Die kleine Hexe ließ sich vom Raben Abraxas nicht bange machen, sie ritt in der Nacht auf den Blocksberg.
Dort waren die großen Hexen schon alle versammelt. Sie tanzten mit fliegenden Haaren und flatternden Röcken rund um das Hexenfeuer. Es mochten wohl, alles in allem, fünf- oder sechshundert Hexen Sein: Berghexen, Waldhexen, Sumpfhexen, Nebelhexen und Wetterhexen, Windhexen, Knusperhexen und Kräuterhexen. Sie wirbelten wild durcheinander und schwangen die Besen.
„Walpurgisnacht!" sangen die Hexen, „heia, Walpurgisnacht!" Zwischendurch meckerten, krähten und kreischten sie, ließen es donnern und schleuderten Blitze.
Die kleine Hexe mischte sich unbemerkt unter die Tanzenden. „Heia, Walpurgisnacht!" sang sie aus voller Kehle. Sie wirbelte mit um das Hexenfeuer und dachte sich: Wenn mich Abraxas jetzt sehen könnte, würde er Augen machen wie eine Waldeule!
Sicherlich wäre auch weiterhin alles gut gegangen — nur hätte die kleine Hexe nicht ihrer Muhme, der Wetterhexe Rumpumpel, über den Weg tanzen dürfen! Die Muhme Rumpumpel verstand keinen Spaß, sie war eingebildet und böse.
„Sieh da!" rief sie, als ihr die kleine Hexe im Trubel begegnete, „welch eine Überraschung! Was suchst du hier? Antworte! Weißt du nicht, daß es für junge Dinger verboten ist, heute nacht auf den Blocksberg zu kommen?"
„Verrate mich nicht!" bat die kleine Hexe erschrocken.
Die Muhme Rumpumpel erwiderte: „Nichts da! Du freches Stück mußt bestraft werden!"
Neugierig kamen die anderen Hexen herzu und umringten die beiden. Die Wetterhexe berichtete zornig; dann fragte sie, was mit der kleinen Hexe geschehen solle.
Da riefen die Nebelhexen: „Sie soll es büßen!"
Die Berghexen kreischten: „Zur Oberhexe mit ihr! Auf der Stelle zur Oberhexe!"
„Jawohl!" schrien alle Hexen, „packt sie und schafft sie zur Oberhexe!"
Der kleinen Hexe half weder Bitten noch Betteln. Die Muhme Rumpumpel nahm sie beim Kragen und schleifte sie vor die Oberhexe. Die hockte auf einem Thron, der aus Ofengabeln errichtet war. Stimrun- zelnd hörte sie der Wetterhexe zu. Dann donnerte sie die kleine Hexe an:
„Du wagst es, in dieser Nacht auf den Blocksberg zu reiten, obwohl es für Hexen in deinem Alter verboten ist? Wie kommst du auf diesen verrückten Gedanken?"
Angstschlotternd sagte die kleine Hexe: „Ich weiß nicht. Ich hatte auf einmal so große Lust dazu — und da bin ich halt auf den Besen gestiegen und hergeritten.
„Dann wirst du gefälligst auch wieder nach Hause reiten!" befahl ihr die Oberhexe. „Verschwinde hier, und zwar schleunigst! Sonst müßte ich böse werden!"
Da merkte die kleine Hexe, daß mit der Oberhexe zu reden war. „Darf ich dann wenigstens nächstes Jahr mittanzen?" fragte sie.
„Hm...", überlegte die Oberhexe. „Das kann ich dir heute noch nicht versprechen. Wenn du bis dahin schon eine gute Hexe geworden bist, dann vielleicht. Ich werde am Tag vor der nächsten Walpurgisnacht
einen Hexenrat einberufen, dann will ich dich prüfen. Die Prüfung wird aber nicht leicht sein."
„Ich danke dir!" sagte die kleine Hexe, „ich danke dir!"
Sie versprach, bis zum nächsten Jahr eine gute Hexe zu werden. Dann schwang sie sich auf den Besen und wollte nach Hause reiten. Da aber sagte die Wetterhexe Rumpumpel zur Oberhexe:
„Willst du das kleine, freche Ding nicht bestrafen?" Bestrafe es!" hetzten die anderen Wetterhexen.
„Bestrafe es!" riefen auch alle übrigen. „Ordnung muß sein! Wer zum Hexentanz reitet, obwohl es ihm nicht erlaubt ist, der muß einen Denkzettel kriegen!"
„Wir könnten die freche Kröte zur Strafe ein bißchen ins Feuer werfen", meinte die Muhme Rum-pumpel.
„Wie wäre es", riet eine Knusperhexe, „wenn wir sie einige Wochen lang einsperren würden? Ich habe daheim einen Gänsestall, der steht leer..."
Eine Sumpfhexe sagte: „Da wüßte ich etwas Besseres! Gebt sie mir, und ich stecke sie bis an den Hals in ein Schlammloch!"
„Nein", widersprachen die Kräuterhexen, „wir sollten ihr ordentlich das Gesicht zerkratzen!"
„Das außerdem!" fauchten die Windhexen. „Aber sie muß auch gehörig Schläge bekommen!"
„Mit Weidenruten!" zischten die Berghexen.
„Nehmt doch den Besen dazu!" riet die Muhme Rumpumpel.
Der kleinen Hexe wurde es angst und bange. Das konnte ja gut werden!
„Aufgepaßt!" sagte die Oberhexe, als alle anderen Hexen gesprochen hatten. „Wenn ihr verlangt, daß die kleine Hexe bestraft werden soll..."
„Wir verlangen es!" lärmten die Hexen im Chor, und am lautesten lärmte die Muhme Rumpumpel.
„dann schlage ich vor", rief die Oberhexe, „daß wir ihr einfach den Besen wegnehmen und sie zu Fuß auf den Heimweg schicken! Drei Tage und Nächte lang wird sie zu laufen haben, bis sie in ihren Wald kommt — das reicht."
„Das reicht nicht!" schrie die Wetterhexe Rumpumpel; aber die anderen meinten, das könne man hingehen lassen. Sie nahmen der kleinen Hexe den Besen weg, warfen ihn lachend ins Feuer und wünschten ihr eine gute Reise.