TEIL V

Später liegen wir lange tot, und die Jahre zuvor verleben wir schlecht.

Sappho

1

Antonius verbrachte auch die restlichen Sommermonate in Tarent. Octavia bekam ihr Kind. Es war wieder ein Mädchen. Als der Sommer verstrichen war, hatte Octavian die vier zugesagten Legionen noch immer nicht geliefert.

Abermals ein Jahr vertan, dachte Antonius, noch einmal einen Sommer vergeudet, in dem er in Syrien hätte sein sollen, um gegen die Parther zu kämpfen und Alexanders Ruhmestat nachzueifern. Er gab seiner Flotte Befehl, die Segel zu setzen -in Richtung Griechenland. Sie überquerten das Adriatische Meer und liefen den Hafen von Kerkyra an.

Antonius stand an Deck seines Flaggschiffs und schaute zu den zarten weißen Wolkenfedern hoch, die sich über den Himmel fächerten. Jenseits der Bucht döste Kerkyra in der Nachmittagssonne vor sich hin. Er sog den Geruch des Hafens ein, nasses Leinen und Pech, sah den Schaumkronen zu, die auf den Wellen tanzten, und hielt das Gesicht dem Wind entgegen. Endlich wieder frei von Rom!

Mit einemmal wallte Zorn in ihm auf, und er umklammerte die Reling. Das Bübchen hatte es gewagt, ihn abermals hereinzulegen. Er war mehr als geduldig gewesen und hatte sein Wort gehalten, wo andere es längst gebrochen hätten. Und was war der Lohn? Der kleine Mistkerl führte ihn an der Nase herum. Im letzten Sommer hatte er das gleiche Spiel getrieben. Damals hatte er Antonius nach Brindisi gelockt und ein wichtiges Treffen vorgetäuscht, zu dem er selbst nicht erschienen war. Immer wieder hatte er Antonius' Anläufe, den Krieg gegen Parthien zu beginnen, gestört. Erst hatte er ihm die gallischen Truppen entrissen, und nun verwehrte er ihm die Soldaten, die er in Tarent versprochen hatte.

Antonius hatte es satt. In den letzten Tagen war er zu einem Entschluß gekommen. Er würde sich die Mätzchen nicht länger bieten lassen, er würde diesem Wurm, der sich für Caesar hielt, nicht länger als Spielzeug dienen. Die eigene Schwester hatte das Bübchen benutzt, um ihn an sich zu binden. Und wer wußte denn überhaupt, ob Octavia ihn nicht ausspionierte? Doch damit war es jetzt aus und vorbei.

Octavia tauchte aus dem Unterdeck auf, gefolgt von der kleinen Antonia und einer Amme, die den Säugling trug. Octavias Gesicht war blaß und von Erschöpfung gezeichnet. Sie war während der Überfahrt seekrank gewesen.

Aus dem Hafen hatte sich eine Liburne gelöst, die auf sie zugehalten hatte und nun längsseits des Flaggschiffes anlegte. »Wie es scheint, kommt uns jemand besuchen«, sagte Octavia.

»Nein«, erwiderte Antonius. »Ich habe beschlossen, daß du einige Tage an Land verbringst. Da kannst du dich ausruhen, ehe du dich wieder nach Italien begibst.«

Octavia blickte ihn verständnislos an.

»Wir reisen nach Italien zurück?« fragte sie.

»Nur du und die Kinder.«

»Du kommst nicht mit uns?«

»Ich habe dir eine Eskorte besorgt. Es wird dir nichts geschehen.«

Octavia schien für einen Moment zu schwanken und hielt sich an der Reling fest. Die Geburt und die Überfahrt haben ihr zugesetzt, dachte Antonius. Und jetzt auch noch dieser Schreck. Doch er konnte es nicht ändern. Wenn sie nur nicht zu weinen begann. Weinende Frauen konnte er nicht ertragen.

»Und was tust du?« fragte sie mit erstickter Stimme.

»Ich fahre weiter nach Athen.«

»Aber mein Platz ist an deiner Seite!«

»Die Reise wird dir zuviel. Du bist noch immer geschwächt und sollst nicht noch mehr leiden. Ich breche bald nach Parthien auf, da ist es besser, wenn du mit den Kindern nach Rom zurückkehrst.«

»Ich wünsche dich nicht zu verlassen.«

Er wandte ihr den Rücken zu. »Es ist beschlossene Sache«, sagte er.

»Aber Antonius... «

»Ich habe meine Entscheidung getroffen«, kam es barsch zurück.

Wenngleich er ihr weiterhin den Rücken zugekehrt hielt, wußte er, welches Gesicht sie jetzt zog. Traurig und gekränkt aussehen, das konnte sie gut! Na, vielleicht war die Trauer echt, Antonius war sich darüber nie recht im klaren. Ebensowenig wußte er, ob sie ihm oder Octavian ergeben war.

Doch es gab eine Person, der er trauen konnte. Nicht ganz und gar vielleicht, doch zumindest wußte er, was sie von ihm wollte. Und was noch wichtiger war: was er von ihr wollte. Ihr Geld brauchte er und ihre Flotte. Gegen gewisse Zugaben hätte er auch nichts einzuwenden, aber so dumm war er nicht, daß er nur deshalb zurückginge. Sicher, sie hatte ihre Reize, und seinen Willen ließ sie ihm auch - doch Pläne auf dem Treibsand der Liebe zu errichten wäre nur Narretei.

Die Würfel waren gefallen. Sein Entschluß würde eine deutliche Sprache sprechen. Hier, würde er dem Wicht sagen, hier hast du deine Schwester wieder! Ich will weder sie noch ihre Kinder - noch dich.

Antonia fing an zu weinen, als sie begriff, was geschah. Er würde sie vermissen. Sie war noch zu klein, um ihn zu verstehen.

Als sie aufbrachen, wich er Octavias Blicken aus. Man half ihr und den Kindern in die Liburne, die Matrosen machten die Leinen los, das kleine Schiff entfernte sich und hüpfte über die Wellen zurück in den Hafen von Kerkyra.

Antonius wußte, daß damit ein Kapitel seines Lebens abgeschlossen war. Höchste Zeit, das Ruder wieder selbst in die Hand zu nehmen. Dem Schicksal entgegenzusegeln.

In den Osten - zu Kleopatra.

2

In Alexandria

Kleopatra empfing Gajus Fonteius Capito auf der Terrasse des Palastes und nicht im Audienzsaal. Sie kannte ihn noch seit Antonius' Zeit in Ägypten. Vielleicht hatte Antonius ihn ihr deshalb als Gesandten geschickt.

Sie hatte gewußt, daß einer von ihnen kommen würde! Octavian oder Antonius. Das Schicksal hatte sich für Antonius entschieden. Vielleicht hatte er jetzt eingesehen, was sie ihm damals verkündet hatte. Seine Zukunft lag bei ihr - bei ihr und Alexandria.

Doch erst einmal wollte sie sich anhören, was dieser neue Gesandte auf dem Herzen hatte.

Die Sonne brannte heiß auf das Dach des seidenen Baldachins. Die syrischen Sklaven wedelten eifrig mit den gefiederten Fächern und verscheuchten die Fliegen, die träge und laut durch die stille Sommerluft summten. Capito ließ sich gekühlten Wein in einen Pokal einschenken. Kleopatra nippte an einem Jadebecher mit parfümiertem Wasser. Das Meer lag blau und ruhig zu ihren Füßen.

»Erlauchte Majestät, ich überbringe Euch die Grüße meines Herrn Antonius.«

»Ich weiß leider nicht, ob ich mich seiner erinnere.«

Capito konnte sich eines Schmunzelns nicht erwehren. »Nun, er erinnert sich Eurer bestens.«

Wie reizend, dachte Kleopatra. Die Römer werden gönnerhaft. »Es gibt einen Unterschied zwischen sich einer Person erinnern oder sie in Reserve halten. Das eine ist Sache des Herzens, das zweite ist Strategie.«

»Majestät, bei Antonius ist es eine Sache des Herzens. Er bat mich, Euch zu versichern, wie sehr er die Länge der Zeit bedauert, die seit Eurer letzten Begegnung verstrich. Er bittet Euch zu sich nach Antiochia, um sich an Eurem Liebreiz zu erfreuen.«

»Nette Worte, Capito, und sehr hübsch vorgetragen. Schade nur, daß man mir nicht leicht schmeicheln kann. Vier Jahre kaum ein Wort, und nun schickt er Euch und bittet mich nach Antiochia? Soll ich etwa wie ein verliebtes Mädchen folgen?«

»Die Vergangenheit ist vorbei. Er tat, was er tun mußte.«

»Er tat, was ihm beliebte - wozu auch der Verrat an mir gehört. Als er mich verließ, gab es einen Grund. Und der war nicht, sich in Rom wieder neu zu vermählen.«

Capito hielt ihrem zornigen Blick stand, was sie ihm hoch anrechnete. »Das waren doch nur politische Gründe, Majestät.«

»Nur politische Gründe? Wie man mir sagt, ist seine Frau sehr schön.«

»Wie man es sieht... «

Kleopatra mußte ein Lächeln unterdrücken. »Wie darf ich das verstehen?«

»Sie ist wie eine schöne Statue. Doch Marmor läßt sich nicht so leicht erwärmen.«

»Sie kann nicht allzu kalt gewesen sein. Sie haben immerhin zwei Kinder.«

»Ein Mann tut seine Pflicht.«

»Ein Mann tut, was er will, aber das läuft ohnehin auf dasselbe hinaus.«

Capito zuckte die Achseln, was so gut wie alles bedeuten konnte. »Ihr wart stets in seinen Gedanken. Darauf gibt er Euch sein Wort.«

»Ich kenne den Wert seines Wortes.« Kleopatra wandte den Kopf ab und schaute über das Meer. Sie wollte Zeit zum Nachdenken gewinnen und Capito noch eine Weile zappeln lassen. Sie sah, daß ein Dreiruderer den Hafen verließ. Eine neue Getreidesendung für Rom, falls das Schiff Sextus' Piraten entging. Armer Octavian! Da war er der Sohn eines Gottes und immer noch nicht in der Lage, Rom zu ernähren. Wie leicht er jetzt zu stürzen wäre, wenn Antonius Kraft und Entschlossenheit besäße!

»Majestät, laßt mich noch einmal betonen, daß ich mich auf das Herz meines Herrn verstehe. Wie oft habe ich mit ihm zusammengesessen, und immer sprach er nur von Euch!«

»Um zu prahlen, wie ich vermute.«

Capito tat entrüstet. »Niemals! Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er sich nicht mit Octavia vermählt. Es war eine politische Notwendigkeit.«

»Wie schön Ihr Eure Rede setzt, Fonteius Capito. Ihr solltet Teppiche verkaufen.«

»Er möchte seine Kinder sehen.«

»Die hat er auch in jedem anderen Hafen.«

Doch vielleicht hat Capito sogar recht, dachte Kleopatra. Antonius hatte Alexander und Kleopatra noch nie zu Gesicht bekommen. Trotz seiner zahlreichen Nachkommenschaft wird ihn die Neugier treiben.

»Die Ehe mit Octavia ist zu Ende«, sagte Capito. »Antonius wünscht Euch zu sehen.«

»Oh, Capito, ich wünschte, Ihr könntet Euch sehen! Ihr hättet Schauspieler werden sollen.«

»Ich sage nur die Wahrheit.«

Welch eine Unverfrorenheit! dachte Kleopatra. Nach allem, was geschehen ist, glaubt Antonius, er könne einfach da weitermachen, wo er einst alles fallengelassen hat? Sein Glück, daß sie ihn ebenso brauchte wie er sie. Doch mit dem Herzen hatte das nichts zu tun. Antonius war der einzige Mann, der Octavian Einhalt gebieten konnte, wenn dieser sich eines Tages an die Verfolgung Caesarions machen würde.

Doch zuerst wollte sie dieses Geplänkel mit seinem Boten noch ein wenig länger genießen. »Und warum, glaubt Ihr, sollte ich ihm helfen?«

»Oh, Majestät! Er bittet Euch nicht um Hilfe!«

»Falls ich mich mit ihm in Antiochia treffe, wird er mich also nicht um Soldaten, Geld und Getreide bitten?«

Capito beschloß, einen anderen Weg einzuschlagen. »Er wird auch ohne Euch nach Parthien ziehen. Doch wenn Ihr ihm helft und er dort siegt, wird er sich Eurer Hilfe erinnern. Und wenn er verliert, steht niemand mehr zwischen Euch und Octavian.«

Kleopatra lächelte kalt. Endlich kommen wir zur Sache, dachte sie. »Hat Antonius Euch gesandt, um mir zu drohen?«

»Nein. Doch er kennt Eure Lage so gut wie Ihr.«

Sie nickte nachdenklich. »Gut«, sagte sie. »Ich komme. Doch nicht, weil er mir droht. Richtet ihm aus, daß ich dieses Mal nicht als Königin der Liebe erscheinen werde. Dieses Mal komme ich als Königin von Ägypten.«

Capito lächelte und verneigte sich. Er schien zufrieden. Der große Traum war für alle greifbar nah gerückt.

Auf dem Palatin in Rom

Octavian hatte sich auf einer Ruhebank auf der Terrasse ausgestreckt. Ein Hut mit breiter Krempe schützte sein Gesicht vor der Sonne. Seine Tunika war schlecht geschnitten. Der oberste Herrscher Roms ließ bei der eigenen Ehefrau schneidern. Ein entsetzlich geiziges Paar, dachte Octavia. Sie wußte, daß die Römer über ihren Bruder lachten und ihn für verschroben und kauzig hielten. Er gab jedenfalls keine Sesterze zuviel für seine Kleidung aus, soviel war offenkundig.

»Schwester«, begrüßte er sie und nahm sich eine der Erdbeeren, die vor ihm standen. »Wie geht es den Kindern?«

»Es geht ihnen gut. Sie wachsen und gedeihen.«

Als ob ihn das interessierte, wo er doch in Wirklichkeit nur Neuigkeiten über Antonius loswerden wollte, dachte Octavia. Warum kam er nicht gleich zur Sache?

»Die älteren vermissen ihren Vater«, setzte sie hinzu, um ihn auf das eigentliche Thema hinzulenken. Auch Antyllus gehörte nun zu ihrem Haushalt.

»Sind sie seine Launen nicht inzwischen gewöhnt?« fragte Octavian und schenkte sich Wein ein. Der Lärm der Stadt drang aus der Ferne zu ihnen. Man sah die Tempeldächer in der Sonne glänzen, dazwischen die dunkleren Flecken der Gerichtsgebäude und der Basilika.

»Du hast etwas über Antonius erfahren«, begann Octavia erneut. »Bitte erzähle es mir.«

»Er hat uns verlassen, Octavia.«

»Was meinst du mit >verlassen

»Nicht tot, obwohl es fast das gleiche ist. Er hat dich verlassen und unsere Familie entehrt.«

Octavias Miene verriet nichts. Natürlich hatte sie gewußt, was Antonius plante, bereits in dem Augenblick, als er sie nach Italien zurückschickte. Sie faltete die Hände im Schoß. Es war diese Frau - diese Ägypterin. Sie war schon immer eine größere Gefahr gewesen als die Sklavinnen, die er bei seinen Gelagen genommen hatte. Er hatte sie nicht wegen Parthien verlassen.

»Antonius ist in Antiochia und hat Kleopatra zu sich gebeten.«

Octavia biß sich auf die Lippen und schwieg, aus Furcht, die Stimme könne ihr versagen.

»Ich habe ihn falsch eingeschätzt. Ich hatte geglaubt, er würde dir ein guter Ehemann sein.«

Der Zorn über Octavians Unaufrichtigkeit half ihr, die Stimme wiederzufinden. »Ich bitte dich, Octavian! Als du die Hochzeit plantest, hat dich das nicht im mindesten gekümmert. Auch jetzt plagt dich allein die Angst, ihn als Verbündeten zu verlieren.«

»Nun, zumindest hoffte ich, er würde dir mit Achtung begegnen, wenn es zur Liebe schon nicht reichte.«

Seine Worte taten ihr weh. Auch unter der öffentlichen Kränkung würde sie leiden. »Mit derselben Achtung, mit der du ihm begegnet bist?«

»Ich wünschte, ich wüßte, worauf du hinauswillst.«

»Tu nicht so, als wüßtest du es nicht!«

»Dafür, daß sich Antonius durch mich beleidigt fühlt, muß ich mich nicht rechtfertigen.«

»Was ist mit den gallischen Legionen?«

»Seine Frau hatte den Krieg gegen mich verloren.« »Und dein Ausbleiben in Brindisi und später in Tarent, wo ich dich zum Kommen zwingen mußte?«

Octavian hob die Schultern. Sein Gewissen war rein.

»Was hast du jetzt vor?« fragte sie ihn.

»Er hat dich und die Kinder zugunsten dieser Hure in Alexandria verlassen. Ich werde wieder dein Vormund sein.«

»Ich betrachte meine Ehe nicht als beendet.«

»Du wirst aus seinem Haus ausziehen und mit den Kindern bei mir leben.«

Wie konnte er es nur wagen, so mit ihr zu reden? Sie würde ihr Haus nicht aufgeben und sich wieder in sein Eigentum verwandeln. Offenbar wußte er nicht, daß sie ihren Mann liebte, so dumm und albern es auch war. Wahrscheinlich glaubte er wie alle anderen, sie sei so kalt wie ein Fisch.

»Solange er sich nicht scheiden läßt, bin ich seine Frau. In meinem Inneren weiß ich, daß er sich besinnen und wieder zu uns kommen wird.«

»Du willst in seinem Haus bleiben, obwohl er dich beleidigt hat?«

»Ja, das will ich.«

Octavian blies die Backen auf. »Das wird ja immer schöner«, knurrte er.

»Euer Bündnis mag beendet sein, doch eine Ehe ist kein Bündnis.«

»Du irrst, es ist genau das gleiche.«

• »Mein Ehemann hat mich nicht verstoßen. Und solange er das nicht tut, bleibe ich, wo ich bin.«

Octavian musterte sie mit dunklen, blitzenden Augen. Er mochte es nicht, wenn man ihm widersprach, doch im Moment konnte er nichts gegen sie ausrichten. »Ich betrachte Antonius' Schritt als Kränkung gegen mich und meine Familie. Ich werde ihm nicht verzeihen.«

»Du hast ihn selbst dahin gebracht. Wenn du gleich nach Tarent gekommen wärest...« »Ich kann nicht sofort ganz Italien durchqueren, nur um Marcus Antonius gefällig zu sein.«

»Du hattest ihn gebeten zu kommen!«

»Was hat er denn erwartet? Einen triumphalen Empfang?«

»Er erwartete nur dein Erscheinen. Du suchtest seine Hilfe.«

»Mir zu helfen war seine Pflicht.«

»Du hast ihn benutzt.«

»So wie er dich.«

Octavia erhob sich wortlos und ging. Octavian sah ihr nach. Nun, dachte er, das läuft ja alles wie am Schnürchen.

Dieser Marcus Antonius. Er war so... zuverlässig.

Oder vielleicht wäre berechenbar das bessere Wort gewesen.

3

Antiochia schien sich an die Berge zu klammern. An den felsigen Hängen waren Festungen errichtet worden, die sich in die Mauern schmiegten, die die alte Stadt umschlossen. Landeinwärts lagen fruchtbare Ebenen, die das Delta des Orontes säumten. Die Pilger kamen hierher, um in dem berühmten Apollotempel zu beten. Die marmornen Säulen schimmerten weiß in den dunklen Zypressenhainen.

Morgens warf der Berg Silpius seinen mächtigen Schatten über die Gassen, während die Häuser der Reichen an den sonnigen Hängen funkelten. Dazwischen zog sich der Orontes wie ein silberfarbenes Band aus flüssigem Blei.

Antonius hatte sich für eine private Audienz entschieden. Er wollte nicht, daß Kleopatra ihren Hochmut dem versammelten Hof darbot. Und sie würde eine Weile mit ihm schmollen, das ließ sich wahrscheinlich nicht vermeiden.

Auf seine eigene Art hatte er sie vermißt, ganz bestimmt. So wie sie verstand ihn keine Frau. Deshalb würde sie ihm letztlich auch verzeihen - wenn er die richtigen Liebesworte gefunden hätte. Danach würde sie ihm die nötigen Gelder geben wie auch die Schiffe, die er brauchte. Und später, wenn er dann mit Gold beladen aus Parthien wiederkäme, wäre alles wieder in Ordnung. Octavian würde auf seinen Platz verwiesen, er selbst würde Herrscher von Rom, und Kleopatra stünde unter seinem Schutz.

Er wäre der Freudenspender - genau wie Dionysos, und er würde alle glücklich machen.

Nur den Wurm nicht, das Bübchen. Das vielleicht nicht.

Als Kleopatra eintrat, stand Antonius am Fenster. Er hatte den alten Palast der Seleukiden beschlagnahmt, der auf einer Insel im Orontes erbaut worden war. Hinter ihm dehnten sich die Felder bis zum Meer aus. Der Raum war von gewaltigem Ausmaß. Die Decke so hoch, daß sie sich im Schatten verlor, die dicken goldenen Streben mit den üppigen Schnitzereien schimmerten nur matt in der Dunkelheit. Alles war überladen, finster und kalt. Mitnichten die Art, die Antonius liebte. Er muß sich hier sehr unwohl fühlen, dachte Kleopatra.

Vier Jahre waren vergangen, seit sie sich zum letzten Mal gesehen hatten. Hatte er sich verändert? Nicht was das Aussehen betraf. Immer noch dasselbe spitzbübische Grinsen des Jungen, der weiß, daß er damit unwiderstehlich wirkt. Dasselbe dichte lockige Haar, der Körper gebräunt und fest. Er hatte sich für sie fein gemacht, den schönen goldenen Brustpanzer angelegt und den roten Umhang übergeworfen.

Kleopatra erinnerte sich an den Bericht über seine dionysischen Gelage. Vielleicht glaubte er tatsächlich, einen Gott zu sehen, wenn er im Wasser auf sein Spiegelbild traf.

»Meine liebliche, geliebte Königin.« Er machte keinen Versuch, sie zu umarmen. Nun, ihr sollte es recht sein.

Welch ein Unterschied verglichen mit ihrer Ankunft damals in Tarsos! Anstelle der goldenen Aphrodite war sie als ptolemaische Königin gekommen, in einem smaragdgrünen Gewand mit goldenem Saum und weißen, weichen Sandalen. Zu dem Kleid trug sie eine Kette sowie Ohrringe und Armreifen aus Smaragden, und um ihren Oberarm schlängelte sich die goldene Kobra Ägyptens.

»Marcus«, sagte sie mit einem nachsichtigen Seufzer.

»Bitte, laß dich nieder.« Er deutete auf eine der Ruhebänke. Diener trugen silberne Schalen mit Trauben und gebrannten Nüssen herein und einen Krug mit Wein aus Laodicea. Kleopatra gab ihrer Leibwache einen Wink, woraufhin sie sich entfernte. Sie waren allein.

»Wo sind unsere Kinder?« fragte Antonius.

»Sie sind in Alexandria.«

»Du hast sie nicht mitgebracht?« Er wirkte gekränkt.

»Die Reise ist lang. Wenn du sie sehen möchtest, weißt du, wo du sie findest.«

»Geht es ihnen gut?«

»Sie werden groß und kräftig.«

Danach trat eine Pause ein. Er schien darauf zu warten, daß sie die Abwesenheit der Kinder noch weiter entschuldigte, versuchte, sie mit seinen enttäuschten Gefühlen ins Unrecht zu setzen. »Wie hast du sie genannt?«

»Das Mädchen Kleopatra, den Jungen Alexander.«

»Alexander«, wiederholte er versonnen. Kleopatra wußte, daß er mit der Wahl zufrieden war. »Wie sieht er aus?«

»Er hat dein lockiges Haar und den Körper eines kleinen Bullen. Er ist klug und aufrecht. Ohne das Haar und den Körper würde man nicht glauben, daß du der Vater bist.«

»Warum hast du es mir nicht gesagt... ehe ich Alexandria verließ?«

»Wärest du geblieben, wenn ich es dir mitgeteilt hätte?«

Er vermied eine direkte Antwort. »Nun, wenigstens hättest du es mir sagen können. Ich wußte nichts davon, bis es im Senat verkündet wurde.«

»Du warst mit deiner Hochzeit beschäftigt. Ich wollte dich nicht mit Nebensächlichkeiten stören.«

Danach herrschte wieder für eine Weile Stille. »Du siehst wundervoll aus«, sagte er schließlich.

»Und du schuldbewußt.« »Was hätte ich denn machen sollen?«

»Was du hättest machen sollen ist jedem klar, nur dir nicht.«

»Ich weiß, was du von mir hältst. Dennoch kennst du mein Herz nicht so gut, wie du glaubst. Du hast mir die ganze Zeit gefehlt. Wie viele Nächte lag ich bei Octavia und habe an dich gedacht!«

»Oh, inzwischen weiß ich, weshalb du die Augen offenhieltst, wenn du mich küßtest.«

Er sah sie verdutzt an.

»Du wolltest sehen, ob sich nicht etwas Besseres bot.«

Antonius füllte einen Pokal mit Wein und stürzte ihn in einem Zug herunter.

»Ich wußte, daß dieser Tag kommen würde«, fuhr Kleopatra fort.

»Ich habe darum gebetet«, warf er hastig ein.

Kleopatra lachte. »Marcus, bitte. Du hast zuviel Zeit mit Schauspielern verbracht, doch die schuldbewußte Miene steht dir nicht. Du hast Alexandria verlassen und danach keinen Gedanken mehr an mich verschwendet.«

»Das ist nicht wahr!«

»Es kommt der Wahrheit aber sehr nah.«

Antonius wirkte erbost, seine Wangen hatten sich kupferrot gefärbt. »Mach dich nur lustig, wenn du willst. Du verstehst die Zwangslage nicht, in der ich steckte. Dich konnte ich aufgrund des römischen Gesetzes nicht heiraten.«

»Oh, es war also ein rechtliches Problem! In meinen Augen war es eine Frage des Anstands.«

»Du versuchst nicht einmal, meine Lage zu erfassen.«

»Ich erfasse sie sehr gut. Damals war Octavia gut für dich und ich nicht, jetzt ist es umgekehrt. Ist es nicht so?«

»Sie war nie wirklich gut für mich.«

»Es ist einfach immer dasselbe mit dir. Als Caesar bei mir in Alexandria war, hast du in Rom dein Unheil getrieben. Er konnte die Lage gerade noch retten. Dann läßt du Fulvia gewähren, doch sie stirbt beizeiten, und das Problem bleibt dir erspart. Inzwischen hast du Octavian am Hals, und nun fragst du dich, wer dich dieses Mal rettet.«

»Ich werde wieder Herr über Rom sein. Ich werde Parthien niederwerfen.«

»Parthien? Dein Feind ist Rom, nicht Babylon.«

»Mein Schicksal beginnt hier in Antiochia. Hier hätte es Caesar hingeführt, wenn Cassius und Brutus ihn nicht ermordet hätten. Nur wer so groß wie Alexander ist, kann Rom überragen.«

Wie seltsam, dachte Kleopatra. In der Art hatte sich auch Caesar geäußert, als er an Alexanders Grabmal kniete.

»Du willst mich wieder an deiner Seite wissen, nicht wahr?«

»Es ist mein innigster Wunsch.«

»Sehr schön. Doch von nun an wird unsere Verbindung von mir bestimmt.«

Sein Verhalten veränderte sich. Aus dem mißverstandenen Mann wurde wieder der hochfahrende Römer. »Du kannst mir keine Bedingungen auferlegen. Ich kann mir Ägypten nehmen, wann immer ich will. Vergiß nicht, daß ich der Herr des Ostens bin und daß dein Thron von meinem Schutz abhängt. Ägypten ist eine römische Provinz.«

Eine römische Provinz? Sie sah ihm direkt in die Augen. »Das würde Octavian dir gar nicht gestatten. Solange er lebt, gehört dir Ägypten nicht. Wenn du es dir nähmest, bötest du ihm Anlaß zum Krieg. Ägypten bekommst du durch mich oder gar nicht.«

Antonius hatte seine Worte bereits bereut. Sie hatte recht, und beide wußten es.

»Ich werde dich gegen Parthien unterstützen«, fuhr Kleopatra unbeirrt fort. »Wenngleich ich den Krieg nicht für ratsam halte. Doch da du entschlossen bist, will ich meine Zweifel begraben. Der Krieg wird unsere gemeinsame Sache sein.

Doch zuerst meine Forderungen. Du wirst mir vier Jahre an Demütigung und Leid entgelten müssen.«

Antonius holte tief Luft. Genau das hatte er befürchtet. »Was sind das für Forderungen?« fragte er schließlich.

Vertrag, unterschrieben am heutigen Tag, zwischen Marcus Antonius, Triumvir von Rom, und Königin Kleopatra VII. von Ägypten.

Erstens. Königin Kleopatra überläßt die Hilfsmittel Ägyptens in Form von Geldern und militärischer Ausrüstung dem Triumvir Marcus Antonius, der darüber nach seinem Gutdünken verfügt.

Zweitens. Die Vertragsparteien schließen eine gesetzliche Ehe, die nach ägyptischem Ritual vollzogen wird.

Drittens. Marcus Antonius verzichtet auf den Titel des Königs von Ägypten. Er nennt sich hinfort Alleinherrscher über den Osten.

Viertens. Marcus Antonius erkennt Ptolemaios Caesar, Sohn von Kleopatra VII. und Julius Caesar, als rechtmäßigen Erben des ägyptischen Thrones an. Seine Kinder aus der Verbindung mit Kleopatra VII., Alexander und Kleopatra, werden mit Königreichen abgefunden, die sie aus der Hand ihrer Mutter Kleopatra VII. erhalten.

Fünftens. Kraft dieses Vertrages werden die nachstehend genannten Gebiete der ägyptischen Oberhoheit unterstellt und Kleopatra VII. sowie ihren Nachkommen übereignet: Sinai, Arabien (einschließlich der Zitadelle von Petra), das orientalische Ufer des Toten Meers, das Jordantal (einschließlich der Stadt Jericho), die judäischen Gebiete Samarias und Galiläas, die Küste von Phönizien (mit Ausnahme von Tyros und Sidon), der Libanon und die Nordküste Syriens, Kilikien (einschließlich der Stadt Tarsos) und Zypern.

Als Zeugen dieses Vertrages treten auf:

Marcus Canidius Crassus

Gajus Fonteius Capito

Marcus Quintus Dellius.

In Antiochia hatte der Winter eingesetzt. Von den Bergen zogen die Nebel herab und rollten sich in dichten Schwaden über die Zinnen der Festung. Sie brachten Regen mit, der sich in heftigen Güssen entlud. Die feuchte Kälte drang den Menschen bis in die Knochen, die trüben grauen Tage legten sich ihnen auf das Gemüt.

Domitius Ahenobarbus wünschte sich mehr als einmal am Tag, er hätte Rom nie verlassen. Er beugte sich über das Kohlebecken, um sich die Hände aufzuwärmen.

»Mir gefällt das nicht«, knurrte er. »Verträge mit der peregrina! Du hattest kein Recht, die Provinzen abzutreten.« Er war älter als die anderen Offiziere in Antonius' Stab, und die Jahre hatten ihm Statur verliehen. Sein Haar war ergraut, doch der dichte lange Bart hatte seine Kupferfarbe behalten. Die Adlernase gab seinem zerfurchten Gesicht einen Anstrich von kühner Entschlossenheit. Es genoß den Respekt der Jüngeren. Selbst Antonius hörte auf ihn.

»Ich habe getan, was nötig war.«

»Das Land, das du verschenkt hast, war nicht dein Eigentum. Es war das Eigentum Roms!«

»Im Osten bin ich Rom«, entgegnete Antonius.

»Wir sollten dennoch vorsichtig sein, um die Stimmung zu Hause nicht gegen uns aufzubringen«, schaltete sich Plancus ein.

»Du redest wie ein altes Weib«, beschied ihn Antonius, und Plancus verstummte.

Sie tranken ihren warmen Würzwein in brütendem Schweigen.

»Willst du sie wirklich heiraten?« hub Ahenobarbus erneut an.

»Warum nicht? Wo ist der Unterschied zu dem, was Caesar tat?«

»Sie war Caesars Geliebte, nicht seine Frau.«

»Das ist doch ein und dasselbe. Die Vereinbarung zählt ohnehin nur im Osten. Für Rom ist sie ohne Belang.«

»Trotzdem weiß ich nicht, wozu wir sie brauchen.«

»Wir haben einen Krieg vor uns! Wir brauchen Geld und Verpflegung. Dank meines geliebten Schwagers in Rom besitzen wir von beidem wenig.«

»Mir gefällt es trotzdem nicht. Wozu der Krieg mit Parthien?«

Antonius trank seinen Becher leer und schenkte sich nach. Er wurde allmählich ärgerlich. »Wenn wir ihn gewinnen, gehört uns alles.«

Canidius machte ein besorgtes Gesicht. Er war ein großer, finster dreinschauender Mann mit breitem, eckigem Kinn. »Euer Feind ist in Rom«, sagte er.

Antonius starrte ihn an. Dasselbe hatte Kleopatra gesagt.

»Es haben sich schon viele an Parthien versucht«, flocht Dellius ein. »Ich denke dabei nur an Crassus. Rom leidet noch heute unter den Folgen. Seit Alexander wurde Parthien nicht mehr bezwungen.«

Er hatte recht. Parthien galt als unbesiegbar. Nicht etwa wegen seiner Armee oder der Generäle, sondern dank der entfernten Lage jenseits des Euphrats, hinter einem hohen Bergwall. Die Eroberung dieses Landes würde großes Geschick erfordern - und einiges an Glück.

Antonius hieb mit der Faust auf den Tisch. »Mir steht Kleopatras Vermögen zur Verfügung, ich habe fünfzehntausend Reiter, die mir der armenische König versprochen hat. Crassus hatte weder das eine noch das andere. Wir sind beweglich, und wir haben Geld.«

»Und dennoch gefällt es mir nicht«, grummelte Ahenobarbus.

»Es wird die größte Armee sein, die sich in Asien je versammelt hat.«

»Dann sollten wir damit gegen Rom marschieren«, warf Canidius ein.

»Wieder ein Bruderkrieg? Davon hat Rom genug. Glaubt Ihr, daß die Legionen sich abermals bekämpfen werden? Das haben wir in Tarent versucht, und beinahe wäre es zur Meuterei gekommen. Mit dieser Schlacht schalten wir Octavian ein für allemal aus. Wenn wir aus Parthien zurückkommen, werden seine Legionen sich nie mehr gegen mich richten. Dann werde ich der neue Caesar sein. Es gibt keinen Grund für einen Kampf gegen Rom.«

Die anderen schwiegen. Sie wollten ihm gern glauben. Nur lag die Furcht noch im Streit mit der Gier nach Erfolg.

Jeder von ihnen sehnte sich nach Ruhm. Es waren großartige Visionen, die sie vorwärtsgetrieben und den Kampfgeist auch während der trostlosen Wintermonate aufrechterhalten hatten. Ein Traum, der ihnen ganz gegen den Verstand befahl, es dem gewaltigen Alexander nachzutun: die Welt zu beherrschen bis an die Grenzen Indiens.

Und deshalb redeten sie sich gut zu und sagten sich schließlich, daß Antonius wahrscheinlich recht habe.

4

Der Frühling kam, verhieß wärmere Winde, ließ die Segel am Horizont neu erblühen - und flüsterte vom Krieg und von bevorstehenden Schlachten.

Der Berg Silpius tauchte aus den Wolkenschleiern auf. Veilchen und Ringelblumen, wilde Orchideen und Mohn durchsetzte Wiesen und Hänge mit bunten Tupfern, auf den Bergen klingelten Ziegenglocken. Zeit der Erneuerung, Zeit auch, um zu sterben.

Anfang April verließ die Armee Antiochia und marschierte nach Armenien, eine riesige Schlangenlinie, die sich entlang der Flußwindungen bewegte. Zwei Stunden dauerte es, bis sie an einem vorbeigezogen war. Die Zelte lagen zusammengerollt auf den Rücken von Packeseln, Nahrung und Ausrüstung türmten sich hoch auf den Fuhrwerken. Der Rammbock mit dem mächtigen Eisenkopf belief sich auf achtzig Fuß. Er wurde von flachen Gelenkwagen gezogen, die ihn um die Wegbiegungen führen konnten. Es gab auch eine seltsame schwerfällige Kriegsmaschine auf Rädern, die aussah wie eine gewaltige Heuschrecke. Die Soldaten nannten sie >Wildesel<, weil sie beim Feuern nach hinten ausschlug. Mit ihr konnte man Felsblöcke über eine Viertelmeile schleudern und die dicksten Stadtwälle in Trümmer verwandeln. Ihr folgten die kleineren Katapulte, die den Truppen im Kampf Deckung gaben. Da es in Parthien kaum Holz zu fällen gab, hatte man während des Winters Stämme zurechtgesägt, die den Lagern als Schutzwall dienen würden. Auch sie stapelten sich jetzt auf Wagen, die von kräftigen Ochsen gezogen wurden.

Hinter diesen Wagen marschierte die Infanterie. Aus der Ferne sah es aus wie eine Armee aus Käfern mit Brustharnischen aus Bronze, roten Mänteln und kräftigen, genagelten Schuhen. Jeder der Soldaten trug die Verpflegung für drei Tage in einem Bronzekasten bei sich, dazu einen Kessel, eine Handmühle, Werkzeug für den Schanzenbau in Form von Axt, Kette, Säge, Haken, Palisadenpfählen und einem Korb, um Erde fortzuschaffen; dazu noch die Waffen, Lanze, Schwert, Dolch, den Schild und schließlich den schweren Bronzehelm. Selbst mit dieser Ausrüstung schafften die Veteranen fünfzehn Meilen am Tag, auch zwanzig, wenn es sein mußte.

Die Fünfte Legion, die noch von Caesar in Gallien ausgehoben worden war, war ebenfalls dabei - blonde Riesen, die in der Schlacht von Thapsus Kriegselefanten getrotzt hatten und nun den Elefanten auf ihrer Standarte trugen. Ebenso die Sechste Legion, die Eisengepanzerte, wettergegerbte Veteranen, die Caesar im Alexandrinischen Krieg gedient und ihn bei Philippi gerächt hatten.

Die beiden Legionen bildeten das Zentrum dieser Armee. Ihr Nachteil war nur, wie Kleopatra fand, daß sie mit der Zeit geschrumpft waren. Da jede Legion eine Einheit war, mit eigenem Emblem und eigener Geschichte, wurden die Verluste in ihren Reihen nie ersetzt. Aus neuen Rekruten wurden neue Legionen. Keine der sechzehn Legionen, die Antonius aus Italien mitgeführt hatte, war vollständig. Seinem Wunsch, zu Hause Nachwuchs auszuheben, hatte Octavian sich widersetzt.

Doch trotz dieser Einschränkungen war es eine großartige Armee, die zudem von einer stattlichen Anzahl fremder Hilfs-und Söldnertruppen unterstützt wurde. Selbst Caesar hatte nie etwas Vergleichbares besessen. Eine Niederlage war völlig undenkbar. Vielleicht hat Antonius doch recht gehabt, die Gelegenheit zu nutzen, dachte Kleopatra. Er konnte es tatsächlich schaffen, Alexanders Triumph zu wiederholen. In Friedenszeiten ließ er zwar zu wünschen übrig, doch im Krieg war er fest, nüchtern und stark. Und jetzt war seine Zeit gekommen.

Im Mai erreichten sie die Stadt Artaxata am Fluß Araxes, weit oben im Nordosten. Hier überwog der persische Einfluß den der Griechen, stellte Kleopatra fest, als sie die Blicke über die Kuppeldächer der Zitadelle schweifen ließ und die Armenier betrachtete. Sie trugen Pluderhosen und Tuniken mit Troddelfransen, ihre Locken waren ölgetränkt. Nachdem sie durch die Pforten geritten waren, empfing sie der armenische König Artavasdes mit großem Gepränge, bewirtete sie drei Tage lang, richtete Feste aus und schwor Antonius unverbrüchliche Treue.

Als sie die Stadt verließen, war ihre Armee um dreißigtausend Soldaten verstärkt worden, von denen die Hälfte Panzerreiter waren, die besten, die der Osten besaß. Eine prächtige bunte Truppe. Noch lange Zeit danach erinnerte sich Kleopatra an den Eindruck, den diese schier endlose Truppenkette hinterließ, als sie durch die Weite kroch, die armenischen Reiter in leuchtenden Uniformen, die Hände glitzernd von den Ringen, die sie sogar an den Daumen trugen, das Bronzegeklirr an den Pferdedecken. Wie sie Antonius zujubelten, als er auf dem kastanienbraunen Pferd an ihnen vorbeiritt.

Später dann kam es ihr vor wie der reinste Hohn.

Antonius' Behausung bestand aus einem einfachen Zelt aus Ziegenhaut, die über ein Gerüst aus Eichenholz gespannt worden war. Im Innern standen ein schlichtes Lager, ein paar Schemel, ein Klapptisch mit ausgebreiteten Karten, die an den Enden mit Steinen beschwert worden waren, und Krüge mit Wasser, das man aus hölzernen Bechern trank. Die Laterne, die an der Decke hing, bot nur ein schwaches Licht. Von draußen drangen Lagerlaute zu ihnen, das Wiehern eines Esels, die Flüche der Soldaten. Die Luft war getränkt vom rauchigen Fettgeruch der Feuerstellen.

Antonius legte die Hand ehrfürchtig auf die Karten. »Das sind Caesars Pläne«, sagte er zu Kleopatra. »Sie garantieren uns den Erfolg. Sie haben mich immer angetrieben. Die Unterlagen des größten Strategen der Welt! Er hat sie auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn entworfen. Den Namen hat er dem Bübchen vermacht, doch mir hinterließ er das wahre Erbe: den Schlachtplan für Parthien.«

Seine Augen glitzerten, sein Gesicht glühte vor Begeisterung. Richtig, dachte Kleopatra, Antonius hat sich damals Caesars Papiere besorgt. Die Pläne müssen darunter gewesen sein. Er hat sie heimlich aufbewahrt.

Antonius wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Karten zu. »Wir greifen von Norden an, nicht vom Westen wie Crassus. Wir sind glänzend gerüstet und haben Belagerungsmaschinen. Genau wie der alte Knabe es vorhatte.«

Es war Antonius' Traum, wie es Caesars Traum gewesen war. Auch er hatte geglaubt, daß Parthien sein Schicksal war. Nur für die Macht interessierte sich Antonius nicht wie jener. Er wollte den Ruhm, den Triumph. Gewiß zog es ihn auch deshalb nach Parthien statt nach Rom, denn nach Bürgerkriegen wurden keine Triumphe gefeiert.

»Ich werde zu Isis beten und sie um ihren Schutz für dich bitten«, flüsterte Kleopatra.

»Ich brauche Isis nicht«, antwortete Antonius. »Ich habe Cäsar. Er steht hinter mir.«

Vielleicht hat er recht, dachte Kleopatra. Wenn er die Schätze Parthiens erbeutet, ist meine Zukunft sicher. Dann habe ich endlich den großen Sieg, Caesars Erbe, das mir so lange versagt geblieben ist. Vielleicht ist das wirklich Caesars Plan gewesen. Es hätte ihm ähnlich gesehen, die Stärksten für sich kämpfen zu lassen und Antonius letztmalig zu prüfen, ehe er ihm seinen Traum erfüllte.

Am Tag darauf sah Kleopatra zu, wie die Armee den Fluß überquerte und sich auf das Gebirge zubewegte, auf Gebiete, die seit Alexander kaum mehr von Karten erfaßt worden waren. Sie wäre gern mit ihnen gezogen, doch sie mußte zurück nach Ägypten, zurück zu ihren Pflichten. Zudem gab es einen weiteren Grund, der ihr die Begleitung der Truppen unmöglich machte.

Der lange Winter in Antiochia hatte Kleopatra viel eingetragen, denn ihr Land war so sicher wie nie zuvor, und durch den Vertrag, den sie Antonius abgerungen hatte, hatte sie nahezu alle Gebiete zurückgewonnen, die ihre Vorfahren verloren hatten. Damit hatte sie sich als eine der größten unter den Ptolemaiern erwiesen, denn in nur fünfzehn Jahren hatte sie Ägypten wieder zur Macht verholfen. Und sie besaß noch etwas von Antonius, doch das war in keinem Vertrag erwähnt.

Sie erwartete wieder ein Kind.

5

Auf dem Palatin in Rom

Er sieht aus wie eine schwitzende Schweineschwarte, dachte Octavia. Wie er da sitzt! Selbstgefällig mit seinem Purpurmantel, die schwarze Lockenperücke sorgfältig auf den kahlen Kopf drapiert. Ein Windstoß, und die Pracht wäre dahin. Entsetzlich, diese reichen alten Männer mit ihren Eitelkeiten. Der Senator zupfte sich eine der Locken zurecht. Auf seinem kreisrunden Gesicht hatten sich Schweißbäche gebildet. Jeder in der Republik schien in diesen Sommertagen aus irgendeinem Grund zu schwitzen.

»Habt Ihr Neuigkeiten vom Imperator?« erkundigte er sich nun.

Gewiß waren auch ihm die Gerüchte zu Ohren gekommen, nach denen Antonius in Antiochia die peregrina geheiratet hatte. Eine Barbarenhochzeit, die nach römischem Recht ohne Gültigkeit war, obgleich jeder in Rom davon sprach. Doch hier auf dem Palatin bin immer noch ich seine Frau, dachte Octavia. Und wenn Antonius mich für das Werkzeug meines Bruders hält, werde ich ihm das Gegenteil beweisen. Wahrscheinlich unterschätzt er mich. Das hat er von Anfang an getan.

»Ich habe nichts mehr gehört, seit er den Euphrat überschritten hat.«

»Nach seiner Rückkehr werden wir ihm einen glorreichen Triumph gewähren.«

Rom hatte einen Helden bitter nötig, denn zur Zeit herrschte der Pöbel im Land. Octavian wurde von allen Seiten belagert. Seine Zukunft lag in der Hand seines mürrischen Freundes Agrippa, der den Winter damit verbracht hatte, im Hafen von Misenum neue Ruderer auszubilden.

Octavians Flotte war einem Sturm in der Straße von Messina zum Opfer gefallen. Viele der untergegangenen Schiffe zählten zu denen, die Antonius in Tarent zurückgelassen hatte. Das Flaggschiff war gestrandet, und beinahe wäre ihr Bruder dabei ertrunken. Es war bereits das zweite Mal, daß er als Schiffbrüchiger endete. Er tat allmählich gut daran, sich vom Wasser fernzuhalten.

Inzwischen hieß es, daß Agrippa Octavian eine neue Flotte bauen ließ, mit größeren Schiffen als zuvor. Schwimmende Festungen wurden sie genannt. Doch man hatte Octavian dafür angeprangert, denn Sextus' Piraten auf den kleinen, wendigen Liburnen behielten im Kampf die Oberhand. Octavian schaffte es einfach nicht, sich gegen Sextus durchzusetzen. Dabei war ein Sieg auf dem Meer dringend vonnöten. Doch wie sollte das angehen, wenn einem Neptuns Sohn gegenüberstand? Wußte ein Mann wie Agrippa überhaupt, worauf es ankam?

Octavian hatte jetzt Maecenas nach Rom entsandt, um die Lage zu entschärfen, und Octavia fragte sich, was er sich dabei gedacht hatte. Ob Maecenas die Aufständischen mit seinem Lockenstab erstechen sollte? Das einzige, was ihren Bruder retten könnte, wäre ein Sieg in Sizilien. Wenigstens hatte er es jetzt geschafft, dort endlich Truppen an Land zu setzen. Einundzwanzig Legionen, ein Riesenheer, und bislang treu ergeben. Auch das war Caesars Vermächtnis.

»Ihr solltet den edlen Antonius wissen lassen, daß er meine ganze Unterstützung hat«, hörte Octavia den Senator sagen.

»Ich werde ihm die Botschaft übermitteln«, erwiderte sie. »Er wird sich darüber freuen.«

In den vergangenen Monaten war die Kette der Besucher in ihrem Haus so gut wie nie abgerissen. Ein römischer Würdenträger folgte dem nächsten - unterwürfige Gestalten, die befürchteten, daß sich das Blatt wenden könnte. Wenn Antonius in Parthien siegte, wollten sie sicher sein, daß ihnen der neue Alexander gewogen war. Wahrscheinlich sind ihnen auch die Proskriptionen noch lebhaft in Erinnerung, dachte Octavia. Viele von ihnen hatten Cicero persönlich gekannt, und keiner sehnte sich nach einem ähnlichen Schicksal, wenn er den Kopf aus der Sänfte streckte.

Im großen und ganzen ging man offenbar davon aus, daß Octavian am Ende war - auch dieser eitle alte Mann, der vor noch nicht allzu langer Zeit vor ihrem Bruder gekrochen war.

»Euer Gemahl kann im Senat jederzeit mit mir rechnen«, versicherte er ihr gerade.

»Und mein Bruder?«

Er schaute sie verdattert an. »Euer Bruder desgleichen«, stotterte er. »Er selbstverständlich auch.«

Was in sich ein Widerspruch war, dachte Octavia. Welch ein Schafskopf!

Falls Antonius den Sieg in Parthien errang, würde Caesars Vermächtnis nicht mehr ausreichen, um Octavian zu retten. Ein derartiger Triumph wäre beispiellos. Und was Octavian betraf, so klänge Caesars Name hohl, wenn er an Sextus scheitern würde. Das geschähe Octavian jedoch nur recht, denn er hatte das Maß längst verloren, handelte grausam und kalt. Vielleicht würde ihm ein stilles Exil beschieden sein - falls sie es schaffte, sich für ihn einzusetzen. Auch das war ein Grund, warum sie weiter in diesem Haus verweilte.

Genau wie ihren Besuchern lag Octavia daran, Antonius ihrer Treue zu versichern, und wenn es nur um ihres Bruders willen geschah. Wenn sie nur absehen könnte, wie die Sache ausgehen würde!

In Alexandria

Die Winterstürme tobten um den Leuchtturm, der von grauen Regenschwaden verhüllt wurde. Das Meer brandete in aufschäumenden Gischtwellen gegen den Sockel. Kleopatra legte die Hand auf ihren Bauch. Sie spürte, wie sich das Kind bewegte, winzige Tritte eines Wesens, das ins Leben drängte.

In diesen Tagen fiel es ihr schwerer als früher, sich auf ihre Pflichten zu konzentrieren, wobei es nicht nur das Kind war, das sie ermatten ließ. In Parthien mußte es schon zum Kampf gekommen sein - und damit zu Siegen und Niederlagen. Das Schicksal hatte bereits Entscheidungen getroffen. Doch wie sie aussahen, wußte Kleopatra nicht.

Sie stellte sich manchmal den Boten vor - wie er atemlos zu ihr gehetzt kam und die Metallhülle schwang, die die Nachricht enthielt. Wie er sich verhaspelte, während er die Ereignisse schilderte und die leuchtenden Heldentaten beschrieb. Wie sie abermals nach Rom reisen würde, um bei Antonius' Triumph dabeizusein, dem größten, den es je gegeben hatte, bedeutender noch als die Triumphe Caesars. Antonius wäre der Herr der Welt, könnte sich das nehmen, was Caesar versagt geblieben war, den Titel, nach dem er gedürstet hatte. Rex. König.

Und sie wäre seine Frau, seine militärische Verbündete. Kein Hindernis stünde ihrer offiziellen Vermählung mehr im Weg. Niemand würde es wagen, dem Sieger von Parthien zu trotzen. Sie und Antonius wären die Erben des größten Reiches seit Alexander. Sie wären Rom.

Und ihr Caesarion wäre der rechtmäßige Nachkomme. Nicht dieser Emporkömmling, dieses verweichlichte Männerliebchen -dieser Octavian.

Der Sturm warf sich mit Macht gegen die Mauern, riß in den Gärten Büsche aus, bog die Palmen bis zur Erde. Das Kind bewegte sich abermals.

Alexandria, wie überhaupt ein großer Teil der Welt, war voller Erwartungen, Befürchtungen - überall schwirrten Gerüchte herum. Man hatte das Töpferorakel befragt. Auf den Fischmärkten, in den Basaren und in den Gängen des Palasts wurde von nichts anderem gemunkelt. Es war eine uralte Weissagung, die vor dreihundert Jahren aus demotischem Ägyptisch ins Griechische übersetzt worden war. Es sprach von einer ägyptischen Königin, die Rom erobern, Asien vereinen und ein neues Zeitalter ausrufen würde, das Zeitalter der Sonne.

»,.. und während Rom noch zaudert über der Eroberung Ägyptens, erscheint die mächtige Königin des Ewigen Königs unter den Menschen.

Unstillbarer Zorn unter den römischen Männern.

Drei werden Rom ein klägliches Schicksal bescheren, die Menschen sterben in ihren Häusern, aus dem Himmel stürzen sich feurige Fluten.

Der Heilige Herr schwingt sein Zepter über der Erde, denn er wird hinfort über sie herrschen.

Eintracht und Liebe, gut und gerecht,

Brüderlichkeit zwischen den Menschen.

Die Armut entflieht, nach ihr Chaos und Leid,

Neid, Schuld, Zorn und Narrheit, blutrünstiger Streit und Gier,

Diebstahl und Zerstörung sowie auch die anderen Übel.

Sie werden fortan erlöschen.

Das war natürlich zusammengereimter Unsinn, doch Kleopatra konnte sich ihn womöglich zunutze machen. Die Menschen sehnten sich nach einem Retter, der sie vom römischen Joch befreite. Warum sollte es sich dabei nicht um Kleopatra und Antonius handeln, die die Welt im lodernden Feuerschein des Ruhmes erlösten?

Überdies erwähnte das Orakel auch ein goldenes Kind, das am Geburtstag der Sonne geboren würde, am fünfundzwanzigsten Tag des römischen Monats Decembris. Kleopatra bezweifelte allerdings, daß Antonius' Kind sich noch bis dahin gedulden würde. Doch es gab andere Wege, die Weissagung so zu deuten, daß sie der Wirklichkeit entsprach.

Neue Nachrichten kamen aus Rom, und alle waren schlecht. Octavian hatte in Sizilien gesiegt, Sextus' Flotte war zerstört. Agrippa hatte seine Kritiker eines Besseren belehrt und die Seeschlacht gewonnen. Seine frisch ausgebildeten Ruderer und seine neue Flotte hatten den Sohn des Neptuns bezwungen. Agrippa hatte eine neue Waffe entwickelt, die harapax, ein Katapult, das mit Enterhaken schoß, so daß die kleineren Liburnen an die schwimmenden Festungen gezogen und von dort aus zerstört werden konnten. Sextus hatte alles auf eine einzige Seeschlacht gesetzt - und verloren. Er floh mit dem Rest seiner Flotte nach Osten, mit siebzehn Schiffen von vormals dreihundert.

Auch ein anderes Geschehen hatte sich für Octavian günstig entwickelt. Sextus' Fußsoldaten hatten sich Marcus Lepidus ergeben, dem vergessenen Mitglied des Triumvirats. Verbittert aufgrund der Vielzahl an Kränkungen hatte jener die Truppen benutzt, um Octavian herauszufordern und Sizilien für sich zu beanspruchen. Er hatte jedoch die Stimmung unter den Soldaten verkannt, die der Kämpfe längst überdrüssig waren. Als der junge Caesar mit einer Handvoll Offiziere in Lepidus' Lager einmarschierte, schlugen sie sich auf seine Seite. Lepidus hatte um Gnade gefleht und sich Octavian zu Füßen geworfen. Dieser hatte sich ausnahmsweise als großzügig erwiesen und ihm den Rückzug ins Exil gestattet, anstatt ihn an einem Baum aufzuknüpfen.

Nun besaß Octavian auch Lepidus' Armee. Zusammen mit seiner eigenen bedeuteten das fünfundvierzig Legionen mit hundertzwanzigtausend Soldaten, die ihm unterstanden. Er ist wie eine Hydra, dachte Kleopatra. Gerade noch wähnt man ihn am Ende, doch schon reckt sich ein neuer Kopf in die Höhe. Das konnte einem wahrhaftig die Laune verderben. Wie schaffte das elende Bübchen es nur, daß ihm alles gelang?

Im zweiten Monat des neuen ägyptischen Jahres, als der Nil seinen höchsten Stand erreicht hatte, schenkte Kleopatra einem Sohn das Leben. Ptolemaios Philadelphos. Kurz danach erhielt sie weitere Nachrichten aus Rom: Octavian hatte im Forum das Ende der Bürgerkriege verkündet. Die verängstigten Senatoren hatten ihm das Tragen des Lorbeerkranzes gestattet, und zwar zu jeder Zeit, genau wie Caesar.

Das verändert alles, dachte Kleopatra. Nun muß Antonius ihnen den Kopf des Partherkönigs auf einem Silbertablett überbringen, denn sonst ergeht es uns schlecht.

6

Kleopatra spürte, daß sie ein Gefühl böser Vorahnung beschlich, als sie Quintus Dellius durch den Marmorsaal kommen sah: Lederrüstung, Brustpanzer, den Helm mit dem roten Federbusch unter dem Arm. Alles sah aus wie immer. Doch etwas stimmte nicht an dem Bild. Das war nicht der strahlende Bote, den sie erwartet hatte. Die Wangen waren ausgehöhlt, das Gesicht war ernst, gezeichnet von Erschöpfung und von Leid.

»Majestät«, sagte er und verneigte sich. »Ich überbringe Euch die Grüße des Imperators Marcus Antonius.«

»Was ist geschehen?« fragte sie und machte sich auf das Schlimmste gefaßt. Ein Blick auf sein Gesicht hatte genügt.

»Er braucht Eure Hilfe«, antwortete Dellius. Es klang, als müsse er die Worte herauswürgen.

»Wo ist er?«

»In Syrien, Majestät. In Leuke Kome, einem Ort nördlich von Sidon, den man als das Weiße Dorf bezeichnet. Er benötigt Geld, Nahrung und Kleidung für die Soldaten.«

Kleopatra starrte ihn an. Ich hatte ihn gewarnt, war alles, was sie denken konnte. Soviel also zu Caesars Vermächtnis.

»Wie schlimm ist es?« brachte sie schließlich hervor.

Dellius schluckte krampfhaft. »Zwanzigtausend von uns -haben es zurückgeschafft.«

Um sie herum wurden entsetzte Rufe laut. Zwanzigtausend Überlebende! Das bedeutete den Verlust von vierzigtausend Soldaten - mehr, als Crassus verloren hatte. Wie um alles in der Welt hatte das passieren können?

»Ich komme«, sagte Kleopatra. »Sagt ihm, daß ich komme.«

7

Leuke Kome in Syrien

Nicht viel war von dem Traum übriggeblieben.

Reihen von Kranken und Verwundeten, die auf dem nackten Erdboden lagen oder sich auf den Holzpritschen krümmten, mit stinkenden, durchweichten Bandagen, unter dünnen, abgewetzten Decken. An manchen Stellen hatte man Zeltdächer errichtet, die den Elendsten unter ihnen kargen Schutz gewährten. Der Rauch der Lagerfeuer zog über sie hinweg und verlor sich über den Feldern. Die Männer wimmerten im Fieberwahn oder schrien vor Schmerzen. Seine unbesiegbare Armee. Caesars Legionen. Als Antonius durch die Reihen ging, erkannten sie seinen Purpurmantel, und viele riefen ihn beim Namen. Er blieb bei jedem stehen, flüsterte Trostworte und schämte sich angesichts der Dankbarkeit, die ihm dafür zuteil wurde. Diese Männer hatten ein besseres Schicksal verdient. Er hatte sie ins Verderben gelockt.

Er wußte nicht, wie viele von ihnen er noch verlieren würde. Manche würden es bis nach Hause schaffen und fortan nutzlos sein, ohne Gliedmaßen oder auch blind. Andere würden hier an den kahlen Hängen sterben, der Kälte oder den Wunden erliegen. Wie glorreich sie ausgesehen hatten, als sie Antiochia verließen! Die stolzeste Armee des Ostens! hatte er vor Kleopatra geprahlt. Und nun war nur noch ein Haufen zerlumpter Skelette übrig.

Antonius fröstelte unter seinem Mantel. Er trug drei Tuniken übereinander und hatte sich wollene Lappen um die Beine gewickelt, doch der Wind fraß sich durch bis auf die Knochen. Eine Stunde lang wanderte Antonius durch den Gestank von Tod und Verwesung. Die Männer stammelten seinen Namen, als sei er ihr Wohltäter. Antonius... Imperator. Sie liebten ihn immer noch, selbst nach dem Leid, das er ihnen beschert hatte. Endlich fand er den Mann, den er gesucht hatte. Den kindgroßen Körper mit dem riesigen Kopf. Er lag unter einer blutgetränkten Decke. Antonius kniete sich neben ihm nieder und berührte ihn an der Schulter. Der Mann schlug die Augen auf. »Sisyphus«, sagte Antonius.

Der Zwerg versuchte zu lächeln. »Die Parther sind gute Schützen«, flüsterte er, »wenn sie selbst so kleine Ziele wie mich treffen können.«

Vom Himmel nieselte eiskalter Regen. Das schwache Rauschen umgab sie wie ein Flüstern.

Antonius hob die Decke hoch. Der Feldarzt hatte den Arm des Zwerges unter dem Ellbogen abgenommen. Der Stumpf steckte in schmutzigen Bandagen.

»Wie geht es dir, alter Freund?«

»Ein einarmiger Zwerg! Jetzt könnt Ihr mit Fug und Recht behaupten, daß Euch die kurioseste Kreatur auf der Welt gehört.«

»Du wirst schon wieder. Wir schaffen dich hier raus.«

Die Augen des kleinen Mannes glänzten fiebrig. »Mein Leben war auch bisher nicht einfach. Es wird mir nicht fehlen, wenn es erlischt.«

»So darfst du nicht reden. Was glaubst du, wie viele Gelage wir beide noch vor uns haben.«

Sisyphus schloß die Augen und ergab sich dem Schicksal, das die Götter für ihn bereithielten. »Sagt mir, warum wir das alles taten?«

»Für Rom, mein Freund.«

»Nein, Antonius, wir taten es für Euch. Was glaubt Ihr? Ist es das wert gewesen?«

Quintus Dellius entdeckte Antonius auf der Mole. Er blickte auf den grauen Ozean, wo der Wind weiße Schaumkronen dem Strand entgegen trieb. Der lange Purpurmantel bauschte sich und schlug ihm um die Beine.

»Imperator?«

»Wo ist sie, Dellius?«

»Sie sagte, sie würde kommen, mein Herr.«

»Wir haben kaum Wasser und keine Nahrung. Meine Armee stirbt langsam vor sich hin, die Männer können nicht marschieren. Wenn sie nicht kommt...«

»Nun, Ihr könntet Euch retten«, murmelte Dellius. Und mich dazu, dachte er, denn wenn Antonius nach Alexandria zöge, nähme er seine Feldherren mit. Solange sie jedoch blieben, litten sie wie die anderen Soldaten.

Antonius schüttelte den Kopf. »Ich lasse meine Armee nicht im Stich. Wenn Kleopatra nicht kommt, werden alle sterben. Dann gehe ich mit ihnen in den Tod.«

Dellius machte ein enttäuschtes Gesicht. Antonius wandte sich ab und schaute wieder über das Meer, suchte den Horizont nach Segeln ab, nach einem Zeichen, das Rettung verhieß.

Trostlos und grau. Eine Art Hafen, den man aus dem Felsen gehauen hatte, das Land dahinter ohne Konturen. Leuke Kome, das Weiße Dorf, wenngleich die zusammengewürfelten Häuser, die Kleopatra am Strand erkennen konnte, nichts anderes aufwiesen als schmutziges Grau. Dennoch war ihr selbst dieser Anblick nach der Seereise willkommen. Sie zitterte unter dem dicken, pelzgefütterten Mantel, obwohl ihre Wangen fiebrig brannten.

Kleopatras Flaggschiff führte die kleine Flotte in den Hafen. Unten in der Antonia stapelten sich Decken, Tuniken und Mäntel für zwanzigtausend Mann. Die Versorgungsschiffe waren mit Getreide beladen. Außerdem hatte sie Geld mitgebracht, dreihundert Talente Gold. Ich habe mich dir mehr als treu erwiesen, Marcus Antonius, dachte sie.

Im Näherkommen erblickte sie die kläglichen Lagerfeuer und die zerlumpten Überbleibsel jener Armee, die sie zuletzt beim Überqueren des Euphrats gesehen hatte. Eines stand für sie fest: Antonius mochte zwar Caesars Pläne an sich genommen haben, doch Caesars Verstand war damit nicht auf ihn übergegangen.

Canidius und Dellius begleiteten Kleopatra zu Antonius' Zelt. Er war offenbar zu stolz oder zu beschämt, um sie am Hafen zu begrüßen. Als sie durch das Lager ging, wurde Kleopatra das Ausmaß der Niederlage erst richtig bewußt. Oh, Antonius, dachte sie, was hast du nur getan?

Sein Zelt war besser ausgestattet als die Unterkünfte der Offiziere, denn auf dem Boden lagen Teppiche, und Antonius selbst hatte einen Sessel, auf dem er zusammengesunken hockte. Er stand auf, um sie willkommen zu heißen, vermied es dabei jedoch, ihr in die Augen zu sehen. Eine Schmach dieses Ausmaßes hatte er noch nie erlebt. Damals in Mutina war er einer Übermacht erlegen, die ihn von zwei Seiten bedrängte, war er ein Opfer politischer Ränkespiele gewesen. Dies hier jedoch war sein Feldzug gewesen, er hatte darauf hingearbeitet, Ort und Zeit des Kampfes bestimmt - und verloren.

»Antonius«, sagte sie.

Er schien um zehn Jahre gealtert zu sein. Sein Blick wirkte gehetzt, die Wangen waren eingefallen, das Gesicht gezeichnet von Entbehrung, Müdigkeit und Furcht. Nichts erinnerte mehr an den kraftstrotzenden Feuerkopf und Spaßmacher von früher.

»Ich wußte, daß du kommen würdest«, sagte er.

»Es stand wohl außer Frage.«

»Hast du uns Nahrung mitgebracht?«

»Die Schiffe sind mit allem beladen, was sich kurzfristig zusammenraffen ließ. Ich habe Getreide, warme Kleidung und Geld mitgebracht, genau wie du es verlangtest.«

Kleopatra ließ sich auf einem harten Schemel nieder. Antonius näherte sich ihr nicht, und sie konnte sich nicht überwinden, auf ihn zuzugehen. Sie starrten sich schweigend an. Der Wind blähte die Zeltbahnen auf und trug den Gestank des Lagers zu ihnen herein.

Antonius war Kleopatra immer wie ein Riese vorgekommen, doch jetzt erschien er ihr zusammengeschrumpft und klein. Doch es waren nicht nur Hunger und Erschöpfung, die diesen Eindruck bewirkten, es war der verlorene Glaube an sich selbst. Sie würde ihn aufrütteln müssen und stärken, denn ihrer beider Schicksal war nun unweigerlich verknüpft. Wenn Antonius unterging, würde sie ihm folgen.

»Was ist geschehen?« fragte sie schließlich.

»Wir wurden von Artavasdes, dem Armenier, verraten.«

Danach schilderte er ihr im einzelnen, was vorgefallen war. Die Kriegsmaschinen und schweren Gepäckfuhrwerke hatten das Vorwärtskommen durch die Berge verlangsamt, so daß er gezwungen gewesen war, die Streitmacht aufzuteilen. Artavasdes hatte das Ende des Heers schützen sollen, zusammen mit zwei Legionen unter Oppius Statianus. Antonius war mit den anderen Truppen vorausgeeilt. Doch Artavasdes und seine Reiter hatten Statianus im Stich gelassen und waren nach Armenien zurückgekehrt. Nach ihrem Verschwinden waren die Parther über Statianus' Truppen hergefallen, hatten die Soldaten niedergemetzelt, die Kriegsmaschinen zerstört und die Standarten geraubt.

Inzwischen hatte Antonius die parthische Grenzstadt Phraata erreicht, doch weil ihm die Katapulte fehlten, hatte er sie nicht einnehmen können. Da sich der Winter mit gewaltigen Schritten genähert hatte, war er zum Rückzug gezwungen gewesen, der von der parthischen Reiterei immer wieder gestört wurde. Allein in siebenundzwanzig Tagen war es zu achtzehn Verteidigungsschlachten gekommen, erst danach konnte er den Bergen entrinnen, doch er hatte ein Drittel seiner Armee verloren, vierzigtausend Mann, die an ihren Wunden, an der Kälte oder an Seuchen starben. Von seinen sechzigtausend Veteranen lebten noch achtzehntausend.

Als sie in Syrien ankamen, hatten sie weder nach Tyros noch nach Sidon marschieren können, da die Gefahr bestand, daß die Parther ihnen bereits den Weg abgeschnitten hatten. Deshalb waren sie hierher gezogen.

Als Antonius seine Geschichte beendet hatte, erhob er sich, trat an den Zelteingang und starrte hinaus in die rauchverhangene Luft. Seine Verzweiflung schien ihn niederzudrücken wie eine unsichtbare Hand.

So ist das also gewesen, dachte Kleopatra. Caesars Pläne zu nichts zerfallen! Nur weil Antonius ungeduldig - oder unfähig

- gewesen war. War es auch Caesars Plan gewesen, die Streitmacht aufzuteilen? Zeugte es von militärischem Geschick, auf Vasallentreue zu bauen und sich nicht abzusichern, indem man Geiseln als Faustpfand mit sich nahm? Solche Fehler wären Julius nicht unterlaufen. Antonius war mit eigenen Plänen vorgeprescht und hatte Caesars Vermächtnis vertan.

»Du hast alles zunichte gemacht, Marcus«, sagte Kleopatra. Sie sah, wie sich sein Rücken versteifte.

»Nun bist du hier gelandet, ißt verschimmeltes Brot, mußt den Schmutz vom Wasser schöpfen, ehe du es trinkst, und verkriechst dich zum Schlaf an einen verlassenen Strand. Caesar an deiner Stelle wäre schon in Indien eingezogen.«

Er fuhr zu ihr herum. »Du kannst dir deine Worte sparen!«

»Ich wiederhole nur, was du dir ohnehin schon sagst, denn im Moment vergräbst du dich in Selbstmitleid. Was geschehen ist, ist nicht zu ändern. Ich habe dich vor Parthien gewarnt. Die Zeichen standen von Anfang an schlecht.«

»Wenn Artavasdes nicht gewesen wäre, hätten wir gesiegt. Die Parther müssen von unseren Plänen erfahren haben. Er hat uns nicht nur verlassen, sondern wird uns auch verraten haben.«

Und wenn es das nicht wäre, dachte Kleopatra, fiele dir eine andere Ausrede ein. In Wahrheit war es ein sinnloser Krieg mit einem unvermeidlichen Ausgang. Ich wüßte gern, was Octavian jetzt tut. Wahrscheinlich liegt er auf der Ruhebank, verschlingt genüßlich ein paar Leckereien und befingert einen seiner Knaben.

»Wie alt bist du jetzt, Marcus? Sechs- oder siebenundvierzig? Von nun an geht die Reise abwärts und führt zum Boot am Ufer des Styx.«

»Ich bin noch nicht am Ende«, knurrte er.

»Es freut mich, das zu hören. Es kam mir vor, als hättest du schon aufgegeben.«

»Ich werde mir Parthien holen.«

»Vergiß doch Parthien!« zischte Kleopatra wütend. »Hast du die Neuigkeiten nicht vernommen? Weißt du nichts von Octavians Erfolgen?«

»Von seinem Sieg über Sextus? Ich habe davon gehört. Es war Agrippas Sieg, nicht seiner.«

»Ein Unterschied, der den Römern leider entgangen ist. Lepidus gibt es nicht mehr als Triumvir. Er befindet sich an einem warmen Plätzchen, auf einem Landgut, das weit von Rom entfernt ist.«

»Octavian hatte kein Recht, ihn zu verstoßen, ohne mein Einverständnis einzuholen.«

»Eine Vorschrift, die er geflissentlich übersah.«

Antonius ging zu seinem Sessel und ließ sich schwer darauf niedersinken. »Das Blatt wird sich auch wieder wenden.«

»Erst wenn du bereit bist, etwas dafür zu tun.«

Er stützte den Kopf in die Hände und saß lange Zeit still wie eine Statue. »Ich bin so froh, daß du gekommen bist«, sagte er endlich.

»Ich wünschte nur, du nähmest meinen Rat so bereitwillig an wie mein Gold.«

»Ich zahle dir alles zurück«, erwiderte Antonius, doch seine Augen blitzten zornig. Güte wird nie verziehen, hatte Mardian Kleopatra einmal erklärt. Die Menschen hassen nichts so sehr wie Schulden, sei es in Form von Geldern oder Gefälligkeit. Doch hatte sie eine Wahl, wo sie Antonius unterstützen mußte, um sich selbst zu retten? Sie mußte dafür sorgen, daß er wieder auf die Beine kam, daß er die Hand mit dem Schwert gegen den wahren Feind richtete, statt sie sich von diesem abschlagen zu lassen.

8

Sie lagen in Antonius' Zelt und lauschten dem stürmischen Wellenrauschen, dem Heulen des Windes, der sich gegen die Zeltwände warf und die Öllampe, die von der Decke hing, quietschend hin und her schaukeln ließ. Dazwischen erklang das Gestöhn der Verwundeten und Sterbenden.

Das Lager war hart und schmal, ihre Körper schlüpfrig und verklebt. Antonius' Umarmung war heftig gewesen, ungeduldig, beinahe wütend. Kleopatra hatte ihn gewähren lassen. Hinterher hatte er sich so fest an sie geklammert wie nie.

»Es ist noch nicht alles verloren«, flüsterte sie und strich ihm über die Haare. »Du hast mich. Du hast die Kinder. Du hast Alexandria und den Reichtum des Ostens. Du kannst eine neue und bessere Armee aufstellen, und ich besitze die größte Flotte der Welt.« Sein Kopf lag an ihrer Brust. Sie küßte seine Stirn. »Doch Parthien mußt du vergessen.«

»Ich hätte gewinnen können«, murmelte er. »Ohne den Armenier hätte ich gewonnen.«

»Ich werde deine Soldaten mit nach Ägypten nehmen. Dort können sie sich wieder stärken, und du kannst sie neu ausrüsten. Quintus Dellius schickst du nach Rom. Er wird dort deinen Sieg verkünden und vor dem Senat erklären, daß du in Parthien Schätze erbeutet hast und einen neuen Angriff planst. Wer weiß denn schon, was wirklich geschah? Denke daran, daß jedermann glaubt, Caesar habe Britannien erobert. Mir hat er anvertraut, daß er lediglich gestrandet ist und ein paar Kelten schlug, die sein Lager überfielen.«

»Der Tag wird kommen, an dem ich durch Babylon reite«, sagte Antonius.

»Vergiß Babylon! Parthien ist zu groß, zu weit entfernt von den anderen Ländern der Welt. Als Alexander dort einzog, bestand es nur aus wenigen Stämmen mit ihren Reiterscharen. Jetzt ist es dicht bevölkert und reich. Dein wahrer Feind lebt in Rom, Antonius.«

Kleopatra schlang die Arme um ihn und preßte sich an ihn. Von nun an, dachte sie, werde ich die Rolle des Mannes einnehmen. Ihm würde sie die Zügel nicht länger überlassen, denn er war kein Caesar, kein Stratege. Ein mutiger, starker Soldat, das ganz gewiß, doch seine Körperkraft hatte getäuscht, hatte dazu geführt, daß jedermann ihn überschätzte.

»Das Schlimmste liegt nun hinter uns«, verkündete Antonius während seiner Lagebesprechung am folgenden Morgen. Er hatte sich mit seinem Stab um den Tisch versammelt, auf dem die Karten und Pläne ausgebreitet lagen. »Wir müssen unsere Kräfte wieder sammeln. Dann rächen wir uns an Armenien. Danach machen wir Pläne für einen neuen Angriff auf Parthien.«

Antonius' Generäle warfen sich verstohlene Blicke zu. Keiner von ihnen hatte Lust, denselben Weg noch einmal zu gehen.

»Vierzigtausend Legionäre lassen sich nicht einfach ersetzen«, gab Canidius zu bedenken.

»Ich hole mir die Legionen, die Octavian mir seit Tarent noch schuldig ist.«

Ahenobarbus spuckte aus. »Von diesem treulosen Schurken bekommst du nichts. Der geht der eigenen Mutter ans Leben, wenn er sich davon Gewinn verspricht.«

»Abwarten. Doch im Grunde brauchen wir Octavian auch nicht, Kleopatra hat uns ihre Unterstützung zugesagt.« ,

Nach diesen Worten schauten alle unbehaglich zu Boden. »Wieviel Geld hat sie mitgebracht?« fragte Ahenobarbus.

»Dreihundert Talente.«

»Das ist noch nicht einmal das Lösegeld für einen König«, murrte Ahenobarbus.

»Sie hat den Winterstürmen getrotzt, um zu uns zu kommen. Sie hat uns Nahrung, Kleidung und Geld besorgt. Glaubst du nicht, daß sie Dankbarkeit verdient?«

»Sie will dich nur als Werkzeug ihrer Macht.«

Tödliches Schweigen. Antonius starrte Ahenobarbus finster an.

»Wir müssen Vorsicht walten lassen«, sagte Dellius schließlich bedächtig. »Wir sollten nehmen, was sie gibt, und ihr dafür unsere Freundschaft bieten. Doch erneuern müssen wir uns in Rom, nicht in Alexandria. Für eine weitere Schlacht bedarf es guter römischer Soldaten, und die bekommen wir in Ägypten nicht.«

»Ich werde Alexandria als Stützpunkt für die Eroberung Armeniens wählen«, beharrte Antonius.

»Und ich bin für Rom und nicht für Alexandria«, widersetzte sich Ahenobarbus.

»Sie ist meine Königin«, hielt Antonius ihm entgegen. »Das scheinst du dabei zu vergessen.«

»Sie ist eine nützliche Verbündete«, kam es von Plancus.

Bei allen Göttern, dachte Antonius, auch diese kleine Kröte will ihr Quaken beigetragen haben.

»Ihr seid vor allem Triumvir«, fuhr Plancus fort. »Und Römer! Das macht die Rückkehr nach Rom zur Pflicht. Wir werden uns dort wieder stärken.«

»Was denkst du, Canidius?« erkundigte sich Antonius.

Canidius' zerfurchte Stirn legte sich in noch tiefere Falten. »Es steht außer Frage, daß wir im Moment Kleopatras Hilfe benötigen. Sie hat die Schiffe, um uns nach Ägypten zu bringen, und sie hat das Getreide und das Geld, dessen wir dringend bedürfen. Es wäre eine gute Allianz gewesen, wenn wir Parthien erobert hätten. Doch nun ist es nicht ratsam, sich ihr noch enger anzuschließen. Ihr solltet das Augenmerk Rom zuwenden und den Osten vergessen, da Eure Situation sonst gefährlich wird.«

»Weil sie mein Lager teilt?«

Die anderen schwiegen.

»Rom interessiert sich nicht für das nächtliche Treiben seiner Generäle. Ein kleiner Liebesskandal ist ohne Bedeutung. Denkt an das Beispiel von Caesar.«

»Die Verbindung mit Alexandria wird uns an den Abgrund führen.«

»Wir haben keine Wahl«, beschied Antonius. »Ohne Geld gibt es keine Armee, und Kleopatra ist meine Bank. Es ist nie klug, den Geldverleiher vor den Kopf zu stoßen.«

»Noch weniger klug ist es jedoch, mit ihm das Lager zu teilen«, knurrte Ahenobarbus.

»Diese Ansicht solltest du überdenken«, erwiderte Antonius, »denn deine Taschen sind immer leer.«

Plancus brach in wieherndes Gelächter aus.

»Ihr segelt dennoch in gefährlichen Gewässern«, ließ Dellius sich vernehmen.

»Das läßt sich nicht vermeiden, wenn man Entscheidungen trifft«, entgegnete Antonius. »Es ist nun beschlossene Sache. Wir gehen nach Alexandria.«

Er hieb mit der Faust auf den Tisch, um seine Worte zu unterstreichen. Dann wandte er sich ab und stapfte aus dem Zelt ins Freie.

9

Sie warteten, bis sich das Wetter beruhigte, ehe sie Antonius' Armee nach Alexandria verluden. Antonius überwachte den Aufbruch, der etliche Wochen in Anspruch nahm.

Eines Tages tauchte ein anderes Schiff im Hafen auf, ein römischer Segler. Dellius kam zu ihnen gerannt und verkündete atemlos, daß sich an Bord ein Bote befände, mit einer Nachricht aus Griechenland.

Der Bote kam von Octavia. Sie war in Athen und hatte siebzig Kriegs- und Versorgungsschiffe dabei sowie zweitausend der besten römischen Soldaten, sorgfältig ausgesuchte Männer, die zu Octavians Leibgarde gehörten. Sie unterstanden ihrem Befehl. Octavia, so hieß es, erwarte Antonius' Anweisung, wie nun weiter zu verfahren sei.

Kleopatra hatte die Lippen spöttisch gekräuselt. »Edler Antonius«, sagte sie. »Du bist wahrlich auserwählt unter den Menschen. Eine Niederlage, und schon kreuzen sämtliche Ehefrauen auf, die im Eifer, dir zu helfen, mit ihren Schiffen beinahe kollidieren.«

Antonius brachte ein mühsames Lächeln zustande. Sieh an, dachte Kleopatra, sein Wort, auf das er sich so gern beruft, scheint nur unter Männern zu gelten, denn wenn es um Frauen geht, schwankt er wie ein Rohr im Wind. Ich habe mich zwar den Winterstürmen ausgesetzt und halb Ägypten geplündert, um zu ihm zu kommen, doch nun ist er satt, hat Schiffe und Geld und kann wieder neue Angebote prüfen.

»Zweitausend Mann«, murmelte Antonius. »Der kleine Giftzwerg schuldet mir zwanzigtausend! Er hat einen Vertrag unterzeichnet, in dem er mir für meine Schiffe vier Legionen versprach.«

»Wenn du die vier Legionen hättest, würdest du zu ihr gehen, nicht wahr?«

Antonius gab keine Antwort.

Was ist das für eine Frau - diese Octavia? fragte sich Kleopatra. Ihr Mann hatte eine andere geheiratet, mit der er sogar auf Münzen abgebildet ist, und dennoch bricht sie im Winter auf und segelt ihm ungefragt nach. War sie so sanft und gut, wie man es ihr nachsagte, oder steuerten andere ihr Tun, von denen einer Octavian war?

»Ich gehe nicht nach Athen«, sagte Antonius.

»Gibst du mir darauf dein Wort?«

Er zögerte.

Wie widerlich du bist, Antonius! dachte Kleopatra. Und ich war kurz davor, Erbarmen mit dir zu haben.

»Geh nach Athen oder nach Alexandria, du hast die Wahl. Wenn du mit mir ziehst, bist du der Herrscher des Ostens. Wenn du Athen vorziehst, bist du nur der Schwager des Triumvirs.«

Antonius blieb lange Zeit still. Dann schüttelte er den Kopf. »Zweitausend Mann«, wiederholte er immer noch ungläubig.

Sie tranken sauren Wein und kauerten wie Verschwörer beim Licht der Öllampe im Zelt: Antonius, Sisyphus, Ahenobarbus und Canidius. Alle vier waren bereits im fortgeschrittenen Stadium der Trunkenheit.

Sisyphus mit seinem wunden Armstumpf kletterte auf den Tisch und stimmte mit schwerer Zunge ein Lied an.

Jung Caesar ist ein guter Gesell', da läßt sich kein Makel finden. Ob schöner Mann, ob schöne Frau, er nimmt sie von vorn und von hinten.

Antonius brüllte vor Lachen, während Ahenobarbus finster vor sich hin brütete. Antonius befahl Sisyphus, noch ein Lied zum besten zu geben.

Früher hieß er Octavian, jetzt ist der Kleine göttlich. Maecenas schüttelt den Kopf und sagt, sein Hintern ist unersättlich.

Antonius lachte erneut, doch diesmal klang es ein wenig gezwungen. Ahenobarbus beugte sich zu ihm vor, seine Gesichtszüge waren grimmig verzerrt. »Du solltest nach Rom zurückgehen«, murmelte er. »Die ganze Stadt würde dir zu Füßen liegen. Es gibt noch andere Träume als die, die du hier vergeblich geträumt hast.«

»Ich will auf einem Pferd durch Babylon reiten - wie Alexander.«

Ahenobarbus und Canidius tauschten resignierte Blicke aus. Der Imperator führte sich auf wie ein Schläger, der einen Boxkampf verloren hatte. Das einzige, was ihm im Kopf herumspukte, war, sich aufzurappeln und erneut dreinzuschlagen, um es dieses Mal allen zu zeigen.

»Hier können wir unsere Verluste nicht ersetzen«, sagte Ahenobarbus. »Wenn wir neue Legionen wollen, müssen wir nach Italien zurück.«

»Zweitausend Mann«, beschwerte sich Antonius. »Selbst Fulvia hatte dreitausend dabei, als sie nach Athen kam. Das ist doch keine Armee, sondern nur eine Leibgarde!«

»Wir haben Rom zu lange den Rücken gekehrt«, warf Sisyphus nun ein. »Sechs Jahre wart Ihr nicht mehr dort, doch Rom ist immer noch Mittelpunkt der Welt.«

Antonius schüttelte den Kopf. Seine Weinlaune war verflogen. »Ich habe genug von Eurem Genörgel. Ich habe euch gesagt, daß mein Entschluß feststeht. Wir gehen nach Alexandria.«

Er stand auf, schlug die Zeltbahn vor der Eingangsöffnung zur Seite und verschwand in der Dunkelheit. Sisyphus folgte ihm. Die anderen hörten, wie er Antonius draußen abermals umzustimmen versuchte.

Nachdem die beiden fort waren, füllte Canidius sich den Becher auf. Als er auch Ahenobarbus nachschenken wollte, schüttelte dieser den Kopf. »Es kommt nichts Gutes dabei heraus, wenn er sich weiter mit der peregrina einläßt«, knurrte er.

»Trotzdem hat Antonius recht. Octavian hat ihn hintergangen.«

»Hintergangen! Antonius hat sich von diesem Bürschchen an der Nase herumführen lassen! Er kann es drehen und wenden, wie er will, aber Rom läßt sich nicht vom Osten aus regieren.«

»Doch wenn er jetzt zurückginge, käme er als Besiegter, während Octavian sich noch im Sieg über Sextus sonnt.«

»Das alles gefällt mir nicht.« »Nun komm schon! In Alexandria haben wir doch immer eine lustige Zeit verlebt.«

»Die lustige Zeit ist längst vorbei. Der hat Antonius sich ausgiebig gewidmet - mehr, als gut für ihn war.«

»Sei's drum. Er glaubt nun einmal, daß Alexandria Macht bedeutet - nicht Rom.«

»Als ob es ohne Rom überhaupt Macht gäbe«, brummte Ahenobarbus, rülpste und ging hinaus.

In Athen

Quintus Dellius folgte einem Dienstboten über einen Innenhof zu Octavias Gemächern, wo er darauf wartete, daß er ihr gemeldet wurde. Auf dem Bodenmosaik war vor dem Hintergrund rebenumrankter Säulen Dionysos abgebildet, mit , Efeukranz, Bacchantenstab und einer nackten Mänade, die zu seinen Füßen lag. Eine etwas unglückliche Anspielung, fand Dellius.

Die Wand schmückte ein Gemälde, vornehmlich aus blauen und grünen Farbtönen, mit Aphrodite und einem Dreimaster, um den sich Meerjungfrauen tummelten. Die Göttin hatte blondes Haar und blaue Augen. Sie machte einen eher kühlen Eindruck und glich der Frau, die ihm nun entgegentrat.

»Quintus Dellius, habt Ihr Nachricht von meinen Mann?«

»Der edle Antonius sendet Euch seine Grüße.«

»Ist er wohlauf?«

»Der Kampf in Parthien war...«, Dellius suchte nach den rechten Worten, »... hart und schwierig. Antonius ist erschöpft, doch sonst geht es ihm gut.«

»Wir haben in Rom gehört, daß er ruhmreiche Siege errungen hat.«

Nun, dachte Dellius, wenn man den erfolgreichen Rückzug als Sieg bezeichnen will, oder wenn es ruhmreich ist, dem sicheren Tod zu entrinnen, dann stünde uns in der Tat Lorbeer zu.

»Das Wetter hat uns zurückgedrängt«, wich er aus. Das war wenigstens nicht gelogen, denn wenn der Winter nicht eingesetzt hätte, stünde Antonius wahrscheinlich noch vor Phraata und wartete auf die Kriegsmaschinen, während ringsum die Soldaten verreckten.

»Ich warte auf seine Anweisungen«, sagte Octavia. »Ich habe Vieh aus Rom hergebracht, als Nahrung für seine Armee, sowie Kleidung für die Soldaten und Verstärkung aus den Reihen der Wachen.«

»Mein Herr ist Euch dafür sehr dankbar. Er fragt sich dennoch, warum Euer Bruder ihm nicht die Truppen sandte, die er ihm in Tarent versprochen hat.«

Octavia schien für einen Moment mit der Antwort zurückzuhalten. Was war das für ein Ausdruck auf diesem schönen Gesicht? Es sah beinahe aus wie Scham. »Octavian kämpft in Illyrien und braucht die Soldaten selbst.«

»Vier Legionen von seinen fünfundvierzig scheint indes nicht viel verlangt.«

»Mag sein. Ich verstehe mich nicht auf militärische Strategien, doch mein Bruder will meinem Mann nichts Böses -das beweist meine Anwesenheit in Athen.«

Deine Anwesenheit in Athen beweist genau das Gegenteil, dachte Dellius. Dein Bruder ist ein gerissener Halunke, und wir sollten alle auf der Hut vor ihm sein.

»Doch Ihr habt meine Frage nicht beantwortet«, unterbrach Octavia seine Gedanken. »Wie lauten Antonius' Anweisungen für mich?«

Dellius holte tief Luft. »Mein Herr sorgt sich um Eure Sicherheit - ohne angemessenen Schutz. Er wünscht, daß Ihr nach Rom zurückkehrt, wo er Euch in Obhut weiß.«

Octavia wich das Blut aus den Wangen. Einen Augenblick lang befürchtete Dellius, sie würde zu Boden sinken, doch sie hatte sich bereits wieder gefaßt, wandte sich ab und schaute auf den Hafen, wo ihre Flotte vor Anker lag.

»Ich bin wohl kaum ohne Schutz«, hörte er sie sagen. »Mich begleiten zweitausend der besten Soldaten meines Bruders.«

»So lauteten die Anweisungen meines Herrn.«

Octavia nickte. Was nützte es, mit dem Boten zu streiten? »Wenn er es wünscht, kehre ich zurück.«

Dellius beobachtete fasziniert, wie ein Träne über ihre Wange rollte und auf ihren blauen Umhang fiel. Octavia stand so still wie eine Marmorstatue. »Die Soldaten und auch die weiteren Versorgungsmittel lasse ich in Athen. Er mag darüber nach Gutdünken verfügen«, sagte sie. »Ich danke Euch, Quintus Dellius.«

Er verneigte sich und ging. Sein Auftrag war erfüllt. Bevor er den Raum verließ, warf er jedoch noch einen letzten Blick auf Octavia und empfand großes Mitleid mit ihr. Octavian zum Bruder zu haben und Antonius zum Mann war ein bitteres Los für eine so außerordentlich schöne Frau!

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