13

„Jetzt dauert es nicht mehr lange! Die Schlucht ist schon in Sicht!“ rief Kerk ihm zu.

Jason nickte, aber dann fiel ihm auf, daß sein Kopf ohnehin bei jedem Schritt seines Moropes wackelte. Er versuchte zu antworten, aber aus seiner ausgetrockneten Kehle drang nur ein heiseres Krächzen. Schließlich ließ er das Sattelhorn lange genug los, um zu winken, und umklammerte es sofort wieder.

Der Ritt ging weiter.

Der Ritt glich einem Alptraum. Sie waren am vergangenen Abend aufgebrochen, hatten das Lager in kleinen Gruppen verlassen und waren erst außer Sichtweite mit der Hauptstreitmacht unter Temuchin zusammengetroffen. Schon nach wenigen Stunden war Jason vor Übermüdung und Schmerzen fast bewußtlos gewesen und hatte seinen Medikasten gebrauchen müssen. Temuchin hatte erst im Morgengrauen eine kurze Rast befohlen, um die Moropen füttern und tränken zu lassen. Dieser Aufenthalt mochte den Reittieren genützt haben — aber er hatte Jason fast erledigt.

Jason war buchstäblich aus dem Sattel gefallen, als er abzusteigen versuchte, und hatte sich nicht aufrichten können.

Kerk stützte ihn und führte ihn im Kreis umher, während ein anderer Pyrraner ihre Tiere versorgte. Jasons Beine wurden endlich wieder beweglich, aber damit begannen auch die Schmerzen, denn seine Oberschenkel waren vom Sattel völlig aufgerieben. Er hatte sich eine kleine Dosis eines schmerzstillenden Mittels und ein Aufputschmittel genehmigt, bevor der Ritt weiterging. Aber er war sich darüber im klaren, daß er mit dem Inhalt des Medikastens sparsam umgehen mußte: die Schlacht würde erst beginnen, wenn dieser Ritt zu Ende war, und er mußte sich die stärksten Mittel für später aufheben, um dann bei klarem Verstand zu sein.

In gewisser Beziehung hatte er allen Grund, stolz auf sich zu sein. Einige Dutzend Reiter hatten dieses mörderische Tempo nicht mithalten können, während er noch immer im Sattel saß.

Wer hier aus dem Sattel fiel, weil er einschlief oder bewußtlos wurde, war rettungslos verloren und wurde von den nachfolgenden Moropen zertrampelt.

Wenn die Schlucht tatsächlich vor ihnen lag, durfte er jetzt die Drogen verwenden, die er sich bis jetzt aufgehoben hatte.

Jason kniff die Augen zusammen und starrte angestrengt nach vorn. Dort war ein dunkler Einschnitt im hellen Grau der umliegenden Felsen zu erkennen. Die Schlucht, deren Besetzung den Sieg bringen sollte, weil sie ins Innere des feindlichen Gebiets führte. Jason atmete erleichtert auf und drückte den Medikasten gegen seine Handfläche.

Als die Drogen zu wirken begannen, erkannte Jason, daß Temuchin wahnsinnig sein mußte.

„Er läßt zum Angriff blasen!“ rief er Kerk zu, als überall Hornsignale ertönten. „Nach diesem langen Ritt…“

„Natürlich“, meinte Kerk gelassen. „Das ist die richtige Methode.“

Die richtige Methode, um Menschen zu töten, dachte Jason erbittert.

Die Reiter strömten über die Ebene auf den Eingang des schluchtartigen Tals zu. Bogenschützen sprangen von ihren Tieren und kletterten die steilen Wände hinauf, um den Vormarsch von dort aus zu unterstützen. Die ersten Gruppen verschwanden zwischen den Felsen. Eine Staubwolke nahm Jason die Sicht, als er sich von den vorrückenden Pyrranern trennte und Temuchin aufsuchte, der ihn zu sich beordert hatte.

Die Leibwächter ließen ihn durch.

Temuchin nahm eine Meldung von einem erschöpften Reiter entgegen und wandte sich an Jason. „Hol deine Bomben und mach dich bereit“, wies er ihn an.

„Wozu?“ fragte Jason und fuhr rasch fort: „Was soll ich mit ihnen tun? Du brauchst nur zu befehlen, aber ich muß wissen, was ich mit den Bomben tun soll.“

Temuchin nickte langsam. „Der Gegner ist überrascht worden und hat nur die normale Besatzung hier“, erklärte er Jason. „Die unteren Befestigungen sind genommen, und wir kämpfen uns jetzt zu den oberen vor. Diese sind in die Felsen eingelassen und schwer anzugreifen. Die Verteidiger sind dort vor Pfeilen sicher. Unsere Krieger müssen langsam hinter Schilden vorrücken, wenn wir nicht die halbe Armee verlieren wollen. Die oberen Befestigungen lassen sich nicht einfach stürmen.

Bisher sind die Kämpfe immer nach dem gleichen Schema verlaufen. Wir haben eine Befestigung nach der anderen genommen und sind langsam durch die Schlucht vorgedrungen.

Aber bevor wir das andere Ende erreicht hatten, waren Verstärkungen des Gegners eingetroffen. Daraufhin mußten wir den aussichtslosen Kampf abbrechen und uns zurückziehen. Aber diesmal wird es anders.“

„Hmm, das kann ich mir vorstellen“, meinte Jason. „Du glaubst, daß meine Bomben die Verteidiger erschrecken und den Angriff beschleunigen könnten?“

„Richtig.“

„Gut, dann fange ich gleich an. Ich brauche jedoch einige Pyrraner, die mir helfen. Sie können weiter und besser werfen als ich.“

„Ich lasse sie holen“, versprach Temuchin.

Als Jason die ersten Bomben von den Tragtieren geladen hatte, trafen die Pyrraner ein — Kerk und zwei weitere Männer.

„Willst du ein paar Bomben werfen?“ fragte Jason Kerk.

„Natürlich. Du brauchst mir nur den Mechanismus zu erklären.“

„Ich habe das ursprüngliche Modell etwas verbessert, damit die Handgranaten jedesmal detonieren.“ Jason hob eine der primitiven Bomben hoch. „Die Dinger enthalten tatsächlich Pulver, damit sie rauchen und stinken. Die Lunte wird angezündet, dient jedoch nur zur Tarnung; sobald sie qualmt, ziehst du kurz daran. Jede Bombe enthält eine unserer Mikrogranaten, und die Lunte ist mit dem Sicherungsstift verbunden.“

Jason nahm Stahl und Feuerstein aus der Tasche, beugte sich über ein mit Zunder gefülltes Tongefäß und begann eifrig zu schlagen. Als die ersten Funken wieder erloschen, sah er sich vorsichtig um. Keine Nomaden in der Nähe. Er hielt ein Feuerzeug an den Zunder.

„Hier“, sagte er zu Kerk und gab ihm das rauchende Gefäß.

„Ich schlage vor, daß du den Topf trägst und die Granaten wirfst. Du kannst bestimmt weiter als ich werfen.“

„Weiter und zielsicherer.“

„Ganz recht, das hätte ich fast vergessen. Ich und die anderen tragen die Granaten und wehren etwaige Angriffe ab.“

Sie ließen ihre Reittiere zurück und machten sich zu Fuß auf den Weg in die Schlucht. Nach kurzer Zeit sahen sie die ersten Opfer des Kampfes — verwundete Soldaten, die nach rechts und links aus dem Weg der angreifenden Truppe krochen. Wer das nicht schaffte, wurde von den vorrückenden Horden zertrampelt. Kerk, Jason und die anderen mußten auf einen schmalen Bergpfad ausweichen. Die Wände der Schlucht wurden steiler. Dann lag plötzlich die erste Befestigung vor ihnen: ein primitiver Steinwall auf einem schmalen Sims. Die Verteidiger waren tot; ihre Körper waren mit Pfeilen gespickt, die Daumen fehlten.

„Wenn die anderen Befestigungen ähnlich aussehen, ist die Sache einfach“, meinte Jason. „Hier sind nur Felsbrocken übereinander aufgetürmt. Eine Granate müßte ein hübsches Loch in den Wall reißen.“

„Du bist zu optimistisch“, stellte Kerk fest und ging voraus.

„Das hier sind nur Vorposten. Die eigentlichen Befestigungen kommen erst.“

„Ich versuche mir nur einzureden, daß wir diesen Barbarenkrieg lebend überstehen werden“, erklärte Jason.

Der Pfad, dem sie bisher gefolgt waren, führte in die Schlucht hinab, und sie mußten sich durch die Soldaten einen Weg nach vorn bahnen. Die Wände der Schlucht wurden immer steiler, und Jason konnte sich vorstellen, daß die Verteidiger es hier leicht hatten. Ein Pfeil prallte von den Felsen über seinem Kopf ab und fiel vor seine Füße.

„Wir sind an der Front“, stellte Jason fest. „Bleibt hier, bis ich mich umgesehen habe.“ Er kletterte auf den nächsten Felsbrocken, die den Boden der Schlucht füllten, und streckte vorsichtig den Kopf darüber hinaus. In diesem Augenblick wurde sein Helm bereits von einem Pfeil getroffen.

Der Vormarsch war hier zum Stehen gekommen, weil zwei Befestigungen an den Wänden der Schlucht die Angreifer unter Feuer nehmen konnten. Die Verteidiger schössen aus Schießscharten und waren dort fast unverwundbar. Temuchins Krieger erlitten schwere Verluste, weil sie nur von ihren Schildern gedeckt angreifen mußten.

„Die Entfernung beträgt etwa vierzig Meter“, sagte Jason, als er wieder neben Kerk stand. „Kannst du eine dieser Granaten so weit werfen?“

Kerk wog die primitive Bombe prüfend in der Hand.

„Natürlich“, antwortete er, „aber ich muß mir die Sache erst selbst ansehen.“ Er kletterte zu Jasons Beobachtungspunkt hinauf und kam wieder herunter.

„Das Fort ist größer als die anderen“, stellte er fest. „Wir brauchen mindestens zwei Bomben. Während ich die erste werfe, zündest du die Lunte der zweiten an — ohne den Sicherungsstift zu ziehen — und gibst sie mir, sobald die erste in der Luft ist. Klar?“

„Kristallklar.“

Jason legte die Bomben, die er bisher getragen hatte, hinter den Felsen und behielt nur eine in der Hand. Kerk zündete die Lunte an, blies darauf und trat hinter dem Felsen hervor. Jason entzündete rasch die Lunte der nächsten Bombe und hielt sich bereit.

Kerk achtete gar nicht darauf, daß ein Pfeil an ihm vorüberzischte, während ein anderer von seinem Harnisch abprallte. Er machte seelenruhig einen Finger naß und hielt ihn hoch, um die Windrichtung zu prüfen. Jason biß die Zähne zusammen, um den Pyrraner nicht anzubrüllen, er solle endlich werfen.

Weitere Pfeile prallten vom Felsen ab, bevor Kerk endlich den Arm hob. Jason sah, daß er den Sicherungsstift mit einem kurzen Ruck herauszog, bevor er die Handgranate unter Anspannung aller Kräfte warf. Die Bombe stieg hoch in die Luft, beschrieb einen weiten Bogen und fiel genau auf das Fort zu. Jason legte Kerk die nächste in die ausgestreckte Hand, und der Pyrraner warf sie so schnell, daß beide Bomben gleichzeitig in der Luft waren.

Kerk blieb unbeweglich stehen, und Jason folgte seinem Beispiel, obwohl er lieber hinter dem Felsen in Deckung gegangen wäre. Sie beobachteten die beiden schwarzen Punkte, die hinter dem Wall verschwanden.

Dann mußten sie einen Augenblick warten — bis plötzlich die gesamte Befestigung zusammenstürzte und in die Schlucht hinabrollte. Jason sah einige Körper durch die Luft fliegen, bevor er hinter dem Felsen vor Splittern Schutz suchte.

„Ausgezeichnet“, meinte Kerk, der jetzt neben ihm stand.

„Hoffentlich sind alle so leicht.“

Aber das war natürlich nicht der Fall. Die Verteidiger hatten bereits erkannt, daß ein Mann, der irgend etwas warf, für die Katastrophe verantwortlich war. Als Kerk wieder ins Freie trat, wurde er von einem Pfeilhagel empfangen.

„Hmmm, das muß überlegt werden“, meinte Kerk und löschte automatisch die brennende Lunte.

„Hast du Angst? Warum hörst du jetzt auf?“ erkundigts sich eine wütende Stimme hinter ihm. Temuchin war mit seiner Leibwache an die Front gekommen.

„Vorsicht gewinnt Schlachten, Angst verliert sie. Ich werde diese Schlacht für dich gewinnen“, antwortete Kerk eisig.

„Ist es Vorsicht oder Feigheit, die dich dazu bringt, dich hinter diesem Felsen zu verstecken, anstatt die Befestigungen zu zerstören, wie ich es dir befohlen habe?“

„Ist es Vorsicht oder Feigheit, die dich dazu bringt, hier zu jammern, anstatt deine Männer in den Kampf zu führen?“

Temuchin knurrte heiser und griff nach seinem Schwert.

Kerk hob die Bombe, als wolle er sie ihm an den Kopf werfen.

Jason holte tief Luft und trat zwischen die beiden Männer.

„Die Sonne geht bereits unter, und wenn die Befestigungen nicht bis Einbruch der Dunkelheit genommen werden, ist es wahrscheinlich zu spät“, stellte er fest und wandte sich dabei an Temuchin, weil er wußte, daß Kerk ihn nicht von hinten angreifen würde. „Die Wiesel könnten Verstärkungen heranholen — und damit wäre unser Angriff abgeschlagen.“

Keiner der beiden Männer bewegte sich, deshalb fuhr Jason rasch fort: „Die Pyrraner und einige andere Soldaten müssen Steine gegen die Befestigungen werfen. Damit richten sie nichts aus — aber die Bogenschützen wissen nicht mehr, wer eigentlich die Bomben wirft.“ Jason sprach eindringlich weiter:

„Für einen Mann bedeutet es den sicheren Tod, wenn er das konzentrierte Feuer aushalten muß. Aber wenn wir es ablenken, können wir rasch vordringen und haben bei Einbruch der Dunkelheit alle Befestigungen erobert.“

Temuchin ließ sein Schwert sinken. Der Gedanke an sein Heer und die Schlacht, die er gewinnen mußte, war ihm wichtiger als alles andere. Er erteilte rasch seine Befehle.

Nun war der Vormarsch nicht mehr aufzuhalten. Oberall tauchten Männer auf und warfen Felsbrocken, die in der Luft nicht von Granaten zu unterscheiden waren. Ein Fort nach dem anderen fiel, und Temuchins Krieger drangen unablässig weiter vor.

„Dort vorn ist die Schlucht zu Ende!“ rief Jason Kerk zu und schlug ihm auf die Schulter.

An dieser Stelle war die Schlucht weniger als hundert Meter breit und wurde von zwei hohen Felstürmen begrenzt, die fast senkrecht aus dem Talboden aufstiegen. Durch diesen Spalt war der rötliche Abendhimmel zu sehen. Und sanfte Hügel, denn die steilen Felswände endeten an den Türmen. Wenn Temuchins Horde diese Stelle passiert hatte, war sie nicht mehr aufzuhalten.

Als Jason und Kerk mit weiteren Bomben nach vorn gingen, fiel ihnen auf, daß die meisten Soldaten zurückliefen.

Gleichzeitig ertönten schrille Hornsignale.

„Was ist los?“ fragte Kerk und hielt einen der Flüchtenden fest. „Was bedeutet der Lärm?“

„Rückzug!“ antwortete der Mann und zeigte nach oben.

„Siehst du, was ich meine?“ Er riß sich los und lief weiter.

Ein riesiger Felsbrocken rollte zu Tal und zermalmte einige Soldaten unter sich. Jason und Kerk sahen jetzt Männer am Rand der Schlucht; sie hoben sich deutlich vor dem Abendhimmel ab, als sie einen Baumstamm unter den nächsten Felsbrocken schoben, um ihn in Bewegung zu setzen.

„Dort drüben auch!“ rief Jason. „Sie haben überall Felsen am Rand aufgehäuft und lassen sie jetzt Herunterrollen.

Zurück!“

Jason und Kerk rannten mit den anderen.

Die Verluste waren nicht allzu groß, denn die meisten Männer waren rechtzeitig gewarnt worden. Als der letzte Felsen zur Ruhe gekommen war, zeigte sich, daß die Schlucht zwischen den beiden Felstürmen vollständig abgeriegelt war.

Der Feldzug war offenbar verloren.

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