3

Jene, denen der Himmel hilft, nennen wir Söhne des Himmels. Sie erlernen dies nicht durch Lernen. Sie erarbeiten es sich nicht durch Arbeit. Sie enträtseln es nicht durch Vernunft. Das Verstehen vor dem einzuschränken, was nicht zu verstehen ist, ist eine große Leistung. Wer es nicht kann, wird durch die Geißel des Himmels vernichtet werden.

Dschuang-Dsi, XXIII


George Orr beendete seine Arbeit um 16:30 Uhr und ging zur Haltestelle der U-Bahn; er hatte kein Auto. Hätte er gespart, hätte er sich vielleicht einen VW Steamer und die Kraftfahrzeugsteuer darauf leisten können, aber wozu? Die Innenstadt war für Automobile gesperrt, und er wohnte in der Innenstadt. Er hatte zwar damals in den achtziger Jahren fahren gelernt, aber nie ein Auto besessen. Er fuhr mit der Vancouver-Bahn nach Portland zurück. Die Züge waren schon brechend voll; er stand außer Reichweite der Halteschlaufen oder Stangen und wurde lediglich vom Druck der Leiber auf allen Seiten gestützt und ab und an sogar von den Füßen gehoben, so daß er frei schwebte, wenn der Druck der Menge (c) größer wurde als die Schwerkraft (g). Ein Mann neben ihm, der eine Zeitung hochhielt, konnte die Arme gar nicht mehr senken und mußte mit in den Sportteil gedrücktem Gesicht ausharren. Die Schlagzeile: »GENERALMOBILMACHUNG NAHE DER AFGHANISCHEN GRENZE« und die Unterzeile »Bevorstehende Intervention Afghanistans« plärrten Orr sechs Haltestellen lang ins Gesicht. Der Zeitungsleser erkämpfte sich einen Weg hinaus und wurde durch zwei Tomaten auf einem grünen Plastikteller ersetzt, unter denen sich eine alte Dame in einem grünen Plastikmantel befand, die drei weitere Haltestellen lang auf Orrs linkem Fuß stand.

An der Haltestelle East Broadway stieg er aus und zwängte sich vier Häuserblocks weit durch die zunehmende Feierabendmenge bis zum Willamette East Tower, einer hohen, protzigen, schäbigen Säule aus Beton und Glas, die in dem Dschungel vergleichbarer Gebäude mit der Verbissenheit einer Pflanze um Licht und Luft kämpfte. Nur sehr wenig Licht und Luft drangen bis zur Straße herunter, und das bißchen war warm und von feinem Nieselregen erfüllt. Regen stellte eine alte Tradition von Portland dar, aber die Wärme — zwanzig Grad Celsius am zweiten März — war modern, eine Folge der Luftverschmutzung. Städtische und industrielle Emissionen waren nicht rechtzeitig genug eingedämmt worden, um die kumulativen Entwicklungen umzukehren, die sich bereits Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts angedeutet hatten; es würde noch mehrere Jahrhunderte dauern, bis das CO2 aus der Atmosphäre verschwunden war — wenn überhaupt. New York würde eines der größeren Opfer des Treibhauseffekts werden, da die Polkappen weiter abschmolzen und der Meeresspiegel anstieg; tatsächlich jedoch befand sich ganz Boswash in Gefahr. Aber es gab auch einen Ausgleich dafür. Der Pegel in der Bucht von San Francisco stieg an und würde alle Hunderte Quadratmeilen an Aufschüttungen und Müllhalden, die man seit 1848 hineingekippt hatte, bedecken. Was Portland anging, achtzig Meilen und ein Küstengebirgszug lagen zwischen der Stadt und dem Meer, es wurde nicht vom ansteigenden Wasser bedroht: Nur vom fallenden Wasser.

Es hatte im westlichen Oregon immer viel geregnet, aber jetzt regnete es ununterbrochen, gleichmäßig, konstant. Es war, als würde man in einem ewigen Wolkenbruch warmer Suppe leben.

Die neuen Städte — Umatilla, John Day, French Glen — lagen östlich der Cascades in einem Gebiet, das vor dreißig Jahren Wüste gewesen war. Im Sommer war es dort immer noch sengend heiß, aber die Niederschlagsmenge lag nur bei eintausend Millimetern, in Portland waren es immerhin zweitausendzweihundert Millimeter. Intensiver Ackerbau lag im Bereich des Möglichen: die Wüste blühte und gedieh. French Glen besaß bereits eine Bevölkerung von sieben Millionen. Portland, mit drei Millionen und ohne Wachstumspotential, war im unaufhaltsamen Lauf des Fortschritts längst weit zurückgefallen. Das war nichts Neues für Portland. Und was machte es schon aus? Unterernährung, Überbevölkerung und ein hohes Maß an Umweltverschmutzung gehörten zur Tagesordnung. In den alten Städten gab es mehr Skorbut, Typhus und Hepatitis, in den neuen mehr Bandenkriminalität, Verbrechen und Morde. In den einen regierten die Ratten, in den anderen die Mafia. George Orr blieb in Portland, weil er sein ganzes Leben hier verbracht und keinen Grund zu der Annahme hatte, daß das Leben anderswo besser oder anders sein würde.

Miss Crouch, die desinteressiert lächelte, führte ihn gleich hinein. Orr hatte geglaubt, daß die Praxen von Psychiatern immer einen Vorder- und einen Hintereingang hätten, wie ein Kaninchenbau. Hier schien es nicht so zu sein, dennoch bezweifelte er, daß Patienten, die kamen und gingen, einander begegnen würden. In der Uniklinik hatten sie gesagt, daß Dr. Haber nur eine kleine psychiatrische Praxis besaß und sich mehr der Forschung widmete. Das hatte ihm einen Eindruck von Erfolg und Exklusivität vermittelt, den das selbstbewußte und joviale Gebaren des Arztes bestätigte. Aber heute war er nicht mehr so nervös und sah mehr. Die Praxis strahlte nicht die vornehme Leder-und-Platin-Atmosphäre finanziellen Erfolgs aus, aber auch nicht die heimelige Schlampigkeit wissenschaftlichen Desinteresses. Stühle und Couch waren aus Plastik, der Schreibtisch aus Metall mit einer dünnen Holzimitatschicht aus Resopal. Überhaupt nichts machte einen echten Eindruck. »Guten Tag!« polterte Dr. Haber mit seinen weißen Zähnen, der rotbraunen Mähne und der hünenhaften Gestalt.

Diese Fröhlichkeit war ungespielt, aber übertrieben. Der Mann besaß eine Herzlichkeit, ein extrovertiertes Gemüt, die echt waren; aber sie wurden übertüncht von professionellen Manierismen und durch den einstudierten Einsatz des Arztes verzerrt. Orr spürte den Wunsch, gemocht zu werden, und den Drang zu helfen in dem Arzt; der Doktor, fand er, war nicht ganz davon überzeugt, daß andere Menschen existierten, und wollte ihre Existenz beweisen, indem er ihnen half. Er posaunte sein »Guten Tag!« deshalb so laut hinaus, weil er nie sicher war, ob er eine Antwort bekommen würde. Orr wollte etwas Freundliches sagen, aber nichts Persönliches schien angemessen. »Sieht so aus, als würde Afghanistan in den Krieg eintreten«, sagte er.

»Mhm, das steht schon seit letztem August in den Karten.« Er hätte wissen müssen, daß der Arzt in Sachen Weltpolitik besser informiert sein würde als er selbst; er war generell nur halb informiert und hinkte den Ereignissen drei Wochen hinterher. »Ich glaube aber nicht, daß das die Alliierten erschüttern wird«, fuhr Haber fort, »es sei denn, Pakistan stellt sich auf die Seite des Irans. Dann muß Indien Isrägypten mehr als nur der Form halber unterstützen.« Das war Fernsehsprech für die neue Allianz zwischen der Neuen Arabischen Republik und Israel. »Ich glaube, Guptas Rede in Delhi deutet darauf hin, daß er sich auf diese Eventualität vorbereitet.«

»Es zieht immer größere Kreise«, sagte Orr, der sich unwürdig und ungebildet vorkam. »Der Krieg, meine ich.« Er kam sich ziemlich dumm vor.

»Beunruhigt Sie das?«

»Beunruhigt es Sie nicht?«

»Irrelevant«, sagte der Arzt und lächelte sein breites, haariges Bärengrinsen, wie ein großer Bärengott; aber seit gestern war er immer noch mißtrauisch.

»Ja, mich beunruhigt es.« Doch Haber hatte sich diese Antwort nicht verdient; der Fragende kann sich nicht von der Frage distanzieren und Objektivität vorschützen — als wären die Antworten ein Objekt. Aber Orr sprach diese Gedanken nicht aus; er war in den Händen eines Arztes, und der Arzt wußte doch ganz gewiß, was er tat.

Orr ging von Natur aus davon aus, daß die Leute wußten, was sie taten, weil er meist das Gefühl hatte, daß er selbst es nicht wußte.

»Gut geschlafen?« wollte Haber wissen und nahm unter dem linken Hinterhuf von Tammany Hall Platz.

»Prima, danke.«

»Was halten Sie von einem weiteren Ausflug in den Palast der Träume?« Er maß Orr mit stechenden Blicken.

»Klar, darum bin ich ja hier, denke ich.«

Orr sah Haber aufstehen und um den Schreibtisch herumkommen, er sah die große Hand nach seinem Hals greifen, und dann passierte nichts.

»… George …«

Sein Name. Wer rief? Eine unbekannte Stimme. Trockenes Land, trockene Luft, das Dröhnen einer fremden Stimme in seinem Ohr. Tageslicht, keine Orientierung. Kein Weg zurück. Er wachte auf.

Der halb vertraute Raum; der halb vertraute große Mann in seiner voluminösen rostroten Samtjacke, mit dem rotbraunen Bart, dem weißen Lächeln und den milchigen dunklen Augen. »Es sah laut EEG nach einem kurzen Traum aus, aber einem sehr lebhaften«, sagte er mit seiner tiefen Stimme. »Schießen Sie los. Je schneller die Erinnerung rekapituliert wird, desto vollständiger ist sie.«

Orr richtete sich auf, fühlte sich aber ein wenig benommen. Er saß auf der Couch, wie war er dorthin gekommen? »Mal sehen. Viel war es nicht. Wieder das Pferd. Haben Sie mir noch einmal befohlen, von dem Pferd zu träumen, als ich in Hypnose war?«

Haber schüttelte den Kopf, was weder ja noch nein bedeuten sollte, und hörte zu.

»Also, dies hier war ein Stall. Dieses Zimmer. Stroh und ein Futtertrog und eine Mistgabel in der Ecke, und so weiter. Das Pferd war darin. Es …«

Habers erwartungsvolles Schweigen duldete keine Ausflüchte.

»Es hat einen enormen Haufen Kot fallen lassen. Braun, dampfend. Pferdescheiße. Sah ein wenig wie der Mount Hood aus, mit dem kleinen Höcker an der Nordseite und allem. Sie lag überall auf dem Teppich und bedrängte mich irgendwie, darum sagte ich: ›Es ist nur das Bild des Bergs.‹ Ich nehme an, dann wachte ich auf.«

Orr hob den Kopf und blickte an Dr. Haber vorbei zu dem Wandbild hinter ihm, der Fotografie von Mount Hood.

Es war ein friedliches Bild in gedämpften, künstlerischen Farben: der Himmel grau, der Berg hellbraun oder rötlich braun mit weißen Flecken um den Gipfel herum, der Vordergrund ganz dunstige, formlose Baumkronen.

Der Arzt sah das Wandbild nicht an. Er betrachtete Orr mit diesen stechenden, milchigen Augen. Er lachte, als Orr fertig war, nicht lange oder laut, aber vielleicht ein wenig aufgeregt.

»Wir machen Fortschritte, George!«

»Tatsächlich?«

Orr kam sich überrumpelt und töricht vor, wie er so auf der Couch saß und sich immer noch ein wenig schwindelig von seinem Schlummer fühlte, nachdem er dort geschlafen hatte, wahrscheinlich mit offenem Mund und schnarchend, hilflos, während Haber die geheimen Kurven und Muster seiner Gehirntätigkeit beobachtete und ihm vorschrieb, was er träumen sollte. Er fühlte sich bloßgestellt und benutzt. Und zu welchem Zweck?

Offenkundig hatte der Arzt keine Erinnerung mehr an das Wandbild mit dem Pferd, und auch nicht an das Gespräch, das sie darüber geführt hatten; er war ganz und gar in dieser neuen Gegenwart, und seine sämtlichen Erinnerungen führten zu ihr. Also konnte er überhaupt nichts bewirken. Dennoch schritt er jetzt im Zimmer auf und ab und redete noch lauter als gewöhnlich. »Na also! a) Sie können auf Befehl träumen und tun es auch, Sie befolgen die Hypnosuggestionen; b) Sie reagieren prächtig auf den Verstärker. Demzufolge können wir schnell und wirkungsvoll zusammenarbeiten, ohne Narkose. Ich arbeite lieber ohne Medikamente. Was das Gehirn von sich aus macht, ist unendlich faszinierender und komplexer als jede Reaktion, die durch chemische Stimulation ausgelöst werden kann; darum habe ich den Verstärker entwickelt, um dem Gehirn ein Mittel zur Selbststimulation zu geben. Die kreativen und therapeutischen Ressourcen des Gehirns — ob im Wachsein, Schlafen oder Träumen — sind praktisch unendlich. Wenn wir nur die Schlüssel zu allen passenden Schlössern finden können. Die Macht der Träume allein kann sich niemand träumen lassen!« Orr lächelte unbehaglich; das schien ihm nur allzu wahr zu sein. »Ich bin jetzt sicher, daß der Weg Ihrer Therapie in diese Richtung führt, Ihre Träume zu benutzen, anstatt ihnen auszuweichen und sie zu meiden. Sich Ihren Ängsten zu stellen und sie mit meiner Hilfe zu erkennen. Sie fürchten sich vor Ihrem eigenen Verstand, George. Das ist eine Angst, mit der kein Mensch leben kann. Aber das müssen Sie auch nicht. Sie haben die Hilfe, die Ihr eigener Verstand Ihnen geben kann, wie Sie ihn selbst benutzen und kreativen Zwecken zuführen können, noch gar nicht begriffen. Sie dürfen sich nur nicht vor Ihren eigenen Geisteskräften verstecken, Sie dürfen sie nicht unterdrücken, sondern müssen sie freisetzen. Das können wir gemeinsam schaffen. Also, kommt Ihnen das nicht auch richtig, wie die richtige Vorgehensweise vor?«

»Ich weiß nicht«, sagte Orr.

Als Haber davon sprach, die Kräfte seines Verstands zu nutzen, anzuwenden, hatte Orr einen Augenblick geglaubt, daß der Arzt seine Gabe, durch Träumen die Realität zu verändern, meinen mußte; aber wenn er das meinte, hätte er es doch ganz sicher klar und deutlich gesagt? Da Haber wußte, wie sehr Orr auf Bestätigung angewiesen war, würde er sie ihm gewiß nicht absichtlich verweigern.

Orr reagierte betrübt. Die Einnahme von Betäubungs- und Aufputschmitteln hatte ihn emotional aus dem Gleichgewicht gebracht; das wußte er und versuchte darum, seine Gefühle zu kontrollieren und dagegen anzukämpfen. Aber diese Enttäuschung entzog sich seiner Kontrolle. Er hatte sich, wie ihm jetzt klar wurde, ein wenig Hoffnung gegönnt. Gestern war er überzeugt gewesen, daß der Arzt die Veränderung vom Berg zum Pferd bemerkt hatte. Es hatte ihn weder überrascht noch beunruhigt, daß Haber im ersten Schock versucht hatte, sein Wissen zu verheimlichen; zweifellos hatte er es nicht einmal sich selbst gegenüber eingestehen und anerkennen können. Orr hatte ebenfalls ziemlich lange gebraucht, bis er akzeptierte, daß er etwas Unmögliches vollbrachte. Aber er hatte sich in der Hoffnung gewogen, daß Haber, der den Traum kannte und zugegen war, als er geträumt wurde, mitten im Zentrum, die Veränderung doch sehen, sich erinnern und sie bestätigen könnte.

Zwecklos. Kein Ausweg. Orr war wieder da, wo er seit Monaten war — allein: Er wußte, daß er verrückt war, und daß er nicht verrückt war, beides gleichzeitig und gleichermaßen intensiv. Das reichte aus, ihn in den Wahnsinn zu treiben.

»Wäre es möglich«, sagte er zaghaft, »daß Sie mir eine posthypnotische Suggestion geben, nicht mehr wirkungsvoll zu träumen? Schließlich können Sie ja auch suggerieren, daß ich es tue … Auf die Weise käme ich wenigstens von den Medikamenten los, jedenfalls eine Weile.«

Haber ließ sich zusammengekauert wie ein Bär hinter seinem Schreibtisch nieder. »Ich bezweifle sehr, daß das wirken würde, und sei es nur für eine Nacht«, sagte er schlicht und einfach. Und dann, plötzlich wieder schallend: »Ist das nicht der vergebliche Weg, den Sie schon ausprobiert haben, George? Medikamente oder Hypnose, beides läuft auf Unterdrückung hinaus. Sie können nicht vor Ihrem eigenen Verstand davonlaufen. Das begreifen Sie, sind aber noch nicht bereit, es zu akzeptieren. Das macht nichts. Sehen Sie es einmal so: Sie haben jetzt schon zweimal geträumt, genau hier, auf dieser Couch. War das so schlimm? Hat es irgendwelchen Schaden angerichtet?«

Orr schüttelte stumm den Kopf; er war zu niedergeschlagen für eine Antwort.

Haber redete weiter, und Orr versuchte, ihm seine Aufmerksamkeit zu schenken. Er redete jetzt von Tagträumen, ihrer Beziehung zu den anderthalbstündigen Traumzyklen der Nacht, ihrem Nutzen und Sinn. Er fragte Orr, ob ihm eine bestimmte Art von Tagtraum besonders zusagen würde. »Zum Beispiel«, sagte er, »träume ich häufig von Heldentum. Ich bin der Held. Ich rette ein Mädchen, oder einen Astronautenkollegen, eine belagerte Stadt oder einen ganzen verdammten Planeten. Messiasträume, Großtatenträume. Haber rettet die Welt! Sie machen ziemlich viel Spaß — solange ich ihnen den Stellenwert beimessen kann, der ihnen zukommt. Wir brauchen alle die Seelenmassage, die uns Tagträume geben, aber wenn wir anfangen, sie für bare Münze zu nehmen, dann sind unsere Realitätsparameter ein bißchen durcheinander geraten … Dann gibt es die Tagträume vom Typ Südseeinsel — viele kleine Angestellte mittleren Alters haben sie. Und die vom Typ Edelmut-Leiden-Märtyrer, und die verschiedenen romantischen Phantasien der Pubertät, und die sadomasochistischen Tagträume, und so weiter. Die meisten Menschen sind mit allen Varianten vertraut. Wir waren schon fast alle einmal in der Arena und haben den Löwen getrotzt, mindestens einmal, oder haben eine Bombe geworfen und unsere Feinde vernichtet, oder eine durchgeistigte Jungfrau von einem sinkenden Schiff gerettet oder Beethovens zehnte Symphonie für ihn komponiert. Welchen Typ bevorzugen Sie denn?«

»Oh — Flucht«, sagte Orr. Er mußte sich wirklich zusammenreißen und diesem Mann antworten, der doch versuchte, ihm zu helfen. »Ab durch die Mitte. Fort von …«

»Fort von Ihrem Job, von der tagtäglichen Tretmühle?«

Das schien ihm Haber nicht zu glauben, daß er mit seinem Job zufrieden war. Haber war offenkundig von einem ausgeprägten Ehrgeiz erfüllt und konnte sich nicht vorstellen, daß das nicht auf alle Männer zutraf.

»Eigentlich mehr von der Stadt, den Menschenmassen, meine ich. Überall zu viele Leute. Die Schlagzeilen. Alles.«

»Südsee?« fragte Haber mit seinem Bärengrinsen.

»Nein. Hier. Ich habe keine besonders ausgeprägte Phantasie. Ich tagträume davon, daß ich eine Blockhütte irgendwo abseits der Städte besitze, vielleicht sogar im Küstenstreifen, wo noch einige der alten Wälder existieren.«

»Schon mal daran gedacht, tatsächlich eine zu kaufen?«

»Der Morgen Land kostet in den billigsten Naherholungsgebieten, unten in der Wüste des südlichen Oregon, achtunddreißigtausend Dollar. Für ein Areal mit Meeresblick reichen die Preise bis zu vierhunderttausend pro Parzelle.«

Haber gab einen Pfiff von sich. »Ich sehe, Sie haben schon mit dem Gedanken gespielt — und sind bei Ihren Tagträumen geblieben. Gott sei Dank sind die wenigstens umsonst, hm! Und, fühlen Sie sich fit für einen weiteren Versuch? Wir haben noch fast eine halbe Stunde.«

»Könnten Sie …«

»Was, George?«

»Mir die Erinnerung lassen?«

Haber holte zu einer seiner wortreichen Ablehnungen aus. »Wie Sie sicher wissen, wird alles, was während einer Hypnose erlebt wird, einschließlich aller erteilten Anweisungen, normalerweise von einem Mechanismus blockiert, der auch die wache Erinnerung an neunundneunzig Prozent unserer Träume blockiert. Würden wir diese Blockierung aufheben, würden wir Ihnen zu viele widersprüchliche Befehle hinsichtlich einer recht diffizilen Sache geben, nämlich des Inhalts der Träume, die Sie noch nicht geträumt haben. Daran — an den Traum — können Sie sich erinnern, dafür sorge ich. Aber ich möchte nicht, daß die Erinnerungen an meine Suggestionen sich mit den Erinnerung an den Traum, den Sie tatsächlich träumen, vermischen. Ich möchte beide strikt getrennt halten, damit ich einen klaren und eindeutigen Bericht darüber bekomme, was Sie geträumt haben, und nicht, was Sie Ihrer Meinung nach hätten träumen sollen. Klar? Sie können mir vertrauen, wissen Sie. Ich bin mit im Spiel, um Ihnen zu helfen. Ich werde nicht zu viel von Ihnen verlangen. Ich werde Sie drängen, aber nicht zu fest oder zu schnell. Ich werde Ihnen keine Alpträume bescheren! Glauben Sie mir, ich möchte diese Sache durchschauen und verstehen, genau wie Sie. Sie sind ein intelligentes und kooperatives Subjekt, und ein tapferer Mann, daß Sie diese Ängste so lange allein mit sich herumgeschleppt haben. Wir bringen es zu Ende, George. Glauben Sie mir.«

Orr glaubte ihm nicht rückhaltlos, aber der Arzt duldete so wenig Widerspruch wie ein Priester; und außerdem wünschte er sich, er könnte ihm glauben.

Er sagte nichts mehr, sondern legte sich wieder auf die Couch und fügte sich der Berührung der großen Hand an seinem Hals.

»Okay! Da sind Sie wieder! Was haben Sie geträumt, George? Raus damit, frisch vom Grill!«

Orr kam sich verwirrt und albern vor.

»Etwas über die Südsee … Kokosnüsse … Kann mich nicht erinnern.« Er rieb sich den Kopf, kratzte sich unter dem kurzen Bart, holte tief Luft. Er sehnte sich nach einem Schluck kalten Wasser. »Dann … träumte ich, daß Sie mit John Kennedy, dem Präsidenten, die Alder Street entlang gingen, wenn ich mich nicht irre. Ich folgte Ihnen gewissermaßen, ich glaube, ich habe etwas für einen von Ihnen getragen. Kennedy hatte den Regenschirm aufgespannt — ich sah ihn im Profil, wie auf den alten Fünfzigcentstücken —, und Sie sagten: ›Den werden Sie nicht mehr brauchen, Mr. Präsident‹, und nahmen ihm den Schirm aus der Hand. Er schien sich darüber zu ärgern und sagte etwas, das ich nicht verstehen konnte. Aber es hatte aufgehört zu regnen, die Sonne kam heraus, und daher sagte er: ›Sieht so aus, als hätten Sie recht.‹ … Es hat aufgehört zu regnen.«

»Woher wissen Sie das?«

Orr seufzte. »Sie werden schon sehen, wenn Sie ins Freie kommen. Ist das alles für heute nachmittag?«

»Ich kann jederzeit weitermachen. Der Staat übernimmt die Rechnung, wissen Sie!«

»Ich bin sehr müde.«

»Also gut, dann machen wir eben für heute Schluß. Hören Sie, was halten Sie davon, wenn wir unsere Sitzungen nachts stattfinden lassen? Wir lassen Sie ganz normal schlafen, wenden die Hypnose nur an, um den Trauminhalt zu suggerieren. Ihr Arbeitstag würde nicht beeinträchtigt werden, und mein Arbeitstag ist ohnehin in der Hälfte aller Fälle die Nacht; Schlafforscher schlafen nur selten! Wir würden eine Menge Zeit gewinnen und könnten auf traumunterdrückende Medikamente verzichten. Möchten Sie einen Versuch wagen? Freitagnacht?«

»Da habe ich eine Verabredung«, sagte Orr, selbst erschrocken wegen dieser Lüge.

»Dann Samstag.«

»Einverstanden.«

Er ging und trug den feuchten Regenmantel über dem Arm. Es war nicht nötig, ihn anzuziehen. Der Kennedy-Traum war überaus wirkungsvoll gewesen. Inzwischen war er ganz sicher, wenn er Träume hatte. Ganz gleich, wie unverhohlen der Inhalt gewesen sein mochte, er erwachte stets mit intensiven und deutlichen Erinnerungen daran und fühlte sich zerschlagen und ausgelaugt, als hätte er enorme Körperkräfte aufbieten müssen, um einer übermächtigen, unablässigen Kraft zu trotzen. Auf sich allein gestellt, hatte er sie nicht häufiger als einen einmal im Monat oder alle sechs Wochen gehabt; die Angst davor, einen zu haben, hatte ihn obsessiv beherrscht. Jetzt, da der Verstärker ihn im Traumschlaf hielt und die hypnotischen Suggestionen dafür sorgten, daß er wirkungsvoll schlief, hatte er in zwei Tagen von vier Träumen drei wirkungsvolle gehabt; oder, wenn man den Kokosnußtraum nicht mitzählte, den Haber selbst als bloßes Murmeln von Bildern bezeichnete, drei von drei. Er fühlte sich erschöpft.

Es regnete nicht. Als er zu den Türen des Willamette East Tower herauskam, wölbte sich der Märzhimmel hoch und klar über die Straßenschluchten. Wind war aufgekommen und wehte von Osten, der trockene Wüstenwind, der von Zeit zu Zeit für ein wenig Abwechslung in dem nassen, heißen, traurigen, grauen Wetter im Tal des Willamette sorgte.

Die frische Luft verbesserte Orrs Laune ein wenig. Er reckte die Schultern, setzte sich in Bewegung und achtete nicht weiter auf das leichte Schwindelgefühl, das vermutlich die gemeinsame Folge von Müdigkeit, Nervosität, zwei kurzen Nickerchen zu einer ungewöhnlichen Tageszeit und der Fahrt zweiundsechzig Stockwerke in die Tiefe mit dem Fahrstuhl war.

Hatte der Arzt ihm befohlen, zu träumen, daß es aufhörte zu regnen? Oder war die Suggestion dergestalt gewesen, daß er von Kennedy träumen sollte (der, wo er jetzt wieder darüber nachdachte, Abraham Lincolns Bart gehabt hatte)? Oder von Haber selbst? Er konnte es nicht sagen. Der wirkungsvolle Teil des Traumes war gewesen, daß es aufgehört hatte, zu regnen, daß das Wetter sich verändert hatte; Aber das bewies nichts. Häufig war es gar nicht das vordergründig auffällige oder eigentliche Element eines Traums, das sich als das wirkungsvolle entpuppte. Er vermutete, daß Kennedy aus Gründen, die nur sein Unterbewußtsein kannte, seinen eigenen Beitrag darstellte, aber sicher konnte er nicht sein.

Er ging mit einem endlosen Strom anderer in die U-Bahn-Haltestelle East Broadway hinunter. Er warf seine Fünfdollarmünze in den Fahrscheinautomaten, bekam seine Fahrkarte, erwischte seine Bahn, tauchte in die Dunkelheit unter dem Fluß ein.

Das Schwindelgefühl in Körper und Geist wurde stärker.

Unter einem Fluß durchzufahren: das war schon etwas Seltsames, eine geradezu unheimliche Vorstellung. Einen Fluß überqueren, an einer Furt übersetzen, durch ihn waten, hinüberschwimmen, Boote, Fähren, Brücken, Flugzeuge benutzen, in der endlosen Erneuerung und dem Anbeginn der Strömung flußaufwärts oder flußabwärts reisen: das alles erscheint sinnvoll. Aber wenn man unter einem Fluß hindurchgeht, das beinhaltet etwas, das in des Wortes zentraler Bedeutung, pervers ist. Es gibt Straßen im Verstand und außerhalb, deren bloße Komplexität allein bereits zeigt, daß man, um in so etwas hineinzugeraten, schon ein gutes Stück des Wegs zurück eine falsche Abzweigung eingeschlagen haben mußte.

Neun U-Bahn- und Lastwagentunnel verliefen unter dem Willamette; sechzehn Brücken darüber, die Ufer hatte man auf einer Länge von siebenundzwanzig Meilen betoniert. Die Überschwemmungskontrolle sowohl am Willamette, wie auch an seinem großen Zufluß, dem Columbia mehrere Meilen von der Stadtmitte Portlands flußabwärts gelegen, war so hochentwickelt, daß keiner der beiden Flüsse um mehr als zehn Zentimeter ansteigen konnte, auch nach längsten Wolkenbrüchen nicht. Der Willamette stellte ein nützliches Element der Umwelt dar, ein sehr großes, friedfertiges Nutztier, das mit Gurten, Ketten, Stangen, Sätteln, Zügeln, Harnischen und Fußfesseln fügsam gemacht worden war. Wäre er nicht nützlich gewesen, hätte man ihn natürlich zubetoniert, so wie die Hunderte von kleineren Flüßchen und Bächen, die im Dunkeln unter den Straßen und Häusern der Stadt von den Bergen herunterflossen. Aber ohne ihn wäre Portland keine Hafenstadt mehr gewesen; die Schiffe, die langen Reihen der Barken, die großen holzbeladene Flöße passierten ihn nach wie vor in beide Richtungen. Darum mußten die Lastwagen und Bahnen und wenigen Privatautos entweder unter dem Fluß hindurch oder darüber hinweg. Über den Köpfen derer, die gerade mit der GPRT-Bahn durch den Broadway Tunnel fuhren, befanden sich Tonnen Felsgestein und Schotter, Tonnen fließendes Wasser, die Etagen der Dockanlagen, die Kiele von Ozeanriesen, die riesigen Betonpfeiler der hohen Freewaybrücken und Zufahrtsrampen, ein Konvoi von Dampflastern mit tiefgefrorenen Hühnchen aus Batterieaufzucht, ein Düsenflugzeug in zehntausend Metern Höhe, die mindestens 4,3 Lichtjahre entfernten Sterne. George Orr stand mit aschfahlem Gesicht schwankend im gleißenden, flackernden Neonlicht des U-Bahnwagens in der undurchdringlichen Dunkelheit draußen und hielt sich, eingekeilt zwischen tausend anderen Menschen, am schaukelnden Stahlgriff eines Gurtes fest. Er spürte die ganze Last über sich, das Gewicht, das unablässig niederdrückte. Ich lebe in einem Alptraum, dachte er, aus dem ich von Zeit zu Zeit im Schlaf erwache.

Das Schieben und Drängeln von Leuten, die an der Haltestelle Union Station ausstiegen, verdrängte diese niederschmetternden Gedankengänge aus seinem Kopf; er konzentrierte sich voll und ganz darauf, den Griff am Gurt nicht loszulassen. Da er sich immer noch schwindlig fühlte, hatte er Angst, daß ihm, sollte er den Halt verlieren und er ganz und gar und ausschließlich der Kraft (c) ausgesetzt sein, übel werden würde.

Der Zug fuhr mit einem Geräusch an, das sich zu gleichen Teilen aus tiefem, gequältem Gebrüll und schrillen, durchdringenden Schreien zusammensetzte.

Das gesamte GPRT-System war erst fünfzehn Jahre alt, aber spät und überstürzt erbaut worden, mit minderwertigen Baustoffen und während, nicht vor dem Zusammenbruch der Automobilindustrie. Die Wagen der Bahnen stammten tatsächlich aus den Fabriken von Detroit; dementsprechend haltbar und dementsprechend laut waren sie auch. Als Großstadtmensch und regelmäßiger U-Bahnfahrer hörte Orr den grauenhaften Lärm nicht einmal mehr. Die Enden seiner Hörnerven waren schon deutlich abgestumpft, obwohl er erst dreißig war, und in jedem Fall bildete die Lärmkulisse nur den Hintergrund des Alptraums. Als er den Griff am Ende des Gurts wieder fest in der Hand hielt, konnte er sich erneut seinen Gedanken zuwenden.

Seit er sich gezwungenermaßen für das Thema interessierte, verwirrte ihn die Tatsache, daß sich der Verstand an die meisten Träume gar nicht erinnern konnte. Unbewußtes Denken, ob in der Kindheit oder im Traum, ist für die bewußte Erinnerung offenkundig nicht verfügbar. Aber war er während der Hypnose ohne Bewußtsein? Keineswegs: hellwach, bis er gesagt bekam, daß er schlafen sollte. Warum konnte er sich dann nicht erinnern? Das beunruhigte ihn. Er wollte gern wissen, was Haber so trieb. Zum Beispiel der erste Traum heute nachmittag: Hatte der Arzt ihm nur suggeriert, daß er wieder von dem Pferd träumen sollte? Und er selbst hatte die Pferdescheiße hinzugefügt, das war peinlich. Oder wenn der Arzt die Pferdescheiße angeregt hatte, dann war das auf eine andere Art und Weise peinlich. Und vielleicht konnte sich Haber glücklich schätzen, daß er am Ende nicht einen großen, dampfenden Haufen Pferdeäpfel auf dem Teppich gehabt hatte. Freilich, in gewisser Weise hatte er das ja: das Bild des Berges.

Orr fuhr hoch und erstarrte, als wäre er mit einer Nadel gepiekst worden, als die Bahn in die Haltestelle Alder Street einfuhr. Der Berg, dachte er, während sich achtundsechzig Menschen an ihm vorbeiquetschten und schubsten und drängelten. Der Berg. Er hat mir in meinem Traum befohlen, den Berg wieder herbeizuschaffen. Also ließ ich das Pferd den Berg wieder herstellen. Aber wenn er mir befohlen hatte, den Berg wieder herzustellen, dann wußte er, daß der Berg vor dem Pferd da gewesen war. Er wußte es. Er hat gesehen, wie der erste Traum die Wirklichkeit veränderte. Er hat die Veränderung bemerkt. Glaubt mir. Ich bin nicht verrückt!

Eine so tiefe Freude überkam Orr, daß die sieben oder acht der zweiundvierzig Menschen, die sich in dem Wagen am dichtesten an ihn drängten, eine leichte, aber eindeutige Wärme des Wohlbefindens oder der Erleichterung verspürten. Die Frau, die vergeblich versucht hatte, ihm den Haltegurt zu entwinden, spürte ein gesegnetes Abklingen der stechenden Schmerzen in ihrem Hühnerauge; der Mann, der auf der linken Seite gegen Orr gedrückt wurde, dachte plötzlich an Sonnenschein; der alte Mann, der zusammengekauert unmittelbar vor ihm saß, vergaß ein Weilchen, daß er Hunger hatte.

Orr war kein logischer Schnelldenker. An sich war er überhaupt kein logischer Denker. Er kam auf langsame Weise zu seinen Schlußfolgerungen, ohne je über das klare, harte Eis der Logik zu sausen, ohne mit den Aufwinden der Phantasie zu segeln, sondern behäbig, auf dem festen Boden solider Tatsachen dahinstapfend. Er sah keine Zusammenhänge, was ja, wie behauptet wird, ein Wesensmerkmal des Intellekts ist. Er erspürte Zusammenhänge — wie ein Klempner. Man konnte nicht sagen, daß er ein dummer Mensch gewesen wäre, aber er nutzte sein Gehirn nicht halb so oft, wie es erforderlich gewesen wäre, und nicht einmal halb so schnell. Erst als er an der Haltestelle Ross Island Bridge West aus der U-Bahn ausgestiegen, mehrere Straßenblocks den Hügel hinaufgegangen, mit dem Fahrstuhl die achtzehn Stockwerke zu seinem 2,5 Ч 3,5 Meter großen Einzimmerapartment in dem zwanzigstöckigen, aus Stahlbeton erbauten Corbett Condominium für Werktätige (Stilvolles Wohnen für den kleinen Geldbeutel in der Innenstadt!) hinaufgefahren war, eine Scheibe Sojamehlbrot in den Infrabacker gelegt, ein Bier aus dem Wandkühlschrank geholt und eine ganze Weile zum Fenster — das Außenapartment kostete doppelt soviel — hinausgesehen und die westlichen Hügel von Portland betrachtet hatte, wo dichtgedrängt die riesigen, funkelnden Wohntürme standen, in denen Licht und Leben pulsierte, dachte er schließlich: Warum hat mir Dr. Haber nicht gesagt, daß er weiß, daß ich wirkungsvoll träume?

Er grübelte eine Weile darüber nach. Er wälzte das Problem herum, versuchte es hochzuheben und mußte feststellen, daß es sehr, sehr sperrig war.

Er dachte: Haber weiß jetzt, daß sich das Wandbild zweimal verändert hat. Warum hat er nichts gesagt? Er muß wissen, daß ich Angst hatte, ich könnte den Verstand verlieren. Er sagt, daß er mir hilft. Es hätte mir schon viel geholfen, wenn er mir gesagt hätte, daß er sehen kann, was ich sehe, wenn er mir versichert hätte, daß es keine Wahnvorstellungen sind.

Er weiß jetzt, dachte Orr nach einem kräftigen Schluck Bier, daß es aufgehört hat zu regnen. Aber er ging nicht nachsehen, als ich ihm sagte, daß es so wäre. Vielleicht hatte er Angst davor. Das wird es vermutlich sein. Diese ganze Sache macht ihm Angst und er möchte mehr darüber herausfinden, bevor er mir sagt, was er wirklich denkt. Also das kann ich ihm nicht verdenken. Richtig merkwürdig wäre, wenn er keine Angst davor hätte.

Aber ich frage mich, was er machen wird, wenn er sich an den Gedanken gewöhnt hat … Ich frage mich, wie er meine Träume verhindern will, wie er unterbindet, daß ich weiter etwas verändere. Ich muß damit aufhören; es ist weit genug gegangen, weit genug …

Er schüttelte den Kopf und wandte sich von den hell erleuchteten, vor Leben wimmelnden Hügeln ab.

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