TEIL I

»Die vollkommenste aller Frauen, die je die Erde betraten, die weiblichste unter ihnen und die herrlichste der Königinnen. Geschöpf der Anbetung, das Dichter nicht zu schmücken wissen; Bild der Träumenden, am Ziel der Träume.«

Theophile Gautier, 1845

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DER ÄGYPTISCHE MONAT DES PHAMENOTH IM JAHRE 51 VOR CHRISTI GEBURT

Alexandria bei Ägypten

Ihr Vater, Ptolemaios XII., der Flötenspieler, der Bastard.

Als er starb, ließ er sie allein in nachtschwarzer Dunkelheit. Noch während er den letzten Atemzug tat, hörte sie das Schlängeln der kalten Körper, sah, wie sich die Giftzähne entblößten.

Sie stand an seinem Lager und betrachtete sein Gesicht. Die Augen waren geschlossen, auf den Lippen lag ein seliges Lächeln; der Abschied vom Leben war sanft gewesen. Er war ihr Vater, und dennoch war er es nicht. Die Haut so grau wie geschmolzenes Wachs, die Muskeln erlahmt, die vormals vertrauten Züge fremd.

Sie wartete darauf, daß der Schmerz einsetzte und die Tränen kamen. Doch alles, was sie spürte, war das Kribbeln im Bauch, der Kitzel der Furcht. Nun war sie auf sich gestellt. In den letzten Monaten hatte sie als Mitregentin fungiert, doch erst jetzt, nach seinem Dahinscheiden, begann das Leben, auf das er sie vorbereitet hatte.

Von diesem Tag an war sie für die Welt Kleopatra VII. Philopator; Königin der zwei Länder Ober- und Unterägypten, die Göttin, die den Vater liebte und das Land. In ihrem Herzen wußte sie jedoch, daß sie nichts dergleichen war. Sie war achtzehn Jahre alt, beinahe noch ein Mädchen, hatte keine Erfahrung, keinen Beistand, keine Freunde.

Hilf mir, wollte sie sagen. Ich bin noch nicht soweit. Aber er war von ihr gegangen; der Tod hatte ihn von der Last des Lebens und Herrschens befreit. Und auch ihr würde nur der Tod diese Art der Erlösung gewähren.

Als neuen Dionysos hatte er sich gefeiert, als Retter, der den Osten von der Tyrannei Roms befreien würde. Das bacchische Zeichen des Efeus war auf seinen Körper tätowiert, die dionysischen Riten des Weintrinkens, der Musik und der Ausschweifung waren ihm wohlvertraut. Man hatte ihn als Flötenspieler verspottet, wenn er der Trunkenheit erlag, oder Schweinehund gerufen und laut gelacht, wenn er sich mühte, die Römer aufzuhalten.

Und nun besaß sie sein Legat; die prächtige weiße Stadt, die Leuchtende Stadt, wie sie die Römer nannten. Alabasterpaläste mit schattigen Hainen, die im Glanz der Frühlingssonne schimmerten, sich hinabzogen bis zum Meer und sich in die sanften Buchten der Halbinsel Lochias schmiegten. Eine frische Brise, vollgesogen mit Seegeruch, bauschte die Seidenbehänge im Gemach des Vaters, tanzende Geister des letzten Banketts. Die Palastgebäude von Brucheion reichten bis an den Königlichen Hafen, unterbrochen vom hochgewölbten Damm des Heptastadions, der sie vom Hafen der Glücklichen Wiederkehr trennte, und vom dichten Mastenwald der Handelsschiffe, die eins neben dem anderen an den Kaimauern vertäut lagen. Alexandria bei Ägypten, wie die Römer sagten, einer der größten Häfen der Welt.

In den Lagerhäusern häufte sich der Reichtum Ägyptens und des Hinterlandes; Elfenbeintruhen türmten sich wie Zypressenstämme, Perlen, so achtlos in Jutesäcke gestopft, als handele es sich um Eicheln, Seiden- und Musselinballen waren zu waghalsiger Höhe gestapelt, neben Bergen aus Henna, Kardamom und Zimt.

Die erste Stadt der Welt, im Sinne von Bildung und Kultur. Die berühmte Bibliothek umfaßte über siebenhunderttausend Volumen - zylindrische Schriftrollen mit Abhandlungen über Mathematik, Philosophie, Medizin, Astronomie, Anatomie und Geographie. Im Museion arbeiteten die namhaftesten Gelehrten der Erde, staatlich finanziert, Wissensquellen für das königliche Haus. In den Marmorhallen entstanden Siegesoden, medizinische Rezepturen und Kriegsmaschinen, ganz nach den Wünschen der Ptolemaier. Hier hatte Eratosthenes den Umfang der Erde berechnet, indem er die Länge der Schatten verglich, die sich bei Tagesmitte in Alexandria und Assuan erstreckten. Es war der Ort, wo Aristarchos bewies, daß die Erde die Sonne umkreiste, und wo Euklid, unter der Herrschaft der ersten Ptolemaier, seine mathematische Schule begründete.

Doch trotz dieses Ruhmes bedeutete Alexandria ein bitteres Erbe, denn es war ein Juwel, nach dem es die ganze Welt gelüstete.

Die Stadt war nach Alexander dem Großen benannt, der die Pharaonen vor drei Jahrhunderten besiegt und den Ptolemaiern die Macht über das Land verliehen hatte, dem eigenen Geschlecht griechischer Könige. Seine Nachfolger beherrschten die riesigen Landstriche, die er erobert hatte. Doch im Laufe der Jahrhunderte waren etliche Länder abgesplittert - Syrien, Kyrenaika, Zypern, das alles war verloren.

Das Mittelmeer wurde jetzt von Rom beherrscht. Wenn heute ein Monarch, ein Satrap oder ein Fürst den Marschschritt der Legionärsstiefel vernahm, wußte er, daß die Volkszähler, die Steuereinnehmer, die Baumeister mit ihren Straßen- und Aquäduktplänen nicht mehr weit sein konnten und daß es nur noch eine Frage der Zeit war, bis die alten Traditionen und Kulturen gnadenlos untergepflügt würden. Die ganze Welt war im Begriff, zur römischen Provinz zu werden.

Nur Ägypten fehlte noch - das größte Handelszentrum der Welt, ein Land, dessen Basare und Warenlager überquollen von Elfenbein, Gewürzen, Getreide, Weinen und Kunstgegenständen. Und es gab keinen zweiten Alexander, der diese Fülle verteidigen konnte, sondern nur eine Meute von Piraten, entlaufenen Sklaven und Gesetzlosen, die man der Einfachheit halber als Armee bezeichnete. Regiert wurde das Land von einem Hof, der sich aus Griechen, Syrern und Judäern zusammensetzte, die ein Festmahl erst dann als gelungen bezeichneten, wenn sich die Gäste in Giftkrämpfen wanden. Die Stadtbevölkerung bestand aus aufbrausenden Griechen und Ägyptern, deren Treue dem eigenen Geldbeutel galt und deren erste Reaktion angesichts einer Krise darin bestand, den Palast zu stürmen. Das Hinterland hingegen setzte sich aus ägyptischen Bauern zusammen, die Krokodile anbeteten und immer noch glaubten, die Pharaonen seien an der Macht.

Trotzdem liebte Kleopatra Ägypten, so wie es ihr Vater auch getan hatte. Philopatris, Philomatris - die, die den Vater liebt und das Land. Beides waren althergebrachte Titel, aber sie hatte sie zu den ihren erkoren - als ihre ureigensten Losungsworte.

Sie küßte zum letzten Mal die Hand des Flötenspielers und legte sie ihm auf die Brust zurück. Sie würde Ägypten erretten, so wie er es gewollt hatte, und sie würde Dionysos rächen. Jeden kleinen Scherz, den sie auf seine Kosten gemacht hatten, würden sie ihr bezahlen.

»Ich habe Befehl erteilt, den Leichnam zum Grabmal zu überführen«, ertönte eine Stimme, »Dort möge er ruhen, Seite an Seite mit seinen Vorfahren und Alexander.«

Kleopatra wandte sich um. Ein makedonischer Fettsack mit glänzenden Ringellöckchen, die dicken Finger überladen mit Ringen aus Lapislazuli und Karneol, und mit jener überheblichen Miene, die man als griechischer Minister offenbar zugleich mit der Amtstracht anlegte. Mitglied des Kronrats, einer der engsten Vertrauten ihres Vaters. Jetzt, nach dem Tod des Königs, ein gefährlicher Mann.

»Das zu befehlen steht mir zu, Pothinos.«

»Es schien mir lediglich das Ziemliche. Abgesehen davon wollte ich Eure Bürde erleichtern, in der Stunde des Schmerzes.«

»Daran habe ich keinen Zweifel.«

Der Flötenspieler hat recht gehabt. Das Klappern der Schlangen hat bereits eingesetzt, und diese hier ist dem Winterschlaf als erste entronnen. Sie erlassen Befehle, die ich nicht aufheben kann, um sich die ersten Machtbröckchen abzuknabbern, noch ehe mein Vater erkaltet ist. Meine Schonzeit ist von heute an beendet.

Die Mitglieder des Regentschaftsrats betraten einer nach dem anderen den Saal. Ihren kleinen Bruder Ptolemaios stießen sie vor sich her wie einen Gefangenen. Die Arme kaum dicker als Speerschäfte, eine unwirsche Miene. Ein übellauniger Bursche, dachte sie. Sie hatten ihm die Chlamys des Mannes angelegt, obgleich er noch ein Junge war.

Wie soll ich mit ihm umgehen? Fraglos hat Pothinos ihm den Kopf mit Flausen gefüllt. Eines Tages, wenn er ein richtiger Mann ist, wird er nicht mehr mein Bruder sein, sondern mein Feind. Kleopatra deutete auf den vergoldeten Stuhl an ihrer Seite, so daß er sich gemeinsam mit ihr auf dem Thronsitz niederlassen konnte.

Der Regentschaftsrat nahm, etwas unterhalb von ihnen, auf einer reichverzierten Bank Platz. Als erster Pothinos, der Vorsitzende des Regentschaftsrats und offiziell Ptolemaios' Vormund. Dann Theodotos, Ptolemaios' Lehrer, ein weiterer Hofbeamter, dem sie erst trauen würde, wenn er tot wäre und sein Kopf den Fischen zum Fraß diente. Und Achillas, Ägypter und Hauptmann der Königlichen Wache - derzeit noch loyal. Auch Hephaestion, der amtierende oberste Minister, war anwesend. Seine Gegenwart hätte sie allein an dem Parfüm erkannt, das er trug. Und natürlich ihre Schwester, Arsinoe. Erst fünfzehn Jahre alt, in Seide gehüllt, die glänzenden hellen Haare zu einem Knoten aufgesteckt; eine hochmütige, gefährliche Schönheit, bezaubernd und doch so berechnend und kalt. Zu guter Letzt der junge Antiochos, fast noch ein Kind, mit kurzer weißer Tunika, den immerwährenden Ausdruck bleicher Furcht im Gesicht.

Meine Familie, dachte Kleopatra, zumindest so lange noch, wie ich ihnen trauen kann. Sie ließ den Blick zur Decke wandern, die mit durchbrochenen Goldfriesen abgesetzt war, und betrachtete das gewaltige Fresko des Gottes Dionysos, umringt von einer Schar hingebungsvoller Mänaden. Unter dem langen wehenden Bart meinte sie das Gesicht ihres Vaters zu erkennen, und sie fragte ihn stumm: Hast du mich tatsächlich mehr geliebt als die anderen, oder hat es sich dabei wieder einmal nur um eines deiner Possenspiele gehandelt?

Ihr Blick senkte sich und schweifte über den Hof, über die Familienmitglieder mit den Stirnbändern. Alle, sogar die wenigen Ägypter, trugen die griechischen Chlamys, lose fallende Überwurfmäntel, die an der Schulter mit einer Goldspange gerafft wurden. Die Höchsten Freunde in reichen purpurfarbenen Roben, die Hohenpriester der Isis und Serapis mit kahlrasierten Köpfen und weißen Leinengewändern. Hinter ihnen, in der Großen Säulenhalle, drängten sich die Aristokraten, die Offiziere der Palastwache, der eine oder andere Gallier und Germane des römischen Kontingents sowie einige der reichen Syrer, Judäer und Ägypter. Die riesigen, halbnackten Nubier ihrer eigenen Leibwache umstanden den äußeren Kreis des Hofes, die Hände fest um die Zeremonienspeere gelegt.

Alle warteten gespannt darauf, was sie tun würde. Ihre erste große Prüfung stand bevor.

Das Eröffnungszeremoniell war rasch beendet. Pothinos brannte darauf, zur Sache zu kommen. »Die Hochzeit mit Eurem Bruder Ptolemaios sollte umgehend stattfinden«, teilte er ihr mit. »Das wird die Bevölkerung beschwichtigen. Die Nachfolge muß ordnungsgemäß vonstatten gehen, so daß wir nicht die Aufmerksamkeit der Römer auf uns lenken.«

»Wollt Ihr damit bekunden, daß die Nachfolge bisher nicht der Ordnung entsprach, Bruder?« fragte Kleopatra. Sie benutzte die ehrenvolle Anrede »Bruder«, die seiner erhabenen Position bei Hofe gerecht wurde. Dabei legte sie den Kopf zur Seite, als betrachte sie einen ihr fremden Gegenstand, der zufällig ihr Interesse erregt hatte.

»In keiner Weise, Majestät«, erwiderte Pothinos mit gekünsteltem Lächeln. »Ich möchte lediglich auf die Wünsche des Volkes hinweisen. Der Tradition zu entsprechen scheint mir von höchster Bedeutung.«

Die Tradition! Der pharaonische Brauch, die königlichen Geschwister zu vermählen, den die Ptolemaier übernommen hatten - eine liebedienerische Geste gegenüber den Priestern und der Masse der fellahin. Ihr Vater hatte seine Schwester geheiratet; ihre beiden älteren Schwestern, beide schon tot, waren dieser Verbindung entsprungen. Die Gepflogenheit zielte darauf ab, die Reinheit des königlichen Geblüts zu gewähren. Sie glaubte jedoch nicht, daß dies dem Rat vorrangig am Herzen lag.

»Als - unser Vater - erkrankte...«, hob sie an. Fast wäre sie über die königliche Redewendung gestolpert. Ich kann das nicht, schoß es ihr durch den Kopf. Wahrscheinlich durchschauen sie mich alle. Ich bin einfach zu jung. »Als unser Vater erkrankte, krönte er uns als Mitregentin, um die ordnungsgemäße Nachfolge zu sichern. Unserer Ansicht nach wurde den Wünschen des Volkes und den Bedürfnissen des Staates dadurch in vollem Umfang entsprochen.«

Das Lächeln wich nicht aus Pothinos' Gesicht, doch seine Augen blickten kalt und unerbittlich. »Ihr beabsichtigt doch wohl nicht, ohne König zu regieren, oder?«

»Nun - Ptolemaios ist schließlich kein fremder Prinz, der mich umwirbt. Oder erwartet Ihr die Frucht unserer Leiber, Bruder?«

Ptolemaios erbleichte. Kleopatra lächelte und fühlte sich besser, da sie sich erstmalig gegenüber ihren Feinden behauptet hatte.

»Pothinos sagt, ich sollte eigentlich König sein«, begehrte Ptolemaios auf.

Hatte er das wirklich getan? Ihre Furcht wurde von Wut abgelöst. »Du bist doch noch ein Junge«, fuhr sie ihn an. »Deshalb haben sich diese Männer zu deinem Rat ernannt.«

Ptolemaios warf ihr einen finsteren Blick zu.

Der Streit wurde fortgesetzt, wenn auch verbrämt in den gesitteten Worten des Hofes. Kleopatra hatte nicht vor, freiwillig von ihrem Standpunkt abzuweichen, und zwingen konnte man sie nicht, es sei denn, man wählte einen offenen Konflikt. Doch das würden sie nicht wagen, denn die Römer lauerten nur darauf, daß man ihnen Gelegenheit bot, sich einzumischen.

»Es war immerhin der Wunsch Eures Vaters«, versuchte Theodotos es erneut.

Sie lächelte huldvoll, um ihren Zorn zu kaschieren, etwas, das sie als ptolemaische Prinzessin schon früh gelernt hatte. »Er hat uns gegenüber keinen derartigen Wunsch geäußert.« Es ist dein Wunsch, Theodotos, dachte sie. Wenn ich Ptolemaios heirate, werde ich seine Königin und wäre in dem Fall ihm, oder genauer gesagt, dir und dem Rest des Regentschaftsrats unterstellt. Du glaubst, daß ich ein dummes Mädchen bin, und meinst, mich einschüchtern zu können, so daß ich die Macht, zu der ich geboren wurde, meinem griesgrämigen, einfältigen Bruder überlasse und damit euch dreien: einem vertrockneten Gelehrten, einem Maulhelden, der seit zwei Jahren kein Schlachtfeld mehr betreten hat, und einem Mann mit schriller Stimme, dem zwischen den Beinen nur Fettwülste wachsen.

Nun, ich werde es nicht tun. Ich mag ja noch jung sein und dazu noch ein Mädchen, doch irgendwie wird Isis mir helfen, und irgendwie werde ich mich euren Wünschen widersetzen.

»Eure Thronbesteigung ist doch gewiß nur eine vorübergehende Angelegenheit?« beeilte sich Theodotos festzustellen.

»Maßt Ihr Euch an, Eure Königin in Frage zu stellen?« erkundigte sie sich mit klopfendem Herzen.

Zu ihrer Erleichterung gab Theodotos so lammfromm nach, wie es seiner Natur entsprach, und verneinte mit heftig hin und her wackelndem Kopf. Wenn die anderen nicht da wären, ging es Kleopatra durch den Sinn, würde er es gar nicht wagen, in unserer Gegenwart auch nur die Stimme zu erheben. In unserer Gegenwart. Wie schnell sie sich an die Symbole der Macht gewöhnt hatte. Als nächstes mußte sie aufhören, sich als das Mädchen Kleopatra anzusehen, und sich statt dessen als Königin Kleopatra betrachten.

Ihren Worten folgte langanhaltendes Schweigen. Kleopatra starrte sie an, bis sie die Augen niederschlugen - alle, bis auf Pothinos, der ihren Blick unter halbgesenkten Lidern aus schwarzen Augen erwiderte. Hephaestion war es, der die angespannte Stille unterbrach. »Da wäre noch eine Sache«, begann er.

Kleopatra atmete auf. Zu ihrer eigenen Überraschung hatte sie die erste Runde gewonnen, hatte sich selbst ebensoviel bewiesen wie den anderen.

»Rom ist wieder einmal kurz davor, einen Krieg anzuzetteln. Julius Caesar wetteifert mit Magnus Pompejus um die Macht. Dieser Caesar hat sich dem eigenen Senat widersetzt und Pompejus und dessen Truppen aus Italien vertrieben. Pompejus hat sich an uns gewandt und um Hilfe gebeten.«

Eine solche Bitte war im Grunde nicht abwegig. Pompejus galt als Verbündeter ihres Vaters, der Flötenspieler hatte ihm den Thron verdankt. Nun erwartete Pompejus, daß man Gleiches mit Gleichem vergalt.

»Wir müssen uns über diese Bitte hinwegsetzen«, beschied Pothinos.

»Darüber hinwegsetzen?« fragte Kleopatra erstaunt. »Und inwiefern sollte uns das dienlich sein?«

»Wir sind keine römischen Sklaven. Wenn dieser Caesar so siegreich ist, würdet Ihr ihn provozieren, wenn Ihr seinen Feind unterstützt!«

»Und wenn sich Magnus Pompejus behauptet?«

Pothinos ließ die Frage unbeantwortet.

Nun ging es also um ihre erste außenpolitische Entscheidung. Aber in diesem Punkt hatte sie sich schon seit langem eine Meinung gebildet und brannte darauf, sie der Öffentlichkeit kundzutun. Ihr Vater hatte ihre Einstellung als unausgegoren bezeichnet; sie wiederum hatte ihn einen Zauderer genannt. »Mein Vater schuldete Julius Caesar neun Talente Gold«, erklärte sie. »Sollte er gewinnen, wird er hier auftauchen, um sie zu fordern. Möchtet Ihr immer noch, daß Magnus Pompejus besiegt wird, Bruder?«

»Er ersucht uns um sechzig Schiffe und dreihundert Soldaten!«

»Dann werden wir sie ihm geben.«

»Man wird munkeln, daß Ihr römerfreundlich seid.«

Sie hielt den Blick auf ihn gerichtet. Ah, dachte sie, das ist also das Gerücht, das du über mich verbreiten willst. Gut, daß du mir wenigstens die Ehre erweist, mich zuvor darüber in Kenntnis zu setzen. »Man wird noch vieles über mich munkeln, bevor ich zu Grabe getragen werde.«

Pothinos warf ihr einen Blick zu, als wollte er sagen: Ach, du glaubst also tatsächlich, daß es noch dauern wird, bis du deinem Vater Gesellschaft leistest?

»Tut, wie wir befehlen«, sagte sie und merkte, daß sich ihr Gaumen mit einem Mal trocken anfühlte.

Dann erhob sie sich und schritt hocherhobenen Hauptes aus dem Saal.

Lange Zeit saß sie allein in den Privatgemächern des Palastes. Noch immer zitterten ihr die Glieder vor Wut und Anspannung. Sie war so einsam wie eh und je. Nichts war um sie außer dem Zischen der Schlangen. Sie würde zu Isis beten und Kraft von ihr erflehen.

Die prächtige Ausstattung des Raumes - die Schildpattintarsien der Portale, die dicken kappadokischen Teppiche und die mit Karneol verzierten Stühle - konnte sie nicht trösten. Es war das Gemach ihres Vaters; der überladene Pomp hatte zu ihm gepaßt, nicht zu ihr. Trotz der Erziehung, die er ihr hatte angedeihen lassen, empfand sie sich nicht als Königin, sondern kam sich vor wie eine Hochstaplerin, und dabei noch unendlich jung, unendlich unerfahren.

Sie hörte ein Geräusch hinter sich und schrak hoch, weil sie sich allein gewähnt hatte. Doch dann atmete sie erleichtert auf. Es war nur Mardian, ihr eigener Tropheus, ihr Lehrer, der ihr schon seit Kindertagen zur Seite stand. Wenn sie überhaupt einen Freund hatte, dann war er es. Er hatte einen schwammigen Körper, wie viele Eunuchen, und war noch dicker als Pothinos. Seine blaue chlamys war so riesig wie der königliche Pavillon, und das Gesicht so faltig wie ein hingeworfenes Gewand, es bestand nur aus Furchen und hängenden Fleischtaschen.

»Vor Pothinos müßt Ihr Euch in acht nehmen«, warnte er sie.

»Werden sie sich gegen mich auflehnen, Mardian?«

»Solange Achillas auf Eurer Seite steht, können sie nichts unternehmen.«

Kleopatra ließ sich die Worte eine Weile durch den Kopf gehen.

»Aber Ihr habt ganz Alexandria gegen Euch. Sie mißbilligen den Weg, den Euer Vater Rom gegenüber beschritten hat. Das gleiche gilt für Euch. Man glaubt, daß Ihr zu den Römern haltet.«

»Wie kann ich denn gegen sie sein, wenn ich keine Armee befehlige, die es mit ihnen aufnehmen kann? Ich denke nur praktisch.«

»Überdies geht es Pothinos und seinen Freunden nur um den eigenen Vorteil. Und jeder Händler im Basar sähe lieber einen Wicht wie Ptolemaios auf dem Thron, denn ihn hätten sie unter der Fuchtel.«

Kleopatra spürte, wie sie in sich zusammensank, und schloß die Augen. »Ich habe keine Anhänger, ich regiere eine Nation von Krämern und Sklaven, die sich zusammenrotten, sobald ein Wölkchen am Himmel erscheint, und ich habe die Römer im Nacken, die auf unser Geld aus sind. Was soll ich tun?«

Warum hatte ihr Vater sie nur so früh im Stich gelassen? Noch einige Jahre als Mitregentin, und sie wäre vielleicht in der Lage gewesen, ihre Position zu festigen, hätte gewußt, was zu tun war. Doch sogleich wurde ihr klar, daß das so nicht stimmte. Solange sie Brüder hatte, würde man sie nie als Königin aus eigenem Recht betrachten, sie würde sich immer dem Willen anderer fügen müssen. Und es würde immer einen Pothinos geben, der danach trachtete, ihre Schwächen auszunutzen.

2

Der Tempel lag auf der Landzunge von Lochias. Er bot einen weiten Blick über das offene Meer. Es handelte sich um das private Heiligtum des königlichen Hauses - ein Ort, an dem sie allein sein konnte mit Isis, der Göttin mit den Zehntausend Namen, Zuflucht der Menschen, Beschützerin der Frauen, barmherzige Trösterin, Große Mutter der Natur.

Salzwinde strichen wispernd um die Säulen, der Sand zog dünne Rieselspuren über die Marmorkacheln. Kleopatra ließ sich auf die Knie sinken und wartete, bis sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten. Isis hielt den Blick auf das Meer gerichtet, auf der silbernen Mondscheibe über ihrem Kopf die Federn der Gerechtigkeit, der mystische Knoten zwischen den entblößten Brüsten, in der linken Hand den Krug mit Nilwasser, um den rechten Arm die sich windende Schlange, unter dem Fuß das zahme Krokodil.

Kleopatra hörte, wie in der Nähe einer der Priester zu Ehren der Göttin mit hoher Stimme ein Loblied anschlug.

Sie legte ihre Opfergaben aus Blumen und Früchten am Fuß der Statue nieder und bat die Große Mutter stumm um deren Beistand.

Nachdem sie die Andacht beendet hatte, wanderte sie zurück durch die prächtig anzusehenden Palastgärten mit den weißen Blumen des Frühlings und erhielt die Nachricht, daß der Apis-Stier gestorben war.

Kleopatra lag bäuchlings und nackt auf der glatten Alabasterbank. Iras, ihre Nubierin, knetete ihr Rücken und Schultern mit wohlriechenden Ölen. Eine zweite Sklavin massierte ihr Mandelmilch in die Hände, während die dritte ihr die Füße mit Minzwasser rieb. Charmion kämmte mit einem Schildpattkamm ihre langen dunklen Haare.

Sie hatte Mardian rufen lassen, hatte für das Gespräch jedoch auf das Gitter des Wandschirms verzichtet. Bei ihm scherte sie sich nicht um Fragen der Schicklichkeit. Es gab ohnehin niemanden, der sie besser kannte, und abgesehen davon hatte man ihm die männlichen Bedürfnisse bereits im Alter von zehn Jahren abgetrennt.

Die fleischigen Kinnbacken bebten wie die Hautlappen eines Stieres, als er dahergeschritten kam. »Majestät«, sagte er, ließ sich schwer auf die Knie fallen und neigte die Stirn bis zum Boden.

»Du hast die Neuigkeit zweifellos schon gehört. Der heilige Apis-Stier ist tot.« Der Apis-Stier galt als Inkarnation des Ptah, des Gottes von Memphis. Man wählte ihn nach den immer gleichen Bedingungen aus; er hatte schwarz zu sein, mit einer weißen Raute auf der Stirn, einem Halbmond auf der rechten Flanke und dem Zeichen des Skarabäus auf der Zunge.. Er wurde verwöhnt wie kein anderes Tier auf der Erde, und wenn er starb, wurde er mumifiziert und wie ein Pharao in ein Grabmal gelegt, das bereits seine Vorfahren beherbergte. Der Bestattung folgte eine langwierige Weihezeremonie für den Nachfolger, der auf einer Barke den Nil hinauf begleitet wurde, bevor er in seiner neuen Heimstatt, dem Tempel des Ptah, Einzug hielt.

Der Tod des Stieres, so bald nach dem Tod ihres Vaters, wurde bereits als böses Omen gewertet. Auf dem Markt von Alexandria wurde verkündet, daß es sich dabei um ein Zeichen der Götter handele, die es nicht guthießen, daß eine Königin ohne König regierte. Fraglos hatte Pothinos dazu beigetragen, daß sich derartige Gerüchte verbreiteten.

Ich werde ihnen zeigen, daß ich keine dumme Gans bin, die sich von Eunuchen und Aufschneidern kommandieren läßt, dachte Kleopatra. Ich werde dieses Omen in einen Vorteil verwandeln und die Gelegenheit nutzen, meine eigene Bastion der Macht aufzubauen, jenseits von Alexandria und seinen Ränke schmiedenden Griechen und Judäern.

»Ich habe beschlossen, selbst an der Bestattung teilzunehmen.«

Mardian schaute verdattert drein. Dieses Mal hatte sie ihren Lehrer überrumpelt. Sie spürte, wie sich ein Gefühl des Triumphes in ihr breitmachte.

»In Memphis?« fragte er. »Keiner der Ptolemaier hat je den ägyptischen Göttern gehuldigt.«

»Nun, dann wird es eben das erste Mal sein«, erwiderte sie mit zuckersüßem Lächeln.

»Ich verstehe«, sagte er, wobei seine Miene aussah wie eine Hieroglyphe für Sprachlosigkeit.

Kleopatra stützte das Kinn auf die Hände. Vielleicht schaffe ich es doch, dachte sie. Wenn ich schon meinen eigenen Lehrer verblüffen kann, dann gelingt es mir vielleicht auch bei dem Regentschaftsrat. »Wir wünschen, daß die königliche Barke hergerichtet wird. Wir werden dem Apis-Stier die letzte Ehre erweisen und den Nachfolger willkommen heißen.«

»Ist das klug, Majestät?«

»In Alexandria liebt mich ohnehin niemand, Mardian. Aber ich bin nicht nur die Königin dieser einen Stadt. Ich bin Herrin der zwei Länder, und ich beabsichtige, dem Rat zu zeigen, daß man mich nicht im Palast einsperren kann. Was glaubst du, wie die Priester und die Menschen der chora reagieren, wenn sie sehen, wie ihre Königin, als Ebenbild der Isis, einem ihrer Götter die Ehre erweist? Meinst du nicht, daß sie uns dafür lieben werden?«

Sie lächelte, schloß die Augen und überließ sich den kundigen Händen ihrer Sklavinnen.

Mardian warf einen verstohlenen Blick auf diesen festen braunen Körper auf der Alabasterbank, ehe er sich zurückzog. Ein so zarter Körper für eine Person von so starker Entschlossenheit! Wenn man den Beweis nicht vor Augen hätte, vermochte man sie kaum für eine Frau zu halten. Sie haben sie alle unterschätzt, ging es ihm durch den Kopf. Nur er nicht. Schon als Kleopatra noch ein Kind war, hatte er erkannt, daß sie sich von ihren Brüdern und Schwestern unterschied, daß sie auch eine ganz andere Persönlichkeit war als ihr Vater. Pothinos, Theodotos - keiner von ihnen hatte auch nur die Spur einer Ahnung, mit wem sie es hier zu tun hatten. Halsstarrig ja, und auch eigensinnig, aber ausgestattet mit messerscharfem Verstand. Kein anderer der Ptolemaier hatte sich je damit abgegeben, die Sprache der Menschen zu lernen, die sie regierten. Sie war die erste. Und sollte sich Isis tatsächlich entschieden haben, nach Ägypten zurückzukehren, dann würde es ihn in keiner Weise wundern, wenn sie sich die kleine Kleopatra als Inkarnation ausgesucht hätte.

Sie befanden sich in einem Ägypten, das den Griechen und Juden Alexandrias gänzlich unbekannt war. Lehmhütten, die sich unter hohen Palmdächern duckten, Esel, die knarrende sakkiehs zogen, Wasserräder, die sich gemächlich drehten. Alexandria wurde vom Blau des Meeres und dem Weiß seiner Gebäude beherrscht. Es gab dort so viele Völkerschaften, daß die Stadt wie ein einziger bunter Basar wirkte. Hier jedoch dominierten Braun- und Grüntöne, und ein Gesicht sah aus wie das andere, mit Adlernase und schwarzen Augen. Sie hatten in Alexandria inmitten eines Unwetters die Segel gesetzt, doch nun war der Nil friedlich, der Himmel klar, die Luft still und warm.

Es war das zweite Mal, daß sie die Stadt verließ, um die chora zu besuchen. Beim ersten Mal hatte es sich um ihre Krönungsreise gehandelt, als sie zur Mitregentin gekürt wurde. Der Besuch lag nur wenige Monate zurück. Seit Beginn der Ptolemaierherrschaft, zur Zeit Alexanders, hatte sich jeder König einmal in Alexandria krönen lassen und dann noch einmal in Memphis, dem Krönungsort der Pharaonen.

An jenem Tag in Memphis hatte ihr ein kahlrasierter Priester den königlichen Krummstab mit dem Dreschflegel überreicht und ihr die Doppelkrone der Pharaonen aufgesetzt, das Kobradiadem Unterägyptens und den weißen geiergestaltigen Kopfschmuck Oberägyptens. Damit wurde sie zur Herrin der beiden Länder, ein Tatbestand, den die Ptolemaier offenbar vergessen hatten und dem Kleopatra nun erneut Aufmerksamkeit zollte.

Das Leben ist ein Trugbild, hatte der Vater ihr einmal gesagt. Niemand betrachtet dich als Mädchen mit glänzendem dunklem Haar, schmaler ägyptischer Nase und bronzefarbener makedonischer Haut. Niemanden kümmert es, daß du dich vor Schlangen fürchtest, daß dir vor der Dunkelheit graut und daß du Oliven naschst. Was man von dir erwartet, ist eine gottgleiche, makellose Königsgestalt. Du mußt so unwirklich sein wie ein Traum - nur dann werden sie dich lieben.

Und nun ruhte sie auf einem Diwan auf dem Zedernholzdeck der königlichen Barke, im Schatten des goldgesäumten Seidenbaldachins, umringt von nubischen Sklaven mit langstieligen juwelenbesetzten Fächern. Das dunkle Haar fiel ihr in sanften Wellen auf die Schultern, gehalten von dem goldenen Stirnband mit den zwei Federn der Gerechtigkeit, darüber die runde Scheibe, das silberne Antlitz des Mondes, glänzend wie ein Spiegel. Ihr weißes Leinengewand war in der Mitte mit dem mystischen Knoten geschnürt, die entblößten Brüste blau gefärbt. Um ihren rechten Arm wand sich die goldene Schlange.

Die Ruderblätter mit den silbernen Enden funkelten, wenn sie im Wasser ein- und auftauchten. Jede Meile wurde von Scharen kleiner Kinder begleitet, die aus den Lehmhütten stürzten, und von Bauern mit sonnengebräunter Haut und weißen Lendenschurzen, die zum Ufer rannten und mit offenem Mund die Göttin anstarrten, die zu ihnen zurückgekehrt war.

Ist das wirklich unsere Königin, hier in der chora? Ist das tatsächlich unsere Isis?

Kleopatra litt unter der Hitze, die sich unter dem Baldachin Staute. Ermattet hob sie die Hand, um die ehrfürchtige Menge zu grüßen. Selbst beim leichtesten Wiegen der Barke wurde ihr übel, und das Leinenkleid lastete ihr schwer und unbequem auf der Haut.

Doch sie wußte, daß diese Scharade von ausschlaggebender Bedeutung war. Die Zweifel, die sie seit dem Tod des Vaters gequält hatten, wurden schwächer, je weiter sie den großen Nil hinaufsegelten. Ganz allmählich stieg eine Hochstimmung in ihr auf, eine tiefe Gewißheit hinsichtlich des eigenen Schicksals. Ich schaffe es, sagte sie sich. Ich kann mich im Palast der Schlangen behaupten.

Sie wurde in einer Sänfte am heiligen Weiher entlanggetragen und dann über eine gepflasterte, mit Sphingen gesäumte Straße zum Tempel von Apis. Sie hörte die schwermütigen Musikklänge, die aus dem Tempel drangen, und roch den süßsauren Weihrauch, der über der stillen, heißen Luft schwebte. Die Priester traten aus dem Tempel, um sie willkommen zu heißen, in blauen Gewändern der Trauer, die Köpfe rasiert.

Als erstes begrüßte sie Pshereniptah, der Hohepriester von Memphis.

»Erhabene Königin«, murmelte er. »Ihr erweist uns eine große Ehre.«

»Im Gegenteil«, erwiderte sie. »Ich bin gekommen, um Ptah die Ehre zu erweisen.« An seiner Miene erkannte sie, daß sie ihre Worte klug gewählt hatte.

Die Anlage von Sakkara war der heiligste Ort Ägyptens. Sie passierten die gewaltige Stufenpyramide des Königs Djoser, die schwarz in der heißen Ödnis schimmerte, mit den mächtigen Wällen aus Lehmziegeln, mastabas längst verstorbener Priester und Wesire. Danach wohnte Kleopatra den Bestattungsriten für den toten Stier im Tempel bei und schritt anschließend in der Prozession zu den nahe gelegenen Katakomben.

Den Eingang schmückten im Halbkreis angeordnete Statuen griechischer Dichter und Philosophen, in der Mitte Homer, dann Pindar mit der Lyra und Plato. Sie waren Schenkungen ihres Vaters. Er hatte den Priestern zu Lebzeiten großzügige Spenden zukommen lassen, damit sie die Tempel und heiligen Stätten instand halten oder erneuern konnten. Er war es auch gewesen, der Kleopatra geraten hatte, sich nicht nur als griechische Prinzessin zu verstehen, sondern gleichzeitig auch als Erbin der ägyptischen Pharaonen.

Über eine Rampe drangen sie tiefer in die Innenhöhlen der Wüste, in denen es dunkel und stickig heiß war. Die Priester sangen Klagelieder, und der Rauch der Fackeln brannte Kleopatra in der Lunge, doch sie schritt unentwegt weiter, hinab in das unterirdische Gelaß, vorbei an mächtigen Sarkophagen, bedeckt mit Hieroglyphen, tausendjährige mumifizierte Überreste früherer Apis-Stiere.

Die Luft im Inneren war dünn und faulig vor Alter und Staub, sie roch nach Hitze und Verfall. Ein Skorpion huschte durch den Sand und rettete sich aus dem Licht der Fackeln in die dunklen Schattenränder.

Schließlich wurde der mumifizierte Stier von einer schweißnassen Sklavenphalanx durch den schmalen Gang getragen. Ihr Keuchen ging unter im klagenden Singsang der Priester. Der Stier war riesig im Tod, fest eingeschnürt in weiße Bandagen, nur die Hörner schauten hervor. Große Kanopen faßten die Eingeweide und Organe. Die Trage wurde in das weiße Alabasterbett des rosafarbenen Granitsarkophages gesenkt, anschließend ließ man die wuchtige Steinplatte herab.

Der heilige Apis-Stier hatte seine letzte Ruhestätte gefunden und war nun bereit für die nächste Inkarnation.

In dieser Nacht, während der Trauerfeierlichkeiten im Tempel, beugte sich Pshereniptah zu Kleopatra hinüber und flüsterte: »Niemand wird Eure Anwesenheit hier jemals vergessen. In den Augen der Priester und der Menschen hier seid Ihr nicht mehr nur Kleopatra. Jetzt seid Ihr Isis.«

3

Königin zu sein, das lernte Kleopatra rasch, bedeutete auch, den immer gleichen Pflichten nachzugehen, denn jeder Tag bestand aus einer endlosen Abfolge von Ratsversammlungen. Und Regieren erforderte, daß man sich in Einzelheiten auskannte, gleichgültig ob es sich dabei um Kanalerweiterungen handelte, die Erhebung von Einfuhrzöllen oder die Ernennung von Beamten.

Mit dem obersten Minister, dem dioiketes, an ihrer Seite empfing sie die strategoi, die den Distrikten vorstanden, oder ließ ihnen Direktiven zukommen. Darüber hinaus hatte sie als Pharaonin auch dem Volk zugänglich zu sein, deshalb hielt sie anschließend hof im großen Audienzsaal, nahm Anträge und Bittgesuche entgegen und übte das Amt der Richterin aus. Zwischendurch durfte man natürlich nicht versäumen, sich bei dem Hohenpriester nach dem Wohlbefinden des heiligen Apis-Stiers zu erkundigen.

Kleopatra hatte weit mehr Probleme geerbt, als sie gedacht hatte. Das Land wurde von einem riesigen Verwaltungsapparat gelähmt, und in der chora breitete sich ein wild wuchernder Nationalismus aus. Viele fellahin hatten die Felder im Stich gelassen, weil sie die Steuern nicht bezahlen konnten, die ihr Vater erhoben hatte, und die ersten Anzeichen einer Hungersnot hatten zu Aufständen in Oberägypten geführt. Diesem letzten Problem hatte sich Kleopatra allerdings unverzüglich gewidmet, denn schließlich waren in der Vergangenheit mehr Herrscher hungrigen Volksmassen zum Opfer gefallen als feindlichen Heerscharen.

Sie hatte Pothinos und die übrigen Mitglieder der Regierung in großes Erstaunen versetzt, als sie verkündete, sie würde die Währung um ein Drittel abwerten, um die Ausfuhr zu steigern und dem Schatzamt Gelder für den Getreideimport zu verschaffen. Gleichzeitig verordnete sie die Rationierung der Ernteerträge.

Die Gefahr einer Hungersnot war somit fürs erste gebannt. Unterdessen wartete man jedoch auf Nachricht aus Griechenland, um zu erfahren, wie der Kampf zwischen Caesar und Pompejus entschieden worden war. Alle waren sich einig, daß Pompejus den emporgekommenen Feldherrn besiegen würde, wenngleich dieser in Gallien eine beachtliche Reihe militärischer Erfolge geerntet hatte. Kleopatra selbst war fest davon überzeugt, daß sich ihre Entscheidung, Pompejus mit Truppen und Proviant zu versorgen, als richtig herausstellen würde. Das würde Pothinos eine kleine Lektion in Sachen Diplomatie erteilen.

Die Gefühle von Furcht und Einsamkeit, die sie seit dem Tod des Vaters heimgesucht hatten, waren verschwunden. Sie kam sich längst nicht mehr wie eine Hochstaplerin vor, wenn sie auf Alexanders Thron Platz nahm. Ich habe mich unterschätzt, dachte sie insgeheim. Doch dann wurden zwei römische Gesandte von betrunkenen Legionären ermordet, und Kleopatras neugefundenes Selbstvertrauen löste sich auf wie die Morgennebel über dem See Mareotis.

Ganz Alexandria feierte. Man könnte meinen, wir hätten die glorreiche Marslegion bezwungen und das Forum geplündert, ging es Kleopatra durch den Kopf. Dabei handelte es sich bei den Mördern noch nicht einmal um Ägypter.

Die beiden Gesandten waren Söhne des römischen Statthalters Marcus Bibulus gewesen. Sie waren von römischen Legionären getötet worden, die vor der Stadt stationiert waren -Männer, die Pompejus vor acht Jahren ihrem Vater zur Verfügung gestellt hatte, um ihm im Falle eines Aufstands Schutz zu gewähren. Richtige Römer waren das allerdings nicht, sondern vorrangig Germanen und Gallier. Menschen mit stinkendem Atem und zottigen Bärten, die zuviel tranken und die Basare der Stadt plünderten, wenn ihnen der Sinn danach stand. Viele von ihnen hatten in Rhakotis Frauen gefunden, die genauso häßlich waren wie sie, und einige hatten sogar eine stattliche Anzahl Kinder in die Welt gesetzt.

Der syrische Statthalter wünschte diese verlotterte und verwilderte Meute jedoch zurück, damit sie ihn im Kampf gegen die Parther unterstützten. Doch wie es schien, behagte ihnen das Leben in Alexandria, und sie fanden wenig Geschmack an dem Gedanken, wieder Soldaten zu sein. Ein paar von ihnen hatten sich betrunken, als die Nachricht aus Syrien zu ihnen drang, und hatten auf ihre einfältige Art beschlossen, das Problem zu lösen, indem sie die Verkünder der Nachricht ermordeten. In diesem Fall leider keine Geringeren als die Söhne von Marcus Bibulus.

Und nun darf ich mich des Problems annehmen, dachte Kleopatra.

Der Hofstaat war in seiner ganzen Pracht versammelt. Griechen in purpurnen chitons, Perser in Mantel und Hose, Judäer in langen weißen Kaftanen, Ägypter in den traditionellen kalasiris. Der oberste Minister war anwesend, mit seinen oikonomoi, in griechischen Gewändern und Lorbeerkränzen auf dem Haupt. Die Offiziere der Königlichen Wache, unverwechselbar mit den breitkrempigen Filzhüten, dem kurzen geraden Überwurf und den hochgeschnürten Stiefeln des makedonischen Landadels. Der Oberste Jäger, der Oberste der Ärzte und der Oberste Mundschenk glänzten im Schmuck ihrer Diademe und Goldspangen.

Kleopatra hatte das offizielle Staatsgewand angelegt, mit einem Brustkreuz aus Gold und Elfenbein, Lapislazuli und Karneol, einem breiten Gürtel aus massivem Gold, Armreifen und Fußspangen aus Gold und Lapislazuli. In den Händen hielt sie den Krummstab und den Dreschflegel des Großen Hauses von Ägypten, und auf dem Kopf trug sie den Doppelhut mit dem Geier und dem goldenen Uraeus für die beiden Länder.

Charmion hatte Stunden damit zugebracht, sie zu schminken, wobei sie besonderen Wert auf die Augen gelegt hatte, die mit schwarzem Khol und grünem Malachit betont worden waren. Die Lippen hatte sie mit einer Salbe aus Widderfett, versetzt mit rotem Ocker, gefärbt, und das Haar mit einer Lotion aus Öl und Wacholder zum Glänzen gebracht. Die Gestalt, die vom Thron herunterschaute, war kein achtzehnjähriges Mädchen, sondern eine Göttin.

Ein ägyptischer Schreiber im gefältelten Rock saß zu ihren Füßen, neben einem Gelehrten des Museion in griechischem Gewand. Sie führten das Protokoll in Ägyptisch und Griechisch.

Als Kleopatra die Große Säulenhalle betreten hatte, waren alle verstummt. Jetzt erhob sie ihre Stimme. »Möchte mir jemand erklären, was gestern in der Stadt vorgefallen ist?«

Nervöses Schweigen. Kleopatra hatte festgestellt, daß sie die hohen Herren allein mit ihrer Stimme beeindrucken konnte. Es war Pothinos, der sich schließlich zu Wort meldete, in den Augen den gewohnten Ausdruck der Überheblichkeit. »Majestät, den römischen Soldaten war seitens der beiden Gesandten aufgetragen worden, sie nach Syrien zu begleiten. Sie sollten dem dortigen Statthalter bei seinem Grenzkonflikt mit den Parthern beistehen. Sie haben sich geweigert.« »Und deshalb zwei wehrlose Männer ermordet?«

»Zwei Römer!« Pothinos spuckte die Worte aus. »Die Truppen haben sich mittlerweile hier niedergelassen«, setzte Theodotos erklärend hinzu. »Es sind einfache Barbaren aus Gallien oder Germanien. Sie haben sich Frauen oder Mätressen zugelegt, manche besitzen Familie. Rom ist für sie längst ohne Bedeutung.«

»Es sind dennoch römische Soldaten.« Pothinos glühte vor Schadenfreude.

Es würde mich nicht wundern, wenn er die ganze Geschichte eingefädelt hätte, dachte Kleopatra. So etwas wäre typisch für ihn. Er würde ihr die Wahl überlassen, entweder die Römer zu verärgern oder das eigene Volk gegen sich aufzubringen.

»Nun, es ist jedenfalls nicht mehr zu ändern, Majestät«, sagte er.

Sie ließ die Blicke über den Hofstaat schweifen, suchte das dritte Mitglied des Rats. »Bruder«, begann sie, getreu der Etikette. Achillas bekleidete das höchste Amt bei Hofe. »Ihr habt Eure Meinung noch nicht kundgetan.«

»Erhabene Majestät, wie Pothinos bereits anmerkte, sind es letztlich nur Römer.«

Ja, krieche nur vor ihm, dachte sie verärgert. Hat er euch denn inzwischen schon alle in der Tasche?

Sie wandte sich an ihren obersten Minister, der neben dem Thron stand. Protarchos war der Nachfolger von Hephaestion, seit dieser seine einjährige Amtszeit beendet hatte. »Was haltet Ihr von der Angelegenheit?« erkundigte sie sich. »Majestät, es sind Römer, so wie es der Hauptmann der Wache sagt. Und sie haben gegen römisches Gesetz verstoßen. Deshalb sollten sie sich nach meiner Überzeugung auch Rom gegenüber verantworten.«

Kleopatra wandte sich wieder an den Hof. »Das ist auch unsere Meinung. Wir befehlen daher, daß man die Mörder aufspürt und sie in Ketten der Gerichtsbarkeit des römischen Statthalters von Syrien überstellt.«

Achillas trat einen Schritt vor. »Majestät! Ist das gerecht? Kriechen wir neuerdings vor den Römern? Und sollten wir uns ihnen dann nicht gleich zu Füßen werfen und sie in Alexandria einmarschieren lassen?«

»Nun, sofern sie das wünschen, werdet Ihr und Eure Armee sie kaum aufhalten können!« Achillas starrte sie an. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Wahrscheinlich, dachte Kleopatra, erschrocken ob der eigenen Unbedachtheit, habe ich nun auch noch den letzten Verbündeten im Palast verloren.

»Majestät, wollt Ihr uns wirklich derart vor den Römern demütigen?« fragte Pothinos mit Schmeichelstimme.

»Wenn ägyptische Soldaten Eure Söhne in Rom ermordeten, würdet Ihr dann nicht auch erwarten, daß man sie Eurem Richtstuhl überläßt? Obwohl das unter den gegebenen Umständen sicher nicht das beste Beispiel ist.«

So, das hatte gesessen. Pothinos' Wangen überzogen sich mit flammender Röte. Trotzdem blieb er beharrlich. »Das Volk wird sich fragen, ob es von Alexandria oder von Rom aus regiert wird.«

»Es ist nicht unsere Sache, was Menschen sich fragen, sondern nur das, was sie tun, Bruder. Findet die Männer, die die Gesandten getötet haben, und schafft sie hierher.«

Pothinos wagte einen verstohlenen Blick auf Ptolemaios. Der Junge starrte verdrossen auf den Fußboden. Es wird nicht mehr lange dauern, dachte Kleopatra. Eines Tages wird er sich gegen mich auflehnen, und zwar schon bald. Aber noch nicht heute.

Sie schaute wieder zu Pothinos. »Tut, wie Euch befohlen«, sagte sie.

4

Ägypten nannte sich das Schwarze Land, nach dem breiten Landstreifen fruchtbaren schwarzen Erdbodens, den der Nil bei den alljährlichen Überschwemmungen zurückließ, die ihre Endstufe dann erreichten, wenn Sirius am höchsten stand.

Dieser Boden war es, von dem die Menschen der chora abhingen, weil sie dort ihr Getreide anbauten.

Entlang des Flusses zogen sich kuppelförmige Lehmbauten, die man Nilometer nannte, mit unterirdischen Kammern, die speziell dazu eingerichtet waren, den Wasserstand zu messen. An den Wänden befanden sich Pegel, an denen man die Flußhöhe ablesen konnte. Schwoll der Fluß zu stark an, wurden die Dämme fortgerissen, die Felder überschwemmt, und die Ernte war vernichtet. Erreichte der Fluß die notwendige Höhe nicht, vertrockneten die Felder, dem Boden fehlte die Kraft für die nächste Saat, und eine Hungersnot war die Folge. Der Tod, so sagte man, ließ sich an den Wänden der Nilometer in Ellen ablesen.

Und nun war der Nil seit zwei Jahren unter dem Stand geblieben, den man als Todesgrenze bezeichnete. In der chora starben zuerst die Kinder, danach die Kranken. In Alexandria kam es zu Aufständen. Tausende von fellahin verließen die Dörfer. Das geeignete Klima für Verrat.

Mardian tauchte mitten in der Nacht auf. Vom Laufen über die Palastgänge war er außer Atem geraten. Das lange Gewand wehte ihm um die Knöchel.

Kleopatra hatte sich noch nicht zur Ruhe begeben. Sie saß an ihrem Arbeitstisch, jenem Stück von all ihren Schätzen, das ihr am liebsten war. Die Platte war aus einer massiven Tafel Lapislazuli gefertigt, die an den vier Ecken auf mit Gold- und Korallenintarsien verzierten Basaltsphingen ruhte. Man sagte, der Tisch habe einst Alexander dem Großen gehört.

Kleopatra war mit Wachstafel und Stylus beschäftigt, eine Reihe Schriftrollen lag ausgebreitet vor ihr. Die frische Meerbrise, getränkt vom Duft des Jasmins, der in den Gärten blühte, bauschte die Vorhänge ihres Gemachs und ließ die Ölleuchten auf dem Messingständer flackern.

Wieder und wieder hatte sie die Zahlen überprüft, die ihr die strategioi geliefert hatten. Demnach waren die Getreidevorräte in den Silos am Hafen bedenklich zusammengeschrumpft, obwohl sie in der Regel ausreichten, um nicht nur Ägypten, sondern den halben Mittelmeerraum zu versorgen. In diesem Jahr würden jedoch Tausende ihres Volkes den Tod finden, da konnte sie so oft und so lange auf die Zahlen in den Hauptbüchern starren, wie sie wollte.

Mardian wartete nicht auf die Erlaubnis zu reden. »Majestät«, keuchte er, »Ihr seid in Gefahr!«

Kleopatra legte den Stylus nieder. Ein Blick auf sein Gesicht, und sie wußte Bescheid. Es war also eingetreten. Sie hörte die Stimme ihres Vaters, vernahm wieder das Zischen der Schlangen in der Kerkerzelle von vordem. Jeder Palast birgt Schlangen, doppelt so giftig wie diese.

»Pothinos?«

Er nickte. »Achillas konnte überredet werden, ihn zu unterstützen.«

Sie sprang auf und lief zum Türbogen. Die beiden makedonischen Posten, die Nacht für Nacht vor ihrem Gemach Wache standen, waren verschwunden. Die leeren Gänge starrten ihr höhnisch entgegen.

»Ihr habt keine Freunde mehr in Alexandria, Majestät. Außer mir und Eurem Leibarzt, Olympos. Und ich fürchte, keiner von uns beiden weiß mit einem Schwert umzugehen.«

Sie und Mardian hatten sich schon seit Monaten auf diesen Augenblick vorbereitet, seit dem Tag, an dem Kleopatra die beiden Römer in Ketten nach Syrien geschickt hatte. Wie stolz und anmaßend sie gewesen war, als sie dachte, sie könne Pothinos und seine Gefährten übertrumpfen. Wie töricht!

Abermals hörte sie die Stimme ihres Vaters: Ich habe dich gewarnt.

Mardian hatte Geld und Schmuck den Nil hinauf nach Theben und Philae im Oberen Ägypten geschmuggelt. Die Priester waren ihm behilflich gewesen. Noch hatte sie nicht ganz Ägypten gegen sich. Der Besuch in Hermonthis und die Weihe des heiligen Stiers waren nicht umsonst gewesen.

Kleopatra hielt sich vor Augen, daß es nicht das erste Mal war, daß ein Mitglied des Hauses Ptolemaios um den Thron kämpfen mußte. Auch ihr Vater hatte Jahre im Exil zugebracht. Erst Pompejus hatte ihm zu seinem Recht zurückverholfen. Der Gedanke vermochte sie dennoch nicht zu trösten.

Sie bezwang den Drang, sich auf den Diwan zu werfen und zu weinen. So führen sich Kinder auf, ermahnte sie sich. Und doch - nun war sie wieder an dem Punkt, an dem sie sich befunden hatte, als ihr Vater starb. Achtzehn Jahre alt und ohne Freunde. Die Nacht fühlte sich plötzlich so kalt an wie ein Grab. Am liebsten hätte sie sich in die hinterste Ecke verkrochen und den Kopf in den Armen geborgen.

»Wir müssen sofort los, noch heute nacht«, stieß Mardian hervor, die Stimme fistelnd vor Aufregung. »Eure Henker sind bereits unterwegs.«

Ich bin doch nur ein Mädchen, dachte sie. Wie hochmütig, wie dumm, daß ich annahm, ich könne diese Männer aus eigener Kraft besiegen.

»Majestät?«

Sie riß sich von ihren Gedanken los und fahndete tief in ihrem Inneren nach dem Mut und der Entschlossenheit, die sie jetzt brauchte. Wie eine Spielerin, die ihr Geld verloren hat und nun in der Börse kramt, um auf die eine Goldmünze zu stoßen, mit der sie abermals setzen kann.

»Das Boot ist zum Ablegen bereit«, sagte Mardian.

Sie wußte nicht, ob sie ihrer Stimme trauen konnte, deshalb nickte sie nur wortlos und hastete an ihm vorbei. Die Kehle war ihr so eng, daß sie kaum atmen konnte, und um ihre Brust hatte sich ein eisernes Band gelegt. Die Zukunft lag so dunkel und bedrohlich vor ihr wie das Meer am Fuße der Palaststufen. Doch jetzt war keine Zeit, darüber nachzugrübeln. Du mußt dich retten. Einen Schritt schneller sein als die Schlangen mit ihrem Gift.

Eine kleine Barke lag auf dem Wasser. Charmion und Iras kletterten hinter ihr hinein. Mardian hatte Sklaven herbeigerufen, die den Schmuck und die Truhen mit ihren Gewändern an Bord hievten.

Geräuschlos glitten sie unter dem Heptastadion her in den Hafen der Glücklichen Wiederkehr und durch den Kanal unter dem schlafenden Rhakotisviertel in den See Mareotis. Dort stiegen sie um in eine Dhau, die sie den Nil hoch nach Theben und in Sicherheit bringen würde.

Bei ihrem letzten Besuch der chora war sie als Göttin gekommen, in der königlichen Barke, im Schatten seidener Baldachine, umwedelt von Pfauenfedern. Nun kehrte sie als verängstigtes Mädchen zurück, mit dem Gestank des Brackwassers in der Nase, das Gesicht verschleiert und unter Deck kauernd wie eine Übeltäterin.

5

DER MONAT SEPTEMBRIS NACH DEM RÖMISCHEN KALENDER IM JAHRE 48 VOR CHRISTI GEBURT

Caesar beobachtete, wie die Galeere längsseits des Flaggschiffes anlegte. Ein Fettsack wurde an Deck gehievt, bemalt und parfümiert wie eine damaszenische Hure, unterwürfig wie ein Sklave, der Gnade erfleht. Hinter ihm ragten zwei nubische Sklaven auf, halbnackt, die schwarze Haut schweißglänzend.

Der Name des Gesandten lautete Theodotos. Der schwarze Strandstreifen sah aus, als hätte man ihn mit zittrigen Händen gemalt. Um ihn herum das Klatschen der Wellen, die sich an der Schiffswand brachen, die heftige Brise, die den Fackelschein zucken ließ. Nervöse Soldaten, die sich am Deck versammelten, wachsam, Verrat witternd, die Gesichter im Schatten der Helme.

»Ich grüße Euch, edler Julius Caesar«, verkündete der Bote mit hoher schriller Stimme. »Im Namen des Regentschaftsrates heißen wir Euch willkommen in Ägypten, als Gast des großen Ptolemaios XIII., König von Ägypten, Herrscher der zwei Länder.«

Caesar ließ die Hand auf dem Heft seines Schwerts ruhen und schwieg. Seine Blicke wanderten zu dem Weidenkorb, den einer der Nubier in den Armen hielt.

»Wir überbringen Euch ein Geschenk, edler Feldherr.« Caesar machte eine knappe Kopfbewegung, in der Zustimmung lag. Einer der Nubier stellte den Korb auf den Boden und entnahm ihm einen in Tuch gewickelten Gegenstand. Die Stoffbahnen waren weiß, mit bräunlichen Flecken.

Sein Gefährte rollte einen kleinen Teppich aus. Sie legten den Gegenstand darauf und rollten die Stoffbahnen ab. Unter der ersten befand sich eine zweite, die ebenfalls dunkel verfärbt war. Sie nahmen sie ab und enthüllten einen menschlichen Kopf.

Den Kopf hatte man bereits vor einer Weile von seinem Besitzer getrennt, er war fast unkenntlich geworden. Das Fleisch war schwarz und stank wie ein Faß Tintenfisch in der Sonne. Die Gabe wurde Caesar auf einem Silbertablett überreicht. Theodotos, der sich ein parfümiertes Taschentuch vor die Nase preßte, trat auf ihn zu und hielt ihm einen Siegelring entgegen. Caesar erkannte ihn. Er gehörte Pompejus.

»Du fette Kröte, was hast du getan?« brach es aus ihm heraus.

Theodotos schrak zurück, als habe man ihn geohrfeigt. »Er hat die Friedliebenden beleidigt«, begehrte er auf. »Die Schwester unseres Königs hat sich mit ihm zusammengetan, ihn mit Schiffen und Soldaten versorgt. Wir haben es für Euch getan.«

»Für mich?«

»Tote beißen nicht«, kam es von Theodotos.

So war das also. Sie hatten geglaubt, sie würden ihm eine Freude bereiten. Dieser elende Hund vor ihm warf ihm affektierte Blicke zu und erwartete eine Belobigung dafür, daß sie einen Römer hingemetzelt hatten. Caesar stürzte vor und packte ihn bei der Kehle. Allein dem Einschreiten seiner

Hauptleute war es zu verdanken, daß er ihn nicht auf der Stelle erwürgte.

6

Berg Kasios, im Osten von Pelusium

Ein heißer Wind strich durch die Wüste. Zwei Monate hatten sie bei den Brunnen gewartet, die Armee verteilt in schäbigen Zelten unter Palmen. Falls man sie überhaupt als Armee bezeichnen konnte. Eine Kerntruppe, bestehend aus begeisterten, aber schlecht ausgebildeten ägyptischen fellahin, die sie in Mittel- und Oberägypten zusammengetrommelt hatte, und bei Askalon angeworbene nabatäische Söldner.

Achillas hatte sich inzwischen in seiner Festung bei Pelusium verschanzt und blockierte den Zugang zur Hauptstadt. Mit seinem zerlumpten Heer aus Taschendieben und Bordellwächtern, aufgestockt durch Legionärsveteranen, eben jenen Galliern und Germanen, die sich geweigert hatten, nach Syrien zu ziehen.

Eine Pattsituation. Kleopatra zog nicht weiter, die anderen rückten nicht vor. Alles, was sie für Ägypten befürchtet hatte, war in dem Jahr eingetreten, das seit ihrer Flucht aus Alexandria vergangen war. Der römische Feldherr, Julius Caesar, wohnte in ihrem Palast an den Lochias-Hängen. Trotz aller Widrigkeiten hatte er Magnus Pompejus bei Pharsalos in Griechenland geschlagen und war ihm bis nach Ägypten gefolgt. Der Regentschaftsrat hatte geglaubt, er könne ihn versöhnlich stimmen, indem er ihm Pompejus' Kopf darbot.

Wie es schien, war dieser Geniestreich auf das vortrefflichste mißlungen.

Ein schändlicher Vorfall, nach ihrer unmaßgeblichen Meinung jedenfalls. Ihr Vater hatte Pompejus den Thron verdankt. Doch sollte der Römer deshalb Treue oder Dankbarkeit von den Erben erwartet haben, hatte er sich geirrt. Pothinos hatte es für klüger befunden, ihm eine Falle zu stellen. Noch während Pompejus an Land watete, hatte Achillas ihn erstochen und ihm den Kopf abgeschlagen. Den Leichnam hatten sie am Strand liegen und verrotten lassen.

Caesar hatte seine Dankbarkeit für diese Perfidie dadurch bewiesen, daß er sich im königlichen Palast eingenistet hatte und Pothinos und Ptolemaios mehr oder weniger als Geiseln hielt. Statt als Gesandter verhielt er sich wie ein siegreicher Eroberer. Theodotos hatte er verbannt. Inzwischen beanspruchte er sogar die Rolle des Schiedsrichters im Kampf zwischen ihr und den verbliebenen Mitgliedern des Regentschaftsrats.

Der Pöbel hatte sich so verhalten, wie man es von ihm erwarten mußte. In den Straßen hatte es Krawalle gegeben, und einige von Caesars Soldaten waren umgebracht worden. Wenn man so wollte, war Caesar nun selbst der Belagerte - auf der einen Seite rückte ihm das Volk auf den Leib, und auf der anderen standen die Truppen Achillas'.

Seit Monaten verharrte man nun schon so, und manchmal hatte Kleopatra das Gefühl, daß sie hier in dieser endlosen Leere sterben würde. Und dann tauchten Caesars Freigelassene am Horizont auf.

»Mein Name ist Rufus Cornelius. Ich überbringe eine Botschaft des Imperators, Julius Caesar.«

Caesar. Ihr Herz begann zu hämmern.

Rufus Cornelius hatte den römischen Helm mit dem schmucken Federbusch abgesetzt und unter den Arm geklemmt. Er machte mit dem feuerroten Umhang und dem emaillierten Brustharnisch einen prächtigen Eindruck, strahlte die Selbstsicherheit aus, die alle Römer besaßen. Nicht die freche Arroganz, wie sie ihren griechischen Ministern zu eigen war, sondern das tiefe Selbstvertrauen, das der Gewißheit entsprang, Soldat der stärksten Armee der Welt zu sein.

Sie merkte, daß sie sich vor Angst versteifte. Hier bin ich nun, die verstoßene Mädchenkönigin mit ihrer Lumpenarmee. Was muß er von mir denken, dieser Römer? Mein Seidenzelt teile ich mit Schlangen und Eidechsen, der süße Duft des Sandelholzrauchs überdeckt nur schwerlich den Gestank der Kamele, und alles, was man anfaßt, ist sandig.

Ich würde ihn gern beeindrucken, aber leider weiß ich nicht, wie. »Was hat Euer Herr Königin Kleopatra mitzuteilen?« fragte sie.

Rufus Cornelius verneigte sich. »Ihn bekümmert die Situation, die er in Ägypten vorgefunden hat, Euer Majestät. Rom hat freundschaftliche Beziehungen zu Eurem Vater und zu Ägypten unterhalten, und es beunruhigt Caesar zutiefst, das Land im Unfrieden anzutreffen.«

»Dieser Unfriede ist nicht das Ergebnis meines Handelns. Der Regentschaftsrat hat mich widerrechtlich entthront.«

»Wie Ihr wißt, hat Euer Vater in Rom ein Testament hinterlegt, nach dem Ihr und Euer Bruder gemeinschaftlich regieren sollt.«

Wenn ein derartiges Testament existierte, dann hörte Kleopatra jetzt zum ersten Mal davon.

»Der Imperator sieht es mit Unwillen, daß Euer Bruder dem Testament zuwiderhandelt. Er hat es sich zum Anliegen gemacht, den Fall zu entscheiden.«

Schau an, dachte sie. Dieser Caesar will offenbar nicht nur König sein, sondern darüber hinaus auch noch Königsmacher. Der römische Machtanspruch kennt wirklich keine Grenzen. Ganz unangemessen ist diese Haltung freilich nicht, immerhin bin ich eine landlose Königin, und obgleich er nur Magistrat ist, so ist er doch der Magistrat Roms, und seine Truppen beherrschen die Welt.

»Es ist Caesars Wunsch, daß Ihr nach Alexandria kommt, so daß er sich als Vermittler einschalten und eine Lösung des ägyptischen Problems herbeiführen kann.«

»Wenn ich nach Alexandria gehen könnte, bedürfte ich seiner Vermittlung nicht.«

Der Römer besaß doch tatsächlich die Kühnheit, die Miene zu einem Lächeln zu verziehen. »Das Angebot bleibt bestehen.«

»Ich danke ihm. Richtet ihm aus, daß ich darüber nachdenken werde.«

7

Lange nachdem Rufus Cornelius wieder von dannen geritten war, saß Kleopatra auf dem Thron und starrte ins Nichts. Ich habe meine Rolle gut gespielt, glaube ich. Mein ganzes Leben ist ohnehin nichts als Theater. Wenn jemand ahnte, wie schwach und verzagt ich in Wahrheit bin, hätte ich niemanden mehr, der zu mir hielte.

Mardian beobachtete sie, das teigige, bartlose Gesicht ausdruckslos, nur die Augen beredt. Wahrscheinlich fürchtet er sich ebenso wie ich, dachte sie. Wenn ich gewinne, ist seine Zukunft gesichert. Verliere ich, ist er ebenfalls am Ende.

»Was hältst du von dem Ganzen, Mardian?« fragte sie endlich.

»Trau einem Römer, und du verdienst das Unheil, das darauf folgt. Diese Teufel würden sich zur eigenen Großmutter legen, wenn es ihnen von Nutzen wäre.«

»Gewiß, aber welche Wahl bleibt mir?«

»Keine. Es ist unmöglich, nach Alexandria zu gelangen.«

»Das wird er wissen. Vielleicht will er mich auf die Probe stellen.«

»Eine waghalsige Probe.«

»Aber hier ist erst recht nichts zu gewinnen. Pelusium können wir nicht stürmen. Achillas ist es zufrieden, uns hier schmoren zu lassen, bis mir das Geld ausgeht oder die arabischen Söldner die Waffen strecken und wieder nach Hause ziehen.«

»Selbst wenn es eine Möglichkeit gäbe, die Stadt zu erreichen, würdet Ihr lediglich Caesars Gefangene sein.«

Kleopatra schloß die Augen. Ich kann nicht mehr Tag für Tag in der Wüste herumsitzen. Lieber sterbe ich. Schon nach diesem einen Jahr komme ich mir vor wie eine vertrocknete, alte Frau. Ich muß etwas unternehmen. Wenn sie diesen Caesar doch nur kennen würde, wenn sie doch nur wüßte, was für ein Mensch er ist. »Was weißt du über ihn, Mardian?«

Der Eunuch blies beide Backen auf. Das hieß soviel wie, daß er nichts von dem Mann hielt, in dessen Hand ihr Schicksal lag.

»Caesar ist ein großer Soldat. Er hat Pompejus aus Pharsalos vertrieben, und der widerliche Kerl war immerhin der beste Krieger, den die Römer hatten. Außerdem ist er als Lüstling verschrien. Man sagt ihm nach, daß er die Frauen seiner besten Freunde verführt und daß es in Rom keine Scheidung gibt, ohne daß sein Name fällt.«

Kleopatra spürte, wie ihr die Angst die Kehle zuschnürte. »Sieht er gut aus?« brachte sie heraus.

Mardian zögerte, die Frage weckte seinen Argwohn. »Nicht besonders. Meine Spione haben mir verraten, daß er etwas von einem Stutzer an sich hat, bedauerlicherweise jedoch kahl wird, eine Tatsache, auf die er übrigens sehr empfindlich reagiert.«

Kleopatra spürte das Kribbeln im Magen, eine Folge der Furcht. Selbst als Anwärterin auf den ägyptischen Thron hatte sie nichts in der Hand, um gegen solch einen Menschen bestehen zu können. Sie war keine Kriegerin, und zu allem Überfluß war sie auch noch Jungfrau. Die Vorstellung, ihm gegenüberzutreten, war einschüchternd, um es gelinde auszudrücken.

Mardian ließ sie nicht aus den Augen. Seine Gedanken standen ihm auf der Stirn geschrieben. Er war ganz ihrer Meinung.

»Wir müssen einen Weg finden, um Eindruck auf ihn zu machen«, sagte sie.

»Es wird kaum etwas geben, das Caesar beeindruckt.«

»Oh, etwas gibt es immer.« Mich zum Beispiel.

Eine tollkühne Idee. Um sie durchführen zu können, mußte sie sich allerdings erst einmal Zutritt zur Stadt verschaffen. Sie würde sich hineinschleichen müssen, denn nicht einmal Caesars Truppen konnten ihr sicheres Geleit durch das Kriegsgebiet garantieren. Sogar Rufus Cornelius mit seiner Eskorte würde Schwierigkeiten haben, wieder nach Alexandria zu kommen.

Aber es mußte sein. In diesem stinkenden Zelt würde sie es keinen Tag länger aushalten.

»Begünstigt er Ptolemaios, Mardian?«

»Als Römer begünstigt er den, der seinen eigenen Zwecken am dienlichsten ist.«

»Nun, warum sollte ihm dann etwas an meinem kleinen Bruder liegen, dessen Ratgeber und General ihn bekriegen und ihn aus Alexandria vertreiben wollen?«

»Würdet Ihr die Römer auffordern, in Alexandria zu bleiben, wenn Ihr an Stelle Eures Bruders wäret? Das ist so, als würde man ein Krokodil zu sich einladen, unter der Bedingung, daß es nur das Getreide frißt.«

»Im Augenblick, lieber Mardian, bin ich eine Königin, die gar nichts hat. Ich kann das Geschick meines Landes - und auch das meine - nicht bestimmen, wenn mir die Macht dazu fehlt. Ich muß wieder Königin von Ägypten sein.«

Mardian blieb stumm. Draußen vor dem Zelt hörte man die Kamele schnauben, und der heiße Wüstenwind blähte die Seidenwände des Zeltes auf. »Ihr habt recht«, sagte er schließlich. »Es ist jedoch ein gefährliches Spiel. Ich ängstige mich um Euch.«

»Die Einladung ist nur eine Herausforderung.«

»Oder eine Falle«, entgegnete Mardian. »Solltet Ihr tatsächlich einen Weg in die Stadt finden, kann er nach Belieben mit Euch verfahren.«

»Was habe ich schon zu verlieren?«

»Euer Leben - Majestät.«

»Mein Leben! Das Leben einer Verstoßenen, die in der Wildnis haust.«

Mardian zog die Augenbrauen in die Höhe.

»Bist du anderer Meinung?« fragte sie.

»Die Römer sind durch und durch verderbt. Ich würde mein Gesäß lieber in ein kochendes Pechfaß tauchen, als einem von ihnen zu trauen.«

»Ich werde diesem Julius Caesar nicht trauen. Ich vertraue nur meinem Verstand. Und deinem.« Tapfere Worte, dachte sie, ich wollte, ich könnte sie glauben. Was hat mein Verstand mir denn bisher gebracht? Ich habe nur eine gewisse Sache zu bieten, die Caesar vielleicht interessiert. Etwas, von dem sie guten Gewissens behaupten konnte, daß es noch kein Mann besessen hatte. Ob dies jedoch von jemandem mit seiner Erfahrung geschätzt werden würde, vermochte sie nicht zu sagen.

»Um in die Stadt zu gelangen«, hob Mardian erneut an, »muß Eure Verkleidung vollkommen sein. Vergeßt nicht, daß Ihr dort Prinzessin und Königin wart und daß Euch jeder im Palast kennt wie die eigene Mutter. Wir müssen sehr schlau und mit größter Sorgfalt vorgehen.«

»Vielleicht finde ich ein Versteck. In einer Feigenkiepe zum Beispiel.«

»Damit schafft Ihr es höchstens bis in die Küche, Majestät.« Er schien in die Betrachtung des Teppichs vertieft zu sein.

Wie denn sonst, überlegte sie. Doch Mardian hatte natürlich recht. Selbst wenn sie sich allein und verkleidet Einlaß verschaffen könnte, käme sie bestenfalls durch die Tore und in die Stadt, aber noch lange nicht in den Palast oder gar in Caesars Nähe.

Mardian erwähnte die Abwasserkanäle, und Kleopatra stellte sich vor, wie sie dreckig und stinkend vor dem größten und mächtigsten Römer der Welt stehen und ihn bitten würde, sie zur Königin von Ägypten zu machen.

Und was, wenn sie tatsächlich zu ihm gelangte? Sie wäre mutterseelenallein, ohne Armee, nur seiner Gnade ausgeliefert. Was, wenn er sie lediglich benutzen wollte, um Pothinos zu einem Handel zu zwingen? Du gibst mir meine neun Talente Gold, und ich gebe dir Kleopatra.

Was stünde denn in ihrer Macht, um sich zu retten, wenn sie erst einmal in der Stadt war?

Nun, das war ihr Risiko. »Es muß einen Weg geben, um in den Palast zu kommen«, sagte sie.

»Vor jedem Tor wimmelt es von Soldaten. Pothinos hat Unterwassersperren im Hafen versenkt. Ich glaube, sie dienen ebenso dazu, Caesar in der Stadt wie Euch außen vor zu halten.«

»Ich sehe an deinem Blick, daß du dennoch eine Idee hast.«

Mardian seufzte. »Ihr werdet Euch nicht davon abbringen lassen, nicht wahr?«

»Hast du je erlebt, daß ich meine Meinung ändere?«

»Wenn Ihr Euer Leben schon auf diese waghalsige Weise riskieren wollt, ist es meine Pflicht, Euch als Euer Freund und Ratgeber dabei zu unterstützen.« Er preßte die Lippen aufeinander, und die kleinen Augen funkelten sie vorwurfsvoll an. Es verdroß ihn nicht so sehr, daß sie womöglich bei dem Unternehmen zu Tode kam, sondern daß sie seinen Rat mißachtete. »Ich kenne jemanden, der Euch in den Palast schmuggeln kann. Ein Spion, der sich frei bewegt.«

»Ich habe mich schon gewundert, woher du soviel über Caesar weißt.«

»Er ist Sizilianer, Kaufmann. Es war sein Schiff, das uns in der Nacht, in der Ihr geflohen seid, nach Theben gebracht hat.«

»Ist er zuverlässig?«

»Ich würde ihm mein Leben anvertrauen.«

»Es geht aber nicht um deines, sondern um meines.«

»Er wird Euch nicht enttäuschen, Majestät. Es handelt sich um meinen Schwager. Sein Name ist Apollodoros.«

8

»Apollodoros«, sagte sie.

»Majestät... «

Er verneigte sich, doch seine Miene wirkte dabei fast aufsässig, eine Arroganz, die sie schon zuvor bei Männern bemerkt hatte, die ohne feste Heimat waren. Das Gesicht war von Salz und Sonne gegerbt, wie ein Fels, der im Ansturm der Wetter mehr raue Kanten als weiche Konturen erhalten hat. Unter den dichten Wimpern blitzten dunkle Augen. Er machte den Eindruck eines Mannes, der eher daran gewöhnt ist, Befehle zu erteilen, als sie entgegenzunehmen.

Apollodoros war nach griechischer Mode gekleidet. Die chlamys wurde von einem großen Smaragd zusammengehalten, die Sandalen waren aus bestem gepunztem Leder. Im linken Ohrläppchen steckte ein goldener Ring, der ihm einen verwegenen Ausdruck verlieh, doch abgesehen davon trug er keinen Schmuck.

»Wie es scheint, stehst du schon eine Weile in meinen Diensten, ohne daß ich davon wußte«, sagte Kleopatra.

»Mardian entlohnt mich gut.«

»Nicht zu gut, will ich hoffen.«

»Ich bin es wert.«

Sie unterdrückte ein Lächeln. Sie empfand seine Überheblichkeit keineswegs als unangenehm. Für das, was sie sich vorgenommen hatte, benötigte sie jemanden, der über mehr als das normale Maß an Selbstvertrauen verfügte.

»Mardian behauptet, daß du dich frei bewegen kannst.«

»Ich besitze etwa zwanzig Schiffe und dazu noch einmal doppelt so viele Barken. Sie legen ohne Hindernis an und ab, das gilt für den Hafen wie den See Mareotis. Wenn ich in die Stadt will, komme ich hinein. Wenn ich sie verlassen will, komme ich hinaus.«

»Deine Schiffe sind nie durchsucht worden?«

»Ich habe zuverlässige Reisepapiere«, erwiderte er, steckte die Hand in den Geldbeutel und holte eine Goldmünze hervor. »Sie wurden vom Gott der Habgier gestempelt und gelten in jeder Stadt der Welt.«

»Ich besitze davon auch eine ganze Menge, könnte jedoch nicht behaupten, daß sie mir viel genutzt haben.«

»Grenzen existieren allein für Könige und Soldaten, Majestät. Nicht aber für Handelsleute.«

»Hat Mardian dir gesagt, was ich von dir will?«

Während sein träger Blick sie musterte, zuckte er nicht einen Moment mit der Wimper. Phantastisch. Wenn jemand den Mut besaß, den Plan durchzuführen, dann war er es. »Hat er.«

»Und - du wirst es tun?«

»Mein Teil ist einfach. Erlaubt Ihr mir, offen zu reden, Majestät?« fragte er. In seiner Bitte lag nicht die leiseste Spur von Unterwürfigkeit.

Sie deutete ein leichtes Nicken an.

»Ich werde mit einer Ladung syrischer Teppiche nach Alexandria segeln, so wie ich es schon Hunderte Male zuvor getan habe. Dazu gehört keine Courage. Ihr seid diejenige, die Mut beweisen muß.«

Sie bewunderte die Kühnheit, mit der er sprach. Aber schließlich war es ja genau das, wofür sie ihn bezahlte. Und er hatte recht. Würde sie den Mut aufbringen, ihren Plan in die Tat umzusetzen?

Falls man in ihrem Fall überhaupt von Mut sprechen konnte. Das Jahr im Exil hatte sie ausgelaugt - selbst die Furcht verlor ihre Macht über die Seele, wenn sie zum ständigen Begleiter wurde.

Wie viele Nächte habe ich wach gelegen und Pothinos in Ketten vor mir gesehen, wie oft die kühle Brise des Königlichen Hafens auf der Haut gespürt, den Salzgeruch des Meeres in der Nase gehabt statt des faulen Atems und des beißenden Gestanks der Kamele. Ich sehne mich nach der Erfüllung meines Schicksals wie die Durstende, die vom Wasser träumt. Ich bin zu müde, zu wütend, um meiner Angst ins Auge zu sehen.

»Mein Mut ist meine Angelegenheit. Du mußt mir lediglich sagen, wie wir vorgehen.«

Apollodoros zuckte mit den breiten Schultern. »Caesar bewohnt den Palast an der Nordspitze der Lochias-Hänge in der Nähe des Isistempels.« Meine früheren Gemächer, dachte sie bitter. »Um dorthin zu gelangen, müssen wir den Königlichen Hafen ansteuern und an den Palaststufen anlegen. Da sich jedoch auch Euer Bruder Ptolemaios und sein Minister Pothinos innerhalb des Palastgebiets aufhalten, ist die Lage unübersichtlich geworden. Auf dem Gelände befinden sich nun makedonische Wachen wie auch römische Legionäre. Das bedeutet, daß Ihr erst sicher seid, wenn Ihr in Caesars Palast gelangt.«

»Es ist mein Palast, Apollodoros, obwohl ich nicht wegen Kleinigkeiten streiten will.«

Eine leichte Verneigung seinerseits, wie in Anerkennung ihrer Worte. »Meine Reisepapiere bringen uns sicher bis zum Palast, doch wenn Euch einer von Ptolemaios' Makedoniern erkennt, verlieren sie ihre Macht.«

»Und was wirst du dann tun?«

Er lächelte. »Das, Majestät, ist das, wofür Ihr mich bezahlt.«

Sie ließ sich von ihren Frauen auf das vortrefflichste für die Begegnung mit Caesar herrichten. Es würde die wichtigste Unterredung ihres Lebens werden, und sie wollte dabei so schön sein wie möglich.

Iras massierte sie mit Mandelöl und rieb ihr Gesicht und Hals mit Balsam ein, um sie gegen den heißen Wüstenwind zu schützen. Charmion flocht ihr das Haar zu dünnen Zöpfen, die sie zu einem hoch angesetzten Knoten band. Danach trug sie Antimon auf Augenbrauen und Lider auf, pinselte Ocker auf Kleopatras Lippen und färbte ihr die Handflächen und Fußsohlen mit Henna. Sie würde nicht vor Caesar auftauchen und aussehen, als wäre sie gerade aus einem unterirdischen Kanal hervorgekrochen.

Während die Sklavinnen sich mit ihr beschäftigten, studierte Kleopatra ihr Bild in einem Bronzespiegel. Was sie erblickte, war ein hochmütiges Mädchengesicht mit dunkel getönter Haut und hohen, aristokratischen Wangenknochen. Ihre Urgroßmutter war eine syrische Prinzessin gewesen, mit persischem Blut in den Adern. Zweifellos verdankte sie dieser die dunkle Hautfarbe und die schwarzen Augen. Sie wußte, daß es Menschen gab, die sie schön fanden, während andere wiederum behaupteten, ihre Züge seien zu scharf und gebieterisch für eine Frau. Sie besaß beileibe nicht die engelzarte Schönheit ihrer Schwester. Aber sie hatte Geist und Charme im Überfluß, außerdem den festen, kleinen Körper asiatischer Prinzessinnen und nicht zuletzt einen ausgeprägten Hang zum Theatralischen. Es mußte einfach genügen.

»Charmion, hast du schon einmal bei einem Mann gelegen?«

Charmion schaute sie erschrocken an. Sie war schließlich nur eine Sklavin.

»Nein, Majestät.«

»Sag die Wahrheit. Ich stelle dir keine Falle.«

»Es ist nicht so, als hätte ich nicht den Wunsch«, gestand Charmion, wobei sie dem forschenden Blick im Spiegel auswich. »Es bietet sich jedoch nur selten Gelegenheit, und außerdem fehlt mir der Mut.«

Kleopatra spürte, wie sich Enttäuschung in ihr breitmachte. Es wäre ja wohl zwecklos, Mardian dazu zu befragen. »Ich möchte mehr über diese Dinge erfahren. Wenn ich in Alexandria wäre, könnte ich mich selbst darum kümmern. Aber hier ist das anders, und ich möchte auf keinen Fall mit den Soldatenhuren der arabischen Söldner reden. Kennst du jemanden, der mir weiterhelfen kann?«

Charmion sah hoch, und ihre Blicke trafen sich im Spiegel. »Es gibt da eine Frau. Sie lebt in Askalon, hat sich dorthin zurückgezogen. Sie war früher sehr bekannt am Hof, unter den Männern jedenfalls. Eine heterai. Damals war sie sehr teuer.«

»Laß sie holen. Zahle ihr, was sie verlangt. Ich breche in zwei Tagen auf und muß sie vorher sehen.«

Charmion eilte fort. Kleopatra schloß die Augen, hörte dem Wind zu, der die Seidenwände ihres Zeltes peitschte, und roch die abgestandene Luft des Wüstenlagers, die durch den Eingang drang und den Duft des arabischen Weihrauchs überlagerte. Sie war froh, daß sie endlich von hier wegkommen würde, froh auch, daß sich die Zukunft bald entschied, zum Guten oder zum Schlechten. Caesar würde dafür Sorge tragen. Doch wenn sie ihm gegenüberstand, wollte sie wenigstens etwas von dem wissen, worin er bereits Meister war.

9

Ihr Name war Rachel und sie war Jüdin. Eine recht unübliche Herkunft für eine Kurtisane oder heterai. Sie wirkte um einiges jünger als die vierzig Jahre, die sie als ihr Alter angab. Tiefschwarzes Haar, feingliedrig, gepflegte dunkle Haut. Sie trug eine Tunika aus feinster dunkelroter Seide, die bei jedem Schritt schimmerte und mit einer schweren Goldspange gehalten wurde. An ihren nackten braunen Armen klimperten goldene Armreifen, und in der Nase steckte ein kleiner Ring, gleichfalls aus Gold. Die Fingernägel waren mit Schildpatt gelackt, und auf dem Haar thronte ein juwelenbesetztes Diadem. Sie war gekleidet wie eine Prinzessin - offenbar hatte sie ihr Gewerbe verstanden.

Die dunklen Augen glitzerten amüsiert und wissend.

Sie ließ den Blick über das Innere des königlichen Pavillons gleiten, die lichten Vorhänge, die mit Gold- und Silberfäden genäht worden waren, die dicken Wollteppiche in Gold und Pfauenblau, die Sitzkissen aus rotem handgepunztem Leder.

Kleopatra ruhte auf einem Diwan und ließ sich von einer taubstummen Sklavin mit einer langen Pfauenfeder Kühlung zufächeln und die Fliegen verjagen. Sie tat ihr Bestes, um so unbefangen wie möglich zu wirken, wenngleich es in ihrem Inneren anders aussah. Der Erfahrungsunterschied zwischen ihr und dieser Frau war zu groß.

Diese Jüdin tritt eher auf wie eine Königin als ich, dachte sie bei sich.

»Man erzählt, du seist über lange Jahre hinweg eine heterai gewesen«, eröffnete Kleopatra das Gespräch.

Rachels dunkle Augen blitzten. »Die beste, die es je gab. Inzwischen habe ich mich jedoch zurückgezogen.«

»Und kannst dir jeden Luxus erlauben, wie ich gehört habe. Hat Charmion dir erläutert, weshalb ich dich holen ließ?«

»Sie hat mir lediglich mitgeteilt, daß meine Dienste erwünscht seien. Außerdem war sie sehr großzügig, sonst wäre ich wohl nicht erschienen.«

Die Frau ließ Kleopatra nicht aus den Augen. Sie war nicht im entferntesten so eingeschüchtert, wie Kleopatra es gern gesehen hätte. Aber warum auch? Das Zelt einer Wüstenkönigin ist schließlich nicht der Palast von Lochias. »Bei wie vielen Männern hast du gelegen?« »Ich habe sie nicht gezählt. Ein Mann ist wie der andere.« »Hunderte?« »Freilich.«

»Charmion hat mir gesagt, daß du in Alexandria einst einen ordentlichen Preis fordern konntest. Daß du einen besonderen Ruf genossen hast.«

Die Frau lächelte nur - ein derart aufreizendes Lächeln, daß es wahrscheinlich sogar Mardian in Wallung versetzt hätte.

»Ich selbst bin auf diese Art noch keinem Mann begegnet.« Kleopatra hielt inne, doch Rachels Gesichtsausdruck ließ sich nicht deuten. »Ich möchte deine Geheimnisse erfahren.«

»Ich kann sie Euch binnen einer Stunde erzählen, Majestät. Aber...« »Aber?«

»Die Umsetzung erfordert mehr als schlichtes Erklären. Wenn Ihr versteht, worauf ich hinaus will.«

»Ich verstehe sehr gut. Aus diesem Grund habe ich Charmion erlaubt, großzügig zu sein. Und ich werde noch großzügiger sein. Ich möchte, daß du es mir vorführst.« Rachel legte den Kopf schräg. »Es Euch vorführen, Majestät?« »Du hast dich doch hoffentlich nicht ganz aus deinem Gewerbe zurückgezogen?«

»Nicht ganz. Ich bin jetzt eine verheiratete Frau und gehe den Pflichten lediglich seltener nach als zuvor.«

»Kann man dich überreden, dein früheres Gewerbe noch einmal für eine Stunde aufzunehmen?«

»Zwei Stunden, Majestät«, verbesserte Rachel sie liebenswürdig. »Und es würde an Eurer Überredungskraft liegen.«

Kleopatra hielt ihr ein Paar Ohrringe hin: sündhaft teure Perlen aus dem Roten Meer.

»Ist der Betreffende so unansehnlich?« erkundigte sich Rachel.

»Ganz und gar nicht. Wenn die Dinge anders lägen, würde ich wünschen, daß er mich unterweist. Aber das ist nicht möglich.«

Rachel griff nach den Ohrringen und barg sie in der Hand. »Ich werde es Euch vorführen, Majestät. Wenn Ihr es denn wirklich so wollt.«

Die Öllampe warf flackernde Schattenbilder an die Seidenwände des Zeltes. Die blinde Sklavin, die in der Ecke kauerte, bewegte die Fransenschabracke, um die Luft zu kühlen, die heiß und klebrig war wie Melasse. Der Luftzug blähte die zarten Vorhänge, die den Raum zum Schutz vor Insekten teilten.

Kleopatra saß hinter einem dieser Vorhänge, verborgen im Schatten, auf einem Sessel mit hoher, gerader Rückenlehne. Das Zeltinnere war so beleuchtet, daß sie ungesehen hineinschauen konnte. Auf ihrem Schoß lagen Stylus und Wachstafel. Sie war entschlossen, die folgende Lektion ebenso sorgfältig zu erfassen, wie sie einst die Rhetorik von Mardian und die Geometrie und Mathematik von den Lehrern des Museion gelernt hatte.

Sie sah, wie sich die Vorhänge des Eingangs teilten. Apollodoros. Es gäbe eine Zulage für ihn, hatte man ihm gesagt. Ein Geschenk der Königin.

Kleopatra spürte, wie sich ihre Bauchmuskeln zusammenzogen, und plötzlich hatte sie Schwierigkeiten zu atmen. Wie seltsam, dachte sie, daß ich so reagiere. Schließlich dient das Ganze nicht meinem Vergnügen, sondern lediglich der Anschauung. Sonst stünde ich doch ganz ohne Waffen vor Caesar, und das ist unmöglich.

Rachel hatte sich in einer Ecke des Zeltes auf einem einfachen Lager ausgestreckt. Sie trug eine knappe Tunika mit Fransenbesatz, unter der ihre langen, muskulösen, ölglänzenden Schenkel sichtbar waren. Auf die Lippen hatte sie einen dunklen bläulichen Puder aufgetragen, der sie voller und schwerer erscheinen ließ, und die Augenwinkel waren mit leuchtendem Zinnoberrot betont. Die Brüste waren von einem durchsichtigen Gazeschleier bedeckt, die Brustwarzen mit Karmin gefärbt - blutrote Schwellungen.

Apollodoros trat zu ihr. Auch er trug lediglich eine kurze weiße Tunika. Rachel erhob sich träge von ihrem Lager. Sie wechselten ein paar gemurmelte Sätze. Kleopatra lächelte still vor sich hin. Der Sizilianer war in erster Linie Kaufmann -wahrscheinlich wollte er sicherstellen, daß er für das Ganze nichts zu zahlen hatte.

Dann nickte er zufrieden und wollte nach Rachel greifen, doch sie entwand sich geschickt seinen Händen. Auf einem Klapptisch aus Zedernholz standen zwei silberne Pokale und eine Karaffe mit Wein. Daneben befand sich eine Sanduhr. Rachel drehte sie um, damit der Sand langsam in das untere Gehäuse rieseln konnte, schenkte Wein in einen der Pokale und trug ihn zu dem Sizilianer. Er blickte ihr mit Begehren entgegen, war sich aber offenbar nicht ganz im klaren, welche Rolle ihm zugedacht war.

Rachel nahm ihn bei der Hand, führte ihn zur Bettstatt, drückte ihn darauf nieder und hielt ihm den Pokal an die Lippen. Dann nahm sie seinen Kopf zwischen die Hände und küßte ihn auf den Mund. Apollodoros versuchte sie zu packen, doch sie entschlüpfte ihm und bedeutete ihm, geduldig zu sein. Dann kniete sie sich zwischen seine Beine und forderte ihn auf, die Kleider abzulegen.

Kleopatra merkte, wie fest ihre Finger den Stylus umklammert hielten. Ihr Mund fühlte sich trocken an, und zwischen den Schulterblättern hatte sich eine schmale Schweißspur gebildet, die ihr langsam die Wirbelsäule hinunterrann.

Apollodoros zog sich die Tunika über den Kopf. Sein Körper glich dem eines Gladiatoren - harte dicke Muskelstränge, Brust und Bauch mit dichtem Haarwuchs bedeckt. Sein Gesicht hatte sich gerötet und wirkte gequält. Kleopatra beugte sich dichter an den seidenen Trennschleier.

Als ob sie wüßte, was ihrer Schülerin durch den Kopf ging, rückte Rachel umsichtig zur Seite, und Kleopatra erkannte den Grund für den Aufruhr des Sizilianers. Die Jüdin hielt sein hochaufgerichtetes Glied zwischen ihren scharlachroten Fingernägeln. Kleopatra blies beide Backen auf, abgestoßen und fasziniert zugleich. Unmöglich, daß so ein kleines Ding so groß werden konnte. Würde es denn tatsächlich in eine derart zarte Frau passen, ohne sie zu zerreißen? Und jetzt? Was tat sie da?

Der königlichen Jungfrau entglitt die Wachstafel, deren Aufschlag glücklicherweise von dem weichen Teppich verschluckt wurde. Daß eine Frau so etwas mit Zunge und Mund tun würde!

Kleopatra war nicht sicher, ob sie selbst sich je dazu überwinden konnte. Apollodoros bäumte sich auf, als würde er gepeitscht. Seine Züge waren verzerrt, er schien geradezu unter Folter zu stehen. Aber er hatte Rachel bei den Haaren gepackt, so daß ihr Kopf nicht von der Stelle konnte.

Jetzt leuchtet mir ein, warum sie mir das nicht einfach erklären konnte. Rachels Hände und Zunge schienen überall gleichzeitig zu sein. Apollodoros stöhnte laut, seine Stimme klang so unheimlich wie die der Priester im Tempel, wenn sie zu ihren Gesängen ansetzten.

Mit einemmal erhob sich Rachel und trat an den kleinen Zederntisch. Sie nahm den Mund voll Wein und schaute in das Dunkel, in dem Kleopatra verborgen saß, geradeso als könne sie sie erkennen. Sie lächelte. Es bereitet der Hexe Freude, dachte Kleopatra. Wie jede große Schauspielerin liebt sie ihr Publikum.

Danach ging Rachel aufreizend langsam zu dem Lager zurück, auf dem Apollodoros ausgebreitet lag wie ein Opfer. Sie beugte sich über ihn und ließ den roten Wein in seinen Mund tröpfeln. Dann richtete sie sich auf und streifte die Tunika ab. Darunter war sie nackt.

Ihr Körper war sorgsam eingeölt und glänzte im Lichtschein, der die sanfte Wölbung ihrer Wirbelsäule und die runden Kurven ihrer Hüften betonte. Die Lippen des Sizilianers glitten über ihren Bauch und über die kleinen Brüste. Er nahm eine der harten roten Brustwarzen zwischen die Zähne, und sie stieß einen Schrei aus wie ein verwundeter Vogel.

Kleopatra hatte Mühe zu schlucken. Ihre Hände hatten zu zittern begonnen. Es war ihr, als entweihe sie einen Tempel, um Zeugin geheimer Handlungen zu sein. Es war ganz anders, als sie es sich vorgestellt hatte, ganz anders als das, was üblicherweise durch Anleitung gelernt werden konnte, wie beispielsweise der Ringkampf oder das Speerwerfen, das die Männer im Gymnasium übten. Sie hatte mit angesehen, wie sich Pferde und das Vieh bestiegen, und sie war davon ausgegangen, daß der Vorgang nur eine Frage der Technik sei. Nun jedoch wurde ihr klar, daß es um mehr ging, daß Unterwerfung und Leidenschaft eine Rolle spielten.

In ihrem Bauch breitete sich Wärme aus, und sie wurde feucht zwischen den Beinen. Sie drückte die Hand auf den Mund und grub die Zähne in das Fleisch ihres Handballens.

Der Sizilianer preßte die heterai jetzt unter sich auf das Bett, Rachels Hüften wölbten sich ihm entgegen. Jedes Aufbäumen wurde von heiserem Geflüster und kleinen Schreien untermalt. Die Gurtbänder des Lagers ächzten, scharlachrote Fingernägel zerkratzten die Haut auf seinem breiten Rücken und über den festen Muskeln seiner Hinterbacken. Die Jüdin warf den Kopf zurück, die Lippen geöffnet. Doch dann wandte sie den Kopf zur Seite und lächelte abermals zu der dunklen Schattenecke hin. Trotz der perfekt gespielten Unterwerfung war sie immer noch Herrin der Lage.

Vollkommene Liebe, vollkommenes Theater.

Kleopatra spürte die Hitze in ihren Leisten, ihre Bauchmuskeln zogen sich schmerzhaft zusammen. Die Stärke der eigenen Begierde bewirkte, daß ihr übel wurde. Lange würde sie nicht mehr zuschauen können.

Rachel saß nun rittlings auf ihrem Liebhaber, seine Hände fuhren gierig über ihren Körper. Doch sie schien seinen Rhythmus zu kennen - ohne Vorwarnung stützte sie sich von ihm ab und hielt sein Glied, während er sich ergoß. Er rang mit offenem Mund nach Luft, die Fäuste zusammengeballt.

Rachel stand auf, um ihm noch einmal Wein einzuschenken. Sie tippte gegen die große Sanduhr neben der Karaffe. Der Sand war erst halb durchgelaufen, die Aufführung noch nicht zu Ende.

Kleopatra wußte jedoch, daß sie genug gesehen hatte. Sie erhob sich und hastete aus dem Pavillon.

10

Ein zarter violetter Schleier der Dämmerung hatte sich über die Küste gesenkt, als sie zu der Galeere ruderten, einem der Handelsschiffe des Sizilianers, das aus Syrien kam. Weiter im Westen erkannte man im dichter werdenden Nebel die große Festung von Pelusium und die Lagerfeuer von Achillas' Truppen.

Sie machten an der Galeere fest, während das kleine Boot auf den grauen Wellenbergen schlingerte. Plötzlich rissen grobe Hände Kleopatra hoch, als sei sie eine Schiffbrüchige und nicht die Königin von Ägypten.

Der Anker wurde gelichtet, und sie fuhren auf das Meer hinaus, um das letzte Stück der Reise hinter sich zu bringen, hinein in das Delta und nach Alexandria. Kleopatra war vor Angst wie gelähmt. Jetzt spielte es keine Rolle mehr, wie oft sie sich gesagt hatte, daß es keinen anderen Ausweg gab. Jetzt, da die Gefahr greifbar war, flüsterte ihr eine leise, doch unüberhörbare Stimme zu, daß ihr Leben, jedes Leben mehr galt als Stolz und Pflicht.

Aber sie würde ihre Schwäche nicht zeigen. Sie verbarg das Grauen unter derselben hochmütigen Maske, die ihr schon in der Vergangenheit gute Dienste geleistet hatte.

Apollodoros stand neben ihr am Bug. Sie schaffte es nicht, ihn anzublicken. Jedesmal, wenn sie daran dachte, was sie in der vergangenen Nacht mit angesehen hatte, wurde sie von einem heftigen Schamgefühl gepackt. Sie hätte jeden anderen Mann für die Unterweisung der jüdischen heterai auswählen können. Daß sie den Sizilianer erkoren hatte, war der unverzeihliche Versuch gewesen, ihr eigenes Verlangen auf dem einzigen Weg zu befriedigen, der ihr zustand. Sie würde nie die Freiheit besitzen, eigenen Sehnsüchten nachgeben zu können.

Das Ganze entbehrte jedoch nicht der Ironie. Sie hatte den Meisterspion enttarnt gesehen, hatte bis tief in sein Innerstes geblickt. Dennoch gab es vieles an ihm, das sie nicht kannte, und trotzdem hatte sie ihm ihr Leben anvertraut.

»Du bist mit der Schwester meines Lehrers verheiratet«, sagte sie und hielt die Augen auf den Küstenstrich gerichtet, der immer rascher in der Dunkelheit verschwamm.

»Seit zehn Jahren, Majestät«, kam die knappe Antwort.

»Wo ist deine Frau?«

»Ich sehe sie nicht oft«, erwiderte er ausweichend. »Die Anforderungen meines Geschäfts lassen es nur selten zu.«

»Sie lebt also nicht in Alexandria?«

»Nein, Majestät.«

Kleopatra fing an, sich über seine wortkarge Art zu ärgern. Glaubte er womöglich, nur weil sie nicht mehr im Lochias-Palast residierte, könne er so mit ihr umspringen? Nun, sie wollte einmal sehen, ob sie ihn nicht doch ein wenig aus der Bahn werfen konnte. »Und wie hat dir deine Hure gefallen?«

Er schwieg für lange Zeit, und Kleopatra dachte bereits, er habe ihre Frage nicht gehört. Schließlich antwortete er: »Ihr seid sehr gnädig. Ich hielt mich bereits für ausreichend entlohnt.«

»Eine kleine Zulage - da du dein Heim so selten siehst«, fügte sie spöttisch hinzu.

»Ich wünschte, es wäre meine Frau gewesen.«

»Selbstverständlich. Doch wenn sich etwas so günstig anbietet... «

»Ich liebe meine Frau. Bei meinem Leben.«

In der einfallenden Dunkelheit konnte sie sein Gesicht nicht ausmachen, doch seine Antwort verwunderte sie nicht. Männer sind ausnahmslos Lügner, hatte der Vater ihr in einem seiner klaren Momente erklärt. Sie belügen sich sogar selbst. Daß Ehemänner sich andere Frauen nahmen, schockierte Kleopatra nicht, das war einfach ihre Art. Selbst für Männer edlen Geblüts war die Ehe oft nichts weiter als eine Vereinbarung, ein Bündnis zwischen zwei Familien. Es erbitterte sie jedoch, daß der Sizilianer von der Liebe zu seiner Frau sprach, während ihm noch der Geruch einer anderen am Körper haftete.

»Natürlich liebst du sie. Zumindest wenn du bei ihr bist.«

»Wagt es nicht, über mich zu richten!« zischte er. »Ihr mögt eine Königin sein, aber Ihr seid noch ein Mädchen und wißt bei weitem nicht alles, was es über das Leben zu wissen gibt!«

Er wandte sich von ihr ab und begab sich zum Heck des Schiffes. Kleopatra verkroch sich in ihrem Mantel, um sich gegen den scharfen Nachtwind zu schützen. Wenn ich Caesar für mich einnehmen kann, lasse ich dich auspeitschen, Mardian hin oder her, dachte sie, während ihr das Herz wütend gegen die Rippen hämmerte. Ich lasse mich nicht wie eine Dienstmagd abkanzeln! Auch wenn ich verlassen und verraten bin und mich wie eine Diebin in den eigenen Palast schleichen muß, so bin ich dennoch Königin von Ägypten, die fleischgewordene Große Mutter, und das wird so bleiben, bis zum Tage meines Todes!

Kleopatra erfuhr zum ersten Mal in ihrem Leben, wie es ist, Opfer der Seekrankheit zu sein. Den folgenden Tag verbrachte sie über das Heck gebeugt, um Neptun die Ehre zu erweisen, wie Apollodoros es ausdrückte. Auf diesem Weg lernte sie, daß auch der stolzeste Wille am Schaukeln eines kleinen Schiffes zerbrechen kann. Als sie schließlich keine Galle mehr im Leib hatte, die sie über Bord spucken konnte, kauerte die Königin von Ägypten so elend im Speigatt wie die kümmerlichste Bettlerin aus Rhakotis.

Sie hatte ihre Stadt noch nie so gesehen, wie viele der anderen Alexandriner sie kannten, nämlich vom Horizont aus, vom Meer kommend. Der Leuchtturm schwang sich riesengroß aus dem schwarzen Meer, die mächtige Statue des Zeus erhob sich über dem lodernden Signalfeuer, die Wellen brachen sich wie Phosphor unter den Sockelkolonnaden.

Apollodoros hatte Kleopatra in ihrem Refugium aufgerüttelt, damit sie sich den Anblick nicht entgehen ließe. Geschwächt stand sie an der Reling, die sie so fest umklammerte, daß ihr die Knöchel weiß hervortraten.

Alexandria, ihre Stadt, die weißen Palastgebäude und Tempel stachen gespenstisch in den sternenübersäten Nachthimmel. Ein eindrucksvolles Bild, aber sie fühlte sich so matt, daß es ihr ebenso recht gewesen wäre, wenn sich das Reich der Toten vor ihr ausgebreitet hätte.

Von der Küste drang der Gestank der Werftgebäude zu ihnen, ein Gemisch von Gewürzen in den Lagerhallen, säuerlichem Tanggeruch der Fischerboote und dem beißenden Aroma der Eßstände. Kleopatras Magen verkrampfte sich. Sie hielt den Blick starr auf das Ufer gerichtet. Sie schämte sich zu sehr, um die Seeleute und Apollodoros anzuschauen, die sie in ihrer schlimmsten Stunde erlebt hatten. Noch immer zitterten ihr die Glieder von der Heftigkeit der Anfälle. Daß sie ihren Körper nicht hatte beherrschen können, jagte ihr einen heillosen Schrecken ein. Sie werden glauben, daß ich mich gefürchtet habe, dachte sie.

Aus dem Brucheionpalast blitzten ihnen Lichter entgegen. Dort war sie geboren worden, und dort hatte sie, bis auf das vergangene Jahr, ihr Leben verbracht. Jetzt erschien er ihr so kalt und bedrohlich wie eine feindliche Festung.

Der Teppich wurde hervorgeholt und auf Deck ausgerollt. Es war einer der schönsten, den Kleopatra je gesehen hatte, ein Geschenk, das eines Kaisers würdig war, nicht eines römischen Magistrats. Gewebt in Kappadokien, aus feinster Wolle, mit dem satten Scharlachrot und Blau aus den Farben von Tyrus. »Ihr müßt Euch auf den Teppich legen«, sagte Apollodoros. Kleopatra holte tief Luft. Nun, dachte sie, immerhin haben nur wenige Menschen auf der Welt das Privileg, bei lebendigem Leib mumifiziert zu werden. Sie spürte die Blicke der Seeleute auf sich. Ob sie wirklich damit durchkommen würde? »Beeilt Euch«, drängte Apollodoros.

Sich innerlich wappnend, legte sie sich auf den Teppich und kreuzte die Arme über der Brust. Noch ehe sie ein Zeichen geben konnte, waren bereits drei der Männer vorgesprungen und rollten sie ein. Erschöpft und schwach, wie sie sich nach der Seekrankheit fühlte, war das Gefühl, um die eigene Achse gedreht zu werden, schier unerträglich. Sie fing an zu schreien, doch alles, was sie hervorbrachte, wurde von dem dicken Teppich gedämpft.

Dann war es vollbracht. Sie war verschnürt, unfähig, auch nur eine Hand zu rühren. Sie stemmte sich gegen die Panikwelle, die sich ihrer bemächtigen wollte.

Es ist, als läge ich lebendig begraben, dachte sie. Der Geruch von Wolle und Staub legte sich ihr auf die Lunge.

Ich ersticke, ging es ihr durch den Kopf. Sie fühlte, wie sie hochgehoben und in das kleine Beiboot gelassen wurde. Wieder spürte sie das Auf und Ab der Wellen und bekämpfte die Übelkeit, die erneut in ihr hochstieg. Wenn du dich hier erbrichst, sagte sie sich, würdest du in der Tat sterben. Das konnte nicht der glorreiche Tod sein, den die Götter für sie vorgesehen hatten.

»Nur Mut, Majestät«, hörte sie die gedämpfte Stimme des Sizilianers. »Ich werde dafür sorgen, daß Ihr vor den großen Römer kommt.«

Sie konnte den eigenen Herzschlag vernehmen. Ich bekomme keine Luft! Sie zwang sich zur Ruhe. Atme langsam ein und aus, sonst wirst du ohnmächtig. Sei mutig, Kleopatra.

Es ist bald vorbei. Noch ehe die Sonne aufgeht, bist du entweder tot - oder du stehst vor Caesar.

Undeutlich drangen die Rufe der Fischer aus dem Hafen an ihr Ohr. Dann andere Stimmen, grimmig, der schwerfällige griechische Akzent nicht zu verkennen. Die makedonische Wache. Das Boot stieß gegen einen der Pylone und schrammte die Kaimauer. Apollodoros brüllte eine muntere Begrüßung. Offenbar kannte man ihn.

»Was bringst du da, Sizilianer?« hörte sie einen der Wachen fragen.

»Einen Teppich. Für den jungen König. Kostet mehr Geld, als du je auf einem Haufen sehen wirst, du fetter Esel. Soll ich ihn dir zeigen?«

Das Palaver ging noch eine Weile hin und her, dann merkte Kleopatra, wie sie aus dem Boot gewuchtet wurde. Die ruckartige Bewegung verdrehte ihr die Wirbelsäule, gleich anschließend wurde sie nach vorn geklappt.

Danach hievte man sie auf die Schultern der beiden Sklaven, die Apollodoros mit an Land gebracht hatte. Wenige Augenblicke später hörte sie, wie ein massives Eisenportal hinter ihr ins Schloß fiel. Sie waren im Palast.

Gedanken, denen sie zuvor keine Beachtung geschenkt hatte, drängten sich nun mit Macht in ihr Bewußtsein. Was ist, wenn Apollodoros mich verrät? Wie hoch ist der Wert meines Kopfes für einen einfachen Kaufmann? Mardian behauptet zwar, daß er zuverlässig ist, doch letztlich hat jeder seinen Preis. Und weiß ich denn überhaupt, ob ich Mardian trauen kann?

Ein neuerlicher Wortwechsel. Sie waren an einem der nächsten Kontrollpunkte angelangt. Nach dem, was sie mitbekam, handelte es sich nun um römische Wachen, doch was sie sagten, konnte sie nicht verstehen. Der Teppich hing von den Schultern der beiden Sklaven herab, ihre Nase wurde in das Gewebe gepreßt. Sie versuchte, den Kopf ein wenig zur Seite zu drehen, um Luft zu bekommen.

Wie aus weiter Ferne hörte sie das Knarren einer schweren Tür, die aufgeschwungen wurde, dann den Klang von Stimmen und Musik. Kleopatra wurde unsanft auf den Boden fallen gelassen und schlug hart mit dem Kopf. auf. Dann wurde ihr schwarz vor Augen, es gab keine Luft mehr zum Atmen.

»Was ist das?« erkundigte sich Caesar.

»Es ist für meinen Herrn Caesar«, antwortete Apollodoros. »Ein Geschenk der Königin von Ägypten.«

Caesar wandte sich an Decimus Brutus, einen seiner Hauptleute. »Etwas zu groß für einen Kopf, meinst du nicht? Vielleicht hat man uns dieses Mal den kompletten Leichnam geschickt. Ich frage mich, wer es sein könnte. Cicero etwa?«

Decimus legte ihm die Hand auf den Arm. »Seid vorsichtig, Imperator. Es könnte ein Meuchelmörder sein.«

»Dann mach du die Rolle auf.«

Decimus zog das Schwert und befahl Apollodoros und seinen Sklaven zurückzutreten. Er rollte den Teppich mit Fußtritten auf dem Marmorboden aus.

»Caesar!« rief er aus. »Er enthält in der Tat einen Körper.«

Caesars spöttischer Gesichtsausdruck verschwand. Mit einem Blick bedeutete er seiner Leibwache, die Schwerter zu ziehen. Drei von ihnen bauten sich hinter Apollodoros und seinen Sklaven auf.

Die Stille lastete bleiern im Raum. Dann versetzte Decimus Brutus dem Teppich einen letzten Tritt.

»Beim Barte Jupiters«, stieß Caesar hervor.

Kleopatra lag leblos vor ihnen, die Arme zu beiden Seiten herabgesunken. Apollodoros wollte einen Schritt auf sie zumachen, doch Decimus hielt ihn zurück. »Vielleicht verstellt sie sich.«

Apollodoros wirkte jedoch aufrichtig besorgt. »Ich fürchte, sie ist erstickt.«

»Wer ist das?« wollte Decimus wissen.

»Sie ist es, du Narr«, knurrte Caesar. Mit wenigen Schritten war er bei ihr und hatte sich heruntergebeugt. Sie sah so winzig aus wie ein verletztes Vögelchen. Er hob sie hoch, als sei sie eine Feder, und trug sie zu einem Diwan.

Kleopatra brauchte einige Minuten, um wieder zu wissen, wo sie war. Als sie die Augen aufschlug, sah sie zwei muskulöse Beine vor sich, die in schweren Ledergamaschen steckten. Sie hörte, wie eine Männerstimme in lateinischer Sprache sagte: »Sieht ganz süß aus, die Kleine.«

»Was meinst du, Decimus, ist sie wohl freiwillig gekommen, oder hat man sie als Appetithäppchen vorgeschickt? Du kennst diese ägyptischen Halunken. Sie würden die eigene Großmutter verkaufen.«

»Aber zuvor besteigen sie sie noch von hinten«, sagte der andere grinsend, woraufhin beide in schallendes Gelächter ausbrachen.

»Ich bin wach, meine Herren«, murmelte Kleopatra ebenfalls in lateinischer Sprache. »Und ich erlaube Ihnen nicht, so über meine Familie zu reden.«

Kleopatra hatte nicht vorgehabt, sich so rasch schon zu erkennen zu geben. Doch der, den man Decimus nannte, hatte ihre Worte vernommen und hörte auf zu lachen. Da hielt auch der andere - das mußte Caesar sein - im Lachen inne. Er wirkte allerdings immer noch erheitert. Keine Spur von Schuld oder Verlegenheit. »Habt Ihr verstanden, was wir gesagt haben?«

»Ich bin in Latein ein wenig aus der Übung... aber ich weiß, daß Ihr mit einem Satz nicht nur mein Land, sondern auch meine Großmutter beleidigt habt, und das war immerhin eine syrische Prinzessin, verwandt mit dem König von Parthien.«

»Das war ein schlechter Auftakt«, gab er zu. »Können wir noch einmal von vorn beginnen?«

»Dann aber in Griechisch«, erwiderte sie. »Das ist leichter für mich.« Sie wollte sich aufsetzen, doch um sie herum drehte sich immer noch alles. Seltsam, wo doch ihr Verstand so klar war wie ein Kristallsee.

»Selbstverständlich.« Er klatschte in die Hände, um die Diener herbeizurufen. »Bringt Wein, um sie zu beleben!«

Aus ihrer Perspektive sah er aus wie ein Riese. Sie versuchte abermals, sich aufzusetzen, aber die Muskeln gehorchten ihr nicht, und ihr wurde erneut schwindelig. Doch der Wein half. Caesar hielt ihr den Becher an die Lippen, als sei sie ein kleines Kind. Dann streckte er die Hand aus. Sie nahm sie. Ein Griff wie aus Eisen, er half ihr hoch, hielt ihre Hand länger als nötig. Große, kräftige Hände, ein schwerer goldener Siegelring am Mittelfinger der Rechten, die Adern wie dicke Seile unter der Haut, die mit feinen goldenen Härchen bedeckt war. Die Handflächen waren rauh und schwielig von Schwertknauf und Pferdegeschirr.

Jeder starrte sie an. Apollodoros, der Mann, den man Decimus Brutus nannte, die Sklaven und Diener, selbst Caesars Leibwache stand mit offenem Mund da, wie Bauern im Theater. Caesar schien sich der anderen mit einemmal bewußt zu werden.

»Raus!« rief er und scheuchte sie zur Tür. »Allesamt. Raus mit euch!«

Das war also Julius Caesar, von dem sie schon soviel gehört hatte. Der große Feldherr, der Pompejus besiegt hatte. Sie hatte etwas anderes erwartet, einen zweiten Alexander vielleicht. Sein Äußeres war enttäuschend. Für einen Römer war er zwar hochgewachsen, und vielleicht war er auch einmal ein gutaussehender Mann gewesen, doch mittlerweile hatte er die Fünfzig überschritten und war fast kahl. Um seinen Kopf zog sich nur noch ein kurzer blonder Haarkranz, der langsam ergraute. Und wie Mardian bereits erwähnt hatte, schien ihn die fehlende Haarpracht zu stören, denn er trug einen Lorbeerkranz auf dem Haupt, um den Makel zu kaschieren. Das Gesicht war gebräunt und mit tiefen Furchen durchzogen, abgenutzt wie eine lederne Satteltasche, die etliche Reisen hinter sich hat. Aber es ist die Macht, die einem Mann seine Anziehungskraft verleiht, sagte Mardian immer, und nicht die körperliche Schönheit. Das Gesicht war sorgfältig rasiert, sehr viel gepflegter, als man es von einem Krieger hätte erwarten können.

Was Caesar jedoch fraglos besaß, war ein großes Maß an Autorität, so groß, daß es sie verunsicherte. Er hatte durchdringende dunkle Augen, die sie abwägend musterten, so als wolle er ihren Wert für den Basar bestimmen. Als ob sie, wenn man so wollte, tatsächlich ein Teppich wäre.

»Also habt Ihr Euch doch entschlossen, mir einen Besuch abzustatten«, sagte er, wieder vollkommen gefaßt.

»Ich bin keine Besucherin. Dieser Palast gehört mir.«

»Nun, das wäre noch zu klären.« Caesar wandte sich um und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Dann grinste er plötzlich. »Ihr seid sehr einfallsreich. Pothinos wird in Ohnmacht sinken, wenn er erfährt, was Ihr getan habt.«

Kleopatra ließ ihren Blick durch den Raum wandern. Er gehörte zu den früheren Gemächern ihres Vaters. Dort stand der Tisch aus geschnitztem Elfenbein, an dem er immer gearbeitet hatte. Die Vase aus Lapislazuli gehörte ihr; sie war ein Geschenk, das ihr der König von Punt gesandt hatte. Und jetzt hatten sich diese Fremden hier breitgemacht, räkelten sich auf den kostbaren Sofas, als gehörten sie ihnen. In diesem Raum hier hatte sie manchmal privat gespeist, bevor Pothinos und seine Bande sie vertrieben hatte. Es war noch nicht einmal ein Jahr her, und doch kam es ihr vor wie ein ganzes Leben.

»Ihr seid also Kleopatra.«

»Und Ihr seid Caesar. Ich habe schon viel über Eure Taten vernommen.«

Er lächelte. Es war kein Lächeln der Bescheidenheit, sondern das eines Mannes, der ungebührlich stolz ist auf seine Errungenschaften. Sie hätte daran Anstoß nehmen sollen, doch statt dessen fand sie es auf seltsame Weise reizvoll.

»Ihr seid sehr schön«, sagte er.

Kleopatra spürte, daß sie rot wurde. Es stimmte offenbar, was man über ihn munkelte, er war ein Lüstling. Sie konnte es in seinen Augen sehen.

Das war nun der Mann, den sie hatte überreden, beeinflussen, womöglich sogar verführen wollen! Was ihr in der ausgedörrten Weite um den Berg Kasios noch so logisch und klar erschienen war, kam ihr nun ausgesprochen absurd vor. Wie ein Stück Treibholz, das glaubte, die Wellen befehlen zu können und zuletzt doch nur den Launen des Meeres gehorcht.

Mardian hatte recht gehabt. Sie war nackt und hatte nichts gegen ihn in der Hand.

Caesars Lächeln verschwand, der Blick seiner Augen wurde hart. »Neunzehn Jahre alt, eine Königin und sehr schön. Sagt mir, warum Ihr Pompejus, meinen Feind, mit Soldaten und Proviant versorgt habt.« Es klang wie ein Verhör.

»Mein Vater stand in seiner Schuld. Es war eine Frage der Treue.«

»Und trotzdem möchtet Ihr, daß ich mich nun zwischen Euch und Eurem Bruder entscheide?«

»Der Vorschlag stammt von Euch selbst, nicht von mir.«

»Ihr richtet Euer Segel nach dem Wind, wie es mir scheint.«

»Das nennt man steuern.«

Er lachte auf.

»Pothinos und der Regentschaftsrat haben mich des Thrones beraubt. Ich hoffe, daß Ihr mir Gerechtigkeit widerfahren laßt.« So lagen die Dinge aus ihrer Sicht, doch noch ehe sie die Sätze zu Ende gesprochen hatte, merkte sie, wie hohl sie im Grunde klangen.

Er verzog das Gesicht, als habe er einen unangenehmen Geschmack im Mund. »Gerechtigkeit gibt es nicht, es gibt nur Macht und die Wege, von ihr Gebrauch zu machen.«

Er behandelt mich wirklich wie ein kleines Mädchen, dachte sie. Eine von den vielen unbedeutenden Herrscherfiguren, mit denen er sich die Zeit vertreibt. Ich wäre närrisch, wenn ich mich vor ihm aufspielte und leere Drohungen von mir gäbe, denn ich werde niemals Eindruck auf ihn machen können.

»Und wie gedenkt Ihr von Eurer Macht Gebrauch zu machen?«

»Ich habe viertausend Legionäre und fünfunddreißig Schiffe. Achillas hat zwanzigtausend Mann, die vor der Stadt lagern und die ägyptische Flotte, die jenseits des Heptastadions liegt. Was glaubt Ihr, wieviel Macht das für mich bedeutet?«

»Ihr habt selbst vorgeschlagen, daß Ihr vermittelt.«

»Weil sich das leichter bewerkstelligen läßt, als Achillas' Armee zu bekriegen. Leuchtet Euch das ein?« Er verließ seinen Stuhl und nahm neben ihr auf dem Sofa Platz. Ohne weitere Worte ergriff er ihre Hand, drehte die Innenfläche nach oben und küßte sie.

»Ihr habt also nicht nach alter Sitte Euren Bruder geheiratet?«

»Er gefällt mir nicht«, brachte sie hervor.

»Und außer ihm gab es keine Bewerber?«

»Wer sollte mich denn wollen?«

»Nur ein Blinder könnte sich an Eurem Anblick nicht erfreuen.«

»Daran zweifle ich.«

»Ihr solltet meine Worte nicht bezweifeln. Ich bin Experte auf diesem Gebiet.«

Mit einemmal fiel es ihr schwer, gleichmäßig zu atmen. »So hat man mir berichtet.«

Rachel und deren Instruktionen fielen ihr ein. Glaubte sie wirklich, daß sie diesen Mann verzaubern konnte? Was für ein abwegiger Gedanke. Kleopatra war vor Schreck wie gelähmt. Du mußt dich ein bißchen mehr anstrengen, Mädchen, ermunterte sie sich. Was Caesar will, liegt auf der Hand, und er wird es sich nehmen, ob du es ihm offerierst oder nicht. Genau wie Gallien.

»Werdet Ihr mir helfen?« flüsterte sie.

Er antwortete mit einem Lächeln. »Das, mein Kätzchen«, sagte er leise, »liegt ganz bei dir.«

11

Es war ganz anders, als sie es sich vorgestellt hatte. Sie hatte vorgehabt, die Führung zu übernehmen, so wie sie es bei Rachel gesehen hatte, doch dann hatte der Mut sie verlassen. Wie sollte sie denn auch jemanden wie diesen Römer kontrollieren können, der schon bei so vielen Frauen gelegen hatte? Es war eine Sache, jemandem zuzusehen. Es selbst zu tun war jedoch eine ganz andere. Caesar war offenbar nicht gewillt, es ihr leichtzumachen - er stand einfach da, hielt einen Weinpokal in der Hand und blickte sie an.

Natürlich hatte er auch ihr Schlafgemach übernommen. Der weiche Kerzenschein in den farbigen Glaslaternen wurde wie stumpfes Gold von den Onyxböden und Elfenbeinwänden zurückgeworfen. Die Vorhänge aus bester arabischer Seide bauschten sich in der Brise, die vom Hafen her zu ihnen wehte. Unter den Fenstern klatschten die Wellen ans Ufer.

Das Bett war aus geschnitztem Ebenholz, das den Nil hoch aus Ländern jenseits der Katarakte herbeigeschafft wurde. Es war mit Intarsien aus Elfenbein versehen. Die Bettdecke war mit tyrischem Purpur gefärbt. Kleopatra streifte sich hastig die Kleider ab, kletterte geschwind ins Bett und zog sich die Decke bis unter die Achseln.

Caesar trank seinen Wein aus und entkleidete sich ohne die geringste Scheu. Er löste die Spangen des Purpurmantels, nahm den kostbaren Brustschild aus Emaille ab und entledigte sich der ledernen Gamaschen und Sandalen. Er trug jedoch noch Tunika und Unterkleidung, als er zu ihr ins Bett schlüpfte.

Dann zog er sie an sich. Sie spürte die schwieligen Hände auf ihrer Haut. Nichts von dem, was Rachel ihr vorgeführt hatte, wußte sie in diesem Moment zu wiederholen. Sie lag nur da und ließ ihn gewähren. Als er sie zum ersten Mal küßte, wurde sie sich seines warmen, leicht würzig riechenden Atems bewußt. Danach spürte sie, wie seine Hände ihre Brüste kneteten, fest, als wolle er ihr weh tun.

Sie war zu verängstigt, zu sehr von der Bedeutung des Moments ergriffen, um Vergnügen zu empfinden. Er vergrub sein Gesicht zwischen ihren Brüsten, saugte an ihnen und biß in die Brustspitzen. Womöglich hielt er ihr qualvolles Stöhnen für Laute der Lust, denn er wurde heftiger, statt von ihr abzulassen.

Sie sah unverwandt in das Dämmerlicht, den Körper starr vor Furcht. Was denkt er jetzt wohl, fragte sie sich. Caesar, wie er Ägypten erobert?

Er glitt zwischen ihre Beine, und sie hielt den Atem an. Dann war er in ihr, stieß zu, schnell und hart. Kleopatra biß sich auf die Lippen, unterdrückte den Schmerzensschrei und spürte, wie ihr die Tränen aus den Augen traten. Sie hatte nicht geahnt, daß es so schmerzhaft sein würde.

Danach war alles schnell vorbei. Mit einem Mal bäumte er sich auf, dann spürte sie sein Gewicht, als er auf sie niedersank.

Sie blieb lange Zeit reglos liegen, die Last seines Körpers auf sich, und fühlte, wie ihr Gesicht naß war vor Tränen. Auch zwischen ihren Beinen war es naß. Blut und Samen. Schließlich rollte er sich von ihr herunter.

Kleopatra drehte den Kopf zur Seite, um aus dem Fenster zu schauen. Eine schmale Mondsichel glänzte über dem Leuchtturm, ein dünner Silberbogen, der aussah wie die Hörner des Horus, das Zeichen der Fruchtbarkeit.

Das einzige, was ihr durch den Kopf ging, war: eine weitere Eroberung Caesars. Er war eingedrungen und hatte Besitz ergriffen. Vielleicht genügte ihm das in der Regel. Wenn sie ihn weiterhin halten wollte, dann nicht mit dem Körperteil, der allen Frauen zu eigen war. Sie würde das einsetzen, was sonst keine Frau besaß - Ägypten.

»Du bist sicher hungrig«, sagte er. Er riß die Tür auf und brüllte nach seinen Sklaven. Als er wieder zu ihr trat, lächelte er. »Man hatte mir schon berichtet, daß du gewitzt bist. War das deine Idee? Die Sache mit dem Teppich?«

Nein - aber das willst du bestimmt nicht hören. »Wenn ich gewußt hätte, wie unangenehm es wird, hätte ich mir etwas anderes einfallen lassen.«

»Nun, davon bin ich überzeugt.« Er setzte sich zu ihr, und sie stellte fest, daß er sie abermals musterte, als befände er sich auf dem Sklavenmarkt, um die Ware zu inspizieren. »Wie alt bist du?«

»Ich bin zwanzig Jahre alt.«

»Reichlich jung für eine Königin.«

»Das hängt von der Situation ab, in der sich die Königin befindet. Das Innere einer Teppichrolle ist beispielsweise kein Ort für eine alte Frau.«

»Und überdies wäre Caesar nicht entzückt, wenn man ihm auf diese Weise eine alte Frau in die Gemächer brächte.«

»Wohl kaum.«

Es ist, dachte sie, als würde man von der tosenden Flut weggespült. Sie hatte angenommen, daß ihre Entjungferung für ihn der Höhepunkt des Abends sein würde, doch es schien seiner Vitalität nicht den geringsten Abbruch getan zu haben. Er hatte sie zwar genossen, doch seine Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit waren davon nicht im mindesten betroffen. Sie fragte sich, ob sie wirklich gewußt hatte, was er von ihr wollte.

Andererseits - wußte sie, was sie von ihm wollte? Sie hatte erwartet, daß er sie abstieß, dieser barbarische Feldherr, doch nun mußte sie erkennen, daß sie noch nie jemandem begegnet war, den sie so faszinierend fand wie ihn. Noch niemand war ihr bisher so selbstbewußt, so ebenbürtig entgegengetreten, und schon gar keiner war derart selbstverständlich in die Rolle des Liebhabers einer ptolemaischen Prinzessin geschlüpft.

Das Mahl wurde auf einem großen Silbertablett hereingetragen. Schafskäse, Rosinen aus Rhodos, volle dunkle Weintrauben. Es wurde ihr auf einem kleinen Tisch kredenzt. Caesar füllte den Jaspispokal mit Wein auf und trat zum Fenster.

»Möchtest du denn nichts essen?«

»Essen interessiert mich nicht so sehr.«

Sie selbst war jedoch hungrig wie ein Wolf. Nach den widrigen Umständen auf der Galeere des Sizilianers war ihr Magen leer, und die schonungslose Einführung in die Belange eines römischen Magistrats hatte sie noch zusätzlich geschwächt. Wie eine Wilde machte sie sich über das Essen her.

Caesar beobachtete sie. Ihr Verhalten schien ihn zu belustigen. »Das also ist die Exilkönigin von Ägypten.«

»Ich hoffe, du bist nicht enttäuscht.«

»In keiner Weise. Weder von deiner Gesellschaft noch von der Art deiner Ankunft.«

»Ich komme wie eine Bittstellerin.«

»Vielleicht erfährst du ja, daß dir die Hilfe gern und großzügig gewährt wird.«

»Zuerst müßte ich verstehen, weshalb du mir hilfst.«

»Selbst Caesar versteht sich nicht allezeit.«

Wie sie feststellte, hatte er die Angewohnheit, über sich zu sprechen, als sei er ein anderer. Wie ein Herrscher. Oder als sei er ein Beobachter, der das eigene Leben betrachtet, um in Erfahrung zu bringen, was er als nächstes tut.

»Du weißt, was sie mit Pompejus gemacht haben?« fragte er.

»Pompejus war der Freund meines Vaters«, erwiderte sie. »Er hatte Anspruch auf bessere Behandlung.« Nun, das war jedenfalls eine Möglichkeit, die Dinge zu sehen. Andererseits war er auch nur ein weiterer römischer Blutsauger. Ihn umzubringen war, taktisch gesehen, jedoch ein grober Fehler. So dumm wäre ich nicht gewesen, dachte sie. Aber Pothinos und seine Genossen hatten wahrscheinlich geglaubt, daß sie mit Weitblick agierten. Kein Wunder, daß Ptolemaios unter dem Einfluß seines Lehrers so verdorben worden war.

»Glaubst du, daß ein Mann solchen Menschen trauen kann?«

»In mir hättest du eine getreuere Verbündete, Imperator«, erwiderte sie.

Er wirkte nachdenklich. »Das wird sich zeigen«, sagte er dann. »Da wäre immer noch die Frage, warum du Pompejus unterstützt hast.«

»Ich habe dir erklärt, daß er ein Freund meines Vaters war. Freunde verrät man nicht.«

»Außerdem muß es dir damals als der klügere Einsatz erschienen sein.«

Götter, es hatte keinen Zweck. Sie lächelte, und er lächelte zurück.

»Ich an deiner Stelle hätte wahrscheinlich genauso gehandelt«, lenkte er ein. »Doch darüber können wir uns später noch unterhalten. Zuerst mußt du mir berichten, wie es überhaupt dazu kommen konnte, daß du in der Wüste gelandet bist.«

»Sie haben ein Komplott geschmiedet. Der Hauptmann der Wache hat mich verraten. Als ihm klar wurde, daß ich nicht vorhatte, meinen Bruder zu ehelichen, schlug er sich auf die Seite des Regentschaftsrats. Tief in der Nacht habe ich die Flucht ergriffen.«

Er runzelte die Stirn. »Wie kann man nur den eigenen Bruder heiraten?«

»Da wir Götter auf Erden sind, können wir uns nur mit unseresgleichen vermählen. Das war von jeher Sitte in Ägypten, seit der Zeit der Pharaonen. Wir Ptolemaier haben diese Sitte übernommen, um die Gunst der Priester zu gewinnen. In der Regel wird die Ehe nicht vollzogen.«

Sie wußte, was er dachte. Barbarisch. Er mochte recht haben. Arsinoe und Antiochos waren entstanden, weil ihr Vater mit einer seiner Schwestern herumgetändelt hatte.

»Ich wollte diese Tradition nicht übernehmen«, erzählte sie weiter. »Das war das Problem.«

Er verzog das Gesicht. »Aus Gründen des Anstands?«

»Weil mein Bruder ein Dummkopf ist. Ich bin die einzige, die über genügend Geist und Entschlossenheit verfügt, Ägypten zu regieren. Mein Vater wußte das. Ebenso wie ich.«

Er grinste. »Du bist wie eine Tigerin.«

»Ich weiß, was ich bin.«

Er trank ein Schlückchen Wein, ohne den Blick von ihr zu wenden. Das verwirrte sie. »Erzähle weiter.«

»Am Morgen, nachdem ich Alexandria verlassen hatte, übernahm der Regentschaftsrat die Macht, im Namen meines Bruders.«

»Mit dem Regentschaftsrat meinst du dieses fette Schwein Pothinos, dessen Stimme quietscht wie ein schlecht gezimmerter Karren?«

»Eben jenen.«

»Und danach? Bist du gleich zum Berg Kasios geflohen?«

»Zuerst nicht. Ich habe viele Anhänger in der chora, das sind die Regionen des Mittleren und Oberen Nils, jenseits des Deltas. Die Priester der alten Religion sind dort noch immer sehr einflußreich. Sie sagten mir ihre Hilfe zu. Ich habe ihre Religion respektiert, und sie haben es mir mit Treue vergolten.«

»Nun, mir scheint, daß da mehr als Respekt eine Rolle spielt«, sagte er. »Ich habe gehört, daß du eine ihrer Göttinnen anbetest - Isis.«

»Isis, Aphrodite - sie ist für alle da.«

Er zog die Augenbrauen in die Höhe. »Bitte. Sprich weiter.«

»Ich war mehrere Monate lang in Theben, um eine Armee aufzustellen, bis Pothinos ein prostagma verkündete, einen königlichen Erlaß, wiederum im Namen meines Bruders. Danach war es verboten, Gebiete außerhalb Alexandrias mit Getreide zu versorgen. Zuwiderhandelnden drohte die Todesstrafe. Man wollte mich aushungern. Da ich nicht zulassen konnte, daß die chora meinethalben noch mehr litt, als sie es ohnehin schon tat, beschloß ich, Ägypten zu verlassen.«

Caesar lächelte. »Außerdem hätten sie dich ausliefern können, wenn ihnen der Magen erst einmal ordentlich geknurrt hätte.«

»Es lag mir nicht daran, das in Erfahrung zu bringen.«

»Das war sehr weise von dir.«

»Zu jenem Zeitpunkt verfügte ich über eine kleine Armee, die ich in der chora rekrutiert hatte, auch über Führer und Lastenträger und nicht zuletzt über das Vermögen, das ich bereits Monate vor dem Aufstand als Sicherheit hatte nach Theben schaffen lassen.«

»Ich bin beeindruckt.«

»Mit Hilfe der Abwärtsströmung sind wir nach Norden gesegelt, nahmen den östlichsten Arm des Nils. Danach verließen wir die Barken und zogen entlang des Necho-Kanals auf Kamelen zum Roten Meer. Wir überquerten die Grenze an einer Stelle, die den Namen Schilfsee trägt. Es handelt sich um flaches, unwirtliches Marschland, das den Gezeiten gehorcht. An jenem Ort entkamen die Juden den Ägyptern, mit dem abtrünnigen Moses an der Spitze. Als die Soldaten des Pharaos ihnen folgten, stieg die Hut, und die Marsch wurde ihr Grab.«

»Ich kenne diese Geschichte von Herodes.«

»Ist er ein Freund von dir?«

»Ein Vasall«, korrigierte er sie.

»So oder so, die Geschichte ist wahr. Die Gewässer sind verpestet und tückisch. Man riecht sie schon von weitem. Manch einer der ägyptischen Träger weigerte sich weiterzuziehen. Sie glauben, daß der Gestank der Atem des Seth ist, des Gottes des Bösen.«

»Aber du bist durchgekommen.«

»In Schilfbooten. Unsere Führer haben die Kamele durch eine Furt geleitet. Ich werde die Hitze und den Geruch nie vergessen. Immer wieder habe ich mich gefragt, ob ich wohl jemals diesen Palast wiedersehe.« Sie lächelte. »Als sie den armen Mardian in eines der Boote hievten, wäre es bei seinem Gewicht fast gekentert.«

»Wer ist Mardian?«

»Mein Ratgeber. Als ich Kind war, war er mein tropheus, mein Lehrer.«

Caesar schaute sie amüsiert an. »Und da stecktest du nun inmitten des Sumpfes, ohne Land, ohne Freunde, und nur mit einem Lehrer, der dir zur Seite stand?«

»Wir wurden in Askalon aufgenommen. Die Erinnerung an meinen Vater ist den Menschen dort teuer.«

»Wie hast du deine Armee zusammenbekommen?«

»So wie mein Vater. Ich habe nabatäische Araber als Söldner angeworben, denen ich einen hohen Sold in Aussicht gestellt habe, wenn sie mir wieder zum Thron verhelfen. Die versprochene Summe war zweimal so hoch wie das, was sonst gezahlt wird.«

»Natürlich. Geld ist das teuerste im Leben.«

»Dennoch - Gold allein ist wertlos, es sei denn, man tauscht es gegen Macht.«

Caesars Augenbrauen wanderten erstaunt in die Höhe. Offenbar war er derselben Ansicht. »Hattest du tatsächlich vor zu kämpfen?«

»Ich hatte keine Wahl. Wir sind auf Pelusium marschiert, doch Achillas hat sich uns nicht gestellt, und uns fehlten die Mittel zum Sturm. In dieser Situation habe ich die vergangenen Monate verbracht.«

»Was wäre gewesen, wenn Achillas den Kampf aufgenommen hätte? Was, wenn du verloren hättest?«

»Wenn ich verliere, sterbe ich. Ich kann nicht die Seiten wechseln, wie der gemeine Soldat.«

»In der Tat. Eine amüsante Geschichte.«

Was sie betraf, so konnte sie an der Geschichte beim besten Willen nichts Unterhaltsames finden. Die Monate im Exil hatten ihr dafür zu arg zugesetzt. Allerdings hatte die Erfahrung sie auch gestählt. Sie hatte gelernt, Härten und Widrigkeiten zu trotzen, und dies wiederum hatte ihr Zuversicht geschenkt. Sie war längst nicht mehr das verwöhnte Mädchen, das voller Furcht aus dem Palast geflohen war, und sie hatte begriffen, daß sie nicht so einfach zu besiegen war. Doch sie wußte auch um die Narben, die die Erfahrung hinterlassen hatte, die Schatten, die sie auf den königlichen Glanz geworfen hatten. Sie war nur noch eine Aufständische, bar jeder Macht, besaß nur noch Name und Titel der Geburt.

»Was gibt es noch, das ich über dich wissen sollte?« fragte er.

»Ich beherrsche acht Sprachen, einschließlich des Hebräischen und Aramäischen. Ich kann die Preise in einer syrischen tabernae lesen, einen phönizischen Matrosen fragen, welche Fracht er geladen hat, und einen Judäer in dessen Muttersprache beleidigen. Ich habe die Epen des Homer gelesen, die Geschichtstexte des Herodot und die Tragödien des Euripides. Ich kann auf der siebensaitigen Lyra spielen, habe Rhetorik, Astronomie und Heilkunde im Museion studiert, und mein Lehrer behauptet, daß ich eine große Begabung für die Mathematik und die Geometrie besitze. Außerdem mache ich mich ganz passabel zu Pferde.«

Caesars Lächeln erlosch. »Gibt es auch etwas, das du nicht kannst?«

Kleopatra entschloß sich zur Wahrheit. »Ich kann Ägypten nicht ohne dich regieren.«

Er nickte versonnen. »Das weiß ich bereits. Ich danke dir jedoch für deine Offenheit.«

Die schwarzen Augen sahen sie eindringlich an. Sie mußte an sich halten, um ihm nicht noch mehr zu gestehen. Eine Stimme in ihr flüsterte ihr ein, ihm zu vertrauen - eine wahrhaft gefährliche Ausgangsbasis.

12

Kleopatra versank in der tiefsten Schwärze des Schlafs, bis sie am Morgen von lauten Schreien geweckt wurde. Als sie hochfuhr, sah sie ihren kleinen Bruder an der Tür stehen, der sie mit offenem Mund anstarrte. Neben ihm Pothinos. Caesar lehnte, bereits angekleidet, am Fenster und tunkte zum Frühstück einen Kanten Brot in ein Glas Wein.

Sie begriff sogleich, was Caesar beabsichtigt hatte. Das Lager mit einer Königin zu teilen war nicht zuletzt ein politischer Akt, der unbezeugt bedeutungslos blieb. In ihr tauchte der Verdacht auf, daß er Ptolemaios und Pothinos gleich nach dem Wachwerden hierher zitiert hatte. Na gut, wenn sie die Rolle der Hurenkönigin spielen sollte, dann würde sie auch davor nicht zurückschrecken. Sie ließ das Laken von den Schultern gleiten und entblößte die Brüste. Ohne nachzudenken, streckte sie ihrem Bruder die Zunge raus und schnitt ihm eine Fratze. Doch sofort bereute sie es. Eine kindische Reaktion der Schadenfreude, die einer Königin nicht anstand. Doch sie erreichte ihren Zweck. Ptolemaios brach in Tränen aus. Dummer Junge.

»Was macht sie denn hier?« heulte er auf.

Caesars Augenbrauen wanderten abermals in die Höhe. »Wonach sieht es wohl aus?«

Ptolemaios' Gesicht zog sich so schrumpelig zusammen wie eine Weintraube in der Sonne. Er stampfte mit dem Fuß auf. Ach, kleiner Bruder, dachte Kleopatra, wenn du willst, daß Caesar dich ernst nimmt, dann darfst du niemals mit dem Fuß aufstampfen. Du erntest sonst nur Kopfnüsse und einen Tritt in den Allerwertesten.

»Das ist dein Fehler!« brüllte er Pothinos an und rannte aus dem Raum.

In Pothinos' Augen mischten sich Zorn und Verwirrung, als er Caesar ansah, doch als sein Blick zu Kleopatra wanderte, sprühten die Augen Gift. Wie gut, dachte sie, daß Blicke nicht töten können. Dann machte er kehrt und folgte seinem Schützling. Caesar nickte den Soldaten zu, die an der Tür wachten. »Ihnen nach! Bringt den Jungen hierher zurück.«

Dann wandte er sich um und lächelte Kleopatra zu. »Das wird ein wundervoller Morgen«, sagte er und richtete die Augen wieder auf den blauen Hafen und die zarten weißen Wellenkronen, die die Insel Pharos mit dem Leuchtturm umspielten.

13

Caesar hatte alles gut geplant. Er empfing sie im Haus der Verehrung, dem Thronsaal. Die hohen Säulen aus rot gemasertem Porphyrit spiegelten sich im glänzenden Marmorboden. Die mächtige Erhabenheit des Thrones ließ jene, die an seinem Fuße standen, unbedeutend erscheinen. Caesar saß in der fransenbesetzten toga virilis, versehen mit den Purpurstreifen des römischen Senators, auf einem Thron, der mit gelbem Jaspis und Granatsteinen in der Größe von Taubeneiern bedeckt war. Kleopatra trug eine Robe aus schimmerndem Gold und befand sich auf einem ähnlichen Thronsitz an seiner Seite.

Pothinos und Ptolemaios glichen eher Bittstellern als dem Regenten und dem obersten Ratgeber des reichsten Landes der Erde.

Ptolemaios' Augen waren geschwollen vom Weinen, und seine Hände zitterten. Der Sohn seines Vaters, nur weitaus schlimmer, dachte Kleopatra traurig. Wenn er noch ein wenig mehr von dieser Seite geerbt hätte, würde er sich mit Hilfe des Weins gegen die drohenden Unbill des Lebens schützen. Armer Vater.

Pothinos hatte die Locken mit teurer Pomade gekräuselt und versuchte - ganz Speichellecker, der er war - den Abscheu vor dem römischen Feldherrn mit heuchlerischem Lächeln zu übertünchen.

»Fühlt sich der Kronregent besser?« erkundigte Caesar sich mit eisiger Stimme.

Pothinos' Kopf nickte so heftig auf und ab wie der eines Papageis. »Er hat sich vollständig von dem Schrecken erholt, Imperator.«

»Er hat sich aufgeführt, als hätte er eine Legion verloren und überdies noch einen strotzenden Gallier vor sich, der ihm an den Kragen will. Wenn er König sein will, sollte er lernen, seine Gefühle zu beherrschen.«

»Er leidet noch unter seiner Jugend. Wenn er ein wenig älter ist, wird er ein zweiter Alexander.«

»Alexander!« Caesar zog die Luft ein, als sei er Zeuge einer Gotteslästerung geworden. Es war kein Geheimnis, daß er selbst danach trachtete, in die Fußstapfen des legendären makedonischen Feldherrn zu treten. Seine Lippen kräuselten sich verächtlich beim Anblick Ptolemaios'. Dann wiederholte er den Namen noch einmal, fast unhörbar. »Alexander!«

Kleopatra hätte gern schon jetzt gewußt, was als nächstes geschehen würde. Obwohl Caesar so tat, als gehörte sie zu ihm, hatte er sie ebenso wie ihren Bruder und Pothinos hierherbefohlen und bisher nichts verlauten lassen, was ihre Zukunft betraf. Sie war vollkommen in seiner Hand. Wen würde er vorziehen? Sie - oder diesen dummen Jungen? Sie bildete sich nicht ein, daß sie ihn sich mit dieser einen Liebesnacht gefügig gemacht hatte - die Liebe war für jemanden wie ihn ohnehin nichts als eine billige Währung, bei Bedarf zu gebrauchen, doch darüber hinaus wertlos. Ihr blieb nur die Hoffnung, daß ihre Ausführungen sein hartes Herz erweicht hatten.

»Wie Ihr wißt«, wandte er sich an Pothinos, »war es der Wille des letzten Königs, daß Ägypten von Ptolemaios und seiner Schwester, Kleopatra, regiert würde. Es bekümmert Rom, daß Uneinigkeit zwischen ihnen herrscht. Ihr Vater war nicht zuletzt Freund und Verbündeter des römischen Volkes.« Das war er in der Tat, dachte Kleopatra voll Bitterkeit. Für dieses Privileg hatte er einen beträchtlichen Teil seines Vermögens verschleudert.

»Caesars einziges Anliegen ist, daß wieder Frieden einzieht in Ägypten. Daher wünscht Caesar, daß der Prinz sich unverzüglich, nach Sitte der Ägypter, mit seiner Schwester vermählt und sie den Willen ihres Vaters erfüllen.«

Das war es also. Caesar würde sie mit ihrem Bruder verheiraten. Wie auch anders? Ihm lag nicht an Gerechtigkeit, er wollte nur Frieden. Sie sah starr geradeaus, um ihre Enttäuschung zu verbergen. Dann wartete sie darauf, daß er seine Bedingung kundtat, dafür, daß sie sich erneut an die Gurgel gehen durften.

»Ihr werdet den Frieden, den Caesar Euch geschenkt hat, nutzen, um der römischen Republik die Schulden zu erstatten, die Euer Vater hinterlassen hat. Eine Summe, die mir zu entrichten ist.« Schau an, dachte sie, auf diese Weise zieht er also Gewinn aus der Sache. Sie sah, daß er sie beobachtete und auf Anzeichen ihres Unmuts oder Zorns wartete. Nun, den Gefallen würde sie ihm nicht tun.

Habe ich überhaupt Anlaß dazu? überlegte sie weiter. Ich werde abermals den Thron besteigen. Caesar bekommt, was er wollte, und ich bekomme das, was ich wollte. Zumindest muß ich mir jetzt nicht mehr mit Fliegen und Eidechsen den Wüstenstaub teilen.

Ptolemaios sah aus, als würde er jeden Moment wieder in Tränen ausbrechen. Dummer, dummer Junge.

»Stimmt etwas nicht?« fragte Caesar ihn.

Ptolemaios setzte zu einer Erwiderung an, doch ein Blick von Pothinos brachte ihn zum Schweigen.

»Ich habe Vorkehrungen für die sofortige Hochzeit getroffen. Ganz Alexandria wird sich mit Euch freuen.«

»Ich danke Euch, edler Herr«, sagte Pothinos mit gepreßter Stimme. Dann trieb er Ptolemaios vor sich her aus dem Saal.

14

Kleopatra studierte ihr Gesicht in dem Bronzespiegel. Seltsamerweise hatte sie sich ihren Hochzeitstag genauso vorgestellt: den Himmel grau verhangen, ein dumpfes Gefühl der Furcht im Magen, die trostlose Aussicht, sich für einen Bräutigam zurechtzumachen, der ihr, bis auf die Erfordernisse des Staates, in keiner Weise gerecht wurde. Sie hatte jedoch immer gedacht, daß es sich dabei um einen Ausländer handeln würde, jemanden, der einfach zu alt, zu jung oder zu tölpelhaft für sie wäre.

Doch stets hatte sie befürchtet, daß es letztlich doch Ptolemaios sein würde.

Sie malte sich aus, was ihr Vater wohl gesagt hätte, wenn er noch am Leben gewesen wäre. Wahrscheinlich wäre er zu betrunken gewesen, um sich zusammenhängend zu äußern. Ob er wohl von ihr enttäuscht gewesen wäre? Wie oft hatte er ihr ins Ohr geflüstert, daß sie schlauer sei als die anderen. Wie es schien, hatte er sich geirrt.

Ihre Gedanken schweiften ab, und sie stellte sich plötzlich vor, wie es wäre, wenn sie Caesar heiratete. Bislang hatte sich ihre Phantasie auf Macht und Politik beschränkt, nie auf ihr privates Vergnügen. Sie hatte Träume genährt, in denen sie Alexanders Reich neu errichtete, die Stadt zur größten der Welt machte, in der - welch vermessener Gedanke - der eigene Name gerühmt wurde wie seiner. Was wäre, wenn sie heute Caesars Königin würde? Wir besäßen zusammen das mächtigste Reich der Erde, oder gar der Geschichte. Und, dachte sie, während sie konzentriert in den Spiegel blickte, vielleicht würde ich sogar lernen, dabei mit ihm glücklich zu werden.

Charmion hatte ihr die Haut mit einer Lotion aus Öl und Zyperngras getränkt und zuvor die Paste aus Gurkensaft entfernt. Nun glänzte sie wie Marmor. Anschließend widmete Charmion sich ihrem Haar und flocht es in kleine Zöpfchen, die sie hoch auf dem Kopf zu einem schweren Knoten band.

»Es kursiert ein Gerücht«, begann sie.

Im Palast kursierten viele Gerüchte. Man sagte, daß die Gänge nur deshalb so lang und gerade waren, damit man schneller hindurchsausen konnte, um ein geneigtes Ohr zu finden.

»Woher stammt es?«

»Von Caesars Barbier, Majestät.«

Kleopatra ließ den Spiegel auf den Tisch sinken und zog eine Augenbraue in die Höhe, um ihr Interesse zu bekunden. Der tonsore des Imperators wurde als Caesars geheimes Sprachrohr betrachtet, das all jene Nachrichten verbreitete, die er offiziell nicht verkünden konnte.

»Was besagt das Gerücht?«

»Daß Pothinos Eurem Bruder aufgetragen hat, die Ehe zu vollziehen, so wie in früheren Zeiten.«

»Was?« Die Idee war dermaßen absurd, daß sie nicht wußte, ob sie darüber lachen oder dagegen wüten sollte.

»Damit Ihr, wenn Ihr ein Kind empfangt, nicht behaupten könnt, es sei Caesars.«

»Ptolemaios ist ein Junge! Er glaubt, sein Schwengel sei dazu da, um Wasser zu lassen!« O Götter, ging es ihr durch den Sinn. Wenn man mich hört! Vor wenigen Tagen war ich noch Jungfrau. Jetzt rede ich wie eine Straßenhure aus dem Hafen von Kanopos.

»Pothinos hat Ptolemaios erklärt, daß sein Leben davon abhängt.«

»Ein Eunuch, der einem Kind rät, sich zu der Schwester zu legen? Was müssen die Römer von uns denken?«

Dennoch bestürzte Kleopatra die Neuigkeit. Sie sprang auf und stieß dabei eins von Charmions kleinen Kosmetiknäpfchen zu Boden. Sie war größer und stärker als ihr Bruder. Er würde es nicht wagen!

Doch dann rührte sich in ihr ein neuer Gedanke. Caesars Kind! Wer weiß? Ob das überhaupt sein konnte nach nur einer Nacht? Und wenn nicht, vielleicht konnte sie es dann so einrichten, daß es eine Wiederholung gab. Pothinos hatte allen Grund, sich zu grämen. Ein Kind - ein Sohn Caesars! - würde alles verändern.

Ganz Alexandria nahm an der Hochzeit teil - die Gelehrten, Mathematiker und Mediziner des Museion, die weißgewandeten Priester der Isis und Serapis, die Hauptleute der Hofgarde in den weißen makedonischen Stiefeln und den flachen Hüten, Caesars führende Offiziere in roten Mänteln und Lederfaltenröcken, die Schatzmeister, Höflinge und Schreiber in ihren Purpurroben.

Die Säulen des Zeremoniensaals waren mit Girlanden aus grüner Seide umwunden, und auf dem Marmorboden lag ein dicker Teppich aus Rosenblüten. Es war ein Anblick wundervoller Farbenpracht, der rotgeäderte Wald der marmornen Säulen schwang sich hoch zu den mächtigen Deckenbalken aus Zedernholz, und die goldene Kuppel leuchtete.

Kleopatra betrat den Saal durch die haushohen Portale aus Zedernholz. Trompeten verkündeten ihr Kommen, und auf die Tausenden, die sich im Saal versammelt hatten, senkte sich Schweigen.

Sie war in ein Gewand aus durchsichtiger blauer Seide gehüllt, das sich so weich über sie ergoß, daß einige später sagten, es habe ausgesehen, als ob die Königin Wasser trüge. Mit den Perlen des Roten Meers, die sie an den Händen, am Hals und im Haar schmückten, hätte man einen königlichen Prinzen aus der Gefangenschaft auslösen können. Als sie über den Rosenteppich schritt, zerdrückten ihre geflochtenen Silbersandalen die Blüten und setzten deren schweren, süßen Duft frei.

Kleopatra schaute sich um. Sah den anderen Bruder, Antiochos, sein Gesicht eine Maske aus Unruhe und Furcht, daneben Arsinoe, schön und giftig. Dann Pothinos, der das Haar mit einem Brenneisen gelockt hatte. Die Ohrringe hingen an ihm wie reife Feigen. Und dann Ptolemaios, auf dem Kopf ein goldenes Stirnband im Stile der Pharaonen und das doppelte Diadem Ägyptens, geschmückt mit der heiligen Kobra. Der Kragen seines plissierten Leinenkleides war abgesetzt mit Lapislazuli und Karneol, die Füße steckten in goldenen Sandalen.

Er wirkte durch und durch lächerlich.

Caesar war da, um die ganze Angelegenheit zu leiten, gebieterisch in der toga virilis. Olympos, der Hofarzt, und Caesars Hauptmann, Rufus Cornelius, fungierten als Trauzeugen. Die Zeremonie sollte von Pshereniptah, dem Hohenpriester, durchgeführt werden.

Caesar schaute sie nicht an, gab kein Zeichen des Erkennens von sich. Er nickte nur fast unmerklich mit dem Kopf, um den Auftakt für den Hohenpriester zu signalisieren. Pshereniptah murmelte einige Sätze in Altägyptisch, und dann war es auch schon vorbei.

Anschließend wandte Caesar sich an die Menge und verkündete mit lauter Stimme, daß Königin Kleopatra VII. und König Ptolemaios XIII. ihre Differenzen beigelegt und sich versöhnt hatten, um Ägypten fürderhin vereint zu regieren.

Die Hochzeitsgäste nahmen das zum Anlaß, in Hochrufe auszubrechen, wobei sich jedoch keine aufrichtige Begeisterung einstellte. Auf ein verabredetes Zeichen hin wurden abermals Rosenblüten vor die Königin auf den Boden geworfen.

Kleopatra wandte sich ein wenig zur Seite und starrte auf ihren frischgebackenen Ehemann hinab. Sie führte die Lippen an sein Ohr. »Wenn du es je wagen solltest, mich anzurühren, dann kann sich Pothinos deine zwei Hoden an die Ohren hängen. Hast du mich verstanden?«

Ptolemaios' Gesicht war von Furcht und Haß verzerrt. Ja, er hatte verstanden. Dummer Junge.

Das Bankett war von Caesar höchstselbst bestimmt worden. Er ließ es an nichts fehlen, schließlich handelte es sich ja auch nicht um sein Geld. Man reichte zartrosafarbene Schalentiere, gebratene Zicklein und Wildenten, Seeigel in Minze, Pilze und süße Nesseln, attischen Honig. Der beste Falernerwein strömte aus goldenen Pokalen, reich bestückt mit Koralle und Jaspis. Nach dem Mahl wurden die Gäste von nubischen Tänzern unterhalten, deren dunkle geschmeidige Körper von Öl glänzten, während sie nach wilden Trommelschlägen und nach dem rhythmischen Händeklatschen der Gäste tanzten.

Caesar, einen Kranz aus Kornblumen und Rosen um den Hals, stand auf, hob Kleopatra und Ptolemaios den Pokal entgegen und verkündete, daß endlich wieder Friede herrsche im Land.

Eigentlich ein ganz durchschnittlich aussehender Mann, dachte sie, bis auf die Augen. Als sie zu ihm hinschaute, verspürte sie plötzlich ein unerklärliches Gefühl der Beklemmung. Sie wünschte sich, er würde zu ihr hersehen, ihr ein Zeichen geben, eine schweigende Zusicherung, daß er auf ihrer Seite stand, daß der Entschluß, zu ihm zu kommen, kein schwerwiegender Fehler gewesen war. Kleopatra wurde bewußt, daß sie erstmalig seit dem Tod ihres Vaters ihr Vertrauen in einen anderen Menschen gesetzt hatte.

Er wich ihren Blicken absichtlich aus.

»Als Zeichen des guten Willens gegenüber dem Land und seinen neuen Herrschern«, rief er nun mit lauter Stimme, »übereignet Caesar die Insel Zypern Ägypten und setzt die königliche Prinzessin Arsinoe sowie ihren Bruder, Ptolemaios den Jüngeren, dort als neue Statthalter ein.«

Kleopatra rang nach Luft. Sie sah, daß die Blicke etlicher römischer Hauptleute zu ihm huschten, um ihrer Bestürzung Ausdruck zu verleihen. Zypern war unter der Herrschaft ihres Vaters von Rom annektiert worden. Der Flötenspieler hatte kampflos zugesehen und sich dadurch in Alexandria eine große Anzahl Feinde geschaffen. Es lag nicht in Caesars Macht, die Insel an Ägypten zurückzugeben, zumindest hatte Kleopatra das angenommen, doch offenbar wähnte er sich einflußreich genug, um für ganz Rom zu sprechen. Glaubte er, auf diese Weise Pothinos, Achillas und die anderen Nationalisten beschwichtigen zu können?

»Was die Schuld des verstorbenen Königs gegenüber Rom betrifft, so bin ich bereit, sie auf eine Abfindung von zehn Millionen Denaren zu reduzieren.«

Das war weniger als die Hälfte. Caesar hielt sich wahrscheinlich für großzügig. Leider wird das nur den Römern so vorkommen, dachte Kleopatra. In ganz Alexandria gibt es keinen Menschen, der sich auch nur von einem einzigen Denar trennen möchte, um die Summe zu begleichen, mit der mein Vater seinen Thron zurückgekauft hat - schon gar nicht jetzt, wo er tot ist.

Während man sich zutrank, wanderten Kleopatras Blicke über die Gesichter im Saal, und sie fragte sich, ob Zypern und ein Schuldenerlaß um zehn Millionen Denaren ausreichen würden, um den Haß von Pothinos und seinen Gefolgsleuten zu mindern.

Sie hatte da ihre Zweifel.

15

Das Leben im Palast nahm nun die Gestalt eines Traumes an. Nach der Hochzeitszeremonie wurde Ptolemaios in einen Palast des Brucheionviertels verbannt, während Kleopatra gemeinsam mit Caesar ihre alten Gemächer bezog. Als Diener standen ihm seine Leibwache zur Seite und als Schutz seine Legionäre, wohingegen sie, verlassen vom Großteil des königlichen Hofes und abgeschnitten von ihren Beratern am Berg Kasios, gewissermaßen als seine Königin residierte. Ptolemaios und Pothinos hielten sich von ihr fern, sie waren von Anhängern und Gefolgsleuten umgeben und standen unter dem Schutz der makedonischen Hofgarde, allerdings beaufsichtigt von einer Kohorte römischer Soldaten.

Und hier bin ich nun, die Bettgenossin des Feindes, im Krieg mit den eigenen Leuten, ging es ihr durch den Kopf. Verräterin und Verratene in einem. Schon als Kind hatte sie gelernt, die Römer zu verabscheuen, damals, als sie zusehen mußte, wie diese Barbaren ihre Familie demütigten. Sie hatte sich geschworen, deren Macht über Ägypten zu brechen, und nun stand sie auf der anderen Seite der Barrikaden, während sich ihr Volk den Legionärsspeeren entgegenwarf.

Zusammengerollt unter Caesars schützenden Hügeln liege ich hier, lache über seine Witze, lausche seinen Geschichten, nehme bereitwillig seinen Samen auf. Ich frage mich, ob ich doch nur die Tochter meines Vaters bin oder ob ich je Königin aus eigenem Recht sein werde.

Aufmerksam beobachtete Kleopatra Pothinos und wartete auf seinen nächsten Zug. Wenn Ägypten siegte, bedeutete dies ihren Untergang. Wenn Caesar siegte, bestünde sie fort. Jede Seite lag auf der Lauer. Die Spannung im Lochias-Palast war mit Händen zu greifen.

Allein Caesar schien davon nichts zu spüren.

»Ich habe den Eindruck, daß Eure Truppen sich zum Kampf rüsten«, bemerkte er Achillas gegenüber so munter, als kommentiere er ein Wagenrennen oder einen Wettkampf im Circus. »Die Frage der Nachfolge wurde zur allgemeinen Zufriedenheit geregelt, aber dennoch sind sie nach Alexandria marschiert und belagern die Stadt.«

»Der Befehl erging nicht von mir«, entgegnete Achillas.

Achillas scheint beunruhigt zu sein, dachte sie. Seine Haut ist fahl, und die Schweißperlen auf seiner Stirn haben die Größe von Tautropfen. Sein Lächeln soll offenbar beruhigend wirken, doch es verwandelt sein Gesicht in eine Maske des Todes.

Auf Caesars Drängen aßen sie täglich gemeinsam. Doch die Speisen, die Pothinos ihnen bot, waren nicht dazu angetan, die Lebensgeister anzuregen, denn es gab nie etwas anderes als angeschimmeltes Maisbrot und kleine tranige Fische aus dem Hafenbecken. Statt auf Goldgeschirr wurde das Essen auf Holztellern serviert - Pothinos behauptete, daß er die anderen habe einschmelzen lassen müssen, um Caesars Forderung nachzukommen.

Den Wein, der ihnen vorgesetzt wurde, hätte sie noch nicht einmal einem durstigen Hund offeriert.

Sie speisten in der herkömmlichen Art der Griechen, auf Ruhebänken an drei Seiten des Eßtisches. Nur Antiochos, der noch ein Kind war, saß auf einem Schemel.

Allein Caesar schien sich eines gesegneten Appetits zu erfreuen, doch Kleopatra wußte, daß er sich verstellte. Es geschah nur selten, daß er sich überhaupt zum Essen niederließ, viel lieber aß er nebenbei ein Stück Brot, während er mit seinen Generälen die Karten studierte. Decimus Brutus behauptete, daß er einmal einen Spargel verschlungen hatte, der versehentlich in Salböl getunkt worden war, ohne dabei auch nur eine Miene zu verziehen.

Sie beobachtete, wie Achillas in seinem Fischgericht herumstocherte. Arsinoe und ihr Lehrer Ganymedes tauschten Blicke aus und formten lautlose Sätze über den Tisch hinweg. Ptolemaios wiederum ließ seinen Teller gänzlich unbeachtet. Er hielt den Kopf gesenkt, während ihm die Tränen über das Gesicht strömten.

Als Pothinos die Tränen entdeckte, schleuderte er Kleopatra einen haßerfüllten Blick zu. Nun, dazu hast du keinen Grund, dachte sie, du schmutziger Auswurf eines Kamels. Den Zustand des armen Jungen kannst du mir nicht anlasten.

»Der Pöbel hat heute wieder einmal versucht, den Palast zu stürmen«, bemerkte Caesar, an Pothinos gewandt.

»Das Tun einer Handvoll Kaufleute und Matrosen entzieht sich meiner Gewalt, Imperator«, erwiderte dieser.

»Es handelt sich um mehr als nur eine Handvoll Kaufleute und Matrosen.«

Pothinos hob die Schultern. »Die Anwesenheit der römischen Soldaten ist ihnen ein Stachel im Fleisch. Sobald sie wieder abgezogen sind, wird sich die Lage beruhigen.« Als Caesar keine Antwort gab, setzte er hinzu: »Nun, da die Frage der Nachfolge geregelt ist, werdet Ihr Eure Zeit doch sicher nicht weiter in Ägypten vertrödeln wollen, da Euch andernorts dringendere Geschäfte erwarten?«

Caesar ließ seine kalten schwarzen Augen auf ihm ruhen. Solch ein Blick, dachte sie. Wie ein Todesurteil. »Es obliegt Caesar zu entscheiden, welche Geschäfte er als dringend erachtet und welche nicht.«

Er biß einen Brocken Brot ab und spülte ihn mit dem Wein aus dem hölzernen Pokal zu seiner Rechten hinunter. Wie er diesen Essig herunterbrachte, den Pothinos kredenzt hatte, überstieg Kleopatras Vorstellungsvermögen.

Achillas konnte sein Schweigen nicht länger aufrechterhalten. »In den Basaren erzählt man sich, daß Caesar die königliche Familie als Geisel hält«, sagte er.

»Vielleicht kann Pothinos mit dem Pöbel reden«, schlug Caesar vor, »um die Lage zu beruhigen.«

»Ich glaube kaum, daß die Menschen auf mich hören. Ich bin nicht verantwortlich für das, was sie sich beim Fischkauf erzählen.«

»Wie seltsam. Das Volk scheint weder auf Euch noch auf irgendeinen anderen zu hören. Noch nicht einmal auf den König.« Er schaute in die Runde und schien erstmalig Ptolemaios' unglückliche Miene wahrzunehmen. »Und weshalb greint Seine Majestät nun schon wieder?«

Pothinos' Stimme klang matt. Er hatte Mühe, das gewohnte Lächeln aufrechtzuerhalten. »Das Essen schmeckt ihm nicht, Imperator.«

»Nun, es sind seine eigenen Soldaten, die ihm die geliebten Schalentiere und das Wildgeflügel vorenthalten. Wenn sie die Belagerung aufheben, kann er gebratene Giraffen essen, sofern es ihn danach gelüstet.« Caesar stemmte die Fäuste in die Seiten. »Ich weiß nicht, weshalb er ein solches Theater macht. Als ich auf dem Feldzug in Britannien war, haben wir Nesseln gekaut und Wasser getrunken, das sich in Felssenken gesammelt hatte.«

»So wie Eure Vorfahren?« fragte Arsinoe mit süßlicher Stimme.

Caesar lächelte, doch seine Augen waren hart wie Feuerstein.

Oh, meine liebliche kleine Schwester, dachte Kleopatra, mit deinen hellen Haaren, den kornblumenblauen Augen und dem Sylphenkörper könntest du, wenn du wolltest, mit Caesar spielen wie mit einem Fisch, den du an der Angel hältst. Statt dessen benimmst du dich, als teiltest du den Tisch mit einem Straßenköter. Freilich sind die Römer Barbaren, doch dieser hier zeigt zumindest ein wenig Kultur, und wenn der Krieg zu den Künsten gehörte, gäbe es keinen Gelehrten im Museion, der es mit ihm aufnehmen könnte.

»Euch mangelt es gleichfalls an Appetit?« erkundigte sich Caesar.

»Ich finde, daß es hier nicht gut riecht«, erwiderte sie. Caesar schnupperte in der Luft, so genüßlich, als befände er sich in einem Rosengarten. »Alles, was ich rieche, ist der Geruch des Meeres. Behagt Euch der Salzgeruch etwa nicht? Ich persönlich empfinde ihn erfrischend. In Rom ist das Meer nicht weit von uns entfernt.«

»Ich würde die Mahlzeit lieber mit einem Hund teilen als mit einem Römer.«

Das Lächeln erstarb angesichts dieser tödlichen Beleidigung, und Caesar beendete seine Versuche, sie zu erheitern. »Der Wunsch soll Euch gewährt sein«, entgegnete er. Arsinoe stand auf und rauschte aus dem Raum. Caesar erhob sich und stellte sich hinter den Schemel, auf dem Antiochos gesenkten Kopfes saß, voller Furcht vor harten Stimmen und zornigen Blicken. »Wenn doch nur auch die anderen Mitglieder des Hauses Ptolemaios ein so freundliches Wesen besäßen wie der kleinste von ihnen«, sagte Caesar und zerzauste ihm die Haare.

Kleopatra sah, wie sich Achillas und Pothinos einen verstohlenen Blick zuwarfen. Sie alle wußten, daß Antiochos lediglich verängstigt war und keineswegs sanft. Im ganzen Palastviertel von Brucheion gab es kein freundliches Wesen, hatte es seit Jahrhunderten keines gegeben.

»Was mir beim Essen mit euch allen das größte Vergnügen bereitet«, sagte Caesar, nachdem die anderen fort waren, »ist die wohlgefällige Unterhaltung.« Er schenkte sich noch ein wenig von dem Krätzer nach, den Pothinos als Wein zu bezeichnen beliebte, und trank mit ungerührter Miene.

»In meiner Familie«, antwortete Kleopatra, »galt ein Mahl als angenehm und gesittet, wenn niemand ermordet wurde, bevor die Spielleute kamen.«

»Ich habe zum Glück Mundschenke, die sicherstellen, daß der Wein nicht vergiftet ist.«

»Willst du etwa behaupten, daß er das nicht ist?« entgegnete sie und goß den Inhalt ihres Glases aus dem offenen Fenster.

Er zuckte die Achseln. »Ich bin Soldat. Ich trinke alles. Wenn Pothinos sich einbildet, er könne mich entmutigen, indem er mir Luxus versagt, dann weiß er nichts über Caesar.« Er betrachtete sie nachdenklich. »Der Mann, der Arsinoe begleitet hat - ist das ihr Geliebter?«

»Sie ist die Prinzessin eines königlichen Hauses. Wie sollte sie einen Geliebten haben?«

»Sie schienen mir sehr vertraut.«

»Er ist ihr Lehrer. Schon seit Ptolemaios I. genießen die Töchter der königlichen Familie dieselbe Erziehung wie die Söhne.«

»Bemerkenswert.«

»Glaubst du nicht, daß eine Frau ebensoviel Verstand haben kann wie ein Mann?«

»Ich glaube, daß es sich dabei um eine außergewöhnliche Frau handeln müßte.«

»In dem Fall hätte es in unserer Familie ausschließlich außergewöhnliche Frauen gegeben, denn bislang hatte noch keine ptolemaische Prinzessin Schwierigkeiten, mit ihren Brüdern mitzuhalten. Jede von uns hat einen tropheus, der uns in den Künsten und Wissenschaften unterrichtet. Später, sofern er sich des Vertrauens würdig erwiesen hat, können wir sie zu unseren Ratgebern machen.«

»Und zu Liebhabern?«

»Liebhabern?« Kleopatra lächelte.

»Was ist daran so lustig?«

»Weil es unmöglich ist. Ganymedes ist Eunuch. Genau wie Mardian.«

Caesars Gesichtsausdruck veränderte sich. Er hatte gedacht, sie wäre zu naiv, um darauf zu kommen. In seiner Miene vermischten sich Überraschung und Ekel.

»Wie es scheint, gibt es im Osten vieles, das Rom nicht versteht.«

»Warum machst du so ein seltsames Gesicht?« fragte Kleopatra aufrichtig verwundert.

»Ihr mit euren Tiergötzen und Eunuchen und der Besessenheit, was den Tod betrifft. Mir kommt die Galle hoch angesichts dieser Praktiken.«

»Es ergibt doch Sinn, wenn du...«

»Eine Frau, die Männer regiert, denen man die Männlichkeit abgeschnitten hat! Das ist... barbarisch!« Caesar knallte den Pokal auf den Tisch und stürmte aus dem Raum.

16

Winterstürme peitschten die Insel Pharos. Selbst das Wasser im Hafen schäumte weiß, und der Himmel hatte die Farbe von Blei angenommen. Durch die Straßen entlang der Werften fegte der Regen und versprühte eine salzige Gischt. Immer noch schlängelten sich Karawanen aus Punt und Arabissos durch das Sonnentor, doch die Handelsschiffe lagen fest vertäut im Hafen der Glücklichen Wiederkehr, und Alexandria würde bis zum Frühling vom Mittelmeer abgeschnitten sein.

Die ägyptische Armee - wie Achillas seinen Haufen Piraten, Freibeuter, Gesetzlose und entlaufene Sklaven zu nennen pflegte - lagerte vor der Stadt. Es waren ihrer zwanzigtausend, unterstützt von zweitausend einheimischen Reitern.

Caesar schien nicht weiter beunruhigt. Schließlich, so teilte er Kleopatra mit, verfüge er über dreitausend erfahrene Legionäre, eine Reiterei, bestehend aus achthundert Kelten, sowie fünfzig Dreiruderer am Fuße des Lochias-Palastes - und vier königliche Geiseln.

Es war das erste Mal, daß er zugab, daß sie kein Gast mehr war.

Der Pöbel hatte dreifache Barrikaden aus Steinblöcken errichtet, so daß weder die Kanopische Straße noch die Straße des Soma passierbar waren. Caesar hatte seinerseits Kräfte im Palast zusammengezogen und sein Hauptquartier in die Bankettsäle verlegt, wo auf den kostbaren Elfenbein- und Rosenholztischen Karten ausgerollt wurden. Die Alabasterböden bebten vom stampfenden Stiefelschritt der Zenturionen, Hauptleute stürmten bei Tag wie bei Nacht hinein oder hinaus, übermittelten Berichte oder wohnten hastig einberufenen Konferenzen bei.

Caesar schien die ganze Angelegenheit als Spiel zu betrachten.

Der Wind heulte und warf sich gegen die Wände des Palasts. Der Schein des großen Leuchtfeuers von Pharos drang als einsames Licht durch die Öde der Winternacht. Kleopatra hatte damit gerechnet, daß Caesar sie mit derselben Gewalt nähme, die ihm so häufig zu eigen war, doch in dieser Nacht war er behutsam und ließ sich Zeit, als wolle er zum wilden Tosen des Sturms einen Kontrapunkt setzen.

Oftmals war es ihr, als verließe sie ihren Körper und schaue ihrem Liebesspiel aus der Ferne zu, hoch oben schwebend unter der Decke des Schlafgemachs. Sie sah die verschlungenen Gliedmaßen auf dem Leopardenfell. Die Konturen im tanzenden Schimmer des Lampenlichts, das im Zugwind von Fenstern und Türen flackerte. Sie sah seine nackten Schultern und den Rücken, der von alten Narben übersät war, sah, wie er sich über ihr aufrichtete wie ein Löwe über der Beute. Ihre Knöchel fest über den Stamm seiner Wirbelsäule gekreuzt, wölbte sie sich ihm entgegen. Langsam begann er, sich zu bewegen, mit weich moduliertem Rhythmus darauf wartend, daß sie ihm folgte.

Diese Nacht war jedoch anders als die vorausgegangenen. Plötzlich war sie keine entfernte Beobachterin mehr, sondern spürte erstmalig den erregenden Kitzel des eigenen Körpers, eine nie dagewesene Wärme, die ihr aus Waden und Schenkeln in die Bauchhöhle kroch. Sie schloß die Augen, war ganz nah bei ihm, Teil des Schattenballetts, während sich die Hitze in ihrem Körper ausbreitete wie ungezähmtes Feuer. Zögernd überließ sie sich der unbekannten Sehnsucht, die Hände auf der Decke ballten sich zu Fäusten. Ihr Rücken bäumte sich auf, die Muskeln in den Schenkeln spannten sich, während sich ihrer ein Drängen bemächtigte, das Körper und Geist zu wilden Zuckungen zwang.

Dann war es, als würde die Dunkelheit aufblitzen in einer Explosion des Lichts, rasch wie das Streifen des Todes, danach ein Loslassen und bedingungsloses Sichaufgeben an das, was war. Zuletzt durchlebte sie ein so tiefes und atemloses Gefühl der Freude und Erleichterung, wie sie es noch nie empfunden hatte. Als er zum Ende gekommen war, klammerte sie an ihm wie Treibgut im schäumenden Meer, mit hämmerndem Herzen und einem weit aufgerissenen Mund, der um Atem rang. Ganz zum Schluß schien ihr Körper zu glühen wie die Holzkohle in der Metallpfanne, die in der Ecke des Raumes stand. Als sie die Augen zumachte, gab es keine Dunkelheit, sondern nur die tausend Farben schimmernder Seide. Dann schlief sie ein.

Sie wurde abrupt wach, wußte sofort wieder, wo sie war und was geschehen war. Caesar schlief neben ihr, hatte den Arm achtlos über ihre Brust geworfen, den Kopf an ihrer Schulter. Während sie ihn betrachtete, wurde sie von einer plötzlichen Woge der Zärtlichkeit überrollt und verachtete sich dafür. Der Verrat des Herzens.

»Julius«, wisperte sie und fuhr mit der Spitze des Zeigefingers über seine Wange. Wie schwach ich bin, dachte sie. Das hier habe ich nicht gewollt.

Mit einemmal drangen laute Rufe aus den Gärten an ihr Ohr, Metall schlug auf Metall, das Getrappel schwerer Stiefel. Ein markerschütternder Schrei. Sie begriff, daß dies die Geräusche waren, die sie geweckt hatten. Caesar war sofort wach, mit dem Instinkt des Soldaten sprang er aus dem Bett, machte ein paar Schritte zum Fenster und starrte angestrengt in die Dunkelheit. Kleopatra fühlte, wie ihr das Herz schmerzhaft gegen die Rippen schlug. Vielleicht hatten die Aufständischen die Barrikaden durchbrochen.

»Was geht da draußen vor sich?« fragte sie.

»Es ist nichts«, antwortete er. »Meine Männer kümmern sich bereits darum.« Fast zur gleichen Zeit hörte sie, wie Stiefel über die Gänge auf ihr Schlafgemach zudonnerten. Eine Faust hieb gegen die Tür. Caesar ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Ohne Eile legte er seine Tunika an.

»Komm herein«, sagte er und verschränkte die Arme vor der Brust.

Einer der Zenturionen trat ein und hielt einen kleinen tropfenden Sack in der Hand. Caesar machte eine zustimmende Kopfbewegung, und der Mann öffnete das durchnäßte Bündel. Zutage kam ein Kopf, der jedoch nur noch mit Mühe zu erkennen war. Alles Leben und alle Farbe waren daraus entwichen, doch ein Rest Blut sickerte noch aus den durchtrennten Adern des Halses.

Caesar wandte sich zu Kleopatra um. »Weißt du, wer das ist?« fragte er so beiläufig, als handele es sich um einen ausländischen Würdenträger, den er anläßlich eines Banketts erspäht hatte.

»Das ist Pothinos«, antwortete sie. Und weil Caesar nicht reagierte, fügte sie hinzu: »Er hat allerdings einiges an Gewicht verloren.«

Caesar warf den Kopf in den Nacken und lachte vor Entzücken laut auf. »Stimmt. Auch erschien er mir früher größer.« Ein leichtes Kopfnicken, und der Mann stopfte den Kopf in den Sack zurück. »Ich danke dir, Zenturio. Du kannst ihn den Hunden vorwerfen.«

»Es gab ein Mißgeschick, Imperator«, sagte der Zenturio betreten. »Der General - Achillas. Man konnte ihn nirgendwo finden.«

»Pech. Er muß gewarnt worden sein.«

Er entließ ihn mit einem weiteren Nicken. Der Soldat grüßte und verschwand.

Caesar wandte sich erneut Kleopatra zu. »Während wir schliefen, fand eine Abrechnung statt. Es wäre mir lieber gewesen, wir hätten das ganze Nest ausgerottet, doch was soll man machen?«

Er hat es von Anfang an geplant, ging es ihr durch den Kopf. Von dem Moment an, in dem der Regentschaftsrat beschloß, Pompejus zu töten, war dessen Schicksal besiegelt gewesen. Insgeheim war Caesar zweifellos froh, daß sie ihm die Arbeit abgenommen hatten, doch der Römer in ihm konnte es nicht durchgehen lassen. Im Namen Roms hatte er sich gerächt und damit einen zweifachen Sieg verbucht.

»Du hattest nie die Absicht, ihn am Leben zu lassen«, sagte sie.

»Natürlich nicht. Schade jedoch, was Achillas betrifft.«

Seine Unbarmherzigkeit hätte sie erschrecken müssen, doch statt dessen erfüllte sie sie mit Ehrfurcht. Nie hatte er Groll gezeigt, nie seine Absichten verraten. Fraglos lag darin der Grund, daß er so mächtig geworden war und so gefürchtet in Rom. Ob ich lernen kann, ebenso entschlossen zu handeln?

»Und was beabsichtigst du nun zu tun?« erkundigte sie sich.

»Ich bin zu beschäftigt, um gegen Ägypten zu kämpfen. Vielleicht können wir nun, da sich der Fall Pothinos erledigt hat und Alexandria ein neues Königspaar besitzt, zur Normalität zurückkehren.«

»Und ich?«

»Du hast jetzt, was du wolltest, Kätzchen. Die Schmutzarbeit habe ich für dich getan. Ich bin sicher, daß du mit Antiochos fertig wirst, jetzt, da wir den Regentschaftsrat aufgelöst haben.« Er lächelte ein wenig spöttisch. »Oder etwa nicht?«

Du hast jetzt, was du wolltest, Kätzchen. Es klang kühl, so als glaubte er, er sei derjenige, der benutzt worden war. Doch er hatte recht; in vieler Hinsicht hatte sie, was sie wollte. Natürlich würde sie mit Antiochos, Achillas und den anderen fertig.

Doch seit sie wieder im Palast war, hatte sich ein neuer Wunsch wie ein ungebetener Gast in ihr eingenistet, der politisch gesehen sogar Sinn ergab. Ich kann dir nützlich sein. Du kannst mir sehr nützlich sein, dachte sie.

Du hast jetzt, was du wolltest, Kätzchen.

Nein, Julius, nicht alles. Denn nun will ich dich.

17

Ein kalter, strahlender Wintermorgen, Wolken fegten über den Himmel, die Brandung donnerte an den Turm der Insel Pharos und peitschte die Gischt hoch in die Luft. Drüben im Westhafen schlingerten die riesigen Lastkähne, die barides, und zerrten an den vertäuten Ankern. Zu ihren Füßen, unterhalb des Brucheion und entlang der Werften, befanden sich Caesars Kriegsschiffe aus Rhodos, fünfzig römische Dreiruderer, die sich mit den Wellenbergen hoben und senkten. Dann bei den Lagerhäusern und Getreidespeichern über sechzig ihrer eigenen Kriegsschiffe, Zwei- und Dreiruderer, die Flotte, die sich gegen sie gewandt hatte. Masten, die sich in den Himmel bohrten.

Kleopatra stand am Fenster ihres Schlafgemachs und hatte Caesars schweren, mit Bärenfell gefütterten Ledermantel eng um die Schultern gezogen.

Du hast jetzt, was du wolltest, Kätzchen.

Warum hast du das getan? Warum hast du dich auf meine Seite geschlagen? dachte sie. Vom ersten Schritt an, den ich hierher gemacht habe, war ich in deiner Hand. Du hättest ein kleines Häppchen Ägypten kosten und mich dennoch verraten können, hättest Ptolemaios als Vasallenkönig behalten können, ohne je zu den Waffen greifen zu müssen. Pothinos hätte sich schließlich einverstanden erklärt, die Schuld meines Vaters zu begleichen, wenn du ihm geholfen hättest, mich loszuwerden.

War der Grund wirklich die frevlerische Tat, die an Pompejus begangen wurde? Oder war es nur eine Laune deinerseits? Du scheinst mir ein Mann, der sich Freiheiten gewährt, allein weil er es vermag. Du machst, was du willst, und nichts kann dich hindern.

Ich würde gern glauben, daß du es aus einem Gefühl für mich heraus getan hast, doch ich weiß, daß dem nicht so ist. Sind es politische Erwägungen, die dich lenken? Ist es Berechnung? Ich weiß, du planst etwas, aber ich weiß nicht, was es ist.

Ein blauer, bitterkalter Tag in Alexandria. Ein Tag, an dem es sich gut leben ließ. Ein Tag zum Pläneschmieden. Caesar stand auf der Terrasse und stemmte sich gegen den Wind. Die Kälte brannte ihm auf den Wangen.

Der Arm des Festlandes umschloß den Königlichen Hafen bis hin zum Damm mit den Arkaden, ein wuchtiger Bogen, dahinter der Westhafen. Und dort, neben dem großen Tor des Isistempels, erhob sich das Wunderwerk der Insel Pharos. Zeus, der sich über dem runden Turm in den Himmel schwang. Welch eine Baukunst! Der viereckige Kalksteinsockel, darüber das achteckige Gelaß aus rosafarbenem Marmor, auf der Spitze der Turm aus dem purpurroten Granit Assuans. Mit dem Licht des Tages wechselten die Farben, vom blassen Rosa der Morgendämmerung bis hin zum blutigen Rot des Sonnenuntergangs.

Wenn er sich umdrehte, erkannte er hoch über dem Dach des Palastes den eckigen Turm mit dem konischen Dach, die Grabstätte Alexanders. Der Alabaster und Marmor des Brucheion glitzerte so weiß, daß es ihn blendete und er sich abwenden mußte.

Eine einzigartige Stadt, dachte er. Im Vergleich dazu wirkt Rom wie ein Dorf aus Lehm.

Auch der Palast war von erstaunlicher Fülle und Pracht. Stühle aus Ebenholz und Elfenbein, Truhen, über und über mit Gold besetzt, arabischer Weihrauch in Dreifüßen aus Bronze und Silber, die Böden gekachelt mit rotem und schwarzem Porphyr. Und doch war es keine Stadt, die sich allein den Sinnen ergab, wie man hätte meinen können, sondern ein Hort der Bildung. Eine schier grenzenlos scheinende Sammlung an Schriften, eine Bibliothek mit jedem namhaften Werk der Welt, alles, was sich der zivilisierte Mensch für seine Muße erträumte.

Trotzdem - bis zum großen Auftritt der hübschen kleinen Königin wäre er es zufrieden gewesen, den ägyptischen Halunken ein wenig Furcht einzuflößen und sich eine Atempause zu gönnen nach den endlosen Kriegszügen in Britannien, Gallien und zuletzt nach dem Gerangel mit Pompejus.

Doch diese dunkelhaarige kleine Abenteurerin hatte ihn auf eine neue Idee gebracht. Abgesehen davon, daß es ihm körperlich wie seelisch Vergnügen bereitete, mit dieser jungen, lebhaften Königin des Orients ins Bett zu steigen, bot sich auch ein politischer Schachzug, wenn man es geschickt einfädelte. Mit dem richtigen Bündnis an der Hand konnte er sich die größte Kornkammer der Welt zu eigen machen.

Pothinos war kein Mann gewesen, der sein Fähnchen nach dem Wind hängte, das hatte er gleich erkannt. Ein fanatischer Nationalist, das Gefährlichste auf der Welt, was man sich denken konnte. Daß sich hier Kopf und Körper ein freundliches Lebewohl entbieten mußten, war sonnenklar gewesen.

Inzwischen hatte er die Lage schon weitaus besser im Griff. Die ägyptische Hilfe würde er brauchen, wenn er seine Ziele in Rom verwirklichen wollte. Die Anhänger Pompejus' waren noch nicht geschlagen. Dessen Söhne hatten sich nach Afrika verzogen, und der Tag würde kommen, an dem er ihnen folgen und sie stellen müßte. Das zu bewerkstelligen würde einiges kosten. Und was war Ägypten letztlich anderes als eine riesige Schatztruhe?

Er selbst war der Schlüssel dazu. Und Kleopatra besaß das zarte, rosige, wohlriechende Schlößchen.

Seit Jahren waren Kleopatra und ihre Schwester bis auf den Austausch leerer Höflichkeitsfloskeln nicht fähig, miteinander zu reden, ohne sich alsbald wie Wildkatzen an die Gurgel zu gehen. Inzwischen war es ihnen zur Gewohnheit geworden, nur noch das Nötigste zu sagen, doch selbst das fiel ihnen schwer.

Seit dem Tag ihrer Krönung waren sie sich nicht mehr begegnet. Kurz nach Pothinos' Tod sah Kleopatra jedoch, daß jene über die Palastgänge auf sie zugerauscht kam - eine Woge aus Seide, Parfüm und Verachtung. Ganymedes war an ihrer Seite.

Sie wollte bereits in eine andere Richtung schauen und vorbeieilen, doch zu ihrer Überraschung hielt Arsinoe sie an.

»Schwester«, grüßte Kleopatra sie, während sie sich fragte, was die andere wohl von ihr wollte.

Arsinoe bedachte sie mit einem geringschätzigen Lächeln. »Nun, du hast es ja offenbar geschafft. Endlich konntest du es dir einmal von einem Römer besorgen lassen.«

Kleopatra schnappte nach Luft. Welch eine Ausdrucksweise! Hätte sie nicht wenigstens erst ein oder zwei einleitende Sätze über das Wetter von sich geben können? Höchst bedauerliche Manieren.

Ganymedes' Gesicht war sehenswert. Er zupfte seinen Zögling am Ärmel. »Erlauchte! Das sollten wir nicht tun«, flehte er weinerlich.

»Maße dir nicht an, mir Vorschriften zu machen, du fette Kröte!«

Noch nicht einmal achtzehn Jahre alt, dachte Kleopatra bei sich, und schon eine kleine Schlange.

»Du bist genau wie Vater«, fauchte Arsinoe. »Du hast ihnen so lange die Füße geleckt, bis es nur eine Frage der Zeit war, daß man dich besteigt.«

Ich werde mich hüten, meinen Atem zu verschwenden, dachte Kleopatra. Wenn sie nicht begreift, was sie tut, werde ich ihr nicht auf die Sprünge helfen. Man übersandte dem Feind den Schlachtplan schließlich nicht im voraus.

Ganymedes bat seinen Schützling flüsternd, doch mit ihm weiterzugehen.

»Auf daß du tausend Tode stirbst«, zischte Arsinoe noch, bevor sie sich auf den Weg machte. Ganymedes huschte hinter ihr her. Kleopatra sah ihnen kopfschüttelnd und in Gedanken versunken nach.

18

Die Vorhänge der Fenster aus weißer, hauchdünner Seide blähten sich und tanzten in der Brise um die mondbeschienenen Säulen. Der vergangene Nachmittagssturm hatte das Meer wieder aufgewühlt, der wuchtige Aufprall der Wellen gegen die Landzunge hallte wie ferner Donner.

Der Onyxboden unter ihren Füßen war kühl. Caesar hörte nicht, wie sie den Raum betrat. Ihr Schatten fiel plötzlich über den Tisch, an dem er schrieb, und er hob überrascht den Kopf. Sie war nackt.

Sie hielt ihm den Weinpokal entgegen, doch er schob ihn fort. Wortlos legte er den Stylus ab, stand auf und ging auf sie zu. Dieses Mal hatte Kleopatra jedoch beschlossen, daß sie ihn verführen würde. In dieser Nacht wollte sie seine sanfte Meisterin sein, etwas von der natürlichen Macht ausüben, die sie als Frau besaß, und endlich Gebrauch machen von dem, was sie bei der heterai gelernt hatte.

Als er nach ihr greifen wollte, packte sie ihn bei den Handgelenken und legte sie an seinen Körper.

»Zieh dich aus«, flüsterte sie.

Sie war nervös. Sie hatte so etwas noch nie zuvor getan, hatte nie gedacht, daß sie so etwas einem Mann zuliebe machen würde.

Caesar war neugierig geworden und tat, wie ihm geheißen.

Sein Körper war übersät mit Narben, runzelige häßliche Erinnerungen an Hunderte von Schlachten. Trotz seiner Jahre war sein Bauch hart wie Rosenholz, Brust und Schultern waren von festen Muskelsträngen durchzogen. Er war nicht behaart, weder auf der Brust noch auf den Schenkeln. Mardian hatte ihr anvertraut, daß man munkelte, er ließe sich die Haare mit glühendheißen Walnußschalen absengen.

Sein Glied war angeschwollen. Caesar, dachte sie, Gott der Fruchtbarkeit, so wie Osiris. Und ich bin Isis, die über deinen Körper streicht, um zu empfangen und zu nähren.

Nie hätte sie sich vorgestellt, so vor einem Mann zu knien. Doch sie tat es, wie Rachel es ihr vorgemacht hatte. Zuerst war sie befangen, doch ermutigt von seinem Stöhnen vergaß sie für einen Augenblick, daß sie Königin war und er nur ein Barbar.

Was immer er auch vorhat, dachte sie, in diesem Augenblick ist er in meiner Hand.

Sie hielt abrupt inne, so wie sie es von Rachel in Erinnerung hatte, und zwang ihn sanft auf das Bett. Dann nahm sie einen Schluck aus dem Weinpokal und bewahrte ihn im Mund, kühl und prickelnd. Dann beugte sie sich über ihn, küßte ihn und ließ den Wein in seinen Mund tröpfeln, spürte die Nässe auf seinem Kinn.

Sie setzte sich auf ihn und führte ihn ein, hielt ihn hin, wehrte sich gegen sein Drängen. Er hatte sie an den Hüften gepackt, riß sie fort mit seinen Stößen. Kleopatra stöhnte so laut auf, wie Rachel es getan hatte. Doch bei ihr war es kein Theater, denn sie erfuhr abermals dieses köstliche, wunderbare Gefühl, das sich ihres Körpers bemächtigen konnte. Seine Stöße wurden hastiger, heftiger. Im Mondlicht erblickte sie sein Gesicht, erkannte die Überraschung, den Schreck und die Erleichterung auf seinen Zügen, wie sie sie zuvor schon auf den Gesichtern Sterbender gesehen hatte.

Doch es gab eine Lektion der Jüdin, die sie nicht übernahm. In jenem letzten Moment stieß sie sich nicht von ihm ab. Statt dessen ließ sie ihn in sich eintauchen, wünschte, daß sein Samen den Weg in ihren Schoß fand.

Es geschah ohne Vorwarnung.

Sie waren eines Abends allein in ihren Gemächern, als Caesar plötzlich einen dünnen Schrei ausstieß und zu Boden stürzte. Der Rumpf war starr, das Gesicht blau, mit blutigem Schaum auf den Lippen, während die Gliedmaßen wild zu zucken anfingen.

Wie gelähmt schaute Kleopatra auf ihn hinab. Der einzige Gedanke, der ihr durch den Sinn schoß, war, daß ihn jemand vergiftet hatte. Achillas! Er hatte sie überlistet!

Mit jähem Entsetzen wurde ihr klar, daß ihr Leben, wenn Caesar nun stürbe, noch immer gefährdet war. Sie brauchte Caesars Soldaten und seinen Einfluß als Schutz, nicht nur vor Achillas, sondern auch vor Rom.

Caesar lag auf dem Rücken, der Atem entwich rasselnd aus seiner Brust. Kleopatra rannte zur Tür und schrie die erschrockenen Wachen an, einen Arzt zu holen.

Dann lief sie zurück, nahm seinen Kopf in die Arme und wiegte ihn hin und her. Bitte, stirb nicht. Ich habe alles auf dich gesetzt. Du darfst nicht sterben!

Decimus Brutus kam in den Raum gestürmt und kauerte sich neben sie. »Was ist passiert?«

»Er ist einfach zusammengebrochen«, antwortete sie. »Sein Körper hat sich versteift und dann angefangen zu zittern. Er hustet Blut.«

Decimus nickte. Es schien, als atme er auf. »Das ist nur die Fallkrankheit«, beruhigte er sie. »Schaut. Er hat sich in die Zunge gebissen. Helft mir, ihn zum Bett zu tragen. Das hier geht vorüber.«

Decimus schickte die Wachen aus dem Raum, die mit aufgerissenen Mündern dagestanden hatten.

Dann sah er Kleopatra eindringlich an. »Die Fallkrankheit trifft nur die, in denen die Götter wohnen. Es ist das Zeichen des Erhabenen.«

»Er wurde nicht vergiftet?«

Decimus schüttelte den Kopf. »Er wird sich wieder erholen. Wenn er aufwacht, murmelt er Dinge, die niemand versteht. Dann sprechen die Götter aus ihm. Nach einer Weile verlassen sie ihn wieder, und er ist derselbe wie zuvor.«

Es geschah genau so, wie Decimus vorausgesagt hatte. Wenig später schlug Caesar die Augen auf, murmelte etwas Zusammenhangloses und erkannte Kleopatra nicht, als sie ihn in die Arme nehmen wollte. Decimus sprach mit sanfter Stimme zu ihm, und schließlich schlief Caesar ein.

Als er am folgenden Morgen aufwachte, erhob er sich wie gewöhnlich, ging zum Vorderraum und befahl den Sklaven, ihm Wein und Brot herbeizuschaffen, so als wäre nichts geschehen.

Sie stand in der Tür zum Schlafgemach und beobachtete ihn. »In der vergangenen Nacht ist dir etwas zugestoßen«, sagte sie.

Sein Blick wurde wachsam. »Bin ich gefallen?«

»Ich dachte, man hätte dich vergiftet.«

Er schaute weg. »Nun weißt du also um Caesars Geheimnis.« Er verzehrte sein karges Frühstück und ließ anschließend den tonsore und die Kammerherren rufen.

»Decimus sagt, es bedeutet, daß du ein Gott bist.« Caesar lächelte. »Zum Glück glaube ich nicht an solche Ammenmärchen«, erwiderte er, doch er sagte es so leichthin, als sei es nur ein Lippenbekenntnis. »Du wirst mit niemandem darüber reden, hast du verstanden?«

Sie hatte verstanden. Doch ihr kam erstmalig der Gedanke, daß Caesar womöglich doch mehr war als nur ein einfacher römischer Konsul und Imperator. Vielleicht war auch er ein Gott und keineswegs ein Barbar. Vielleicht hatte Isis ihren Osiris gefunden, ihren Stier und Gefährten.

19

Die Straßen Alexandrias lagen noch im Dunkeln, als Kleopatra erwachte. Sie hörte den Lärm, erhob sich vom Lager und ging zum Fenster. Die Römer strömten aus den Palasttoren, die dröhnenden Stiefel hallten auf den Pflastersteinen, dazwischen das Geklirr von Rüstungen und Waffen. Sie trugen Fackeln. Ihr Zug glich einer sich windenden Schlange aus Flammen und Rauch.

Sie hörte die rauhen Laute Kämpfender, die vom Hafenbecken zu ihr drangen. Die Soldaten hatten die Barrikaden durchbrochen und hielten auf die Dämme zu.

Caesar trat neben sie. »Komm wieder ins Bett«, raunte er ihr ins Ohr. »Das ist nur Geplänkel. In einer Stunde ist alles vorbei.«

Ein rosiger Schein, so als würde der Morgen bereits dämmern, stieg über dem Westhafen auf, gefolgt von einem gelbroten Funkenregen und einer schwarzen Rauchwolke, die vor dem blauvioletten Himmel verharrte. Brennende Schiffsrümpfe trieben auf die Docks zu. Caesars römische Galeeren standen in Rammen. Kleopatra sah, wie eine von ihnen Kurs auf die ägyptischen Kriegsschiffe nahm und das Feuer auf sie übertrug.

»Was geht da vor sich?« wisperte sie.

»Achillas hat versucht, meine Schiffe zu entern, und ich besitze nicht genug Männer, um sie zu verteidigen. Daher habe ich befohlen, daß sechzig Galeeren in Brand gesetzt und auf Achillas' Flotte zugesteuert werden. Zudem schleudern meine Soldaten von den Werften aus brennende Fackeln an Bord seiner Schiffe. Damit sollte das Problem gelöst sein. Wenn du zur Landzunge hinüberschaust, siehst du, daß meine Männer die übrigen Galeeren besteigen, um zum Pharos zu gelangen. Sie besetzen den Leuchtturm. Von dort aus kontrollieren wir die Hafenpassage. Achillas ist außer Gefecht gesetzt. Das ganze Vorgehen diente nicht nur dem Zweck, den Gegner zu schwächen, sondern täuschte auch über unsere eigentliche Absicht hinweg.«

In den engen Kaimauern war es für die Flammen ein leichtes, sich auszubreiten. Das Feuer hatte die Flotte im Nu erfaßt. Im grauen Morgenlicht sah Kleopatra, wie sich Männer von einem Vierruderer ins Wasser stürzten, während die Flammen hungrig über die pechbestrichenen Decks züngelten. Auch auf eines der Lagerhäuser waren die Flammen übergesprungen.

»Der Krieg ist von großer Schönheit«, sagte er leise. »Er übt sowohl Körper wie auch Verstand. Man überlistet den Feind und bezwingt ihn. Fast ist er eine Kunst. Aber jetzt komm wieder ins Bett.«

Dann nahm er sie, mit der rauhen Gewalt und der Gier des Soldaten. Über seine Schulter hinweg sah Kleopatra, wie der Widerschein des Feuers die zedernen Deckenbalken rosarot färbte. Er tut meiner Stadt Gewalt an, ebenso wie mir, dachte sie. Und dennoch kann mein Herz ihn nicht hassen.

20

Die Öllampen waren angezündet worden, und Caesar arbeitete still an seinem Schreibtisch. Er schrieb seine Kommentare über den gallischen Krieg nieder, in dem er seinen Gegenspieler, Vercingetorix, besiegt hatte. Kleopatra sah ihm zu, hörte, wie der Stylus über die Papyrusrollen kratzte, und merkte, daß sie rastlos wurde. Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie der Langeweile ausgesetzt.

Als sie nach dem Tod ihres Vaters die Regentschaft übernahm, hatte sie die Stunden des Tages mit ihren Ministern und Ratgebern verbracht oder endlosen Zusammenkünften mit den strategoi beigewohnt, um die Verwaltungsgeschäfte zu regeln. Sogar im Exil waren die Tage Regierungsangelegenheiten gewidmet gewesen, Mardians Spitzel mußten befragt, Strategien geplant, Gelder aufgebracht und Söldner für die Armee angeworben werden.

Nun war sie zwar abermals Königin von Ägypten, doch die Grenzen des Landes reichten nicht weiter als die des Palastes, und die Regierungsgeschäfte nahm Caesar wahr. Sie war nur dem Namen nach Königin - in Wirklichkeit war sie eine Gefangene Roms. Sie hatte nichts zu tun, außer Caesars Vergnügen zu dienen, und wenngleich ihr diese Pflicht weniger lästig war als gedacht, so entsprach doch weder das Nichtstun noch die Rolle der Sklavin ihrer Natur.

Achillas' Versuch, den Hafen zu übernehmen, war an Caesars Finte gescheitert. Jener hatte sich inzwischen mit dem Rest seiner Flotte in den Westhafen zurückgezogen. Die Römer hielten den Leuchtturm besetzt und kontrollierten den Zugang zum Königlichen Hafen. Die Position schien gesichert. Nur ein frontaler Angriff konnte sie jetzt noch vertreiben.

Zur Vergeltung hatte Achillas versucht, ihnen die Wasserzufuhr abzuschneiden. Das Trinkwasser stammte aus unterirdischen Kanälen, die sie mit dem Wasser des Nils versorgten. Achillas hatte es geschafft, diese Leitungen zu unterbrechen und hatte statt dessen Meerwasser in die Brunnen gepumpt. Einige Tage lang hatten Caesars Soldaten ausschließlich von Wein gelebt.

»Für die Kelten unter ihnen ist das kein Problem«, hatte Caesar lachend gesagt. Doch des Nachts hatte er einen Trupp Soldaten ausgesandt, die am Strand frische Brunnen gruben, und am folgenden Morgen hatten sie eine neue Wasserquelle entdeckt.

Auf diese Weise ging es immer weiter, Zug um Zug, ein reiner Nervenkrieg. Caesar war es zufrieden, abzuwarten und zu planen. Er schien die ganze Angelegenheit für ein Spiel zu halten.

Kleopatra strich durch ihr Gemach und lief die Grenzen ihres Gefängnisses ab. Sie ließ eine Sklavin rufen, damit diese ein Würfelspiel mit ihr spielte, schickte sie jedoch nach wenigen Runden wieder fort. Sie schaute aus dem Fenster, doch den Anblick des Hafens war sie mittlerweile so leid wie die Gitter eines Käfigs. Sie seufzte hörbar.

Caesar sah vom Schreibtisch auf. »Bist du unglücklich?« fragte er.

»Ich habe nichts zu tun.«

»Laß dich von den Sklavinnen massieren oder baden.«

»Es ist nicht mein Körper, der der Beschäftigung bedarf, sondern mein Geist.«

Er warf ihr einen Blick zu, als habe sie ägyptisch mit ihm gesprochen. Offenbar konnte er sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, daß ihm eine Frau intellektuell ebenbürtig war. Er mochte noch so außergewöhnlich sein, doch in vieler Hinsicht war er so rückständig wie alle Römer.

»Römische Frauen langweilen sich nie.«

»Was machen denn römische Frauen?«

Er wandte den Blick ab. »Das weiß ich nicht. Sie wirken jedenfalls zufrieden.«

»Was werden wir tun?« fragte sie.

»In welcher Hinsicht?« antwortete er etwas gereizt.

»Was Achillas betrifft.«

»Im Moment tun wir gar nichts, Kätzchen.« Kätzchen. Sie hätte aus der Haut fahren können, wenn er sie so nannte. »Ich warte auf die Siebenunddreißigste Legion aus Rhodos. Mithridates, mein syrischer Vasall, schickt weitere Truppen auf dem Landweg, und Malchos aus Nabatäa hat mir Reiter zugesagt. Wenn die Verstärkungstruppen eintreffen, kümmern wir uns um deinen Hauptmann der Wache und seine Halunkenarmee. Bis dahin bleiben wir im Palast und warten.«

Warten, dachte sie. Immer nur warten! Wie lange noch?

Er legte den Stylus nieder und schenkte ihr das vertraute Lächeln. »Komm her, Kätzchen.«

Das, denkt er also, brauche ich. Als ob ich den ganzen Tag darauf gelauert hätte, daß er die Arbeit beendet, um mir Vergnügen zu bereiten. »Ich glaube, ich gehe ein wenig spazieren«, sagte sie und marschierte hocherhobenen Hauptes aus dem Raum.

Sie saß lange auf dem einsamen, windgepeitschten Felsen der Landzunge. Danach begab sie sich zum Tempel der Isis, um sich der Beschützerin der Frauen anzuvertrauen und um Rat zu bitten für ihr bekümmertes Herz und ihre gespaltene Seele.

21

Arsinoe stand am Fenster, Quecksilbertupfer vom Wasser des Hafens tanzten über sie hinweg. Caesar betrachtete sie abschätzend. Schön wie Aphrodite, mit hellem Haar und hauchdünnem weißem Gewand. Eine Frucht, reif für die Ernte von fester Hand. Welch köstlicher Gedanke, den weichen Leib dieser Göttin zu besitzen. Eine reizbare Göttin, wie es den Anschein hatte, mit trotzigen Augen und schmollendem Mund. Nun, wenn sie ihn ließe, würde er sie schon zu zähmen wissen.

Caesar streckte sich auf dem Ruhelager aus. »Kommt. Setzt Euch«, forderte er sie auf.

Arsinoe wandte sich vom Fenster ab und bedachte ihn mit einem eisigen Blick, der ihn amüsierte. Ob sie ihn einzuschüchtern gedachte? »Ihr habt nach mir gesandt«, erwiderte sie frostig.

»In der Tat. Caesar bat um das Vergnügen Eurer Gesellschaft.«

»Und Arsinoe muß dieser Bitte entsprechen«, entgegnete sie höhnisch. »Ich bin ja schließlich Eure Gefangene.«

»Meine Gefangene? Glaubt Ihr das wirklich?«

»Kann ich denn den Palast verlassen, wenn ich es wünsche?«

»Jederzeit. Caesar sorgt sich lediglich um Eure Sicherheit.«

Arsinoe verschränkte mürrisch die Arme vor der Brust und drehte sich wieder zum Fenster. Welch eine Hexe, dachte er.

Er stand auf und trat hinter sie. »Habt Ihr Eure Situation je genauer bedacht?« fragte er. »Wenn Eurer Schwester etwas zustieße, wäret Ihr doch Ptolemaios' Mitregentin.«

»Ptolemaios war Pothinos' Werkzeug. Er ist ein Schwächling und ekelt mich an.«

»Sieh an. Dann gibt es doch etwas, das Ihr mit Caesar gemeinsam habt.« Er legte den Arm um ihre Taille. »Ihr seid sehr schön«, flüsterte er.

Sie wand sich geschickt aus seinem Arm. Ihre Lippen verzogen sich verächtlich. »Ihr Römer denkt, Euch gehört die ganze Welt!«

»Und - ist dem nicht so?«

»Nun, ich gehöre Euch nicht!«

»Nicht auf jede Weise, das gebe ich zu. Ein Zustand, der sich jedoch leicht ändern ließe. Vielleicht wäre es sogar zu Eurem Besten.«

»Meine Schwester mag sich vor Euch erniedrigen. Doch es gibt noch ein Mitglied des Hauses Ptolemaios, das sich den Stolz bewahrt hat.« »Stolz gewinnt man nur durch Macht. Welche Macht besitzt Ihr außer der, die Caesar Euch gewährt?«

»Die Macht, Euch abzuweisen!«

»Auch diese ließe sich beiseite räumen.«

Sie schenkte ihm einen hochfahrenden Blick. »Wagt es nicht!« Hinreißend. Ganz hinreißend. Aber nicht klug. Er befand, daß sie ihm in keiner Weise dienlich sein konnte.

Seufzend sagte er: »Ihr habt Euch zu lange mit Eunuchen umgeben.«

»Es gibt Männer, die einer Frau ihre Gesellschaft vorteilhaft erscheinen läßt.«

»Dort ist die Tür«, bemerkte er. »Geht, wann immer Ihr wollt.«

Sie rauschte an ihm vorbei.

Die Welt lag in seiner Hand, genau wie ihr Schicksal, und doch wollte sie ihm nicht gefällig sein. Es gab Frauen, die konnte er nicht begreifen.

22

Caesar hatte sich auf eine Ruhebank gelegt und studierte den Bericht eines seiner Befehlshaber. Er schaute von der Wachstafel hoch und tat, als sei er überrascht, Ptolemaios vor sich zu sehen. Dabei hatte er seinen Wachen befohlen, den Jungen zu holen.

Der dumme Junge machte einen ausgesprochen unglücklichen Eindruck. Erst hatte Pothinos ihn ins Elend geführt und dann einfach sitzenlassen, um Caesar den Kopf hinzuhalten. Die Welt war wirklich ungerecht.

»Der liebe Achillas nähert sich Alexandria«, sagte Caesar.

Wie schön, dieses Mal gab es keine Tränen. Der Junge war nur verstockt, die dicken Lippen zu einem mürrischen Strich zusammengepreßt, den Blick auf den Teppich gerichtet. »Achillas handelt auf eigene Faust. Ich bleibe Caesar ergeben, auch meiner Mitregentin und Schwester.«

Caesar nickte zustimmend. »Eine erfreuliche Einstellung! Wie schade, daß es der anderen Schwester an gleicher Löblichkeit mangelt.«

Ptolemaios schaute erstmalig auf, unfähig, die Überraschung zu verbergen. Hatte er tatsächlich nichts gewußt? Die Kunde nicht vernommen? Ohne Pothinos keine Spitzel? Der Junge schien hilflos zu sein wie ein neugeborenes Kind.

»Es scheint, daß sie und diese... Kreatur, Ganymedes, sich Achillas angeschlossen haben. Sie hat sich zur Königin ernannt. Gesegnetes Land Ägypten! Anderswo wäre man bereits froh, nur einen Monarchen zu haben. Ägypten hingegen besitzt deren nun drei.«

Ptolemaios' Verwirrung nahm zu. Das kann er nicht gleich verarbeiten, vermutete Caesar. Ob er sich vorgaukelt, Arsinoe teile mit ihm die Macht, falls sie gewinnt? Dieser kleine Schafskopf ist wie ein Würfel hin und her gerollt worden. Jeder hat sein Glück mit ihm versucht, bis man ihn einfach hat fallen lassen. Nun muß er mit ansehen, wie sich die Namen der Toten und Abgebliebenen häufen.

Also klammerte er sich an Caesar.

»Habt keine Furcht«, sagte Caesar. »Ich gewähre Euch Schutz.«

Sein Gesicht war Gold wert. So etwas müßte man als Mosaik zu Hause auf dem Palatin haben. Ptolemaios hatte wohl begriffen, daß seine Tage gezählt waren und Anubis, der Schakal, der Gott der Unterwelt, seinen Namen bereits kichernd vor sich hin krächzte.

Caesar ging wieder an den Tisch zurück, um sich erneut dem gallischen Krieg zuzuwenden. Die ägyptische Frage war entschieden. Die Familie des Flötenspielers hatte er jetzt kennengelernt, und es war klar, bei wem die Zukunft lag.

23

Kleopatra konnte die Schlacht vom Dach des Palastes aus verfolgen. Trotz des Mantels zitterte sie in der Kälte des Morgens, dessen Dämmerung noch nicht angebrochen war. Sie legte sich einen zweiten Mantel um die Schultern, wollte nicht, daß jemand sah, wie sehr sie zitterte und es womöglich als Angst auslegte.

»Ich habe zu Isis gebetet, damit sie Caesar beschützt«, ließ sich eine Stimme vernehmen.

Sie fuhr herum. Es war Ptolemaios' hohe Stimme. Kleopatra hatte sie sofort erkannt, wenngleich sein Gesicht im Dunkeln lag. Ihr war der weinerliche Ton zu eigen, der sie jedesmal störte.

Sie wandte ihre Aufmerksamkeit erneut dem Geschehen zu, das sich am anderen Ende des Hafens abspielte.

Der Plan hatte sich so einfach angehört, als Caesar ihn vortrug. Die Siebenunddreißigste Legion war mit einer Kriegsflotte eingetroffen, und Caesar hatte verkündet, daß er dem »Geplänkel«, wie er es nannte, nun ein Ende setzen wolle. Seine Schiffe würden die Ägypter im Westhafen attackieren und die Durchlässe des Heptastadions blockieren, so daß es kein Entkommen gab. In der Zwischenzeit würden Verstärkungseinheiten der Siebenunddreißigsten am Westzipfel der Insel Pharos landen und sich den Truppen anschließen, die den Leuchtturm besetzt hielten. Mit vereinten Kräften wollte man sich dann von der Insel zum Heptastadion vorkämpfen und die Kontrolle des Hafens übernehmen.

Von ihrem Platz aus konnte Kleopatra auf der Insel lediglich die roten Mäntel der römischen Legionäre ausmachen, und gelegentlich führte ein Windstoß das Geräusch klirrender Waffen und Rüstungen an ihr Ohr. Weit hinten im Hafen waren Caesars Galeeren und Achillas' Kriegsschiffe aneinandergeraten, doch sie lagen zu weit entfernt, und der Morgen war noch zu trübe, als daß sie Genaueres hätte erkennen können.

»Du hast alles auf den Römer gesetzt«, sagte Ptolemaios.

Sie ertrug es nicht, ihn anzuschauen, sondern hielt die Augen auf die Wellenbrecher gerichtet und die Insel jenseits des Leuchtturms, suchte nach dem Aufblitzen des Purpurs, dem Generalsmantel, den Caesar so sehr liebte, wenngleich er durch ihn zur Zielscheibe wurde. Es wurde heller, und sie konnte feststellen, daß die Römer im Begriff waren zu siegen, ganz wie Caesar es vorausgesagt hatte. Die Schlachtlinien waren weiter zum Damm hin vorgerückt.

Wenn Alexander sich plötzlich aus dem prächtigen Kristallsarg erhöbe und jetzt neben mir stünde auf dieser kalten, umtosten Terrasse! Was würde er dann von der Tochter halten, die sich gegen das eigene Volk auf die Seite des Feindes gestellt hat? Würde der Meisterstratege das Zweckdienliche begreifen und wissen, daß sie nur katzbuckelte, bis es Zeit war, die Krallen zu zeigen?

»Ich bin Caesars Verbündeter, genau wie du«, greinte Ptolemaios.

»Laß mich allein«, fuhr sie ihn an, doch er blieb. Wie würde die Göttin des Glücks entscheiden? Was hielt sie bereit für sie an diesem kalten, blaßblauen Morgen?

Die Römer mit ihren scharlachroten Mänteln und eisernen Helmen hoben sich deutlich ab gegen die zerlumpte Armee Achillas' in zusammengewürfelten Uniformen. Kleopatra stand seit Stunden auf der Dachterrasse. Die Sonne war fast im Zenit, und doch dauerten die Kämpfe noch an. Die Römer hatten sich bis zur Mitte des Heptastadions vorgekämpft und befanden sich ihr beinahe direkt gegenüber. In der Ferne stieg Rauch aus brennenden römischen und ägyptischen Schiffen auf, die im Hafen der Glücklichen Wiederkehr aufeinanderprallten.

Und da war er, im Zentrum des Gewühls - Julius höchstselbst, im purpurroten Mantel. Mit einemmal wurde ihr Gaumen trocken, sie konnte kaum atmen. Sie war überwältigt vor Freude, ihn lebend zu sehen, und elend vor Furcht, er könne fallen. Wenn er stürbe, stürbe auch sie.

Doch dann sah es so aus, als habe sich Caesar doch noch verrechnet. Sie spürte, wie ihr die eiskalte Angst über den Rücken kroch. Die Gestalten oben auf dem Damm, das waren ägyptische Soldaten, die ihm den Rückzug abschnitten. Einer ihrer Dreiruderer hatte sich aus dem Schlachtgewühl befreit und sich durch die brennenden Schiffsrümpfe gekämpft, um Truppen am Fuße der Insel abzusetzen. Der große Feldherr war von anderen überlistet worden.

Er war von seinen Truppen getrennt und von beiden Seiten umzingelt. Der Kapitän auf einer der römischen Liburnen erkannte die Gefahr und steuerte sein Schiff zum Damm, um ihn und die mit ihm Kämpfenden zu retten. Sie sah, wie Legionäre kopflos auf das Deck der kleinen Galeere sprangen, die bedrohlich auf den Wellen schwankte.

Doch sie sah auch, wie vergeblich es war. Dieses Mal hatte die römische Disziplin versagt - die Ägypter stürmten die Liburne.

Die Galeere begann zu kentern.

Vor ihren Augen geschah das Undenkbare. Die glorreichen, unbezwingbaren Römer! Gedemütigt von ihrer alten Armee, dem schäbigen Söldnerheer, das sie vor Zeiten vor Achillas und dem versammelten Hof der Lächerlichkeit preisgegeben hatte.

Sie wandte sich um. Ptolemaios hatte sie beobachtet. Auf seinen Zügen lag ein hämisches Grinsen. »Ich habe dich immer gehaßt«, stieß er hervor.

»Und ich dich immer verachtet. Glaube nicht, daß ich auf die Knie falle und um Gnade winsele, wenn Caesar stirbt.«

»Man sagt, daß unsere Schwester die Kontrolle über ihren Darm verloren hat, als sie hingerichtet wurde. Unser Vater ließ sie erwürgen. Das hättest du nicht gedacht, nicht wahr? Er hat dir erzählt, es sei die Kobra gewesen und somit ein gnädiger Tod. Aber Pothinos hat mir berichtet, was wirklich geschah. Er sagte, der Gestank sei bestialisch gewesen. Ich weiß nicht, welchen Tod ich für dich vorsehen werde.«

Purpur blitzte auf, als Caesar von der Liburne sprang und mit mächtigen Zügen zu schwimmen anfing. Das ihm am nächsten liegende römische Schiff war etwa sechshundert Fuß entfernt. Überall tauchten nun Köpfe aus den Wellen auf, und sie verlor ihn aus den Augen. Die Ägypter sammelten sich um die gekenterte Liburne und schleuderten Speere ins Wasser. Sie konnte unmöglich erkennen, ob Caesar tot oder lebendig war.

»Am liebsten wäre mir wohl der Würgetod für dich«, sagte Ptolemaios. »Der Gestank wird mir so lieblich sein wie der Duft der Rosen.«

Kleopatra schenkte ihm keinerlei Beachtung. Es durfte nicht sein, daß das Schicksal sie während der letzten schrecklichen Jahre verschont hatte, nur um sie jetzt im Stich zu lassen. Er mußte am Leben bleiben.

Er mußte es einfach.

24

Sein Gesicht war grau, und die Schultern waren vor Erschöpfung nach vorn gesackt. Er wirkte um Jahre gealtert. Das dünngesäte Haar klebte ihm am Schädel, die Tunika war zerrissen und naß. Vom Arm bis über das Handgelenk und die Finger zog sich eine Blutbahn, die ein Hieb mit dem Schwert hinterlassen hatte. Es schien ihn jedoch nicht zu kümmern.

Caesar stand in seinem Hauptquartier, dem vormaligen Bankettsaal. Der Zeremonientisch ihres Vaters war um des besseren Lichtes willen ans Fenster gerückt worden. Er war einer seiner kostbarsten Besitztümer gewesen, mit einer Platte aus einem Stück Holz, das aus dem Atlasgebirge Mauretaniens stammte, und mit Beinen aus den Stoßzähnen von Elefanten. Die Karten lagen so achtlos darübergeworfen, als handele es sich bei dem Tisch um eine rohgezimmerte Holzbank. Auf den schimmernden Alabasterböden hatten schmutzige Schlammstiefel Abdrücke hinterlassen.

Caesar war umgeben vom engsten Kreis der Befehlshaber. Sie studierten die Grundrisse des Palastes und des Hafens und entwickelten neue Pläne. Sie hatten die Insel erobert und Achillas' Flotte außer Gefecht gesetzt, doch sie hatten auch vierhundert Legionäre verloren - eine unfaßbare Niederlage.

»Imperator«, verkündete Ptolemaios, als sie eintraten. »Wir sind erleichtert, Euch unversehrt zu sehen.«

Caesar wandte sich um. Ein flüchtiges Lächeln huschte über sein Gesicht. »Das glaube ich, mein Junge.«

»Ihr riskiert zuviel für unser Wohl.«

»Sicherlich wäret Ihr froh, wenn ich abzöge.«

»Nicht, was uns betrifft. Doch Alexandria steht gegen Euch. Euer Leben schwebt in dauernder Gefahr.«

Kleopatra fand die hochtrabenden Worte des Jungen albern.

Insgeheim mußte sie jedoch lächeln. So schnell wirst du mich nicht erwürgen lassen können, mein Lieber. Solange Caesar lebt, legen sich die Henkershände nicht um meinen Hals.

»Caesar schwebt immer in Gefahr«, teilte der Römer Ptolemaios mit. »Gleichgültig, wo er ist. Dennoch meinen untertänigsten Dank für Eure Sorge um mein Befinden.«

Mit einem Kopfnicken sandte Caesar seine Offiziere aus dem Raum. Ein harter Blick tat Ptolemaios kund, daß auch seine Anwesenheit unerwünscht war, woraufhin er, wenn auch widerstrebend, verschwand. Auf was will mein Bruder hinaus? fragte sich Kleopatra. Glaubt er, er könne unseren Julius, meinen Julius, mit öligem Lächeln und schmeichlerischen Worten einnehmen? Glaubt er womöglich, daß Caesar ihm den Thron zu Füßen legt, wenn er nur tief genug vor ihm kniet?

Die großen Portale schlossen sich hinter den Wachen. Sie waren allein.

»Ich dachte, du wärest tot«, flüsterte sie.

»Und das hätte dich bekümmert?«

»Du bist mir teuer geworden«, sagte sie. Das war noch nicht einmal gelogen. Was geht nur in mir vor? fragte sie sich.

Er grinste. »Komm her, Kätzchen.« Er hielt sie in den Armen, zitterte. Die Tunika war immer noch kalt und feucht.

»Du solltest die nassen Kleider ablegen«, wisperte sie. Sie fuhr mit dem Finger über die klaffende Wunde auf seinem linken Arm. Sie war bereits verkrustet mit geronnenem schwarzem Blut.

»Sie haben tapfer gekämpft«, sagte er stolz, doch seine Augen verrieten seine innersten Gedanken. Die Ereignisse des Tages hatten ihn tief erschüttert. Achillas' Lumpenarmee hatte sich als stärkerer Gegner erwiesen als erwartet.

Doch auch dieser knappe Sieg, der fast zur Niederlage geworden wäre, hatte seinen Ruhm wieder einmal gefestigt. Er war dem Tod entronnen, indem er in voller Rüstung über die Strecke eines Stadions bis zu einem der römischen Schiffe geschwommen war, einhändig, mit der anderen Hand die Schlachtpläne hochhaltend, um sie vor den Wellen zu schützen. Außer der Wunde am Arm war ihm nichts zugestoßen - nur den kostbaren Purpurmantel hatte er verloren, das geliebte Symbol seines Rangs.

Er ließ sich von ihr zu Bett bringen. Sein Körper war kalt wie der eines Toten. Er rollte sich in ihre Arme ein wie ein Säugling und schlief. Sie strich über den dünner werdenden Scheitel und flüsterte »Julius«, ein ums andere Mal. Sie dachte an Ptolemaios' Henkersknechte und wie sich rohe Hände um ihren Hals schlössen. Um diese dunklen Träume zu vertreiben, beschwor sie abermals die Macht ihres Schicksals - ein Schicksal, das weit über Caesar hinaus reichte.

Caesar schlang sein Frühstück herunter, einen Kanten Brot, ein wenig Schafskäse, einen Krug Wasser. Sie konnte nicht begreifen, wie er bei Kräften blieb. Sein Desinteresse, was Nahrung betraf, mußte aus den vielen Kriegsjahren stammen, in denen er von kargen Armeerationen gelebt hatte.

Kauend instruierte er seine Befehlshaber, während sich Kleopatra im Nebenraum mit Hilfe zweier Palastsklavinnen der Morgentoilette widmete. Keine von ihnen war so geschickt wie Charmion oder Iras, doch im Augenblick mußte sie mit ihnen vorlieb nehmen.

Dann hörte sie, wie eine neue Stimme aus dem anderen Raum drang. »Ptolemaios«, zischte sie, sprang auf und scheuchte die Sklavenmädchen fort.

Caesar hatte sich auf der Ruhebank ausgestreckt und prüfte einen Lagebericht. Nichts erinnerte mehr an den Kämpfer und Imperator. Er war lediglich ein Mann in weißer Tunika, vertieft in seine Lektüre. Ihr alberner Bruder stand im Türrahmen, lächerlich anzusehen in golddurchwirkter Brokatrobe, die Haare gesalbt und gekräuselt. Ein aufgeputzter kleiner Wichtigtuer.

»Ah, Ihre Majestät«, sagte Caesar, ohne den Blick von der Wachstafel zu nehmen.

»Ihr habt mich rufen lassen«, entgegnete Ptolemaios. Er sah sich um, erblickte Kleopatra im Türrahmen des Schlafgemachs und verzog das Gesicht zu einem selbstgefälligen Grinsen. Es schien, als habe er den Entschluß gefaßt, sich Caesar gegenüber zu behaupten. Auf der Straße des Soma war es abermals zu Aufständen gekommen, wahrscheinlich hatte ihn der Lärm des Pöbels vor den Toren ermutigt und aufgeplustert.

»Caesar hat eine gute Nachricht für den König von Ägypten.«

Ptolemaios fiel in sich zusammen. Wie dünn die Maske gewesen war, die er aufgesetzt hatte!

»Ich wünsche, daß Ihr Euch zu Eurer Schwester, Arsinoe, begebt«, verkündete Caesar.

Ptolemaios sperrte den Mund auf. Mücken und Fliegen hätten ungehindert ein und aus schwirren können.

»Schaut nicht so überrascht. Wer könnte ein besserer Bote Caesars sein als jemand aus ihrer eigenen Familie?«

»Ihr wollt, daß ich den Palast verlasse?«

Das muß ein arger Schlag sein, dachte Kleopatra. Ob Ptolemaios jemals in seinem Leben weiter als über das Brucheionviertel hinausgekommen war? Wahrscheinlich waren die Gärten um den See Mareotis für ihn die äußerste Grenze gewesen.

»Eine Schwadron der Palastwache wird Euch begleiten.«

Kleopatra studierte das Kaleidoskop der Gefühle, das sich auf der Miene ihres Bruders abzeichnete. Unglaube, Furcht, Panik. Ohne Pothinos war er schlichtweg verloren. »Aber warum?«

»Glaubt Ihr, daß es Caesar gefällt, hier eingesperrt zu sein? Ihr müßt die Waffenruhe verhandeln, so daß ich und meine Männer die Schiffe besteigen und wieder in Frieden nach Rom ziehen können.«

Kleopatra spürte, wie ihr das Blut aus den Wangen wich. Sie war unfähig, dem Gehörten Glauben zu schenken. »Ich wünsche zu bleiben«, hörte sie Ptolemaios sagen.

Zum ersten Mal machte sich bei Caesar ein leichter Unmut bemerkbar. »Es geht nicht um das, was Ihr wünscht. Es geht um Eure Pflicht als König! Sollte dieser Krieg weitergehen, wird Eure Stadt zerstört. Würde Euch das nicht grämen?«

Nein, würde es nicht, dachte Kleopatra. Man kann es ihm ansehen. Es läßt sich so deutlich von seiner Nase ablesen wie die Hieroglyphen auf Alexanders Grab. Er begreift nicht, daß du ihm den Thron schenkst, daß du vorhast, mich zu verraten. Was konnte ich auch anderes erwarten? Von einem Römer! Mardian hat mich gewarnt.

»Eure Schwester hat Caesars Boten ermorden lassen«, erklärte Caesar Ptolemaios. »Sie hat sich sogar mit ihrem General überworfen. Ihr Eunuch hat ihn umbringen lassen. Euch allein wird sie Respekt erweisen, denn Ihr seid ihr König. Ihr werdet Caesar den Frieden vermitteln, so daß er sich den dringenderen Angelegenheiten Roms widmen kann.«

Achillas ermordet? Warum hatte er ihr das nicht erzählt? Weil er beschlossen hatte, sie aufzugeben? Es war nicht zu glauben, wie feige er war. Wurden aus solchem Holz die Helden der Geschichte geschnitzt?

Sie blickte zu Ptolemaios. Trotz des eigenen Entsetzens empfand sie beinahe Mitleid mit ihm. Sie wußte, was er dachte. Wie würde Arsinoe ihn empfangen? Als ihren Bruder und König? Oder als tödlichen Rivalen, der auf der Stelle umzubringen war? Seine Unterlippe bebte - so als hätte ihn sein Lehrer wegen Unaufmerksamkeit geohrfeigt, was, wenn man so wollte, ja auch der Fall war.

Auf diese Weise, dachte sie, entscheidet Caesar unser beider Schicksal.

Die Demütigung machte sie stumm. Sie schaute auf ihren Bruder, der sie mit Blicken um Unterstützung anzuflehen schien. Sie konnte das Ausmaß von Caesars Verrat immer noch nicht fassen. Aber sie würde ihren Zorn für sich behalten, etwas anderes nutzte ohnehin nichts und war zudem unter der Würde einer Königin. Warum sollte Caesar ihr schließlich auch Schutz gewähren? Er war in einen Konflikt verwickelt worden, auf den er gänzlich unvorbereitet gewesen war. Vielleicht hatte er sich ja auch überschätzt, nachdem er Pompejus besiegt hatte. Nun, bestimmt würde er zu einem späteren Zeitpunkt und mit einer stärkeren Streitmacht nach Alexandria zurückkehren, um die Rechnung mit Ägypten zu begleichen. Doch wenn Arsinoe sich jetzt durchsetzte, wäre sie bald tot.

»Die Vorbereitungen sind getroffen«, beschied Caesar dem Jungen. »Ihr brecht zur Mittagszeit auf.«

Ptolemaios rührte sich nicht von der Stelle.

»Meint Ihr nicht, Ihr solltet Euch beeilen?«

»Mir gefällt es hier ganz gut«, erwiderte Ptolemaios, den die Furcht kühn gemacht hatte.

»Ich habe Euch erklärt, daß Eure Vorlieben ohne Bedeutung sind.« Die Stimme wurde eisern. »Tut Eure Pflicht. Ein König verdrückt sich nicht im Palast, wenn es um Staatsfragen geht. Nun fort mit Euch!«

Kleopatra befürchtete bereits, daß Ptolemaios anfangen würde zu weinen. Er schien im Begriff, noch etwas zu sagen, doch Caesar entließ ihn mit einem ungeduldigen Wedeln der Hand. Ptolemaios warf ihr noch einmal einen Blick zu, so als könne sie ihn retten, doch dann hastete er aus dem Raum.

Offenbar hatte Caesar die ganze Zeit über von ihrer Anwesenheit gewußt, denn nachdem Ptolemaios verschwunden war, drehte er sich zu ihr um und lächelte. »Guten Morgen, Kätzchen.«

Ich werde ihm nicht den Gefallen tun, zu wimmern oder zu wüten, dachte sie. Ich werde gelassen sein, sogar angesichts dieses Verrats. »Hat der Imperator wohl geruht?« erkundigte sie sich. »Unberührt von den Eingebungen des Gewissens?«

»Das hat er in der Tat.«

»Du weißt, daß mein Bruder nicht zurückkommt?«

»Natürlich.«

Sie studierte sein Gesicht, suchte nach Anhaltspunkten. Es war offensichtlich, daß er ihr keine weiteren Erklärungen liefern wollte. Sie sollte selbst dahinterkommen.

Er lächelte immer noch, so als hielte er sich für über die Maßen gescheit. Was er ja wohl auch war. Sie überdachte noch einmal, was sie gerade gesehen und gehört hatte. Vielleicht hatte sie doch vorschnell geurteilt.

Nach einer Weile dämmerte es ihr. »Du hast ihn in den Tod geschickt«, sagte sie.

Caesar neigte nur leicht den Kopf, als empfinge er in aller Bescheidenheit den Beifall des Senats.

Gut. Sie hatte die Gerissenheit dieses Römers gründlich unterschätzt. Er spielte ein doppeltes Spiel. Wenn Arsinoe Ptolemaios ermorden ließ, dann müßte sie, Kleopatra, sich den Thron nicht länger mit dem lästigen Bruder teilen. Sie würde allein regieren, als Caesars Vasallin. Wenn Arsinoe ihn jedoch nicht ermorden wollte oder konnte, würde Ptolemaios zweifellos die Gelegenheit beim Schöpf ergreifen und sich an die Spitze von Achillas' Lumpenarmee schwingen. In dem Fall würde ihn Caesar als Aufrührer töten lassen.

Des weiteren hatte er Ptolemaios weisgemacht, daß er Ägypten verlassen wolle und sich damit im Nachteil befand -eine Schwäche, die Ptolemaios umgehend auszunutzen versuchen würde. Dabei ging es in Wirklichkeit nur darum, daß Caesar ihn zum Angriff ermuntern wollte, um ihn auch guten Gewissens töten zu können.

»Du willst die Oberherrschaft über Ägypten, mußt jedoch in der Lage sein, dich vor dem römischen Senat zu rechtfertigen«, erkannte sie.

»Dein Lehrer hat recht gehabt, wenn er dir einen scharfen Verstand bescheinigt hat. Ich werde Sorge tragen müssen, daß du mich nicht übertriffst.«

»Da wartet immer noch eine Armee, die es zu besiegen gilt.«

Das Lächeln erstarb. Ohne jeden Zweifel würde sein gekränkter Stolz auf baldige Rache drängen. »Es wird kein zweites Heptastadion geben.« Das Lächeln flackerte so schnell wieder auf, wie es erloschen war. »Was ist mit dir? Wirst du etwa die trauernde Witwe spielen und dein Geschmeide auf den Scheiterhaufen werfen, wenn dein Bruder tot ist?«

»Er ist doch noch ein Junge«, hörte sie sich sagen.

»Der, wenn man es ihm und der Natur überläßt, eines Tages heranwächst und ein Mann wird. Wenn er mehr Verstand hätte, hätte er gewußt, daß er sterben muß.«

Sie schloß die Augen. Ob ich je so grausam sein kann? Etwas in ihrem Wesen rebellierte gegen diese brutale, unvermeidliche, endgültige Tat. »Ich wünschte, es wäre schon vorbei«, sagte sie.

»Es ist nie vorbei, Kätzchen«, entgegnete er, die Stimme mit einemmal düster. »Wenn du danach trachtest, die Welt zu regieren, ist es nie, nie vorbei.«

25

Die Kerzen flackerten in den feinziselierten Haltern. Die Wandbehänge aus kostbarem Purpur mit breitem goldenem Brokatsaum bauschten sich. Draußen in der Dunkelheit brandete das Meer, während der Wind stöhnte und heulend um die Mauern des Palasts fuhr.

Caesar tippte mit dem Finger auf die Karte, die auf dem Tisch vor ihm ausgebreitet lag. »Mithridates' Armee hat Pelusium eingenommen und marschiert auf das Delta zu. Deine Schwester und ihr niedlicher kleiner General haben ihre Streitkräfte zusammengezogen, um sich ihm entgegenzustellen.«

»Wartest du hier auf seinen Sieg?«

Caesar schnaubte verächtlich. Als ob er warten würde, bis ihm ein ausländischer Satrap, halb Grieche, halb Gallier, die Arbeit erledigte! »Sobald das Wetter es zuläßt, nehme ich die Siebenunddreißigste, segle nach Osten und treffe mich mit Mithridates jenseits des Nils, in der Gegend des Schilfmeers.

Deine Schwester und ihr verweichlichter Bube werden dort eine Lektion erteilt bekommen.«

So also geht die Geschichte aus, dachte Kleopatra. Wieder einmal mit römischen Soldaten, die nach Alexandria ziehen. Schon ihr Vater hatte für den Thron gezahlt und ihn mit römischen Truppen gesichert. Nun war sie gezwungen, das gleiche zu tun. Und wenn Caesar wollte, konnte er Ägypten in eine römische Provinz verwandeln, wie zuvor schon Griechenland, Syrien und Judäa.

Was Wunder, daß ihr Vater den größten Teil seines Lebens in den Dienst Bacchus' gestellt hatte. Vielleicht war er von sich enttäuscht gewesen oder hatte eingesehen, daß man in der Welt der Römer kein König sein konnte, und hatte sich nach dem Jenseits gesehnt.

Julius Caesar war jetzt alles in einer Person; Retter, Liebhaber, Feind - und Vater ihres Kindes.

Er warf sich auf die Ruhebank aus dem Holz des Zitronenbaums. Ein blonder germanischer Sklave hastete zu ihm und brachte ihm eine Fußbank. Sie stellte fest, daß der harte Veteran Hunderter von Schlachten sich allmählich an die kleinen Annehmlichkeiten des Brucheion zu gewöhnen schien.

»Was gibt es denn Neues aus dem Lager Arsinoes?« erkundigte sie sich. Sie haßte die Hilflosigkeit, mit der sie auf ihn angewiesen war, wenn sie Nachrichten aus der Außenwelt erfahren wollte. Sie saß hier gefangen, ohne Berater, ohne Boten und ohne Macht, gegen die Feinde vorzugehen oder die Anhänger zu unterstützen. Alles, was sie im Augenblick tun konnte, war zu warten und zu hoffen, daß Caesar siegte.

Wenn ich das hier überlebe und den Thron von Ägypten wiedererlange, schwor sie sich, werde ich nie mehr einem Mann gestatten, über mein Schicksal zu entscheiden. Und erst recht keinem Römer.

Sein kühler Blick richtete sich auf sie. »Es wird dich freuen zu hören, daß der Sohn Ägyptens in Sicherheit ist. Meine Spione berichten, daß deiner Schwester treue Truppen ihn in einer Sänfte durch ihre Reihen getragen haben. Er hat seinen geliebten Freund Caesar als Barbaren gebrandmarkt und dich, die eigene Schwester, als Hure und Verräterin. Du wirkst verwundert?«

»Ich dachte, Arsinoe ließe ihn töten, so wie Achillas. Offenbar ist sie doch nicht so mordlüstern, wie ich annahm.«

»Ist es nicht schön, wenn einen die Familie auch einmal angenehm überrascht?«

»Wahrscheinlich wissen sie, daß sie nicht siegen können.«

»Oder sie sind bereit, für ihre Prinzipien zu sterben.«

»Willst du damit sagen, daß ich keine Prinzipien besitze?«

»Ich will damit sagen, daß ich sie nicht für nützlich halte. Die Frage der Prinzipien hat mich nie beschäftigt. Frag meine Freunde, deren Frauen oder meine Geldverleiher. Sie werden es dir bestätigen.«

Was meinte er damit? Hielt er sie lediglich für eine Opportunistin und Abenteurerin? Oder wollte er sie loben, weil er in ihr dieselbe Rücksichtslosigkeit erkannt hatte, die auch ihm zu eigen war? »Du vertust dich, wenn du glaubst, daß ich Ägypten nicht liebe«, sagte sie.

»Ägypten ist nur eine Wüste, durch die ein Fluß fließt. Liebe dich selbst. Dein Äußeres ist sehr viel einladender.«

Sie stellte fest, daß ihr sein zynischer Witz nicht behagte, und begab sich nach draußen auf die Terrasse, wo sie seinen Bärenfellmantel enger um die Schultern zog. Die Nordstürme wirbelten um die Wellenbrecher und peitschten das Wasser schäumend in die Luft. Eine riesige Brandungswelle warf sich gegen den Felsen am Fuße des Turms von Pharos und schleuderte die Gischt bis zu den Marmorsäulen des Sockels. Winterzeit, und sie war eingekreist von allen Seiten.

Wenn sich das Wetter nicht rasch besserte, würde Caesar der Sieg womöglich doch noch vorenthalten bleiben.

Er war ihr gefolgt und trat hinter sie. »Dir geht doch etwas durch den Kopf, oder irre ich mich?« fragte er.

»Ich muß dir etwas sagen.«

Er wartete.

»Ich bekomme ein Kind. Dein Kind.«

Seine Augenbrauen wanderten nach oben. War das die einzige Reaktion, die die Nachricht in ihm auslöste? Kleopatra wartete auf mehr.

Er legte den Finger auf den Mund, als sei er tief in Gedanken versunken. Sie wünschte sich, von ihm umarmt zu werden, so wie es jeder normale Mann tat, wenn seine Frau ihm solch eine Neuigkeit überbrachte. Aber das war nicht seine Art. Wenn er sie berührte, bedeutete das immer, daß er sie zu nehmen gedachte.

Sie versuchte sich vorzustellen, was ihm jetzt durch den Sinn ging. Er hatte nur einen Erben, oder vielmehr eine Erbin - Julia, seine Tochter. Natürlich mochte es jede Menge Bälger geben, die, wie Mardian es einst formuliert hatte, in den Palästen des Mittelmeers zurückgelassen worden waren wie Tote nach der Schlacht. Bei ihr wäre das jedoch etwas anderes. Wenn sie, die Königin von Ägypten, Caesars Sohn bekäme, könnte man diesen Nachkommen nicht so einfach übersehen und als Begleiterscheinung des Krieges abtun. Ihr Sohn wäre eines Tages Thronerbe Ägyptens und - vielleicht - sogar der Erbe Roms.

»Ein Geschenk der Götter«, murmelte er schließlich.

»In der Tat«, entgegnete sie. »Ein Geschenk der Götter für die Götter.«

Er blieb neben ihr stehen, nur mit der Tunika bekleidet, obwohl es angefangen hatte zu regnen und die Tropfen wie Steinhagel niederprasselten. Es kümmerte ihn nicht. »Hältst du mich für einen Gott?« fragte er.

»Ich weiß, daß ich eine Göttin bin.«

»Du hast mir etwas zum Nachdenken gegeben, Kätzchen.«

»Willst du mich nicht in die Arme nehmen?« fragte sie leise.

Er zögerte. Einen Augenblick lang glaubte sie, daß er nachgeben würde. Doch dann sagte er: »Dein Zustand ist zu heikel.« Er wandte sich ab und ging wieder hinein.

26

DER ÄGYPTISCHE MONAT DES PHAMENOTH IM JAHRE 47 VOR CHRISTI GEBURT

Über das gleißende Weiß der Palastdächer hinweg konnte Kleopatra sehen, wie das Volk zu den Toren strömte. Drei Jahrhunderte nach Alexander hatte die Stadt nun wieder einen neuen Eroberer. Entlang der Kanopischen Straße knieten dieselben Menschen, die sich während der langen Wintermonate mit Steinen und Beleidigungen gegen sie gewandt hatten, ehrerbietig unter den großen Säulen, während Caesar, an der Spitze seiner Legionen, in die Stadt einritt. Ihn begrüßte das Schweigen der Besiegten, nur hier und da hörte man vereinzeltes Stöhnen, vermischt mit dem rauhen Schritt römischer Stiefel.

Die Ältesten der Stadt empfingen ihn am Sonnentor; barfüßig, in den blauen Leinenkleidern der Trauer, streuten sie sich Asche auf das Haupt, zum Zeichen der Reue. Sie sangen das Klagelied derer, die besiegt worden waren. »Sohn Armins, erbarme dich unser! Dir sind wir ergeben, vor dir beugen wir Haupt und Schultern, Erhabener Sieger!«

Wie schön, die Griechen einmal um Gnade flehen zu sehen, dachte Kleopatra. Selbst die Höflinge, die Mitglieder der Familie, die Höchsten Freunde und die anderen Abtrünnigen hatten sich in den Staub geworfen. Die fetten Kaufleute, deren Hände übersät waren mit Jaspis und Smaragden, lagen auf den Knien, neben Ägyptern, Syrern, Phöniziern, neben Bettlern, Balsamierern, Bäckern, Goldschmieden, Glasbläsern und Seeleuten. Lediglich die Juden mußten sich nicht verneigen. In deren Viertel war es während des Krieges ruhig geblieben, und sie hatten für die Römer Nahrung in den Palast geschmuggelt. Caesar hatte ihnen zum Lohn den freien Zugang zur Stadt gewährt.

Caesar hatte, wie immer, Glück gehabt. Tyche, die Göttin des Glücks, mußte seinem Zauber erlegen sein wie schon so viele Frauen vor ihr. Das Wetter hatte sich gebessert, Sonne und Wolken fügten sich dem Willen dieses neuen Gottes und ermöglichten es ihm, mit seiner Flotte den Hafen zu verlassen, so, wie er es geplant hatte. Allerdings war er nicht Mithridates entgegengesegelt, wie er Kleopatra gegenüber behauptet hatte. Er wußte, daß Arsinoes Spione seinen Aufbruch belauerten, und hatte sich deshalb nach Osten gewandt, als zöge er nach Pelusium. Im Schutz der Dunkelheit hatte er die Flotte jedoch wieder gewendet und war statt dessen mit den Legionen im Westen gelandet. In Eilmärschen erreichten sie anschließend den Süden und umzingelten Arsinoes Armee. Aufgerieben zwischen dem Aufgebot Mithridates' und Caesars Legionen, hatten ihre Soldaten die Flucht durch die Papyrussümpfe gesucht, wo sie erbarmungslos niedergemetzelt und den Krokodilen als Festmahl zurückgelassen wurden, Ptolemaios' Barke kenterte, und er ertrank, nicht zuletzt aufgrund des Gewichts seiner goldenen Rüstung.

Caesar erreichte den Palast im Licht der Abenddämmerung.

Kleopatra erwartete ihn im Hof hinter der Säulenhalle, umgeben von ihrer neuen Leibgarde: römischen Legionären, von Caesar eigens zu diesem Zweck bestimmt, in typischer Lederrüstung, mit kurzen Stechdegen in der Gürtelscheide, Helmen und roten Tüchern, die sie um den Hals trugen.

Als einziges Geräusch vernahm man das Knistern der Fackeln und das leise Plätschern der Brunnen.

Caesar ritt an der Spitze seiner Leibgarde auf einem weißen Hengst. Er trug die Zeremonienrüstung, den goldenen Brustpanzer, auf dem die Siege eingraviert waren, den Purpurmantel des Imperators und auf dem Haupt den Lorbeerkranz. Er schaute auf sie hinunter und lächelte. Sie lächelte zurück und war überrascht angesichts der Freude, die sie empfand, ihn wiederzusehen.

Soldaten mit Speeren und großen rechteckigen Schilden marschierten neben einem Karren, der von zwei Ochsen gezogen wurde. Die metallenen Radränder knirschten über die Steine.

Ptolemaios lag mit unbedecktem Körper auf der Ladefläche, so daß ganz Alexandria hatte erkennen können, daß er tot war und sich kein Prätendent aus dem Nilsumpf erhob, um seinen Platz einzuklagen. Bleich und aufgedunsen wie ein Fisch lag er da, die Lider gesenkt, als habe man ihn im Schlaf überrascht. Das Gesicht war schlammverkrustet, und seinem Körper entstieg ein fauliger Geruch. Er würde sich nicht mehr lange halten.

»Er ist als Mann gestorben«, bemerkte Caesar.

Kleopatra sah auf. Er stand neben ihr, das Gesicht zur Hälfte im Schatten. Wie kann ein Mensch als Mann sterben, fragte sie sich. Tot ist tot.

»Am Ende hat er die Rüstung angelegt und versucht, tapfer zu kämpfen«, sagte Caesar.

Er hat die Rüstung angelegt, weil sie aus Gold war, dachte sie bitter, und weil er sie nicht verlieren wollte. Aber sie schwieg.

In diesem Hof hatte sie mit ihm als Kind mit Würfeln gespielt. Schon damals hatte er versucht zu betrügen. Sie wollte ihn betrauern, stellte jedoch fest, daß es ihr nicht gelang. Sie waren Ptolemaier und dadurch als Feinde geboren, nicht als Geschwister. Sie hatte ihn im Leben verachtet, das gleiche galt für ihn im Tod.

Arsinoe jedoch lebte.

Sie wurde von zwei Legionären in den Großen Thronsaal geschleppt, kratzend und fauchend wie eine Katze. Caesar hatte den Hof einbestellt, um dem Schauspiel beizuwohnen: Die Griechen in den feinen Gewändern, die kahlrasierten Priester, die Sekretäre, Berater und Schatzmeister, alle waren sie zusammengetrieben worden wie eine Ziegenherde, um die letzte Demütigung der Ptolemaier zu bezeugen. Kleopatra saß an der Seite Caesars.

Arsinoe spuckte und wand sich, ihre Schreie gellten durch den großen Marmorsaal. Sie war barfüßig, die Handgelenke vor ihr in Ketten, das Gesicht bedeckt mit getrocknetem Schlamm. Die Schwester, die Kleopatra aufgrund ihrer Schönheit gehaßt und gefürchtet hatte, starrte vor Schmutz wie ein altes Weib, das auf dem Markt Fische feilbot.

Ihre Kleider waren zerrissen und stanken. Selbst die nubischen Wachen rümpften die Nase. Unter den Schönlingen des Hofes gab es etliche, die sich das Gesicht mit den Händen bedeckten.

Ganymedes war bei ihr. Auch er war kaum wiederzuerkennen, die hübsche Larve entstellt von einer rissigen Schicht fauligen Morasts.

Caesar wandte sich an Kleopatra. »Deine Schwester!« sagte er.

Sie empfand nichts. Das ist nicht meine Familie, dachte sie. Meine Familie ist Ägypten.

Ganymedes lag auf den Knien. Auf seiner Stirn klaffte eine häßliche Wunde mit schwarz geronnenem Blut. Er hielt den Blick gesenkt. Arsinoe allerdings war aus anderem Holz geschnitzt.

»Hure!« schrie sie. Aus ihrem Mundwinkel troff Speichel. »Du hast Ägypten an deinen Römer verraten!«

»Wie du siehst, hast du ihr sehr gefehlt«, ließ Caesar sich vernehmen.

Kleopatra stellte fest, daß er sich an dem Schauspiel weidete. Gut, schließlich war es seine Stunde des Triumphes. Ihr bedeutete der Anblick ihrer Schwester so wenig wie der ihres toten Bruders. Sie war Königin, und das konnte ihr niemand mehr nehmen. Caesar hatte sich für sie eingesetzt.

»Du widerliche Hure!« kreischte die verdreckte Kreatur zu ihren Füßen.

Sollte ich je an diesen Punkt kommen, dachte Kleopatra, werde ich mich nicht derart gehenlassen. Was sollte es auch bewirken? Du hast dein Spiel gemacht, Schwester, und du hast verloren. Ich dachte, du würdest deine Niederlage würdevoller ertragen.

»Schafft sie fort«, befahl Caesar den Wachen, und Arsinoe wurde, schreiend und Verwünschungen ausstoßend, aus dem Saal gezerrt. Ganymedes folgte ihr so artig wie ein Lamm.

27

Mardian betrachtete Kleopatra wie ein Lehrer seine Schülerin, die endlich die Fähigkeiten an den Tag legte, die er schon früher immer vermutet hatte. Er näherte sich dem Thron, ließ sich nieder und führte die Stirn zum Boden. Einer der Sklaven war ihm beim Aufstehen behilflich.

Sein chiton war schmutzig, und er hatte an Gewicht verloren. Kleopatra fragte sich, welche Entbehrungen er wohl hatte auf sich nehmen müssen, seit sie sich das letzte Mal am Berg Kasios gesehen hatten.

Sie waren allein im privaten Audienzsaal der Gemächer, die sie mit Caesar teilte. Ihr armer tropheus wirkte in der Tat ein wenig heruntergekommen und fehl am Platz inmitten der funkelnden Pracht seiner Umgebung.

»Majestät«, murmelte er.

»Welche Freude, dich wiederzusehen, mein lieber fetter Kapaun!«

»Und ich bin überglücklich zu sehen, daß Eure Majestät...«

»Den Kopf noch auf den Schultern hat?«

»Sich bester Gesundheit erfreut.«

»Dein Schwager hat mir gute Dienste geleistet.«

»Es gab so viele Gerüchte! Wie oft hat man behauptet, Ihr wäret tot.«

»Nun, ich habe überlebt und stehe in der Gunst Roms. Wie es aussieht, war Isis unseren Taten gewogen.«

»Ich hätte nie gedacht, daß ich diesen Tag noch einmal erleben würde.« Er hielt inne und musterte sie von oben bis unten.

Ich weiß, was meine alte Glucke denkt, ging es ihr durch den Kopf. »Sprich es aus, Mardian.«

»Es wäre anmaßend.«

»Maße es dir an.«

Ein tiefer Atemzug, und dann sagte er ein wenig undeutlich: »Man sagt, daß Caesar Euch liebt.«

»Caesar liebt jede Frau, mit der er im gleichen Raum ist. Ich glaube jedoch, daß ich ihn eher mit meinem Verstand beeindruckt habe als mit jenen Körperteilen, die man für ein paar Münzen in Kanapos kaufen kann.« Er errötete angesichts des derben Hinweises, was sie wiederum belustigte. »Du hast also die Härte des Wüstenlebens überstanden.«

»Mit knapper Not. Die Nabatäer desertierten nur wenige Tage nach Eurem Aufbruch. Danach lösten sich allmählich die Freikorps auf. Als Achillas sah, daß wir immer weniger wurden, kam er schließlich aus der Festung. Wir mußten fliehen, tiefer in die Wüste. Ich fürchtete, dort zu sterben.«

Armer Mardian. Früher hatte er sich bereits in Nöten gewähnt, wenn sein bestes Duftwasser aufgebraucht war.

»Aber jetzt bist du hier«, sagte sie. »Wir können uns an die Arbeit machen. Laß die Sänften holen. Wir müssen uns die Stadt ansehen, um festzustellen, was nach all diesen Kämpfen zu tun ist.«

Das Ausmaß der Zerstörung war erschütternd. Caesar hatte zwar geäußert, daß der Krieg Schönheit besäße, doch wie ihr schien, konnte man das, ähnlich wie bei einem Feuer, nur aus der Ferne behaupten. Aus der Nähe betrachtet hatte der Krieg beileibe nichts Großartiges an sich.

Ihr wundervolles Alexandria lag in Trümmern. Die Fronten der großen Gebäude entlang der Kanopischen Straße waren heruntergerissen und hatten zum Barrikadenbau gedient. Der Pöbel hatte das Museion, ja selbst den Neptuntempel verwüstet. Die hohen Säulengänge des Gymnasions mit den vergoldeten Deckengittern aus Zedernholz waren verschwunden, auch sie waren als Barrikaden benutzt worden.

Im Brucheionviertel waren die ursprünglich weißen Alabastermauern der Palastgebäude geschwärzt vom Rauch, die Ställe, Bäder und Zisternen waren zerfallen.

Kleopatra spürte, wie ein Gefühl unendlicher Trauer sie erfaßte. Sicher, das Zerstörte konnte wieder aufgebaut werden, aber ersetzt werden konnte es nicht. Die mächtigen Holzsäulen, die die Arkaden des Gymnasions geschmückt hatten, stammten aus den Zedernwäldern des Libanons und des Atlasgebirges in Mauretanien, wo es keine Bäume dieses Ausmaßes mehr gab. Nun waren sie einfach in Rauch aufgegangen und verschwunden.

Diese Römer! Wo immer sie hingingen, ließen sie Ruinen zurück, so, als besäße die Welt einen unerschöpflichen Reichtum an Schönheit, den man nach Herzenslust plündern könnte.

Zum ersten Mal seit seiner Ankunft im Herbst des vergangenen Jahres hatte Caesar Zeit, die Stadt zu besichtigen, die er erobert hatte. Sein vordringlichster Wunsch war, daß Kleopatra ihn zu Alexanders Grabmal unter der schimmernden weißen Marmorkuppel führte.

Ihr hatte dieser Ort nie behagt - der lange Abstieg über die Steinstufen, der vom Widerhall der Schritte begleitet war, bis tief in die Gruft, wo der Geruch von Schimmel und Verfall die süßlichen Schwaden des Weihrauchs bekämpfte. Der mumifizierte Leichnam des Unbesiegbaren lag unter einem kuppelförmigen Kristallbau, das Licht der Öllampen spiegelte sich in der goldenen Rüstung. Um den Sarkophag türmten sich die Opfergaben: Wein von den Reichen, Brot von den Armen; Blumenberge, einige schon getrocknet, andere in frischer Blüte. Der große König selbst glich einer Statue. Die Arme lagen über der Brust gekreuzt, das goldene Haar war wie Flachs fächerförmig um sein Haupt ausgebreitet. Dem Gesicht hatte man mit Schminke ein natürliches Aussehen verliehen, doch darunter war die Haut wie Pergament. Einer der Nasenflügel fehlte, versehentlich abgestoßen, wie man behauptete, von einem ihrer Vorfahren.

Caesar schien es den Atem zu nehmen. Er hatte erst wenige Schritte in die Gruft getan, als er tief Luft holte und auf die Knie sank. Eine Weile sagte er nichts.

Schließlich murmelte er: »Er war weit jünger als ich, als er starb, und doch hatte er die halbe Welt erobert.«

»Du bist mächtiger als er«, flüsterte sie.

»Wie kann ich mächtiger sein? Im Vergleich zu ihm habe ich nichts erreicht.«

»Aber du lebst. Alexander ist tot.«

Das schien ihn ein wenig aufzumuntern.

»Jeder Römer, der sich mächtig nennen will, muß es ihm gleichtun. Er muß nach Osten ziehen und Parthien erobern, so wie er es getan hat.«

»Das ist ein Narrentraum.«

»Nein«, beschied Caesar. »Babylon ist das Schicksal Roms.«

In diesem Augenblick bedeuteten ihr die Worte nichts. Sie fröstelte in der kalten Gruft und sehnte sich danach, wieder ans Tageslicht zu gelangen. Doch Jahre später würde sie oft daran denken, was Caesar ihr an jenem Morgen gesagt hatte, und noch eine Zeit später würden seine prophetischen Worte sie eingeholt haben.

Jeder Römer, der sich mächtig nennen will, muß es ihm gleichtun. Er muß nach Osten ziehen und Parthien erobern, so wie er es getan hat.

Als sie die Grabstätte verließen, befahl Kleopatra, daß man ihre Sänften durch das Hafengebiet von Rhakotis zum Palast zurücktrüge.

»Ich möchte dir etwas zeigen«, sagte sie.

Trotz des »Alexandrinischen Krieges«, wie Caesar ihn nun bezeichnete, waren die meisten Lagerhäuser im Hafen unversehrt geblieben. Ein Trupp makedonischer Soldaten hatte sie während der Höhepunkte der Auseinandersetzungen bewacht, denn sie gehörten immer dem, der Ägypten besaß. Achillas mochte zwar zugelassen haben, daß die Aufständischen das Gymnasion zerstörten, nicht aber das, wonach er strebte.

Sie stiegen aus den Sänften. Die Leibwachen und ihr Gefolge zogen hinter ihnen her, während Kleopatra Caesar die Schätze Ägyptens zeigte.

Sie durchwanderten ein riesiges Warenlager nach dem anderen. Ein atemberaubender Anblick bot sich ihnen. Als erstes kamen die Getreidespeicher, mit den dicken Mauern aus Lehmziegeln und den schweren Eisentüren, die man von innen verriegelte. Drinnen herrschte ewiges Zwielicht, die Luft war stickig aufgrund des goldenen Staubes, der von den Bergen aus Weizen, Gerste und Hirse herrührte, die bis an die Decke ragten. Aus den Ecken funkelten die Augen von Katzen, die diesen Reichtum vor Mäusen und Ratten bewahrten.

Kleopatra studierte Caesars Miene. Rom mußte Weizen einführen, Jahr für Jahr - und hier war ein Vorrat, der für den ganzen Mittelmeerraum reichte.

Danach führte sie Caesar zu dem Gewürzspeicher, ein großes rechteckiges Gebäude mit Ventilationsschächten und Wachen an den Eingängen. Im Inneren durchdrang das Sonnenlicht die Dämmerung in dünnen gelben Schäften, die Luft erschien wie ein gelber Nebel, der sich auf die Lunge legte, das Gemisch der Aromen war überwältigend. Unzählige Holzkisten mit Kardamom, Zimt und Pfeffer, pralle Jutesäcke mit Safran, Kumin, Gelbwurz, Anis und Koriander.

Kleopatra ließ den Blick nicht von Caesar, wußte, was er dachte. Ein unschätzbares Vermögen tat sich hier auf - allein in diesem einen Gebäude.

Die Lager für die Ölvorräte standen separat, im Inneren eines jeden befanden sich übereinander geschichtete Bretter, auf denen dickbäuchige Amphoren standen, die in Stroh eingebettet waren. Sesamöl, Leinöl und Olivenöl, das wichtigste unter ihnen.

»Als Königin habe ich das Monopol über dies alles«, flüsterte sie ihm zu, als sie wieder ins Sonnenlicht traten. »Ich befehle den Bauern, wieviel sie anbauen sollen, und später wird die Ernte in meinen Fabriken gepreßt. Die Jahressteuer für Weizen beläuft sich auf zwanzig Millionen Scheffel. Und das ist noch nicht alles. Aus meinen Papyruspflanzen entsteht das Papier für die ganze Welt. Ich besitze ein Wollmonopol. Ein Viertel aus dem Verkauf von Fisch und Honig gehört mir, und ein Drittel aus dem von Wein. Mir gehören auch Salz- und Salpetergruben, Goldminen im Süden des Landes. Ich erhalte einen Zoll von zwölf Prozent für alle Waren, die den Nil hinauffahren... «

»Das reicht«, murmelte er überwältigt. »Warum zeigst du mir das alles? Glaubst du nicht, daß es bereits genug Römer gibt, die es nach Ägypten gelüstet?«

»Ich sorge mich nicht um die anderen Römer«, erwiderte sie. »Sondern um den, der ein zweiter Alexander wäre, wenn er die Mittel dazu hätte.«

Er starrte sie an. In seinen Augen lag plötzlich ein ganz neuer Ausdruck: Achtung, vermischt mit Furcht. Sie lockte ihn mit gefährlichen Visionen.

Die Tatsache, daß Ägypten noch frei war vom römischen Joch, lag darin begründet, daß der römische Senat keinem Römer die Oberherrschaft über ein Land gestattete, das so reich war, daß es diesen unabhängig von Rom machen konnte. Doch nun war es Ägypten, das sich ihm anbot, sich niederlegte, freiwillig die Schenkel spreizte und ihm einflüsterte, Rom zu vergessen und zu tun, was ihm beliebte.

»Es muß eine neue Krönung geben«, sagte sie zu Mardian.

Er wirkte verdutzt. »Ihr seid bereits gekrönt worden, Majestät, sowohl im Serapion wie auch in Memphis.«

»Dann eine Hochzeit.«

»Welche Hochzeit?«

»Wir müssen Caesar ein wenig enger an Ägypten binden.«

»Sind Euch die Römer noch nicht nahe genug?«

»Der Pöbel der Stadt betrachtet Caesar als Eroberer, und die chora achtet nur auf das Dröhnen der römischen Stiefel. Kleopatra muß neu erstehen, so wie Alexandria. Man soll mich als Caesars Gemahlin sehen, nicht als sein Werkzeug. Das ist der große Vorteil, den ich gegenüber meinem Vater habe. Er konnte sich nicht mit einem römischen Feldherrn vermählen.«

»Er mag daran gedacht haben«, murmelte Mardian vor sich hin. Des Flötenspielers Schwäche für Lustknaben war kein Geheimnis. Sie warf ihm einen tadelnden Blick zu.

»Wir müssen ein Schauspiel aufführen, Mardian. Die Welt liebt Theater. In diesem Stück werde ich Isis und Caesar Amun sein, der Stiergott, der Gott der Fruchtbarkeit. In Rom hält man Caesar für meinen Beherrscher und Kleopatra für seine Vasallin. Doch hier am Nil müssen wir Götter sein, Mardian, denn das ist es, was die Menschen wollen. Und sie werden es bekommen - Isis und Amun, die sich vermählt haben, um Ägypten eine neue Blütezeit zu bescheren. Wir spielen das kleine Stück in der chora. Ich habe meine Lektion gelernt, Mardian. Ich werde keine Nacht mehr in einem Wüstenzelt zubringen.«

»Ihr werdet weder das Volk in der Stadt noch die Menschen bei Hof täuschen können.«

»Daran liegt mir nicht. Ich habe jetzt Caesars Legionen hinter mir, so daß sie es gar nicht wagen werden, sich zu widersetzen. Und wenn ich auch noch die Getreidekammer der chora in der Hand habe, werden sie mir huldigen, selbst wenn sie mich nicht lieben.«

Mardian wirkte skeptisch. »Eine kühne Vision, Majestät.«

»Ich kenne mein Schicksal, Mardian. Kleopatra wird die Welt verändern, nicht nur Ägypten.«

Mardian schenkte ihr den gleichen mitleidigen Blick, mit dem die anderen ihn sonst bedachten. Er konnte ihr nicht folgen, hatte keine Ahnung, wovon sie redete. Nun, eines Tages würde er es begreifen.

Sie wußte, was Caesar vorschwebte. Eine folgsame Königin, ein eigenes Lehnsgebiet mit einem Marionettenhof, den er gegen den römischen Senat ausspielen konnte. Aber Caesar glaubte auch an die Macht des Schicksals, genau wie sie. Doch wenngleich sie ihr Schicksal unlösbar mit dem seinen verknüpft hatte, unterschied sich ihre Vorstellung dennoch von seiner. In ihrem Schoß wuchs nicht nur ein Kind heran, sondern der erste Sproß einer großen Dynastie. Gut, daß Mardian auch davon keine Ahnung hatte, denn sonst würde er auf der Stelle in Ohnmacht fallen.

28

Sie war sicher, daß Caesar trotz seiner einundfünfzig Jahre noch nie auf einem Prachtschiff wie diesem gesegelt war. Die thala-megos, die Staatsbarke der Ptolemaier, war so groß wie ein Vierruderer. Ein halbes Stadion, vom geschwungenen Heck bis zu dem Bug mit der Lotusblume aus libanesischem Zedernholz. Es hatte sechs Reihen für die Ruderer, Bankettsäle, Altäre für Venus, Dionysos, Isis und einen kleinen Garten. Die Tages- und Schlafgemächer waren mit süß duftendem Zedern- und Zypressenholz getäfelt, und obgleich die Einrichtung griechisch war, zierten die Wände ägyptische Motive aus Blattgold, bei denen es sich vor allem um die Nilgötter handelte - Sobek, Bastet und Kleopatras persönliche Götter, Horus und Isis.

Aus Höflichkeit Caesar gegenüber hatte sie das Schlafgemach, das sie teilen würden, mit einem Fries übermalen lassen, auf dem Szenen aus Homers Ilias dargestellt waren. Darüber hinaus war der Raum mit jeder erdenklichen Kostbarkeit ausgestattet: goldgerahmten Spiegeln, Bänken, bestückt mit Koralle und Karneol, ein Zederntisch mit Elfenbeinintarsien, ein mit Gold überzogenes Bett aus Ebenholz, Decken aus purpurner Seide.

Sie begannen die Reise am See Mareotis, wo es so aussah, als sei die gesamte Bevölkerung Alexandrias erschienen, um sie zu verabschieden. Das ist jetzt die wahre Krönung, dachte sie. Von nun an ist jedem klar, daß ich die Königin Ägyptens bin und mein Beschützer der mächtigste Mann der Welt ist. Ptolemaios ist tot, und Arsinoe liegt in Ketten. Es gibt niemanden mehr, der mir den Thron streitig macht. Wenn noch Gefahr lauert, dann nur mehr aus Rom.

Die Segel blähten sich mit dem launischen Flußwind, während die königliche Barke durch das feuchte Herz des Deltas glitt, an Wasserrädern und Rebengärten vorbei, sumpfigen Ufern und Schilfgestrüpp, grünen Gersten- und Bohnenfeldern, flach gedeckten Lehmdörfern, die unter Dattelpalmen in der Sonne schmorten. Die Rücken der Nubier beugten sich über die Ruder und glänzten, die silbernen Blätter blitzten in der Sonne. Hinter ihnen ein Geleitzug aus vierhundert Liburnen, auf ihnen zwei von Caesars Legionen -die größte Flotte, die der Nil je gesehen hatte.

Die Menschen strömten aus den Hütten, standen knietief im rötlichen Schwarz des Schlamms und bestaunten etwas, das sie noch nie zuvor erblickt hatten. Das Vorbeiziehen der Götter Isis und Amun, die nebeneinander auf goldenen Bänken unter Seidenbaldachinen ruhten, aufgewartet von einer Dienerschaft, die die Stirnbänder und gefältelten Röcke früherer Zeiten trug, schöne junge Männer mit juwelenbesetzten Fächern.

Sie ließen das endlose Grün des Deltas hinter sich. Das Tal verengte sich auf beiden Seiten des Flusses, jenseits von ihm erstreckte sich die dürre Wildnis der Wüste, die teils bis zum Ufer reichte, manchmal jedoch nur in der Ferne zu sehen war. Sie rasteten in der Nähe von Memphis und sahen zu, wie die Sonne hinter der Mastaba Djosers und dem blauroten Rand der Wüste versank. Caesar ließ den Blick über die große Stufenpyramide gleiten, die sich gegen den dunkler werdenden Himmel abhob, und fragte sie, wer jene Denkmäler gebaut habe. Die Pyramiden, antwortete Kleopatra, seien so alt wie Ägypten, so alt wie die Zeit. Wie Wüste und Berge.

Als sie weiter südwärts gelangten, sahen sie gewaltige Felskuppeln, die sich aus dem Sand erhoben, weiß wie Asche in der Mittagsglut, violett im Licht der untergehenden Sonne. Sie erreichten die uralte Stadt Theben, die Stadt der Hundert Tore. Am Westufer lagen wie mächtige Elefantenrücken die steinernen Hügel, aus denen die Pharaonen ihre Grabstätten hatten errichten lassen. Während die Barke vorbeizog, beäugte sie ein Flußpferd aus dem Wasser, lediglich Ohren und Nüstern ragten hervor. Und immer wieder zwischen Dattelpalmen die Eingangstore und Säulen früherer Tempel. Über die staubigen Saumpfade wanderten Frauen, mit Wasserkrügen auf dem Kopf. Auf den Sandbänken lagen schlafende Krokodile, die platschend ins Wasser glitten, sobald sie ihrer gewahr wurden.

Bei der Abfahrt aus Alexandria waren die Tage noch kühl gewesen, so daß man nachts im Palast Becken mit glühendem Sandelholz hatte aufstellen müssen, um die Räume zu erwärmen. Doch je weiter sie flußaufwärts kamen, desto heißer wurde es. Der Himmel zeigte sich tagsüber in einem stechenden Blau, die Nächte waren erfüllt von Fliegenschwärmen. Caesar wirkte gelöst, und seine Umarmungen wurden hingebungsvoller und sanfter. Es gab Augenblicke, in denen sie glaubte, er könne sie fast ein wenig liebgewonnen haben.

Philae, das Inselheiligtum der Isis, wiederhergestellt und aufgebaut von ihrem Vater. Es war Abend, als sie dort ankamen: die Sandsteinobelisken standen zwischen schlanken Palmen, die sich im Abendrot golden färbten.

Die königliche Barke schob sich durch wiegendes Schilf an Land. Im Tempel und entlang der Prozessionsstraßen waren Fackeln entzündet, in deren Licht sich das Wasser kräuselte. Mit der Abendbrise drangen Weihrauchschwaden aus Kampfer zu ihnen.

Kleopatra hatte den Tag in ihrem Gemach zugebracht, um sich auf diesen Augenblick vorzubereiten. Nun trug sie eine Robe aus feinster Gaze, durchwirkt mit Gold, zwischen den Brüsten prangte der mystische Knoten, an Oberarm und Fuß gewundene Goldschlangen, die Hoheitszeichen der Isis.

Die Anlegestelle und die Straße, die zum Vortor des Tempels führte, war von Menschen gesäumt, Fellachen neben Nubiern und Arabern, sogar etliche Griechen waren zu sehen. Kahlrasierte Priester, in den weißen Gewändern der Göttin, waren aus dem Tempel getreten, um sie mit Weihrauchgefäßen in den Händen zu empfangen. Als Kleopatra die königliche Barke verließ, fielen sie auf die Knie und berührten die Erde mit der Stirn. Die Menge tat es ihnen nach.

Kleopatra bestieg eine Sänfte und wurde zum Eingang des Tempels getragen, eingehüllt von den Gesängen der Priester und dem Gerassel unzähliger Sistren.

Die Relieffiguren auf dem goldenen Sandstein traten scharf im Feuerschein der Fackeln hervor. Kleopatra schaute zu ihnen empor: In strahlenden Farben war da ihr Vater abgebildet, der den Feind erschlug. Mit der einen Hand hatte er einen Haarschopf gepackt, mit der anderen eine Keule. Nur die Hieroglyphen wiesen ihn als Ptolemaios XII. aus, denn er trug das goldene Stirnband und den langen gelockten Bart der Pharaonen. Sie bezweifelte auch, daß er in seinem Leben je einen Feind getötet hatte; doch es wäre wohl nicht angegangen, ihn inmitten seiner dionysischen Gelage abzubilden, wie er sich gerade bewußtlos trank.

Sie verließ die Sänfte und stieg die Stufen zum Eingang empor, der zum großen Altar führte und von zwei wuchtigen Obelisken gesäumt wurde. Der weite Vorhof war eingerahmt von Säulenreihen mit dunklen Arkaden, die als Trennung zwischen heiligem und weltlichem Bezirk dienten. Zu ihrer Linken befand sich das Haus der Geburt, im Fackellicht erkannte man in leuchtendem Blau und Ocker Horus, wie er als Sohn von Isis und Osiris geboren wurde.

Kleopatra schritt weiter zu dem dahinterliegenden Eingang, der ebenfalls mit Reliefs geschmückt war, die ihren Vater zeigten, wie er der Göttin Opfer brachte. Flache Stufen führten hinauf zur Halle der Schöpfung.

Säulen über Säulen, gewaltige Pfeiler mit Kapitellen in Lotusgestalt, die sich im Dunkel verloren. Sie waren als Abbild der Schöpfungsgeschichte entworfen. Die Götter in kräftigen Grün- und Goldtönen, Hathor mit dem Kuhkopf, der widderköpfige Amun und Horus als Falke.

Sie ließen die Gebetshalle hinter sich. Danach war nur noch den Priestern und Kleopatras Gefolgschaft das Weitergehen gestattet. Die Räume wurden enger und dunkler, bis sie, am entlegensten und höchsten Teil des Tempels, das Heiligtum der Göttin erreichten.

Kein Lichtstrahl von außen drang vor zu dem Altar. Isis schimmerte golden und sanft im Kerzenlicht; Isis, die Gütige, die Große Mutter, im Kopfschmuck der Pharaonen, in der Linken den Krug mit dem geweihten Wasser des Nils, heiter, schön, barmherzig. Sie war nackt bis zur Taille, der Umhang zwischen den Brüsten war zum mystischen Knoten geschnürt, das Geier-Amulett der chora lag um ihren Hals, um den rechten Arm wand sich die Schlange.

Kleopatra las die Hieroglyphen am Fuße der Statue: Isis, die Große, die Lebenspendende, die mächtige Herrscherin der Götter, deren Name sich über ihresgleichen erhebt, ohne die kein Einlaß ist in den Palast...

Aus dem Schatten drang ein Rascheln an Kleopatras Ohr, es glitzerte das goldene Auge der Kobra, das heilige Tier der Göttin. Sie bezwang ihre Furcht. Heute bin ich Isis, dachte sie. Sie kann mir nichts zuleide tun. Die Kobra tötet nur Menschen, für die Kinder der Götter bedeutet ihr Biß Unsterblichkeit.

Sie fiel vor der Göttin auf die Knie und bedeutete ihren Dienerinnen, die Opfergaben vorzubringen: Goldschatullen mit kostbarer Myrrhe, süß riechendem Zimt und erlesenem Weißwein aus Mareotis.

»O Isis, Spenderin des Lebens, Göttin der Zehntausend Namen, Schutz und Zuflucht der Menschheit! Ich, Kleopatra, bin zu dir gekommen, um dein Antlitz zu sehen und dich anzuflehen um die Herrschaft über meine Länder.«

Sie sah, wie die Priester Weihwasser versprengten, während die Altardiener mit hohen Stimmen ihre Hymnen anschlugen. Sie beugte sich vor, um den Weihrauch zu entzünden, und fühlte, wie ihr schwindelte, als sich der schwere, würzige Duft entfaltete.

Als es Nacht wurde, stiegen die Nebel aus den Papyrussümpfen, und unzählige Insekten schwirrten um die Öllampen. Die Hitze des Tages war gewichen, die Sternennacht war klar und kalt. Kleopatra fröstelte unter ihrem Umhang, als sie neben Caesar auf der königlichen Barke stand.

Caesar störte weder Kälte noch Hitze. Er steckte in derselben Tunika, die er auch in der glühenden Tageshitze getragen hatte, und gab die braunen Arme und Beine der Natur preis. Er wirkte tief in Gedanken versunken. Die Ereignisse des Tages schienen ihn zu beschäftigen. Also haben wir Caesar doch endlich beeindrucken können, dachte Kleopatra.

»Als wir hier ankamen, haben sie dich behandelt wie eine Göttin«, sagte er nach einer Weile.

»Als Königin von Ägypten bin ich eine Göttin. Vielleicht nicht in Alexandria, doch hier in der chora und für die Priester bin ich die Inkarnation der Isis.«

Er runzelte die Stirn. Die Vorstellung widersprach dem, was er in Rom gelernt hatte. Andererseits besaß sie Aspekte, die ihm eigentlich zusagen müßten. »Männer können keine Götter sein. Ebensowenig wie Frauen.«

»Das ist aber nicht das, was die Menschen hier glauben. Für sie bist du die Inkarnation Amuns, des Gottes der Fruchtbarkeit.«

Das entlockte ihm ein Lächeln. »Nun, kaum eine meiner Frauen würde das unterstreichen. Ich war viermal verheiratet und habe nur eine Tochter. Nicht sehr göttlich.«

»In Ägypten warst du fruchtbar. Ein kräftiger Same braucht einen kräftigen Boden.«

Er gab keine Antwort.

»Ich glaube, es würde dir gefallen, wenn Rom vor dir kniete, so wie die Priester heute vor mir.«

»Das ist ein frevelhafter Gedanke.«

»Aber verlockend, findest du nicht?«

Er wandte sich ab. Offenbar wollte er ihr seine Meinung dazu nicht anvertrauen. Die Lehmkuppel eines Nilometers zeichnete sich zwischen den schwarzen Konturen der Palmbäume ab, jenseits davon sah man den dunklen Schatten der Nachbarinsel und das Eingangstor eines Tempels.

»Was liegt dort hinten?«

»Das ist Biggeh, der Ort, an dem Osiris begraben liegt. Der Bruder und Gemahl der Isis.«

»Daher bezieht ihr also eure... Praktiken.« Kleopatra erkannte den Spott in seiner Stimme.

»Ein Ägypter würde sagen: Was für die Götter gilt, das gilt auch für Menschen.«

»Und du glaubst das?«

»Ich glaube, daß der Ptolemaier, der Ägypten regiert und es zu neuer Blüte führt, sein Land verstehen muß. Du denkst zu sehr wie ein Römer, um Ägypten zu begreifen.«

Caesars Gesicht wirkte wie eine steinerne Maske. »Erzähl mir die Geschichte dieser Götter.«

Sie holte tief Luft und überlegte, wo sie am besten anfangen sollte. Die Göttergeschichte war nicht so einfach. »Vor langer, langer Zeit lebte Osiris als großer König«, begann sie. »Er schenkte der Welt die Schreibkunst, den Ackerbau und die Kultur, führte die Menschheit von der Barbarei zur Zivilisation. Er herrschte über die Länder der Erde, aber er benutzte keine Waffen, sondern die Macht der Worte, der Lieder und der Musik. Isis war seine Frau. Sie war berühmt für ihre Liebe und Treue zu ihm. Aber Seth, Osiris' Bruder, wurde eifersüchtig und tötete Osiris. Er zerhackte den Körper in vierzehn Teile und verstreute sie über Ägypten. Isis jedoch suchte so lange, bis sie die Teile wiederfand. Alle, bis auf eins. Den Phallus nämlich entdeckte sie nicht. Sie fügte die Teile wieder zusammen und schenkte ihrem Mann das ewige Leben. Vor seiner Reise in die Unterwelt verbrachte sie eine letzte Nacht mit ihm. Dabei wurde Horus gezeugt, ihr Sohn. Als Horus erwachsen war, rächte er sich an Seth, indem er ihn tötete, und bestieg den Thron von Ägypten. Jetzt ruht Osiris im Reich der Toten, doch Isis ist die Spenderin des Lebens, die Große Mutter, die Göttin der Liebe und der Barmherzigkeit.«

»Wie will ein Mann ein Kind zeugen, wenn ihm das Wichtigste fehlt?«

»Er war ein Gott«, entgegnete Kleopatra schlicht.

Sie wußte nicht, ob er das verstehen würde. Doch auch in Rom gab es schließlich Isistempel. Wahrscheinlich betrachtete er jedoch die Göttin wie die meisten Römer einfach nur als Göttin der Frauen, in deren Tempel Prostituierte warteten und sich die Liebespaare heimlich trafen. Für ihn gab es nur Jupiter, den Gott der Fülle, und Mars, den Gott des Krieges. Sagten ihm Begriffe wie Sühne und Auferstehung überhaupt etwas? Verstand er, daß er für die Ägypter der wiedergeborene Osiris war? Hatte sich die Spinne endlich in ihrem eigenen Netz verfangen?

Hatte er, obwohl er sie beherrschte, sich endlich doch ihrem Leben anheimgegeben? Hatte sie ihn schließlich eingewoben in das Gespinst ihrer Träume?

»Und nun wohnt Isis in einem Tempel neben seiner Grabstätte?« erkundigte er sich.

»Richtig. Aber alle zehn Tage wird die goldene Isis-Statue, die wir gesehen haben, auf einer heiligen Barke über den Fluß gesetzt, damit sie den geliebten Gemahl besuchen kann.«

»Und den geliebten Bruder!« murmelte Caesar. Sein Widerwille war unverkennbar.

»Nun, es kann nicht die ganze Welt so rein sein wie Rom«, entgegnete Kleopatra. An seinem wütenden Gesichtsausdruck erkannte sie, daß sie ins Schwarze getroffen hatte.

Lange Zeit blieb er still. Sie lauschte dem Quaken der Frösche in den Sümpfen. Dann sagte er mit einemmal: »Hast du schon einmal daran gedacht, wieder zu heiraten?«

Sie wandte sich abrupt zu ihm um. Ihr Herz fing so wild und stürmisch zu schlagen an wie das eines jungen Mädchens. Seit sie wußte, daß sie sein Kind erwartete, hatte sie kaum an etwas anderes gedacht. Sie zwang sich jedoch zur Ruhe, ehe sie antwortete.

»Heiraten?« fragte sie mit gespielter Verwunderung. Aus dem Dickicht des Schilfs drang der Schrei eines Hähers.

»Du hattest recht, als du sagtest, Caesar dächte zu sehr wie ein Römer. Ich sollte wie ein Ägypter denken - wie du. Daher scheint mir, daß du, ehe die Menschen erneut unruhig werden, den kleinen Antiochos heiraten solltest. Das wäre doch ägyptisch gedacht, oder nicht?«

Oh, du dampfender Haufen Krokodildung! schleuderte sie ihm innerlich entgegen. Du willst mich also ein zweites Mal verraten! »Antiochos ist erst zwölf Jahre alt.«

»Das tut wenig zur Sache. Er wird anderes junges Blut daran hindern, ein Auge auf dich und Ägypten zu werfen.«

»Ich brauche keinen Antiochos.«

»Aber du hast mir gerade erklärt, daß die Geschwisterehe nach Art der Götter ist und insofern auch die deine, nicht wahr? Und eine Königin kann nun einmal nicht allein regieren. Ohne Gemahl werden dich fremde Prinzen umwerben.«

»Ich trage dein Kind!«

»Oh, keine Sorge, man wird es kaum für das deines Bruders halten.«

»Weil jeder weiß, wessen Kind es ist.«

Er zeigte das selbstgefällige Lächeln eines Mannes, der all seine Probleme gelöst glaubt. Und das waren sie ja schließlich auch. Wieso verwunderte sie diese neuerliche Tücke eigentlich? Die Vermählung mit einer ägyptischen Königin würde sein Leben nur unnötig erschweren. So war es der einfachste Weg.

Und - hatte sie nicht erreicht, was sie wollte? Sollte sie sich etwa aufführen wie ein verwöhntes Prinzenkind, so wie Arsinoe oder Ptolemaios mit dem Fuß aufstampfen, nur weil nicht alles nach ihrem Willen ging? Caesar trachtete lediglich nach der Erhaltung seines Besitzes, und zwar so, wie er es für richtig hielt.

Für sie war ihr Kind das Versprechen eines neuen Herrschergeschlechts, das größer und mächtiger sein würde, als es die Welt je gesehen hatte - für ihn war es nur ein weiterer Bastard.

»Somit wäre auch das geregelt«, sagte er.

»Wenn du meinst«, entgegnete sie kühl.

»Du kannst dir natürlich Liebhaber nehmen.«

»Die Königin von Ägypten kann nicht ganz so sorglos sein wie ein römischer Imperator.«

»Vielleicht einen deiner hübschen Sklavenjungen?«

»Schwerlich. Wann immer ich sie rufe, liegen sie in den Armen römischer Zenturionen.«

»Du hast eine scharfe Zunge.«

»Bei einem untadeligen Leben. Das ist der Unterschied zwischen dir und mir.«

Noch lange, nachdem Caesar sich zurückgezogen hatte, saß sie allein an Deck und lauschte den Wellen, die an die Schiffswände klatschten. Sie spürte, wie sich das Kind in ihr regte. Dann schaute sie zum Himmel und beobachtete, wie die Sterne hinter dem Horizont verschwanden. Wie schlau und gerissen Caesar doch war! Antiochos heiraten!

Sie hatte noch viel von ihm zu lernen.

Vielleicht hätte der Kompromiß ihrem Vater gereicht. Sie hatte den Thron, selbst wenn sie ihn mit dem Bruder teilen müßte, und sie besaß den Schutz Roms. Natürlich wußte sie noch nicht, wieviel Caesars Schutzherrschaft sie kosten würde. Doch sie konnte es sich vorstellen. Wenn er seine Legionen nach Osten verlagern würde, um in den Fußstapfen Alexanders in Parthien einzufallen, dürfte es wohl an Ägypten sein, für diese Ruhmestat aufzukommen.

Ja, der Flötenspieler hätte das akzeptiert. Aber ich bin nicht mein Vater. Ich will aus eigenem Recht Königin sein, nicht nur aus Caesars Gnaden. Er hält mich immer noch für eine dumme Gans, das willige Werkzeug seiner Lust, die Schatztruhe, die seine Ziele möglich macht. Aber ich werde Ägypten befreien von ihm und seinen Machenschaften.

Oh, er hat natürlich unzählige Frauen gehabt, ich bin ja nur eine von vielen. Er war bereits zum vierten Mal verheiratet, und jede dieser Verbindungen war aus Gründen des Geldes oder der Macht geschlossen worden, wie Mardian erzählte. Nun, er wird sich wundern, wenn er seinen Ehrgeiz an mir zu reiben beginnt, denn zwischen meinen Beinen liegt Ägypten, und aus der Frucht meines Leibes entsteht eine neue Welt.

Ich werde Caesar umgarnen. Und eines Tages werde ich den Strick zuziehen. Dann lösche ich meinen Durst mit seinem Blut.

29

Bei ihrer Rückkehr nach Alexandria erwarteten Caesar dringende Nachrichten. Gleich nach der Ankunft schloß er sich mit seinen Befehlshabern ein, empfing Kundschafter und studierte Berichte. Die Nachrichten, so erfuhr Kleopatra, waren ausnahmslos schlechter Natur. Nun, dachte sie, schlechte Nachrichten für Caesar bedeuten noch lange nicht schlechte Nachrichten für mich. Sie zog sich mit Mardian in ihr privates Audienzgemach zurück, wo sie neue Minister und Beamte berief und sich abermals bereit machte, die Regierungsgeschäfte Ägyptens zu übernehmen.

Am Abend traf sie Caesar in dem Bankettsaal, den er während der Belagerung für seine Zwecke eingerichtet hatte. Er saß an dem großen Tisch aus Rosenholz und Elfenbein. Die Lampe auf dem Tisch war angezündet, und die kleinen Leuchten auf den Bronzearmen warfen blasse Tupfer auf sein Gesicht. Die Karten und Lagepläne waren jedoch verschwunden, statt dessen breiteten sich viele Schriftstücke vor ihm aus. Andere waren auf den Boden gerollt. Caesar wirkte müde und erschöpft.

Von irgendwoher aus dem Palast erklang leise Musik. Flöten und Lyren, ein kleines Konzert am Abend. Durch die Fenster sah man das helle Feuer des Leuchtturms; es zog eine wellige Lichtspur über das Hafenwasser.

Als sie eintrat, blickte er auf. »Caesar kehrt Rom für kurze Zeit den Rücken, und schon ist die Welt aus den Fugen geraten.«

»Wirst du uns verlassen?« fragte sie mit klopfendem Herzen. Sie wußte nicht, ob sie sich darüber freuen sollte oder nicht. Warum bin ich so uneins mit mir? fragte sie sich. Habe ich mir das nicht gewünscht? Die Herrschaft über Ägypten auszuüben, ohne von ihm gegängelt zu werden und Befehle erteilt zu bekommen?

Widerwillig gestand sie sich ein, daß sie diesem elenden römischen Verräter trotz allem zugetan war. Und eigentlich wollte sie, daß er zugegen war, wenn sie ihm seinen Sohn überreichte. Es mußte ein Sohn sein!

»Ich bin schon viel zu lange fortgeblieben«, hörte sie ihn sagen. »Die Siebenunddreißigste Legion, die mir aus Pontus zu Hilfe kam, war meine Rettung, doch der Ruin der Provinz. Ihre Bewohner haben die Abwesenheit der Legion genutzt, um die Römer dort niederzumetzeln. Zudem haben sich Pompejus' Söhne in Karthago zusammengetan, um neue Unruhen zu stiften. Selbst in Italien gibt es Ärger. Auf dem Land meutern die Veteranen, und Marcus Antonius hockt auf seinem Hintern und sieht seelenruhig zu, wie der Pöbel das Forum stürmt. Man verargt es mir, daß ich hier Zeit vertrödele, während das Reich in Trümmer fällt.«

»Ich wünschte, du müßtest nicht gehen«, sagte sie. Es entsprach beinahe der Wahrheit.

»Ich werde drei Legionen unter Cornelius Rufus zu deinem Schutz zurücklassen.«

Zu meinem Schutz? Oder zu meiner Bewachung? fragte sie sich. Aber es ist wohl einerlei, wie er es nennt. Er weiß, daß ich ihn ebenso brauche wie er mich.

»Ich nehme die Sechste Legion und segele nach Pontus.«

»Werden wir dir fehlen?«

Er zuckte die Achseln. »Alexandria ist ganz angenehm.«

Die Unverbindlichkeit seiner Worte ärgerte sie, aber das war wohl beabsichtigt.

»Nur angenehm?«

»Nun - bis auf die allgemeine Liebelei mit Tod und Begräbnis und der Unsitte der Eunuchen! Man weiß nie, ob man es mit einem Mann zu tun hat oder mit einem... Lustknaben.«

»Es sind Männer wie Mardian.«

»Ein Mann ist kein Mann, wenn ihm das Wichtigste fehlt. Ich werde es nie verstehen. Es ist einfach barbarisch.«

Caesar wollte ihr einen Vortrag über barbarisches Benehmen halten? »Man hat mir erzählt, daß du während des gallischen Krieges in Uxellodunum zehntausend Männer gefangen genommen hast und ihnen die Hände abschlagen ließest, damit sie die Waffen nicht mehr erheben können. Und du nennst uns barbarisch?«

Seine Augen blitzten böse, und sie erkannte, daß sie zuviel gesagt hatte. »Das war im Krieg«, knurrte er.

»Es war notwendig, meinst du. Nun, genauso notwendig sind für uns die Eunuchen.«

»Und zu welchem Zweck?«

»Glaubst du, wir Könige könnten den Ministern trauen, wenn nicht auszuschließen ist, daß sie selbst nach dem Thron streben?«

»Und einem Mann, der wie ein Baum gestutzt wurde, kann man trauen?«

»Könige brauchen Nachkommen. Die erste Pflicht heißt zwar regieren, die zweite jedoch, für Kinder zu sorgen. Ohne diese bist du nur ein...« Sie war schon im Begriff, »Tyrann« zu sagen, als sie sich Einhalt gebot. Sie würde ihren Standpunkt schon noch vertreten.

»Und deshalb benutzt ihr diese - Geschöpfe?«

»Eunuchen wie Mardian entstammen den vornehmsten Familien des Landes. Sie haben bereits als Kinder in bezug auf Sitte und Gelehrsamkeit außergewöhnliche Fähigkeiten bewiesen. Wenn sie nach Höherem streben, wird der Eingriff notwendig. Er ist außerdem freiwillig.«

»Und wie alt sind sie, wenn man zu dieser drastischen Maßnahme greift?«

»Etwa zehn Jahre.«

»Und das nennst du freiwillig? Sie wissen doch gar nicht, auf was sie sich einlassen! Ich behaupte immer noch, daß es barbarisch ist!«

»Aber dich selbst hältst du nicht für einen Eunuchen?« fragte sie vorsichtig.

Seine Augen sprühten vor Zorn. Dieses Mal gab sie jedoch nicht nach.

»Denk darüber nach. Du bist der König von Rom. Dir fehlt allein der Titel. Und warum bist du es nicht offiziell? Weil du weder Söhne noch Töchter hast, die dir nachfolgen werden. Die Welt mag zwar zittern, wenn du marschierst, aber dennoch bist du nur ein Mensch. Du wirst sterben, und du wirst vergessen sein. In Ägypten würde man dich als Eunuchen bezeichnen. Das ist es, was dein geliebtes Rom aus dir gemacht hat.«

Einen Moment lang dachte sie, er würde sie schlagen. Sein Gesicht war weiß geworden. Sie hatte ihn bis aufs Blut gereizt.

»Verschwinde!« zischte er.

»Wenn du mich jetzt haßt«, flüsterte sie, »dann nur, weil ich dir die Wahrheit gesagt habe.«

War sie zu weit gegangen? Nun, mochten die Würfel fallen, wie sie wollten. Sie hatte nicht um Ägypten gekämpft, um nur nach seiner Pfeife zu tanzen. Es war das erste Mal, daß sie sich ihm gegenüber behauptet hatte, doch jetzt konnte sie es sich leisten. Es gab keinen Ptolemaios und keine Arsinoe mehr, durch die er sie ersetzen konnte. Außerdem hatte er ihr selbst gezeigt, wie man andere besiegt, und das war eine Lektion, die sie nicht so rasch vergessen würde. Wie sie ihm bereits zu Beginn ihrer Bekanntschaft zu verstehen gegeben hatte, war sie stets eine gelehrige Schülerin gewesen.

Am darauffolgenden Tag wurde Kleopatra, als letzte Maßnahme Caesars, zum zweiten Mal mit einem ihrer Brüder verheiratet. Antiochos schien kaum zu begreifen, was um ihn herum geschah. Man glaubte ohnehin, daß die Furcht, die er in seinen jungen Jahren bereits durchlebt hatte, die Entwicklung seines Geistes behindert hatte. Wieder leitete Pshereniptah die Zeremonie und bat Isis um ihren Segen. Sie tauschten die üblichen Treueschwüre aus, und schließlich ernannte Caesar Antiochos zu Ptolemaios XIV. von Ägypten.

Kleopatra fing Caesars Blick auf und meinte Befriedigung darin zu lesen. Seit ihrem letzten Gespräch hatten sie sich auf den Austausch von Höflichkeiten beschränkt. Auch als er später am Tag zu ihr kam, um sich von ihr zu verabschieden, hielt er sich strikt an das Protokoll und umarmte sie nicht.

Dennoch bereute sie ihre Worte nicht. Sie wußte, daß sie in ihm schwären würden, über Monate, vielleicht sogar jahrelang, bis zu dem Tag, an dem sie sich wiedersähen. Kleopatra von Ägypten würde er jedenfalls nicht mehr vergessen.

30

Isis, die Große Mutter. Ihr Gesicht leuchtete gnädig zu Kleopatra herab. Der schwere Kampfergeruch des Weihrauchs, die Gesänge der Priester und das Rasseln der Sistren hüllten sie ein. Unter ihr rollten die Wellen heran und brachen sich klatschend am felsigen Ufer.

Kleopatra schaute kniend zu dem glatten weißen Marmorgesicht der Göttin auf, zu dem Kopfschmuck, der Mondscheibe und den Hörnern Hathors. Sie ist die Göttin, aber sie ist auch eine Frau.

Die Steine vor dem Altar waren abgewetzt von den vielen Knien, die darüber gerutscht waren, wenn die Menschen um Gnade flehten. Zu Füßen der Großen Mutter lagen die Opfer unzähliger Hände, vertrocknete Blumen, schimmelndes Brot. Die Gefäße mit Ziegenmilch tranken in der Regel die Priester leer.

Kleopatra bot Isis einen Kranz aus Rosen dar und einen Steinkrug, der mit bestem attischem Honig gefüllt war. »Isis, große, barmherzige Mutter«, flüsterte sie. »Laß mein Kind ein Junge sein. Laß mich Caesar einen Sohn schenken. Einen Sohn, der Ägypten rettet.«

Sie legte ihre Gaben zu Füßen der Statue ab. Iras und Charmion stützten sie, als sie sich erhob und sich auf den Weg zurück zum Palast machte. Sie spürte, wie das Kind in ihrem Leib um sich trat.

Das Kind kam im Sommer auf die Welt, als Alexandria von milden Lüften umweht wurde und der Hafen in der Sonne wie Quecksilber glitzerte. Kleopatra hatte die Stricke des Stuhls fest um die Handgelenke geschlungen. Sie bäumte sich auf, als die Schmerzen begannen. Dann schloß sie die Augen und ballte die Hände zu Fäusten, spürte, wie der Schweiß in Rinnsalen über ihren Körper lief, hörte die Ermahnungen der Hebammen schwach aus der Ferne, als kämen sie vom Ende eines langen Tunnels der Qual. Sie krümmte sich und schrie, spürte kaum, wie Charmion ihr das Gesicht mit einem feuchten Tuch abrieb.

Doch dann war das Kind da. Es war eine schwere Geburt gewesen, die Stricke hatten Striemen auf den Handgelenken hinterlassen, und die Hebammen hatten Mühe, ihr die verkrampften Finger zu lösen. Anschließend trugen sie sie zu ihrem Lager, wuschen das Kind mit warmem Rosenwasser und legten es ihr an die Brust.

Sie war nicht vorbereitet gewesen auf den Ansturm der Gefühle, der sich ihrer bemächtigte, als sie das kleine runzlige Gesicht zum ersten Mal sah. Du wirst es einmal besser haben, mein Schatz. Du wirst deine Geschwister nicht wie ich bekämpfen müssen und sie als Gegner verfluchen. Ich gebe dir alles, was ich nicht hatte, für dich wird die Krone kein vergifteter Pokal sein.

»Es ist ein Junge«, flüsterte Charmion. Kleopatra weinte vor Freude. Ein Junge. Caesar hatte einen Sohn. Ägypten einen Erben.

Mardian kam auf Zehenspitzen in das Gemach, das Gesicht glühte vor Aufregung. Man möchte meinen, er sei der Vater, dachte sie. Er spähte in das Kinderbettchen, schlug die Decke zurück, um den schlafenden Säugling besser betrachten zu können.

»Er gleicht Euch«, sagte er.

»Er gleicht einer Meergurke. Warten wir ab, wie er aussieht, wenn er erst einmal Zähne und Haare hat.«

Mardian ging über ihre Worte hinweg. Inzwischen hatte er sich an ihre Ironie gewöhnt. »Wißt Ihr schon, wie Ihr ihn nennen werdet?« fragte er.

Kleopatra antwortete nicht gleich. Sie schloß die Augen, stellte sich das Gesicht der Mutter Isis vor und sah, daß sie lächelte. Sie hatte verstanden. Die Vorhänge bewegten sich nur sacht in der weichen Brise. Der Turm von Pharos glänzte wie Butter in der späten Sonne des Nachmittags.

»Majestät?«

»Ich werde ihn... Ptolemaios Caesar nennen.«

Mardian zuckte zurück. Dann stöhnte er leise auf. »Möchtet Ihr das nicht noch einmal überdenken, Majestät?«

Es fiel ihr schwer, nicht laut aufzulachen. Ein seltsames Gefühl des Stolzes durchflutete sie, obwohl sie doch eigentlich nur einen ganz normalen Vorgang hinter sich gebracht hatte. Sie hatte einen Jungen geboren. Und doch war es etwas Besonderes, denn dieser Junge war Caesars Sohn. Keine römische Frau hatte das bisher geschafft. Und er hatte ihnen weiß Gott genug Gelegenheit gegeben. Nun, da hätten sie im Senat jedenfalls endlich ein Thema, über das es sich zu reden lohnte. »Warum sollte ich das noch einmal überdenken, Mardian?«

»Aus unzähligen Gründen, nicht zuletzt wegen der öffentlichen Mißbilligung.«

Sie tat so, als wüßte sie nicht, wovon er redete. »Ist er denn nicht Caesars leiblicher Sohn?«

»Erkennt Caesar ihn an?«

»Mir gegenüber schon. Wer sonst sollte wohl der Vater sein? Du möchtest doch meinen Lebenswandel nicht in Frage stellen, Mardian, oder?«

Der Ärmste wurde ganz blaß. »Erlauchte Majestät... das würde mir niemals in den Sinn kommen«, hauchte er. »Doch wenn Caesar die Vaterschaft nicht offiziell anerkennt, könnt Ihr auch seinen Namen nicht verwenden.«

»Er ist der Vater des Kindes. Wozu brauche ich seine offizielle Anerkennung?«

»Weil es das römische Gesetz verlangt.«

»Wir sind aber nicht in Rom, sondern in Ägypten. Julius Caesar ist der Vater meines Sohnes. Die ganze Welt soll es erfahren.«

Er starrte sie an, und seine Miene verriet eine Mischung aus Ehrfurcht und Angst. Wieder einmal hatte er sie unterschätzt. Genau wie die anderen. Jetzt würde sie allen zeigen, daß sie aus eigenem Recht Königin war und keineswegs nur von Caesars Gnaden. Bisher hatte man sie nur als das Mädchen betrachtet, das sich vor dem römischen Feldherrn geduckt hatte, um den Thron wiederzuerlangen. Ein Kind ließ die Sache jedoch in einem ganz anderen Licht erscheinen. Caesar mochte ja glauben, daß er sie besaß, doch nun hatte sie seinen Sohn -nun besaß die Sklavin auch den Herrn.

31

Es war das neue Jahr des ägyptischen Kalenders, und wieder einmal hatte der Nil sie im Stich gelassen. In den ersten beiden Jahren ihrer Herrschaft hatte es eine Dürre gegeben. Jetzt hingegen flössen die Wasser in Strömen. Der Fluß trat über die Ufer, überflutete die Felder und spülte die Dämme fort, die ihm in gemäßigteren Zeiten Einhalt geboten. Überall im Land kletterten Kleopatras strategoi in die Nilometer und spähten bangen Blicks auf den Stand des Pegels. Innerhalb eines Monats war die Flut in den Schleusen höher gestiegen, als sich die Menschen in der chora zu erinnern wußten.

Das Land glich einem Binnenmeer, aus dem die höhergelegenen Dörfer und Städte wie Inseln aus einem Ozean ragten. Im Niltal lösten sich die Lehmhütten auf, und die Ernte verschwand unter den Wassermassen. Doch nicht genug, daß dem Land eine Hungersnot drohte, Kleopatra mußte auch mit den Folgen rechnen, die das Hochwasser nach sich zog. Zuerst mit den Insekten, danach mit den Mäusen, dann den Schlangen und schließlich mit den Seuchen, die aus dem fauligen Wasser stiegen.

Kleopatra berief ihre Minister zu einer Notversammlung ein. »Alles Getreide, das zu retten ist, muß in die Speicher jenseits des Flusses geschafft werden. Baut neue Speicher, wenn es sein muß. Außerdem müssen Rationierungspläne erstellt werden. Die Armee wird die Maßnahmen überwachen. Sollte sich auch nur ein Soldat zu bereichern suchen, wird er sich mir gegenüber verantworten, wobei auf Gnade nicht zu hoffen ist.« Sie schaute in die Runde. »In guten Zeiten zahlen uns die Menschen Steuern, in schlechten stehen wir ihnen bei. Sonst ist man den Kopf schneller los, als man denkt.«

»Selbst wenn wir rationieren, lassen sich nicht alle sättigen«, hielt Mardian ihr entgegen.

»Dann müssen wir eben Getreide dazukaufen.«

»Das hieße die Staatsreserven plündern. Der Preis für Gerste und Weizen ist allenthalben gestiegen.«

»Tu, was du kannst, und zahle, was verlangt wird. Wenn das Land die Königin lieben soll, muß die Königin auch das Land lieben.«

Kleopatra hatte nicht vergessen, daß es die Priester und fellahin Oberägyptens gewesen waren, die ihr im Kampf gegen Pothinos beigestanden hatten. Jetzt war es an ihr, die Schuld zu begleichen.

Kleopatra hatte, wie es ihr zur Gewohnheit geworden war, bis tief in die Nacht gearbeitet, um die Aufstellungen zu prüfen, die ihr die strategoi überlassen hatten. Es war wieder Winter geworden, und draußen tobte ein heftiger Sturm. Der Luftzug, der durch die Fenster drang, strich um die Kohlebecken und ließ die Asche rot aufglühen.

Sie griff nach den Berichten, die ihr Mardians Spitzel aus Mauretanien geliefert hatten. Caesar stand kurz vor der Konfrontation mit Gnaeus und Sextus, den Söhnen Pompejus', und dem fanatischen Republikaner Cato. Nachdem jene nach Afrika geflohen waren, hatten sie sich mit ihren restlichen Legionen mit Juba verbündet, dem König von Numidien, um Caesar mit neuen Kräften anzugreifen.

Im Gegenzug hatte sich Caesar mit den mauretanischen Königen Bogud und Bocchus zusammengeschlossen. Wie es seine Art war, hatte er einem von ihnen bereits Hörner aufgesetzt, denn es hieß, daß Boguds Frau, Eunoe, Caesars Geliebte sei.

Mein Julius, dachte Kleopatra. Wenn er mit seiner Lanze nicht vor den Feinden herumfuchtelt, steckt er sie in die Frauen seiner Freunde. Kein Wunder, daß ihm seine Leibgarde auf Schritt und Tritt folgen muß.

Mardian hatte die Berichte geschönt und versucht, die Hinweise auf die mauretanische Königin zu verbrämen. Als ob sie sich um Caesars Bettgenossinnen scherte! Sehr viel größere Sorge bereitete ihr der römische Senat. Und die Frage, ob Caesar überleben würde.

Was würde geschehen, wenn Caesar in der Schlacht fiele? Sie glaubte nicht, daß der Sieg in Afrika so leicht zu erringen sein würde wie der bei Pharsalos. Veni, vidi, vici! - gut und schön. Dennoch wußte sie nicht, was aus ihr werden würde, wenn ihm etwas zustieße.

Nun, sie würde ihr Schicksal den Göttern überlassen. Isis sollte entscheiden, ob sie Caesar unversehrt ließ und seine Feinde zerstörte.

»Das ist mein Geheimgarten«, sagte Olympos.

Im Palastviertel gab es viele Gärten, und Kleopatra hätte geschworen, daß sie alle kannte, doch in diesem Eckchen des Brucheion war sie noch nie gewesen. Olympos bezeichnete es als seine »Werkstatt«. Es war von den Mauern des Museion und einem Flügel der Bibliothek umgeben, so daß einige der Beete bereits früh am Nachmittag im Schatten lagen. Etliche Gärtner machten sich mit schweißglänzenden Rücken an den Büschen und Sträuchern zu schaffen.

»Ein hübsches Fleckchen«, sagte sie.

»Wenn Ihr gestattet, Majestät, ich fürchte, Ihr seht nur die Blumen und sonst nichts.«

Sie blickte ihn fragend an.

»Seht her«, ermunterte er sie, beugte sich nieder und zupfte ein Blatt ab.

»Unkraut«, erklärte Kleopatra. »Deine Gärtner scheinen pflichtvergessen.«

»Das ist Bilsenkraut. Ihr findet es überall auf den Feldern. Die Wurzel tötet den Menschen in kürzester Zeit. Ein garstiger Tod. Oder dort drüben.« Er deutete auf einen hüfthohen Strauch mit zarten weißen Blüten. »Schierling.«

Sie starrte hinüber. Das hatte Sokrates verwendet, der sein Leben lieber selbst beenden wollte, als sich den Henkern zu überantworten.

»Das Gift lähmt den Menschen und verursacht heftige Schmerzen, ehe es ihm die Seele raubt. Doch mein Garten dient nicht allein dem Tod. Ich ziehe hier, was ich brauche. Aus dieser Pflanze entsteht zum Beispiel ein Trank, der die Empfängnis verhindert. Jene hier ergeben ein belebendes Elixier. Oder die Aloe - sie ist nicht schön, doch ihr Mark hat heilende Wirkung. Jedes Gewächs in diesem Garten hat seinen Nutzen. Aus manchen macht man Aufgüsse oder Salben, die den Blutstau verhindern, andere bilden Essenzen, die dem Körper Gifte entziehen.«

»Oder sie ihm zuführen«, entgegnete Kleopatra und ließ den Blick über das sonnige Plätzchen schweifen, wo der Tod gepflanzt und umhegt wurde. »Ich sollte froh sein, daß du mein Freund bist.«

Olympos machte eine verlegene Geste. Er gehörte zu den Besten, die das Museion je hervorgebracht hatte, und seine Kenntnisse als pharmakon waren unübertroffen. »Der Tod kommt nicht immer als Feind«, murmelte er. »Er kann auch Erlösung sein vom Übermaß des Lebens. Doch Ihr seid noch zu jung, um das einzusehen. Die Jungen wollen ewig leben.«

»Ich bin überrascht. Ich hätte geschworen, daß du deine Tage im düsteren Labor verbringst, Tränke mischst und nie das Licht des Tages erblickst.«

»Der pharmakon lebt in der Natur, nicht in der dunklen Kammer. Draußen habe ich gelernt, daß die Natur gibt und nimmt. Sie kennt keine Furcht vor dem Tod. Nur der Mann begegnet dem Tod mit Schrecken.«

»Auch die Frau«, antwortete Kleopatra. Ihr fröstelte im Dämmerlicht der Schatten. Sie redeten zuviel vom Tod an diesem lichten Tag. »Ich hoffe, daß ich deiner Dienste nie bedarf.«

Er zuckte die Achseln. »Jeder bedarf meiner Dienste irgendwann einmal. Jeder. Vor allem die Königin von Ägypten.«

Trotz Mardians anfänglicher Einwände wurde der Junge für sie, für die Dienerschaft und schließlich für alle am Hof Caesarion - der kleine Caesar. Kleopatra richtete einen Raum für ihn ein, den sie mit duftenden Gräsern von dem See Genezareth ausstattete. Dort lag er nun in seinem Bettchen, roch das Salz des Meeres, hörte, wie die Wellen gegen die Hafenmauern brandeten, und schaute gebannt auf die Seidenvorhänge, die sich im Windhauch blähten.

Ja, er sieht aus wie Caesar, dachte Kleopatra. Die gleichen dunklen, wachen Augen, die gleichen Haare - nur daß er schon jetzt mehr davon hatte -, das gleiche Kinn. Mein kleiner ägyptischer Gott. Mein Ptolemaios, mein Caesar.

Auch in der Veranlagung ähnelte er Caesar. Essen interessierte ihn nicht, er war eher zum Spielen aufgelegt. Und er war robust. Nicht einmal während des langen alexandrinischen Winters litt er an Husten. Sein kleiner Körper hatte eine gesunde braune Farbe.

Doch noch immer gab es keine Zeile von seinem Vater. Kleopatra hatte ihm Briefe geschrieben, hatte ihm von der Geburt berichtet, mitgeteilt, daß es ein Sohn war, ihm den Jungen geschildert.

Nicht eine Zeile.

Die Tage vergingen, mündeten in Wochen und Monate, in immer neue Pflichten. Caesarion machte gerade die ersten Gehversuche, als Kleopatra erstmalig wieder eine Nachricht über seinen Vater erhielt. Er hatte die Überreste von Pompejus' Armee in Thapsus geschlagen, wobei fünfzigtausend von ihnen das Leben lassen mußten. Cato und Juba hatten sich ins eigene Schwert gestürzt. Caesar herrschte nun über Nordafrika

- mit Ausnahme Ägyptens. Doch je nachdem, wie man es sah, gehörte ihm letztlich auch das. Alles - bis auf Parthien.

32

Mardian überbrachte ihr eine der neuen Münzen, die sie in Auftrag gegeben hatte. Die Prägung zeigte sie als Isis, die Caesarion als Horus in den Armen hielt. Die Anspielung war nicht zu übersehen, denn wenn sie Isis war, dann war Caesar Osiris, ihr Gemahl. Und Caesarion wäre ihrer beider Sproß -und Erbe.

Am Oberen Nil waren die Steinmetze in den Tempeln bereits eifrig damit beschäftigt, Caesar mit der Krone der Pharaonen darzustellen, wie er Osiris und Horus Opfer brachte. In der chora glaubte man, daß Caesarion einer göttlichen Vereinigung entsprungen sei. Für Ägypten war Kleopatra jedenfalls mehr als nur die Geliebte eines abenteuerlustigen Römers.

Kleopatra lächelte, als sie die frisch geprägte Münze in der Hand wog, und sie fragte sich, was man wohl in Rom davon halten würde. Sie drehte sie um. Auf der Rückseite war sie im Profil abgebildet, mit furchteinflößenden Zügen, schrecklicher anzusehen als jeder römische Feldherr.

»Sehr eindrucksvoll, Majestät«, urteilte Mardian. »Rom wird zittern.«

»Wie hätte ich denn deiner Meinung nach wirken sollen? Verführerisch und schmachtend? Deine Spitzel lassen mich ja jetzt schon glauben, daß man mich in Rom halb als Freudenmädchen, halb als Tanzsklavin sieht.«

»Nun, jetzt werden sie sich fragen, ob Caesar noch ganz bei Sinnen war, soviel seiner Zeit einer Hyäne zu opfern.« »Mein lieber Julius würde seine Nächte auch bei einem Krokodil zubringen, wenn es zu seinem Nutzen wäre. Erzähl mir lieber, was die Spione berichten. Was tut sich in Rom?«

Caesar war wieder dort angekommen, im römischen Monat Quintilis, der jedoch in Julius umbenannt würde, wie es hieß, da er in diesem Monat geboren worden war.

»Caesar wird gefeiert wie ein Gott. Niemand legt sich mit ihm an. Selbst Cicero und der Rest der alten Senatsgarde lassen ihn gewähren.«

Sie hatte endlich eine Botschaft von ihm erhalten, in der er sie in offiziellem Ton von seinem Sieg über Cato unterrichtete und sie zur Geburt ihres Sohnes beglückwünschte. Der liebe Julius. Ganz der Politiker.

»Und was wird über mich gesagt?«

Mardian wich ihrem Blick aus. »Nun, im Forum reißt man wohl ein paar derbe Witze.«

»Immer noch? Sollte ich mich etwa geschmeichelt fühlen?«

»Es ist wie hier in Alexandria. Die Menschen tratschen über alles und jeden.«

»Aber in Alexandria achtet man die Königin. Zollt man Caesar den gleichen Respekt?«

»Ihr wißt, wie Männer sind, und erst recht die Männer in Rom. Sie weiden sich an solchen Späßen.« Mardian zog ein mißbilligendes Gesicht. Manchmal hatte sie den Eindruck, daß er mehr als Frau denn als Mann empfand. Es geschah sehr selten, daß er ein gutes Wort über das eigene Geschlecht verlor.

»Ich will wissen, was sie sagen.«

»Es ist abstoßend.«

»Ich bin kein kleines Mädchen mehr, Mardian.«

Die fleischigen Backen überzogen sich mit Röte. »Sie spotten über unsere Not. Im Forum hat man Sprüche an die Wand gemalt. Der Nil, so steht dort, sei in der Nacht um sechs Zoll angeschwollen - und Caesar desgleichen.«

Kleopatra lachte. »Nur sechs Zoll? Mir schien es sehr viel mehr.«

Mardian bedachte sie mit einem Blick der Entrüstung.

»Was sonst noch?« erkundigte sie sich. »Das gemeine Volk hat ein Lied gedichtet, das man auf der Straße singt. Darin heißt es, daß Caesar zwei Wochen auf dem Nil und zwei Monate in der Königin gesteckt hat.« Kleopatra war klar, wie garstig und dumm solche Sprüche in den Ohren eines Mannes klingen mußten, dem das Geschlechtliche fremd war.

»Sie preisen ihn dafür. Für sie seid Ihr nur eine seiner vielen Eroberungen. Wenn er Euch im Forum vorführen könnte, würden sie anfangen zu johlen.«

»Was ist mit Caesarion?«

Seine Miene heiterte sich auf. »Über Euren Sohn singt man keine Lieder, Majestät. Über ihn wird im Senat lediglich geflüstert, und die Reichen munkeln über ihn in den Bädern. Doch dank Caesars Ruf... «

Er mußte nicht weiterreden. Dank Caesars Ruf war Caesarion nur einer seiner vielen Bastarde. Trotzdem würde die Römer die Existenz des Jungen beunruhigen; sie mußte ihnen zu denken geben.

Nein, Caesarion war kein Bastard. Selbst Caesar würde das einsehen, würde die Bedeutung eines Sohnes aus Ägypten erkennen.

»Ich will nicht, daß Caesarion das Joch trägt, das ich von meinem Vater geerbt habe«, sagte sie. »Wir haben der Welt ein unendliches Maß an Wissen beschert, doch uns selbst scheint es nichts zu nützen. Wir beugen uns immer der römischen Macht.«

»Sie haben nun einmal die größte Armee der Welt.«

»Man muß für die Freiheit kein Blut vergießen. Man könnte sich auch mit ihr vermählen.«

»Ihr redet dabei wieder von Caesar?« Auf Mardians Gesicht machte sich Unwille breit.

Warum denn nicht? dachte sie. Was ist denn so außergewöhnlich an diesem Vorhaben? War Caesar etwa kein fremder Herrscher, der als Gemahl in Frage kam?

»Majestät, Caesar ist Römer. Ein einfacher Soldat. Er ist Eurer nicht würdig.«

»Du meinst, der Senat ließe es nicht zu.«

Mardian nickte. »Caesar bekäme zuviel Macht.«

»Wann wäre zuviel Macht je genug für ihn gewesen?«

»Dennoch - er hat nun einmal kein königliches Blut!« empörte sich Mardian erneut.

»Dann borge ich ihm etwas von meinem.«

»Majestät! Es kann nicht sein.«

»Es kann sein, und es wird sein. Habe Geduld, Mardian. Julius ist nicht dumm. Mit der Zeit wird er die Vorteile erkennen. Warte nur ab.«

Sein Name war Quintus Dellius, und er hatte etwas Verschlagenes an sich. Als er in den Audienzsaal marschiert kam, hallten die metallbeschlagenen Stiefel im Raum. Er trug die Rüstung eines römischen Offiziers, einen Mantel aus rotem Leder und einen verzierten Brustharnisch aus Emaille. Die rote Tunika und die Lederstiefel spiegelten sich im Marmorboden. Er verneigte sich. Doch als er sich wieder aufrichtete, war sein Blick voller Geringschätzung.

»Eine Botschaft von Julius Caesar, Konsul von Rom, an die Königin von Ägypten, seine Freundin.«

Quintus Dellius' Blicke schweiften in die Runde, um alles in sich aufzunehmen. Er wirkte ein wenig enttäuscht. Wahrscheinlich hatte er zu sehr auf den Klatsch in den Bädern des Palatins gehört und erwartet, daß sie halb nackt vor ihm läge, mit dem Kopfschmuck der Pharaonen und an mumifizierten Überresten ihres Vaters knabbernd.

Statt dessen umgaben ihn griechische Beamte und Legionäre aus Kalabrien, und nur die nubischen Wachen mit der schwarzen Haut und die kahlen Schädel Pshereniptahs und seiner Priesterschar unterschieden die Versammlung von der anderer hellenischer Höfe.

»Wie lautet seine Botschaft?«

»Caesar hofft Euch bei guter Gesundheit und beglückwünscht Euch zu der Geburt Eures Sohnes.«

Es hieß also immer noch Euer Sohn, stellte sie fest. Nicht unser Sohn. Diese Römer und ihre Spielchen.

»Richtet ihm aus, daß sich unser Sohn bester Gesundheit erfreut. Weist ihn überdies darauf hin, daß er dies bereits seit elf Monaten tut, so daß seine Glückwünsche ein wenig spät eintreffen.«

Das verschlug Quintus Dellius die Sprache.

Nach einer Weile fuhr er fort: »Er freut sich, Euch mitteilen zu können, daß die römischen Senatoren ihm das Recht auf vier Triumphzüge gewährt haben, und lädt Euch hiermit ein, an diesen Feierlichkeiten teilzunehmen.«

»Die Königin von Ägypten beglückwünscht Caesar zu seinem Ruhm und dankt für die Ehre der Einladung. Wir werden darüber nachdenken und Euch die Antwort wissen lassen.«

»Caesar betont seinen Wunsch ausdrücklich und versteht Eure Zusage als Zeichen, daß Ihr Rom nicht feindlich gesonnen seid«, betonte Dellius.

»Wir danken Euch, Quintus Dellius«, erwiderte Kleopatra. »Ihr habt Euren Standpunkt deutlich gemacht.« Sie entließ ihn mit einer lässigen Handbewegung.

Als Zeichen, daß Ihr Rom nicht feindlich gesonnen seid. War das etwa ein Befehl oder gar eine geheime Drohung? Nun, befehlen konnte er ihr nichts. Sie war schließlich keine Vasallin. Oder doch? Wie auch immer - sie mußte letztlich wohl doch tun, was er ihr sagte, denn ohne ihn wäre sie weiterhin verloren. Die Freiheit hatte nun einmal ihren Preis, und wenn sie ihn nicht zahlte, würde es ihr ergehen wie all den anderen vor ihr.

Abgesehen davon war es gar keine Frage - sie würde nach Rom reisen. Schließlich hatte sie genau dafür so lange gebetet. Der Tatbestand, daß er Dellius gesandt hatte, um ihr einen Befehl zu erteilen - sogar mit verhüllten Drohungen -, war, wenn man es richtig überlegte, nur befriedigend. Vielleicht war er endlich zur Vernunft gekommen.

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