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Jason hob den Arm, krümmte die Finger der rechten Hand und wartete darauf, daß die Pistole in seiner Hand erscheinen würde — aber dann fiel ihm ein, daß er entwaffnet worden war.

„Gut, dann kämpfen wir eben auf altmodische Weise!“ brüllte er den Angreifern entgegen und ließ seinen Morgenstern um sich kreisen. Er hatte keine Aussichten, aber die anderen sollten ihn wenigstens nicht kampflos umbringen.

Die fünf Reiter galoppierten auf Jason zu und hatten eben die Grenze zwischen dem gelbgrünen und dem verbrannten Gras erreicht, als eine Detonation ertönte. Eine Rauchwolke hüllte die Angreifer ein. Jason ließ seine Keule sinken und trat unwillkürlich zurück. Nur ein Morope kam in seine Nähe und brach vor ihm zusammen; die anderen Tiere und ihre Reiter lagen in größerer Entfernung bewegungslos am Boden.

Jason sog prüfend die Luft ein und wich noch weiter vor der Gaswolke zurück. Narkogas. Es wirkte augenblicklich bei allen Sauerstoffatmern, die etwa fünf Stunden bewußtlos blieben; die einzige Nebenwirkung bestand aus starken Kopfschmerzen nach dem Aufwachen.

Was war geschehen? Das Schiff war gestartet, und Jason sah niemand in seiner Nähe. Die Drogen wirkten allmählich nicht mehr, so daß er kaum noch klar denken konnte. Er hörte das Grollen einige Sekunden lang, bevor ihm einfiel, was dieses Geräusch verursachte: die Pinasse des Raumschiffs. Als er den Kopf hob, sah er den weißen Kondensstreifen am Morgenhimmel; wenig später zeichnete sich ein schwarzer Punkt vor dem hellen Hintergrund ab und kam rasch näher. Die Pinasse wurde ständig größer und setzte schließlich auf einem Feuerstrahl kaum hundert Meter von Jason entfernt auf. Die Luftschleuse wurde geöffnet, und Meta sprang zu Boden.

„Alles in Ordnung?“ rief sie und rannte mit schußbereiter Waffe auf ihn zu.

„Selbstverständlich“, antwortete Jason. Er stützte sich auf die Keule, um nicht zusammenzusacken. „Warum kommst du so spät? Ich dachte schon, ihr wäret alle ohne mich verschwunden.“

„Du weißt doch, daß wir das nie tun würden protestierte Meta. Sie betastete seine Arme und seinen Oberkörper, als wolle sie sich vergewissern, daß er sich keine Knochen gebrochen hatte. „Wir konnten sie nicht daran hindern, dich mitzunehmen. Einige von ihnen sind gestorben. Zur gleichen Zeit wurde das Schiff angegriffen.“

Jason wußte, welche Anstrengungen und Kämpfe sich hinter diesen kurzen Worten verbargen. Er nickte langsam.

„Komm in die Pinasse“, forderte Meta ihn auf. Sie legte ihm einen Arm um die Schultern, um ihn zu stützen. Er ließ es sich gefallen. „Sie müssen auf allen Seiten im Hinterhalt gelegen haben und bekamen ständig Verstärkung. Sie sind erfahrene Kämpfer, die keinen Pardon verlangen und auch keinen geben.

Kerk hat bald eingesehen, daß der Kampf endlos fortdauern würde, ohne daß wir dir durch unsere Anwesenheit helfen konnten. Selbst wenn dir die Flucht aus der Gefangenschaft gelungen wäre, hättest du das Schiff unter diesen Umständen nie erreicht. Deshalb sind wir gestartet und haben zuvor Kameras, Mikrophone, Landminen und ferngezündete Narkobomben am Landeplatz verteilt. Die anderen warten in einem Stützpunkt, den sie irgendwo im Norden in den Bergen errichtet haben. Ich bin mit der Pinasse in der Nähe geblieben und so schnell wie möglich gekommen.“

„Vielen Dank für die prompte Hilfe.“ Jason schüttelte ihre Hand ab. „Danke, ich kann allein einsteigen.“

Er konnte es nicht, aber er wollte es nicht zugeben und redete sich ein, er sei selbst die Leiter hinaufgeklettert, anstatt von Meta hinaufgeschoben worden zu sein.

Jason stolperte durch die Kabine und ließ sich auf die Kopilotenliege fallen, während Meta die Schleuse verriegelte.

Sobald das Luk geschlossen war, schien die Spannung von ihr abzufallen; sie eilte zu Jason und kniete neben ihm nieder, um ihm ins Gesicht sehen zu können.

„Nimm das ab“, sagte sie und warf seine Pelzmütze zu Boden. Sie berührte seine Prellungen und Frostbeulen mit den Fingerspitzen. „Ich hätte nie geglaubt, daß ich dich wiedersehen würde.“

„Hat dich das so gestört?“

Er war erschöpft und einer Ohnmacht nahe; aber er spürte auch, daß dieser Augenblick für ihr zukünftiges Verhältnis zueinander entscheidend sein konnte.

„Ja, es hat mich gestört — und ich weiß keinen Grund dafür.“

Meta küßte ihn, ohne auf seine aufgesprungenen Lippen zu achten. Er beschwerte sich nicht.

„Vielleicht bist du es einfach gewöhnt, mich um dich zu haben“, meinte Jason leichthin.

„Nein, das ist es nicht. Ich habe schon andere Männer um mich gehabt. Ich habe zwei Kinder. Ich bin dreiundzwanzig.

Ich bin als Pilot unseres Raumschiffes auf vielen Planeten gewesen. Ich habe mir eingebildet, alles zu wissen, aber du hast mich viel Neues gelehrt. Als dieser Mikah Samon dich entführt hatte, war mir plötzlich klar, daß ich dich unter allen Umständen finden mußte. Das ist ungewöhnlich, denn wir Pyrraner denken zuerst an das Wohl unserer Stadt, nie an andere Leute. Jetzt weiß ich nicht mehr, was ich denken soll.

War das falsch?“

„Nein“, versicherte Jason ihr mit heiserer Stimme, „ganz im Gegenteil. Du hast…“

Meta wandte sich ab, als ein Alarmsignal ertönte. Jason lächelte, ließ das Kinn auf die Brust sinken und schlief augenblicklich ein.

„Sie greifen wieder an“, stellte Meta fest, schaltete das Warnsignal ab und sah auf den Bildschirm. Als sie merkte, daß Jason schlief, legte sie ihm rasch die Gurte an und leitete den Start ein.

„Das gefällt mir an den Pyrranern“, meinte Jason, als er auf einer Tragbahre die Pinasse verließ. Er warf einen Blick auf die Flasche mit Traubenzuckerlösung, die über ihm hing. „Sie lassen einen wenigstens zum Teufel gehen, wie man will. Hätte ich eine Strychnininjektion verlangt, hätte ich sie wahrscheinlich auch bekommen.“ Meta sorgte dafür, daß er sich einigermaßen ausschlafen konnte, bevor die Führer der Expedition sich in seiner Kabine versammelten. Jason wachte auf, als in seiner Nähe Stimmen laut wurden.

„Die Besprechung kann beginnen“, sagte er heiser flüsternd.

Er wandte sich an Tecca. „Ich brauche etwas für meine Stimme und eine Spritze, damit ich aufwache. Kannst du mir das geben?“

„Natürlich“, antwortete Tecca und öffnete seinen Kasten.

„Ich halte es allerdings für falsch, weil dein Körper ohnehin überanstrengt ist.“ Trotzdem erfüllte er seine Pflicht rasch und sicher.

„Schon besser“, stellte Jason fest, als die Spritze zu wirken begann. Dafür würde er bezahlen müssen — aber erst später.

„Ich habe die Lösungen einiger unserer Probleme gefunden“, begann er. „Ich weiß jetzt, daß es uns nicht gelingen wird, eine Bergwerkssiedlung zu errichten, falls wir keine durchgreifenden Änderungen durchsetzen können. Wir müssen die Sitten, Tabus und kulturellen Motivationen der Barbaren ändern, bevor wir mit dem Erzabbau beginnen können.“

„Unmöglich“, behauptete Kerk.

„Vielleicht. Aber immerhin besser als die Alternative —

Völkermord. Wie die Dinge jetzt stehen, müßten wir die Barbaren ausrotten, um wirklich Frieden zu haben.“

„Kommt nicht in Frage“, entschied Kerk, und die anderen nickten. „Die andere Möglichkeit erscheint mir allerdings sehr unrealistisch.“

„Wirklich? Du brauchst nur daran zu denken, daß wir hier sind, weil auf Pyrrus ähnlich durchgreifende Veränderungen verwirklicht wurden. Was für Pyrraner gut genug war, ist auch für Barbaren gut genug.“

„Willst du uns nicht zuerst schildern, was wir hier verändern sollen?“ warf Rhes ein.

„Habe ich das noch nicht getan?“ Jason merkte, daß er trotz der Drogen nicht so klar wie sonst dachte. „Ich habe den Lebensstil der Eingeborenen unfreiwillig kennengelernt.

Sie gehören alle verschiedenen Stämmen an, die sich offenbar dauernd in den Haaren liegen. Gelegentlich taucht ein Mann auf, der es fertigbringt, einige Stämme unter seiner Führung zu vereinigen. Der Mann, der die erste Expedition vernichtet hat, heißt Temuchin; er versteht seine Sache so gut, daß er seinen Einfluß inzwischen vergrößert hat. Seit unserer Ankunft ist er noch mächtiger geworden, weil sich täglich neue Stämme seiner Führung unterwerfen. Temuchin ist unser größtes Problem. Solange er die Stämme führt, erreichen wir nichts; deshalb müssen wir den Rückzug antreten, damit sein Heiliger Krieg sinnlos wird.“

„Sprichst du im Fieber?“ wollte Meta wissen.

„Danke, mir geht es ausgezeichnet. Wir müssen die Barbaren davon überzeugen, daß wir abfliegen. Am besten drohen wir ihnen über Lautsprecher damit, wenn sie wieder angreifen, nachdem wir am alten Platz gelandet sind. Da sie natürlich weiter angreifen, starten wir demonstrativ und steuern ein Versteck irgendwo in den Bergen an. Das ist das erste Stadium.“

„Hoffentlich gibt es ein zweites“, meinte Kerk ohne große Begeisterung. „Bisher sieht alles nach einem Rückzug aus.“

„Richtig, das ist gerade die Absicht dahinter. In den Bergen suchen wir uns ein einsames Tal, das zu Fuß unerreichbar wäre. Dort bauen wir ein Musterdorf und besiedeln es mit einem kleinen Stamm Barbaren, die wir dorthin verschleppen.

Sie bekommen alles, was sie sich nur wünschen können und werden später wieder entlassen. Aber inzwischen leihen wir uns ihre Moropen und Camudis und alles andere.“

„Aber warum denn?“ fragte Meta erstaunt.

„Wir gründen einen eigenen Stamm. Die kämpfenden Pyrraner. Gefährlicher und aktiver als jeder andere Stamm. Wir müssen das Barbarenspiel so gut beherrschen, daß unser Anführer Kerk nach einiger Zeit Temuchin verdrängen kann.

Ich bin davon überzeugt, daß das alles bei euch in besten Händen ist, während ich abwesend bin.“

„Ich wußte gar nicht, daß du uns verlassen wolltest“, meinte Kerk erstaunt. „Was hast du vor?“

Jason lächelte geheimnisvoll. „Ich ziehe als Jongleur durchs Land, um eure Ankunft vorzubereiten.“

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