TEIL III

Wozu verfolgen wir mit Macht in kurzer Lebenszeit so viele Ziele? Wozu in Länder, glühend unter fremder Sonne, wechseln über wir? Wer, der aus der Heimat fortzog, ist auch sich selbst entronnen?

Horaz, Oden XVI

1

DER ÄGYPTISCHE MONAT MECHEIR IM JAHRE 43 VOR CHRISTI GEBURT

Oh, diese Anmaßung der Römer, dachte Kleopatra. Da kommt dieser Mann hereinstolziert, als ob er seine Truppen inspizierte. Nun, mein Bester, noch gehört euch Alexandria nicht.

Sie schaute ihm von ihrem Thron aus entgegen. Die Lederstreifen seiner Rüstung klatschten ihm gegen die Schenkel, während er den Audienzsaal mit seinen Schritten durchmaß. Auf seinem Brustpanzer prangten Szenen eines ruhmreichen römischen Sieges. Seine Nase glich dem Schnabel eines Habichts, die schwarzen Augen glitzerten wie die einer Krähe.

Kleopatra musterte ihn stumm. Sie wartete, bis er anfing, sich unbehaglich zu fühlen. Er wußte, daß ihm das Protokoll das Wort verbot, solange sie ihn nicht zur Kenntnis nahm. Sollte er ruhig noch ein wenig zappeln.

Endlich gab sie das erforderliche Zeichen.

»Ich überbringe Euch die Grüße des Generals Gajus Cassius Longinus, Majestät. Er bittet um die sofortige Bereitstellung der Flotte aus Antiochia.«

Die sofortige Bereitstellung? Was fiel ihm ein, eine solche Sprache zu führen?

»Damit Ihr in Rhodos einfallen könnt?« erkundigte sie sich freundlich. Rhodos war ein vorzüglicher Stützpunkt für einen Angriff auf Ägypten.

»Der Zweck ist ohne Bedeutung.«

Kleopatra stellte sich vor, wie sie diesen aufgeblasenen Ziegenbock öffentlich auspeitschen ließ, und brachte ein Lächeln zustande. Dann wartete sie, bis sie ihren Zorn unter Kontrolle hatte. »Wir wären Euch gern zu Diensten, doch die Umstände erlauben es leider nicht.«

Er wirkte überrascht. »Majestät?«

»Ich weiß nicht, ob Ihr die üblen Gerüche bemerkt habt, als Ihr die Stadt betratet. Wir verbrennen unsere Leichen. In Alexandria wütet die Pest, es ist abscheulich. Die Haut wird schwarz und platzt wie bei überreifen Feigen. Viele meiner Schiffsbauer sind tot, andere sind geflüchtet. Halbfertige Schiffe verrotten in den Werften von Rhakotis, und der Rest meiner Flotte ist nach Zypern gesegelt, wo Euer Herr, wenn ich nicht irre, bereits ohne meine Erlaubnis von ihr Besitz ergriffen hat.«

Die Wahrheit war, daß Serapion, der Statthalter von Zypern, die Schiffe Cassius kampflos überlassen hatte - ein weiterer Verräter. Kleopatra hatte Serapion selbst auf diesen Posten gesetzt. Einen Vorwurf machte sie sich daraus jedoch nicht. In Alexandria war ein Verbündeter nicht mehr als eine Schlange, der man zeitweilig den Rücken zukehrt.

»Mein General hatte gehofft, daß Ihr ihm Treue bekundet.«

»Ich habe ihm Treue bekundet, indem ich ihm die Legionen sandte, die Caesar zu meinem Schutz in Alexandria ließ.«

Er lächelte höhnisch. »Und wir hatten bereits befürchtet, sie wären für Dolabella gedacht. Aber lassen wir das. Sie unterstellten sich freudig dem Imperator Cassius, als sie Syrien erreichten.«

»Es sind römische Soldaten, was schert mich ihr Tun?«

Seine Miene wurde grimmig. Wahrscheinlich hatte er sich an den Höfen von Pontos und Bithynien daran gewöhnt, daß man sich vor ihm krümmte. »Was ist mit Nachschub? Kann der Imperator hier mit Eurer Unterstützung rechnen? Oder mangelt es Ägypten neuerlich auch an Getreide?«

»Freilich. Der Nil hat uns enttäuscht, die Speicher sind leer. Mein Volk hat die Wahl zwischen Hungersnot und Pest. Meint Ihr nicht, daß eher wir um Hilfe bitten sollten?«

»Mein Imperator wird zürnen.«

»Nicht doch, Ihr werdet es ihm ja erklären. Wir würden ihm gern helfen, doch schaut Euch um in der Stadt. Ihr werdet unsere Not erkennen.«

Als er wieder fort war, beugte Kleopatra sich zu Mardian vor und fragte leise: »Hat er es geglaubt?«

»Vielleicht sollten wir ihn in eine der Leichengruben werfen, um ihn zu überzeugen«, flüsterte dieser zurück.

Der dioiketes trat zu ihr. »Majestät«, murmelte er.

Oh, du alte griechische Unke, dachte Kleopatra, du glaubst es natürlich wieder besser zu wissen. »Ja, Bruder?«

»Das war vielleicht ein Fehler.«

Kleopatra stieß innerlich einen Seufzer aus. Dolabella wurde in Laodicea belagert, wohingegen Cassius bereits über vierzehn Legionen besaß, acht weitere waren in Syrien und Bithynien zu ihm übergelaufen. Nach den Worten ihrer Kundschafter war es nur noch eine Frage der Zeit, bis Laodicea fiel.

Was konnte sie denn anderes tun, als Neutralität vorzutäuschen? Von den Streitparteien, die in Rom um die Macht kämpften, verkörperte lediglich Antonius die Hoffnung, Ägypten vor dem Zugriff der Römer zu retten, und er schien zur Zeit am wenigsten in der Lage zu sein, sich durchzusetzen.

Das alles hatte sie Caesar zu verdanken. Sie konnte sich weder an seinen Mördern rächen, noch konnte sie sich und ihren Sohn vor ihnen schützen. Und dann noch dieser schlaue kleine Neffe. Eine Woche lang hatte Antonius durchgehalten und sich als tapferer Held erwiesen, bis er der Verlockung des Weinkrugs abermals erlegen war.

Die Verquickung von Trauer, Zorn und Furcht hatte Kleopatra zermürbt, doch sie würde nicht aufgeben. Sie würde einen Weg finden. Sie würde zu Isis beten und ihr Opfer bringen. Vielleicht würde die Göttin danach den Sternen befehlen, Kleopatras Schicksal zum Guten zu wenden.

Kleopatra lag in ihrer marmornen Badewanne und genoß das seidige Wasser auf ihrer Haut. Iras hatte dem Bad ein duftendes Öl beigegeben, das sich in sanften Regenbogenfarben verlief und ihre Brüste mit winzigen Tropfen betupfte. Sie berührte eine ihrer dunklen Brustwarzen mit der Fingerspitze, sanft, so wie Julius es getan hatte. Wie sehr er ihr fehlte. Die Sehnsucht nach seiner Umarmung hatte sich als bohrender Schmerz in ihr eingegraben, der nicht zu weichen schien.

Zwar gab es Tage, an denen er verebbte, doch dann wieder überfiel sie die Trauer mit Macht, kam wie ein Dieb aus dem Hinterhalt und quälte sie mit dem Verlangen nach seiner Nähe, seinen Umarmungen, seiner Siegesgewißheit und Kraft.

Kleopatra hörte, wie Mardian hinter dem Wandschirm hin und her schlich. Er würde wieder irgend etwas Dringendes auf dem Herzen haben. Es nahm einfach kein Ende.

Dabei hätten sie alles haben können. Sie könnte frei sein von dem ewigen Katzbuckeln, der immerwährenden Furcht vor Rom. Wenn Caesar doch nur seine Leibgarde bei sich behalten hätte! Wenn er während der Lupercalien doch die Krone angenommen hätte! Wenn er doch wenigstens einmal auf sie gehört hätte!

Doch alles Hadern nützt nichts, dachte sie. Das Heute ist wichtig und das Morgen. Darauf gilt es, sich zu besinnen.

»Mardian, was ist los?« rief sie ungeduldig.

»Neue Nachricht aus Syrien, Majestät«, tönte es aufgeregt hinter dem Wandschirm. »Cassius hat erklärt, daß er Ägypten angreift, um uns für die Unterstützung Dolabellas zu strafen. Er bezeichnet Arsinoe als die wahre Königin von Ägypten. Ich weiß jetzt, daß sie es war, die Serapion überredet hat, die Flotte an Cassius zu übergeben.«

Kleopatra umklammerte den Rand der Wanne, bis ihre Knöchel weiß hervortraten. Das Wasser, das ihr eben noch soviel Genuß bereitet hatte, schien plötzlich nur noch lauwarm, und sie überlief ein Schauer. Sie schloß die Augen und lehnte den Kopf an den Wannenrand. Brutus, Cassius, Arsinoe - alle hatten sie von Caesars Güte profitiert.

»Es kommt noch schlimmer.«

»Sag es!«

Sie hörte, wie er hinter dem Wandschirm von einem Fuß auf den anderen trat. »Es geht um Marcus Antonius, Majestät. Er wurde bei Mutina, im Norden Italiens, von den Armeen Octavians und Decimus Brutus' geschlagen. Er mußte in die Berge flüchten und lebt dort jetzt von Wurzeln und Schnee.«

Kleopatra erhob sich schwankend. Iras stürzte vor, hüllte sie in vorgewärmte duftende Tücher und rieb sie trocken.

Was hält die Schicksalsgöttin denn noch für mich bereit? fragte Kleopatra sich entsetzt. Sie wußte, was ihr dioiketes und die anderen Minister jetzt dachten: Die Königin hat sich verrechnet und alle in Gefahr gebracht. Gewiß überlegten sie bereits, ob sie die eigene Haut retten konnten, indem sie die Königin zum Tausch anboten. Wäre Antiochos noch am Leben, würden die Köpfe erneut zusammengesteckt, würde über den nächsten Aufstand getuschelt. Und welcher Caesar würde sie dann retten? Kleopatra streckte sich bäuchlings auf der Marmorbank aus, woraufhin Iras begann, ihr Rücken und Schultern mit Mandelöl einzureiben. Ihre Muskeln hatten sich verkrampft, und Kleopatra schnitt eine Grimasse, als sich die kräftigen Finger der Sklavin in ihr Fleisch gruben.

»Nun, das waren ja ganz ausgezeichnete Nachrichten, Mardian«, rief sie dem Schatten hinter dem Wandschirm zu.

Sie hörte, daß er unglücklich seufzte und schnaufte. Demnach gab es noch mehr. Sie versuchte, sich zu entspannen, sich ganz den kundigen Händen von Iras zu überlassen. »Los, Mardian, gib dir einen Ruck!«

»Majestät, man behauptet, daß Octavian sich als den jungen Caesar bezeichnet.«

Den jungen Caesar? Es gab nur einen jungen Caesar, und der lag nicht weit entfernt von ihr in seinem Zimmer und schlief unter der Obhut seiner Leibwache.

Wo sollte jetzt noch der Ausweg sein? Octavian bestritt ihrem Sohn das Erbe und befehligte Caesars Legionen. Cassius und Brutus wollten Ägypten erobern, um Asien zu beherrschen. Ihr einziger Freund in Rom war in die Berge geflüchtet und verhungerte mit seinen Legionen im Eis.

Ich war so kurz davor, alles zu gewinnen, dachte Kleopatra, so kurz, wie ich jetzt davor bin, alles zu verlieren. Vielleicht wäre es besser gewesen, ich wäre mit Caesar gestorben. »Oh, Mardian, was soll ich nur tun?«

»Vielleicht...« Er zögerte.

»Was vielleicht?« erkundigte sie sich.

»Wir können uns vielleicht schützen - mit einer klugen Allianz. Dann müßtet Ihr nicht allein regieren. Bithynien käme da in Frage, auch Pontos... «

»Heißt das, daß ich mich verheiraten soll? Du glaubst, ich werde nicht allein damit fertig?« »Nun, bei Hofe denkt man, daß... «

»Verschwinde!«

»Majestät, ich wollte nur...«

»Raus!«

Kleopatra hörte, wie er eilig fortschlurfte. Sie schaute sich ungehalten nach Iras um und sah, daß diese sie mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. »Was gaffst du so?« herrschte sie sie an. »Ich denke, du bist hier, um meine Schultern zu massieren.«

Kleopatra streckte sich abermals aus, doch nun waren ihre Muskeln so angespannt wie Bogensehnen. Iras' Finger bohrten sich ihr erbarmungslos in die Rippen, und Kleopatra stöhnte auf. Nein, dachte sie, auch wenn sich die ganze Welt gegen mich verschworen hat, aufgeben werde ich nicht. Es mußte einen Weg geben, Ägypten zu retten und ihrem Sohn den Thron zu erhalten. Isis hatte ihr ein Schicksal vermacht, und dieses Schicksal würde sie nicht verraten.

2

Am Rande der endlosen Wüste, jenseits der flachen Nilmarschen, erhebt sich der Morgengesang und löscht das Gesumm der Fliegen, während sich die ersten Wolken mit rosigen Rändern säumen.

In einer Gasse der großen Stadt Rom, am Fuße des Aventins, unterbricht das Rasseln der Sistren die Stille des dunklen Tempels.

In einem verschneiten Wald in den gallischen Alpen beobachtet ein römischer General, wie die Sonne über die eisigen Bergspitzen steigt, und fragt sich, ob er das Forum Romanum noch einmal wiedersehen wird.

Im Brucheionviertel in Alexandria sitzt eine Frau über Papyrusrollen gebeugt, während der Rauch ihres Öllichts den Morgen mit rußigen Schlieren durchsetzt.

In einem düsteren Schrein auf der Halbinsel Lochias, wo sich sanfte Wellen an den Tempelwänden brechen, neigt sich ein kahlgeschorener Kopf und murmelt das erste Gebet...

Isis. Isis.

Es gab Zeiten, in denen Kleopatra wie alle Mütter war, und es gab Zeiten, in denen sie anders war als alle Frauen und über das Leben von vielen bestimmte.

An diesem Tag konnte sie Mutter sein. Sie saß auf den Palaststufen und schaute Caesarion zu, der im seichten Wasser nach Muscheln suchte. Das nackte kleine Hinterteil ragte in die Luft, als er sich jauchzend nach einer schillernden Muschel bückte. Kleopatra spürte, wie eine schmerzliche Zärtlichkeit in ihr aufwallte. Ihre ganze Liebe und all ihre Hoffnung waren auf diesen kleinen gebräunten Körper gerichtet.

Der Sommer war gekommen und wieder gegangen, lange Monate, in denen sie auf Nachrichten aus einer Welt gewartet hatte, die abermals von Gewalt zerrissen wurde. Warten -ewiges, zermürbendes Warten.

Auch der Nil hatte sich wieder einmal als unzuverlässig erwiesen, nein, schlimmer noch, er schien sie zu verhöhnen, ihre Rückkehr mit Verrat belohnen zu wollen. In diesem Jahr erreichte das Wasser in den Nilometern den Pegelstand der Todesellen.

Ein Gutes hatte die Sache allerdings: Die Krokodilplage am Oberen Nil hatte sich durch die Dürre von selbst erledigt. Kleopatras strategoi konnten ihr berichten, daß die Nachfahren des Gottes Sobek sich in die Sümpfe zurückgezogen hatten und daß sich die Dorfbevölkerung wieder an die Flußufer wagte. Kleopatra hatte alles darangesetzt, um Unruhen zu vermeiden, sie hatte Soldaten um die Getreidespeicher postiert und Weizen und Gerste rationieren lassen. Aufstände und Plünderungen würde es nicht geben, doch in der chora würden die Menschen verhungern, wenn sie nicht zuvor von der Pest dahingerafft wurden.

»Wenigstens gibt es danach ein paar Münder weniger zu stopfen«, hatte Kleopatra zu Mardian gesagt.

Er hatte die Stirn gerunzelt und ihr vorgeworfen, daß sie ein kaltes Herz habe, woraufhin sie ihm erklärt hatte, daß sie lediglich praktisch dächte und daß sich ein so großes Land wie Ägypten ohne praktischen Verstand nicht regieren ließe.

Caesarion plapperte vergnügt vor sich hin und planschte in den Wellen. Genieße die Tage der Unschuld, dachte Kleopatra, denn sie sind rasch vorbei. Die Welt besteht nicht nur aus munteren Wellen und bunten Muscheln.

Ein Leben im Wartestand - und nichts, das sie ändern konnte. Sie konnte weder Marcus Antonius retten, noch verfügte sie über die Armee, um Cassius zu schlagen. Sie konnte nur ausharren und beobachten, wie der römische Machtkampf weiterging. Wenn er entschieden wäre, würde sie sich mit dem neuen Herrn einigen müssen.

Die Ironie des Ganzen war, daß ausgerechnet Cicero ihre Hoffnungen geschürt hatte.

Er und die anderen Senatoren hatten Octavian benutzt, um Antonius zu besiegen, doch zum Dank hatten sie den Triumphzug dem Decimus Brutus gestattet. Die Flotte hatten sie Sextus zugesprochen, dem Sohn des Pompejus. Cassius und Brutus hatten sie als Statthalter bestätigt und ihnen die Provinzen im Osten zugeteilt. Und was hatten sie Gajus Julius Caesar Octavian gegeben? Dem jungen Caesar? Nichts. Ihm war noch nicht einmal Anerkennung zuteil geworden. Statt dessen hatten sie ihn aufgefordert, die Vierte und die Marslegion dem Senat zu unterstellen.

Auf Cicero war Verlaß.

In der Zwischenzeit war Marcus Antonius, der es offenbar leid geworden war, sich von Baumrinde zu ernähren, wieder aus den Alpen aufgetaucht und hatte sich mit Marcus Lepidus verbündet, Caesars Befehlshaber der Reiterei.

Kleopatra hörte Schritte auf den höhergelegenen Treppenstufen über sich. Mardian. Sie holte tief Luft und wappnete sich.

»Wenn es wieder schlechte Nachrichten sind«, sagte sie, »werfe ich dich eigenhändig ins Wasser.«

»Ihr hattet recht. Cicero hat einen kleinen Löwen an der Leine geführt.«

»Hat unser junger Caesar nach ihm geschnappt?« Mardian reichte ihr eine Schriftrolle. Kleopatra erkannte das Siegel - der Bericht kam von Apollodoros aus Rom. Ihre Augen flogen über die Zeilen.

Octavian, der Junge, von dem Cicero geglaubt hatte, er könne ihn kommandieren, hatte sich mit Lepidus und Marcus Antonius zu einem Triumvirat zusammengeschlossen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt marschierten sie auf Rom zu, begleitet von siebzehn Legionen und zehntausend Mann der Reiterei.

Kleopatra brach in Gelächter aus. Caesarion unterbrach sein Spiel und schaute sie verwundert an.

Octavian, den Antonius als Caesars Bübchen zu bezeichnen pflegte, hatte dem Senat die Zähne gezeigt. Sie hätte ihn für seinen Mut und sein Geschick bewundert, wenn sie nicht gewußt hätte, daß er auch Caesarions Leben beenden würde, wenn er könnte.

»Glaubt Ihr, daß das unsere Rettung ist, Majestät?« fragte Mardian.

»Was sagen deine Spitzel?« fragte sie zurück und warf ihm die Schriftrolle zu.

»Sie sagen, daß ich noch nicht so bald im Hafenwasser lande.«

Kleopatra lächelte. »Das stimmt. Mit etwas Glück bleibst du noch ein Weilchen im Trockenen.« Sie nahm einen Stein, holte weit aus und ließ ihn über die Wellen tanzen, wie früher als kleines Mädchen.

3

An gewöhnlichen Tagen wimmelte das Forum von Menschen. Händler, Geldverleiher, Fischverkäufer, Bäcker, Fleischer, dazwischen das Volk, Sklaven und Freie. Sie alle trieben dann durch die Gassen, und in den Eingangshallen der Tempel standen dicht nebeneinander die Tische der Schreiber, Wucherer, Wahrsager und ähnlicher Halsabschneider, ein Gewirr von Leibern, die Luft getränkt mit tausend Gerüchen.

An diesem Tag aber lag das Forum verlassen da - bis auf zwei Leichen, deren einer noch das Blut aus der offenen Kehle rann. Vom Palatin her drang der Lärm der Aufständischen, die sich dem Circus Maximus näherten. Dazwischen mischten sich Stiefelschritte - eine Kohorte der Vierten, die zum Eingreifen bereit war.

Es würde bald vorbei sein. Die Ordnung, von den Römern mehr geliebt als das Leben selbst, würde bald wiederhergestellt sein - sobald das Töten zu Ende war.

Die Proskriptionen, redete Antonius sich gut zu, waren notwendig gewesen. Die Senatoren, die sich ihnen widersetzt hatten, hatten sterben müssen, denn Caesars Großmut konnte sich nicht jeder leisten. Man sah ja, was es ihm gebracht hatte.

Und das Geld der Toten brauchten sie auch.

Cicero war der erste auf der Liste gewesen. Octavian dürstete nach Rache, Antonius wollte ihn aus dem Verkehr geschafft haben, und Lepidus hatte sich mit allem einverstanden erklärt. Wie man sich erzählte, war Cicero zu lange zu stolz gewesen, um zu fliehen. Als seine Diener ihn endlich überredet hatten, die Sänfte zu besteigen, war es bereits zu spät gewesen. Octavians Männer hatten ihn eine Meile hinter seinem Landgut, auf dem Weg nach Brindisi, gestellt. Als er den Kopf aus dem Fenster streckte, um nachzusehen, was es gab, war er ihm ohne langes Fackeln von einem der Zenturionen abgeschlagen worden. Wenn Cicero das geahnt hätte! Er hatte bestimmt noch eine letzte Rede vorbereitet, und es hätte ihn empört, daß sie nun ungehalten blieb.

Die Senatoren hatten in der Tat einen hohen Preis für ihren Starrsinn bezahlt. An die zweihundert der reichsten Männer Roms, die sich törichterweise für Brutus entschieden und Octavian gegen Antonius aufgehetzt hatten, ehe sie ihn fallenließen, mußten sich das Geschehen nun von der Rostra aus ansehen, wo ihre Köpfe dem Volk als Schaustücke dienten. Das Volk rührte so etwas nicht, es liebte jede Art von Blutvergießen, zumindest solange es nicht das eigene war.

Antonius zog weiter in Richtung Palatin. Unterwegs stieß er auf den nächsten Pöbelhaufen, der im Begriff war, das Haus eines Senators anzuzünden. Eine Kohorte der Marslegion versuchte, ihnen Einhalt zu gebieten. Als man seiner ansichtig wurde, brach die Menge in johlenden Beifall aus. Antonius nahm diesen mit unbewegter Miene entgegen und verdrängte die Gedanken an die Taten, mit denen er in Rom Ordnung geschaffen hatte.

In Antonius' Haus wartete die übliche Schar der Lobhudler, Speichellecker und Schmarotzer. Fulvia hatte ein Festmahl angesetzt, um seine Rückkehr zu feiern. Immerhin handelte es sich dabei um eine fast wundersame Umkehr des Geschicks. Inzwischen war es Spätherbst; noch im Frühling hatte er in den Alpen kampiert, ein Ausgestoßener, der seinen Durst mit geschmolzenem Schneewasser stillen mußte.

Ohne auf die Glückwünsche und aufmunternden Schläge auf den Rücken zu achten, drängte Antonius sich an den Gästen vorbei, die sich im Atrium versammelt hatten. Von irgendwoher drang kreischendes Gelächter an sein Ohr. Als er den Speiseraum betrat, sah er Fulvia dort neben dem Ehrenplatz thronen. Die Tische waren beladen mit gebratenen Fasanen, Enten, Spanferkeln und geschmorten Ochsenteilen. Fulvia hielt einen runden Gegenstand in der Hand. Die Gäste lachten verlegen.

Im Näherkommen sah Antonius, daß der Gegenstand ein Menschenkopf war. Ciceros Kopf. Fulvia bemühte sich ausgelassen, ihm Nadeln in die Zunge zu bohren. Ciceros rechte Hand lag in der Mitte des Tisches, zwischen den Kuchen und Süßigkeiten. Auf den ersten Blick wirkte die Hand wie ein ausgebleichter Krebs.

»Da kommt mein Gemahl«, rief Fulvia mit funkelnden Blicken.

Die Gäste verstummten. »Was machst du da?« herrschte Antonius sie an.

»Er wird dich nie wieder schmähen«, gackerte sie zurück. Dann sprach sie zu dem Kopf: »Komm, Cicero, halte uns eine deiner berühmten Reden! Langweile uns noch einmal zu Tode.«

»Wie kommt der Kopf hierher?« brach es aus Antonius hervor, doch Fulvia ließ sich nicht bremsen. Sie hielt ihm ihre Trophäe entgegen. »Die böse Zunge wurde bestraft«, verkündete sie triumphierend, »genau wie die Hand, die die Strafreden schrieb.«

Antonius wandte sich an zwei Männer der Leibgarde, die ihm gefolgt war. »Nehmt das weg, und bringt es zu den anderen auf der Rostra.«

Fulvia schleuderte ihm einen wütenden Blick entgegen.

»Wirst du jetzt auch zum Schwächling? So wie Caesar?« zischte sie.

Sie kannte keine Grenzen. Und das vor aller Augen! Ein schändliches Weib, ein Greuel, dem er entfliehen mußte.

»Töten ist eine Sache, in Blut zu baden eine andere.« Antonius machte kehrt und verließ den Speisesaal. Bei allen Göttern, manchmal war Rom kaum zu ertragen.

»Was ist denn los mit dir?« wollte Fulvia wissen.

Die Feier war zu Ende, die Gäste fort. Die Sklaven waren dabei, die Fleischknochen und Krebsschalen beiseite zu fegen. Antonius beobachtete sie stumm. Er hatte nichts getrunken. Vielleicht hat mich der Aufenthalt in den Bergen endgültig ernüchtert, dachte er.

»Für so etwas fehlt dir der Mumm in den Knochen«, hörte er Fulvia höhnen. »Du mußt den Menschen zeigen, wie es deinen Feinden ergeht.«

»Indem ich ihnen nach dem Tod Nadeln in die Zunge stecke?«

»Du bist viel zu weich.«

Zu weich? War es das? In dem Kuhhandel, der auf das neue Bündnis folgte, hatten er, Lepidus und Octavian gefeilscht wie Jungen, die Kastanien tauschen: dein Onkel, der mich im Senat verunglimpft hat, gegen meinen Vetter, der die Fraktion gegen dich geführt hat. Deinen Freund gegen meinen Schwager. Lepidus hatte seinen Bruder für Antonius' Onkel geboten, einen alten Mann, ehrbar - und reich. Die Proskriptionen hatten Befürworter wie Gegner getroffen. Nun waren sie alle tot, nicht weil sie hinter Cicero gestanden, sondern weil sie irgendwann in ihrem Leben einmal ein Mitglied des Triumvirats beleidigt hatten.

Oder weil sie Geld besessen hatten.

Das Ganze ekelt mich an, dachte Antonius. Mir ekelt vor dem hirnlosen Lepidus genau wie vor dem tückischen Schleimsack Octavian. Schon der Gedanke an sie verursacht mir Übelkeit. Sobald mir die Macht sicher ist, begebe ich mich fort. Seit Caesars Tod ist niemand mehr da, den ich für die Fehler verantwortlich machen kann.

Der alte Knabe! Ich habe ihm unrecht getan. Die Bürde, die er trug, war schwerer, als ich dachte.

»Du mußt Octavian loswerden«, hub Fulvia wieder an.

»Octavian?«

»Im Namen Jupiters! Ja, glaubst du denn, jetzt wäre alles vorbei? Hast du Mutina schon vergessen? Du hast gedacht, er wäre mit Caesars Vermögen zufrieden, doch er hat den Senat gegen dich gehetzt und dich zwei Jahre im Schnee verrotten lassen!«

Sie gibt keine Ruhe, dachte Antonius. Wenngleich er zugeben mußte, daß sie nicht ganz unrecht hatte. Doch im Augenblick war er des Blutvergießens müde. Es stimmte zwar, er hatte das Bübchen unterschätzt, doch letztlich hatte der Junge nur das getan, was jeder Mann an seiner Stelle getan hätte. Außerdem hatte er geschworen, den Frieden einzuhalten. Man mußte ihm eine Chance geben. »Wenn es soweit ist, rechne ich mit ihm ab«, sagte er. »Im Moment bekäme ich gar nicht die nötigen Legionen zusammen, um gegen ihn anzutreten. Die Soldaten werden nach wie vor nicht gegen Caesars Erben kämpfen. Und des Bürgerkriegs sind sie schon lange überdrüssig, wie wir alle.«

»Es gibt auch andere Wege.«

»Bei den Göttern, du bist ein blutrünstiges Weib.«

»Octavian ist gefährlich.«

»Ihm sprießt ja kaum der erste Bart. Die Sache in Mutina war Ciceros Betreiben.«

»Du mußt dich seiner entledigen, Marcus.«

»Ich werde mein Wort nicht brechen«, erwiderte er, flüchtete jedoch vorsichtshalber aus dem Raum, ehe sie sich wieder wie eine Wilde aufführte und mit Gegenständen um sich schmiß. Er wünschte, er hätte sie nie geheiratet.

4

DER MONAT OCTOBER NACH DEM RÖMISCHEN KALENDER IM JAHRE 42 VOR CHRISTI GEBURT

Philippi in Griechenland

Kalt war es in Griechenland, und der Winter war noch nicht vorbei. Die Rauchschwaden der Lagerfeuer zogen über die Zelte an den Hängen der Berge und verloren sich in den Nebeln, die aus den Tälern stiegen. Eine eisige, einsame Hochebene, doch ein Ort so gut wie jeder andere, um den Mord an Caesar zu rächen.

Octavian lag auf einem kargen Lager. Er fieberte, und seine Stirn glänzte vor Schweiß. Ab und zu erbrach er sich in die Messingschale, die ihm einer seiner syrischen Knaben reichte. Maecenas und Agrippa waren an seiner Seite, Maecenas mit frisch gekraustem Haar, als sei er auf dem Weg in den Circus. Er warf Antonius einen schmachtenden Blick zu, als dieser das Zelt betrat. Bei Jupiter, dachte Antonius, wenn ich den Burschen ermutigte, flöge die Tunika hoch, und er würde sich vornüberbeugen.

Aus der dunklen Ecke, in der Nähe des Kohlebeckens, starrte ihm Agrippa mürrisch entgegen. Er gab sich als Wüterich, mit wild wucherndem Bart. Antonius überlegte flüchtig, wie jener in die Runde paßte.

Fulvia irrt sich, ging es ihm durch den Kopf, als er den Kranken begrüßte, der ihm kläglich entgegensah. Um Octavian muß ich mir keine Sorgen machen. Diese Jammergestalt wird den Winter nicht überleben. Angeblich litt er ähnlich, als er mit Caesar in Spanien war. Ein Wunder, daß er das überstanden hatte, doch ein zweites Mal würde er es nicht schaffen. Der Geruch des Todes haftete ihm jetzt schon am Leib.

»Du siehst gut aus, Junge«, sagte er, als er sich an dem Lager niederließ. Er klopfte Octavian aufmunternd auf die Schenkel. So hielt er es immer, wenn er unter Soldaten war. Selbst wenn man Arm und Bein verloren hatte, erzählte man sich in der Truppe, kam Antonius hernach ins Hospital und verkündete, daß man am nächsten Tag wieder so gut wie neu sei.

»Der Arzt sagt, ich hätte mich verkühlt. Er hat mich zur Ader gelassen.«

Sieht aus, als habe er dich ausbluten lassen, dachte Antonius.

Oh, er mußte zugeben, daß er eine Weile geglaubt hatte, Fulvia hätte recht mit ihrem Verdacht, wenngleich sie das Triumvirat für fünf Jahre bestimmt hatten. Der junge Caesar, wie er sich so gern nannte, hatte den Pakt noch damit besiegelt, daß er Fulvias Tochter Claudia heiratete. Fulvia hatte zwar eine Weile getobt, doch zu guter Letzt hatte sie sich gefügt.

Antonius hatte sie zu beschwichtigen versucht. »Es ist für Rom«, hatte er zu ihr gesagt. »Mach dir keine Sorgen. Wenn er stirbt, erhältst du sie unversehrt zurück. Unser junger Caesar steht auf der Seite der Männer und attackiert nur von hinten.«

Fulvia hatte ihm einen vernichtenden Blick zugeworfen. »Er hat in den vergangenen eineinhalb Jahren ein Verhältnis mit der Frau des Claudius Marcellus gehabt.«

Antonius hatte sie sprachlos angestarrt. »Mit Tertullia?«

»Deshalb stand Marcellus auch auf der Todesliste. Octavian wollte Tertullia für sich.«

»Tatsächlich? Und ich dachte, er liebt nur Männer.«

»Das ist es ja, was ich meine. Niemand von euch Kriegshelden schätzt diesen Jungen richtig ein.«

Kurz darauf hatte Octavian den Senat gezwungen - und wer wagte es noch, sich gegen ihn aufzulehnen? -, Caesar offiziell in den Stand eines Gottes zu erheben. Wie schön für Caesar. Und auch für Octavian, denn ab sofort setzte er die Bezeichnung divi filius, Sohn des Gottes, neben seinen Namen. In Bescheidenheit stand er Caesar jedenfalls nicht wesentlich nach. Anschließend ratifizierte der Senat den Vorschlag des Triumvirats, die Caesarmörder zu Staatsverrätern zu erklären und verfolgen zu lassen. Damit war der Krieg erklärt.

Jene Entwicklungen hatten Antonius nach Philippi geführt, wo er den Verrätern auf dem Schlachtfeld begegnen würde, um ihre Mordtat zu rächen.

Ja, ich habe mir eine Weile wegen dir Sorgen gemacht, dachte er und sah zu, wie sich Octavians Lider senkten. Aber nun nicht mehr. Die Krankheit, die an dir zehrt, wird deine letzte sein.

»Du mußt ohne mich in die Schlacht ziehen«, flüsterte Octavian.

Das werde ich kaum verkraften, hätte Antonius um ein Haar geantwortet. Statt dessen sagte er jedoch: »Es tut mir leid, daß du nicht dabei bist, wenn dein Onkel gerächt wird.«

»Mein Vater«, verbesserte Octavian mit großer Anstrengung.

Meinetwegen, dachte Antonius. Eigentlich war er sogar nur dein Großonkel, und daran können weder ein unterwürfiger Senat noch das Testament etwas ändern, jedenfalls nicht für mich. »Sieh zu, daß du für die Siegesfeier wieder auf den Beinen bist.«

Bevor er etwas antworten konnte, wurde Octavian von einem neuerlichen Hustenanfall gepackt. Der kleine Syrer eilte herbei und hielt ihm die Schale vor. Antonius beschloß, sich lieber zu verabschieden, ehe ihm der Appetit auf das Abendbrot verging.

Antonius stand lange in der Abenddämmerung und ließ den Blick über das Tal zu seinen Füßen wandern. Die Zeit würde für ihn arbeiten. Er würde den Sieg bei Philippi erringen, und alles weitere brächte das Schicksal. Wenn Octavian der Lungenfäule erlegen sein würde - was nur eine Frage der Zeit war -, würde er sich die Macht mit Lepidus teilen, und Lepidus war ein Dummkopf. Damit wäre auch die Frage der Nachfolge erledigt.

Auf dem Meer Zwei Tage entfernt von Alexandria

Ein Sturzbach ergoß sich durch die Fensteröffnung. Kleopatra hörte, wie Iras aufschrie. Sie krallte sich haltsuchend am Rand des Bettes fest. Die Lampen waren umgestürzt, in der Kabine herrschte Finsternis. Man hörte nur das Heulen des Sturmes und das Ächzen der hölzernen Planken. Kleopatra spürte, wie ihr die Galle abermals hochkam, doch sie schaffte es nicht, aufzustehen. Es war ihr gleich, daß die Königin von Ägypten, die Göttin der See, die fleischgewordene Venus, sich über sich selbst erbrach.

Wie leicht es ist, sich den Tod auszumalen, dachte sie, doch wenn er sich nähert, mit donnernden Wogen, brausendem Getöse und den Schreien der Sterbenden, dann verläßt uns jäh der Mut. Sie versuchte, die Ohren zu verschließen gegen den Höllenlärm von draußen, betete zu Isis, stöhnte, stammelte und flehte um das Ende dieser Schreckensnacht.

5

Es wurde Tag. Trübes Licht schlich sich zu ihnen hinein. Der Wind hatte sich gelegt, doch die Galeere schlingerte noch immer durch aufgewühlte Wellenberge. Kleopatra schlug die Augen auf. Offenbar war sie, als die Angst der Erschöpfung gewichen war, schließlich doch eingedämmert. Charmion lag wie ein Bündel am Fußende des Bettes, Iras kauerte in einer Ecke, inmitten von Dreck, Erbrochenem und salzigen Tümpelresten, die das eingedrungene Meerwasser hinterlassen hatte. Ihre Augen standen offen, doch ihr Blick war teilnahmslos, so als kümmere sie nichts mehr - weder sie selbst noch die Königin.

Kleopatra richtete sich taumelnd auf. Zitternd legte sie sich den durchnäßten Umhang über und schleppte sich nach draußen in den Gang, wo sie bei jedem Schiffsstoß gegen die Wände prallte.

Ein Mitglied der Mannschaft zog sie über die schmalen Stufen an Deck. Eine riesige graue Woge rollte dem Schiff entgegen, schob sich unter den Rumpf, die Ruder stachen hilflos in die Luft. Kleopatra fürchtete, keine Luft mehr zu bekommen, und spürte, wie ihr kalter, klebriger Schweiß ausbrach. Göttin des Meeres, rette mich, flehte sie.

Von der Flotte, mit der sie aus Alexandria in Richtung Brindisi gesegelt war, war weit und breit nichts mehr zu sehen.

Der Kapitän stand am Steuer, Haar und Bart salzverkrustet, die Augen halb irr. Er hatte die Nacht über an seinem Platz ausgeharrt.

»Majestät«, stammelte er und starrte sie an, seine Königin, mit strähnigem Haar, das ihr im Gesicht klebte, furchtsam und verdreckt wie die anderen Menschen an Bord.

»Wie sieht es aus?«

»Die Flotte wurde in der Nacht auseinandergetrieben. Wir haben sie aus den Augen verloren, bis auf die zwei Fünfruderer, die hinter uns sind.«

Kleopatra sah, wie ihnen die nächste Woge entgegenschäumte, aus ihrem Kamm ragten Teile eines Masts und geborstene Ruder. War das alles, was von ihrer Flotte übriggeblieben war?

Nun konnte sie Marcus Antonius nicht mehr helfen.

»Kehr um«, sagte sie matt. »Es ist zwecklos. Wir segeln zurück nach Alexandria.«

Philippi, Griechenland

Welch ein zerlumpter Haufen! Sie zitterten unter den Mänteln, die Bärte struppig, in den Augen der leere Blick der Besiegten. Octavian betrachtete sie vom Sattel seines Pferdes aus, die Finger fest um die Zügel gekrallt. Er fühlte sich schwach und benommen. Während der vergangenen drei Tage hatte das Fieber ihn wieder gepackt. Die Schlacht bei Philippi war ohne ihn entschieden worden.

»Wer sind die Männer?« erkundigte er sich bei einem der Soldaten.

»Sie gehörten zu Brutus, mein Herr. Es sind sein Adjutant, sein Stallmeister und zwei seiner Offiziere. Was soll mit ihnen geschehen?«

»Ich schlage vor, du bringst sie um«, antwortete Octavian.

Er ließ den Blick in die Runde schweifen. Das Schlachtfeld war übersät mit den roten Mänteln der feindlichen Brüder. Der kalte Wind trug den Gestank des Todes herbei. In dieser Nacht würden die Legionäre keine zotigen Lieder grölen.

»Wo ist unser lieber Freund Brutus?«

Der Zenturio deutete auf einen Schimmel, der fast regungslos neben einem verkümmerten Baum stand, etwa hundert Schritte von ihnen entfernt. Um das Tier hatte sich eine kleine Schar Offiziere versammelt. Über seine Flanken rann Blut, und auf seinem Rücken lag ein Mann. »Man hat ihn gerade hergebracht. Er hat sich in sein Schwert gestürzt. Sein Tod war ehrenhaft.«

»Sein Leben leider nicht«, entgegnete Octavian.

Er stieg von seinem Pferd. Seine Knie fühlten sich immer noch weich an, doch er war entschlossen, sich vor den Männern keine Blöße zu geben. Dann trat er zu der kleinen Gruppe neben dem Baum. Marcus Brutus war grau wie ein Fisch, über die starren Augen hatte sich bereits der stumpfe Glanz des Todes gebreitet. Octavian nahm alle Kräfte zusammen und zog den Toten von dem Pferderücken herab. Dann packte er sein Schwert und trennte ihm den Kopf vom Leib. Es sah widerlich aus und kostete mehr Kraft, als er vermutet hatte. Er trat gegen den Kopf und rollte ihn bis vor die Füße des Stallmeisters.

Octavian schwankte vor Erschöpfung. »Pack das in deinen Mantel, und nimm es mit«, befahl er. »Wir nehmen den Kopf mit nach Rom und legen ihn zu Füßen der Statue meines Vaters.«

Als er sich seinem Pferd zuwandte, drängte sich einer der Gefangenen vor. Der Schrecken des zuletzt Erlebten malte sich auf seinen Zügen ab. »Ihr werdet uns doch ein ordentliches Begräbnis gewähren!« stammelte er.

Octavian starrte ihn an. Wieso rechnen Menschen eigentlich mit Gnade, wenn sie verloren haben? dachte er. Caesars Barmherzigkeit war eine Schwäche gewesen. Diesen Fehler würde er nicht wiederholen. Dem Sieger gehörte alles, der Verlierer war Opfer des Schlächters.

»Ein ordentliches Begräbnis? Trag dein Anliegen den Geiern vor!« erwiderte er höhnisch, bestieg sein Pferd und ritt fort.

Spät am Abend erreichte Antonius dieselbe Stätte. Sein Blick fiel auf den Leichenhügel, der sich auf dem gefrorenen Boden türmte. Augenscheinlich hatte man sie einfach hingerichtet.

Wenig entfernt stand ein Schimmel, der Gras aus dem Boden rupfte. Neben ihm lag eine Leiche im roten Mantel des Generals. Sie war verstümmelt.

Brutus.

Antonius stieg von seinem Pferd, nahm seinen Umhang ab und breitete ihn über dem Toten aus. Schlimm genug, wenn einfache Soldaten mit herausquellendem Gedärm und ohne Kopf auf der Erde lagen - für einen Feldherrn und römischen Senator war dergleichen undenkbar.

Antonius sah, daß ihn einer der Zenturionen beobachtete. »Sieh zu, daß der Mann ein ordentliches Begräbnis bekommt«, befahl er.

»Aber Caesar hat gesagt, daß...«

»Er ist nicht Caesar«, brüllte Antonius. »Caesar ist tot! Der Mann, von dem du redest, ist nichts als ein giftiger Zwerg! Jetzt tu, was ich dir sage! Ich habe diese Schlacht gewonnen, während dein Caesar im Bett lag und erkältet war!«

Er stapfte mit wütenden Schritten von dannen.

Und damit nahm die Geschichte ihren Lauf.

Der Mann, den Antonius als giftigen Zwerg bezeichnet hatte, kehrte nach Italien zurück, um die Staatsgeschäfte zu führen, die ihm sein Name beschert hatte. Die Veteranen seiner Legionen erhielten den üblichen Sold in Form von Geldern und Land. Die Verteilung war eine undankbare Aufgabe, denn trotz der Proskriptionen gab es nicht genug, um alle zufriedenzustellen. Was man verteilte, mußte man zuvor anderen nehmen. Auch die Geldvorräte waren knapp, denn Caesars Vermögen war in den Krieg geflossen.

In der Zwischenzeit hatte Sextus, der Sohn des Pompejus, dem der Senat die Flotte versprochen hatte, die Herrschaft auf dem Meer übernommen und blockierte als Seeräuber die Wege nach Rom. In Italien wurde gehungert, und die Menschen gaben Octavian die Schuld.

Der junge Caesar, lachte Antonius im Kreis seiner Freunde, war doch nicht so schlau, wie er geglaubt hatte. Nun, der Happen, den er sich abgebissen hatte, sollte ihm ruhig noch eine Weile im Halse steckenbleiben.

Die Beute stand dem Sieger zu. Ein Mann, der im Bett gelegen hatte, während die Schlachten geschlagen wurden, konnte dem Kriegshelden nichts mehr befehlen. Spanien und Sardinien wollte Antonius Octavian gern überlassen. Er, der Mann, der sich noch vor zwei Jahren in den Alpen verkrochen hatte, erhielt Gallien und das Reich des Ostens. Dort wollte er sich einträglichen und vergnüglichen Geschäften widmen, während Octavian sich mit Italien und seinen Problemen herumschlagen konnte.

Oh, richtig, Lepidus bekam die afrikanischen Provinzen. Antonius war es dort zu heiß - und zu sandig.

Antonius' Einzug in die Gebiete des Ostens glich einer Fahrt im Triumphwagen. Überall feierte man ihn als den allmächtigen Sieger, als Erretter, als neuen Dionysos, als Gott des Weines, der Feste und des Friedens.

In Ephesos thronte er auf einem rebenbekränzten Wagen, vor ihm tanzten spärlich bekleidete Bacchantinnen, hinter ihm zogen junge Männer, die als Satyr und Pan verkleidet waren. Ihnen folgten die Musikanten des dionysischen Bundes, die auf Harfen, Flöten und Schalmeien spielten. Die Menschen spendeten ihm jubelnd Beifall und grüßten ihn als Huldreichen, als Freudenspender.

Alles war so, wie Antonius es sich immer erträumt hatte. Und wie er es, so fand er, auch verdient hatte.

6

Der Winter stand ganz im Zeichen des Freudenspenders.

Antonius versammelte die besten Tänzer und Schauspieler des Ostens um sich, die standhaftesten Zecher und die berühmtesten Dirnen. Seine Hofhaltung glich einem Gelage, der Krieger in ihm ruhte aus. Der Wein, die Frauen, die Huldigungen wirkten nach der langen dunklen Nacht der Proskriptionen, der vergifteten Welt des Senats und der Metzelei bei Philippi wie Balsam für seine Seele.

Verschwommenes Sonnenlicht wurde durch die grünen Blätter der großen Götterlaube gefiltert. Efeu und Wein umrankten die Streben wie verschlungene Glieder, die Säulen glichen Bacchantenstäben. Antonius hatte dieses Bauwerk in Auftrag gegeben, es war seine Höhle, die Höhle des Dionysos.

In ihrem Innern entfalteten sich Tätigkeiten, die der Ekstase galten. Ecstasos, wie die Griechen es nannten. Die Seele befreit von den Schranken des Geistes, die Suche nach den Göttern mittels fleischlicher Liebe und Wein.

Unter dem Gitterwerk aus grünen Zweigen konnte Antonius sich den Zügellosigkeiten hingeben, die das sittsame Rom verbot. Hier lachte und trank er, umgeben von seinem Künstlervolk und Sisyphus, dem Zwerg. Er trug einen Efeukranz auf dem Haupt, und sein Pokal wurde nie leer. Mänaden in hauchdünnen Gewändern tanzten zu Flöten- und Harfenklängen und haschten sich trunkene Satyrn, mit denen sie in den Hainen verschwanden.

Dort sah man im verborgenen sich windende Leiber, Körper ohne Gesichter oder Namen, die aufeinander glitten und zuckten wie Schlangen in einem Nest. Eine braune Hand schloß sich um eine pralle weiße Brust, eine andere fuhr über Schenkel, Münder und Hände, emsig wie Bienen, vielfältige Formen der Lust allein um der Lust willen.

Antonius vergrub den Kopf im Schoß eines jungen Mädchens, dessen Mund sich einem anderen entgegenreckte. Als er dieses Spiels überdrüssig wurde, wandte er seine Aufmerksamkeit dem nächsten Paar zu und überließ sich dessen Händen und Zungen. Es machte keinen Unterschied, ob es sich dabei um Mann oder Frau handelte, er suchte allein den rosigen feuchten Ort und die Schwellungen des Fleisches.

Schemenhaft nahm er wahr, daß eine junge Syrerin, die Haut braun wie Molasse, das Hinterteil rund und fest wie ein Pfirsich, sich hingebungsvoll einem der Dionysosjünger widmete und dieser sie bei den Hüften packte, sie auf den Bauch drehte und sie von hinten nahm.

Antonius spürte, wie er die Erde, den Körper, den Geist verließ; seine Welt dehnte sich aus und wurde nur noch von sinnlichen Gefühlen bestimmt. Er trieb auf den Wogen der Lust, bis sie sich zu Schmerz verwandelte, und weiter, bis sich seine Seele erhob, aufstieg und eins wurde mit dem Himmel über dem grünen Dach. Bis er eins war mit den Göttern.

»Quintus Dellius, Majestät. Ich überbringe die erlauchtesten Grüße meines Herrn, Marcus Antonius.«

Kleopatra erinnerte sich an sein falsches Lächeln aus der Zeit, als er noch Caesars Bote war. Ein aufgeputzter Mensch, dessen Augen noch listiger glitzerten als die der Schlange. Natürlich hatte sie ihn erst einmal endlos lange warten lassen. Wie bei seinem ersten Besuch glitten seine Blicke verstohlen in die Runde, bis sie auf der Statue des Dionysos haften blieben, die mit einem Pantherfell bekleidet war und eine Kithara hielt. Vielleicht hatte er gedacht, daß sein Herr der einzige Anbeter Dionysos' war.

Kleopatra trug einen zarten goldenen chiton und ein goldenes Diadem aus verschlungenen Reifen, die hinter dem Kopf in einen Knoten mündeten.

Mardian beugte sich zu ihr vor und wisperte ihr in Ägyptisch ins Ohr: »Ich kenne diesen Menschen. Erst war er Dolabellas Mann, kurz vor Laodicea lief er dann zu Cassius über, und bei Philippi hat er sich Antonius an die Fersen geheftet.« »Zuverlässig wie der Wind.«

»Nach dem er sein Fähnchen hängt, wie die meisten Römer, die wir kennen.« Kleopatra wandte ihre Aufmerksamkeit dem Gesandten zu. »Nun, Dellius?« fragte sie.

»Ich überbringe Grüße an Ihre erhabene Majestät von meinem Herrn Antonius, des weiteren einen Brief meines Herrn. Er wünscht, daß Ihr ihn lest.« Er hielt Kleopatra eine Schriftrolle entgegen, die von einem der Kammerherren ergriffen und danach an sie weitergereicht wurde. Sie überflog die Zeilen. An die erlauchte und große Königin von Ägypten, und so weiter und so fort... Der Herr Antonius ersuchte sie um das Vergnügen ihrer Gesellschaft an seinem Hof in Tarsos. »Tarsos«, sagte sie.

»Meinen Herrn Antonius drängt es, Euch zu sehen, um die frühere Freundschaft zu erneuern. Zudem möchte er erfahren, aus welchem Grund Ihr Eure Flotte Cassius überlassen und diesen mit vier Legionen gegen Dolabella unterstützt habt.«

Welch eine Unverschämtheit! Sie erinnerte sich an den Herrn Antonius, wie er betrunken durch Caesars Haus getorkelt war und wie er bei den Lupercalien halbnackt die februa schwang. Und nun befahl der nämliche sie zu sich, als sei sie einer seiner Zenturionen.

»Ein römischer Magistrat wünscht die Königin von Ägypten zu befragen?«

»Er meint sich zu erinnern, daß Ihr früher Freunde wart, und sucht eine Erklärung für die widersprüchlichen Taten.«

Auch Kleopatra wünschte Marcus Antonius dringend zu sehen. Sie hielt ihn weiterhin für den einzigen Freund, den sie in Rom besaß. Doch sie würde ihm nicht als Bittstellerin begegnen, die um Nachsicht für eingebildete Vergehen bat. Und in einen Teppich würde sie sich dieses Mal auch nicht rollen lassen. »Ihr dürft Eurem Herrn Antonius ausrichten, daß ich sein Ersuchen bedenke.«

Quintus Dellius lächelte. Es war natürlich kein Ersuchen, sondern ein Befehl, doch er war ein zu erfahrener Diplomat, um sie darauf hinzuweisen. »Ich werde ihn Eure Antwort wissen lassen«, sagte er.

»Ich danke Euch, Quintus Dellius. Mögen die Götter Euch eine sichere Rückfahrt gewähren.«

»Ihr müßt zu ihm gehen«, drängte Diomedes.

»Nur wenn er es unterläßt, mir Befehle zu erteilen. Dann gehe ich. Vorher nicht.«

»Er ist jetzt Herr über Asien.«

»Und ich bin die Königin von Ägypten und nicht seine Dienerin.«

Kleopatra wußte, was man bei Hof dachte. Erst die Hungersnot, dann die Pest, und dann der Verlust der halben Flotte auf dem Weg nach Brindisi. Sie konnten es sich nicht leisten, Rom zu brüskieren - falls sie das je gekonnt hatten. Nachdem ein gnädiges Geschick sie von Cassius und Brutus befreit hatte, mußte Antonius ihnen als Wohltäter und Retter erscheinen.

Kleopatra sah es anders. Gerade jetzt galt es, den Kopf hochzuhalten und Antonius als gleichrangig zu begegnen.

Ihr dioiketes wackelte bekümmert mit seinem dummen alten Schädel. »Kennt Ihr diesen Marcus Antonius?« fragte er. »In Ephesos bezeichnet man ihn als neuen Dionysos.«

»In Ephesos bezeichnet man alle Römer mit Schwert und Trinklust als neuen Dionysos.«

»Dieser wird dem Namen jedoch gerecht«, ließ Mardian sich vernehmen. »Man hört von unaussprechlichen Dingen, die sich dort abspielen. Ich glaube, er befolgt die heiligen Riten bis zum Exzeß.«

»Marcus Antonius hat sich noch nie zurückgehalten.«

»Ihr kennt ihn also, Majestät?« kam es von dem dioiketes.

»Wir waren uns in Rom wohlgesonnen.«

»Dann könnte Euer Besuch doch die Lage Ägyptens verbessern.«

»Sobald ich dazu bereit bin.«

»Wenn Ihr ihn aber beleidigt...«

»Wovor fürchtet Ihr Euch eigentlich? Daß er uns angreift, wie Cassius es plante? Das wäre vergeudete Furcht. Octavian und Lepidus würden ihm Ägypten nie überlassen. Es würde ihren Pakt gefährden, und das kann nicht in Antonius' Interesse sein.«

»Ein gefährliches Spiel, Majestät.«

»Politik ist immer ein gefährliches Spiel, Diomedes.« »Wir brauchen seine Freundschaft.«

»Rom kennt keine Freunde, sondern nur Verbündete.« Wie sich die Zeiten gewandelt hatten! Wie lange Alexandria versucht hatte, sich von Rom fernzuhalten! Doch es war aussichtslos. Rom war Bestandteil ihres Lebens geworden, wie die Krokodile im Nil und die Kobras in der Wüste. Was ihnen blieb, waren Wachsamkeit und Umsicht.

Kleopatra seufzte. Nun - ändern ließ sich der Zustand nicht mehr. Auch ihre Verbindung mit Caesar trug einen Teil der Schuld daran. Doch da der Traum, Caesarion auf den Thron beider Reiche zu heben, ausgeträumt war, galt es, Antonius den bestmöglichen Handel abzuringen. Kleopatra sah, daß Mardian lächelte.

»Mardian?«

»Ich dachte gerade, daß Euer Besuch ein bedeutendes Ereignis werden könnte. Dionysos trifft Aphrodite - das gäbe ein eindrucksvolles Schauspiel.«

Dieser Gedanke war ihr selbst schon gekommen. Für die Ägypter war sie Isis, Aphrodite für die Griechen. Die Göttin der Liebe. Nun war Antonius zum griechischen Dionysos geworden, dem Gott der Freude, der dem ägyptischen Osiris glich. Gemeinsam würden sie die großen Gottheiten des Ostens verkörpern - dieselben, die Rom haßte.

Was hatte Mardian zu ihr gesagt? Ihr könnt nicht allein regieren. Er wollte, daß sie einen Prinzen erwählte. Und welchen besseren Prinzen gäbe es für sie als einen göttlichen? Er wäre der perfekte Gefährte für eine Göttin. Wenn sie Caesar nicht hatte bekommen können, vielleicht bekäme sie ja Caesars Nachfolger.

Es wäre genau die Art der Vermählung, die sie sich immer vorgestellt hatte - eine politische Verbindung ohne Liebe, weiter nichts. Sie würde damit zurechtkommen, falls man nicht zuviel Zeit miteinander verbrächte. Es gab ja Frauen, die Antonius sogar anziehend fanden, obwohl er es nicht mit Caesar aufnehmen konnte. Doch an diesem Maß mußten letztlich alle Männer scheitern.

Mardian hatte recht. Es würde ein eindrucksvolles Schauspiel abgeben, wenn sie nach Tarsos ginge.

Eindrucksvoller, als manch einer sich dachte.

7

Tarsos in Kleinasien

Die Hänge des Gebirges mit grünen Wiesen und dichten Wäldern erhoben sich weit in der Ferne. Tarsos, die Stadt in der fruchtbaren Ebene Kilikiens, zählte zu den größten des Ostens. Sie war gleichbedeutend mit Ephesos und Antiochia. Es hatte Zeiten gegeben, in denen sie den Ptolemaiern gehört hatte, genau wie Zypern und ein großer Teil der syrischen Küste. Und wer weiß, dachte Kleopatra, ob die Ptolemaier sie nicht eines Tages wieder zurückerlangten.

Im Moment erschien dieser Tag jedoch so entrückt wie das Gebirge am Horizont. Die lange Reise über das Mittelmeer war wieder einmal eine nicht enden wollende Qual gewesen. Es gibt auf der Welt beinahe nichts Schrecklicheres, als seekrank zu sein, ging es ihr durch den Kopf. In diesem Zustand hält man den Tod für eine Gnade. Sie wünschte sich nichts so sehnlich, wie wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen, diesem Ungeheuer aus knarrendem, knarzendem Holz und dem fauligen Gestank der unteren Decks zu entrinnen. Doch Verzagen hilft nichts, ermahnte sie sich, und für Schwäche ist keine Zeit. Das Ufer ist nah, und mein Auftritt steht kurz bevor.

Charmion und Iras stützten sie, als sie die Kabine verließ, um zum Oberdeck zu steigen. Sie hatten sie in ein Gewand aus schimmerndem Gold gehüllt. Kleopatra ließ sich dankbar auf dem bereitgestellten Diwan nieder, über dem ein schattenspendender Baldachin aus goldener Seide errichtet worden war. Junge Sklaven, als Cupidos verkleidet, stellten sich neben ihr auf, breiteten die bunten Pfauenfächer aus und wedelten ihr Kühlung zu.

»Ankere im Hafen«, befahl Kleopatra dem Kapitän. »Wir gehen nicht an Land.«

Als sie in die Flußmündung steuerten und sich dem Hafen näherten, wurden die schlichten Zypressenruder, die man während der Reise benutzt hatte, mit schwarzen Ebenholzrudern vertauscht, deren Blätter versilbert waren.

Auch wurden für die Ankunft spezielle Segel aufgezogen, die in der Farbe des königlichen Purpurs leuchteten. Sie waren mit Zedernöl parfümiert. Jeder Windstoß entfaltete ihren Duft und umgab das Schiff mit dem köstlichen Hauch ihrer Wälder. Die Matrosen, die die Segel befestigt hatten, ließen sich an den Masten zurück aufs Deck gleiten. An ihre Stelle schlüpften junge Mädchen, die wie Meerjungfrauen gekleidet waren. Anschließend entzündete man die großen Rauchgefäße mit Weihrauch und Myrrhe.

Kleopatra sah, wie die Menschen zum Ufer strömten. Sie vernahm das ehrfürchtige Raunen, das durch die Menge ging, und Rufe des Entzückens.

Trotz ihrer Verfassung brachte sie ein Lächeln zustande. Sie hatte genau die Wirkung erzielt, die sie beabsichtigt hatte.

In der Regel hielt Antonius auf dem großen Ratsplatz hof, wo er von einem vergoldeten Thron aus die Rechte und Pflichten seiner neuen Gebiete bestimmte. In den vergangenen Monaten hatte er die Könige von Armenien, Thrakien und Judäa empfangen, die Tetrarchen von Pontos, Sidon und Galatien, die Führer und Vertreter jeder östlichen Provinz des römischen Reiches, die sich mit Dienern, Soldaten, Höflingen, Kamelen und vergoldeten Sänften über die staubigen Straßen Asiens auf den Weg gemacht hatten, um ihrem neuen Herrn Ehrerbietung zu erweisen.

Viele von ihnen hatten ihre Frauen und Töchter mitgeführt, um ihre diplomatischen Bemühungen zu unterstreichen, denn Antonius' Vorlieben hatten sich schnell herumgesprochen. So schenkte ihm die schöne Glaphyra ihre Gunst, um ihrem Sohn die Satrapie über Phrygien zu erhalten, und Mariamne blieb mehrere Nächte in seinem Schlafgemach, um ihrem Mann Herodes den Thron von Judäa zu sichern.

Auf diese Weise waren die Monate verstrichen. Ungeduldig und bereits ein wenig verdrossen wartete Antonius nur noch auf die Gesandtschaft aus Ägypten.

Seit Philippi hatte sich sein Leben wie ein wundervoller Traum entwickelt, der seine Sinne auf nahezu vollkommene Weise befriedigte. Asien war eine Offenbarung. Hier war er nicht mehr römischer Magistrat oder der Imperator einer Armee - hier war er ein Gott.

Wenn er wollte, würde er sogar über die Frau herrschen können, die Caesars Geliebte gewesen war. Der alte Knabe würde staunen, wenn er ihn jetzt sähe. Mit ein wenig Glück würde ihm bald nicht nur ihr Geld, sondern auch sie selbst gehören.

Doch dazu mußte sie erst einmal auftauchen.

Zuerst verwundert und anschließend verärgert schaute Antonius der Gruppe von Menschen nach, die gerade noch vor ihm gestanden, sich dann aber mit einemmal aufgelöst hatte und danach verschwunden war, bis nur noch er, sein römischer Offiziersstab und seine Leibwache zurückgeblieben waren.

Er wandte sich zu Quintus Dellius um. »Was ist denn los?« fragte er.

»Ich weiß es nicht, Imperator.«

»Bringe es in Erfahrung.«

Dellius rannte zur Dachterrasse des Palastes, von wo aus man den Hafen überblicken konnte. Er entdeckte, daß eine Flotte in den Hafen lief, wie er sie noch nie zuvor gesehen hatte. Allen voran glitt ein Flaggschiff mit purpurroten Segeln. Silberne Ruderblätter, die sich glitzernd aus dem Wasser hoben, Musik aus Trommeln und Flöten, Meerjungfrauen, die in der Takelage schwebten und das Steuer hielten - und in der Mitte, wie eine goldene Venus, Königin Kleopatra selbst. Neben ihr standen zwei Cupidos mit gefiederten Fächern, und ihre Dienerinnen streuten vom Heck aus Blüten auf die Wellen. Dellius schnupperte. Von der ägyptischen Flotte ging ein betörender Duft aus, der von einem zarten Windhauch getragen, an ihm vorbeizog.

Die Menschen am Ufer sprangen in kleine Boote und ruderten auf die Hotte zu, um sich dieses Schauspiel aus der Nähe zu betrachten.

Ein kleines, widerstrebendes Lächeln huschte über Dellius' Gesicht. Alle Achtung, dachte er, der Auftritt ist ihr geglückt. Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, daß sich einer der Sklaven an ihm vorbeidrücken wollte, und packte blitzschnell zu. »Sag mir, was hier vor sich geht«, herrschte er ihn an.

»Es ist Aphrodite«, kam die gestammelte Antwort. »Die Leute sagen, daß sie selbst erschienen ist, um mit dem Herrn Dionysos zu feiern.«

Dellius ließ den Sklaven los und sah ihm nach, wie er zum Hafen rannte. Aphrodite kam, um sich mit Dionysos zu vergnügen! Diese Ägypterin! Sie konnte nicht nur einen Auftritt gestalten, sondern wußte überdies, welches Stück am populärsten war. Ihre Spitzel mußten sich seit Tagen in der Stadt herumgetrieben haben, um die Geschichte zu verbreiten. Er war gespannt, wie Antonius reagieren würde.

Kleopatra beobachtete, wie sich ein größerer Segler den Weg durch das Gewirr der Ruderboote bahnte. Auf dem Deck sah sie rote Mäntel blitzen. Römer! Sie wartete - eine hingegossene Venus im goldenen Licht der Sonne. Von diesem Tag würden die Menschen noch ihren Enkeln berichten. Damals, als Venus nach Tarsos kam...

Der Segler legte längsseits ihres Schiffes an. Man half einer kleinen Gesandtschaft an Bord, aus der sich ein bekanntes Gesicht löste. Quintus Dellius.

Als er ihr gegenüberstand, wandte er den Kopf in alle Richtungen, um hinter den Ursprung des lieblichen Duftes zu kommen, der ihn umgab. Danach wanderten seine Blicke über die hübschen Sklavinnen in der Takelage und die feinen Prunkstoffe, mit der das Schiff ausgestattet war. Der gestrenge Römer war offenkundig beeindruckt. »Eure Majestät«, sagte er. Kleopatra deutete ein Kopfnicken an. »Der edle Herr Antonius heißt die Königin von Ägypten an seinem Hof willkommen. Er lädt Euch zu sich ein und bittet Euch, heute abend an einem Bankett teilzunehmen, das er Euch zu Ehren gibt.«

Kleopatra blieb stumm. Charmion antwortete für sie. »Die Königin wünscht nicht an Land zu kommen, mein Herr. Statt dessen lädt sie den edlen Marcus Antonius ein, heute abend zu einem Bankett die königliche Galeere zu besuchen. Diese Einladung erstreckt sich auch auf die Offiziere und die Würdenträger der Stadt.«

Dellius blickte sich um, als frage er sich, welch eine Art von Bankett in dieser Umgebung ausgerichtet werden könne. »Ich werde meinem Herrn Eure Antwort überbringen«, sagte er. »Seid gewiß, daß er der Einladung freudig folgt.«

Danach verneigte er sich und kehrte mit seinem kleinen Trupp Gefolgsleute an Bord des Seglers zurück.

Hoffentlich ist sein Herr wenigstens halbwegs nüchtern, wenn er kommt, dachte Kleopatra, denn für mich geht es wieder einmal um sehr viel. Was würde Caesar wohl von dem kleinen Mädchen aus der Teppichrolle halten, wenn er jetzt vom Pantheon heruntersähe?

8

Obwohl Antonius bereits an etlichen Banketten orientalischer Höfe teilgenommen hatte, wie auch an unzähligen Gastmählern der römischen Aristokratie und an den Gelagen, wie man sie auf gewissen Landsitzen abhielt, so hatte er etwas wie dieses hier noch nie gesehen.

Das Schiff glich einem schwimmenden Palast. Es hatte inzwischen an der Hafenmauer angelegt, wo sich die Menschen immer noch zusammendrängten und nur von einer Kohorte römischer Legionäre zurückgehalten wurden.

Als die ersten Gäste erschienen, versank die Sonne gerade am Horizont, und die Dämmerung legte sich auf die Stadt. In diesem Augenblick flammten an Bord die Fackeln auf. Das Schiff verwandelte sich in ein Lichtermeer, das über dem Wasser schwebte.

Antonius schritt über einen breiten Steg, der in königlichem Purpur leuchtete. Erstaunt betrachtete er die Dienerschaft, die ihn in Form von Meerjungfrauen, Nymphen und Cupidos willkommen hieß.

Danach wurde seine Aufmerksamkeit jedoch auf die Wände des Schiffes gelenkt, die in reinem Gold zu schimmern schienen. Erst nach weiteren Schritten spürte er, daß er über weiche Polster ging anstatt über die gewohnten harten Planken. Er schaute zu Boden und entdeckte einen dicken Rosenteppich, der mit einem Netz überzogen war. Die Blüten, die er zertrat, verströmten süßen Duft.

Schließlich sah er auch Kleopatra. Sie lag auf einem goldenen Seidendiwan unter einem mächtigen Baldachin in Form eines geschnitzten Elefantenkopfes, dessen Stoßzähne in den Himmel ragten.

Die Perlen, die sich ihr um den Hals schmiegten und ihr schwer von den Ohren hingen, sandten glitzernde Strahlen aus. Ihr Haar fiel glänzend und schwarz auf die Schultern. Das Goldgewand schmiegte sich um ihren Körper, und ihre Sandalen waren mit Smaragden besetzt. Um ihre nackten Arme ringelten sich Schlangen aus Lapislazuli. Sie hatte den Ellbogen aufgestützt und sah ihm regungslos entgegen.

Unsterbliche Aphrodite, Venus, Isis, Königin des Meeres, Königin von Ägypten.

Antonius trat vor und verneigte sich. »Majestät«, murmelte er.

Ihre Augen funkelten. Sie bedeutete ihm näher zu kommen. Er beugte sich zu ihr vor, sog die köstlichen Gerüche ein, die sie umgaben - erlesene Duftwässer und der ureigene Geruch einer schönen Frau. Oh, Antonius, ging es ihm durch den Sinn, du bist wahrhaftig gestorben und bei einer Göttin im Himmel gelandet.

Kleopatras Lippen fuhren wie ein Hauch über sein Ohr. »Ich will dich«, wisperte sie und lehnte sich wieder zurück.

So weit das Auge reichte, traf es auf das Gepränge aus sattem Rot und Gold. Im Bankettraum tafelte man von goldenen Tellern und Pokalen, die Ruhebänke waren mit rubinroter Seide bespannt, die Beine der marmornen Tische bestanden aus Gold, besetzt mit Karneol, die Wände schmückten Teppiche aus dunkelroter Seide. Parfümierte Tauben flatterten über die Köpfe der Gäste hinweg, Sklaven salbten ihnen die Haare mit Zimtöl und wuschen ihnen Füße und Hände mit Rosenwasser.

Blonde Cupidos und dunkelhäutige Nymphen trugen die Speisen auf: geschmorte Wüstenhasen aus Libyen, rosig gedünstete Krebse, Austern in Seetang, gebratener Fasan, Kuchen aus feinem weißem ägyptischem Mehl, dicke Datteln in Honig, Gelees aus Granatäpfeln und Honig. Amphoren mit bestem italienischem Wein wurden hereingebracht und mit Wasser gemischt. Während des Essens spielten anziehende junge Sklavinnen auf silbernen Harfen. All diese Pracht wurde zudem noch ringsum von Wandspiegeln zurückgeworfen, die das Übermaß bis ins Unendliche wiederholten.

Antonius stellte fest, daß ihm der Sinn weder nach Nahrung noch nach den Getränken stand. Ich will dich. Er war nicht in der Lage, den Blick von Kleopatra abzuwenden, konnte nur an das denken, was sie ihm zugeraunt hatte. Doch sie behandelte ihn mit der gleichen Liebenswürdigkeit wie die anderen Abendgäste. Es war, als habe er die Verlockung nur geträumt.

Nicht einmal während des Festmahls bot sich Antonius die Gelegenheit, mit Kleopatra unter vier Augen zu reden. Sie scherzte mit seinen Offizieren und mit den Stadtvätern, die ihr offenbar schon zu Füßen lagen und sie mit artigen Schmeicheleien überhäuften - bis auf Quintus Dellius. Der ruhte auf seiner Bank und taxierte sie stumm mit solch kaltem Interesse, als sei sie eine der Tempeldirnen der Stadt.

Nachdem das Mahl beendet war, führte Kleopatra ihre Gäste an Deck. Draußen war die Nacht hereingebrochen. Rufe der Verzückung wurden laut, als die Gäste zu der Takelage aufschauten. Über ihnen schaukelten unzählige Laternchen an dünnen Seidenstricken, die den Aufbau des Schiffes wie das Dach eines verwunschenen Schlosses schimmern ließen.

»Ich schenke Euch, meine lieben Gäste, den goldenen Diwan, auf dem Ihr geruht habt«, verkündete Kleopatra. »Zudem die goldenen Teller und Pokale, von denen Ihr gespeist und aus denen Ihr getrunken habt. Meine Diener werden Euch mit Fackeln nach Hause geleiten und die Geschenke tragen.«

Die Gäste klatschten in die Hände und brachen in erstauntes Gemurmel aus.

Als sich alle verabschiedeten, neigte sich Antonius zu Kleopatras Ohr. »Meine Herrin«, sagte er. »Ich hatte auf die Möglichkeit eines privateren Zusammenseins gehofft. Es gibt einiges zu erörtern.«

Die dunklen Augen schauten amüsiert und verwundert. Du kleines Biest, dachte Antonius.

»Wir werden noch genügend Zeit dafür haben, mein Herr«, entgegnete Kleopatra. »An diesem Abend haben wir Euren Triumph über Brutus gefeiert. Laßt uns das nicht mit störenden Gedanken an Staat und Politik verderben.«

Davon ist auch nicht die Rede gewesen, dachte Antonius. Und das weiß sie ganz genau. Die Worte klangen immer noch in seinem Ohr. Ich will dich.

»Dennoch liegt mir an einem Moment, wo Eure Gesellschaft mir allein gehört«, beharrte er.

»Es war eine lange Reise, und ich bin müde«, erwiderte Kleopatra. »Vielleicht am morgigen Tag.« Danach schenkte sie ihm ein aufreizendes Lächeln, das ihn die ganze schlaflose Nacht über verfolgte. Und als er die Augen in den frühen Morgenstunden endlich schloß, träumte er von Ägypten.

Ich will dich.

9

Zu Antonius' Bankett, das am folgenden Abend stattfand, ging Kleopatra nicht als Venus, sondern in einem smaragdgrünen chiton aus sidonischer Seide, der an der Schulter mit einer Perlenspange gehalten wurde. Sie ließ sich in einer Sänfte mit zugezogenen Vorhängen tragen. Die nubische Leibwache lief ihr mit Fackeln voraus.

Zu den vielen Gründen, aus denen die Soldaten Antonius verehrten, gehörte, daß er seine Mahlzeiten häufig mit ihnen in ihrem Speisesaal einnahm. Wie es aussah, wollte er auch für Kleopatra keine Ausnahme machen. Das Gebäude, in dem die Soldaten aßen, war vor ihrer Ankunft eine der großen Markthallen gewesen. Auch jetzt hing darin noch der Geruch von Gewürzen, Gemüse, Abfall und Fisch. Es war ein langgestreckter Steinbau, dessen gewölbte Decke von drei Säulenreihen getragen wurde.

Antonius hat zwar versucht, die Halle ein wenig herzurichten, dachte Kleopatra, während ihre Blicke über die bestickten syrischen Wandteppiche und die verzierten bronzenen Lampenständer glitten, doch sie sieht immer noch aus wie ein leergeräumtes Lager.

Auf einem Podest neben dem Eingang spielten Musikanten; ihre Klänge verloren sich allerdings in dem lauten Stimmengewirr. Als Kleopatra vortrat, setzten jedoch Fanfaren ein, und die Gespräche verstummten.

Bei der Mehrzahl der Anwesenden handelte es sich um Soldaten, die ihrem Rang nach an langen Tischreihen saßen. In der Mitte des Saals standen zwölf Ruhebänke für Antonius, seine obersten Befehlshaber und deren Gäste.

Alle Hälse reckten sich, um die große Königin zu betrachten -die Göttin, die in der Stadt in aller Munde war.

Die nubische Leibwache schritt vor Kleopatra in den Saal. Unter ihrem Gefolge waren Diomedes und Mardian.

Antonius kam ihr entgegen. Er trug den scharlachroten Umhang der Römer, der mit einer Spange aus Bronze über einer Wolltunika gerafft wurde. Kleopatra fand, daß er einen etwas gefaßteren Eindruck machte als am Vorabend, wo er sie wie ein Bauer angestiert hatte.

Wenn sie ehrlich war, mußte sie sogar zugeben, daß er nach wie vor gut aussah. Sie erinnerte sich an das Gerede in Rom, wonach römischen Frauen die Sinne schwanden, wenn sie ihn nur sahen. Was den Verstand betraf, konnte er es mit ihr natürlich nicht aufnehmen, und mit Caesar schon gar nicht. Doch das spielte im Moment keine Rolle. Er war Römer und gehörte zu den drei mächtigsten Männern der Welt.

Kleopatra wußte, was ihm bei ihrem Anblick durch den Kopf spukte. Zum einen spekulierte er auf die nächste rasche Eroberung, wie bei der Gemahlin des Herodes, und darüber hinaus lockte es ihn, endlich das zu kosten, was Caesar vor ihm geschmeckt hatte.

Wahrscheinlich wäre ihm nie der Gedanke gekommen, daß sie an eine ganz andere Art der Verführung dachte.

Nachdem sie die ersten Höflichkeiten ausgetauscht hatten, wandte Antonius sich den Versammelten zu und begrüßte sie noch einmal offiziell als Ehrengast des Abends.

»Wir freuen uns, die Königin von Ägypten willkommen zu heißen, die über das Meer zu uns gereist ist. Wir hoffen, daß sie sich in diesem bescheidenen Quartier wohl fühlt, das wir ihr zu Ehren ein wenig königlich zu gestalten versucht haben.«

Als Kleopatra sich niedergelassen hatte, lebten die Stimmen wieder auf. Sie ruhte neben Marcus Antonius. Er stierte schon wieder, doch sie tat, als bemerke sie es nicht, und behandelte ihn freundlich - wie es das Protokoll verlangte.

Nach einer Weile wurden die Mahlzeiten aufgetragen.

»Fraß«, hörte Kleopatra Mardian sagen, jedoch so leise, daß nur sie es verstand. Es schien, als habe Antonius sich gedacht, er könne ohnehin nicht mit ihrem Bankett wetteifern, und statt dessen entschieden, den Abend bewußt spartanisch zu halten. Das Essen bestand aus einfach gebratenen Zicklein und wurde auf Holztellern serviert. Der Wein, dem eifrig zugesprochen wurde, war vom Besten.

Antonius hatte seinen Zwerg Sisyphus bei sich. Es war ein abstoßender Bursche mit einem viel zu großen Gesicht und einem häßlichen keckernden Lachen. Antonius schien ihn jedoch unterhaltsam zu finden.

»Die Königin muß sehr beeindruckt sein von Eurem Gastmahl«, sagte er feixend zu Antonius. »Ihr habt ihr armseliges Bankett in den Schatten gestellt. Werdet Ihr ihr später auch den Teller und den Becher schenken?«

Antonius schaute zu Kleopatra und lächelte verlegen. »Die Königin kann sie mitnehmen oder ihren Dienern befehlen, auf dem Markt ein ganzes Dutzend davon zu kaufen. Der Preis wäre in etwa derselbe.«

»Wo bleiben überhaupt die Rosenblüten?« rief Sisyphus mit gespielter Entrüstung. »Der Wind, der durch die Ritzen zieht, muß sie fortgepustet haben. Ich werde die Dienstboten tadeln müssen.«

Kleopatra beschloß, die Peinlichkeit der Situation aufzuheben. »Wenn Euer Herr mich übertroffen hätte, wäre ich beschämt«, sagte sie, »denn ich brauchte sechs ganze Monate zur Vorbereitung unseres Treffens.«

»Dennoch hätte der Imperator sich ein wenig mehr Mühe geben können«, ließ sich einer der Generäle vernehmen. »Ich fürchte nur, als Gott hat er alle Hände voll zu tun.«

Antonius zuckte mit den Schultern und lachte gutmütig. Es schien ihn nicht zu stören, daß seine Männer sich über ihn lustig machten. »Laßt nur«, erwiderte er. »Wenn Octavian schon der Sohn eines Gottes ist, muß ich ihn eben übertrumpfen.«

Daraufhin lachten alle.

»Ich habe gehört, daß man Euch als neuen Dionysos bezeichnet«, hob Kleopatra wieder an.

»Das verdankt er seinem Zauberstab«, entgegnete Dellius spöttisch. »Legionen von Mänaden können das bezeugen.«

»Ein Stab von ganz erstaunlicher Macht«, fiel Sisyphus ein. »Nicht nur aufgrund seiner Größe, sondern auch wegen des Tannenzapfens am oberen Ende.«

Antonius' Lachen erstarb. Offenbar wußte er nicht, wie die Königin auf derlei Anzüglichkeiten reagieren würde. Kleopatra fragte sich, ob man sie vielleicht nur testen wollte. Ich könnte beleidigt tun, dachte sie, doch damit zöge ich mir nur ihre Feindschaft zu. Lieber beweise ich ihnen, daß ich keine Spielverderberin bin, und mache sie mir gewogen.

»Wie man mir sagte, wedelt Euer Herr mit dem Stab, wenn er durch die Straßen zieht, und erntet jubelnden Beifall«, sagte sie.

Selbst Dellius konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

Wie es den Anschein hatte, waren Antonius' Liebesgeschichten auch an den Soldatentischen Thema, zumal der Wein dort ebenso reichlich geflossen war wie an den Tischen der Gäste. Eine Gruppe gallischer Soldaten stimmte ein Marschlied an, das kurz darauf von allen aufgegriffen wurde.

Wir kommen und dienen dem Gott des Weins, der gab ihn Glaphyra ein. Als sie wieder nüchtern war, schickte er sie heim.

»Glaphyra«, sagte Kleopatra. »Das ist die Mutter des Prinzen von Phrygien, nicht wahr?«

»Das ist sie in der Tat«, erwiderte Dellius mit glitzernden Augen. »Sie kam auf den Knien zu Antonius gerutscht.«

O Antonius, dachte Kleopatra. Dieser Dellius scherzt nicht, er mag dich nicht. Kannst du das nicht erkennen? »Wie es aussieht, haben Euch die Staatsgeschäfte sehr beansprucht«, sagte sie zu Antonius gewandt.

Antonius war immerhin so anständig, betreten zu Boden zu schauen. Inzwischen hatten die Soldaten die nächste Strophe angestimmt.

Die Juden glauben an einen Gott, den Herrn, der den Himmel zerteilt. Herodes schickte uns seine Frau, unser Herr zerteilt ihr die Beine.

»Ich muß mich für meine Männer entschuldigen«, sagte Antonius. »Es kommt manchmal vor, daß sie sich vergessen.«

»Oh, das ist nun mal die Art von Soldaten«, antwortete Kleopatra leichthin. »Ich erinnere mich, daß sie über Caesar ein ganz ähnliches Liedchen gedichtet haben.«

Heim kommt der kahle Hurensohn Römer sperrt die Frauen ein. All das Gold, das ihr ihm schenktet ward der gallischen Dirnen Lohn.

Im Saal breitete sich Stille aus. Dann legte Antonius den Kopf in den Nacken und brach in lautes Gelächter aus. Die Menge fiel johlend ein. Etliche der Soldaten hämmerten ausgelassen mit den Fäusten und den Pokalen auf die Tischplatten.

Mit einemmal wurde Kleopatra bewußt, daß sie die Römer am Vorabend tief gekränkt hatte. Sie hatte die Bewohner von Tarsos mit ihren Schätzen zwar beeindrucken können, doch für Antonius und seine Gefährten hatte es eine Herabwürdigung bedeutet. Diese Männer hatte sie erst jetzt gewonnen, es hatte nur ein paar derber Spaßesworte bedurft. Ihre Liebe würde folgen, wenn sie die Liebe ihres Herrn errungen hätte - mit Ausnahme von Quintus Dellius. Dieser Schlange würde sie niemals trauen können.

10

Von der Terrasse des schwimmenden Palastes aus schaute man über den Hafen, dessen Wasser an diesem Tag indigoblau leuchtete. Diener errichteten einen Baldachin über dem Lager, auf dem Antonius und Kleopatra ruhten, und reichten ihnen Erfrischungen. Schneegekühlten Wein für Antonius, und für Kleopatra Früchte und Rosenwasser. Tief unter ihnen wiegte sich die königliche Galeere auf den Wellen, deren goldenes Heck im Sonnenlicht funkelte. Ich will dich.

Hatte sie diese Worte wirklich ausgesprochen, oder hatte er sich das nur eingebildet? Die kleine Kostprobe von Ägypten fehlte ihm noch, obgleich der Osten mit Leckereien bisher nicht gegeizt hatte. Glaphyra, Mariamne - mal die Mutter eines Satrapen, mal die Gemahlin eines Königs. Es war, als räubere man in einem fremden Garten, dessen Früchte stets köstlicher waren als die, die man rechtmäßig erwarb. Kleopatra gehörte immer noch Caesar. Sie war die Frucht aus dem Garten des Gottes.

»Dieses Mal führen uns glücklichere Umstände zusammen als bei unserem letzten Treffen«, begann Kleopatra, nachdem sie eine Weile geschwiegen hatten.

»Das ist wohl wahr. Aber Caesar hat viele Probleme hinterlassen.«

»Und? Wurden sie inzwischen gelöst?«

»Darauf werde ich Euch nicht antworten«, erwiderte Antonius. »Ich bin sicher, daß Eure Spitzel Euch über Rom auf dem laufenden halten.«

»Man hat mir berichtet, daß Caesars Neffe sich nicht so leicht lenken ließ, wie man dachte.«

»Pah! Octavian mit seinen holden Knaben!« knurrte Antonius. »Es gab anfängliche Schwierigkeiten, weiter nichts.«

»Sie führten immerhin dazu, daß Ihr den Bergziegen Gesellschaft leisten mußtet«, sagte Kleopatra und lächelte spöttisch.

Dieses freche kleine Luder! dachte er. »Das ist vorbei. Doch lassen wir das. Darüber will ich nicht mit Euch reden.«

»Worüber wünscht Ihr denn zu reden, mein Herr Antonius?«

»Laßt uns mit Cassius beginnen. Er war unser beider Feind. Ich wüßte gern, warum Ihr ihm im Kampf gegen Dolabella Eure Legionen sandtet.« Ein Diener füllte Antonius den Pokal erneut mit Wein.

Antonius stellte zufrieden fest, daß Kleopatras Lächeln verschwunden war. »Wenn etwas zu absurd klingt, um wahr zu sein, besteht die Möglichkeit, daß es unwahr ist«, erwiderte sie.

»Ihr leugnet es?«

»Es waren römische Legionen. Dolabella hat nach ihnen verlangt, und sie verließen Alexandria, um sich ihm anzuschließen. Danach glaubte ihr Befehlshaber, daß Cassius siegen würde, und wechselte in Syrien die Fronten. Bei ihm liegt die Schuld, nicht bei mir. Glaubt Ihr wirklich, ich hätte Cassius unterstützt? Wie Ihr schon sagtet, er war mein Feind. Ohne ihn und seinesgleichen wäre ich heute Caesars Gemahlin.«

Antonius nickte. Es leuchtete ihm ein. Dennoch hatte es genauso überzeugend geklungen, als Octavian sie eines Doppelspiels bezichtigte. »Und was war mit Eurer zyprischen Flotte?«

»Wenn Ihr zu wissen wünscht, wer den Statthalter von Zypern beschwatzte, die Flotte Cassius zu senden, solltet Ihr die Antwort in Ephesos suchen, im Tempel der Diana.«

»Ihr redet von Arsinoe?« Antonius wirkte verblüfft. Er wußte noch, wie entrüstet Arsinoe sich gegen diesen Verdacht gewehrt hatte, als er sie verhörte. Er schüttelte den Kopf. Es war schwer zu entscheiden, wem man in diesen Zeiten trauen konnte.

Kleopatra hob die Schultern. Es war eine Geste bitterer Resignation. »Ich habe Caesar die Schwierigkeiten vorausgesagt, die sich ergäben, falls er sie leben ließe, doch er hielt ja Barmherzigkeit für eine Tugend. Er irrte sich bei Brutus, wie sich später herausstellte, und er irrte sich auch im Falle meiner Schwester.«

Antonius sah sie nachdenklich an.

»Wenn Cassius gesiegt hätte«, fuhr Kleopatra fort, »hätte er Arsinoe als Königin von Ägypten eingesetzt. Ihr habt Euer Leben in Rom verbracht und seid mit Intrigen vertraut. Erkennt Ihr nicht, daß man Euch gegen mich aufgestachelt hat? Und dabei ist es noch nicht einmal schwer zu erkennen, wer es tut und warum.«

»Ich dachte, Ihr hättet getan, was für Euch am vorteilhaftesten wäre.«

»Ich habe nichts dagegen, auf meinen Vorteil zu achten, doch Cassius zu unterstützen wäre Selbstmord gewesen. Denkt doch an meinen Sohn.«

»In einem Brief verspracht Ihr mir, Eure Flotte nach Brindisi zu senden, um mir im Kampf gegen Brutus zu helfen.«

»... was ich auch versucht habe, wenngleich es Winter war. Meine Flotte ging im Sturm verloren. Die Wrackstücke werden noch heute in Griechenland angespült. Ich habe die Flotte selbst angeführt, wiewohl ich das Meer hasse. Ich tat es, um Euren Sieg zu sichern.« Sie beugte sich näher zu ihm, die schwarzen Augen blitzten vor Zorn. »Glaubt Ihr denn, ich hätte nicht Rache nehmen wollen an jenen, die Caesar töteten, und mit ihm meine Hoffnung?«

Antonius sah, daß sie vor wütender Erregung bebte. Erstaunlich, dachte er. Sie muß tatsächlich etwas für den alten Knaben empfunden haben.

Endlich war er überzeugt und wußte, wem er glauben konnte. Auf Octavians Worte würde er sich hinfort nicht mehr verlassen. Dieser Giftzwerg! Na ja, eigentlich hätte er es selbst besser wissen müssen.

Er atmete auf. Er brauchte Kleopatra derzeit genauso wie sie ihn und wollte nicht, daß früherer Verrat ihr Bündnis überschattete.

Die Augen mit den schwarz geschminkten Rändern brannten sich in seine Seele.

»Ihr habt bei Eurer Ankunft in Tarsos, als ich an Bord Eures Schiffes trat, etwas zu mir gesagt.«

»Ach ja?« Die Augen blickten nun unschuldig und erstaunt.

Er hielt ihrem Blick stand und senkte die Stimme. »Ihr sagtet, Ihr wolltet mich.«

»Vielleicht habe ich mich nach den Berichten über Glaphyra und Mariamne besonnen. Vielleicht will ich nicht mit Sklavinnen und Mänaden auf einer Stufe stehen.«

»Ihr wißt, daß es keine Frau auf der Welt gibt, die sich mit Kleopatra messen kann.«

Kleopatra lächelte. »Im Gegensatz zu Euch habe ich erst einmal im Leben geliebt, aber mir ist dennoch klar, daß ein Mann weiß, mit welchen Worten er eine Frau gewinnen kann.«

Antonius grinste. »Da mögt Ihr recht haben.«

Kleopatra nippte an ihrem Rosenwasser und beobachtete ihn über den Rand des Bechers hinweg. »Doch darüber wünschte ich nicht zu reden. Mir liegen politische Dinge am Herzen. Ihr wollt meine Hilfe im Kampf gegen Parthien.«

Sie lachte schallend, als sie die Überraschung auf seinem Gesicht erkannte. Antonius stellte fest, daß sie wie eine lieblichere Fulvia war - ebenso gewitzt, ebenso raffiniert und ihm immer einen Schritt voraus. »Ich möchte vor allem wissen, was Ihr dafür von mir verlangt«, antwortete er nach einer Weile.

»Ich habe etliche Forderungen. Eine davon wird nicht verhandelt.«

»Und die wäre?«

Sie sagte es ihm.

Ephesos in Kleinasien

Der Artemis- oder Dianatempel, wie ihn die Römer nannten, war in der ganzen Welt berühmt. Ihn zierten hohe Säulengänge mit goldenen Statuen der Jagdgöttin und ihren Nymphen und Faunen. Eine der Wände schmückte ein gewaltiges Gemälde, das Diana und Alexander zeigte. Wie Isis und Aphrodite war sie die Göttin der Frauen, doch im Unterschied zu jenen besaß sie auch eine zerstörerische Seite.

Der Tempel mit seinen umliegenden Hügeln und Wäldern hatte in der Vergangenheit häufig Flüchtlingen Asyl gewährt -von entlaufenen Sklaven bis hin zu Dieben und Bettlern -, die sich inzwischen auf dem Tempelgelände niedergelassen hatten. Die meisten von ihnen fristeten ihr Dasein als Verkäufer unechter Silberstatuen, als Taschendiebe oder Dirnen für die Pilger, die aus ganz Asien herbeiströmten.

Arsinoe lebte hier seit der Errettung vor Caesars Henkersknechten. Als Priesterin des Tempels galt sie hinfort als unantastbar. Inzwischen hatte sie eine Gefolgschaft aus enttäuschten alexandrinischen Höflingen um sich geschart, die Kleopatra aus den unterschiedlichsten Gründen grollten. Hier und da weilten auch Besucher aus Zypern unter ihren Gästen, Gesandte des Statthalters Serapion, dem eine Zukunft als ihr dioiketes vorschwebte - für den Tag ihrer Rückkehr als Königin von Ägypten.

An diesem Nachmittag hatte sich Arsinoe aus der brütenden Hitze der Innenhöfe in die kühleren Nischen des Altarraums zurückgezogen, um zu beten. Das Dunkel des Heiligtums wurde nur von einigen Öllämpchen erhellt. Vor ihr ragte die Göttin auf, der die Sanftheit der Isis ebensosehr fehlte wie die Erotik der Aphrodite. Diana trug ein einfaches Jagdkleid, stand stramm wie ein Wachmann und hielt Pfeil und Bogen in der Hand.

Arsinoe lag tief versunken auf den Knien, als die Soldaten kamen. Sie polterten über die Schwelle, stießen Priester wie Priesterinnen zur Seite, packten Arsinoe bei den Haaren und zerrten die Schreiende hinaus in die helle Säulenhalle vor dem Tempel. Dort riß man ihr die Hände auf den Rücken, während einer der Zenturionen ausholte und ihr mit einem gezielten Schlag den Kopf abtrennte. Der Blutbach ergoß sich über die Tempelstufen bis auf den Boden, wo er sich in dunklen Lachen sammelte.

Haß war das nicht, noch nicht einmal Krieg. Nur praktisches Denken und Politik.

Kein Mensch war unantastbar. Das hätte Arsinoe von Caesar lernen sollen.

11

In Tarsos

Dieses Mal gab es keine Cupidos, keine Nymphen und keinen Rosenteppich. Statt glitzernder Laternchen leuchtete ein schmaler Mond. Es gab weder Harfen noch Flöten, nur die Wellen des Meeres schlugen gegen den Rumpf des großen Schiffs.

Charmion führte Antonius wortlos unter Deck in Kleopatras Gemach und schloß die Tür hinter ihm zu.

Im schwachen Schein der Öllampen erkannte Antonius ein Bett, das mit Leopardenfellen bedeckt und von einem hauchdünnen Seidenvorhang umgeben war. Die Luft war von süßem Weihrauch durchdrungen.

»Ich will dich«, hörte er eine Stimme flüstern.

Fünf Tage war es her, seit sie diese Worte zum ersten Mal ausgesprochen hatte, fünf Tage lang hatte er auf diesen Augenblick gewartet. Nein, länger schon. Er wartete schon, seit er sie zum ersten Mal in Caesars Haus gesehen hatte.

Sie lag unter einem Tuch, ein Schatten, eine Verlockung in der Dunkelheit. Antonius ließ seinen roten Umhang zu Boden gleiten, schlüpfte aus seiner Tunika und schob den Vorhang zur Seite.

Kleopatra lachte kehlig. »Wie ich sehe, hast du den berühmten Zauberstab mitgebracht.«

Für den Bruchteil eines Moments stieß ihn die Bemerkung ab. Doch dann dachte er daran, daß er nun die Frau hinter der königlichen Maske sehen würde, genau wie sie den Mann hinter dem Gott.

Er zog das Tuch zurück. In den vergangenen Monaten hatte er so viele Körper besessen - so viele Frauen. Diese hier würde er jedoch nie vergessen. Sie war nicht nur eine Frau, sondern bedeutete Ägypten, war die Frau Caesars. Eine glorreiche Eroberung, an deren Ende er jedoch Gnade walten lassen wollte.

Sein Atem war anders - er roch anders, männlicher, eine Mischung aus Leder, Schweiß und Wein.

Sie öffnete die Lippen, und er küßte sie. Sie hatte ihn sich grob vorgestellt und erwartet, er nähme sie wie ein Soldat, doch dann stellte er sich als überraschend zärtlich und sanft heraus. Seine Lippen fuhren sacht über ihr Gesicht bis zu ihrem Ohrläppchen, an dem er liebevoll knabberte. Hübsche Kunststückchen hat er gelernt, dachte sie.

Danach wanderten seine Lippen über ihre Kehle zu ihren Brüsten, fanden ihre Brustwarzen, die sich ihm dunkel und hart entgegenreckten. Er saugte an ihnen. »Du bist wunderschön, Kätzchen«, flüsterte er.

»Nenn mich nicht so«, fuhr sie ihn an.

Antonius hielt überrascht inne, doch sie krallte die Hände in seine Haare und zog seinen Kopf wieder hinab auf ihre Brüste. Er hatte etwas in ihr wiedererweckt, das seit Caesars Tod in ihr geschlummert hatte.

Er wollte noch eine Weile mit ihr spielen, doch sie riß ihn an sich, schlang die Beine um ihn und wölbte sich ihm entgegen. Widerstandslos glitt er in sie hinein.

Sei nicht sanft heute nacht, flehte Kleopatra im stillen. Sei wild wie ein Gladiator. Sie bäumte sich auf, wollte die Begierde gestillt haben, suchte Erlösung. Doch es half nichts. Es war, als wolle sie einen Traum erneuern, Erinnertes wiederholen. Sie konnte den Gipfelpunkt nicht erreichen. Antonius schwitzte und keuchte. Kleopatra wand sich unter ihm, ihre Muskeln schmerzten. Antonius hielt ihr Stöhnen für Vergnügen und bewegte sich schneller, heftiger.

Kleopatra wußte, sie würde es nicht schaffen. Sie täuschte einen Moment der Ekstase vor und ließ sich dann zurücksinken. Anschließend lag sie ermattet, enttäuscht und verwirrt unter ihm.

Antonius schien einmal tief Luft zu holen und schrie dann auf, anders als Julius. Julius hatte es sich nie gestattet, die Kontrolle über sich zu verlieren, er hatte seinen Höhepunkt schweigend erreicht. Als Antonius sich erschöpft hatte, stieg die Trauer in Kleopatra hoch und breitete sich wie glühende Lava in ihr aus. Sie begann zu weinen. Antonius versuchte sie zu trösten, hielt sie in den Armen und strich ihr über die Haare. Er war von ihrem Gefühlsausbruch ebenso überrascht wie sie, und genau wie sie stand er ihm hilflos gegenüber.

Sie standen zusammen an Deck und sahen zu, wie das erste Tageslicht über den Osthimmel kroch. In der Takelage hingen immer noch die Laternchen. Vor einigen Tagen waren sie Antonius wie Sterne vorgekommen, jetzt erkannte er, daß es nur einfache Tonlichter waren. Es war eine Illusion gewesen, sonst nichts, dachte er. Genau wie das Leben. Man schuf Träume und Ängste aus schlichter Materie und bezeichnete sie nachher als wahr, so wie Dionysos und Aphrodite.

»Komm nach Alexandria«, sagte Kleopatra.

Antonius hatte damit gerechnet, daß sie ihn darum bitten würde. Die Versuchung war groß. »Es geht nicht«, antwortete er. »In Judäa gibt es Schwierigkeiten zwischen Herodes und den Makkabäern, außerdem verbreiten sich Gerüchte, daß die Parther vorhaben, in Syrien einzufallen. Mein Platz ist hier.«

»Parthien kann noch bis zum Sommer warten, und in Judäa wird es ohnehin nie ruhig. Der Winter in Tarsos ist kalt, in Alexandria hingegen ist er mild. Ich werde mir tausend kleine Zerstreuungen für dich ausdenken.«

Antonius schwieg. Er spürte, daß er innerlich anfing zu wanken.

»Du hast doch gerade erst einen Krieg beendet, und nun willst du gleich in den nächsten ziehen? Gibt es denn keine Pause für Dionysos den Freudenspender?«

Kleopatra hörte, wie er seufzte. »Du hast recht, ich bin müde.«

»Du und dein Stab, Ihr werdet im Palast meine Gäste sein. Du wirst in dem Bett schlafen, das Caesar gehörte.«

Caesar. Wie oft hatte jener ihn einen großen Jungen gescholten. Vielleicht hatte er recht gehabt, der alte Knabe. Er war wie ein Junge, ihm machten die Ferien mehr Spaß als die Schule.

»Komm nach Ägypten«, wiederholte Kleopatra. »Alexandria wird dir zu Füßen liegen.«

»Nein«, erwiderte Antonius. »Es ist ausgeschlossen. Bitte mich nicht noch einmal, es kann nicht sein. Zum letzten Mal: nein.«

12 ln Alexandria

Antonius kam an einem kalten blauen Tag zu Beginn des Winters. Zu seinen Ehren war das Sonnentor mit Girlanden bekränzt, die Kanopische Straße blitzblank, und von den Palastmauern erschollen die Fanfaren. Man hatte ihm eine Ehrengarde entgegengesandt, die ihn auf dem Weg in die Stadt begleitete.

Die Straßen wurden von neugierigen Menschen gesäumt. Als die Schaulustigen sahen, daß Antonius nicht in der Toga des römischen Magistrats erschien, sondern in der einfachen Chlamys der Griechen, brandete stürmischer Beifall auf.

Und schon hat er den Pöbel gewonnen, dachte Kleopatra, die den Zug vom Palast aus beobachtete. Wenn sie wüßten, wieviel er trinken kann, würden sie rasen vor Glück.

Antonius stürzte sich auf Alexandria wie ein Mensch, der nach langer Fahrt zurückgekehrt ist in das Reich seiner Väter, und die alte Stadt öffnete ihm dankbar die Arme und nahm ihn auf. Hier war endlich ein Mann, der sich das Kostüm des Dionysos nicht nur umlegte, sondern der ihn verkörperte und die Rolle mit Leben füllte.

Die schwere Toga, das Sinnbild römischer Macht, hatte Antonius zusammengefaltet und zum Überwintern mit der

Rüstung in eine Eichentruhe gepackt. Statt ihrer trug er griechische Gewänder mit weichen Sandalen aus attischem Leder.

Er bewegte sich ohne Leibwache und begab sich jeden Tag zum Museion, wo er - und sei es auch nur, um Kleopatra zu gefallen - den Gelehrten zuhörte. Er ließ sich die große Bibliothek zeigen, stieg nachts mit auf die Dächer, um mehr über die Astronomie zu lernen, und sah den Ärzten zu, wie sie den menschlichen Körper anhand geöffneter Verbrecherleichen studierten. Er lauschte sogar einer dreistündigen Vorlesung über die Grundlagen der Philosophie.

Dann jedoch wurde der Junge in ihm dieser Anstrengungen müde, und Antonius verbrachte abermals einen Großteil seiner Zeit bei abendlichen Banketten und Gelagen. Schon bald glich sein Leben wieder einem nicht enden wollenden Kreislauf an Ausschweifung und Vergnügen, und eines Tages gründete er einen eigenen Bund - die Amimetobioi, der Bund der Freunde des Lebens.

Die Mitglieder dieses Bundes setzten sich aus der ersten Gesellschaft Alexandrias zusammen, aus den Freunden des Hofes, reichen Kaufleuten und Bankiers aus dem Brucheionviertel. Jeden Abend fand bei einem von ihnen eine commissatio statt, ein Gelage, bei dem man sich zu überbieten suchte, was die Opulenz des Essens, die Erlesenheit der Weine und das Ausgefallene der Unterhaltung betraf.

Als die Reihe schließlich an Antonius war, verkündete Kleopatra zu seiner großen Freude, daß sie ein Bankett für zehn Millionen Sesterzen ausrichten wolle, das teuerste und ausgefallenste der Geschichte.

Es waren lediglich drei Dutzend Gäste geladen, doch die aufgetürmten Köstlichkeiten hätten für sehr viel mehr Menschen gereicht. Auf den goldenen Platten lagen Fasane aus Samos, Rebhühner aus Phrygien, gebratene Kraniche aus Milos, Zicklein aus Ambrakia, Thunfisch aus Chalcedon, Austern aus Tarent, Stör aus Rhodos, damaszenische Äpfel, in kleinen Holzgittern geschmort, in Honig eingelegte Feigen aus Parthien, geröstete Eicheln aus Spanien und gedünstete Weintrauben aus dem königlichen Anbau Ägyptens. Die Gäste aßen bis zur Völle, wobei es etliche Römer unter ihnen gab, die nach ihrer Sitte Emetika nahmen, den Magen leerten und anschließend weitertafelten.

Nachdem das Bankett beendet war und die goldenen Teller und Becher hinausgetragen worden waren, wandte sich Antonius an Kleopatra. Er schien nicht betrunken zu sein, obwohl er so viel Falernerwein zu sich genommen hatte, daß andere Menschen an seiner Stelle längst ohnmächtig gewesen wären. Obwohl das Mahl von großer Pracht und Herrlichkeit gewesen sei, verkündete er, und die Unterhaltungskünstlerinnen zweifellos entzückend waren, addiere es sich bisher noch nicht einmal auf hunderttausend Sesterzen. Er gab zu, daß es sich dabei zwar bereits um eine fürstliche Summe handele, doch sie reiche nicht an die, die sie genannt habe. Niemand, setzte er hinzu, würde es schaffen, zehn Millionen Sesterzen für ein Bankett auszugeben.

»Es ist noch nicht zu Ende«, antwortete Kleopatra und winkte ihren Mundschenk zu sich. »Bring mir einen Becher mit Essig«, trug sie ihm auf.

Kleopatra trug eine riesige Perle aus dem Roten Meer an jedem Ohr. Bereits einer dieser Ohrringe kostete mehr als ein Vermögen. Die Gäste sahen mit Entsetzen zu, wie sie einen von ihnen abnahm, die Perle aus der Fassung brach und sie in den Becher mit Essig warf, den man ihr gereicht hatte.

Sie schwenkte die Flüssigkeit eine Weile im Kreis und schaute danach in den Becher. Die Perle schimmerte ihr vom Boden aus entgegen. »Diese Perle hat etwa fünf Millionen Sesterzen gekostet«, rief sie ihren Gästen zu. »Der Essig beginnt schon, sie aufzulösen. Ihr werdet gleich Zeugen sein, wie ich den teuersten Wein der Welt trinke.« Sie setzte den Becher an die Lippen, trank ihn leer und schnitt eine Grimasse.

Die anderen stießen hörbar den Atem aus. Gewiß hatte niemand geglaubt, daß sie es wirklich wagen würde.

Kleopatra stülpte den leeren Becher um. Die Perle war verschwunden.

»Bring mir jetzt einen guten Tropfen!« befahl sie darauf ihrem Mundschenk. »So hoch der Preis des letzten war, sein Geschmack war höchst abscheulich.«

Anschließend nahm sie den zweiten Ohrring ab. »Möchtet Ihr, daß ich auch diesen trinke?« fragte sie die Gäste.

Antonius legte ihr die Hand auf den Arm. »Bitte nicht, meine Liebe. Das würden wir nicht verkraften. Du hast uns alle überzeugt.«

In seinen Augen lag der Ausdruck größter Bewunderung. Ob diese Barbaren tatsächlich glauben, daß sich Perlen in Essig auflösten? fragte sich Kleopatra.

Als Charmion am folgenden Morgen ihr Gemach betrat, hielt Kleopatra ihr ein Gefäß entgegen.

»Irgendwo da drinnen«, sagte sie und ignorierte Charmions gerümpfte Nase, »ist der Ohrring der Königin. Er hat den Wert eines großen Kriegsschiffs. Hol ihn heraus, laß ihn reinigen und bring ihn mir zurück.«

13

Auf dem Palatin in Rom

Plancus Munatius kam gerade von seinem Barbier und bewunderte sich im Spiegel, während Fulvia Karten auf dem Tisch ausbreitete. Munatius war einer der Befehlshaber Antonius' - in ihren Augen ein Speichellecker, der mit dem Tratsch auf dem Aventin besser vertraut war als mit dem Zustand der Armee. Aber was soll's? dachte sie achselzuckend. Schließlich ist es mir ja nur recht, daß er nicht weiß, was er tut.

Ich will die Befehle geben.

Antonius' Bruder Lucius hatte sich in eine Ecke zurückgezogen und brütete finster vor sich hin. Er wollte an Antonius' Ruhm teilhaben, das war sein ganzer Ehrgeiz. Dummerweise suchte er jedoch auch die Liebe des Volkes und schaffte sich dadurch Probleme. Denn beides, wußte Fulvia, konnte man nicht haben.

»Der junge Caesar ist eindeutig zu weit gegangen«, beschwerte sich Lucius, an Plancus gewandt. »Er schert sich keinen Deut um den Vertrag von Brindisi. Er hat seine Veteranen bezahlt, die von Antonius warten immer noch auf ihr Geld.«

»Rechtfertige es, wie du willst«, fuhr Fulvia dazwischen. »Wenn wir das Früchtchen zu Fall bringen, ist dir Antonius' Dankbarkeit gewiß.«

»Jetzt wäre ein günstiger Zeitpunkt«, verkündete Plancus, der sich nur schwer von seinem Spiegelbild trennen konnte.

»Die Blockade von Sextus macht Octavian zu schaffen. Heute morgen hat es schon wieder Aufstände gegeben. Der Pöbel hat einen Kornspeicher in Brand gesteckt. Hungern und dann noch das Getreide verbrennen! Das ist typisch für Rom.«

»Bekommt Ihr genug Männer zusammen, die gegen Octavian kämpfen werden?«

»Die Armee ist mir treu ergeben«, versicherte Plancus.

Fulvia warf einen verstohlenen Blick auf Lucius. Die Armee ist Antonius treu ergeben, dachte sie. Ihr beide hängt euch nur an ihn dran. Doch wichtig war im Moment Octavian, ihn galt es zu vernichten. Die Soldaten standen kurz vor der Meuterei, die Bauern litten unter den Folgen des Bürgerkriegs, das ganze Land war in Unruhe.

Bald wird mein Mann der alleinige Herrscher sein, dachte sie. Selbst wenn ich ein wenig nachhelfen muß. ln Alexandria

»Man behauptet«, hub Antonius an, während ihm ein Sklave die fettigen Finger mit Rosenwasser wusch, »daß es auf dem Markt eine Frau gibt, die zweihundert Jahre alt ist. Sie sagt die Zukunft voraus.«

Kleopatra suchte sich eine dicke Dattel aus. »Wer den Schwatztanten am Hafen glaubt, verliert Unschuld und Geld.«

Antonius lachte. »Nun, eins davon ist längst verwirkt, und das andere hat mich noch nie interessiert.«

Nach einer Weile setzte er erneut an. »Wäre es nicht lustig, wenn wir einmal dorthin gingen?«

»Wohin? Etwa nach Rhakotis?«

»Ja. Warst du denn noch nie dort? Du wirst doch wohl deine eigene Stadt kennen, oder nicht?«

»Rhakotis stinkt. Was sollte ich dort wollen?«

»Wir könnten uns verkleiden. Es wäre ein Riesenspaß.«

Kleopatra kicherte. Die Vorstellung weckte die Abenteurerin in ihr. In früheren Jahren hätte sie nicht einen Moment gezögert, doch die Zeiten, in denen sie sich keck und mutig in Teppiche rollen ließ, waren lange vorbei.

Aber Antonius hatte ständig neue Einfälle und dachte sich fortwährend kleine Spielchen aus. Manchmal, wenn sie mit ihm zusammen war, fühlte sie sich wieder so unbeschwert wie früher.

»Eure Wünsche sind mir Befehl, mein Herr«, sagte sie. »Alexandria gehört Euch.«

Antonius grinste sie an. »Wer weiß?« erwiderte er. »Vielleicht finden wir auch einen schönen Matrosen für dich.«

Kleopatra bewarf ihn mit einem Apfel. Er fing ihn auf und warf ihn zurück. Sie schnappte ihn, gluckste vor Lachen und zielte erneut. Das war der Auftakt zur Schlacht. Die Dienstboten rissen Mund und Augen auf, so hatten sie ihre Königin noch nie erlebt.

Hinterher war der Marmorboden übersät mit Krebsschalen, Kuchenresten und aufgeplatzten Früchten.

Rhakotis war das Armenviertel am Westhafen der Stadt. Nachts wurde es von betrunkenen Matrosen und Dirnen heimgesucht. Sisyphus zeigte Kleopatra und Antonius eine Mauer, die mit bunten Tonfliesen beklebt war, auf denen ein Freier der Dame seiner Wahl Nachrichten hinterlassen konnte.

Kleopatra hatte das Armenviertel noch nie bei Nacht gesehen und war von den Eindrücken überwältigt. Der Gestank der Abwässer und der Fischmärkte vermischte sich mit dem von Kamel- und Eseldung und war überlagert von tausend anderen Gerüchen, die aus den Lagerhallen stammten.

Sie waren zu viert, denn Antonius hatte Sisyphus und Dellius mitgenommen. Die drei hatten sich als reisende Kaufleute verkleidet, Kleopatra trug den Umhang einer einfachen Frau. Sie streiften durch enge dunkle Gassen, in denen rote Rattenaugen aus Abfallbergen funkelten, und stießen auf düstere Tavernen, in denen sich sizilianische und phönizische Matrosen betranken und sich für wenige Münzen eine Hure für die Nacht kauften.

Kleopatra hätte es nicht für möglich gehalten, daß Menschen so leben konnten. Sie kannte die armen Fellachen der chora, doch derlei finstere Lasterhöhlen hatte sie noch nirgendwo gesehen. Die Tavernen waren verrußt von schlechtem Lampenöl und durchtränkt vom billigen Duftwasser der Dirnen. Unter ihren Füßen knirschten leere Austernschalen. Antonius kaufte ihr eine Pastete, von der sie den ersten Bissen gleich wieder ausspuckte.

Und erst die Menschen, die diese Unterwelt bewohnten! Dickbäuchige Matrosen, die halbnackte, oft häßliche Huren betatschten. Antonius und seine Gefährten lachten bei dem Anblick und bestellten sich einen Becher Wein nach dem anderen.

Später, als er betrunken war, beschloß Antonius, selbst ein wenig zur Unterhaltung beizutragen. Er stolperte in eine Gasse, blieb vor einem der Häuschen stehen und hämmerte an die Tür. »Aufmachen!« brüllte er. »Wir suchen nach einem entlaufenen Sklaven. Sein Name ist Cicero.«

Nach einer Weile flackerte im Haus ein Licht auf, und ein Mann kam ihnen mit einer Öllampe entgegen. Antonius konnte sich vor Lachen kaum halten. Er packte Kleopatra am Arm und zog sie mit sich fort. Dellius und Sisyphus folgten ihnen hastig.

»Wer bist du?« hörten sie die aufgebrachte Stimme des Mannes hinter sich. »Was soll das? Du hast mich aufgeweckt. Du Haufen Eseldung! Du elender Kamelfurz!«

Sie bogen um eine Ecke. Antonius ließ sich prustend und keuchend gegen eine Hauswand sinken.

»Das reicht«, schnaufte Dellius. »Laßt uns zum Palast zurückkehren. Es wird gleich Morgen.«

Zu ihrer Überraschung stellte Kleopatra jedoch fest, daß ihr der Sinn noch nicht nach Rückkehr stand. Sie war wieder das kleine Mädchen, das im Alter von fünf Jahren die Wachen vor dem Palast mit Steinen bewarf oder eine Kerze an das Gewand seines Lehrers hielt und vor Vergnügen quietschte, als jener sich in den Seerosenteich rettete. Es war schon so lange her, daß sie etwas getan hatte, das frei war von Pflicht, das sie so mutwillig sein ließ wie damals, als sie ihr Söldnerheer in die Wüste führte und sich zu Caesar tragen ließ.

Antonius schien jedoch genug zu haben. Er plädierte ebenfalls für Heimkehr, als mit einemmal ein Stöhnen aus einem Fenster über ihnen drang. »Hört Ihr das?« fragte er.

»Es reicht jetzt, mein Herr«, mahnte Dellius noch einmal. »Wir müssen zurück.«

»Hört Ihr das denn nicht?« Antonius lachte. »Manche Männer lassen ihre Frauen wohl nie in Ruhe.« Sie beobachteten, wie er im Dunkeln einen Stein ertastete und damit auf den Holzladen vor dem Fenster zielte. Wenige Augenblicke später flog das Fenster auf. »Was gibt es da unten?« brüllte eine Stimme. »Ist deine Frau noch im Dienst?« brüllte Antonius zurück. »Was sagst du da?«

»Sie ist zwar fett und häßlich«, rief Antonius, »aber beim letzten Mal hat sie's für eine halbe Melone gemacht, und das war es mir fast wert.«

Drinnen wurde eine Öllampe angezündet, und sie hörten, wie jemand die Treppenstufen heruntergepoltert kam. »Los, weg hier!« flüsterte Sisyphus.

Doch Antonius krümmte sich vor Lachen und rührte sich nicht vom Fleck.

Nun wurde die Haustür aufgestoßen, und ein Schatten schoß über die Schwelle. Kleopatra konnte einen Mann ausmachen, einen Kopf kleiner als Antonius. Er stürzte sich auf Antonius und hieb wie ein Wilder auf ihn ein. Antonius wehrte sich nicht, er taumelte lediglich rückwärts, bis er unsanft auf seinem Hinterteil landete.

»Ihr Säufer und Huren!« tobte der Mann. Antonius konnte sich vor Lachen nicht mehr halten. Sein Angreifer stürmte zurück ins Haus und kam mit einem Prügel zurück, mit dem er sich über Antonius hermachen wollte. Dellius packte ihn roh und zerrte ihn zurück.

Was würde der Mann denken, wenn ich ihm sagte, wer ich bin? dachte Kleopatra. Daß er von den Spießgesellen der Königin gestört und beleidigt wurde? Wahrscheinlich würde er mir kein Wort glauben.

»In Ordnung«, rief Antonius, als der Mann sich aus Dellius' Griff befreite und erneut auf ihn losgehen wollte. »Dieses Mal eine ganze Melone, aber mehr ist nicht drin!«

»Für heute nacht ist es genug, mein Herr!« sagte Dellius und zog Antonius wie einen störrischen Maulesel hinter sich her.

»Hast du diesen Winzling gesehen?« fragte Antonius. »Aber er hatte einen ordentlichen Schlag am Leib. Sieh mal nach, ob ich irgendwo blute.«

Kleopatra fragte sich, ob dieser gutaussehende Tollkopf neben ihr derselbe Mann sein konnte, der Brutus und Cassius bei Philippi geschlagen hatte. Doch wie die alten Geschichtenerzähler berichteten, waren selbst Götter manchmal närrisch aufgelegt.

In der Dunkelheit streckte sich ihr eine Hand entgegen und krallte sich in ihr Gewand. Es war eine alte Frau, eine Bettlerin.

»Gebt mir etwas!« krächzte sie. »Laß los, du dreckige Vogelscheuche!« fuhr Dellius sie an. Antonius blieb jedoch stehen, kramte in seinem Umhang, holte einen Geldbeutel hervor und warf ihn der Alten hin. Man hörte, wie schwere Münzen zu Boden fielen. »Seid Ihr wahnsinnig?« zischte Dellius. »Ob ich wahnsinnig bin, Quintus Dellius? Nein, ich bin nur betrunken. Aber morgen früh, wenn ich nüchtern bin, erwache ich in einem Palast. Diese Elende dort ist dann aber immer noch arm und erwacht in einer stinkenden Gasse.«

»Sie wird das Geld vertrinken«, schnaubte Dellius verächtlich.

»Und ich?« lachte Antonius und drehte sich schwankend zu ihm um. »Was tue ich denn mit meinem Geld?«

Kleopatra lächelte in der Dunkelheit. Ein Tollkopf, in der Tat. Nie wußte man, was er als nächstes tat.

Antonius lag ausgebreitet auf dem Rücken, während die Morgenröte über den Himmel kroch. Kleopatra warf sich neben ihn, strich ihm über die wirren Locken und fuhr ihm mit den Lippen über die Stirn. Er würde als Andenken an seine nächtlichen Eskapaden ein paar blaue Flecke davontragen.

»Ich liebe Alexandria«, murmelte er.

»Alexandria liebt dich.«

»Außer dem Winzling.«

»Das war kein Winzling, es war ein Mann von ganz normaler Größe. Aber du bist ein Riese.«

»Ein Riese«, wiederholte er glücklich.

»Oder ein König«, sagte Kleopatra. »Das sähen meine Alexandriner am liebsten. Sie wollen ein König. Du könntest es sein, mein Herkules, du könntest es sein.«

Er blinzelte sie schläfrig an. Dann wanderten seine Augen an die Decke, an der ein erster Sonnentupfer erschienen war.

»Ägypten gehört dir, wenn du es wünschst. Und wer Ägypten besitzt, der besitzt Rom.«

Antonius gab keine Antwort. Seine Augen schienen den Schatten zu folgen, die sich über die Wände hinweg wie furchtsame Sklaven in die Ecken stahlen. Kleopatra küßte ihn noch einmal, doch als sie in seine Augen schaute, waren sie geschlossen, sein Gesicht entspannt. Als er sich gegen Mittag erhob, griff er das Thema nicht wieder auf, verriet mit keinem Zeichen, daß er sich daran erinnerte, daß er überhaupt etwas gehört hatte.

14

Mardian beobachtete Kleopatra, als sie die morgendliche Sitzung eröffnete, und wunderte sich zum wiederholten Mal darüber, wie schnell sie sich von Strapazen erholte. In der vergangenen Nacht hatte sie sich mit Antonius und den sogenannten Freunden des Lebens bei einem Gelage vergnügt, doch nun war sie schon wieder auf den Beinen und kümmerte sich um Staatsangelegenheiten, während Antonius und dessen Kumpane noch in ihren Betten schnarchten. Mardian wußte zwar, daß Kleopatra den Wein nur stark verdünnt trank, so daß sie nicht annähernd soviel konsumierte wie Antonius, doch es wollte ihm nicht in den Kopf, daß ein Mensch mit so wenig Schlaf auskam.

»Ich kann schlafen, wenn ich im Grab liege«, hatte Kleopatra ihm einmal erklärt, als er sie darauf ansprach.

Auch während des Tages schonte Kleopatra sich nie. Sie arbeitete am Morgen, wenn Antonius schlief, und begleitete ihn nachmittags, wenn er sich mit dem Schwert übte oder im Gymnasion zum Ringkampf antrat. Manchmal unternahmen sie auch Kamelritte durch die Wüste jenseits der Stadt, gingen zum Angeln oder zogen an den See Mareotis, wo sie sich ein hübsches Plätzchen suchten und ihre Mahlzeit im Freien einnahmen.

Für Mardian war es, als wolle Kleopatra ein ganzes Leben in ein Jahr packen.

In diesem Moment lag Kleopatra auf ihrer Ruhebank ausgestreckt und wirkte so munter, als habe sie die vergangene Nacht durchgeschlafen. Sie hatte bereits eine Unterredung mit dem Obersten Zollmeister hinter sich, hatte Diomedes einen Brief an den Aufseher über die Steuereinnahmen diktiert, den Ausführungen des Hüters des Staatsschatzes zugehört, die Berichte über den Ausbau der Kanäle und Dämme entgegengenommen und studiert und dem Hohenpriester des Serapistempels eine Audienz gewährt.

Als sie schließlich allein waren, warf Kleopatra Mardian einen scharfen Blick zu. »Was ist los, Mardian?« fragte sie.

»Majestät?«

»Deine Miene! Den ganzen Morgen über ziehst du schon ein seltsames Gesicht. Was bedrückt dich denn?«

War er tatsächlich so leicht zu durchschauen? »Ich wundere mich lediglich über Eure Kräfte, Majestät.«

»Es ist noch mehr.«

Mardian schaute betreten zu Boden. »Der Anführer der Palastwache suchte mich heute früh auf, ein sehr besorgter Mann.«

Kleopatra schien in die vor ihr liegenden Schriftrollen vertieft zu sein. »Weiter.«

»Ihm dünkt, daß Ihr das Palastgelände verließet, ohne ihn zu unterrichten und ohne den notwendigen Schutz zur Begleitung.«

»Dünkt ihm auch, daß man mich so sehr haßt, daß ich sofort ermordet werde, wenn ich mich ohne Schutz entferne?«

»Es ist zur Zeit für keinen Herrscher ratsam, sich schutzlos zu bewegen - wenn man so will, zu keiner Zeit.«

Kleopatra warf ihm einen flüchtigen Blick zu, ob belustigt oder verärgert, hätte Mardian nicht zu sagen vermocht.

Er holte tief Luft. »Es wird gemunkelt, daß Ihr Euch als Sklavenmädchen verkleidet mit Antonius zu Ausflügen nach Rhakotis begebt.«

Sie gab ihm keine Antwort.

»Majestät?« »Wie lange kennst du mich schon, Mardian?«

»Seit Ihr ein Kind wart, Majestät.«

»Und dann traust du mir dergleichen zu?«

»Nun, leider gerade deshalb.«

Mardian sah das vergnügte Grinsen auf Kleopatras Gesicht, den Ausdruck eines unartigen Mädchens. Er erinnerte sich nur zu gut daran. Demnach stimmte es also.

»Ich wünschte, Ihr ginget achtsamer vor«, sagte er tadelnd.

»Mein Begleiter bei diesen >Ausflügen<, wie du ihn nennst, hat einmal zwei Gladiatoren hochgestemmt, eine Leistung, die ich bisher bei keinem anderen sah. Es gibt nichts zu befürchten, wenn ich bei Marcus Antonius bin. Es ist, als wäre die makedonische Wache mit mir.«

»Es ziemt sich nicht für die Königin von Ägypten, sich derart aufzuführen.«

»Deshalb geht sie verkleidet.«

»Es spricht sich aber herum.«

»Es ist eine Sache, über etwas zu reden, und eine andere, etwas zu sehen. Du hast immer noch viel zu lernen, Mardian.«

»Ich verstehe nicht, was Ihr damit zu erreichen glaubt«, beharrte er.

Kleopatra schob die Schriftrollen zur Seite und schaute ihn an. »Die Krone von Rom und Ägypten für meinen Sohn, sonst gar nichts.«

»Wie soll das angehen?«

»Es wird einen nächsten Caesar geben«, erwiderte Kleopatra vielsagend und wandte die Aufmerksamkeit wieder den Schriftrollen zu.

Mardian wollte etwas entgegnen, besann sich jedoch eines Besseren. Er verstand ihre Beweggründe nicht. Dürstete es sie insgeheim nach Vergnügen? Sollte dieser unbesonnene Römer ihr zuletzt doch zum Seelengefährten geworden sein? Unwahrscheinlich. Glaubte sie, sich Antonius gefügig zu machen, indem sie ihm Alexandria als Garten der Lüste bot?

Oder folgte sie seinen Launen, auf daß er sie als Gegenstück zur züchtigen römischen Frau betrachtete?

Nun, wie auch immer ihre Gründe aussehen mochten - er hoffte, daß sie sich nicht verrechnet hatte. Wenn sie auf einen nächsten Caesar wartete, war Antonius der falsche Mann. Aus einem Hundefell ließ sich kein Seidenteppich weben. Antonius hatte in Alexandria zur Zeit alles, was er ersehnte. Doch wie stand es mit seiner Fähigkeit, Gewonnenes zu erhalten? Besaß er dazu die Umsicht und Entschlossenheit?

Antonius war wie ein Kind. Er wollte sein Spielzeug, doch den Preis dafür kannte er nicht.

»Nein... nein... weg da! Hier kommt Caesarion! Das ist das Schiff von Caesarion!«

Der Dreiruderer rammte den kleinen Segler und ließ ihn kentern.

Caesarion kicherte und hieb mit der Faust nach dem Holzschiff.

»Du solltest besser damit umgehen«, schalt Kleopatra nachsichtig. »Apollodoros hat stundenlang an den Schiffchen gebastelt.«

»Das ist mir gleich«, krähte Caesarion. »Ich bin ein berühmter Admiral.«

»Dann mußt du dich erst recht in acht nehmen«, sagte Kleopatra. »Auch ein berühmter Admiral muß mit Stürmen rechnen.«

Sie schnipste ihm ein paar Tropfen Wasser ins Gesicht. Der Junge schaute sie überrascht an. Dann jauchzte er auf und bespritzte sie mit beiden Händen. Nach kürzester Zeit befand sich auf dem Fußboden mehr Wasser als in der Marmorwanne.

Kleopatra winkte Charmion fort und griff selbst nach dem Handtuch. Während sie Caesarion abrubbelte, wurde ihr wieder einmal schmerzhaft bewußt, wie sehr der Junge seinem Vater glich. Die gleichen Gesichtszüge, die gleichen Augen. In anderen Dingen wiederum, dachte sie mit einem Anflug von

Ärger, ähnelt er ihm nicht im geringsten. Es kam oft vor, daß sie nach Wesenszügen forschte, die sie an Caesar erinnern sollten, und statt dessen nichts anderes entdeckte als ein wildes, verwöhntes Kind.

Caesarion hatte aufgehört zu lachen und schaute sie an. »Wer ist der Mann, mit dem du immer zusammen bist?« fragte er.

»Sprichst du von Marcus Antonius?«

»Hast du ihn lieb?«

Kleopatra betrachtete ihn erstaunt. Wie ernst das kleine Gesicht mit einemmal geworden war.

»Gehst du mit ihm fort?« fragte Caesarion weiter.

»Natürlich nicht. Ich bleibe bei dir.«

»Du bist aber nie bei mir. Du bist immer bei ihm.«

Er war eifersüchtig. Kleopatra seufzte. Gleichgültig was sie tat, Caesarion verlangte nach mehr. Vielleicht lag es daran, daß ihm ein Vater fehlte, der sich um ihn kümmerte. Für sie war der Tag häufig zu kurz. Die Staatsgeschäfte nahmen sie in Anspruch, Antonius' Bedürfnisse wollten befriedigt, der Unterricht ihres Sohnes mußte beaufsichtigt werden.

Sie schlang die Arme um Caesarion und drückte ihn an sich, doch Caesarion blieb unnachgiebig und stemmte sich gegen ihre Brust.

Sieh einer an, dachte Kleopatra. Diese Eigenschaft hat er in jeden Fall von seinem Vater geerbt.

»Ich werde dich nie verlassen«, flüsterte sie. »Du bist mein ein und alles. Alles, was ich tue, tue ich für dich.«

Alexandria war ganz anders als Rom. Die bunten Farben, das Gewirr der Sprachen, breite Straßen mit Säulengängen anstatt düsterer enger Gassen, weiße Gebäude und Paläste anstelle der trostlosen römischen Ziegelmauern. In dieser Stadt fühlt man sich lebendig, dachte Antonius - und daher verstand er nicht, wieso sich jedermann mit dem Tod beschäftigte.

Kleopatras Bauhandwerker waren mit dem Mausoleum beschäftigt, das sie sich neben dem Isistempel auf der Landzunge von Lochias errichten ließ. Gewaltige Säulen aus rotem Porphyr wurden vor dem Eingang in die Höhe gezurrt, für die Zwischenräume hatte sie marmorne Sphingen geplant, an denen die Steinmetze zur Zeit arbeiteten. Anschließend würde man den Bau durch ein zweites Stockwerk ergänzen.

Antonius ließ den Blick über die nackten oder nur mit einem Lendenschurz bekleideten Sklaven schweifen, die über die Baustelle eilten. Von überall her klang Gehämmer, dazwischen ertönten die knallenden Peitschen der Aufseher. Er schüttelte den Kopf. »Diese Obsession in bezug auf den Tod ist mir unbegreiflich«, sagte er an Kleopatra gewandt.

»Es ist keine Obsession, Marcus, wenn man das Unvermeidbare ins Auge faßt. Die Tatsache, daß wir etwas nicht wünschen, heißt nicht, daß es nicht geschieht.«

»Aber du bist doch noch so jung.«

»Ich bin Königin, und meine Geschwister sind bereits tot. Unter den hohen Familien Ägyptens ist Jugend kein Schutz vor dem Tod. Ist dir das noch nicht aufgefallen?«

Antonius zuckte die Achseln. »Nein«, erwiderte er. Diese Ägypter! Wohin man auch ging, stolperte man über Grabstätten mit mumifizierten Leichen oder Läden, in denen die Einbalsamierer ihrer Arbeit nachgingen. Wenn er wüßte, daß seine Zeit gekommen wäre, würde er sich in sein Schwert stürzen, ohne Bedenken. Er würde dem Tod nicht mehr Aufmerksamkeit schenken als der Sonne am Horizont. Dessen war er sich vollkommen sicher.

15

Perusia in Italien

Octavian fröstelte in seinem Mantel, während er zusah, wie die Stadt brannte. Es verschaffte ihm auf grausame Art Befriedigung, die Folgen des Aufstands zu beobachten. Er hatte nie ernsthaft vorgehabt, die Festung zu stürmen, die als natürliche Schutzburg oben auf den Bergen thronte. Er hätte gewartet, bis sie von allein herausgekommen wären.

Bei den Göttern, es war ekelhaft kalt. Der Boden war gefroren und mit einer dicken Schneedecke überzogen. Die Belagerung hatte den ganzen Winter in Anspruch genommen, und Octavian hatte die meiste Zeit über fiebernd im Zelt gelegen, während seine Männer die Wälle mit Steinen bombardierten und die Wasserläufe unterbrachen, die die Zisternen speisten. Fulvia und ihre Anhänger würden über kurz oder lang aufgeben müssen.

Obgleich es Mitte März war, schnitt der Nordwind noch immer durch die Berge und trieb die Feuer jenseits der Mauern an. Früher am Tag hatten ihm seine Kundschafter mitgeteilt, daß sich die ersten Soldatentrupps drinnen betranken und mit dem Plündern begonnen hatten. Gegenwärtig versuchten etliche von ihnen, sich an ihren Kameraden vorbei nach draußen zu stehlen, um sich seinem Heer anzuschließen. Wie es aussah, hatten sie dabei weitere Gebäude in Brand gesetzt. Seine Befehlshaber hatten angreifen wollen, doch Octavian hatte ihnen befohlen zu warten. Ein Kampf war nicht vonnöten. Schon oft hatte er erlebt, daß sich die Gegner gegenseitig an die Gurgel gingen. So würde es auch bei Fulvia und Lucius sein.

Fulvia. Eine ausgemachte Giftschlange! Sie ließ diejenigen hängen, die sich ergeben wollten. Die Leichen baumelten von den Palisaden herab. Ein blutrünstiges Weib.

Eine Windbö erfaßte Octavians Mantel und hätte ihn um ein Haar aus dem Gleichgewicht gebracht. Sie führte den Gestank von Asche und Rauch mit sich, von geronnenem Blut und fauligem Tod. Da drinnen schien es ja munter zuzugehen. Nur noch ein Weilchen, und dann war alles vorbei.

Die Iden des März - fast auf den Tag vier Jahre seit Caesars Tod -, und noch immer herrschte kein Friede im Land. Caesar hatte einfach zu viele Feinde am Leben gelassen.

Man feierte Antonius' zweiundvierzigsten Geburtstag, Ludi et Natalicia Nobilissimi Antonii, Wettspiele und Feiern zu Ehren des erlauchten Antonius. Kleopatra hatte einen Wettkampf mit griechischen Athleten angesetzt. Ich hoffe, deine Freunde werden nicht allzu enttäuscht sein, hatte sie zu Antonius gesagt. Es hat nichts gemein mit dem Circus Maximus, kein Mensch wird dabei in Stücke gerissen.

Die Zuschauer kamen scharenweise in Wagen und Sänften, darunter viele Frauen. Keine griechische Dame, die etwas auf sich hielt, würde sich den Anblick wohlgeratener Männerkörper entgehen lassen, erst recht nicht, wenn einer davon der des berühmten Marcus Antonius war.

Die Kampfparteien setzten sich aus Mitgliedern des Hofes und Antonius' Stabsoffizieren zusammen. Nicht alle waren gleich gut in Form, doch jeder trug ein Lendentuch und hatte den Körper eingeölt, um die Muskeln zu betonen. In Rom wäre so etwas natürlich undenkbar gewesen, dort stellte man seinen Körper nicht öffentlich zur Schau. Gewalt, aufgeschlitzte Bäuche, Folter, das mochte angehen, doch nackte Kämpfer waren verpönt. Das hatte zu den Dingen gehört, die Kleopatra nie verstanden hatte.

Es sollte ein Pentathlon veranstaltet werden, fünf Sportarten in Form von Wettlauf, Weitsprung, Diskus- und Speerwerfen und schließlich Ringen. Einige unter den Streitern - der magere Dellius und Sisyphus, dessen kleiner gedrungener Körper auf eigentümliche Weise bedrohlich wirkte - behaupteten lachend, daß man Antonius wohl gewinnen lassen müsse, da es ja sein Geburtstag sei. Doch jedermann wußte, daß Antonius auch ohne dieses Vorrecht siegen würde. Selbst im Alter von zweiundvierzig Jahren war sein Körper noch hart wie Eisen. Er konnte jeden im Laufen und Ringen bezwingen, gleich wieviel Wein er getrunken, wie vielen Gelagen er beigewohnt und wie viele Nächte er durchgefeiert hatte. Antonius war unter einem Glücksstern geboren, und so schien es nur natürlich, daß dieser Sohn des Herkules schneller, stärker und ausdauernder war als die anderen.

Kleopatra beobachtete ihn mit unverhohlener Bewunderung. Ihr war längst klar, weshalb man ihn in Athen, Ephesos und Tarsos für einen Gott gehalten hatte.

Sie haben recht gehabt, dachte sie. Wir sind Götter, er und ich. Und wir werden es immer sein.

Die Nacht senkte sich auf den See, die Öllampen spiegelten sich als helle Kreise auf dem ruhigen Wasser. Auf der königlichen Barke waren die Freunde des Lebens zu Gast, die Klänge der Flöten und Harfen drangen bis weit in die Dunkelheit. Drinnen im Bankettsaal nahmen die Trinksprüche kein Ende Antonius hatte dem Wein heftig zugesprochen und befand sich in einem Zustand der Glückseligkeit.

Mardian schaute bekümmert mit an, wie Antonius die Königin in umziemlicher Weise liebkoste. Die Hand um ihre Brust geschmiegt, preßte er ihr weinfeuchte Küsse auf den Hals. Kurz darauf verließen die beiden die fröhliche Runde und stahlen sich fort. Nach etwa einer Stunde kehrten sie zurück. Die Haare der Königin waren in Unordnung geraten, und ihre Wangen glühten mit einem Feuer, das allen Gästen den Grund verriet.

Mardian war dergleichen unbegreiflich. Wie konnten Männer und Frauen sich auf diese Weise lächerlich machen?

Am wenigsten verstand er jedoch, wie Kleopatra sich mit diesem Mann demütigen konnte. Er war ihrer nicht würdig, würde es nie sein.

»Charmion! Warum machst du so ein langes Gesicht?« Kleopatras Lächeln war liebevoll. »Ist es deine Zeit des Mondes?«

»Nein, Majestät.«

»Was ist es denn?«

»Es ist... es ist nur...«

»Sprich es aus, Mädchen. Sag mir, was dich bekümmert.«

»Vergangene Nacht«, stammelte Charmion. »Das war nicht recht.«

Kleopatras Lächeln erstarb. Wie konnte Charmion es wagen, ihr Vorwürfe zu machen, selbst wenn sie ihre Lieblingssklavin war? »Meinst du nicht, ich sollte selbst entscheiden, was für die Königin recht ist?«

»Jedermann weiß, was er mit Euch gemacht hat.«

»Und ich mit ihm.«

»Aber Ihr seid unsere Königin!«

»Und du bist meine Sklavin. Vergiß das nicht, Charmion, oder ich lasse dich für deine Worte peitschen.«

Charmion warf sich Kleopatra zu Füßen und wartete, bis Kleopatra die Worte der Vergebung ausgesprochen hatte. Danach erhob sie sich und setzte ihre Arbeit schweigend fort. Kleopatra wußte, daß das Mädchen ihr die Demütigung übelnahm, und bereute die heftigen Worte. Als ob sie Charmion je auspeitschen ließe! Doch die Sklavin hatte keinen Grund gehabt, ihr Vorwürfe zu machen. Natürlich genoß sie das Zusammensein mit Antonius, aber diente es nicht einem höheren Zweck? Würde sie ihm sonst solche Freiheiten erlauben, selbst wenn sie ihr Genuß verschafften? Sie behandelte Antonius nicht anders als ein kleines Kind und ließ ihm seinen Willen. Sie verführte ihn. War das nicht offenkundig?

16

Der See Mareotis lag im Süden von Alexandria. Kleopatra hatte dort einen Sommerpalast, so wie viele der reichen Beamten und Kaufleute der Stadt. Am Fuße des Palastes befand sich eine Anlegestelle für die königliche Barke, und um ihn herum erstreckten sich Gärten, Haine und Weinberge.

An diesen Ort zogen sich Kleopatra und Antonius zurück, wenn die Königin ihren Staatsgeschäften entfliehen wollte. Auf Ruhebänken verbrachten sie dann draußen unter der blaßgelben Wintersonne ihre Zeit, tranken Wein und plauderten miteinander.

An einem solchen Nachmittag beschloß Kleopatra, das Thema anzuschneiden, das sie bisher beide so sorgfältig gemieden hatten. »Denkst du oft an Rom?« erkundigte sie sich.

»So gut wie gar nicht«, lautete die Antwort.

»Fehlt Rom dir nicht? Überlegst du nicht manchmal, ob Octavian dir dort schadet?«

»Wir haben einen Vertrag geschlossen.«

»Verträge haben es an sich, gebrochen zu werden.«

Antonius hob die Schultern. Er hatte offenkundig keine Lust, darüber zu reden.

»Du weißt, daß du nur mit dem Finger winken müßtest, und die Welt wäre dein«, fuhr Kleopatra fort.

»Die Welt ist mein«, erwiderte er ein wenig gereizt.

»Nein, noch nicht, bisher ist es erst ein Teil.«

Er schien zu ahnen, worauf sie hinauswollte, denn er mied ihren Blick.

»Du hast die Legionen und die Macht. Ich habe das Geld. Denk darüber nach! Rom mit Syrien bleibt Rom. Auch Rom mit Judäa bleibt Rom. Doch Rom mit Ägypten ergibt die Welt. Ich bin der Osten, und du bist der Westen. Wenn wir uns zusammenschließen, bilden wir das Ganze.«

Kleopatra erkannte, daß er unsicher geworden war. Diese Römer! Einer hatte Angst vor dem anderen. Selbst Caesar war vor dem letzten Schritt zurückgeschreckt, weil ihm der römische Segen fehlte. Was war denn so außergewöhnlich an Rom? Es war nur eine Idee, ein Gespinst aus Pflicht und Schuldigkeit, das jeden von ihnen fesselte.

Sie sah an seinem verblüfften Gesichtsausdruck, daß dem großen und edlen Antonius die Gedanken, die sie geäußert hatte, zuvor noch nie gekommen waren. Wie auch? Zu Caesars Lebzeiten hatte er sich mit der Rolle des Gefolgsmannes zufriedengegeben und Caesar die Bürde tragen lassen. Caesar hat dich richtig beurteilt, dachte Kleopatra. Antonius nimmt Befehle entgegen, er erteilt sie nicht, hatte jener gesagt. Vielleicht fürchtete Antonius die Folgen der Macht, die kalten Entscheidungen über Leben und Tod, bei denen man Blut an den Händen behielt. Oder hatte er Octavian Rom überlassen, weil er nicht wußte, wie man die Macht behält?

Vielleicht war er zu weich.

Kleopatra fuhr ihm mit den Fingern durch die Locken. »Verbünde dich mit mir, und du wirst alles haben. Dann bist du wahrhaftig ein Gott, selbst in Rom.«

»Redest du von Heirat?«

»Das auch.«

»Was ist mit Fulvia?«

»Seit wann ist die Ehefrau in Rom ein Hindernis? Laß dich scheiden. Eines Tages tust du es ohnehin.«

»Das römische Gesetz verbietet die Ehe mit Fremden.«

»Wenn du mich heiratest, bist du das römische Gesetz.«

Kleopatra konnte sehen, wie ihn der Gedanke erschreckte. Der Mann, der riesige Armeen befehligte, der Veteran unzähliger Schlachten, fürchtete sich. Rom wußte offenbar, wie man die Kinder zähmte. Ihr Vater hatte ihr einmal geschildert, wie man Elefanten gefügig macht. Man legte dem Jungtier eine Eisenkette um den Fuß, die man im Boden verankerte. Sobald das Tier an der Kette riß, spürte es den Schmerz. Nach einer Weile hatte es gelernt, nicht mehr daran zu zerren.

Wenn das Tier erwachsen war, reichten ein Strick und ein Holzpflock im Boden, um den Elefanten an Ort und Stelle zu halten.

Ganz ähnlich waren die Römer - selbst der habgierigste und ehrgeizigste unter ihnen wagte es nicht, sich zu sträuben, obgleich die Macht, die ihn band, nicht mehr als ein Mythos war.

»Ich werde darüber nachdenken«, sagte Antonius.

Nun gut, dachte Kleopatra. Denk darüber nach, aber tu es bald. Der Winter ist so gut wie vorüber. Es wird Zeit, in die Welt zurückzukehren.

Pernsia in Italien

Lucius durcheilte die Stätten des Grauens. Seine Leibgarde hastete hinter ihm her. Sie mußten über Tote steigen und über herabgestürzte Gebäudeteile. Der Rauch hatte sich wie ein Leichenruch über die Stadt gesenkt. Die Meuterer waren bis auf den letzten Mann gerichtet worden, doch ihr Aufstand galt als schlechtes Zeichen. Niemand wußte, wie lange die restlichen Truppen noch Gehorsam leisten würden.

Sie kamen an einem der Felsbrocken vorbei, die Octavians Soldaten in die Stadt geschleudert hatten. Er war so groß wie ein Rad. GEBT ES FULVIA stand in rohen Lettern darauf eingeritzt. Die Trümmer des Gebäudes, dessen Wand er eingeschlagen hatte, türmten sich neben ihm auf.

Die Inschrift war Octavians Einfall gewesen. Es machte ihm allgemein Spaß, seine Feinde zu verhöhnen, doch jetzt zielte sein Spott einzig auf Fulvia, wobei er in den Legionären ein dankbares Publikum fand. Einer seiner Spottverse wurde in den Soldatenunterkünften bis zur Bewußtlosigkeit gegrölt:

Kleopatra treibts mit Antonius, nein, wie peinlich!

Dafür will Fulvia mich - oh, abscheulich!

Auch Plancus will es mit mir treiben,

doch ich bin klug und lass' es bleiben.

Mach's mir oder kämpfe, schreit sie,

doch ich weiß, welche Waffe ich einzieh' und lass' die Trompeten erschallen.

Das Lied bedeutete nicht, daß die Soldaten Octavian liebten, sondern wies vor allem darauf hin, wie sehr sie Fulvia haßten. Fulvia hatte alle gegen sich aufgebracht. Wie konnte man auch Magistrate hängen und ihre Leichen ausstellen lassen, nur weil sie von Kapitulation gesprochen hatten?

Inzwischen wurde von noch größeren Greueltaten gemunkelt, die in den Verliesen vor sich gingen - auf Fulvias Betreiben.

In Kanopos

Es war unglaublich, was er da vor Augen hatte, einfach ungeheuerlich. Bilder auf Marmorwänden, die im zuckenden Fackellicht ein eigenes Leben annahmen. Hengste, die Zentauren bestiegen, Satyrn mit Ziegen, Mänaden, die sich Löwen hingaben, Bacchanten im Akt mit Pferden. Und über diesem Schmutz eine Aphrodite, die die Abscheulichkeiten mit holdseligem Lächeln quittierte.

Ahenobarbus war erschüttert. Er stammte aus einer alten römischen Familie, die seit Generationen der Republik ergeben war. Antonius war ihm mehr als ein Freund, er war der Waffenbruder, der Mann, mit dem er vor fünfzehn Jahren in Pelusium den ägyptischen Aufstand niedergeschlagen hatte, den er für seinen Mut bewunderte, für seine Redekunst, für das Geschick, mit dem er Armeen führte. Antonius war gleichbedeutend mit der Stärke Roms.

Deshalb hatte es ihn auch aus der Fassung gebracht, in dieser stinkenden Hundehöhle von Stadt anzukommen und den Imperator in seidenen Gewändern anzutreffen, in weichen Pantoffeln, juwelenbestückt wie ein Orientale und nach Duftwässern riechend wie ein Knabe der Lust.

Ahenobarbus war gekommen, um Antonius zu warnen und ihn auf die dunklen Wolken hinzuweisen, die sich in Syrien und Italien zusammenballten, doch wie es schien, hatte sich einer der edelsten der Römer im vergangenen Jahr in einen Griechen verwandelt.

An diesem Abend hatte Antonius zum Aphroditetempel nach Kanopos eingeladen, der etwa fünfzehn Meilen außerhalb von Alexandria lag. Die Gäste bestanden aus Höflingen, wohlhabenden Griechen und Juden, Antonius' Offizieren und anderen Speichelleckern und - nicht zu vergessen - der erlauchten Königin selbst. Mit einer Flotte aus Vergnügungsbooten waren sie über den See gesegelt, dann über einen Kanal und anschließend über den Kanopischen Arm des Nils.

Bei dem Tempel handelte es sich um einen der größten in Ägypten, seine Länge betrug fast ein halbes Stadion, und die Pforten waren aus schwerem Gold. Er war umgeben von Gärten, innerhalb eines terrassenförmig angelegten Kreises, die Mauern sechs Mann hoch, mit einem Umfang von achtzig Stadien. Verstreut über die Gärten lagen kleine Pavillons, in denen Dirnen aller Rassen ihren Dienst versahen und die Einnahmen der Göttin opferten. Dunkelhäutige Frauen mit Goldringen in der Nase aus dem fernen Indien, Nubierinnen, deren Haut tiefschwarz glänzte, Germaninnen mit weißblondem Haar und rosiger Haut, rehäugige Syrerinnen, Spanierinnen mit blauschwarzem Haar, Armenierinnen, Partnerinnen, Asiatinnen und Gallierinnen.

Jeder dieser Pavillons, in denen sie - wie sie behaupteten -ihrer Göttin dienten, hatte eine Tür aus rotem Kupfer, deren Türklopfer wie ein Phallus aussah.

»Jede der Frauen wird sieben Jahre lang in diesem Gebäude dort drüben ausgebildet«, hörte Ahenobarbus diesen widerlichen Zwerg Sisyphus sagen. »Man bezeichnet es als die Schule der Aphrodite. Dort werden sie in allen Finessen erotischer Liebeskunst unterrichtet.«

Soll mir recht sein, dachte Ahenobarbus. Doch während Antonius sich hier der Wollust ergibt, dreht sich die Welt weiter, und wenn er nicht rasch zur Tat schreitet, läßt sie ihn hinter sich zurück.

Der erlauchte Imperator hatte ihn tunlichst übersehen, seit er am Vortag angekommen war. Auch an diesem Abend hatte er ihm noch keine Gelegenheit zu einem Gespräch gegeben. Er hatte seiner Gästeschar eine ganz besondere Überraschung versprochen, doch worum es sich dabei handeln würde, ahnte Ahenobarbus schon jetzt und ließ ihn das Schlimmste befürchten.

Er beugte sich zu Antonius vor und tippte ihm auf die Schulter. »Marcus, wann können wir miteinander reden?«

Antonius wandte den Kopf gereizt nach hinten. »Später.«

»Es kann nicht warten! Ich habe erfahren, daß sich einer von Cassius' alten Generälen den Parthern angeschlossen hat und dort eine Armee zusammenstellt, mit der er Syrien überfallen will. Der Krieg ist unvermeidbar.«

Antonius machte eine unwirsche Handbewegung. »Wenn er unvermeidbar ist, gibt es für mich wohl kaum etwas zu tun.«

»Du mußt dich nach Syrien begeben und Saxas Truppen verstärken.«

»Saxa ist durchaus in der Lage, sich selbst zu verteidigen. Er ist ein fähiger Soldat.«

Antonius' Gleichmut brachte Ahenobarbus in Rage. Lag ihm inzwischen so viel an seinem Vergnügen, daß ihn sonst nichts mehr interessierte? »Das ist noch nicht alles. Man hat mir auch gesagt, daß deine Frau einen Aufstand gegen Octavian angezettelt hat.«

Natürlich hatte Antonius längst davon gehört. Aber auch das schien ihn nicht beeindruckt zu haben.

»Es ist mir gleich, was in Rom geschieht«, sagte er. »Ich war noch nie so glücklich wie hier. Sollen sie sich doch die Köpfe einschlagen, wenn sie wollen.«

Ahenobarbus glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Wie konnte es einem der Triumvirn gleich sein, was in Rom geschah?

Unter den Gästen hatte sich mittlerweile erwartungsvolle Stille breitgemacht. Ahenobarbus' Blick richtete sich auf das Theaterrund unter ihm. Über dem Tempel hing ein großer runder Mond, der die Palmen zu schwarzen Silhouetten erstarren ließ. Dazwischen schimmerten weiße Marmorsäulen wie Knochen. Das Rot des Tempelsockels wurde von der Dunkelheit verschluckt, so daß es aussah, als schwebe er über der Erde.

Ahenobarbus fühlte sich unwohl zwischen den dicht gedrängt sitzenden Gästen, dem Schweiß ihrer Körper und der erdrückenden Luft, die getränkt war vom Rauch der harzigen Fackeln.

Er sah, wie etwa vierzig Priesterinnen aus einem seltsamen dreiseitigen Gebäude schritten. Sie hatten sich hölzerne Phalli um die Taille gegürtet. Widerwärtig.

»Jetzt kommt das beste von allem«, flüstere Dellius ihm zu. Ahenobarbus wunderte es nicht, daß dieser ewige Kriecher die Vorlieben seines Herrn teilte. »Das sind die Hohenpriesterinnen des Tempels. Wenn du eine von ihnen für die Nacht kaufen möchtest, kostet es dich eine Mine aus reinem Gold.«

Eine Mine aus reinem Gold? Damit konnte man die Kriegskosten einer Kohorte für ein ganzes Jahr bestreiten!

Insgeheim gab Ahenobarbus zu, daß die Frauen tatsächlich recht reizvoll waren - trotz dieses unpassenden Taillenschmucks. Sie waren vollkommen unbekleidet, die Leiber eingeölt und glänzend. Dann fingen sie an zu tanzen, einen merkwürdigen Tanz. Es war, als befänden sie sich in Trance oder stünden unter dem Einfluß eines verbotenen Elixiers.

Ahenobarbus spürte, daß ihm der Schweiß ausbrach.

Die Trommeln wurden schneller und lauter. Einer der Frauen wurde eine seltsam geformte Kupferflasche gereicht, deren Inhalt sie trank.

»Was soll das?« fragte Ahenobarbus Dellius leise.

»Das Ritual findet einmal im Monat statt«, antwortete Dellius, die Stimme rauh vor Erregung. »Ich war schon zweimal dabei. Diese Frau dort wird heute der Göttin geopfert.«

»Sie hat die tödliche Dosis eines Liebestranks zu sich genommen«, ergänzte Sisyphus mit funkelnden Augen. »Da sie weiß, daß sie sterben wird, nimmt sie an nichts mehr Anstoß. Sie wird alles mit sich machen lassen.«

»Was meinst du mit >alles

»Warte es ab.«

Ahenobarbus war viele Male im Circus gewesen, hatte mit angesehen, wie Männer und Frauen von wilden Tieren zerstückelt wurden, wie man sie verstümmelt und schreiend aus der Arena schleifte, nachdem sie halb zu Tode getrampelt worden waren. Er hatte geglaubt, daß er Gewalt in jeder Form kannte. Doch was sich nun vor seinen Augen abspielte, erschütterte ihn bis ins Mark.

Die Priesterinnen trugen die Frau, die man als Opfer bestimmt hatte, zu einem Steinaltar in der Mitte des Platzes und legten sie dort ausgestreckt nieder. Danach ergriffen sie die Holzphalli und penetrierten das Opfer auf zweifache Art, ein qualvolles Ritual aus Blut und Gewalt. Die Schreie des Opfers, halb Wahnsinn, halb Raserei, hallten durch die Nacht und reichten bis zum Altar der Aphrodite. Als es dem Ende zuging, schlossen die Priesterinnen einen Kreis um das Opfer, das sich in Zuckungen wand. Ob es zuletzt der Liebestrank war, der die Erlösung brachte, oder die Wunden ihres Körpers, hätte niemand zu sagen gewußt.

Ahenobarbus merkte, daß er für eine Weile die Luft angehalten hatte. Seine Kleidung stank nach Schweiß. Er sah zu Marcus Antonius hinüber. Auch auf dessen Stirn perlte der Schweiß, und in seinen Augen glomm ein dunkles Feuer.

Oh, edler Antonius, was ist nur mit dir geschehen? stöhnte Ahenobarbus innerlich. Er wußte, daß Antonius sich auf die Riten des Dionysos eingelassen hatte. Es war ein Geheimnis, das man sich in Rom zwar nur hinter vorgehaltener Hand weitererzählte, aber letzten Endes doch immer nur als Verirrung abtat. Nun schien es jedoch, als habe sich Antonius auf den düsteren Pfaden der Leidenschaft in einem Dickicht verirrt, und als sei es den Ägyptern mitsamt ihrer lasterhaften Königin gelungen, ihn in den Wahnsinn zu treiben.

Perusia in Italien

Lucius dachte, er müsse sich jeden Moment übergeben.

Der Mann war nackt und in Ketten. Fulvia stand über ihm, das Messer hoch erhoben, Arme, Hände und Gewand blutbesudelt. Der Mann zuckte schwach, seiner Kehle entrang sich ein hoher, pfeifender Ton. Sein Bauch war aufgeschlitzt, und in der Luft lag der Gestank fauliger Verwesung.

Lucius spürte, wie ihm das Blut aus den Wangen wich. Er schwankte. Die beiden Wachen sandten ihm flehentliche Blicke zu.

»Fulvia...«, hub er an.

»Das ist einer von Octavians Spitzeln«, zischte sie.

»Bist du wahnsinnig?«

»Die ganze Stadt ist voll davon.«

Lucius machte ein paar Schritte auf sie zu. Näher heran wagte er sich nicht. Wer wußte schon, auf wen sie das Messer als nächstes richten würde? Ihre Augen loderten wild.

Lucius zwang sich, den Blick von dem Gefolterten abzuwenden. Er begann zu würgen. Selbst die Wachen wirkten elend.

»Warum hast du das getan?«

»Was ist mit euch los?« kreischte sie. »Ihr wollt Männer sein? Könnt Ihr keinen Krieg vertragen?«

»Was du tust, ist kein Krieg. Wer ist dieser Mann?«

»Er hat sich als Zenturio der Marslegion zu erkennen gegeben«, begann einer der Wachen. »Doch ehe wir...«

»Mach dem hier ein Ende«, befahl Lucius. Der Soldat trat vor und durchtrennte dem Gefangenen mit einem geschickten Hieb die Kehle. Der Mann bäumte sich noch einmal auf, danach fiel er in sich zusammen.

Fulvia schäumte vor Wut, doch Lucius wartete nicht, bis sie ihre Sprache wiederfand und über ihn herfallen konnte. Er hatte einen Entschluß gefaßt. Er würde allem ein Ende machen.

17

Octavian rümpfte verächtlich die Nase. Dieser Wicht sollte der Bruder von Marcus Antonius sein? Er sah aus wie ein Strolch, roch nach Wein und rußigem Rauch, und auf Gewand und Rüstung befanden sich eigentümliche Flecken.

Octavian bemühte sich, sein Gesicht in teilnahmsvolle Falten zu legen, während er sich die Geschichte anhörte, die sein Besucher vortrug. Fulvia habe ihn zum Aufstand verleitet, gestand er gerade, und ihn hernach zum Handlanger unvorstellbarer Greueltaten gemacht.

»Die Männer weigern sich, ihren Befehlen zu folgen«, sagte Lucius. »Sie stehen kurz vor der Meuterei.«

»Das kommt davon, wenn man Frauen gestattet, sich in die Politik einzumischen«, entgegnete Octavian. »Es ist für uns alle eine wichtige Lehre.«

»Garantiert Ihr mir, Gnade walten zu lassen, wenn wir uns ergeben?«

Du bist gar nicht in der Lage, mit mir zu verhandeln, dachte Octavian. Der Fall der Garnison ist nur eine Frage der Zeit. »Bin ich nicht Caesars Sohn?« gab er lächelnd zur Antwort.

Wenige Tage später verließ Lucius Perusia, um seinen neuen Posten als Prokonsul von Spanien anzutreten, am äußersten Rand der römischen Welt, kurz vor dem Absturz ins Nichts.

Als er mit einer Truppe von Octavians Reiterei frühmorgens die Stadt verließ, entdeckte er, daß seine Offiziere am Wegrand an den Bäumen hingen. Er ritt unter der langen Leichenreihe her und hörte das häßliche Krächzen der Krähen. Als er hochschaute, sah er, daß sie den Toten die Augen aushackten. Er erinnerte sich an Octavians Ausspruch: Bin ich nicht Caesars Sohn? Das ist also das Ausmaß seiner Gnade, dachte Lucius. Gut, daß ich Rom hinter mir lasse.

DIE KALENDEN DES MARTIUS NACH DEM RÖMISCHEN KALENDER BEZIEHUNGSWEISE DER ÄGYPTISCHE MONAT TYBI

In Alexandria

Weiße Blumen säumten die Ufer des Sees Mareotis, die Mandelbäume um den Lochias-Palast standen in voller Blüte, und in den Gärten summten Bienen und Insekten.

In Alexandria war Frühling. Im Hafen wurde das geschäftige Treiben aufgenommen, Seidenballen und Gewürze, die in den Lagern gestapelt worden waren, wurden verladen, und die ersten großen Handelsschiffe setzten sich in Bewegung und glitten am Leuchtturm vorbei in Richtung Ephesos, Athen und Rom. Bald darauf erschienen auch wieder fremde Segler am Horizont, die sich Alexandria näherten.

Sie brachten Nachrichten aus der Welt jenseits des Mittelmeeres.

18

Antonius schlug die Augen auf und wandte den Kopf. Er lag bäuchlings auf dem Bett in seinem Gemach. Über ihm stand Quintus Dellius, hatte ihn bei den Schultern gepackt und versuchte, ihn wach zu rütteln. Antonius rieb sich die Augen und rollte sich auf den Rücken. Quintus Dellius warf einen verstohlenen Blick auf den Körperteil, der eindeutig nicht geschlafen hatte.

»Quintus Dellius. Wie spät ist es?«

»Die fünfte Stunde, mein Herr.«

»Noch so früh«, knurrte Antonius. Er streckte die Hand aus und fing gedankenlos an, mit seinem Glied zu spielen, während er die Stirn in konzentrierte Falten legte. »Mein lieber Mann, war das eine Nacht!« sagte er.

»In der Tat, mein Herr. Ich bin froh, wenn wir wieder in die Schlacht ziehen, das hält mein Körper besser aus.« Dellius war nervös. Er wollte es hinter sich bringen. »Mein Herr, es gibt dringende Angelegenheiten... «

»Das läßt sich wohl nicht leugnen.« Antonius grinste.

Eine der syrischen Sklavinnen hatte den Raum betreten, doch nach einem Blick auf Antonius' Händespiel schnappte sie nach Luft und machte eiligst wieder kehrt.

»Komm her«, rief Antonius. »Du mußt nicht fortlaufen, ich beiße nicht. Außer wenn du mich darum bittest«, setzte er mit einem Augenzwinkern in Richtung Dellius hinzu. Das Mädchen kam widerstrebend herbei.

»Mein Herr, wir haben Nachrichten aus Syrien«, drängte Dellius.

Antonius ging darüber hinweg. »Komm zu mir, mein Kätzchen. So ist es schon besser. Hab keine Angst.«

»Mein Herr... «

»Dellius, halt jetzt den Mund, und mach die Augen zu, wenn dir das lieber ist.«

Antonius zog das Mädchen zu sich auf das Lager. Seine Augen waren weit aufgerissen. Antonius lachte, drehte es auf den Bauch und schob seine Tunika hoch. Das Mädchen schrie auf, doch es wehrte sich nicht. Wer konnte schon etwas ausrichten gegen einen Römer - und einen Gott?

Dellius sah zu, wie Antonius sich mit den Fingern befeuchtete und in das zitternde Geschöpf eindrang. Ein hübsches Ding, gab er innerlich zu, mit zimtfarbener Haut und einem Hinterteil wie ein Pfirsich.

»Ah... jetzt geht allmählich... die Sonne auf«, sagte Antonius keuchend.

»Mein Herr, die Lage in Syrien...«, setzte Dellius noch einmal an.

Antonius hatte die Augen geschlossen und die Finger in die Hüften des Mädchens gekrallt. »Die Lage in Syrien«, stieß er hervor, »ist ganz ausgezeichnet...«

»Nein, mein Herr«, warf Dellius ein. »Die Parther sind dort eingefallen und haben unsere Legionen überrannt.«

Antonius öffnete die Augen. »Was ist mit dem Statthalter? Mit Saxa?«

»Decimus Saxa ist tot.«

Den letzten Satz schien Antonius nicht gehört zu haben. Er hatte die Augen wieder geschlossen und widmete sich seiner lustvollen Betätigung. Dellius spürte die eigene Erregung, die jedoch nicht nur auf die syrische Krise zurückzuführen war. Das Mädchen bewegte sich nicht.

»Die Parther sind bereits im Süden und haben Jerusalem eingenommen«, fuhr Dellius fort. »Allein Tyros kann sich noch halten. Zwei syrische Legionen haben wir schon verloren!«

Noch immer keine Reaktion. Antonius stöhnte, die Muskeln traten hervor.

»Herodes hat sich in Masada verschanzt.«

Antonius bäumte sich auf und sank danach auf dem Körper des Mädchens zusammen. Für eine Weile blieb er regungslos liegen und wartete, bis er wieder zu Atem gekommen war. Dann stieß er sich in die Höhe und ließ sich auf die Seite fallen. Er streifte einen seiner Smaragdringe vom Finger und hielt ihn dem Mädchen hin. »Da«, sagte er. »Für deinen Liebesdienst.«

Das Mädchen griff begierig nach dem Ring. Nach einem hastigen Blick auf Dellius huschte es aus dem Raum.

»Ihr müßt Euch wieder der wahren Welt widmen«, beschwor Dellius seinen Herrn. »Wir haben uns hier genug amüsiert. Da draußen wartet die Pflicht.«

»Wenn...«, hub Antonius an, doch dann brach er ab. Er schien zu einem Entschluß gekommen zu sein. »Hol die Sklaven herbei«, trug er Dellius auf. »Ich brauche meine Gewänder. Die Götter mögen wissen, wo sie hingeraten sind.«

Kleopatra lag auf einer Ruhebank in ihrem Gemach und nahm ihr Frühstück ein: hauchdünne Brotfladen, Feigengelee, Ziegenkäse und schwarze Oliven, hübsch angerichtet auf einem Silbertablett. Neben ihr standen Mardian, Diomedes, ihre Minister und etliche der strategoi. In der Mitte des Raumes befand sich jedoch noch ein weiterer Mann mit sonnenverbranntem Gesicht und dichtem, glänzendem Bart.

Mit einemmal flog die Tür auf, und Antonius betrat den Raum, gefolgt von seinem Stab und Dellius. Er hat schon wieder getrunken, dachte Kleopatra. Und sich schon wieder mit einer meiner Sklavinnen eingelassen, wenn Mardians Auskünfte richtig sind. Wird er denn dieser Dinge nie müde? Kommt er nicht einmal auf die Idee, etwas Nützliches zu tun? Langweilen ihn seine Spielereien nicht allmählich, wie es bei einem intelligenten Menschen der Fall sein müßte?

»Sieh an, der edle Antonius«, begrüßte sie ihn. »Wir wollten dich gerade holen lassen. Dieser Mann hier hat Neuigkeiten, die dich interessieren könnten.«

Antonius betrachtete ihn mit abwägenden Blicken. Anmaßende Haltung, dachte er, hochmütiger Blick. Grieche, möchte ich wetten, oder Sizilianer.

»Das ist Apollodoros«, erklärte ihm Kleopatra, »er ist ein Händler. Er hat Rom direkt nach dem Ende der Winterstürme verlassen und bringt uns die ersten Nachrichten mit.«

»Ist etwas mit Octavian?« erkundigte sich Antonius hoffnungsvoll. »Hat er Fieber? Furunkel? Ist er tot?«

Kleopatra verzog keine Miene.

Es ist etwas Schlimmes, dachte Antonius.

»Edler Herr«, begann Apollodoros. »Wie Ihr sicherlich wißt, haben Euer Bruder Lucius und Eure Frau Fulvia eine Armee ausgehoben und gegen Octavian geführt. Es ist für sie nicht gut ausgegangen. Die letzte Nachricht, die ich erhielt, besagte, daß sie in der Bergfestung von Perusia belagert werden.«

Antonius schloß die Augen. Draußen war ein wundervoller Frühlingstag, durch die Fenster sah man das Meer in der Sonne glitzern, und durch die Luft zog ein sanfter Hauch. Einen Winter habe ich ausgesetzt, dachte er, mehr war es nicht. Doch wie es scheint, kostet mich das den Osten wie auch Italien. Ist es mir nicht gegönnt, die Freude zu genießen, ohne daß gleich ein Leid darauf folgt?

»Was ist mit meinen Legionen?« erkundigte er sich mit tonloser Stimme.

»Sie sind in ihrer Unterkunft. Ohne Euren Befehl weigerten sie sich, Eure Frau zu unterstützen.«

Antonius nickte. Ihm dröhnte der Kopf, und ab und zu fuhr ein Schmerz hindurch, als würde sich ein Schwert hineinbohren. Es war noch zu früh für derartige Botschaften.

»Etliche Römer sind geflüchtet, sie haben sich dem Schutz von Sextus Pompejus unterstellt.« Apollodoros schien zu zögern. »Eure Mutter ist eine von ihnen.«

Julia! dachte Antonius. Diese giftige Natter. Wahrscheinlich hatte sie dazu beigetragen, Fulvia zu diesem Irrsinn anzustiften. Die beiden haben mir alles zerstört.

Er blickte zu Kleopatra. Schau dir ihre Augen an, ging es ihm durch den Sinn. Wie sie funkeln! Sie gibt nicht einmal vor, beunruhigt zu sein. Natürlich kommt es ihr gelegen, wenn Römer sich bekämpfen. Wohin ich mich auch wende, sind es Frauen, die mich verraten.

»Es schmerzt mich, Euch diese Nachrichten überbringen zu müssen«, sagte Apollodoros.

Welch ein Lügner! »Es schmerzt mich, sie zu hören«, antwortete Antonius. »Ich werde mich mit meinem Stab beraten.« Er machte kehrt und verließ den Raum mitsamt seinem Gefolge. Im Namen der Götter, dachte er, jetzt brauche ich erst einmal einen Schluck.

Antonius wanderte wie ein gefangenes Tier in dem Raum auf und ab, trank aus seinem Pokal und schleuderte ihn plötzlich in einem Wutanfall an die Wand. Der Wein sickerte rot wie Blut auf den Boden.

Kleopatra ließ ihn nicht aus den Augen. Die Welt hat dich wieder auf Trab gebracht, dachte sie. Jetzt ist keine Zeit mehr zu verlieren. Laß dich von mir leiten, und ich zeige dir einen Zipfel von Caesars Traum. Dann kannst du all das sein, was jener gewesen wäre, hätte man ihn nicht getötet. Danach werden wir sehen, ob du tatsächlich Herkules bist oder nur ein Mann mit Löwenfell und Keule.

»Ich kann Octavian noch nicht einmal der Schuld bezichtigen«, hörte sie Antonius sagen. »Fulvia hat die Legionen gegen ihn aufgestellt. Bei Jupiter, sie hat sich sogar eigene Münzen prägen lassen. Welche gesetzliche Handhabe besäße ich, gegen Octavian vorzugehen?«

Gesetzliche Handhabe? dachte sie. Welche gesetzliche Handhabe besaß denn Caesar, als er gegen Pompejus vorging? Bauern richten sich nach dem Gesetz, Könige machen sich die Gesetze selbst. »Jetzt hat Octavian dich da, wo er dich immer haben wollte.«

»O nein, das ist allein Fulvias Werk. Sie hat es getan, weil ich nach Alexandria ging, anstatt nach Rom zurückzukehren.«

»Dann laß dich endlich von ihr scheiden. Sie nützt dir nichts! Im Gegenteil, sie richtet nur Schaden an. Ich kann dir fünfzig Legionen kaufen und zudem eine Flotte. Hebe dich mit mir in die Höhe! Heirate mich, und ich biete dir die Welt.«

So - nun hatte sie es ihm noch einmal angeboten, die große, einmalige Gelegenheit, die Welt zu beherrschen.

Antonius zögerte. »Ich habe einen Pakt mit Octavian und Lepidus geschlossen, ich habe mein Wort gegeben. Was soll Rom von mir denken, wenn ich dagegen verstoße? Wir haben lange genug unter dem Bruderkrieg gelitten.«

»Ein Reich kann nicht von zwei Männern regiert werden, und von dreien schon gar nicht. Die Macht muß bei einer Person liegen. Das weißt du auch. Der Pakt war gut, als es galt, Zeit zu gewinnen und Brutus und Cassius loszuwerden.«

Antonius nagte an seiner Unterlippe.

Kleopatra spürte, wie sich das Kind in ihr regte. Ihre Brüste waren bereits voller und runder geworden. Antonius hatte noch nichts bemerkt. Sie hatte geschwiegen, wollte es ihm nicht sagen - noch nicht. Erst sollte er sich beweisen.

»Wenn du ihn nicht vernichtest«, sagte sie, »vernichtet er dich.«

Sein Blick wurde hart. Er wußte, daß sie recht behalten würde, doch er wollte es nicht hören.

Was ist bloß mit ihm los? fragte sich Kleopatra. Er kann doch sein Leben nicht auf der Ruhebank verbringen, mit einer Frau auf dem Schoß und dem Weinkrug in der Hand! Irgendwann kommt immer die Zeit, wo man wieder aufstehen und seiner Pflicht nachkommen muß.

Dieser besorgte Ausdruck auf seinem Gesicht! Sie konnte es nicht fassen, daß er die Gelegenheit, die sie ihm bot, nicht beim Schöpf ergriff. »Ich kann mein Wort nicht brechen«, sagte er.

19

Auf der Terrasse brannten die Fackeln. Kleopatra hatte die Arme über der Brust verschränkt und schaute über das Meer. Ihr Gesicht lag halb im Dunkeln, über die andere Hälfte zuckte der Widerschein des Lichts.

Antonius trat aus dem Gemach. Er trug die Rüstung des römischen Imperators mit emailliertem Brustschild und purpurrotem Umhang. Das griechische Gewand war der Tunika gewichen, die weichen Sandalen halbhoch geschnürten Stiefeln.

»Mein Täubchen«, murmelte er.

Kleopatra blieb stumm. Sie wollte nicht, daß er den Zorn aus ihrer Stimme hörte.

»Beim ersten Licht breche ich auf«, sagte er.

»Gut.«

»Zuerst ziehe ich nach Syrien und kümmere mich um die Parther, danach widme ich mich den Problemen Italiens.«

»Ich habe dir gesagt, wie sie zu lösen sind.«

»Wenn alles erledigt ist, komme ich zurück.«

»Das sagst du jetzt.«

»Ich meine es ernst.« Er hielt inne. Man muß ihn sich nur anschauen, dachte sie wütend. Er sieht aus wie Caesarion, wenn ich ihn gescholten habe. Was ich ihm geboten habe, war ihm nicht genug, denn ich zähle weniger als die Pflicht gegenüber Rom. Ich habe ihm jedes Vergnügen bereitet, habe ihm die Stadt zu Füßen gelegt und ihm meinen Körper geschenkt. Glaubt er denn, eine ägyptische Königin gäbe sich einfach bedingungslos hin? Habe ich denn nicht Grund, tödlich beleidigt zu sein?

»Keinen Kuß, bevor ich gehe?« fragte er.

»Den hebe ich für deine Rückkehr auf«, entgegnete sie mit abgewandtem Gesicht. Er schien sich unbehaglich zu fühlen und trat von einem Fuß auf den anderen. Dann schickte er sich zum Gehen an.

In diesem Augenblick kochte ihr Zorn über. »Alles kannst du haben, Marcus Antonius! Gemeinsam sind wir mehr als Rom.« »Ich komme wieder«; war das einzige, was er darauf antwortete.

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