst ging. Aber seine eigene Unterkunft lag zwischen ihm und dem Beschützer, und Murchison hatte immer gerne ein paar Lebensmittel vorrätig — eine Gewohnheit aus ihrer Zeit als Schwester —, falls sie durch einen plötzlichen Notfall oder aufgrund purer Erschöpfung vom Besuch der Kantine abgehalten wurde. Zwar handelte es dabei nicht gerade um sonderlich abwechslungsreiche Kost, aber er wollte ja auch nur neuen Brennstoff aufnehmen.

Zudem gab es noch einen weiteren Grund, nicht in die Kantine zu gehen. Obwohl ihm seine Glieder nicht mehr ganz so fremd vorkamen, die Wesen, die ihm auf dem Korridor begegneten, nicht mehr annähernd so beunruhigend waren wie vor seinem Besuch auf Semlics Station und sich Conway als Herr über seine Alter egos fühlte, war er sich nicht sicher, ob all das so bleiben würde, wenn er sich der Nähe von Essensmassen aussetzte, die seine Gehirnpartner womöglich als ekelerregend empfanden.

Es würde nicht gut aussehen, wenn er Semlic schon so bald einen weiteren Besuch abstatten mußte. Er glaubte zwar nicht, daß der schwache und vor allem kalte Trost, den er empfangen hatte, zur Gewohnheit werden könnte, doch traf dafür höchstwahrscheinlich das Gesetz der immer selteneren Wiederkehr zu.

Als er in der Unterkunft eintraf, war Murchison bereits angezogen und genaugenommen wach, befand sich jedoch in einem völlig erschöpften Zustand und wollte schon wieder zur Arbeit gehen. Wie sie beide wußten, sich aber gegenseitig sorgfältig verschwiegen, hatte O'Mara ihre arbeitsfreien Zeiten so gelegt, daß diese so selten wie möglich zusammenfielen — nach Auffassung des Chefpsychologen sei es manchmal besser, die Lösung eines Problems hinauszuzögern, als durch die Bemühung, es zu früh aus der Welt zu schaffen, unnötigen Kummer zu bereiten. Murchison gähnte Conway an und wollte von ihm wissen, was er gemacht habe und was er, abgesehen vom Schlafen, als nächstes zu tun gedenke.

„Zuerst mal essen“, antwortete Conway und gähnte aus Mitleid mit. „Dann muß ich den Zustand des FSOJ überprüfen. Erinnerst du dich an diesen Beschützer? Du bist damals bei seiner Geburt dabeigewesen.“

Selbstverständlich erinnerte sie sich an ihn, und das gab sie Conway in Worten zu verstehen, die alles andere als damenhaft waren.

„Wie lange ist es her, seit du das letztemal geschlafen hast?“ wollte sie von ihm wissen, wobei sie versuchte, ihre Besorgnis zu kaschieren, indem sie so tat, als wäre sie wütend auf ihn. „Du siehst schon schlimmer aus als so mancher Patient auf der Intensivstation. Deine Gehirnpartner werden nicht müde sein, weil sie das zur Zeit der Aufnahme ihrer Gehirnströme auch nicht gewesen sind, aber laß dich bloß nicht von ihnen dazu verleiten, selbst zu glauben, unermüdlich zu sein.“

Conway unterdrückte ein zweites Gähnen und streckte dann plötzlich die Arme aus, um Murchison um die Taille zu fassen. Als er sie hielt, war er sich ziemlich sicher, daß seine Arme nicht zitterten, und obwohl seine Erregung ähnlichen Gefühlen seiner Alter egos entsprach, zog sich der Kuß dennoch weniger in die Länge als normalerweise. Murchison schob ihn sanft von sich weg.

„Mußt du sofort losgehen?“ fragte er, während er ein weiteres ausgiebiges Gähnen zu unterdrücken versuchte.

Murchison lachte. „In dem Zustand werde ich bestimmt nicht mit dir herumalbern. Wahrscheinlich würdest du sowieso tot umfallen. Leg dich lieber ins Bett, bevor du im Stehen einschläfst. Ich mache dir noch schnell was zu essen, bevor ich gehe, irgendwas, das in einem Sandwich versteckt ist, damit deine Gehirnpartner nichts gegen deine Mahlzeit einzuwenden haben.“

Während sie sich am Essensspender beschäftigte, fuhr sie fort: „Thorny ist am Schwangerschaftsverlauf des Beschützers sehr interessiert und hat mich gebeten, die Verfassung des Patienten in regelmäßigen Abständen zu überprüfen. Falls sich dort etwas Ungewöhnliches ergeben sollte, rufe ich dich. Und ich bin sicher, die Chefärzte im hudlarischen OP werden es genauso handhaben.“

„Ich sollte das alles wirklich lieber selbst überprüfen“, wandte Conway ein.

„Wozu hast du eigentlich Assistenten, wenn du noch immer darauf bestehst, alles selbst zu machen?“ warf sie ihm ungeduldig vor.

Die Reste des ersten Sandwiches in der einen Hand und eine Tasse mit einer nicht spezifizierten, aber zweifellos nahrhaften Flüssigkeit in der anderen, setzte sich Conway auf ihr gemeinsames Bett. „An deinem Einwand ist durchaus etwas dran“, stimmte er ihr schließlich zu.

Sie drückte ihm flüchtig einen fast schwesterlichen Kuß auf die Wange, um sowohl seine Alter egos als auch ihn selbst so wenig wie möglich aufzuregen, und verließ ohne ein weiteres Wort die Unterkunft. O'Mara schien ihr eine ziemlich gründliche Standpauke bezüglich ihres Verhaltens gegenüber einem Lebensgefährten gehalten zu haben, der erst vor kurzem ein Diagnostiker auf Probe geworden war und der sich noch auf den damit verbundenen Gefühlsaufruhr innerlich einstellen mußte.

Falls ihm das nicht bald gelang, konnte er sich allerdings darauf gefaßt machen, zukünftig nicht mehr allzuviel Spaß am Leben zu haben. Das Problem war nur, daß ihm Murchison nur selten Gelegenheit gab, es wenigstens einmal zu versuchen.

Auf einmal wachte er mit ihrer Hand auf der Schulter und den verblassenden Nachwirkungen eines Alptraums auf — bei dem es sich allerdings möglicherweise auch um den Wunschtraum eines Aliens gehandelt haben konnte —, der nur allmählich in die angenehme Realität ihrer gemeinsamen Unterkunft überging.

„Du hast geschnarcht“, flüsterte Murchison ihm ins Ohr. „Wahrscheinlich hast du die letzten sechs Stunden lang geschnarcht. Die Teams aus dem Hudlarer-OP und vom Beschützer haben dir Nachrichten auf Band hinterlassen. Offensichtlich handelt es sich dabei nicht um allzu dringende oder wichtige Angelegenheiten, sonst hätte man dich bestimmt wecken lassen. Die übrigen Dinge im Hospital gehen ihren gewohnten Gang. Willst du noch weiterschlafen?“

„Nein“, antwortete Conway und streckte die Hände aus, um ihre Taille zu umfassen. Murchisons Widerstand war nur gespielt.

„Ich glaube nicht, daß O'Mara das gutheißen würde“, reagierte sie zurückhaltend, wobei in ihrer Stimme deutliche Zweifel mitklangen. „Er hat mich davor gewarnt, daß es zu Gefühlskonflikten kommen könnte, und zwar mit solch schwerwiegenden Folgen, daß unsere Beziehung dauerhaft darunter leiden würde, wenn du dich nicht langsam und ganz beherrscht auf die neue Situation einstellen kannst, und außerdem ist O'Mara.“

„Und außerdem ist O'Mara nicht mit der schönsten weiblichen DBDG im Hospital verheiratet“, fiel ihr Conway ins Wort. „Und seit wann handle ich überstürzt und unbeherrscht?“

„O'Mara ist mit niemand anderem verheiratet als mit seiner Arbeit“, stimmte Murchison ihm lachend zu. „Und ich glaube, seine Arbeit würde sich wegen ständiger Überarbeitung auf der Stelle von ihm trennen, wenn sie könnte. Aber unser Chefpsychologe versteht sein Geschäft, und ich möchte nicht das Risiko einer vorzeitigen Überreizung deines.“

„Jetzt laß doch mal das ewige Gerede“, schnitt ihr Conway sanft das Wort ab.

Möglicherweise hatte der Chefpsychologe recht, dachte Conway, als er Murchison sanft neben sich aufs Bett zog; eigentlich hatte O'Mara immer recht. Seine Alter egos wurden zunehmend ungehaltener und betrachteten die Gesichtszüge auf der Vorderseite des Schädels und die sanft gewölbten Brüste der terrestrischen DBDG, die ihnen derart nahe waren, mit der typischen Mißbilligung fremder Spezies. Und als sich zu der optischen Wahrnehmung auch noch Tastempfindungen gesellten, stieg dieses Mißfallen aufs Äußerste.

Sie reagierten mit geistigen Bildern von dem, was in der entsprechenden Situation bei Hudlarern, Tralthanern, Kelgianern, Melfanern, Illensanern und Gogleskanern vorging, und behaupteten, daß Conways Vorgehen vollkommen und geradezu empörend falsch sei. Was noch schlimmer war, sie versuchten, auch Conway zu der Ansicht zu bringen, er mache alles verkehrt und die Partnerin neben ihm müsse eigentlich zu einer ganz anderen physiologischen Klassifikation gehören, wobei die genaue Spezies von der Gefühlsintensität desjenigen Wesens abhing, das gerade am stärksten protestierte.

Selbst die Gogleskanerin beteuerte, das diese Betätigung grundverkehrt sei, distanzierte sich jedoch von den Vorgängen im Gehirn. Khone war eine krasse Individualistin, ein perfektes Beispiel für eine Einzelgängerin inmitten einer Spezies, die sich bis zu einem Punkt entwickelt hatte, an dem Einsamkeit ein grundlegendes Überlebensmerkmal darstellte. Und plötzlich wurde Conway bewußt, daß er sich Khones gogleskanischer Haltung und ihrer Fähigkeiten bediente, wie er sich ihrer schon mehrmals zuvor bedient hatte, um die Gedanken und Empfindungen zu verdrängen, die einfach verdrängt werden mußten, und seinen terrestrischen Verstand auf das zu richten, was die größte Konzentration erforderte.

Doch waren die Proteste der Aliens immer noch stark, aber die Querulanten wurden in ihre Schranken verwiesen und ganz hintangestellt. Sogar die Einwände der Gogleskanerin wurden zwar zur Kenntnis genommen, ansonsten aber ignoriert. Conway setzte die einzigartige Fähigkeit der FOKT nicht nur gegen die anderen Aliens, sondern auch gegen sie selbst ein, und Khones Spezies wußte ganz genau, wie man sich auf etwas zu konzentrieren hatte.

„Das. sollten wir. lieber lassen“, stammelte Murchison atemlos.

Conway überhörte ihren Einwand und konzentrierte sich auf alles andere. Hin und wieder drängten sich ihm Reaktionen der fremden Lebensformen in entsprechenden Situationen auf, die nachdrücklich hervorhoben, daß seine Partnerin zu groß, zu klein, zu zerbrechlich war, die falsche Form hatte oder sich in der falschen Stellung befand. Doch die Organe, mit denen er sah und fühlte, waren die eines männlichen Terrestriers, und die Reize, die sie wahrnahmen, begruben die rein geistige Einmischung der Aliens einfach unter sich. Gelegentlich schlugen ihm seine Alter egos bestimmte Maßnahmen und Bewegungen vor. Auch die ignorierte er, außer in ein paar Fällen, wenn er sie für seine eigenen Zwecke abändern konnte. Aber letztendlich waren alle Einwürfe und Einwände der Aliens vergebens, und der Hauptreaktor des Hospitals hätte in die Luft gehen können, ohne daß Conway allzuviel davon mitbekommen hätte.

Selbst als ihre erhöhten Puls- und Atemfrequenzen wieder einen Wert angenommen hatten, der annähernd normal war, hielt Murchison ihn weiter fest umschlungen. Sie schwieg die ganze Zeit und wollte Conway noch weniger loslassen als zuvor, bis sie plötzlich leise vor sich hin lachte.

„Bezüglich meines Verhaltens dir gegenüber habe ich für die nächsten Wochen oder Monate genaue Anweisungen erhalten“, sagte sie in einem Ton, in dem sowohl Verlegenheit als auch Erleichterung mitschwangen. „Der Chefpsychologe hat gesagt, ich solle intimen Körperkontakt vermeiden, bei allen Gesprächen eine berufliche und sachliche Art beibehalten und mich ganz allgemein wie eine Art Witwe betrachten, bis du entweder mit den im Kopf gespeicherten Bändern zurechtgekommen wärst oder man dich zwingen würde, wieder deinen früheren Rang als Chefarzt einzunehmen. Es handle sich um eine ausgesprochen ernste Angelegenheit, hat er mir gesagt, und es sei ein hohes Maß an Geduld und Mitgefühl erforderlich, um dir über diese schwierige Zeit hinwegzuhelfen. Ich solle dich als multiplen Schizophrenen betrachten, da die meisten der betreffenden Persönlichkeiten zu mir keine emotionale Bindung hätten und in vielen Fällen mit körperlichem Abscheu auf mich reagieren würden. Dennoch dürfe ich das alles nicht beachten, weil du sonst der Gefahr bleibender psychischer Schäden ausgesetzt wärst.“

Sie küßte ihn auf die Nasenspitze und stieß einen langen, zarten Seufzer aus. „Statt dessen kann ich keine Spur eines körperlichen Abscheus entdecken und. tja, du bist offenbar nicht mehr ganz und gar der alte. Ich kann nicht genau sagen, worin der Unterschied besteht, und ich will mich auch nicht beklagen, aber du scheinst überhaupt keine psychologischen Schwierigkeiten zu haben und. und O'Mara wird sich wirklich freuen!“

Conway grinste. „Ich habe nicht versucht, O'Mara zu erfreuen.“, begann er, als er vom dringlichen Piepen des Kommunikators unterbrochen wurde.

Von Murchison war der Kommunikator darauf eingestellt worden, alle Nachrichten, die nicht dringend waren, auf Band aufzunehmen, und offensichtlich hielt irgend jemand sein Problem für so wichtig, um Conway aufzuwecken. Er entzog sich Murchisons Umklammerung, indem er sie unter den Achselhöhlen kitzelte, und schwenkte die Kamera des Kommunikators vom zerwühlten Bett weg, bevor er antwortete, denn möglicherweise befand sich ein männlicher DBDG von der Erde am anderen Ende.

Auf dem Bildschirm erschien Edanelts eckiges, von Chitin überzogenes Gesicht. „Ich hoffe, ich störe Sie nicht, Conway“, begrüßte ihn der melfanische Chefarzt, „aber FROB dreiundvierzig und FROB zehn sind wieder bei Bewußtsein und haben keine Schmerzen. Sie sind sehr froh, noch am Leben zu sein, und hatten noch keine Zeit, über die damit verbundenen Nachteile nachzudenken. Meiner Meinung nach wäre das der beste Moment, sich mit ihnen zu unterhalten, falls Sie das immer noch wollen.“

„Und ob ich das will“, antwortete Conway, obwohl im nichts einfallen wollte, was er im Augenblick weniger gerne getan hätte, und das wußten sowohl Murchison als auch Edanelt, die ihn beide beobachteten. „Was ist mit FROB drei?“ erkundigte er sich schließlich.

„Noch bewußtlos, aber in stabiler Verfassung“, antwortete der Chefarzt. „Ich habe seinen Zustand ein paar Minuten, bevor ich Sie angerufen habe, überprüft. Hossantir und Yarrence sind vor ein paar Stunden gegangen, um sich diesen Zeiträumen des körperlichen und seelischen Zusammenbruchs hinzugeben, die Sie alle offenbar in solch lachhaft kurzen Abständen brauchen. Wenn FROB drei zu sich kommt, werde ich mich mit ihm unterhalten. Bei ihm sind die Anpassungsschwierigkeiten nicht so groß.“

Conway nickte. „Bin schon auf dem Weg.“

Durch die Aussicht auf das, was vor ihm lag, war die hudlarische Gedächtnisaufzeichnung in den Vordergrund getreten und füllte jetzt praktisch Conways ganzen Kopf aus, so daß er sich ohne körperliche Berührung und nicht einmal mit einem herzlichen Wort von Murchison verabschiedete. Zum Glück fand sie sich mittlerweile mit diesem Verhalten ab und pflegte es einfach nicht zu beachten, bis er wieder der alte sein würde. Als Conway das Zimmer verließ, fragte er sich, was an diesem rosa, schlaffen, unglaublich schwachen und abstoßenden Wesen, mit dem er den Großteil seines Lebens als Erwachsener verbracht hatte, so Besonderes war.

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