Besser als sieben Röcke

Als die kleine Hexe ums Dunkelwerden wieder nach Hause kam, wollte der Rabe Abraxas gleich wissen, wie es ihr auf dem Ausritt ergangen sei. Aber die kleine Hexe entgegnete zähneklappernd:

„D-das w-will ich dir sp-päter erzählen. Zu allererst m-muß ich mir einen T-Tee kochen, w-weil mir so k- kalt ist, d-daß ich k-kaum sp-prechen kann."

„Siehst du wohl!" krächzte Abraxas, „das hast du nun davon, daß du bei dieser Hundekälte unbedingt ausreiten mußtest! Aber du hast ja nicht auf mich hören wollen!"

Die kleine Hexe kochte sich einen großen Topf Kräutertee. Den süßte sie mit viel Zucker. Dann schlürfte sie von dem heißen Gebräu. Das tat ihr sehr wohl, und bald wurde ihr wieder wärmer. Da zog sie die sieben Röcke bis auf den untersten aus, streifte Schuhe und Strümpfe ab, fuhr in die Filzpantoffeln und sagte: „Daß ich erbärmlich gefroren habe, will ich ja nicht bestreiten. Aber ich sage dir: Schön war es trotzdem!"

Sie setzte sich auf die Ofenbank und begann zu erzählen. Der Rabe Abraxas hörte ihr schweigend zu.

Erst nach der Geschichte mit dem Maronimann unterbrach er sie und warf ein:

„Also weißt du, allmählich verstehe ich überhaupt nichts mehr! Diesem Maronimann hilfst du mit deiner Hexerei gegen die Kälte, aber dir selbst hast du nicht geholfen? Was soll man da als vernünftiger Rabe sagen?"

„Wie meinst du das?" fragte die kleine Hexe.

„Wie werde ich das schon meinen! Wenn ich du wäre und hexen könnte, dann brauchte ich ganz gewiß keinen Kräutertee, um mich aufzuwärmen! Ich würde es gar nicht erst so weit kommen lassen!"

„Aber ich habe doch alles getan, was ich tun konnte!" sagte die kleine Hexe. „Ich habe mir zwei Paar Fäustlinge angezogen, die Winter Stiefel, das wollene Kopftuch und sieben Röcke ..."

„Ach was!" rief Abraxas. „Ich wüßte ein Mittel gegen den Frost, das ist besser als sieben Röcke!"

„Besser als sieben Röcke?"

„Viel besser! So wahr ich ein Rabe bin und Abraxas heiße!"

Die kleine Hexe verstand ihn noch immer nicht. „Sage mir", bat sie ihn, „was ich nach deiner Meinung versäumt habe. Aber du mußt es schon deutlicher sagen und darfst nicht immer in Rätseln sprechen."

„Spreche ich etwa in Rätseln?" fragte Abraxas. — „Die Sache ist doch so klar wie nur was! Wenn du hexen kannst, daß der Maronimann nicht zu frieren braucht — warum kannst du dann, bitte sehr, nicht das gleiche für dich hexen?"


„Ach!" rief die kleine Hexe und faßte sich an die Stirn, „das ist wahr! Wie kommt es nur, daß mir das nicht schon früher eingefallen ist? Du hast recht! Wozu bin ich denn eigentlich eine Hexe?"

„Eben, eben", stimmte Abraxas zu. „Manchmal scheinst du es ganz zu vergessen. Nur gut, daß du

jemanden hast, der dich ab und zu wieder daran erinnert!"

Die kleine Hexe nickte zu diesen Worten eifrig und sagte:

„Ja, ja, du bist wirklich der weiseste Rabe, der jemals aus einem Ei geschlüpft ist! Selbstverständlich werde ich deinen Rat auf der Stelle befolgen. Und wenn es dir recht ist, so will ich auch dich mit dem Hexenspruch gegen die Kälte besprechen, damit du in Zukunft nicht mehr daheim bleiben mußt, wenn ich ausreite."

„Einverstanden!" sagte Abraxas, ,,du darfst ruhig auch mir einmal etwas Gutes tun!"

Da hexte die kleine Hexe, daß sie und der Rabe nicht mehr zu frieren brauchten. Von nun an konnten sie auch bei der grimmigsten Kälte spazierenreiten, ohne daß sie vom Frost etwas spürten. Sie brauchten sich weder besonders dick anzuziehen, noch hatten sie hinterher einen Kräutertee nötig.

Und Schnupfen bekamen sie auch nicht, obwohl sie von jetzt an fast jeden Tag unterwegs waren.

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