TEIL II

»Erachte keinen Mann als glücklich, es sei denn, er wäre tot.«

Römisches Sprichwort zur Zeit Caesars

1

DER NEUE MONAT JULIUS NACH DEM RÖMISCHEN KALENDER IM JAHRE 46 VOR CHRISTI GEBURT

In Rom

Kleopatra hatte noch nie zuvor Pinienwälder gesehen und war fasziniert und abgestoßen zugleich. Sie empfand die dunkelgrünen Baumkronen als düster und bedrohlich. Die spitzen Nadeln wurden braun, und wenn sie schließlich abfielen, erstickten sie den Boden unter sich. Wie die Römer, ging es ihr durch den Kopf. Groß, dunkel und mächtig, doch in ihrem Schatten gedeiht nichts.

Caesar hatte sie in einem seiner Wohnhäuser untergebracht, auf der Westseite des Tibers an der Via Campana, was sie als gutes Zeichen betrachtete. Das Haus war angemessen, entbehrte jedoch der lichten Luftigkeit, die sie aus Alexandria gewöhnt war. Es war aus hellem Stein erbaut, die Säulen umwuchert von Rosenranken, Glyzinien und Klematis. Das Atrium wurde von Marmorbüsten gesäumt: mit Venus, wie Isis von den Römern genannt wurde - die, wie Kleopatra zu ihrer Belustigung erfuhr, Caesar als Ahnin diente -, etlichen Abbildern Alexanders sowie einigen, die Caesar selbst darstellten, jedoch aus früherer Zeit stammten.

An das Atrium schloß sich ein weiterer Hof an, dessen Dach in der Mitte vertieft und mit einer Öffnung versehen war. Die Römer bezeichneten es als compluvium. Von dort aus führte ein Gang zu den Schlafgemächern und Speisezimmern. Dahinter erstreckte sich ein kleiner, von Säulen umgebener Park, in dem ein hübscher Fischteich angelegt worden war.

Die Wände der Innenräume waren im Grün der Pinienbäume gehalten, die dunkle Farbe wurde jedoch aufgelockert durch Friese mit bunten Blumengirlanden. Die Fußböden der Wohn-und Speiseräume zierten zarte Mosaike mit ländlichen Idyllen,

in denen neckische Nymphen tanzten. Kleopatra fand das Ganze ein wenig zu verspielt für einen strengen römischen Imperator. Die Einrichtung erschien ihr wiederum zu karg für einen Mann seines Standes, paßte jedoch zu seinem Charakter. Sie bestand aus Ruhebänken, Tischen mit Intarsien aus Schildpatt und Elfenbein sowie einigen wenigen Kandelabern, von deren Armen die kleinen Lämpchen an dünnen Silberketten hingen.

Ihr Schlafgemach, so wurde ihr versichert, sei dasjenige Caesars, wenn er hier residiere. Es war sehr spartanisch, kaum groß genug, wie Mardian sagte, um einen Sklaven auszupeitschen. Das breite eichengeschnitzte Bett mit Decken aus Wolle und Seide beanspruchte beinahe den ganzen Raum.

Im Vergleich zu ihrem Palast in Alexandria war es nicht mehr als ein Soldatenquartier. Nur die Tatsache, daß es sich um eines von Caesars Häusern handelte, verhinderte, daß Kleopatras Unterbringung beleidigend wirkte. Im Grunde, tröstete sie sich, hätte er keinen besseren Ort wählen können, um Rom ihre Verbindung kundzutun.

Zu dem Haus gehörten Gärten, die den Blick auf die Stadt und den Fluß freigaben. Auch diese Art von Gärten hatte sie noch nie zuvor gesehen. Die Ulmen, Platanen und Zypressen standen aufgereiht hintereinander wie Soldaten beim Exerzieren, die Hecken aus Eiben, Buchsbaum, Lorbeer und Myrte waren gestutzt. Von den schattigen Hängen aus konnte sie die Barken sehen, die von Ostia aus flußaufwärts zur Probusbrücke krochen und weiter zum Emporium, der riesigen Markthalle, deren Gerüche je nach dem Stand des Windes bis zu ihr drangen. Jenseits des Flusses erhob sich der dichtbesiedelte Aventin-Hügel, mit fünf- und sechsstöckigen Wohnhäusern, den insulae, die sich wie Sklavenlasten auf seinem Rücken türmten.

Inzwischen lag Kleopatras Ankunft bereits einige Tage zurück, doch Caesar hatte ihr noch immer nicht seine Aufwartung gemacht. Dabei hätte sie zu gern erfahren, ob sie sich als Gast oder Geisel betrachten mußte. Doch sie sagte sich schließlich, daß sie das über kurz oder lang ohnehin herausfinden würde. Er schickte ihr täglich Quintus Dellius -den Mardian Caesars Frettchen nannte -, um ihr Grüße auszurichten und sich nach ihren Wünschen zu erkundigen. Abgesehen davon hatte man jedoch den Eindruck, daß Roms erster Bürger zu sehr mit den Vorbereitungen zu seiner Verherrlichung in Anspruch genommen war, um Zeit für einen Besuch opfern zu können.

Kleopatra machte sich nicht vor, daß sie ihm gefehlt hatte, doch sie hatte gehofft, daß er der Königin von Ägypten die Ehre erweisen würde und vielleicht auch, daß es ihn drängte, seinen Sohn zu sehen. Schließlich war der kleine Ptolemaios Caesars einziger männlicher Nachkomme, oder doch zumindest der einzige, der seinen Namen trug.

Sie erkundigte sich bei Mardian nach den jüngsten Neuigkeiten aus der Stadt.

Mardian fand Rom entsetzlich. Er haßte ihre Unterkunft, die ihm zu ärmlich war, im Vergleich jedenfalls zu dem prächtigen Anwesen, das er am See Mareotis besaß. Er haßte das Klima, das ihm zu heiß war, und er haßte vor allem die Römer.

Dennoch wußte er viel über das, was in der Stadt vor sich ging. »Majestät«, sagte er, »wie es scheint, ist Caesar nicht nur Konsul der Republik, sondern wurde für die nächsten zehn Jahre zum Präfekten und Diktator des römischen Volkes gewählt. Es ist eine Ehre, die ihresgleichen sucht. Der Titel des Diktators gilt in der Regel nur für Notzeiten und währt nie länger als sechs Monate. Ganz ohne Zweifel übertrifft Euer lieber Caesar nun sogar den großen Pompejus im Ausmaß der Macht.«

»Pompejus' Kopf endete auf einem Silberteller. Was ist daran schon großartig zu übertreffen? Caesar muß lediglich am Leben bleiben.«

Mardian schnitt eine Grimasse. »Wir sind hier in Rom, Majestät. Genau wie in Alexandria sollte man das Überleben nicht als etwas Geringes abtun.«

Sie fragte sich, ob er nachts kommen würde, versteckt in einem Wagen oder verhüllt in einer Sänfte. Dann hätte sie gewußt, welche Rolle ihr zugedacht war. Doch Caesar kam morgens, im hellen Tageslicht, auf einem Schimmel geritten. Vor ihm marschierten vierundzwanzig Liktoren, die Symbole seiner Macht als Diktator der Republik. Jeder von ihnen trug ein Rutenbündel mit herausragendem Richtbeil.

Außerdem begleiteten ihn zwei Zenturien Soldaten als Leibgarde. Als er von seinem Pferd stieg, bezogen sie Posten an den Toren und umstellten die Gärten, als gälte es einen Angriff abzuwehren. Wie es den Anschein hatte, konnte sich Caesar noch nicht einmal in seiner eigenen Stadt sicher fühlen. Vielleicht erst recht nicht in seiner eigenen Stadt.

Kleopatra begab sich in den großen Raum, von dem aus man einen Blick auf den Innenhof mit dem Wasserbecken hatte. Ehe sie ihn empfing, probierte sie etliche Sessel und Ruhebänke aus, um sich am gefälligsten zu drapieren, obwohl ihr Herz vor Ungeduld raste. Doch er hatte sie schließlich auch warten lassen!

Da konnte er sich ruhig noch ein wenig die Füße vertreten, bis sie bereit war.

Aber sosehr sie sich auch mühte, ihren Groll aufrechtzuerhalten, sie schaffte es nicht. In Wahrheit fieberte sie ihm entgegen. Dennoch - er mußte es ihr ja nicht gleich an der Nasenspitze ansehen.

So viel hing von dieser Begegnung ab. Würde er Caesarion sehen wollen? Oder würde er sie lediglich wie eine fremde Würdenträgerin behandeln? Würde er sich wieder wie ein Römer aufspielen? Die Chance, die sich ihm durch sie bot, mißachten?

Genug gewartet. Sie bedeutete einem der Dienstboten, Caesar zu ihr zu lassen.

»Ich grüße Euch, erhabene Majestät«, sagte er in vornehmem Griechisch.

»Ich grüße Euch, mein oberster General. Meine Augen erblicken Euch mit Freude.«

»Eine geringe Freude im Vergleich zu der meinen, denn Rom kennt nicht Euresgleichen.«

Oh, Caesar, du Diplomat, dachte sie. Caesar, du Geliebter, du Lügner.

»Auch Euch war das Leben gewogen, seit wir Euch das letzte Mal gesehen haben«, erwiderte sie. Es war gleichermaßen eine Lüge, denn er wirkte erschöpft und abgekämpft. Die endlosen Schlachten hatten wohl schließlich doch ihren Tribut gefordert.

»Die Göttin des Schicksals hatte ihre Hand im Spiel. Natürlich auch die bessere Strategie.«

Von allzu großer Bescheidenheit war er noch nie geplagt gewesen.

»Es grämt mich, daß ich Euch nicht eher aufsuchen konnte«, fuhr er fort. »Doch ich war mit der Vorbereitung der Triumphzüge beschäftigt.« Als sie nichts entgegnete, setzte er hinzu: »Ich hoffe, daß Euch die Unterkunft behagt.«

»Es ist ein wenig beengt.«

Er schaute sich um. Sein Blick wanderte über die Sklaven, die Kammerfrauen, die Höflinge, die Ratgeber und Minister, blonde Gallier und Germanen, pechschwarze Nubier, bärtige Griechen, jüdische oikenomoi, sogar ihr Priester Pshereniptah war mitgekommen. Sie ahnte, was ihm durch den Kopf ging: Bei Jupiter, sie hat ganz Alexandria mitgebracht. »Ich hatte keine so große Gefolgschaft erwartet«, sagte er schließlich.

»Die Einladung Kleopatras bedeutet, Ägypten einzuladen.«

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. »Ich nehme an, Ihr habt die Pyramiden in den Gärten errichten lassen.«

»Nein«, entgegnete sie, ohne die Miene zu verziehen. »Nur den Leuchtturm.«

Es entstand eine kleine Pause. Er schaute sich abermals um, so als suche er jemanden. »Habt Ihr Euren Sohn mitgebracht?«

Ah, dachte Kleopatra. Endlich kommen wir zur Sache. Du bist also doch nicht aus Stein. Sie wurde von einer Woge der Erleichterung erfaßt. Was hätte sie nur getan, wenn er nicht nach dem Jungen gefragt hätte? »Er ist im Kinderzimmer.«

»Kann Caesar ihn sehen?«

Sie wollte nicht zu eifrig erscheinen, wenngleich sie mehr als ein Jahr auf diesen Augenblick gewartet hatte. Schließlich murmelte sie nur: »Folgt mir.« Sie erhob sich von der seidenbezogenen Ruhebank und führte ihn durch das Haus zu dem Raum, den sie zum Kinderzimmer erklärt hatte. Die Kunst einer Königin bestand nicht zuletzt darin, sich selbst dann noch herrschaftlich zu gebärden, wenn einem das Herz gegen die Rippen hämmerte und man kaum genug Luft hatte, um zu atmen.

Sie betraten den Raum allein. Caesarion lag auf einem glänzenden schwarzen Pantherfell und spielte still mit einem Holzpferdchen, das Charmion ihm geschenkt hatte. Mein Sohn. Sie spürte den gewohnten Anflug von Stolz, als sie ihn erblickte. So viele Träume und Hoffnungen, die auf dieses kleine braunhäutige Geschöpf gerichtet waren.

Kleopatra beobachtete Caesars Miene. Nichts deutete auf seine Gefühle hin. Er schien es zufrieden, den Jungen einfach nur anzuschauen. Am liebsten hätte sie ihn angeschrien: Nimm das Kind doch auf! Halte es in den Armen! Es ist deines!

Schließlich hockte er sich zu ihm nieder. Behutsam streckte er einen Finger aus, den der Junge dankbar ergriff, um mit den kleinen spitzen Zähnen darauf herumzukauen und hineinzubeißen. Caesar lachte auf und zog die Hand zurück.

Als er aufstand, lächelte er Kleopatra an. »Ihr habt einen schönen Sohn.«

Seine Unverbindlichkeit machte sie rasend. Der Junge hatte immerhin sein Blut! »Wir beide haben einen schönen Sohn.«

Es war, als hätte er ihre Worte nicht gehört. Caesar, der ewige Taktierer, würde nicht so schnell klein beigeben. »Vielen Dank, daß ich ihn sehen durfte.«

»Wie könnte ich Euch Euer eigen Fleisch und Blut verweigern?«

Abermals reagierte er nicht auf ihre Worte. »Ich fürchte, mein Besuch kann nur von kurzer Dauer sein. Eure Gegenwart war mir ein Vergnügen. Vielleicht gelingt es uns bald, eine längere Unterhaltung zu führen. Ihr seid zu einem Bankett eingeladen, das morgen abend in meinem Haus stattfindet.«

Du elender Mistkerl, dachte sie. »Ich werde meinen Sekretär fragen müssen, ob dem bereits andere Verpflichtungen entgegenstehen.«

Da ließ er für einen kurzen Moment die Maske fallen. Sie schaute ihn an und glaubte, in sein Innerstes zu blicken. Hatte etwa Sehnsucht in seinem Blick gelegen, oder hatte sie sich das nur eingebildet?

»Du hast mir gefehlt«, flüsterte er.

»Nicht so sehr, wie ich es mir gewünscht hätte.«

»Du warst nicht einen Augenblick aus meinen Gedanken«, fuhr er fort. Es kam ihm ein wenig zu glatt von den Lippen. Immer der Verführer, dachte sie, der den Frauen das sagt, was sie hören wollen. Er beugte sich vor und küßte sie auf die Wange. Sie ließ es zu, kam ihm jedoch nicht entgegen.

Er zuckte die Achseln. Sie wußte, daß er mit ihrer Zurückhaltung gerechnet hatte, dennoch setzte er eine gekränkte Miene auf. »Bis morgen dann«, verabschiedete er sich.

Kleopatra schaute zu, wie er wieder abzog. Zuerst die Liktoren, dann die Leibgarde. Es war, als bräche eine Armee auf. Nun war er also gekommen. Er wirkte anders, nicht mehr ganz sein eigener Herr: So als hätte Rom ihn an der Kandare.

Mit einemmal war es ihr, als ob Mardian doch recht haben könnte: daß ihre Pläne letztlich nur die Wunschträume eines kleinen Mädchens waren. Sie spürte, wie der Zorn in ihr aufwallte, befahl ihrer Dienerschaft, sie allein zu lassen, und marschierte zurück ins Kinderzimmer, wo sie Caesarion aufnahm, um ihn fest an die Brust zu drücken. Heiße Tränen rollten ihr über die Wangen, und sie verachtete sich für ihre Schwäche. Wie ein dummes kleines Ding zu weinen!

»Ich lasse nicht zu, daß sie dich verleugnen«, wisperte sie Caesarion ins Ohr. »Du gehörst uns beiden. Das ist dein Geburtsrecht. Ich lasse nicht zu, daß er dich verleugnet!«

2

Kleopatra stützte sich gegen die Wand der schaukelnden Sänfte. Die Ledergurte knarrten, als die Träger hügelaufwärts stiegen. Sie horchte auf die kreischenden Möwen am Tiberhafen und die heiseren Stimmen der Bettler in den Arkaden. Etliche Male spähte sie durch die Vorhänge, doch in den engen, gewundenen Straßen gab es nichts zu sehen, das ihrer Aufmerksamkeit würdig gewesen wäre. Die Häuser standen dichtgedrängt nebeneinander und ragten in die Luft, eine eintönige Front aus rotbraunen Ziegelsteinen, die schon am Nachmittag der Sonne den Weg versperrten. Dagegen überraschte sie die Vielfalt der Gesichter. Afrikaner mit krausen Locken, arabische Händler in Burnus und Kaftan, flachsblonde germanische Sklaven, selbst ein ägyptischer Schlangenbeschwörer war dabei. Es war, als hätte Rom Teile des ganzen Reiches zu sich kommen lassen. Als sie den Circus Maximus passierten, fingen etliche der Prostituierten kreischend zu lachen an und bedachten sie mit obszönen Gesten. Sie ließ die Vorhänge wieder zufallen und lehnte sich in die Polster zurück.

Der Nachmittag war von erdrückender Schwüle. Während des weiteren Anstiegs hörte sie, wie ihre Träger vorbeidrängende Ochsenkarren mit Flüchen bedachten, horchte auf die ebenso derben Entgegnungen der Wagenlenker und vernahm zwischendrin die ungehaltenen Stimmen irgendwelcher Würdenträger, die den eigenen Sklaventrupp zur Eile antrieben. Das erstaunlichste waren jedoch die Gerüche. Allem zugrunde lag eine Mischung aus frisch gebackenem Brot und abgestandenen Fischsoßen, doch darüber lagerte der Gestank der Latrinen, der Kanalisation und der Rauchschwaden, die aus den Badethermen quollen.

Caesar wohnte in der Regia, im Herzen der Stadt, neben dem Jungfrauentempel. Ein unpassender Ort für einen Mann wie ihn, hatte Mardian gespottet, als er davon erfuhr. Kleopatra hatte einen Palast erwartet, doch es handelte sich nur um eine von öffentlichen Gebäuden eingezwängte schlichte Villa. Außen befand sich ein mächtiges, vergittertes Eisentor, vor dem zwei Zenturionen Wache hielten.

Ein Diener führte sie durch die marmorne Eingangshalle zum Atrium, dessen Wände mit hübschen Blumengemälden geschmückt waren. Der Fußboden bestand aus einem Mosaik, auf dem eine Katze gegen eine Kobra kämpfte.

Die anderen Gäste waren vor ihr eingetroffen, so daß Kleopatra das Opfer unverhohlener, wenn nicht gar feindseliger Neugier wurde. Jedoch kam Caesar sogleich lächelnd und mit ausgestreckten Händen auf sie zu. Er begrüßte sie in griechischer Sprache, ein kleines Entgegenkommen, da er wußte, daß ihre Lateinkenntnisse bruchstückhaft waren und er sie den Gästen gegenüber nicht in Nachteil setzen wollte. Sie würden seinem Beispiel nun wohl oder übel folgen und dieselbe Sprache benutzen müssen.

Kleopatra hatte nur ein kleines Gefolge bei sich. Mardian, einige der Sklaven sowie ihre nubische Leibwache. Antiochos war ebenfalls eingeladen gewesen - offenbar dachten die Römer, er sei tatsächlich ihr Mitregent -, doch sie hatte es vorgezogen, ihn nicht mitzubringen. Nicht einmal der beschränkteste unter den römischen Senatoren sollte glauben, sie würde sich die Macht mit jemandem teilen.

Bei den Gästen, die Caesar ihr vorstellte, handelte es sich um seinen engsten Vertrautenkreis. Viele der Namen waren ihr dank Mardians Spitzel schon geläufig, und insgeheim hatte sie sich von jedem bereits ein Bild gemacht. Sie mußte jedoch zugeben, daß dieses Bild nicht bei allen der Wirklichkeit entsprach.

Da war zum Beispiel Calpurnia, Caesars Frau. Kleopatra hatte sich eine stattliche römische Matrone vorgestellt, vornehm und beherrscht, doch nun sah sie eine hagere Erscheinung mit einem gewöhnlichen Gesicht und, wie es schien, etwas unfeinem Benehmen. Caesar hatte etwas Besseres verdient, fand sie. Calpurnia trug ein Gewand aus schillernder fliederfarbener Seide und war derart mit Juwelen bestückt, daß sie Kleopatra vorkam wie ein muschelverkrustetes Fischerboot. Laut Mardian hatte Caesar sie aus politischen Motiven geheiratet. Gehässigen Stimmen zufolge war er in Britannien eingefallen, um vor ihr zu flüchten.

»Ich habe schon viel von Euch gehört«, sagte Calpurnia mit süßlichem Lächeln.

Kleopatra lächelte auf die gleiche Art zurück und erwiderte: »Oh, ich von Euch desgleichen.«

Danach stellte Caesar sie seinem Großneffen vor, Gajus Octavian: ein schmächtiger Junge von sechzehn Jahren, dessen Haut noch die Unreinheiten der Pubertät aufwies. Das einzig Schöne an ihm waren seine Augen - sie besaßen das tiefste Blau, das Kleopatra je bei einem Menschen gesehen hatte. Er kam ihr allerdings ein wenig verweichlicht und etwas eitel vor, wenn man die erhöhten Sohlen an seinen Sandalen betrachtete. Zweifellos wollte er größer erscheinen, als er in Wirklichkeit war. Diese Römer! Ob sie dachten, sie würden die Götter kränken, wenn sie körperliche Mängel aufwiesen, sei es nun Kahlköpfigkeit oder Kleinwüchsigkeit?

Dann war da noch Marcus Brutus, ein Mensch mit hochmütigem Gesicht, dem sein Ruf bereits vorausgeeilt war. Von Mardian hatte Kleopatra erfahren, Brutus sei so von sich eingenommen, daß er glaubte, der große Gott Ra ginge in seiner unwürdigsten Körperöffnung auf und unter. Während des Bürgerkriegs hatte er auf der Seite des Pompejus gestanden, doch Caesar hatte ihn nach der Schlacht von Pharsalos begnadigt und schließlich sogar zum Statthalter des zisalpinischen Galliens ernannt. Er befand sich in Begleitung seiner Mutter Servilia - nach Mardians Auskunft eine weitere ehemalige Geliebte Caesars. Aber, hatte Mardian mit verächtlichem Achselzucken hinzugefügt, wer war das nicht, außer den Vestalinnen und Caesars Mutter? Es gab Gerüchte, die besagten, daß Brutus Caesars Sohn sei.

Brutus begrüßte sie mit herablassender Miene.

Nach ihm stellte Caesar ihr Marcus Agrippa vor, einen gutaussehenden, aber dennoch grobschlächtig wirkenden jungen Mann. Er hatte kurzgeschnittenes dunkles Haar und wurde im allgemeinen als enger Freund Octavians bezeichnet, ein Tatbestand, der Kleopatra zu denken gab. Schließlich traf sie auf Claudius Marcellus, den Senator. Er war in Purpur gehüllt, kahl, mit kreisrundem Gesicht und sehr selbstgefällig. Neben ihm seine Frau, Tertullia, eine hübsche Römerin mit Puppengesicht, geziertem Benehmen und hauchzarter Stimme.

Kleopatra hatte kein freundliches Willkommen erwartet - nicht von den Römern -, doch was nun folgte, hatte Ähnlichkeit mit den Verhören, denen normalerweise Kriegsgefangene ausgesetzt sind. Wie es schien, hatte die Gesellschaft nichts anderes im Sinn, als sich die alten Vorurteile bestätigen zu lassen und sich frische Nahrung für den Klatsch in den Badehäusern zu besorgen.

»Also, was haltet Ihr denn nun von Rom?« erkundigte sich Marcellus sofort ohne Umschweife.

»Ich habe noch nicht genug gesehen, um mir einen endgültigen Eindruck zu verschaffen«, antwortete Kleopatra diplomatisch.

»Es muß Euch doch großartig vorkommen, im Vergleich zu Ägypten«, fuhr er fort und bewies damit sowohl seine Unkenntnis bezüglich ihres Landes als auch schlechte Manieren. Im ersten Impuls wollte Kleopatra ihn anfahren und zurechtweisen, doch dann besann sie sich eines Besseren und beschloß, sich damit bis nach dem Essen Zeit zu lassen und es dann mit Ruhe und Genuß zu tun.

»Man behauptet, daß Ihr in Eurem Land wie eine Göttin angebetet werdet«, schaltete sich Brutus ein.

Etwas in ihrem Inneren riet ihr, vor diesem jungen Mann auf der Hut zu sein. In seinen Worten lag offenbar eine ganz bestimmte Absicht. »Ja, es gibt Menschen, die glauben, ich sei die Inkarnation der Isis.«

»Unterstützt Ihr diesen Glauben?«

»Ich bin gegen jede Art des Unfugs - und das schon seit Menschengedenken.«

Die letzte Bemerkung ließ Caesar laut auflachen, und auch die Frau des Senators fing an zu kichern. Kleopatras Befrager verzog jedoch keine Miene. Eine beunruhigende Eigenschaft. Menschen, die nicht über sich selbst lachen konnten, fehlte es in der Regel an Weitblick, und sie neigten leicht zu Fanatismus, wenn sie sich einer Sache verschrieben hatten. Gefährliche Menschen.

»Ich glaube nicht an die Göttlichkeit im Menschen«, hielt Brutus ihr entgegen. »In unserer Republik sind alle Menschen gleich.«

»Natürlich sind sie das. Deshalb werden wir heute abend auch von Sklaven bedient, genau wie die armen Waschfrauen auf dem Aventin.«

»Ich habe mich auf die gehobene Schicht bezogen. Nicht auf das gewöhnliche Volk.«

O Göttin, dachte Kleopatra. Das Mahl hat noch nicht begonnen, und sie reißen mich schon in Stücke. Sie schaute sich hilfesuchend zu Caesar um.

»Laßt uns in den Speiseraum gehen«, forderte dieser seine Gäste auf.

Sie begaben sich in das triclinium, wo die Männer ihre schweren, unbequemen Togen ablegten. Dort standen drei langgezogene Ruhebänke in Hufeisenform um einen Tisch, die vierte Seite blieb für den Zugang der Dienstboten offen. Die Ruhebänke wurden dreigeteilt durch Klinen, auf denen sich jeder Gast, auf Kissen gestützt, ausstrecken konnte. Was die Tischordnung betraf, so richtete man sich nach dem Protokoll. Die Ehrenbank befand sich gegenüber der freien Öffnung. Sie gebührte Caesar und Kleopatra. Als dritten bat Caesar Brutus zu ihnen.

Nachdem man sich niedergelassen hatte, nahmen ihnen Sklaven die Sandalen ab und wuschen ihnen die Füße mit Rosenwasser. Andere legten ihnen Rosenkränze um den Hals. Der cellarius erschien mit zwei Amphoren Falernerwein, die er in ein großes Gefäß namens kratera goß, wo er mit Wasser vermischt und mit Schnee aus Thrakien kühl gehalten wurde. In einem der Alkoven musizierten zwei Sklavinnen auf der Lyra und der Flöte.

Das Essen wurde hereingetragen. Der erste Gang, gustus, bestand aus Wachteleierscheibchen, Haselmäusen in Honig, Krebsklößchen in Olivensoße, Austern und Tintenfisch. Als Hauptgericht, mensa prima, servierte man einen geschmorten Wildschweinkopf mit vergoldeten Borsten in süßer Nußsoße. Dazu wurden gedünstete Gladiolenzwiebeln gereicht, Gurkengemüse, gebackene Krickente, ein Gericht, das Caesar als Rosenpastete bezeichnete - aus Kalbsbries, Eiern und Wein

- und als Höhepunkt eine riesengroße gebratene Meeräsche. Meeräsche, so wurde Kleopatra belehrt, betrachte man in Rom als Delikatesse, die sich nur Reiche leisten konnten. Kleopatra kostete zum ersten Mal in ihrem Leben Schweinefleisch. Diese Tiere wurden in Ägypten nicht verzehrt.

Da man mit den Fingern aß, wuschen ihnen die Sklaven immer wieder die Hände. Sie umstanden mit Krügen in der Hand die Ruhebänke, gössen ihnen parfümiertes Wasser über die Finger und trockneten diese anschließend mit Tüchern.

Caesar hatte das Gespräch geschickt von der Politik zu seinen Triumphzügen gelenkt, die in zwei Tagen in Rom stattfinden sollten.

»So etwas hat es in Rom noch nie gegeben«, prahlte Calpurnia in ihrer hohen, durchdringenden Stimme. »Ein einziger Triumphzug ist sonst schon der Höhepunkt im Leben eines Mannes. Aber gleich vier! Das ist einzigartig. Und hinterher wird Caesars Triumphwagen im Capitol neben Jupiter aufgestellt.«

Angesichts Caesars berüchtigter Treulosigkeit fand Kleopatra Calpurnias Stolz bemitleidenswert.

Brutus zog eine finstere Miene. »Findest du es richtig, über römische Brüder zu triumphieren?« fragte er Calpurnia.

»Welche römischen Brüder?« fuhr Caesar ihn an.

»Cato und Scipio unter anderem.«

»Man ist kein Römer, wenn man unter fremder Herrschaft kämpft!« kam es von Caesar.

Brutus schüttelte den Kopf. »Römer zu sein ist eine Auszeichnung, die ewig währt.«

»Wie Göttlichkeit?« fragte Kleopatra. Caesar lachte beifällig, und die anderen lachten notgedrungen mit. Alle - außer Brutus und seiner Mutter. Kleopatra kam zu dem Schluß, daß Caesar zwar ein begnadeter Feldherr, jedoch ein schlechter Menschenkenner war. Man muß sich nur anschauen, mit welchen Leuten er sich umgibt, dachte sie, Menschen, die er als Freunde oder gar als Familie betrachtet. Wie hielt er das aus? Sie ließe sich lieber erwürgen, als daß sie ein weiteres Mahl mit diesem Brutus oder dessen Mutter ertrüge. Und dann dieser Junge, Octavian, mit dem affektierten Gehabe und dem dummen Gekicher! Von Calpurnia ganz zu schweigen.

Vielleicht war er wirklich in Britannien eingefallen, um ihnen allen zu entkommen.

Als letzten Gang, mensa secunda, gab es Kuchen mit attischem Honig, Maulbeeren, Feigen und Granatapfelsaft.

»Roms Problem ist«, teilte Marcellus ihnen währenddessen mit, »daß wir die sittlichen Werte verloren haben, die Rom zu dem gemacht haben, was es heute ist. Ich will nur diese abscheulichen Bacchusriten erwähnen, bei denen sich Männer und Frauen wollüstig vergnügen und im Namen der Religion dem Laster frönen. Oder den Isistempel auf dem Aventin, der inzwischen nicht nur Prostituierten dient, sondern auch als heimlicher Treffpunkt ganz normaler Männer und Frauen gilt. Na, Isis ist ja wohl auch eine Frau - was soll es mich da groß wundern? Die Frauen sind letztlich an allem schuld.«

Er hatte die Worte an Caesar und Octavian gerichtet, doch sie waren eindeutig auf Kleopatra gemünzt. Bitte, wenn er Streit suchte.

»An allem schuld? Darf ich das so verstehen, Claudius Marcellus, daß Ihr Euren Frauen die Niederlage in Parthien zuschreibt? Oder den letzten Bürgerkrieg?«

Marcellus schaute empört in die Runde, weil ausgerechnet eine Frau ihm Widerrede bot, doch verstummen ließ es ihn nicht.

»Was wir ihnen verdanken, ist das erschreckende Handelsdefizit in unserem Haushalt. Sie entkräften das Reich mit ihren Begierden, Moden, teuren Stoffen, Halsketten, Broschen, Ringen, goldenen Armbändern. Nicht ein Tag vergeht, an dem nicht mein Bankier vor mir steht und mich wegen irgendeinem Tand zur Rede stellt, den meine Frau sich zugelegt hat und für den ich bezahlen darf.« Also wirklich, dachte Kleopatra, er redet über seine Frau, als wäre sie nicht anwesend. »Und alles muß aus fremden Ländern sein. Ich könnte mir ein ganzes Haus in den Albaner Bergen leisten mit dem, was meine Frau allein an den Ohren trägt. Die Seide, die sie benötigt, kann kein Mensch in Gold aufwiegen. Wen wundert es da, daß Rom keine Mittel hat, um eine vernünftige Armee zu bezahlen?«

»Marcellus«, unterbrach Kleopatra ihn. »Hat Eure Frau auch Liebschaften?«

Die Frage raubte ihm einen Moment lang die Sprache. Dann schaute er Tertullia an, die seinem Blick auswich. »Natürlich nicht!« entgegnete er im Brustton der Überzeugung.

»Dann ist sie wohl eine rühmliche Ausnahme«, entgegnete Kleopatra. »Mir will nämlich scheinen, daß sich auch die intelligenten und kultivierten Frauen Roms nur deshalb dem Laster verschreiben, weil ihre Ehemänner grenzenlos langweilig sind. Die Männer wiederum sehen darüber hinweg, um sich in Ruhe der Politik widmen zu können wie auch den reizenden Damen eines gewissen Etablissements gegenüber dem Circus Maximus, das sich, wenn ich nicht irre, Venuslaube nennt.«

Aus den Augenwinkeln bemerkte Kleopatra, daß Caesar sie anschaute. Sie blickte ihn fragend an.

Zuerst fürchtete sie, daß er ihr zürnte, doch dann stellte sie fest, daß seine Mundwinkel zuckten, und schließlich warf er den Kopf in den Nacken und fing schallend zu lachen an.

Marcellus' Wangen brannten vor Zorn. Caesars Heiterkeit schien er als ausgesprochen unpassend zu empfinden. »Ich glaube, was Ihr sagt, beweist nur meinen Standpunkt. Die Frau ist ein unbesonnenes Geschöpf. Gewährt man ihr auch nur ein Quentchen an Freiheit, so nutzt sie es umgehend, indem sie es in Prunksucht verwandelt oder gar in Unzucht. Der Mann kann also gar nicht umhin, ihr Zügel anzulegen.«

»Behandelt man die Frauen in Ägypten etwa anders?« ließ sich Octavian vernehmen.

Dieses anmaßende kleine Männerliebchen. Wie konnte er es wagen, sie herauszufordern? »Nun, die wahrhaft Klugen unter ihnen macht man beispielsweise zu Königinnen«, versetzte sie. Caesar applaudierte, und Tertullia lächelte fein. Sogar Calpurnia schien die Unterhaltung Spaß zu machen. Brutus und Octavian tauschten vielsagende Blicke.

»Ihr meint also, daß es den Frauen in Alexandria besser ergeht als in Rom?« erkundigte sich Calpurnia liebenswürdig.

»Die ägyptische Frau kann Geld leihen und verleihen, sie kann Häuser kaufen und verkaufen, alles in ihrem eigenen Namen. Sie braucht keinen männlichen Beistand wie hier in Rom, der sie ein Leben lang gängelt.«

»Und ich behaupte dennoch, daß die römische Frau zuviel Freiheit genießt«, zeterte Marcellus unbeirrt weiter. »Aber sie sollen machen, was sie wollen, solange sie sich nicht in Angelegenheiten mischen, die sie nichts angehen.«

»Als da wären?«

»Die Politik, zum Beispiel, von der eine Frau von Natur aus nichts versteht.«

»Ich glaube, ich weiß, was Ihr ausdrücken wollt. Sie darf also nach Herzenslust Zeit in den Bädern verbringen oder sich die Haare kräuseln, solange sie nichts tut, was ihren Verstand beweist und zeigt, daß dieser dem Euren überlegen ist.«

»Auf diesem Gebiet habe ich keine Befürchtungen«, schnaubte Marcellus verächtlich.

»Dann wollen wir Eure These einmal überprüfen. Was ist, frage ich Euch, wenn Ihr eine Legion von viertausendfünfzig Soldaten habt, von denen fünfhundertachtzig im Kampf gegen die Parther fallen und weitere eintausendfünfzehn verwundet sind. Wie viele sind dann noch unter Eurer Standarte?«

Marcellus blies beide Backen auf und überlegte.

»Die Antwort lautet zweitausendvierhundertfünfundfünfzig«, teilte Kleopatra ihm mit.

»Ich wette, das habt Ihr auswendig gewußt!«

Sie wandte sich an Caesar. »Dann denkt Ihr Euch eine andere Aufgabe für mich aus.«

Caesar gab ihr drei ähnliche Aufgaben, die sie jedesmal richtig löste, während Marcellus die Stirn in Falten legte und seine Finger knetete.

»Ich glaube, sie hat den Beweis erbracht«, sagte Terrullia schließlich, woraufhin ihr Mann sie mit einem giftigen Blick durchbohrte. Dafür setzt es zu Hause garantiert eine Ohrfeige, dachte Kleopatra zornig.

»Es tut mir leid, Marcellus, aber sie hat recht«, hob Caesar an. »Wenn ich ehrlich bin, wäre mir die Königin als Quartiermeister lieber als du.« Danach verschonte er den Senator jedoch vor weiterer Demütigung, indem er in die Hände klatschte und die Spielleute herbeirufen ließ.

»Ich habe gehört, daß Ihr einen Sohn habt«, sagte Brutus zu Kleopatra.

Im Raum breitete sich Stille aus. Kleopatra fing Caesars Blick auf, konnte jedoch nicht erraten, was er dachte. »Ja, ich habe einen Sohn«, erwiderte sie nach kurzer Überlegung.

»Wenn ich einmal einen Sohn habe, werde ich ihn streng nach den Regeln der Philosophie und der Mathematik erziehen lassen«, fuhr Brutus fort. »Man sagt, daß in Alexandria einige der besten Mathematiker der Welt zu Hause sind.«

»Das stimmt. In diesem Punkt sind wir tatsächlich gesegnet.«

»Dann werdet Ihr mit jenen Regeln vielleicht vertraut sein.«

»Das bin ich. Und es würde mich interessieren, wie Ihr Euer Wissen auf Euer Leben übertragt.«

Er lächelte selbstgefällig. Alles, was dieser Mensch im Leben braucht, dachte sie, ist eine Bühne, auf der er seine Tugenden zur Schau stellen kann. Soviel Engherzigkeit in so jungen Jahren! Keine hundert Gladiatoren würden ihn vom rechten Pfad abbringen, selbst wenn sie sich noch so sehr ins Zeug legten.

»Nun, ich zum Beispiel lege mir abends Rechenschaft ab über das, was ich am Tag gut oder schlecht gemacht habe. Ich bin davon überzeugt, daß sich der Wert eines Menschen so berechnen läßt.«

»Ist das nicht ein wenig leidenschaftslos gedacht?«

»Die Leidenschaft ist ein schlechter Steuermann, selbst wenn sich viele von ihr leiten lassen. Ich finde, die Reinheit der Seele ist mehr wert als unser kleines Leben. Am Vorabend der Schlacht bei Pharsalos habe ich Abschnitte aus den Texten des Polybios kopiert, während die anderen Offiziere die Reiterei inspizierten.« Seine Mutter und Marcellus belohnten ihn mit bewundernden Blicken.

»Was ist aus Eurer Reiterei geworden?«

»Sie wurde aufgerieben«, murmelte Caesar.

»Weil ihr Befehlshaber Polybios studiert hat?« fragte sie.

»Ihr versteht meine Aussage nicht«, entgegnete Brutus.

»Und Ihr nicht die meine. Sagt mir, warum Ihr auf Pompejus' Seite gekämpft habt.«

»Ich hielt ihn für den Tugendhafteren«, antwortete Brutus.

»Ich bezweifle, daß der Tugendhaftere Euch im umgekehrten Fall dieselbe Gnade gewährt hätte«, entgegnete sie und erntete dafür einen Blick offenen Hasses von Brutus und seiner Mutter. Sie blieben jedoch stumm.

Die Römer, entdeckte Kleopatra, tranken gern Wein, die Frauen ebenso wie die Männer. Caesar selbst war ein zurückhaltender Trinker, doch als die Spielleute die abendliche Vorführung beendet hatten, waren Marcellus und Calpurnia beschwipst. Kleopatra trank niemals zuviel und nahm den Wein nur sehr stark mit Wasser verdünnt zu sich. Sie hatte erlebt, was der Alkohol bei ihrem Vater bewirkte, und hatte sich geschworen, diesen Fehler nicht zu wiederholen.

Leider war jedoch auch der beste Falernerwein nicht dazu angetan, Calpurnias Reize zu erhöhen. Sie erging sich in hemmungslosem Gerede über diesen oder jenen römischen Senator sowie deren Freunde und Bekannte. Dabei landete sie unweigerlich bei Caesars vormaligem Reiterhauptmann, Marcus Antonius.

»Dein guter Freund macht wieder von sich reden«, nuschelte sie Caesar zu.

Caesar wirkte ungehalten, blieb jedoch ruhig.

»Er trinkt und suhlt sich in der Gesellschaft von Schauspielerinnen«, fuhr Calpurnia fort. »Er hat sogar einen Zwerg, den er mit sich herumschleppt.«

»Ich gebe zu, daß er ein wenig zuviel trinkt«, erwiderte Caesar hölzern.

»Fulvia ist außer sich. Angeblich bekommt er von ihr Kopfnüsse wie ein kleiner Junge. Doch danach zieht er wieder los und tut, als wäre nichts gewesen.« Es schien Calpurnia Spaß zu machen, Caesar mit diesem Thema zu reizen. Vielleicht setzte der Wein den Unmut frei, den sie im nüchternen Zustand verbarg.

»Wie dem auch sei«, wandte Caesar ein, »Marcus ist ein guter Soldat.«

»Nur in Friedenszeiten hat er Probleme«, bemerkte Brutus spitz.

»Man muß jedoch zugeben, daß er sehr attraktiv ist«, kam es von Calpurnia. »Eine Frau dürfte eigentlich froh sein, ihn als Ehemann zu haben. Er behauptet immer, er stamme von Herkules ab. Ich weiß zwar nicht, ob da etwas Wahres dran ist, doch daß viele Frauen in Rom auf seine Keule schwören, weiß ich genau.«

Caesar warf ihr einen angeekelten Blick zu, doch Calpurnia ließ sich nicht beirren und brach in kreischendes Gelächter aus. Diese Römer, dachte Kleopatra. Barbaren.

Später, als sie wieder in dem Haus an der Via Campana waren, fragte sie Mardian, wer dieser Marcus Antonius sei, von dem die Rede gewesen war.

»Ihr werdet Euch nicht mehr an ihn erinnern, Majestät«, erwiderte Mardian. »Er hat in der Armee des Gabinius gekämpft, als man Eurem Vater den Thron zurückgab. Damals nahm er Pelusium ein und verschonte das Leben all jener Ägypter, die Euer Vater töten lassen wollte. Es gibt Alexandriner, die sich seiner sehr gern erinnern.«

»Und welche Rolle spielt er in Rom?«

»Man hält ihn für einen Hitzkopf, doch seine Soldaten schwören auf ihn. Im gallischen Krieg hat er sich sehr verdient gemacht; er wurde dadurch übrigens auch sehr reich. Danach war er Caesars rechte Hand und hat sich auch in Pharsalos hervorgetan. Als Caesar sich an die Verfolgung von Pompejus machte, ernannte er Antonius zu seinem Stellvertreter in Rom und überließ ihm die Regierungsgeschäfte. Daraufhin ging hier alles drunter und drüber. Als Caesar zurückkehrte, randalierten Aufständische in den Straßen, und Marcus Antonius hatte sich wohl ganz dem Alkohol ergeben. Daneben hatte er sich Pompejus' Haus bemächtigt, ohne Caesar auch nur eine Sesterze dafür zu zahlen. Augenscheinlich hat Caesar ihn des Amtes enthoben, und seitdem ist das Verhältnis der beiden gespannt.«

»Caesar schien ihn vorhin jedoch zu verteidigen.«

»Wie es heißt, besitzt dieser Antonius ein gewinnendes Wesen, trotz seiner Fehler. Vielleicht fällt es Caesar schwer, ihn zu hassen. Abgesehen von all diesen Dingen, ist mit Antonius aber durchaus noch zu rechnen. Vor dem Zwist mit Caesar war er dessen offizieller Nachfolger.«

Nun, dachte Kleopatra, inzwischen hat er einen neuen Nachfolger. Wodurch dieser Marcus Antonius mein Feind wäre.

Sie zog sich in ihr Schlafgemach zurück, konnte jedoch nicht einschlafen. An diesem Abend hatte sie Rom erstmalig selbst erlebt und die Meinungen der Menschen kennengelernt, die das Geschick der Stadt bestimmten. Auch ein Schlangennest, hörte sie ihren Vater flüstern. Mit so etwas bin ich schon einmal fertig geworden, antwortete sie ihm im Geist. Warum sollte es nicht ein zweites Mal gelingen? Wer weiß, vielleicht ließe sich auch dieses Mal ein Gewinn erzielen. Leider hing sehr viel davon ab, was in Caesars Kopf vor sich ging - und die Windungen dieses Schlangennests konnte kein Mensch erahnen.

3

Der Triumphzug begann am Marsfeld, zog an den Kolonnaden des Circus Maximus vorbei, der großen Arena, die sich zwischen den Hügeln des Palatin und Aventin erstreckte, und von dort aus zum Forum Romanum, einem häßlichen Platz voller Tempel, Statuen und öffentlicher Gebäude. In der Mitte dieses Platzes befand sich eine breite Tribüne, die Rostra, von der aus die Tribunen ihre Volksreden hielten. Für Kleopatra stand das Forum sinnbildlich für Rom: eine wahllos zusammengewürfelte Anhäufung von Machtmonumenten, getragen von einer richtungslosen Architektur, die sich blindlings der Kopien aus aller Welt bediente. Ohne Harmonie, ohne Maß, ohne Form. Die Ästhetik von Barbaren.

Man hatte ihr und ihrem Gefolge Plätze auf einer Tribüne mit schattenspendenden Seidenbaldachinen zugewiesen, von denen aus man einen Blick über das gesamte Forum hatte. Für Kleopatra selbst war ein Ehrenplatz vorgesehen, gleich neben Calpurnia, Octavian und anderen Mitgliedern aus Caesars Kreis. Antiochos saß neben ihr, still wie immer, eingeschüchtert von dem Anlaß wie auch der Menschenmenge, die sich versammelt hatte.

Kleopatra war sich bewußt, daß sie von allen angestarrt wurde. Mardian hatte ihr berichtet, daß man in Rom über nichts anderes redete als über ihre Verbindung mit Caesar und daß man sich die Mäuler zerriß über das, was in dem Haus an der Via Campana vor sich ging.

Es war nicht nur das gemeine Volk, das sie angaffte. Mehrmals spürte sie, daß auch Calpurnias Blicke auf ihr ruhten. Desgleichen die von Octavian, der hinter ihr Platz genommen hatte. Er befand sich in Gesellschaft von Agrippa und Maecenas, weiteren geckenhaften Menschen von Rang. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was sie miteinander trieben, wenn die Kerzen verlöscht waren.

Es herrschte eine ausgelassene Volksfeststimmung. Die Straßen und Tribünen barsten schier vor Menschen, die Luft war durchtränkt von ihrem Schweißgeruch und dem Weihrauch, der aus den Tempeln quoll.

An dem immer lauter werdenden Stimmengewirr erkannte sie, daß sich der Zug allmählich näherte. Der Applaus und das Geschrei der Menge schwoll zu ohrenbetäubendem Gebrüll an, als er in die Via Sacra bog, vorbei am Tempel von Castor und Pollux und der halbfertigen Eingangshalle des neuen julianischen Forums. Die Herolde mit den Trompeten tauchten als erste auf, danach die Priester des Jupiter-, Apollo- und natürlich des Venustempels, Caesars ureigenster Ahnfrau. Hinter ihnen drängten sich, nach Rangordnung gestuft, verschwitzt und altersschwach, die Magistrate und Senatoren der Republik.

Dahinter wiederum endlose Reihen hölzerner Fuhrwerke, die unter dem Gewicht von Goldtellern und Silberpokalen ächzten -unzählige Beutestücke, die man aus Gallien herausgeschleppt hatte. Es waren deren so viele, daß es mit der Zeit ermüdend wurde, sie zu bewundern. Selbst das Volk wurde unruhig. Offenbar gab es nur eine bestimmte Menge Gold, die das Auge ertragen konnte.

Den Fuhrwerken folgte die Armee. Zuerst die schwere Reiterei, furchteinflößend in goldenen Helmen mit heruntergeklappten Visieren, die die Gesichter im verborgenen ließen. Danach kamen die Fußsoldaten. Die Standartenträger reckten die Adlerwappen der Legionen hoch in die Luft, gemeinsam mit den Tafeln, die die Namen der Schlachten trugen: Agedincum, Lugdunum, Gregovia, Alesia.

Die Soldaten sangen, als sie in das Forum marschierten, und die Menge grölte und lachte.

Römer, schließt eure Frauen ein, heim kommt der kahle Hurensohn, all das Gold, das ihr ihm schenktet, ward der gallischen Dirnen Lohn.

Sie hörte, wie Agrippa hinter ihr anfing zu glucksen und fragte sich, ob Calpurnia das auch so lustig fand wie er.

Am Ende des Zuges tauchten nun Caesars Gefangene auf, die schwer an ihren Ketten trugen und von Wachen umringt waren. Die Haare waren verklebt und die Bärte in den langen Jahren der Gefangenschaft wild gewuchert. Sie waren dreckig und zerlumpt, trugen nur Fetzen aus Leder und Fell. Einer schlurfte hinter dem anderen her, geschundene, jämmerliche Gestalten, geblendet vom plötzlichen Tageslicht und umjohlt von der Menge, die sie mit Unrat bewarf.

Als letzter und allein ging Vercingetorix, der kühne Häuptling, der Caesar so viele Jahre lang mutig getrotzt hatte. Auch die sechs Jahre im Tullianum-Gefängnis hatten ihn nicht gebrochen. Mit hocherhobenem Kopf blickte er auf das Volk, das die Straßen säumte, und die Menschen wurden stumm und schauten betreten zu Boden.

Doch dann brach die Menge in ekstatische Begeisterungsstürme aus. Caesar erschien. Auf einem goldenen Wagen, gezogen von vier Schimmeln, das Elfenbeinszepter mit dem römischen Legionsadler in der linken, einen Lorbeerzweig in der rechten Hand. Hinter ihm stand ein Sklave, der die schwere Goldkrone Jupiters über sein Haupt hielt.

Der Zweck dieses Sklaven, so hatte man Kleopatra erklärt, sei zweifacher Natur. Zum einen trug er das Gewicht der Krone, deren Bürde zu schwer war, um auf dem Haupt eines Menschen zu ruhen. Zum anderen war es seine Aufgabe, den Triumphator an die eigene Sterblichkeit zu gemahnen. Während der Prozession, in der der Gefeierte die Huldigungen des Volkes entgegennahm, hatte er ihm zuzuflüstern: Schau hinter dich! Denke daran, daß du Mensch bist.

Diese Römer, dachte Kleopatra kopfschüttelnd. Auf was für verrückte Ideen sie kamen!

Sie wandte sich nach hinten um. »Die Gefangenen«, sagte sie zu Octavian, »was geschieht mit ihnen?«

»Man bringt sie in die Kerker unter dem Tullianum, wo sie hingerichtet werden.«

Sie betrachtete ihn voller Abscheu. »Caesar hat Vercingetorix sechs Jahre lang gefangengehalten, um ihn dann einen Tag lang vorzuführen und ihn anschließend umbringen zu lassen?«

Der Junge zuckte mit den Schultern. »Warum nicht?« erwiderte er feixend.

Mein Julius, dachte sie. Welch ein rätselhafter Mensch er doch ist! Ein Mann der Nachsicht und der Grausamkeit. Bei seiner Unberechenbarkeit ist es überhaupt nicht so abwegig, daß er mich zu seiner Königin macht.

Dann war alles vorbei. Die Menge löste sich auf und drängte sich aus dem Forum. Über die Via Sacra schaukelte bereits der erste Sänftenzug auf den Circus Maximus zu, wo das heiß ersehnte Nachmittagsspektakel stattfinden sollte.

Als sie den Circus erreichten, mühte sich schon eine Vielzahl an Legionären, die neuerlichen Menschenmassen in Schach zu halten. Kleopatra und Antiochos leitete man an allen vorbei zu den Stufen des Stadions. Als sie die Arena betrat, schaute sie verblüfft um sich. Die Sitzreihen türmten sich in die Höhe, und ein Gewirr aus Lärm und Farben ergoß sich darüber wie aus einem Trichter. Caesar hatte ihr gesagt, daß der Circus hundertfünfzigtausend Menschen faßte, doch sie hatte das bislang als leere Prahlerei abgetan.

Ihr und Antiochos wurden die vergoldeten Stühle zwischen dem Satrapen von Galatien und Bogud, dem König von Mauretanien, zugewiesen. Kleopatra warf einen verstohlenen Blick auf Boguds Königin Eunoe. Also wirklich, Caesars Ansprüche mußten arg gesunken sein.

Sie wurde von Caesar offiziell begrüßt, der sich bereits auf seinem Ehrenplatz eingefunden hatte. Er war mit einer prächtigen fransenbesetzten Toga bekleidet, über die ein breiter Purpurstreifen lief, und trug den goldenen Lorbeerkranz auf dem Haupt. Neben ihm saßen Calpurnia und Octavian.

»Was geschieht jetzt?« flüsterte Antiochos.

»Irgendeine Form der Unterhaltung«, antwortete Kleopatra.

»Werden Tänze aufgeführt?« fragte er.

Sie zog es vor, ihm keine Antwort zu geben. Man hatte ihr bereits warnend zu verstehen gegeben, was von der römischen Form der Freizeitgestaltung zu erwarten sei.

Um die Arena war ein Wassergraben gezogen worden, dessen Funktion Kleopatra bald entschlüsseln sollte. Als die Herolde die Trompeten erschallen ließen, verstummte die Menge. Caesar stand auf und hob die rechte Hand. »Laßt die Spiele beginnen!« rief er.

Am Ende der Arena wurde ein eisernes Tor aufgeworfen. Durch die Zuschauer lief ein ehrfürchtiges Raunen, als ein ungezähmter Löwe daraus hervorschoß, der sich knurrend und fauchend in die Arena stürzte, angestachelt von der plötzlichen Freiheit und erregt durch die Nähe von hundertundfünfzigtausend warmen Leibern.

Drei Männer rannten hinter ihm auf die Sandfläche, zwei davon in Helm und Rüstung, ledernen Arm- und Beinschonern, einer jedoch nur mit dünner Tunika bekleidet und bewaffnet mit einem langen Speer.

»Das sind der bestiarius und die venatores!« Caesar hatte sich vorgeneigt, um es ihr zu erklären. »Es sind ausgebildete Gladiatoren, die sich auf den Tierkampf spezialisiert haben.«

Der Löwe verharrte regungslos auf der Stelle und fixierte die Eindringlinge mit starrem Blick. Sein Knurren ging nun unter in dem Gekreisch der Menge. Als die venatores das Tier jedoch zu umkreisen begannen, senkte sich tödliche Stille über das Stadion.

»Es geht um Schnelligkeit und Geschick«, flüsterte Caesar ihr ins Ohr. »Der erste Stoß muß direkt ins Herz zielen.«

Der Löwe ließ seine Gegner nicht aus den Augen. Mit einemmal setzte er sich in Trab und stürmte auf einen der Herausforderer zu. Dieser ließ ihn fast bis auf eine Handbreit an sich herankommen, trat im letzten Augenblick behend zur Seite und rammte ihm den Speer in den Leib.

Doch das Ziel hatte er verfehlt. Zwar sprudelte aus der Flanke des Tieres dunkelrotes Blut, aber der Stoß war keineswegs tödlich gewesen. Der Löwe lag zuckend auf der Seite und versuchte, sich wieder aufzurichten. Kleopatra sah, daß der Speer noch in seinem Körper steckte. Er setzte zum Sprung an. Die Wucht des Angriffs riß den nun wehrlosen Gladiator zu Boden. Die Zähne des Löwen schlugen in seinen Hals. Seine markerschütternden Schreie gingen im Toben der Menge unter.

Danach stürmten mehrere Männer in die Arena, die in schneller Abfolge drei Pfeile auf den Löwen abschössen. Das Tier versuchte ihnen auszuweichen, doch die neuerlichen Verletzungen machten es benommen. Es stolperte seitwärts. Einer seiner Angreifer durchbohrte ihm den Leib mit einem Speer. Der Löwe taumelte, sank zu Boden und blieb erstarrt liegen.

Der tote Gladiator und das tote Tier wurden aus der Arena geschafft. Sie ließen eine dunkle Blutlache auf dem Sand zurück.

Caesar schüttelte den Kopf und zog die Stirn in enttäuschte Falten. »Ich hoffe, die anderen taugen mehr als dieser erste«, sagte er, als hätte er sich durch den langweiligen ersten Akt eines neuen Theaterstücks gequält.

»Ich bin sicher, daß er es beim nächsten Mal besser macht«, entgegnete Kleopatra, und Caesar runzelte die Stirn. Offenbar wußte er nicht, ob er ihren Witz erheiternd oder beleidigend finden sollte.

Sie warf einen Blick auf Antiochos. Der Junge war leichenblaß. Sie hoffte, daß er ihr nicht die Schmach antat, vor aller Augen in Ohnmacht zu fallen.

Kleopatra versuchte, ihren Ekel gegenüber dieser Art von Belustigung zu verbergen, um ihre Gastgeber nicht vor den Kopf zu stoßen. Im Grunde jedoch bestätigte es ihr nur, um welche Sorte Menschen es sich bei diesen Römern handelte, und endlich wußte sie auch, warum man sie auf der Welt so sehr fürchtete. Hundertundfünfzigtausend Römer, eingepfercht in diesem Stadion, und jeder von ihnen im Rausch der Gewalt. Selbst Caesars sonst so ausdrucksloses Gesicht war von der Aufregung gerötet. Sie lieben es zu morden, dachte sie. Es ist ihr ganzes Leben.

Die Kämpfe zogen sich bis weit in den Nachmittag, eine endlose Abfolge von Gladiatoren in unterschiedlicher Aufmachung, im Kampf gegen Löwen, Bären und Wildschweine. Als der erste Blutdurst der Zuschauer gestillt war, wurde das Todeshandwerk beschleunigt, und Gefangene wurden in Scharen in die Arena gebracht. Sie wurden anschließend von ganzen Rudeln wilder Löwen gejagt. Die Zuschauer waren auf die Sitze geklettert und johlten vor Vergnügen.

Zur Feier des Tages hatte man sich auch bislang unbekannte Wettkämpfe ausgedacht, um den Reiz der Darbietungen immer wieder neu zu entfachen. Löwen kämpften gegen Krokodile, eine Pythonschlange gegen ein Wildschwein, ein Stier gegen einen Bären. Kleopatra schaute nicht mehr hin. Nicht daß ihr der Anblick von Blut oder von Toten etwas ausgemacht hätte -davon hatte sie als Ptolemaierin längst genug gesehen. Nein, es waren die übertriebene Grausamkeit und die sinnlose Verschwendung des Lebens, die ihr zu schaffen machten. Hinrichtungen gehörten zum politischen Alltag, daran ließ sich nichts ändern, doch sie als Volksfest zu feiern empfand Kleopatra als geschmacklos und obszön.

Der Sand in der Arena war inzwischen schwarz vor Blut. Immer häufiger waren die Wärter und Aufseher gezwungen, in die Arena zu laufen, um frischen Sand über die geronnene

Masse zu schütten. Die Leiber der toten Tiere wurden an einem Ende des Stadions aufgestapelt. Nubische Löwen, syrische Bären und ägyptische Krokodile türmten sich dort auf, als blutiges Denkmal geschändeten Lebens.

Antiochos, das mußte Kleopatra ihm zugute halten, fiel nicht in Ohnmacht, doch etliche Male befürchtete sie, er würde sich erbrechen. Sein Gesicht war totenblaß, und seine Augen blickten starr vor Entsetzen, denn von dem Gemetzel einmal abgesehen, handelte es sich bei einigen der Tiere auch um jene, die man in Ägypten als Inkarnationen der Götter betrachtete.

Gegen Ende der Vorstellung unterzog man sich schließlich nicht mehr der Mühe eines Wettkampfes. Statt dessen wurde eine Herde verängstigter, wild trompetender Elefanten in die Arena getrieben, die von Männern mit Pfeilen und Speeren gejagt und abgeschlachtet wurden. Einer der Elefanten stürzte zu ihren Füßen zu Boden, den Leib aufgerissen, mit hervorquellenden Gedärmen, die in den Wassergraben schlitterten.

All dieses Morden. Wozu? Die Römer schienen entschlossen, die Welt nicht nur ihres Goldes und ihrer Juwelen zu berauben, sondern auch all ihrer Lebewesen. Wie konnten sie ihre Götter preisen, wenn ihnen gar nichts heilig war? Und dann gingen sie hin und nannten den Rest der Welt barbarisch.

Kleopatra würde diese Menschen niemals begreifen.

4

Der folgende Tag war dem Triumph über Ägypten gewidmet. Und als wäre es des Feierns und Trinkens noch nicht genug gewesen, gab Caesar zuvor eigens ein Fest in seinem Haus, um diesen Anlaß speziell zu würdigen. Der Abend stand unter dem Motto Aegyptus. Kleopatra hatte ihm bangend entgegengesehen, und wie es schien, waren ihre Sorgen nicht unberechtigt gewesen.

Denn was bei Caesars Fest herauskam, war nur eine Parodie auf Ägypten, die Kleopatra zeigte, was Rom von ihr und ihrem Land hielt. Es war das Ägypten der Priester und der chora, so als gäbe es ihre wunderschöne Stadt Alexandria gar nicht, als hätte man noch nie etwas von dem Museion gehört, das der Welt soviel an wissenschaftlichen Erkenntnissen beschert hatte.

Als sie das Haus betrat, entdeckte sie im Atrium als erstes die Alabasterstatue eines Nilpferdes, umgeben von zwei Alabasterkrokodilen. Im Peristyl hatte man weitere Statuen aufgestellt: eine Sphinx, eine Pyramide und etliche Obelisken. Die Sklaven und Dienstboten trugen Kleidung, die die Römer sich als typisch ägyptisch vorstellten, was bedeutete, daß man mehr Material auf dem Kopf als um die Lenden trug. Unter den Gästen befand sich ein Anubis, als Hüter der Unterwelt, in der Maske eines Hundes und dem Gewand eines Pharaos. Es gab Sklavinnen, die halb nackt zu Trommel- und Flötenmusik tanzten, und Senatorenfrauen, die vierlagige Goldkragen auf engen langen Kleidern trugen sowie Stirnreifen mit aufgereckter Goldkobra - eine Verunglimpfung der heiligen ägyptischen Krone.

Alle hatten vergessen, daß es sich bei den Ptolemaiern um Makedonen handelte.

Im Gegensatz dazu erschien Kleopatra in einer Robe, die einem offiziellen Bankett angemessen war - ein lose fallendes griechisches Gewand aus zartestem Blau, ein juwelenbesetztes Diadem und goldene Sandalen. Als sie den Blick über die anderen Gäste gleiten ließ, fragte sie sich, ob man sie unter diesen Bedingungen überhaupt für die Königin von Ägypten halten würde, denn unter den ganzen Frauen war sie die einzige, die nicht aussah wie eine Pharaonin.

Er war selbstgefällig und blasiert, weich und dicklich. Hinter ihm drängte sich eine Schar von Bewunderern, schnatternd wie Gänse. »Cicero«, flüsterte Mardian Kleopatra ins Ohr. Das Mädchen an Ciceros Arm hätte seine Enkelin sein können. Er war ihr sofort unsympathisch.

»Marcus Tullius Cicero«, teilte er ihr mit, als Caesar ihn zu ihr führte. »Ich bin sicher, Ihr habt von mir gehört.«

»Nein«, log sie. »Wart Ihr mit Caesar in Pharsalos?«

Seine Augen blitzten sie wütend an. »Sehe ich etwa aus wie ein Soldat?«

»Niemals.«

Dafür erntete sie einen sehr frostigen Blick. Cicero schritt weiter.

Mardian neigte sich zu ihr. »Solche Männer solltet Ihr Euch nicht zum Feind machen, Majestät«, flüsterte er.

»Glaubst du, daß Freundschaft hier etwas gilt? Selbst wenn ich die innigste Geliebte von einem von ihnen wäre, würde dieser mich am nächsten Tag verleugnen, und zwar ohne mit der Wimper zu zucken. Wer war das Mädchen bei Cicero?«

»Ihr Name ist Publilia«, antwortete Mardian.

»Wie alt ist sie?«

»Nicht sehr alt. Man behauptet, daß er sie wegen ihres Geldes geheiratet hat.«

»Womit ihm sogar die Ausrede der Lüsternheit versagt wäre.«

»Als er sich von seiner ersten Frau scheiden ließ, wurde er gefragt, ob er sich wieder verheiraten würde. Als Antwort sagte er, niemand könne eine Frau und die Philosophie verkraften. Das war jedoch bevor man ihn zwang, die Mitgift seiner Frau zurückzuzahlen. Also heiratete er die zweite, um sich von der ersten scheiden lassen zu können.«

»Armer Cicero.«

»Arme Publilia.«

Ganz Rom wollte offenbar Kleopatras Bekanntschaft machen, sei es aus Neugier oder einfach nur, um nachher etwas zum Reden zu haben. Mehrmals entdeckte sie, daß auch Caesars Blick auf ihr ruhte, doch da er ebenso gefragt war wie sie, bot sich keine Gelegenheit zu einem privaten Gespräch. Schließlich jedoch fand er einen Moment Zeit für sie.

Allerdings sah er müde aus, und sie konnte erkennen, daß es ihm nicht leichtfiel, das Lächeln des Triumphators aufrechtzuerhalten.

»Ein schöner Tag für Caesar«, sagte sie.

»Vielen Dank. Wirst du morgen dabeisein?«

Morgen. Der Tag des Triumphs über Ägypten. Der Grund, weshalb er sie nach Rom geladen hatte. »Ich muß doch sehen, wie Alexandria bezwungen wurde.«

Er wirkte beinahe verlegen. »Bedenke, daß es nur Theater ist«, sagte er. »Entsetze dich nicht bei dem, was du siehst oder hörst. Sei nur zugegen, damit man begreift, daß ich nicht dich besiegt habe, sondern deine Feinde.«

Wie sollte sie sich nicht entsetzen, wenn doch ihre Schwester unter den Gefangenen sein würde?

»Laß uns jetzt dem Protokoll Genüge tun«, bat er sie. Er führte sie und Antiochos zu einem Podest am Ende des Raumes. Als sie die Stufen emporstiegen, wurde es still. Caesar hielt eine lange Rede, in der er Königin Kleopatra VII. und König Ptolemaios Antiochos von Ägypten in Rom willkommen hieß - als hochgeschätzte Gäste der Republik. »Heute ehren wir den König und die Königin von Ägypten«, schloß er, »und nehmen sie auf als Freunde und Verbündete des römischen Volkes.«

Es wurden einige Trinksprüche auf sie ausgebracht, doch das war bereits alles.

Vielleicht bin ich für ihn nur noch das, dachte sie. Ein hochgeschätzter Gast. Mit einemmal wurde ihr schmerzhaft bewußt, daß sie mit ihrem Besuch nicht nur hatte erreichen wollen, daß er Caesarion anerkannte, sondern auch sie selbst. Ich bin einsam, ging es ihr durch den Kopf. Mir fehlt sein Körper. Ich will, daß er mich berührt, daß er mich in den Armen hält - und daß er mich liebt.

Er darf nicht merken, wie närrisch du bist, sagte sie zu sich selbst. Du bist nur eine seiner Eroberungen, genau wie Eunoe, wie die Frau von Pompejus - wie Gallien. Einer seiner Triumphe. Eine seiner Dirnen. Versteck dein einfältiges Frauenherz und tu, was für Caesarion richtig ist.

Während des restlichen Abends bekam sie Caesar kaum noch zu Gesicht. Statt dessen mußte sie langweilige Gespräche über sich ergehen lassen und sinnlose Fragen beantworten. Stimmt es, daß die Ägypter Krokodile anbeten? Ist es wahr, daß sie ihre Toten einbalsamieren? Gibt es in den Straßen tatsächlich so viele Skorpione wie Ameisen?

Im Grunde hätte sie den ganzen Abend vergessen können, wenn sie nicht zum ersten Mal den berüchtigten Marcus Antonius erblickt hätte.

Er war einer der eindrucksvollsten Männer, die sie je gesehen hatte. Sein Körper war der eines Gladiators, das Gesicht das eines Schlächters und die wilde dunkle Lockenpracht die eines Gottes. Kleopatra sah, wie sich ihm alle Gesichter zuwandten, als er eintrat, die der Männer mit stillem Neid, die der Frauen mit eindeutiger Bewunderung. Auf das vorgeschriebene ägyptische Kostüm hatte er verzichtet. Er trug ein Löwenfell, das an der Schulter zusammengeknotet war und die feste Rücken- und Brustmuskulatur freilegte. Über die Schulter hatte er sich eine Keule geschwungen.

Er war einfach als Herkules erschienen, in offener Mißachtung des Protokolls. Außerdem war er sturzbetrunken, was dem Protokoll wahrscheinlich ebensowenig entsprach.

Antonius hatte noch nicht die Mitte des Atriums erreicht, als er bereits stolperte und danach erst einmal schwankend auf der Stelle stand. Dann hatte er sein Gleichgewicht jedoch wieder zurückerlangt und sich weiter vorwärts bewegt - allerdings mehr wie jemand, der den Fluß auf einem schwimmenden Baumstamm überquert.

Marcus Antonius war nicht allein gekommen. In seiner Gesellschaft befand sich eine Truppe Musikanten, Schauspieler und Dirnen. Eine Frau, die genauso betrunken war wie er, hatte sich so eng an ihn geschmiegt, daß man nicht wußte, wer wen stützte. Sie war schön, wenn auch auf eine etwas grelle Art, und lachte viel zu laut.

»Wer ist das?« erkundigte Kleopatra sich bei dem Senator, mit dem sie sich gerade unterhalten hatte.

»Das ist Marcus Antonius«, antwortete er und verzog das Gesicht zu einer geringschätzigen Grimasse. »Tut so, als sei er Nachfahre des Herkules. Als Caesar bei Euch in Ägypten weilte, war er Konsul. Welch ein Desaster! Caesar hat ihn daraufhin des Amtes enthoben.«

Plötzlich tauchte eine Frau mit einer Mähne aus weizenblondem Haar im Atrium auf und bahnte sich einen Weg durch die Gäste, als sei sie ein Zenturio, der im Forum einen Menschenauflauf zerschlägt. Dann stand sie mit in die Seiten gestemmten Fäusten vor dem Neuankömmling, der sie verwundert anstarrte.

»Was fällt dir eigentlich ein?« zischte sie.

Marcus Antonius drehte sich zu seinem Gefolge um, unter denen etliche mit einemmal erschrockene oder betretene Mienen zeigten. »Das ist meine Frau!« rief er so erstaunt, als habe er gerade ein Gesetz der Logik entdeckt.

»Schaff auf der Stelle diese Schlampe fort«, fauchte sie und deutete auf Antonius' Begleiterin. »Und der Rest dieses Gesindels kann ebenfalls verschwinden!«

Antonius' Gespielin warf ihr einen hochmütigen Blick zu, befreite sich jedoch aus seinen Armen und strebte dem Ausgang zu. Die anderen folgten ihr wortlos, einer nach dem anderen. Antonius schaute ihnen enttäuscht nach. Dann aber drehte er sich um, breitete die Arme aus und flüsterte so laut, daß es alle hören konnten: »Liebste, wie wäre es mit einem schnellen, kleinen Schäferstündchen?«

Die Ohrfeige ließ seinen Kopf zurückschnellen. Er stürzte jedoch nicht, sondern taumelte nur zu dem Springbrunnen, der im effluvium plätscherte. Fulvia ließ ihre Sklaven herbeiholen und verließ das Fest wenige Augenblicke später in einer Sänfte.

Marcus Antonius erbrach sich in den Springbrunnen. Danach rief er einen der Dienstboten zu sich und erbat einen neuen Pokal mit Wein. Das Fest nahm kurz danach seinen Lauf, als sei nichts geschehen.

»Ein garstiges Schauspiel«, bemerkte Mardian später, als Kleopatra mit ihrem Gefolge wieder zu Hause war.

»Stimmt. Man scheint der Ansicht zu sein, Ägypten bestünde nur aus Krokodilen und heterai.«

»Ich rede von Marcus Antonius.«

Sie lächelte. Wenn er wollte, konnte ihr tropheus so prüde sein wie ein römischer Senator.

»Er war wenigstens unterhaltsam.«

»Majestät, dieser Mensch ist dekadenter als die meisten Römer, und das will etwas heißen. Man erzählt sich, daß ihm einmal ein römischer Senator eine halbe Million Sesterzen geboten habe, wenn er sich von dessen Sohn fernhielte. Der Mann wußte, daß Antonius den Jungen sonst verdirbt. Antonius trinkt, hurt und praßt.«

»Nun, Caesar hat offenbar doch einige interessante Freunde. Was ist mit der Gesellschaft, die Marcus Antonius bei sich hatte?«

»Schauspieler, Musikanten und andere Tagediebe. Aus dem Dionysischen Bund. Es kursiert das Gerücht, daß Marcus Antonius die Bacchusriten befolgt und daß auf seinem Landsitz im Namen dieses Gottes unaussprechliche Dinge geschehen.«

»Seine Frau wirkt ziemlich einschüchternd.«

»In der Tat, Majestät. Die Rede geht, daß man sie allein nach Parthien schicken könnte, um die vergangene Schmach zu rächen.«

Kleopatra lächelte. »Und ich dachte schon, die römischen Frauen wären kleine Mäuschen.«

»Nun, für dieses kleine Mäuschen sind die römischen Männer eher der Käse.«

Das also war Rom - je mehr Kleopatra darüber erfuhr, um so verwunderlicher fand sie es. Greise saßen im Senat und hielten lange Reden, während sich die Jungen in Bordellen und Tavernen herumtrieben. Sie konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß sich die vielgepriesene Stadt im Untergang befand.

Die Zeit war reif. Ein starker Mann mußte jetzt die Zügel in die Hand nehmen. Zeit für einen Mann wie Caesar. Zeit für einen König.

Und für eine Königin.

5

Rom glich einem Hexenkessel. Von überall her waren die Menschen zusammengeströmt, um bei diesem grandiosen Ereignis dabeizusein. Vier Triumphe für einen Mann - und damit verbunden eine nicht enden wollende Abfolge von Spielen und freies Essen für jedermann. Am vorangegangenen Tag war der Ansturm auf den Circus Maximus so gewaltig gewesen, daß es Tote im Gedränge gegeben hatte. Wie von Calpurnia vorausgesagt, war dergleichen noch nie dagewesen und würde es womöglich auch nie mehr geben.

Als nun der ägyptische Triumphzug anstand, hatten sich die Erwartungen zu fieberhafter Unruhe gesteigert. Der Sensationshunger der Massen war durch den gallischen Umzug schon angestachelt, und nun gierte man nach mehr. Anschließend, so hatte Caesar versprochen, gäbe es anstelle der üblichen Wagenrennen und Kämpfe im Circus Maximus eine Seeschlacht auf einem eigens dafür angelegten See auf dem Marsfeld.

Kostenlose Speisung und blutgetränkter Sand! Nichts konnte das römische Herz höher schlagen lassen.

Es handelte sich um ein ähnliches Spektakel wie das in Caesars Haus. Caesar wußte, was bei den Menschen ankam.

Nun, die Massen wünschten den Kitzel des Exotischen, und genau das war es, was er ihnen gab. Es begann mit einer Parade halbnackter Nubier mit ölglänzender Haut, die trommelnd und Trompeten blasend vorbeizogen, gefolgt von Frauen in hauchdünnen Gewändern, die sich mit verführerischen Tanzschritten zum Klang von Schellen und Sistren durch die Straßen bewegten. Es waren zwar keine Ägypterinnen, sondern Syrerinnen, aber was machte das schon für einen Unterschied? Ihnen schloß sich eine Gruppe Priester aus dem hiesigen Isistempel an, die ihre Weihrauchgefäße schwenkten.

Die Menge tobte.

»Sie machen sich über uns lustig«, flüsterte Antiochos neben Kleopatra.

»Schau einfach nur still hin«, flüsterte sie zurück.

Das ist der Osten ihrer Phantasie, dachte sie, ein Land mit billigen Tänzerinnen und barbarischem Musikgetön. Nicht das Ägypten der Wirklichkeit, der wohlgeordnete Staat mit einer sorgsam geführten Bürokratie und einer Zivilisation, die der ihren um tausend Jahre voraus ist. Nein, für diese Menschen hier waren sie einfach nur fremdländische Schaustücke. Armselige Sumpfpflanzen.

Ein Karren holperte an ihnen vorbei. Obenauf prangte ein nachgemachter Leuchtturm, aus dessen Spitze tatsächlich Rauch quoll. Ein erschrecktes Gemurmel ging durch die Zuschauer, als die Krokodile durch die Käfiggitter nach ihnen schnappten, und etliche Frauen schrien auf, als Panther an langen Leinen an ihnen vorbeischlichen, gefolgt von riesigen, verwundert dreinschauenden Straußenvögeln. Dann hörte man aufgeregtes Raunen, und anschließend war es, als hielten alle die Luft an. Sie dachte schon, es müsse sich um Caesar selbst handeln, der jetzt käme, doch statt dessen war es eine Giraffe. Die erste, die man in Rom zu Gesicht bekam. In Ägypten gab es zwar weder Panther noch Giraffen, aber bitte, warum sollte man sich daran stören?

Danach marschierten die Legionen auf und grölten ihre Zotenlieder. Sie hörte die Worte, sah, daß die Köpfe sich in ihre Richtung drehten, und spürte, wie ihr die Glut in die Wangen stieg.

Als Caesar nach Ägypten kam, da traf der Mars die Venus, und als er die Kleopatra sah, da traf sein Speer was Schönes.

Bedenke, daß es nur Theater ist, hatte er gesagt. Entsetze dich nicht bei dem, was du siehst oder hörst.

Nur Theater? O nein, das war nicht nur Theater! Da durfte man sich ruhig entsetzen. Aber sie würde es ertragen. Sie würde es ertragen, um zu beweisen, daß Caesar nicht über sie, sondern über ihre Feinde gesiegt hatte.

Riesige Wachsimitationen von Pothinos und Achillas schwankten auf großen Tragstühlen vorbei. Die Menge bewarf sie mit Straßenkot und faulem Obst. Ihnen schlössen sich die Gefangenen an. Ganymedes - bei weitem nicht mehr so rundlich wie früher, die vormals glänzenden Locken hingen ihm strähnig und stumpf um den Kopf. Er erntete weiteres Gejohle, und auch auf ihm landete der Unrat.

Dann, hochaufgerichtet hinter ihm, erschien Arsinoe. Sie war während ihres Aufenthalts im Tullianum fast bis auf die Knochen abgemagert, doch ihre Schönheit und stolze Haltung riefen Achtung hervor, genau wie es bei Vercingetorix der Fall gewesen war. Wieder spürte Kleopatra, wie die Augen der Zuschauer sie durchbohrten, darunter einige, die nur mitbekommen wollten, wie sie reagierte, während andere sie mit offener Feindseligkeit anstarrten. Wahrscheinlich waren sie der Meinung, daß sie hätte Sorge tragen müssen, ihre Schwester zu verschonen.

Sie merkte, wie sich ihr der Magen zusammenkrampfte. Wir waren zwar Feindinnen, dachte sie, dennoch ist sie meine Schwester. Muß ich wirklich still dasitzen und ungerührt zuschauen? Sie sah, wie Mardian den Blick abwandte. Antiochos' zarter Brustkasten ging heftig auf und ab, und er bedeckte sein Gesicht mit den Händen. Kleopatra packte seine Handgelenke und riß sie herunter. Er durfte ihr nicht noch größere Schande bereiten.

Während Arsinoe langsam an ihnen vorbeizog, gelobte sie sich: Das lasse ich sie niemals mit mir tun, was immer auch geschieht. Ich sterbe von eigener Hand, ehe mich Rom in Ketten durch das Forum schleift.

Sie sah Caesar kurz nach dem Ende des Triumphzuges. Er war umgeben von Beamten und jungen Offizieren, die sich in seinem Ruhm sonnten. Er wirkte vollkommen erschöpft.

Kleopatra erinnerte sich daran, wie er in Alexandria in voller Rüstung durch den Hafen geschwommen war und wie unbesiegbar er an diesem Tag gewirkt hatte. Vielleicht focht man doch nicht ungestraft so viele Schlachten. In seinem Gesicht waren Falten, die sie noch nie zuvor gesehen hatte, und um seinen Kiefer hing die Haut in schlaffen Säcken.

»Hiermit frage ich Euch«, begann er förmlich, »was mit Arsinoe geschehen soll.«

Sie schaute fort. »Sie ist Eure Gefangene.«

»Aber auch Eure Schwester. In der Regel werden die Gefangenen nach dem Triumph hingerichtet.«

»Seit wann fragt Ihr mich um Rat? Könnt Ihr nicht ohne meine Meinung verfahren?« Sie merkte, daß alle Augen auf sie gerichtet waren. Antiochos gaffte wie ein Idiot, Mardians Miene blieb undurchdringlich.

Caesar starrte sie an. »Ich muß wissen, wie Eure Entscheidung lautet«, sagte er.

Kleopatra wurde in einer Sänfte zum Campus Martius, zum Marsfeld, getragen. Dort war ein See von etwa vier Stadien Länge angelegt worden. An der einen Uferseite befanden sich hölzerne Tribünen für die Gäste, auf der anderen lagerte der Pöbel auf dem Boden, reckte die Hälse und knuffte sich gegenseitig aus dem Weg, um sich bessere Sicht zu verschaffen.

Auf dem Wasser standen sich zwei Flotten gegenüber: Zwei-, Drei- und Vierruderer in Schlachtordnung. Die Fahnen von Ägypten und Tyros wehten von den Masten.

Wieder führte man Kleopatra zu einem Ehrenplatz, der sich direkt vor Caesar befand. »Ich hoffe, daß Euch das Schauspiel gefallen wird«, sagte er. »Ich habe die denkwürdige Schlacht nachstellen lassen, die einst zwischen der ägyptischen und tyrischen Flotte ausgefochten wurde.«

»Ist das auch nur Theater?«

»Aber nein, wo bliebe denn da der Spaß? Bei den Männern auf den Schiffen handelt es sich um Kriegsgefangene oder zum Tode Verurteilte. Sie kämpfen richtig um ihr Leben.«

Kleopatra spürte, wie sie eine seltsame Mattigkeit überfiel. Noch mehr Gemetzel. Wieviel Blut mußte denn nur fließen, bis sich diese Menschen zufriedengaben?

Caesar gab den Herolden ein Zeichen. Die Fanfaren ertönten, die Schiffe stießen vom Ufer ab und ruderten aufeinander zu. Sechstausend Männer, das Leben verwirkt, nur zum Vergnügen Roms.

Als sie dicht genug aufgefahren waren, griffen sie sich mit schweren bronzenen Rammböcken an. Über das Wasser flogen Enterhaken. Ein Brandpfeil wurde in einen der Vierruderer geschleudert und steckte ihn in Brand.

Die Menge auf der anderen Uferseite tobte, doch auch die Gäste auf der Tribüne schienen Gefallen an dem Schauspiel zu finden. Selbst die Senatoren in den Purpurroben waren aufgesprungen. Kleopatra wandte sich zu Caesar um. Er schien der einzige zu sein, der das Geschehen gelassen verfolgte, leicht amüsiert, wie gewöhnlich.

Eins der Schiffe war bereits im Begriff zu sinken. Auf dem Wasser trieben die ersten Leichen. Der Lärm war ohrenbetäubend: das Aufeinandertreffen stählerner Schwerter, splitterndes Bersten hölzerner Rumpfseiten, wenn die Rammsporne sie durchbohrten, anfeuerndes Gebrüll der Zuschauer, unter denen viele eine Wette auf den Schlachtausgang abgeschlossen hatten.

Kleopatra überlief ein Schauder, so heftig und beängstigend, wie sie es noch nie erlebt hatte. Es war, als hätte man ihr plötzlich eisiges Wasser übergegossen. Ihr war speiübel. Sie wußte jedoch, daß dieses Gefühl nichts mit dem Blutvergießen zu tun hatte, das sich vor ihren Augen abspielte.

Es ging nicht mehr. Kleopatra konnte nicht länger hinschauen. Sie sprang auf.

»Ihr verlaßt uns?« Caesars Stimme drückte Zorn und Enttäuschung aus.

»Ich fühle mich nicht wohl«, entgegnete sie und hastete mit ihrem Gefolge an den Zuschauern vorbei. Auch als die Sänfte das Marsfeld schon eine Meile hinter sich gelassen hatte, hörte sie noch den Schlachtenlärm, die Schreie der Sterbenden, roch den Rauch brennenden Holzes, des Leinens und Teers und spürte, wie sie abermals erschauerte.

Später würde sie sich an diesen Tag auf dem Marsfeld erinnern und wissen, daß Isis sie hatte warnen wollen, selbst damals schon.

Sie befanden sich tief unter der Stadt. Sie hörte, wie das kalte Wasser von den Felsen tropfte. Der Boden unter ihren Füßen war glitschig vor Blut. Der Henker richtete sich auf, dehnte und reckte die Muskeln. Ein großer, grobschlächtiger Kerl, mit fauligen Zähnen und toten Augen. Er wirkte erschöpft. Sein Schwert war befleckt mit schwarzem Blut.

Jetzt war sie an der Reihe.

Arsinoe spürte, wie sie die Kontrolle über sich verlor. Etwas Nasses rann an den Innenseiten ihrer Schenkel hinab. Das Atmen fiel ihr schwer, und sie spürte, wie ihre Beine nachgaben. Eine der Wachen mußte sie stützen. Bei Ganymedes hatten sie ihr Werk bereits getan. Der Zenturio stieß den enthaupteten Rumpf mit dem Fuß in den Brunnen. Mit einem Aufklatschen stürzte er in die Abwässerkanäle.

Ein Wachhauptmann trat vor. »Die nicht!« sagte er.

»Ich bleibe... am Leben?« flüsterte sie, wenngleich sie es nicht zu hoffen wagte.

»Ihr werdet nach Ephesos verbannt.«

»Meine Schwester... hat mich verschont?«

Das Gesicht verzerrte sich zu einem Grinsen. »Niemals. Wie es heißt, hat sie sich Euer hübsches Köpfchen in Essig eingelegt gewünscht. Es ist ein Befehl Caesars, und mir soll's recht sein. Wäre auch viel zu schade, so schöne Ware in die Cloaca Maxima zu werfen!«

Er und die anderen Henkersknechte brachen in brüllendes Gelächter aus.

6

Die Triumphe verteilten sich auf ein zehn Tage währendes Fest. Jeden Nachmittag fanden auf dem Marsfeld athletische Kämpfe und Wettspiele statt. Der Pontische Triumph, so fand man jedoch, war eine Enttäuschung nach den fiebrigen Höhepunkten des gallischen und der exotischen Darbietung Ägyptens.

Das Wetter war inzwischen hochsommerlich, und die vollgestopfte Stadt briet in der Glut der Tage. Anders als in Alexandria gab es keine sanfte Brise, die vom Meer wehte und Abkühlung brachte. Aus diesigen Wolkenbänken brannte die Sonne erbarmungslos auf die Wohnhäuser des Aventins, und die Stadt steckte unter einer Glocke des eigenen Schweißes und Gestanks.

Als schließlich der dritte Triumph gefeiert wurde, hatte sich bereits ein Gefühl des Überdrusses eingestellt. Kleopatra vernahm eine Stimme hinter sich, die sich in diesem Sinne äußerte, während man auf den Umzug wartete. »Das ist alles zuviel, zuviel für einen Menschen. Selbst für einen Gott wäre das zuviel.«

Sie wandte sich um. Die Stimme gehörte Marcus Brutus.

Als die Reihe dann endlich am letzten Triumph war, dem über Afrika, schien es, als ob sich selbst der unfehlbare Caesar verrechnet hatte. Wie Brutus ihm an jenem Abend vorgehalten hatte, war der afrikanische Krieg gegen die Söhne des Pompejus geführt worden - gegen römische Brüder. Caesars Behauptung, daß er gegen Juba und die Numider gekämpft habe, hatte niemanden überzeugt.

Die Paraden hatten etwas Gleichförmiges angenommen. Als die Senatoren und Magistrate erneut an der Tribüne vorbeizogen, neigte Mardian sich zu Kleopatra und grinste. »Seht nur die roten Köpfe, und wie sie keuchen«, flüsterte er.

»Wenn es nach ihnen ginge, brauchte Caesar sein Leben lang nicht mehr zu siegen.«

Natürlich gab es auch hier wieder Beute. Fuhrwerke, hoch beladen mit riesigen Elefantenzähnen, Käfige mit wilden Tieren, Leoparden und sogar Hyänen. Außerdem sah man Nomaden im Fellkostüm, die in Hörner stießen und kleine Trommeln schlugen. Auch dieses Schauspiel wirkte exotisch, und eine Zeitlang war es die Menge zufrieden und klatschte Applaus.

Dann kamen jedoch die Schauwagen. Die Räder ratterten schwer über die Pflastersteine. Sie führten Bildertafeln mit sich, auf denen die Schlachten lebensnah nachgestellt waren, die Flächen fast haushoch, mit leuchtenden Farben. In seinem Hochmut hatte Caesar sogar den Tod seiner römischen Gegner aufmalen lassen, darunter ein riesiges Bildnis des sterbenden Cato, mit herausquellenden Eingeweiden.

Bei diesem Anblick verfiel die Menge in Schweigen.

Da Juba genau wie die anderen Feinde nicht mehr unter den Lebenden weilte, war nur noch ein Kriegsgefangener übriggeblieben. Jubas Sohn, gerade einmal vier Jahre alt, stolperte, in silberne Ketten gelegt, an ihnen vorbei. Das Schweigen verwandelte sich in Buhrufe und Pfiffe. Es war ein beschämender Anblick. Ein Kind zur Schau zu stellen war eigentlich unter Caesars Würde. Hatte er das Maß der Dinge verloren? fragte sich Kleopatra, oder zeigte er damit etwa seine Verachtung für diese Form des Ruhms? Oder sogar gegenüber Rom selbst?

Am selben Abend wurde Caesar in einer Sänfte zwischen zwei Elefanten durch ein Fackelspalier zum Capitol getragen. Dort brachte er Jupiter seine Opfer dar und dankte im römischen Pantheon für den siegreichen Ausgang seiner Taten. Anschließend feierte Rom abermals auf seine Kosten. Im Forum waren unzählige Tische aufgestellt, an denen das Volk bewirtet wurde. Tänzer und Gaukler dienten der Unterhaltung. Im Verlauf der Sommernacht wurde die Via Sacra allmählich erfüllt von singendem und johlendem Gebrüll, Betrunkene lagen auf den Stufen der Kurie hingestreckt, und überall breiteten sich Weinlachen aus.

Dergleichen hatte Rom wahrhaftig noch nie erlebt. Die Stadt hatte einen neuen Gott. Unter den römischen Göttern, die in dieser Nacht vom Palatin herunterschauten, gab es jedoch nicht wenige, die sich fragten, ob er nicht auch wie andere unter ihnen erst sterben müsse, um dann wiederzukommen und gehuldigt zu werden.

7

Der Tisch war mit einem karminroten Tuch bedeckt. Darauf standen Schalen mit Granatäpfeln, Teller mit Brot und ein Krug mit bestem Falernerwein. Durch das Gemach huschten Diener, die die Öldochte auf den Lampenständern anzündeten. Das weiche, goldene Licht breitete sich über den Ruhebänken aus.

Caesar kam in der zweiten Stunde der Nacht. Doch auch dieses Mal erschien er nicht als Mann, der sich heimlich zu seiner Geliebten stiehlt, sondern in Begleitung von etwa hundert Leibgardisten, die das Haus umstellten und die Türen bewachten. Caesar war offenbar ein Gott, der wie ein gewöhnlicher Mensch - oder sogar mehr als dieser - um sein Leben bangte.

Charmion und Iras hatten Kleopatra angekleidet und frisiert. Sie trug einen schlichten grünen chiton und an den Ohren ein verschlungenes Goldgeschmeide.

»Ihr seht aus wie eine Königin, bereit für ihren König«, sagte Charmion.

»Vielen Dank, Charmion«, entgegnete sie. Die Sklavinnen huschten aus dem Raum und ließen sie allein. Hier in Rom bin ich keine Königin, dachte sie. Ich bin nur Caesars Spielzeug. Im Brucheion habe ich meine Pflichten, die, obgleich sie mich oft langweilen, mir letztlich lieber sind als die Rolle einer fügsamen Mätresse.

Und doch lebt dieser Schmerz in mir, die Einsamkeit. Wie wäre es wohl, einen Mann nur aus Neigung zu wählen und ein Kind aufzuziehen, für das man sich nichts weiter wünscht, als daß es glücklich wird? Kaum vorzustellen. Nun, warum auch über etwas grübeln, das man nie haben wird?

Als sie sich umwandte, stand er da. Eine fahle Gestalt im Lampenlicht, wieder normal gekleidet in einer einfachen weißen Tunika. Kleopatra wartete darauf, daß er etwas sagte, etwas erklärte, doch statt dessen griff er nach ihr und riß sie an sich. Sie wollte ihn wegstoßen, doch dann fühlte sie, wie sich die Sehnsucht ihrer bemächtigte. Caesar sollte ihr gehören, zumindest für eine kleine Weile, alles andere mußte erst einmal warten.

Später, nachdem sie sich geliebt hatten, lagen sie im Dunkeln auf dem Bett. Kleopatra lauschte seinem ruhigen, gleichmäßigen Atem und dachte, er sei eingeschlafen. Dann aber sagte er mit einemmal: »Weißt du noch, wie du mich damals mit einem Eunuchen verglichen hast?«

Sie glaubte, er suche nach Bestätigung, und erwiderte: »Niemand kann dich mit einem Eunuchen vergleichen. Nicht nach dem, was du heute nacht geleistet hast.«

»Du hast mich so genannt.«

»Dabei jedoch nicht dein Wissen um die Liebeskunst bemängelt.«

»Ich wollte auch keineswegs über meine diesbezüglichen Kenntnisse reden. Indem du mich als Eunuchen bezeichnetest, meintest du, daß, gleichgültig wie oft ich auf dem Schlachtfeld siege, man sich meiner nicht länger erinnern wird als jenes Fettsacks, den du Ratgeber nennst.«

Sie spürte, wie die abfällige Bemerkung über Mardian sie verärgerte. Um es ihm zu vergelten, antwortete sie: »Richtig, das habe ich wohl gemeint.«

»Nun, du hast recht gehabt.«

Das plötzliche Eingeständnis verwirrte Kleopatra ein wenig. Sie strich mit der Hand über seine glatte, haarlose Brust. »Julius.«

Er setzte sich auf und schien mit einemmal aufgebracht. »Ich bin vierundfünfzig Jahre alt. Ich habe Rom zu wahrer Größe verholfen, zu einem Reich, wie es nie dagewesen ist seit der Zeit Alexanders. Doch wie steht es mit meiner Zukunft? Soll ich den Rest meines Lebens damit verbringen zu entscheiden, wer Konsul wird und wer Prätor? Ämter verteilen an die, die mir lieb sind oder sich am tiefsten vor mir verneigen? Ist es Caesars würdig, so seine Tage zu beenden?«

»Dann ändere deine Geschichte, Julius. Nimm, was dir gebührt.«

Er wandte den Kopf ab. »Du verstehst Rom nicht.«

Dieser Mann. Wie sollte sie aus ihm klug werden? Oder aus den widersprüchlichen Strömungen ihrer eigenen Gefühle? Sie konnte sich keinen Mann vorstellen, für den sie ähnlich empfinden würde. Er war der einzige, von dem sie in ihrem Herzen wußte, daß er ihr ebenbürtig war, sowohl was den Ehrgeiz als auch den Verstand betraf. Kleopatra spürte, wie sie innerlich aufatmete. Dann hatte sie also doch recht gehabt. Er wünschte sich dasselbe wie sie.

»Nein, ich verstehe Rom nicht. Aber ich glaube, ich verstehe dich.«

»Es wird kein leichtes sein.«

»Das ist es nie. Bedenke jedoch, was auf dem Spiel steht. Ist es nicht an der Zeit, daß Rom dir Gleiches mit Gleichem vergilt?«

»Ja«, flüsterte er. »Es ist wohl an der Zeit. Wenn Ägypten eine Königin hat, warum Rom dann nicht auch einen König?«

Kleopatra ließ die Hand zu seinen Lenden gleiten und spürte, wie er hart wurde. »Wenn man dich zum König macht, solltest du dann nicht auch die Freiheit besitzen, dir eine Königin zu suchen?« Ihre Hand schloß sich um die Quelle des zukünftigen Roms. Der König von Ägypten wäre auch der König von Rom. Ost und West würden sich vermählen, und alles, was sie getan hatte, würde gerechtfertigt sein.

»Nichts davon darf an die Ohren deiner Vertrauten dringen«, befahl er mit rauher Stimme. »Rom hat seit fünfhundert Jahren keinen König mehr gehabt, und unter den Römern gibt es Menschen, die die Monarchie ärger fürchten als Gift.«

Sie legte sich zurück und zog ihn auf sich. »Schenk mir noch einen Prinzen«, flüsterte sie.

Noch nie zuvor hatte sie ihn so sehr begehrt. Das wilde Hochgefühl, das sich ihrer bemächtigte, als sie ihn empfing, war weit mehr als der rein körperliche Genuß. Als sie die Augen schloß, sah sie eine lange Reihe von Prinzen vor sich, die in die Zukunft wanderten. Könige einer neuen Welt.

8

Eingehüllt von dichten Dampfschwaden, saß Antonius nackt auf einer Marmorbank. Ich schwitze wie ein nubischer Lastenträger an einem Markttag im Sommer, dachte er. Irgendwo klatschten die Hände eines Masseurs im gleichmäßigen Rhythmus auf den faltigen Leib eines Senators, man hörte die lauten Stimmen der Wurstverkäufer, die ihre Ware im caldarium verkauften, und einen lauten Platscher, als einer der Gäste in das Wasserbecken sprang, während woanders ein junger Schönling, dem man die Haare von den Beinen zupfte, gequält aufschrie.

Antonius schaute hoch und sah, daß Cicero auf ihn zukam, nackt, rosig und schweißglänzend. Sie begrüßten sich. Cicero, der große Redner, dachte Antonius, mit einem Schwanz so klein wie eine Haselnuß. Die Natur kann doch sehr launisch sein. Wenn ich nur wüßte, was er von mir will. Nun, nach dem üblichen Hin und Her wird er sicher irgendwann zur Sache kommen.

Zuerst gab es nur oberflächliches Geplänkel. Offenbar wollte Cicero über Caesars neuen Kalender streiten. Der bisherige beruhte auf den Zyklen des Mondes, so daß das laufende Jahr nur dreihundertfünfundfünfzig Tage hatte. Wenngleich man stetig daran herumgebastelt hatte, war er den Jahreszeiten schließlich nicht mehr gerecht geworden. Im vergangenen November hatte es beispielsweise eine Hitzewelle gegeben, wohingegen das diesjährige Erntefest bereits gefeiert wurde, ehe die Weintrauben und das Getreide reif waren. Caesar hatte sich inzwischen jedoch mit einem von Kleopatras berühmten Mathematikern und Astronomen aus dem Museion in Alexandria beraten, einem gewissen Sosigenes, und einen neuen Kalender eingesetzt, der sich nach der Sonne richtete und das Jahr in dreihundertfünfundsechzig Tage teilte. Damit sie sich diesem Kalender anglichen, hatte Caesar verkündet, daß es in diesem Jahr drei November-Monate gäbe.

»Habt Ihr schon von Marcellus gehört?« fragte Cicero gerade. »Man hat ihn gesehen, wie er aus einem Bordell am Circus Maximus kam. Seine Frau war außer sich, doch er hat ihr erklärt, er könne tun und lassen, was ihm beliebe, da seine Taten ebenso wenig Gültigkeit besäßen wie die ersten beiden November-Monate.« Cicero kicherte. Er weidete sich gern am Mißgeschick anderer.

»Das ist noch gar nichts gegen Lepidus«, erzählte Antonius. »Er notiert sich jetzt täglich, was er tut, so daß er an den entsprechenden Tagen der nächsten beiden November-Monate genau das gleiche verrichten kann. Ich habe ihn nach dem Grund gefragt, doch er hat keinen nennen können.« »Ein seltsamer Mensch.«

»Ein Schwächling mit dem Mundwerk eines Waschweibs.« Das Gespräch wandte sich dem Aufstand in Spanien zu. Sextus, einer der Söhne Pompejus', war dorthin geflohen und hatte eine neue Armee mit dreizehn Legionen aufgestellt. Zwei davon bestanden aus Veteranen, obwohl deren Anzahl nach den Kämpfen in Pharsalos und Numidia beträchtlich geschrumpft war. Bei den elf weiteren handelte es sich um ausgehobene Truppen. Das Hauptquartier hatte man in Cordoba aufgeschlagen.

»Ich fürchte, die Bürgerkriege nehmen kein Ende«, sagte Cicero. »Rom besitzt zu viele stolze und ehrgeizige Männer.«

»Stolze und ehrgeizige Männer gibt es überall«, entgegnete Antonius. Genaugenommen sitze ich sogar neben einem von ihnen, ging es ihm durch den Kopf.

»Wenn ein Mann zu mächtig wird, sorge ich mich um die Republik. Wie steht Ihr dazu?«

»Ich sorge mich vor allem um Rom, wenn Caesar nicht aus Spanien zurückkehrt.«

Cicero machte ein enttäuschtes Gesicht. »Glaubt Ihr nicht, daß er unterliegt?«

»Er zieht zwar mit weniger Legionen in die Schlacht als seine Feinde, doch sie sind besser ausgebildet als die von Sextus. Und er hat die Reiterei, die die Mauretanier ihm mitgegeben haben. Dagegen führt Sextus Caesars ehemalige Hauptleute mit ins Feld, die den alten Knaben inzwischen so gut kennen wie er sich selbst. Außerdem verbringen sie den Winter in festen Gebäuden, wohingegen Caesars Armee in Zelten wohnt. Wie die Sache ausgeht, steht in den Sternen.«

»Wißt Ihr, wann Caesar Rom verläßt?«

»Bald. Es ist jedoch schon zu spät, um zu segeln. Er muß den Landweg einschlagen.«

»Zieht Ihr mit ihm?«

»Wohl eher nicht«, antwortete Antonius.

»Habt Ihr Euch noch nicht versöhnt?«

Er weiß genau, daß dem nicht so ist, dachte Antonius, und hofft jetzt, daß ich irgendeine Verleumdung von mir gebe. »Ich glaube, der alte Knabe will, daß ich ein Auge auf Rom halte.«

»Und ein Auge auf eine gewisse Dame aus Ägypten?«

Ah, da also lag der Hund begraben. »Sie ist sehr reizvoll, das gebe ich zu. Gewiß hat Caesar mit ihr in Alexandria ein paar nette Nächte verlebt. Er wird ja nicht die ganze Zeit nur über den neuen Kalender debattiert haben. Es sei denn, um noch weitere Nächte herauszuholen.«

»Sie wird sein Verderben sein.«

»Ich hätte nichts dagegen, mich von ihr verderben zu lassen.«

»Das meint Ihr doch nicht im Ernst, oder? Ich bin ihr zwar erst wenige Male begegnet, fand sie dabei jedoch überheblich und unhöflich. Sie mag ja ihre Reize haben, doch die findet Ihr auch unter den Kolonnaden am Circus Maximus.«

»Nun, Ihr müßt es ja wissen«, erwiderte Antonius, der sich den Spott nicht verkneifen konnte. »Man erzählt sich jedoch, daß sie sich bestens auskennt, was die Geheimnisse der Liebe angeht.«

»Was Ihr nicht sagt!« Cicero zog eine Augenbraue in die Höhe, um anzudeuten, daß er mehr zu erfahren wünschte.

Antonius beugte sich näher zu ihm. »Es wird behauptet, daß sie die Muskeln ihrer Körperöffnungen zucken lassen kann wie eine Schlange und einem Mann höchste Wonnen verschafft, ohne sich sonst weiter zu rühren. Auch kennt sie wohl keine Hemmungen, wenn es um das eigene Vergnügen geht. Einer von Caesars Spitzeln im Haus in der Via Campana beobachtete sie im Akt mit einer Python, die sie eigens zu diesem Zweck aus Ägypten mitbrachte.«

»Das kann doch nicht wahr sein!« Cicero zog hörbar die Luft ein.

Nein, kann es nicht, pflichtete Antonius ihm im stillen bei. Ich habe es mir gerade ausgedacht. Trotzdem, eine gelungene Geschichte.

In diesem Augenblick ging ein Junge an ihnen vorbei, nicht älter als sechzehn oder siebzehn Jahre, der blasse Körper fast durchsichtig in den Nebelschwaden des Bades. Er schüttelte das Badetuch ab und trat an den Beckenrand, um ins Wasser zu tauchen. Er war schmächtig, der Körper unbehaart, die goldenen Locken an den Ohren sorgfältig gekräuselt.

»Octavian«, sagte Cicero leise.

Antonius maß ihn mit kritischem Blick. »Schaut ihn Euch an. Das kleine Hinterteil hart wie ein Feldbett. Da wir gerade von Betten sprechen, man sagt, daß sein Freund Maecenas manchmal die Nächte bei ihm verbringt.«

Der Junge sprang in die warmen Fluten und entschwand ihren Blicken.

»Angeblich ist er Caesars Favorit«, murmelte Cicero. »Womöglich wird er als Erbe ausgerufen.«

»Diese kleine Schlampe? Er würde einem Konsul eine gute Frau abgeben, das ist gewiß. Viel mehr wird aus ihm wohl nicht. Wartet nur ab. Ein paar Regentropfen, und der Junge verkrümelt sich wie eine Katze.«

»Und wer wird der neue Herr, wenn Caesar etwas zustößt?«

»Ihr glaubt, daß dem alten Knaben etwas zustoßen könnte?«

»Der große Caesar kämpft eine Schlacht nach der anderen. Ich finde, daß er sein Glück ein wenig arg auf die Probe stellt. Angeblich war es bereits ein Wunder, daß er Alexandria überlebt hat.« Cicero zuckte die Achseln. »Vielleicht sollten wir ja wieder zur Republik zurückkehren. Es gibt einige, die glauben, ich könnte den Weg dahin weisen. Sehnt Ihr Euch nach der Republik, Antonius?«

Nun, andere glauben, daß ich Caesar folgen soll, dachte Antonius. In nämlichem Fall wäre meine Sehnsucht nach deiner Republik ausgesprochen gering. »Ich vermute, der alte Knabe macht es noch eine Weile.«

»Nun - freilich, das hoffen wir alle. Er sollte jedoch auf der Hut sein.« Cicero schenkte Antonius ein seltsames Lächeln. »In Spanien, meine ich.«

Natürlich, dachte Antonius. Was hättest du auch sonst meinen sollen?

9

Das Haus in der Via Campana wurde zu einer kleinen Oase, sogar für ihre Feinde. Selbst der alte Asinius Pollio, einer der besten und berühmtesten Redner Roms, brachte Kleopatra seine Entwürfe, damit sie ein kritisches Auge darauf warf. Ein gewisser Atticus, Experte für Antiquitäten, war entzückt, als sie ihm einige kostbare bebilderte persische Schriftrollen zeigte, und ausgesprochen verwundert, als sie ihm darüber hinaus Elfenbeinskulpturen aus dem Land der Serer vorführte, von deren Vorhandensein er gar nichts gewußt hatte.

Auch Cicero sprach bei ihr vor. Für ihn besorgte sie ein Manuskript mit der Geschichte der Pharaonen, übersetzte ihm die Hieroglyphen und schenkte es ihm anschließend für seine Bibliothek in seinem Haus bei Tusculum.

Während das Volk sich im Forum schlüpfrige Einzelheiten über Kleopatras schwarze Sklaven mit den Goldohrringen und Kastraten mit den hohen Stimmen erzählte und von Orgien phantasierte, die sich innerhalb ihrer vier Wände abspielten, erlag die römische Oberschicht allmählich ihrem Zauber.

Wenn Kleopatra sich zu diesem Zeitpunkt entschlossen hätte, nach Alexandria zurückzureisen, hätte man sie in diesen Kreisen vielleicht sogar verehrt.

Kleopatra und Caesar waren nie vollkommen allein. Selbst wenn sie in den Gärten des Hauses spazierengingen, war seine Leibwache zugegen, strich durch die Gegend oder lagerte in kleinen Gruppen zu Füßen der Statuen und Brunnen. Doch zumindest entkamen sie draußen den neugierigen Augen und Ohren der Hausdienerschaft.

An einem späten Nachmittag schlenderten sie über einen schmalen Weg, der von der Jupiterstatue wegführte. Die Bäume färbten sich schon in herbstlichem Rotgold, und unter die Hecken hatte der Wind Blätterberge geweht.

»Ich werde noch in dieser Woche nach Spanien aufbrechen«, sagte Caesar.

Sie erwiderte nichts. Sie hatte Angst.

»Und wer regiert Rom, während du fort bist?«

»Ich habe einen Rat aus acht Stadtpräfekten nominiert. Sie haben die Macht, den Senat zu überstimmen, und agieren in meinem Namen.«

»Was ist mit diesem Marcus Antonius?«

Ein bitteres Lächeln spielte um seine Lippen. »Ich glaube nicht, daß das noch einmal gutginge.«

»Oh. Aber man redet über ihn, als würde er der nächste Caesar.«

»Marcus Antonius folgt Befehlen, er erläßt sie nicht. Schau dir seine Frauen an - nur als Beispiel.«

»Seine Frauen?«

»Man kann einen Mann immer nach seinen Frauen beurteilen. Antonius' Frauen waren ausnahmslos zänkische Weiber, dominierend und ohne Benehmen. Deshalb wird Antonius auch nie Rom regieren. Er herrscht ja noch nicht einmal in seinem Haus.«

»Aber er macht doch, was er will, und er wirkt wie ein Fels.«

»Marcus ist ein großes Kind. Irgendwann rennt er wieder nach Hause zu seiner Mutter zurück.«

»Ich dachte, ihr wäret Freunde.«

»In Rom hat man keine Freunde, sondern höchstens Verbündete.« Caesar hielt inne und runzelte die Stirn. »Was sollen all die Fragen?«

»Er interessiert mich. Man behauptet, er huldige Dionysos.«

»Dionysos war ein Gott. Antonius huldigt nur dem Wein, den die Anbeter trinken.«

»Zu Hause hat man meinen Vater als neuen Dionysos bezeichnet.«

»Noch ein Säufer. Du solltest dich vor ihnen in acht nehmen.«

Kleopatra sah ihn vorwurfsvoll an. Es war beleidigend, ihr so etwas zu sagen, selbst wenn es stimmte. Caesar machte es Spaß, die Denkmäler anderer umzustoßen, während er das eigene erhöhte. »Das ist eine sehr bösartige Behauptung.«

»Ich habe es nicht gesagt, um dich zu kränken. Es ist einfach so. Dein Vater war ein Schwächling. Du bist hundertmal soviel wert.«

Es kränkte sie dennoch. Vielleicht gerade, weil es die Wahrheit war.

»Ich glaube, du hast uns alle überlistet.«

»Wie meinst du das?«

Was war das für ein Ausdruck auf seinem Gesicht? Zeigte es Bedauern? Man wußte einfach zu selten, was er dachte. »Du wolltest von Anfang an Rom erobern, stimmt's?«

Was sollte sie darauf antworten? Jeglicher Einwand hätte falsch geklungen. Ja, sie hatte es von Anfang an gewollt. Womit sie jedoch nicht gerechnet hatte, war, daß sie den Herrn Roms bewundern und er ihr... sehr lieb werden würde.

»Nun ist es fast soweit. Eine unglaubliche Leistung.«

»Wollen wir das nicht beide?«

»In der Tat. Du bist sehr klug vorgegangen.«

»Dennoch ist nichts entschieden. Wie lange müssen wir noch warten?«

»Im Moment sind die Senatoren noch die Herrscher über Rom. Wir müssen sowohl mit Umsicht als auch mit Eile vorgehen. Ich möchte unserem Sohn kein vergiftetes Erbe hinterlassen.«

»Dann wünschte ich, du zögest nicht nach Spanien.«

»Ich habe keine Wahl. Die Sache muß zu Ende gebracht werden. Wenn ich zurückkehre, wird mir niemand mehr im Wege stehen. Pothinos und seine Minister haben zwar Pompejus getötet, doch wenn ich dessen Söhne in Spanien gewähren lasse, werden sie sich bald gegen mich erheben.«

Sie blieben an einem der Springbrunnen stehen. Das Wasser sprudelte um eine Statue der Venus, der römischen Version der Göttin Isis. Göttin aller Frauen, hilf mir, diesen letzten Schritt zu tun.

Sie war fast am Ziel. Wenn sie nur wüßte, ob sie schon hoffen durfte. »Ich verstehe die Verzögerung nicht.«

»Weil du Rom nicht verstehst. Außerdem bin ich nicht der einzige mit hinderlichen Verhältnissen.«

»Antiochos«, sagte sie.

»Genau.«

»Diese Ehe war nicht meine Idee.«

Mit einem Schulterzucken gestand er seinen Fehler ein. »Das ist richtig. Doch selbst wenn du ihn nicht geheiratet hättest, stünde er im Weg. Er hat Anspruch auf den Thron Ägyptens...«

Caesar hielt abrupt inne. Dann wurde er aschfahl und sah sie an, als habe ihm jemand einen Dolch in den Rücken gebohrt. Er stieß einen dünnen Schrei aus und stürzte mit zuckenden Gliedern vornüber auf den Weg.

Dieses Mal brach sie nicht in Panik aus. Sie erkannte die Symptome, wußte, daß ihn die Götter abermals aufsuchten, genau wie damals in Alexandria. Sie rief die Wachen. Decimus kam mit etlichen von ihnen herbeigestürzt.

»Es scheint, die Götter kommen derzeit häufiger zu Besuch«, murmelte er und beugte sich über Caesar.

Aus Mund und Nase war blutiger Schaum getreten, und von den Augen sah man nur das Weiße. Es war ein beängstigender Anblick, doch nach wenigen Augenblicken ging der Anfall vorüber, und Caesar war bewußtlos. Die Soldaten trugen ihn ins Haus. Kleopatra eilte hinter ihnen her. Wenn es stimmte, was Decimus sagte - daß die Götter ihn häufiger besuchten als zuvor -, dann war bei der Angelegenheit, um die es ging, keine Zeit mehr zu verlieren.

Es war nur ein einfaches, rechteckiges Gebäude, versteckt im Schmutz und Gewirr des Aventin. Eine der Mauern gehörte zum Bau des benachbarten Theaters einer dionysischen Gruppe. Isis war in die ärmeren Viertel der Stadt verbannt worden, da sie das Mißfallen der Senatsväter erregt hatte. Die Fassade war recht kümmerlich mit vier kleinen Säulen, doch die Wände waren mit leuchtenden Grün- und Ockertönen bemalt. Isis mit Horus als Falke, Isis, die das Kind an ihrer Brust säugte. Im Schatten der Eingangshalle lungerten Prostituierte und warteten auf Kundschaft. Sie zitterten in ihren dünnen Gewändern und wirkten im Dämmerlicht müde und fahl.

Auf der Straße standen leere Sänften, deren Träger es sich auf den Stufen bequem gemacht hatten. Kleopatra hatte wie jeden Tag ihre Eskorte bei sich. Sie stieg aus ihrer Sänfte und betrat den Tempel, gefolgt von Charmion. Nach dem Schmutz und Gestank der Straße wirkte der süße Duft des Weihrauchs wohltuend und belebend.

So spät am Nachmittag waren nur wenige Besucher im Tempel. Eine Nubierin, bei der es sich wohl um eine Sklavin handelte, brachte ihre Opfer am Altar dar, zwei hochgeborene römische Damen in feinen Baumwollumhängen kehrten gerade zu ihren Sänften auf der Straße zurück. Kleopatra hörte die Hymnen, die die Priester im Allerheiligsten sangen.

Sie legte die Opfergaben der Isis-Statue zu Füßen und sandte flüsternd Gebete zur Großen Mutter. Als sie sich erhob, drang ein leises Stöhnen an ihr Ohr, und sie sah, daß sich im Schatten hinter den Säulen etwas bewegte. Sie wußte, daß die Tempeldirnen ihre Kunden im Tempel selbst bedienten und es nicht ungewöhnlich war, der Liebesgöttin auch auf diese Weise zu huldigen.

Trotzdem wagte sie einen verstohlenen Blick in die Richtung, aus der die Geräusche stammten. Einen kurzen Moment sah sie das blanke Hinterteil eines Mannes aufblitzen sowie zwei grazile Knöchel, die sich um seinen Rücken schlossen.

Der Mann - eigentlich war es noch ein Junge - drehte sich kurz um, und Kleopatra erkannte ihn. Das Gesicht der Frau war unter einem Schleier verborgen, doch sie erinnerte sich, daß sie eine der Sänften, die draußen warteten, schon früher einmal gesehen hatte - es war dieselbe, die Marcellus und seine Frau Tertullia zu Caesars abendlichem Gastmahl gebracht hatte.

Sie fand es nicht weiter überraschend, daß sich die Frau von Marcellus noch nebenbei vergnügte. Den jungen Octavian hatte sie jedoch falsch eingeschätzt. Sie hätte ihn eines solchen Betruges für unfähig gehalten und zudem angenommen, daß ihn sein Geschmack zu jungen Männern führte.

Vielleicht glich der kleine Neffe Caesar doch mehr, als man vermutete.

Am folgenden Tag brach Caesar nach Spanien auf. Er kam im purpurroten Generalsmantel und in voller Rüstung, um sich offiziell von Kleopatra zu verabschieden. Die Leibwache wartete hoch zu Roß und schaute ihnen zu.

»Die Götter mögen dich schützen und behüten und dir eine sichere Heimkehr gewähren«, sagte sie.

Sein Benehmen war steif und förmlich. Er verneigte sich knapp und ging zu seinem Pferd zurück. Sie hatten sich nicht berührt.

Kleopatra sah ihm nach. Aus den Nüstern der Pferde stoben weiße Dampfwolken in die stille Morgenluft. Die Hufe klapperten auf dem Pflaster. Am Straßenrand hatte der Wind Blätter zusammengefegt, auf denen bereits der erste Rauhreif lag. Ihre Zukunft, die Zukunft ihres Sohnes und die Ägyptens begab sich jetzt auf den Weg nach Spanien. Er war ihr Ehemann, wenn auch nicht für alle Welt und dem Namen nach. Sie fragte sich, was wohl geschähe, wenn er nicht mehr zurückkäme.

10

Kleopatra verbrachte ihren ersten Winter in Rom. Es war bitter kalt, eine Kälte, wie sie sie noch nie zuvor erlebt, geschweige denn für möglich gehalten hatte. Eines Morgens, kurz nachdem Caesar nach Spanien aufgebrochen war, wurde sie wach und stellte fest, daß die Gärten und die großen Pinienbäume in Weiß gehüllt waren. Es war das erste Mal, daß sie Schnee sah.

Caesarion war hellauf begeistert und spielte stundenlang im Freien. Antiochos jedoch zitterte in der Kälte, weinte und bekam eine Lungenentzündung. Olympos befürchtete bereits, daß er sterben würde.

Von Caesar trafen regelmäßig Briefe ein, die jedoch förmlich gehalten waren, für den Fall, daß sie abgefangen wurden.

Kleopatras Leben wurde plötzlich von einer starken Sehnsucht nach ihm beherrscht. Wen sonst hatte sie auf der Welt, mit dem sie sich wie mit einem Gleichrangigen unterhalten konnte?

Im Januar verließ Octavian Rom, um Caesar nach Spanien zu folgen. Er hatte den Winter über an einem Fieber gelitten, daher war sein Aufbruch ebenso überraschend wie unbedacht. Später sollte sie erfahren, daß sein Schiff untergegangen war und daß man ihn für tot hielt.

So schritt diese Jahreszeit vorüber - naß, einsam, kalt und bedrückend. Nur wenige Schiffe setzten sich im Winter den gefährlichen Stürmen des Mittelmeers aus. Aus diesem Grund war Kleopatra auch abgeschnitten von dem, was in Alexandria geschah, konnte weder Botschaften versenden noch empfangen und somit keinen Einfluß auf das Leben in ihrem Heimatland nehmen.

Mardian drängte sie, Rom nach den Winterstürmen umgehend zu verlassen, da er neuerliche Unruhen befürchtete, wenn sie Ägypten zu lange den Rücken kehrten. Kleopatra war jedoch voller Zuversicht, daß Caesars Legionen das Ihre taten, um die Ordnung in ihrem Land zu garantieren. Abgesehen davon lag ihre Zukunft nun in Rom. Caesar hielt den Schlüssel zu ihrem Schicksal in der Hand. Wenn sie jetzt nach Alexandria zurückkehrte, wäre sie nicht zur Stelle, wenn in Rom Entscheidungen getroffen würden, die sowohl für Ägypten als auch für die restliche Welt von Bedeutung wären. Wenn man Caesar zum König ausriefe, wäre sie seine Königin, die Mutter seines Sohnes, die Mutter der ganzen Welt. Im Moment konnte man nichts anderes tun als warten.

Der Frühling zog ins Land. Mit ihm kamen gelbe Blumen, die sich am Ufer des Tibers der Sonne entgegendrängten. Die Frühlingsfeste der Lupercalia, Anna Perenna und Liberalia wurden gefeiert, allerdings in gedämpftem Ton. Die ganze Stadt wartete. Jeder schaute nach Spanien, wo sich derzeit die Zukunft entschied.

Eines Tages kündigte Mardian Kleopatra einen Besucher an. Es war der Römer, Marcus Antonius.

Draußen fiel ein kalter Regen, die Tramontana-Winde wehten aus dem Norden in die Stadt. Kleopatra empfing ihn, dick in Pelze eingehüllt. Die geringe Wärme, die den Kohlebecken entströmte, verlor sich rasch im kalten Marmor römischer Häuser. Es war unmöglich, sich irgendwo behaglich zu fühlen.

Antonius trat ein. Er trug die Uniform eines Reiteroffiziers. Ein imposantes Bild, wie er dastand, in roter Tunika und lederner Rüstung, den schweren Mantel über die Schultern geworfen. Er verneigte sich. »Ich habe gute Nachricht für Eure Majestät.«

Kleopatra spürte, wie ihr Herz einen Schlag aussetzte. Caesar! »Ist er in Sicherheit?« fragte sie atemlos.

»Nicht nur das, Majestät. Er hat gesiegt. Dreißigtausend Soldaten des feindlichen Heeres sind bei Munda gefallen, einschließlich des abtrünnigen Generals Labienus und Pompejus' Sohn Gnaeus. Allein Sextus konnte entkommen.«

Am liebsten wäre sie aufgesprungen und hätte sich vor Freude im Kreise gedreht. Er hatte wieder einmal gesiegt. Nun stand ihnen nur noch Rom im Weg. Sie gestattete sich jedoch lediglich die Andeutung eines Lächelns.

»Er hat nur eintausend der eigenen Leute verloren«, sagte Antonius.

»Das ist in der Tat eine gute Nachricht«, sagte sie. »Ich danke Euch, daß Ihr sie mir so schnell überbracht habt.«

»Ich dachte mir, daß es Euch freuen würde.«

Kleopatra betrachtete ihn genauer. Nüchtern machte er einen ausgezeichneten Eindruck, die Stärke seines Charakters verdeutlichte sich in der Festigkeit, mit der er sprach. Daneben zierte ihn ein derart jungenhaftes Lächeln, das selbst seine Feinde entwaffnen mußte. Ihr fiel wieder ein, wie sie ihn zum ersten Mal erlebt hatte - bei jener ägyptischen Feier in Caesars Haus. Liebste, wie wäre es mit einem schnellen kleinen Schäferstündchen? Caesar suchte sich wahrlich seltsame Offiziere aus, dachte sie.

»Habt Ihr ihn gesehen?« fragte Kleopatra. »Ist er bei guter Gesundheit?«

»Marcus Brutus und ich kommen gerade aus Gallien zurück«, antwortete er. »Wir haben ihn mit eigenen Augen gesehen. Er hat uns vorgeschickt, damit Rom die Kunde möglichst bald erfährt.«

Kleopatra wandte sich zum Fenster um. Auf dem Dach schmolz das Eis und tropfte aus der Traufe. »Ich glaube, es wird bald Frühling«, sagte sie.

Nachdem Antonius sich verabschiedet hatte, ging sie zu Caesarion, der auf einem Bärenfell vor einem lodernden Kohlenbecken saß. Iras war bei ihm. Er spielte mit einem winzigen Triumphwagen, einem Thron und einer Puppe, die eine Krone trug. Kleopatra sah ihm zu.

Das alles wird dir gehören, mein Sohn, dachte sie. Dir gehört die Zukunft. Du wirst nicht aus Furcht um dein Leben kämpfen müssen, wie ich es tun mußte. Das verspreche ich dir.

Nach der Schlacht von Munda überschlugen sich die Senatsväter, Caesar mit Ehrentiteln zu überhäufen. Er wurde Imperator auf Lebenszeit, ein Titel, der zudem erblich sein würde. Er wurde für die nächsten zehn Jahre zum Konsul, die Tage seiner Triumphe wurden zu Feiertagen erklärt, und im Quirinustempel würde man ihm eine Statue errichten, neben denen der alten römischen Könige, und sie mit einer Inschrift versehen, die lauten würde Dem unbesiegbaren Gott.

Sie gaben ihm alles - außer dem einen Titel, den er ersehnte. Vor diesem letzten, unumstößlichen Schritt schraken sie zurück - dank des Widerstands einer kleinen Gruppe von Gegnern, unter denen sich auch Cicero befand.

Sie weigerten sich, ihn zum König von Rom auszurufen.

Die Bäder des neuen julianischen Forums waren nun fertiggestellt. Sie gehörten zu den Segnungen, die Caesar der Stadt hatte zuteil werden lassen.

Die Fußbodenkacheln wurden unterirdisch beheizt, und aus den Hähnen floß sowohl kaltes als auch warmes Wasser. Man betrachtete die neuen Bäder als Wunder.

Marcus Brutus ging in die Umkleideräume, um seine Kleidung abzulegen, und anschließend in das tepidarium, den Raum, in dem sich das Becken mit dem lauwarmen Wasser befand, das die Badegäste auf das Heißwasser im caldarium vorbereitete. Brutus hatte eine kleine Amphore mit Öl bei sich, ein Handtuch und eine strigilis, um den Schweiß abzuschaben. Er legte sich auf die Marmorbank und ließ sich von einem der Sklaven Öl in Schultern und Rücken massieren.

Anschließend begab er sich zurück ins caldarium, wo er auf Cicero und Gajus Cassius Longinus stieß, die bereits auf ihn warteten. Was für ein Paar, dachte Brutus. Cassius mit dem gedrungenen, behaarten Körper und Cicero daneben, rosig und glatt wie ein Schwein.

Die beiden jüngeren Männer schüttelten sich die Schweißtropfen aus dem Gesicht und setzten sich auf der Marmorbank zurecht. Brutus war sich bewußt, daß er sich in Gesellschaft des ersten Advokaten und Staatsmannes seiner Zeit befand, und er wußte auch, daß sie sich nicht nur im Alter, sondern auch in der Erfahrung unterschieden. Die Frage war, warum er sich diesem aufgeblasenen Windbeutel gegenüber dennoch überlegen fühlte.

»Der arme Marcellus«, sagte Cicero gerade, indem er wie üblich schamlos über andere herzog. »Tertullia läßt sich immer weniger von ihm sagen. Wie ich gehört habe, hat sie ihn zehn Tage lang von dem gemeinsamen Lager verbannt, weil sie jetzt im Isistempel betet und anschließend rein bleiben will.«

»Und wir alle wissen, was das heißt.«

»Sie ist immerhin die Frau eines Senators. Ihr Verhalten ist schändlich.«

»Diese fremden Religionen untergraben das Fundament unserer Republik«, behauptete Cassius.

»Die Schuld daran trägt Caesar. Er unternimmt einfach nichts. Er läßt dieser Ägypterin ihren Willen und fördert eine Brutstätte des Lasters.«

Brutus wirkte nachdenklich. »Andere behaupten, sie sei seine Gefangene.«

»Und wieder andere meinen, es sei eher umgekehrt«, entgegnete Cicero.

Cassius schauderte. »Diese Fremden sind einfach nicht zu verstehen und widerwärtig. Habt Ihr den Kastraten gesehen, der zu ihren Günstlingen zählt? Es ist eine Sache, Sklaven zu halten, eine andere ist jedoch, sie der Männlichkeit zu berauben und dann zum obersten Minister zu ernennen.«

»Wie man mir erzählt hat, badet sie in Milch und trinkt den Wein aus reinen Goldpokalen. Und Caesar besucht sie in aller Öffentlichkeit!«

Da Brutus schwieg, ging Cicero davon aus, daß er mit dem Gesagten übereinstimmte.

»Ich habe außerdem erfahren«, fuhr Cicero leise fort, »daß der große Julius an eine offizielle Verbindung denkt.«

Brutus wurde blaß. »Was? Etwa eine Heirat? Hat der alte Knabe den Verstand völlig verloren?«

»Er möchte eine königliche Dynastie gründen.«

»Das wagt er nicht!« zischte Cassius.

»Nun, er hat es auch gewagt, den großen Pompejus herauszufordern, und er hat sich durchgesetzt. Er hat es gewagt, Britannien zu besetzen, und er hat es gewagt, im Forum einen Triumph über römische Brüder zu feiern. Wer kann schon wissen, was der große Julius nicht noch alles im Schilde führt?«

Brutus fiel es schwer, Caesar etwas in der Art zu unterstellen. Doch je mehr er darüber nachdachte, desto deutlicher zeichnete sich ihm das Bild vor Augen ab. »Es gibt Stimmen, die meinen, er plane für das Frühjahr einen Feldzug gegen die Parther.«

Cassius stieß einen leisen Pfiff aus. »Wenn er den gewinnt, nimmt er in der Geschichte seinen Platz neben Alexander ein.«

Auf Ciceros Miene drückte sich leichter Unwille aus. »Wenn er den gewinnt, wird Rom ihm die Füße küssen, und er kann nach der Krone greifen, die er so sehr begehrt. Die Republik wäre dann gestorben.«

»Seid Ihr Euch dessen sicher?« fragte Brutus.

»Überzeugt Euch doch selbst. Rom ist längst angesteckt von dem ganzen Gerede über Könige und Königinnen. Das ist Kleopatras Werk, mit ihren Duftwässern und Salben und ihren Schönlingen. Alles Böse kommt aus Alexandria. Man muß ihr Einhalt gebieten.«

»Oder Caesar«, entgegnete Cassius.

Danach verstummten sie ob der Ungeheuerlichkeit dieses Gedankens.

11

Kleopatra spähte durch die Vorhänge ihrer Sänfte. Der Tempel war verschwunden, oder besser, er bestand nur noch aus Schuttbergen. Die Göttin selbst lag umgestürzt neben dem Sockel, ihr Gesicht war von Hammerschlägen zerstört.

Eine Frau tauchte aus dem Nebel auf. Sie erschrak, als sie die Sänfte und Kleopatras Wachen erkannte, und machte eiligst wieder kehrt. Mardian befahl den Wachen, sie einzufangen und zurückzubringen. Von ihrer Sänfte aus hörte Kleopatra, wie er die Frau anschließend ausfragte.

»Liebe Frau, wir tun Euch nichts zuleide«, sagte Mardian in fehlerlosem Latein. »Könnt Ihr uns sagen, was hier vorgefallen ist?«

»Warum fragt Ihr?«

»Meine Herrin wollte zu der Großen Mutter beten. Es bekümmert sie sehr, den Tempel zerstört zu sehen.«

»Es geschah auf Befehl des Senators Claudius Marcellus. Er kam mit Helfern und einer von ihm selbst unterzeichneten Anordnung zur Zerstörung des Tempels. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Als die Helfer sich weigerten, seinem Befehl Folge zu leisten, zog er sich die Toga aus und zerschlug die Statue mit eigenen Händen.«

»Wißt Ihr auch den Grund?«

»Wer weiß schon, warum diese Senatshalunken etwas machen? Vermutlich gibt es dabei etwas herauszuholen.«

»Meine Herrin wird über die Maßen betrübt sein«, sagte Mardian.

»Das sind wir alle, die wir die Große Mutter lieben. Warum meint Ihr, haben sie es getan?«

Kleopatra glaubte, die Antwort zu kennen.

Vergib mir, Herrin, betete Kleopatra auf dem Weg zurück durch die belebten Straßen. Sie haben es nicht dir angetan. Es war, um die Furcht und den Haß zu zeigen, die sie mir gegenüber, der Großen Fremden, deiner Inkarnation hier auf Erden, empfinden. Rom hat Angst vor mir. Und mit der Zeit werde ich ihnen Grund dafür geben.

Caesar bedachte Marcus Antonius mit einem bohrenden Blick aus seinen schwarzen Augen. Er war nach dem jüngsten Sieg nicht so schnell wie erwartet nach Rom zurückgekehrt. Die Feiern anläßlich seiner Triumphe hatten ohne ihn stattgefunden. Antonius stellte mit Erleichterung fest, daß die lange Trennung Caesar milder gestimmt hatte. Offenbar hatte er ihm endlich verziehen, daß er die Schuld für das Haus des Pompejus nicht beglich. Antonius selbst hätte eine Freundschaft ohnehin nie wegen etwas so Unerheblichem wie einer Geldangelegenheit aufs Spiel gesetzt. Doch bei dem alten Knaben wußte man nie - er war immer wegen irgend etwas beleidigt.

»Nun, wie sind die Dinge in Rom gelaufen, während ich in der Fremde war?« erkundigte sich Caesar.

»Eigentlich wie immer. Im Senat herrscht das übliche Hin und Her über Fragen des Rechts. Es gibt Senatoren, die hoffen, daß du jetzt nach Beendigung der Bürgerkriege die Republik wiederherstellst.«

»... und drücken ihre Verbundenheit der Demokratie gegenüber dadurch aus, daß sie mir den Titel eines Imperators auf Lebenszeit verleihen? Es ist doch wirklich nur ein Haufen alter Weiber!«

»Trotzdem wäre ich an deiner Stelle vorsichtig. Es sind auch noch ein paar gefährliche Männer dabei.«

»Nein, Marcus, ich bin gefährlich. Sie sind nur schnatternde Gänse, die auch vereint keine Erektion mehr auf die Beine bringen, geschweige denn eine ganze Armee. Ich habe die Feinde besiegt und Rom ein Imperium geschaffen, und nun soll ich ihnen die alte Autokratie zurückgeben, ohne daß sie den Finger krumm machen. Sie wollen die Früchte genießen, aber nicht auf die Bäume klettern.«

»Ich rate dir nur, gewisse Bestrebungen im Auge zu behalten. Einige von diesen alten Gänsen besitzen immerhin noch einiges an Macht.«

»Die Macht steckt im Schwert.«

»Was nicht jeder glaubt.«

»Weil noch nicht jeder die Klinge meines Schwertes gespürt hat.«

Heiliger Jupiter, dachte Antonius. Munda ist ihm schnell zu Kopf gestiegen. Auf diese Art habe ich ihn ja noch nie reden hören. Wird er nicht eher zufrieden sein, bis er uns alle getötet hat? »Ich rate dir nur zur Vorsicht«, beharrte er. »Viele liebäugeln nun einmal mit der Vorstellung der Republik.«

»Die Republik ist ein Badehaus voller schlaffer Greise, die nur Italien kennen. Die Republik ist tot.«

Hitzige Worte. Caesar hatte natürlich recht, dennoch war Antonius beunruhigt angesichts dieses freimütig, ja geradezu herausfordernd vorgetragenen Bekenntnisses. Irgend etwas war mit Caesar geschehen, während er in Spanien war. Der alte Knabe war in der Regel so vorsichtig, so... kühl und beherrscht. Es war, als hätte ihn der Leichtsinn gepackt. Vielleicht glaubte er allmählich selbst, was sich das Volk auf dem Aventin erzählte: daß er ein Gott sei.

»Ich möchte dir jedenfalls empfehlen, deine Pläne bezüglich des Triumphes noch einmal zu überdenken.«

Caesars Lippen verzogen sich zu einem bösen Lächeln. »Glaubst du, daß meinem spanischen Sieg kein Triumph gebührt, Marcus?«

»Es war ein Krieg gegen andere Römer.«

»Es war ein spanischer Aufstand, den verräterische Römer unterstützten.«

Oh, tatsächlich? Pompejus' Söhne als Verräter? »Die Leute sehen es anders.«

»Die Leute sehen es so, wie ich es ihnen sage.«

Antonius starrte ihn an. Meinte er das wirklich? Der alte Knabe wurde wahrhaftig verrückt. Vielleicht stimmte es, was Cicero und die anderen sagten - daß die Hexe in seinem Haus in der Via Campana dahinterstand.

»Ich bin nicht gegen dich«, sagte er. »Ich rede doch nur von Vorsicht.«

»Götter verrichten die Dinge auf ihre Art.«

»Wir sind aber keine Götter«, antwortete Antonius, wenngleich es ihn nicht gewundert hätte, wenn Caesar ihm auch hierin widersprochen hätte. »Wir unterstehen immer noch Rom.«

Caesar schleuderte ihm einen wütenden Blick entgegen. »Ich weiß, wem ich unterstehe.«

»Seit du aus Spanien zurück bist, hast du viel Zeit im Haus in der Via Campana verbracht. Es gibt Stimmen, die behaupten... «

»Das Geschwätz interessiert mich nicht.«

»Wenn es im Senat geäußert wird, ist es kein Geschwätz mehr, sondern Politik. Manche von ihnen fürchten sich vor dieser Frau. Sie glauben, daß sie dich regiert.«

»Und was glaubst du, Marcus Antonius?«

Antonius zuckte die Achseln. »Du kennst mich. Ich belehre keinen Mann über die Art, wie man mit Frauen umgeht. Ich habe es ja selbst nie gekonnt.«

Dieses Bekenntnis trug ihm ein freundliches Lächeln ein. »Schau, Marcus, diese Frau ist anders. Bei ihr fühle ich mich wohl, rede mit ihr wie mit meinesgleichen. Ich kann sogar politische Themen mit ihr besprechen und mich an ihrer Klugheit erfreuen. Es ist nicht das Bett, das mich zu ihr führt, Junge.«

»Dennoch rate ich dir noch einmal zur Vorsicht.«

»Oh, du kennst mich doch«, erwiderte Caesar. »Ich bin immer vorsichtig.« Er lächelte abermals. Ein Lächeln, das alles bedeuten konnte.

Ich wünschte, ich wüßte, was in ihm vorgeht, dachte Antonius. Es ist ihm doch sicher nicht ernst mit dem Königtum, oder doch?

12

Wenn Caesar kommt...

Wenn Caesar kommt, kommt er mit Liktoren und Leibgarde. Kein Geliebter der Nacht, sondern einer, der nicht schläft, ohne auf die Tritte von Mördern zu lauern.

In dieser Nacht hielt Kleopatra ihn umschlungen, den Arm über seine Brust gelegt, den Schenkel auf seinem Leib, den Mund an seiner Wange. In dieser Nacht war Caesar unfähig gewesen zu erobern, geschwächt von Intrigen und Sorge. Im Streben nach dem Göttlichen hat er die Kraft des Mannes verloren.

Der runde Erntemond hing tief und schwer über den sieben Hügeln, sein Licht erschien in Wellenlinien auf dem dunklen Wasser des Tibers. Auf dem Marmorboden ein silberner Lichtfleck. Nach einer Weile erhob Caesar sich und trat ans Fenster, wo er in düsterem Schweigen nach draußen starrte. Kleopatra beobachtete ihn vom Bett aus. In ihr breitete sich ein dumpfer Schmerz der Leere aus.

In dieser Nacht war Caesar zum Eunuchen geworden, so wie Mardian.

»Du bist müde«, flüsterte sie. »Es macht nichts. Komm wieder ins Bett.«

Er gab keine Antwort. Sein Zorn war wie dorniges Gestrüpp.

»Julius«, bat sie.

»So etwas ist Caesar noch nie zuvor passiert.«

Dann liegt es vielleicht an mir, dachte sie. Sie hatte keine Erfahrung mit diesen Dingen und wußte nicht, was sie sagen oder tun sollte. Wenn ein Mann eine Frau begehrte, zeigte er es dann nicht auf die übliche Art?

Das ist jetzt nur dein Stolz, Julius, dachte sie bei sich. Wenn du deinen Samen nicht in eine Frau ergießen kannst, erträgst du es nicht, sie anzuschauen. Er wollte ihren Trost, war jedoch zu hart, zu sehr ein Getreuer des Gottes Mars, um es auszusprechen.

»Rom ist zu eng und nimmt mir die Luft zum Atmen«, sagte er. »Auf dem Schlachtfeld sind die Dinge immer ganz klar. Dort ist der Feind, und ich weiß, wie man ihn besiegt. Hier in Rom weiß ich nie, wer mein Feind ist. Ich sehe nur Schatten.«

»Du hast zu viele deiner Feinde am Leben gelassen.«

»Aber Barmherzigkeit ist eine Tugend«, erwiderte er.

Es stimmte. Caesar war für seine Barmherzigkeit so berühmt wie für seine Grausamkeit. Derselbe Mann, der die Kriegsgefangenen in Gallien verstümmeln ließ, hatte Hunderte seiner Feinde in Pharsalos begnadigt. Er blieb ein Rätsel, das man nicht verstand.

Aus der Ferne erklang ein Trompetensignal. Im Lager auf dem Marsfeld fand der Wachwechsel statt. »Ich habe heute eine Geschichte gehört«, sagte sie. »Es ging um einen Wettkampf im Circus Maximus. Hirtius Grattus, einer der Gladiatoren wurde getötet. Er bat um Gnade, doch du hast mit dem Daumen nach unten gewiesen.«

»Sein Gegner wollte ihn nicht verschonen. Ich richte mich nur nach den Wünschen des Volkes. Sie wollten, daß er starb.«

»Der Mann, der ihn tötete, hieß Didius. Grattus hatte ihn vor zwei Monaten im Kampf verschont.«

»Warum erzählst du mir das?«

»Weil die Geschichte vielleicht eine Lektion enthält. Wenn du einem Menschen Gnade gewährst, kann es dich das Leben kosten.« Kleopatra erinnerte sich wieder an die unnachgiebige Härte, mit der Caesar sich ihres Bruders entledigt hatte, und wie sie ihn für diese Kälte bewundert hatte. Und nun hielt sie ihrem eigenen Lehrmeister einen Vortrag.

»Wenn du von Feinden redest, meinst du die Anhänger von Pompejus.«

»Im Senat gibt es viele, die dir ihr Leben verdanken. Glaube nicht, daß sie das zu deinen Freunden macht.«

»Der Senat«, sagte er verächtlich.

»Du glaubst, weil du gnädig warst, würden sie sich dir nicht widersetzen.«

»Sie widersetzen sich nicht mir, sondern einer Idee. Einige unter ihnen reden über die Republik, als würden Roms Probleme durch sie gelöst. Das Reich ist inzwischen zu groß, als daß es noch von einer Handvoll alter Männer zu regieren wäre, die nie weiter als bis zu ihren Landgütern in Brindisi gekommen sind.«

»Dann tu, was nötig ist. Hör auf, dich mit Gesetzen und Vorschriften zu quälen. Du bist Caesar. Nimm dir, was deins ist, so, wie du es immer getan hast.«

»Noch nicht, Kätzchen.«

»Wann?«

»Weißt du noch, wie es in Alexandria war? Ich habe sie gewähren lassen, als sie sich gegen die Palasttore warfen, denn ich war mir des Sieges nicht sicher. Ich habe den richtigen Zeitpunkt abgewartet, bis es soweit war, ehe ich zuschlug. Du bist zu ungeduldig.«

»Weil ich mich um meinen Sohn sorge. Und um mich selbst. Du wirst uns nicht verlassen, Julius, nicht wahr?«

Er wandte sich um. »Du zweifelst an mir?«

»Du vergißt, daß ich immer noch Königin bin. Soll ich noch einen Winter in Rom zubringen und in Alexandria über mich sagen lassen, ich sei nur eines reichen Mannes Mätresse? Lieber ginge ich gleich und mit leeren Händen nach Ägypten zurück, als daß ich mich weiter von dir demütigen lasse.«

»Ich demütige dich nicht. Wir wollen beide dasselbe, Kätzchen.«

»Wie kann ich mir da sicher sein?«

Er holte tief Luft. »Ich werde es dir beweisen. Morgen.«

Das Forum Romanum. Ein Monument römischer Glorie stand neben dem anderen. Selbst die Römer fanden es inzwischen übertrieben. Die Statuen, Tempel und Paläste waren so dicht gedrängt, daß der groß angelegte Platz des ursprünglichen Plans längst von Marmorkolonnaden und Eingangsportalen verschluckt wurde.

Für Caesar war es jedoch ein großes Ereignis gewesen, der Stadt ein weiteres Forum zu schenken, das Forum Julium genannt wurde. Er wollte es selbst bezahlen, eine verschwenderische Geste. Man munkelte, daß es Caesar über eine Million Sesterzen kosten würde, doch es hieß auch, daß man ihn auf diese Weise nie vergessen würde.

Kleopatra verließ ihre Sänfte vor dem großen Eingangsportal des Venustempels. Die Mauern des Julianischen Forums wurden aus Travertin errichtet, die Fassade hingegen mit Porphyr abgesetzt, in fein geädertem Grau und leuchtendem Schneeweiß. Das neue Gestein hatte den Schimmer von Perlen. Eine Reiterstatue schwang sich in die Höhe - Caesar schaute auf seinem Schimmel über den Platz, der seinen Namen trug.

Caesar wartete bereits auf sie. Gemeinsam stiegen sie die Treppenstufen hoch. Sie ließ den Blick in die Höhe wandern. Über ihr ragten riesige Marmorsäulen in den blauen kalten Herbsthimmel hinein. Im Forum war man noch bei der Arbeit, von überall hörte man Hammerschläge oder das Rattern der Fuhrwerke, die neue Steinlieferungen brachten.

Als sie den Tempel betraten, roch Kleopatra den feuchten Mörtel der Maurerarbeiten. Drinnen war es kalt und dunkel, ein gewaltiger Raum aus Stein, in dem ihre Schritte widerhallten. Nachdem sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, konnte sie die Wandgemälde ausmachen, die sich bis zur Decke zogen. Die Farben waren frisch und leuchtend, tiefe Blau- und Grüntöne. Venus, die ein Kind an der Brust nährte, Caesar auf seinem Schimmel, im Hintergrund Schlachtfelder in Gallien und Griechenland.

Als sie sich dem inneren Heiligtum näherten, beobachtete Caesar Kleopatra gespannt. Neben dem Hochaltar erhoben sich drei Statuen. In der Mitte Venus, die Mutter Roms, die mild auf sie herablächelte. Als Caesars Ahnin diente sie als Schutzherrin des Julianischen Hauses. Die Schönheit der Statue war atemberaubend, ein vollkommenes Kunstwerk. Arcesilaus aus Griechenland hatte sie geschaffen, teilte Caesar ihr mit. Arcesilaus! Er galt als der größte unter den lebenden Bildhauern. Wie man sah, verdiente er diesen Ruf zu Recht.

Die zweite Statue, zu Venus' Rechten, stellte Caesar selbst dar, als Triumphator, den Lorbeerkranz auf dem Haupt, der damit seinen Platz in der Reihe der Götter bezog.

Sie wandte sich der dritten Statue zu - und erstarrte.

Kleopatra erkannte ihr eigenes Gesicht, das hoch über einem Sockel schwebte. Die Statue trug das Gewand der Venus, der römischen Isis, und auf den Knien hielt sie Caesarion. Die Botschaft, die den Römern auf diese Weise vermittelt wurde, war eindeutig - und mutig. Caesar stammte von Venus ab und war demnach göttlich. Seine Gefährtin war Kleopatra als Inkarnation der Venus. Caesarion war sein Sohn, als Sproß dieser Eltern bekam auch er eine göttliche Natur.

Kleopatra dachte an die Münze, die sie nach Caesarions Geburt hatte prägen lassen. Nun besaß sie auch die offizielle Anerkennung Caesars.

»Zweifelst du immer noch an mir?«

Was gab es darauf zu antworten? Daß es noch nie einen Mann wie ihn gegeben hatte? Sie lächelte. Es war ein Lächeln der Erleichterung und des Triumphes. Wenn jetzt doch der Flötenspieler hier sein könnte, ging es Kleopatra durch den Kopf. Er hat auf mich gebaut, und ich habe ihn nicht enttäuscht.

13

DER MONAT FEBRUARIUS NACH DEM RÖMISCHEN KALENDER IM JAHRE 44 VOR CHRISTI GEBURT

Rom lag hinter ihm. Die aufragenden insulae und der Gestank der Tiberwerften, die rumpelnden Fuhrwerke, das Gedränge unzähliger Leiber. Er ritt vorbei an den kühn geschwungenen Aquädukten, die die Stadt versorgten, über die Appische Straße, wo Schafherden über die Pflastersteine zogen, durch winterbraune Felder zu dem Haus von Marcus Antonius, das sich inmitten stiller, weißer Gärten befand.

Apollodoros entdeckte die Überreste des Gelages, zerbrochene Amphoren, die im taubenetzten Gras lagen. Er erkannte das Spalier aus Zweigen und Farn, das als Zeichen der Initiation gedient hatte. In den Tempelruinen hatte der Schnee Pfützen auf den Marmorböden gebildet. Im Inneren sah er die Statue einer Venus, die umgestürzt neben dem Sockel lag. Von irgendwo aus den Wäldern drang der einsame Schrei einer Krähe an sein Ohr. Hier und da fanden sich Kleidungsstücke, Fetzen einer Tunika neben den Ascheresten eines Feuers. Er wollte bereits umkehren, doch der Bussard, der hoch über den Pappeln seine Kreise zog, führte ihn weiter. Und so fand er sie, neben einem Bach hinter den Ruinen, nackt und auf dem Rücken liegend. Blut war ihr aus Nase und Mund geronnen. Ihr Körper war kalt wie Alabaster, blaß und schön auch im Tod.

Er erkannte sie wieder. Eine der Mänaden, die mit dem dionysischen Gefolge zu Antonius' Orgie gekommen war. Einfach nur eins der Mädchen.

Apollodoros schlug hastig den Rückweg ein. Er berührte das Amulett an seinem Hals, das den bösen Blick abwehrte. Etwas Furchtbares lauerte in diesem klaren, kalten Morgen. Ein Schatten huschte über die blasse Sonne. Der Geruch der Erde, der Gestank der Fäulnis grub sich in ihm ein.

Caesar, so hatte es den Anschein, wollte die ganze Welt mit seinen Händen formen. Seine Krankheit hatte ihn abermals heimgesucht, er wirkte abgezehrt und erschöpft, doch die Zeichen seiner Sterblichkeit schienen ihn nur noch zu härterer Arbeit anzutreiben.

Täglich entwickelte er neue Pläne, wollte eine neue Straße über den Apennin bauen, einen Hafen in Ostia errichten, Siedler nach Karthago entsenden, den Isthmus von Korinth durchstoßen, die Angelegenheiten Syriens regeln, eine neue Bibliothek für das Capitol in Auftrag geben. Er peitschte ein Gesetz durch den Senat, das jedermann, außer den Bauhandwerkern, in der Zeit zwischen Morgen- und Abenddämmerung die Zufahrt in die Stadt verbot, um so die verstopften Straßen aufzulösen.

Der Senat überhäufte ihn mit Titeln - bis auf den einen natürlich. Sie ernannten ihn zum Pater Patriae, zum Vater des Vaterlandes. Er erhielt einen goldenen Sessel im Senat, der jedoch nicht als Thron gelten durfte. Man stellte seine Statue im Capitol neben den sieben alten Königen Roms auf und erklärte seine Person als unantastbar. Jeder Senator hatte zu schwören, daß er ihn mit seinem Leben schützen würde.

Letzteres hätte komisch wirken können, wenn Caesar es nicht ernst genommen hätte. Der Mann, der zuvor keinen Schritt ohne seine vierundzwanzig Liktoren und eine Zenturie handverlesener Soldaten unternommen hatte, der Mann, über den Cicero einst geklagt hatte, daß er einen Besuch in eine militärische Operation verwandelte, derselbe Mann entließ nun seine Spanische Leibgarde und bewegte sich unbewaffnet zwischen dem Forum und seinem Haus, lediglich begleitet von einer Handvoll Sklaven und einigen wenigen Beamten.

Vielleicht wollten die Senatsväter ihn beschwichtigen mit den Ehren, die sie ihm bezeugten, doch sie zeitigten das Gegenteil. Sie bestärkten Caesar in seiner Maßlosigkeit. Der Kritik wohlhabender, einflußreicher Kreise, deren Macht er beschneiden wollte, ließ er freien Lauf, ohne ihr entgegenzutreten. Er erhöhte die Anzahl der Senatoren um die Hälfte, um dergestalt neue Machtverhältnisse zu schaffen, wobei erschwerend hinzukam, daß etliche der frischgebackenen Senatoren Gallier waren, Ausländer in langen Hosen anstelle der toga virilis. Für die boni, die braven Senatsbürger, die dem Überkommenen verhaftet waren, bedeutete dies das Ende der Welt. Caesar ging eindeutig zu weit.

Andere wiederum fanden, er ginge nicht weit genug. Eines Nachts setzte ein Unbekannter Caesars Statue in der Rostra ein Diadem auf das Haupt. Tagelang sprach man in Rom über nichts anderes. Hatte Caesar das etwa selbst veranlaßt, gewissermaßen als Versuch, um die Stimmung zu prüfen? Oder hatte ein römischer Bürger lediglich die Wünsche des Volkes ausgedrückt?

Was steckte dahinter? Wollte Caesar den Schritt des Unmöglichen wagen - die Republik beenden und sich zum König ernennen?

Spät an jenem Abend hallten eiserne Pferdehufe durch die Straße, und vor dem Haus hielt ein Wagen. Es war ein schweres vierrädriges Gefährt mit glänzendem Kutschwerk und silbernen Verschlagen, das man als carpentum bezeichnete. Es wurde von vier Schimmeln gezogen, mit einem Kopfschmuck aus tausend kleinen emaillierten Blumen. Die schwarzen Vorhänge an den Fenstern waren zugezogen.

Ein Diener öffnete den Schlag, und Caesar stieg aus.

Kleopatra empfing ihn in einem der Räume, die gleich hinter dem Atrium lagen. Ein hübscher Raum, mit üppigen Wandgemälden aus Blumengirlanden und Zweigenspalieren und einem Bodenmosaik, auf dem sich kleine Cupidos um ein Liebespaar tummelten. Das leichte Geplätscher eines Brunnens machte es neugierigen Ohren schwer, ihre Unterhaltung zu belauschen.

Caesar warf sich auf eine der Ruhebänke. Die Sklaven eilten fort, um Speisen und Wein herbeizuholen.

Kleopatra schaute ihn verwundert an. »Du bist allein gekommen? Wo ist deine Leibgarde?«

»Ich habe sie fortgeschickt.«

»Fortgeschickt? Aber warum?«

»Der Senat hat meine Person für unantastbar erklärt.«

Sie lachte und wollte ihn für seinen trockenen Humor loben. Doch er betrachtete sie mißbilligend, und sie erkannte, daß es kein Scherz gewesen war.

Was hatte er getan? »Bist du von Sinnen?« fragte sie.

»Mein Schicksal liegt in der Hand der Götter.«

Sie fing vor Wut an zu zittern. Sie konnte nicht fassen, daß er so leichtsinnig war. Es war nicht nur sein Leben, das auf dem Spiel stand, sondern ihrer aller Zukunft, ihre, die ihres Sohnes! »Wir schaffen unser eigenes Schicksal. Und deines hast du gerade besiegelt. Du hast dein eigenes Todesurteil unterschrieben!«

»Ich bin der ewigen Angst überdrüssig«, begehrte er auf. »Sie ist schlimmer als der Tod.«

»Ein Mensch sollte den Tod fürchten, anstatt ihn zu sich zu bitten.«

Er wandte den Kopf ab. »Er bedeutet mir längst nichts mehr.«

»Dann sollte dir zumindest das etwas bedeuten«, sagte Kleopatra. Sie nahm ihn bei der Hand und zog ihn über den Gang in eines der cubicula. Caesarion lag schlafend in seinem Bett aus Rosenholz.

»Sieh ihn dir an, Julius!«

Er glich seinem Vater so sehr - die Form des Mundes, das entschlossene Kinn. »Er ist dein Sohn«, flüsterte sie, »der zukünftige König der Welt, wenn du es willst.«

»Er muß seinen Weg allein gehen, so wie wir alle.«

»Du weißt, daß das nicht stimmt. Seine Zukunft hängt von dem ab, was du unternimmst.«

»Es ist der Wille der Götter«, fuhr Caesar sie an, schüttelte ihre Hand ab und verließ den Raum.

Die Götter! Er war der ungläubigste Mensch, der ihr je über den Weg gelaufen war, und nun redete er von dem Willen der Götter. Es ging auch gar nicht um seinen Glauben, sondern allein um seine Überheblichkeit - er war tollkühn und vermessen. Es machte ihm Spaß, mit dem Verderben zu spielen. Er glaubte, daß Fortuna ihren Schützlingen ewig gewogen sei, daß sein Ruhm auf Glück beruhte und nicht auf Mut und Geschick. Sie dachte zurück an jene gefährlichen Tage in Alexandria, als er Pothinos und Achillas gegenüberstand und der Pöbel gegen die Tore anrannte. Auch da hatte er unbedacht gehandelt, hatte sich in einen Kampf verwickeln lassen, wenngleich ihm sowohl Truppen wie Nachschub fehlten. Doch die Götter hatten ihm beigestanden.

Seine jüngsten Siege in Afrika und Spanien mußten ihn wieder einmal in dieser Vermessenheit bestärkt haben. Wahrscheinlich glaubte er mittlerweile selbst an das Gerücht seiner eigenen Unsterblichkeit.

Über Kleopatras Körper kroch die Angst.

14

Das Haus, das einst Pompejus gehört hatte, lag in der Carinae, etwas außerhalb Roms, ein weitläufiges Anwesen aus Stein, nicht weit entfernt von Ciceros Haus.

Es war Kleopatras erster Besuch bei Antonius, doch Caesars Hauptmann ließ sie so lange im Atrium warten, daß es bereits gegen die guten Sitten verstieß. Als er endlich auftauchte, erkannte sie jedoch, daß er sie keineswegs hatte kränken wollen. Es war offenkundig, daß er die vorangegangene Nacht durchzecht hatte, denn obwohl es Nachmittag war, schien er sich gerade erst erhoben zu haben. Seine Toga sah aus, als habe er sie hastig übergeworfen, und das dichte, lockige Haar war unfrisiert. Er wirkte verschlafen und roch wie ein offenes Weinfaß.

»Majestät«, begann er, »ich bitte um Vergebung. Ich habe Euch nicht erwartet.«

»Das sehe ich.«

»Bitte, laßt Euch nieder.«

»Ein wunderschönes Haus. Es mangelt freilich an Einrichtung.«

»Ich führe ein einfaches Leben.«

»Nun, das hat man mir anders erzählt.« Genaugenommen hatte Mardian ihr berichtet, daß das Haus einst eine einzigartige Sammlung wertvoller Kunstschätze beherbergt hatte - angefertigt von den ersten Handwerkern des Reiches -, die inzwischen jedoch zum großen Teil beim Würfelspiel verloren oder an Freunde verschenkt worden waren.

Kleopatra nahm auf der einzigen noch vorhandenen Ruhebank Platz. Antonius scheuchte einen Diener auf, damit er ihnen etwas zu essen und trinken holte. Durch die Fenster konnte Kleopatra über den dichtbewaldeten Palatin bis zu den heruntergekommenen insulae der Armen und dem Gewirr von Gebäuden um den Circus Maximus sehen.

Der Diener kam zurück. Mit Verwunderung stellte sie fest, daß Antonius sich aus dem großen Krug, der vor ihm abgesetzt wurde, einen Pokal mit unverdünntem Wein vollschenkte. Das mußte demnach sein Frühstück sein. Sie selbst begnügte sich mit einer kleinen Menge parfümiertem Rosenwasser.

»Welchem Umstand verdanke ich die Ehre?« erkundigte sich Antonius, nachdem er den Pokal geleert hatte. Kleine Rotweintröpfchen glitzerten wie Rubine in seinem Bart.

»Es handelt sich um Caesar.«

Er rieb sich die Stirn. Wie es den Anschein hatte, war er immer noch nicht ganz wach. »Caesar?«

»Ich sorge mich um ihn.«

Armer Marcus Antonius. Er zwinkerte wie eine Eule, die Gedanken noch verwirrt vom Schlaf, vom Wein und, wie sie annahm, auch der Unzucht. Selbst die einfachste Unterhaltung bedurfte einer übermenschlichen Anstrengung.

»Der alte Knabe weiß, was er tut«, brachte er schließlich hervor.

»Er hat seine Leibgarde entlassen!«

»Ja. Ich weiß.«

»Es ist blanker Wahnsinn. Könnt Ihr ihn nicht zur Vernunft bringen?«

Er starrte sie an. Römische Frauen mischten sich nicht in die Belange ihrer Männer ein. Nun ja, Fulvia vielleicht. Aber Fulvia war auch keine Frau. Sie war eine Hyäne, eine giftige Hexe. Und dummerweise auch seine Ehefrau.

»Habt Ihr mit ihm darüber geredet?« fragte er.

»Natürlich.«

»Und?«

»Er zieht weiterhin ohne seine Liktoren durch Rom, demnach hat er meinen Worten wenig Aufmerksamkeit geschenkt.«

»Warum sollte Caesar auf mich hören, wenn er schon nicht auf seine...«

»Mätresse hört?«

»Seine Ratgeber. Auf seinen Sekretär Balbus, der ihn ebenfalls davon zu überzeugen versucht hat.«

»Nun, Balbus ist nur ein Sekretär. Ihr jedoch seid sein engster Freund. Und ein Mann. Vielleicht hört er eher auf Euch als auf mich.«

»Ihr wißt, daß Caesars Person durch den Senat als unantastbar erklärt wurde.«

»Das gilt, bis sich der erste Dolch in seine Rippen bohrt.«

»Rom liebt Caesar, Majestät.«

Kleopatra bedachte Marcus Antonius mit einem niederschmetternden Blick, und er hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen. »Wenn Ihr meinen Verstand beleidigt, gehe ich wieder.«

Er wandte den Blick nicht von ihr ab. Ihre Augen, geschminkt mit dicken Malachitstrichen, schienen ihn zu durchdringen. Ein aufregendes Wesen, mit einer betörenden Mischung aus levantinischem und makedonischem Blut. Ihre Mutter sei Syrerin gewesen, hatte man ihm erzählt. Als er ihren langen, schön geschwungenen Hals betrachtete, überkam ihn die Lust, hineinzubeißen. Das war der Grund, weshalb man Frauen aus der Politik verbannte. Sie machten es einem zu schwer, sich auf das Nächstliegende zu konzentrieren.

»Der alte Knabe hat seine Entscheidung getroffen«, sagte er. »Und wer bin ich, daß ich einen Gott rechten könnte?«

»Wünscht Ihr seinen Tod, Marcus Antonius?«

Solche Gespräche sollte man nicht führen, dachte er, wenn einem der Kopf vom Wein des Vorabends hämmert, wenn sich der Magen noch hebt und sich der Mund so pelzig anfühlt wie ein Kamel. »Ich würde sein Leben mit meinem schützen, Majestät.«

»Und wenn ein anderer seinen Tod wünscht? Wer wäre der mächtigste Mann in Rom, wenn Caesar stürbe?« Ihr Lächeln war bitter. Sie kannten beide die Antwort auf diese Frage.

»Ihr verkennt mich«, sagte er. »Ich besitze zwar weder den Verstand eines Marcus Brutus noch die Redegewandtheit eines Cicero, doch wenn ich mein Wort gebe, besitzt es Gültigkeit. Ich habe geschworen, daß ich Caesars Leben mit meinem schütze, und diesen Schwur breche ich nicht.«

In Kleopatras Lächeln lag Schwermut. Sie glaubt mir, dachte Antonius. Und sie tut gut daran, denn es ist mir ernst. »Nicht alle Männer sind derart ehrenhaft«, erwiderte sie.

»Ich habe viele Fehler, wie ihr zweifellos wißt, doch sie sind von geringer Art. Ich trinke zuviel, verliebe mich in jede Frau, spiele und schulde halb Rom ein Vermögen. Aber ich würde nie einen Mann hintergehen.«

Sie studierte ihn, als wäre er ein seltsames Tier, das sie noch nie zuvor gesehen hatte. »Marcus Antonius, wie konntet Ihr in Rom so hoch aufsteigen?«

»Ich bin unwiderstehlich«, sagte er grinsend.

Eine bemerkenswerte Frau, ging es Antonius durch den Kopf, nachdem sie ihn verlassen hatte. Ich möchte mit ihr ins Bett gehen, sehen, was sie da macht. Sie soll ja mit Feuereifer bei der Sache sein, wenn man den Gerüchten Glauben schenkt. Obwohl ich der Meinung bin, daß mehr dahintersteckt als nur die scharfe kleine Zunge und das hübsche Hinterteil. Ihr Verstand ähnelt dem Fulvias, doch ist sie ohne deren bissige Verachtung für die Lage eines Mannes. Ich mag ihren Mut.

Außerdem denkt sie wie ein Mann. Was mehr ist, als man von unserem Senat behaupten kann.

Caesar könnte recht haben. Sie wäre eine recht passable Königin. Doch dazu wird es nie kommen. Nicht in Rom.

Auch im Winter unternahmen sie lange Spaziergänge in den Gärten. Es war ein einfaches Vergnügen, das beiden Freude machte.

Die Kälte war beißend. Die Zweige entlang der dunklen Zypressenallee hingen tief unter der Last des Schnees, die Brunnen waren vereist. Ein marmorner Athlet stand vorgebeugt, um seinen Diskus über die nackten braunen Hecken zu werfen, der kalte Leib war mit Reif überzogen. Die Statue eines geflügelten Merkurs sah aus, als hätte ein böser Eisgott sie erstarren lassen.

Selbst Caesar hatte sich in einen dicken Pelzmantel gehüllt. Der graue Himmel und der weiße Garten verliehen seinem Gesicht eine besondere Blässe.

»Du siehst müde aus«, sagte sie.

»Wahrscheinlich bin ich das auch. Es ist nicht leicht, Rom zu regieren.«

»Weil es auf diese Weise unregierbar ist.«

»Da könntest du recht haben.«

»Ich würde ein neues Rom errichten.«

Die Vorstellung schien ihn zu erheitern. »Und wie würdest du dieses neue Rom gestalten, Kätzchen?« Sein Ton war neckend.

»Vielleicht werden dir meine Ideen nicht gefallen.« »Selbst wenn sie mir nicht gefallen, sind sie in der Regel unterhaltsam.«

»Nun, als erstes würde ich dich zum König machen.«

»Natürlich. Und du würdest meine Gemahlin.«

»Königin von Rom. Richtig. Danach würde ich diese lächerlichen Greise aus dem Senat auf ihr Altenteil schicken, wo sie in Ruhe vor sich hinsabbern und vertrotteln könnten.«

»Aha.«

»Statt dessen würden unsere Erlasse von Verwaltern und Beamten durchgesetzt, so wie bei uns in Alexandria.«

»Du möchtest, daß das Reich von deinen verweichlichten Griechen geführt wird?«

Sie überhörte seinen Spott. »Der König und die Königin würden das Reich führen. Der Hof gehorcht nur ihren Befehlen. Jedenfalls wären mir meine verweichlichten Griechen, wie du sie nennst, lieber als deine schnöden Großgrundbesitzer, die nur das tun, was ihnen zur Bereicherung dient. Haben sie eigentlich jemals etwas bewirkt, was Rom dienlich war?«

»Du hast gerade einige der ehrwürdigsten Familien dieser Stadt beleidigt«, sagte er mit gespielter Entrüstung. »Aber leider hast du recht«, setzte er hinzu.

»Natürlich habe ich recht. Du hast beispielsweise unzählige Legionäre, denen man für ihre Dienste Landschenkungen versprochen hat. So ist es doch, oder?«

Er nickte widerstrebend.

»Das alleinige Anliegen der guten Senatsbürger ist es aber, ihnen dieses Land vorzuenthalten und statt dessen lieber das eigene Landgut zu erweitern. Letztendlich bedeutet das, daß der Senat gegen die Legionäre kämpft.«

»Ich bin zu demselben Schluß gekommen.«

»Diese großartige Republik hat für das Land bisher nichts weiter ausgerichtet, als Anlaß für die nächsten Bürgerkriege zu schaffen. Wenn du nichts unternimmst, werden die Mauern Roms von innen gestürzt.«

Er lächelte bedrückt. »Cicero träfe der Schlag, wenn er uns so reden hörte.« Er hielt den Blick auf den Boden gerichtet. Ein einziger Krokus hatte die Frostdecke mit seinem grünen Schößling durchbrochen.

»Ich hätte noch einen zweiten Vorschlag.«

»Ich höre dir zu, Kätzchen.«

»Ich würde Rom nicht von Rom aus regieren.«

Er zog die Augenbrauen in die Höhe. Er wirkte belustigt, verärgert und interessiert.

»Es liegt zu weit vom Meer entfernt, was den Handel betrifft. Die Straßen sind eng, schmutzig und schnell voller Hochwasser. Die Stadt ist überfüllt, heruntergekommen und anfällig für Seuchen. Außerdem stinkt der Fluß.«

»Und wo wäre deiner Meinung nach die Hauptstadt Roms, wenn nicht in Rom?«

»In Alexandria.«

Er legte den Kopf in den Nacken und lachte lauthals auf. Welch eine Ungeheuerlichkeit!

»Alexandria sieht wenigstens aus wie eine Hauptstadt. Es hat Paläste und breite Straßen. Und, falls es dir noch nicht aufgefallen ist, es befindet sich im Herzen des Römischen Reiches, wohingegen Rom nur am Rande liegt. Es ist zudem näher an Tarsos, Ephesos, Antiochia und den wichtigsten Handelsstraßen nach Indien und Arabien. Nur ein Bauer vom Land würde dein Rom für eine Hauptstadt halten.«

»Rom hat Tradition.«

»Pah! Ihr wißt doch gar nicht, was das ist. Euer Land ist ja kaum siebenhundert Jahre alt. Ägypten dagegen zählt die Geschichte in Tausenden von Jahren.«

Er blieb stehen. Ihn fröstelte selbst in dem dicken Mantel. »Ich kann dir nicht widersprechen, Kätzchen, denn all das habe ich selbst bereits bedacht.«

»Rom braucht einen König, Julius. Es braucht dich.« Nicht, daß mich Rom etwas scherte, dachte sie. Selbst wenn es niederbrennen und jeden seiner Bürger zu Asche verwandeln würde, wäre es mir gleich. Doch darum geht es nicht.

»Wir werden sehen, was wir tun können«, sagte er.

»Wann?«

»Das ist kein Wagenrennen, Kätzchen. Es ist wie in einem Krieg. Geduld und Strategie zählen mehr als Geschwindigkeit. Wir trachten danach, die mächtigsten Männer Roms zu entmachten. Das ist kein leichtes Unterfangen.«

»Das stimmt nicht. Es ist ein Rennen. Ein Rennen gegen die Zeit. Und die Zeit bedeutet Leben.«

Er musterte sie nachdenklich und lange. »Fürchtest du dich nicht vor den Göttern?« fragte er leise.

Die Frage versetzte sie in Erstaunen. War Caesar inzwischen tatsächlich so abergläubisch wie der einfache Mann, der den Boden beackerte?

»Wenn wir den Göttern vorgreifen, werden sie uns vernichten«, fuhr er fort. »Vielleicht fordern wir zuviel von ihnen.«

»Wir sind mit ihnen im Bunde.«

»Vielleicht hast du recht. Wir werden sehen.« In seiner Stimme schwang Unbehagen. Er war nicht überzeugt.

Caesar befand sich in seinem privaten Arbeitszimmer, als Antonius ihn aufsuchte. Es war bereits später Nachmittag, doch Antonius war noch nicht lange auf den Beinen. Er wußte aber, daß Caesar in der Regel ab Sonnenaufgang tätig war.

Als Antonius vor dem Haus angekommen war, hatte einer der Wächter durch das schwere Eisengitter gespäht, ehe er ihn einließ und zu Caesars Allerheiligstem führte. Auf dem Weg dahin hatte Antonius festgestellt, daß, anders als bei früheren Besuchen, keine Wachen an den Türen standen. Caesars neugewonnener Glaube an die eigene Unverwundbarkeit war beängstigend.

Der alte Knabe sah noch nicht einmal hoch. »Du wolltest mich sehen?« fragte er barsch.

»Ja, du solltest nämlich etwas wissen«, antwortete Antonius. »In der Stadt kursieren schon wieder Gerüchte.«

»Worum geht es dieses Mal?«

»Man behauptet, daß die Priester die Sibyllinischen Seherinnen wegen des Angriffs auf Parthien befragt haben.«

Das Orakel der Sibyllen. Einer der früheren Könige hatte diese Einrichtung vor Jahrhunderten mit nach Rom und in den Jupitertempel gebracht. Wie alle Prophezeiungen handelte es sich um verdichtete, rätselhafte Aussagen, die nach dem Gutdünken der Auslegenden verstanden werden konnten. Der Pöbel jedoch glaubte daran.

»Und was hat man laut der Gerüchte erkannt?«

»Daß kein Römer Parthien erobern kann, es sei denn, er wäre ein König, denn sonst drohe ihm der Tod und Rom Schande. Die Priester sind zu dem Schluß gekommen, daß Rom, wenn es Caesar sendet, ihn nur als König Caesar senden darf. Das hat großes Aufsehen erregt.«

»Mir ist dieses Gerücht selbst zu Ohren gekommen.« Caesar lächelte und legte den Messingstylus nieder. »Wenn man es genau nimmt, stammt es sogar von mir.«

Antonius nickte.

»Aber das hast du natürlich vermutet. Deshalb wolltest du mich sehen.«

»Nun, du bist der oberste Priester«, stimmte er zu. Caesar war zum Pontifex Maximus ernannt worden, dem höchsten heiligen Amt in Rom, und das für die Zeit von zwanzig Jahren. Es hatte eine ordentliche Wahl stattgefunden, was soviel hieß, daß Caesar einen ordentlichen Preis für die Stimmen gezahlt hatte. »Wenn jemand das Orakel deuten kann, dann doch du.«

Cicero hat recht gehabt, dachte Antonius. Der alte Knabe will alles für sich. Doch warum auch nicht? An Ehrgeiz hatte es Caesar nie gemangelt. Als er den Rubikon überschritt, um gegen Pompejus anzutreten, hatte er mehr als nur eine Grenze hinter sich gelassen. Und er, Antonius, würde sich ihm gewiß nicht in den Weg stellen. Schließlich war gut für Antonius, was gut für Caesar war.

»Habe ich dein Vertrauen, Marcus?«

»Das weißt du.«

»Dann möchte ich, daß du mir hilfst. Wie ich gehört habe, leitest du das Fest der Lupercalien.«

Antonius zuckte die Achseln. »Ich habe meine Dienste angeboten. Immerhin darf man dabei nackte Mädchen peitschen. Warum sollte ich den Spaß nur den Priestern überlassen?«

»Oh, ich will dich auch von nichts abhalten.« Caesar beugte sich vor und senkte die Stimme. »Doch am Ende der Prozession mußt du mir einen Gefallen tun.«

15

Das Fest der Lupercalien war herangekommen.

Wieder einmal so eine blutige, schmutzige Angelegenheit, dachte Kleopatra, eines von diesen ausschweifenden Festen, an denen die sittsamen Römer so große Freude hatten, genau wie an Wagenrennen und Circusspielen, wo Gefangene von Löwen zerrissen wurden. Trotz all ihrer Gesetze, Gerichte und Senatshäuser, trotz ihrer Theaterstücke und Gedichte waren sie im Grunde ihres Herzens Wilde geblieben. Der Rest war Täuschung.

Bei den Lupercalien wurde die Rückkehr des Frühlings und der Beginn des wiedererwachten Lebens gefeiert, obwohl sich die neue Jahreszeit in Rom noch nicht recht einstellen wollte. Der Tag war kalt, der Himmel eisblau, und auf den Bergen lag immer noch Schnee. Caesar, der den Festlichkeiten vorstand, saß auf einem goldenen Thron auf der Rostra. Er trug das Purpurgewand des Triumphators und den goldenen Lorbeerkranz auf dem Haupt. Das Forum quoll über vor Menschen, es herrschte eine aufgewühlte, aufgekratzte Stimmung. Die Verkäufer der dampfend heißen Pasteten, die ihre Waren im Forum verkauften, machten ein gutes Geschäft.

Kleopatra und Caesarion wurden in einer Sänfte ins Forum getragen und nahmen ihre Plätze neben den anderen Würdenträgern auf vergoldeten Sesseln ein, die man ihnen auf den Tempelstufen bereitgestellt hatte. Dort saßen auch Marcus Brutus, Decimus und Cassius. Sie nickte ihnen zu, und sie verneigten sich. Höfliche, wohlerzogene Männer, die sie aus ganzem Herzen haßten.

Sie wirken alle so angegriffen und ernst, fand Kleopatra. So als stünden sie gerade unter einer besonderen Belastung. Dabei soll das hier doch ein Fest sein, dachte sie. Können sie denn die Politik nicht einmal einen Tag lang vergessen?

Zuerst wurden eine Ziege und ein Hund geopfert, die Sinnbilder Pans und Lupercus', die alten Götter der Natur. Junge Männer aus vornehmen römischen Familien, denen man den nackten Oberkörper mit dem Blut der toten Tiere bestrich, waren zu Priestern auserkoren worden. Anschließend wurden die Tiere gehäutet und die Haut in dünne Streifen geschnitten, die man februa nannte. Nach dieser Bezeichnung hatte der Monat, in dem die Lupercalien gefeiert wurden, seinen Namen erhalten.

Drohend, halb nackt und blutverschmiert bahnten sich zwei von ihnen den Weg durch die Straßen Roms. Sie hatten die februa zu Peitschen gebündelt und schlugen auf jeden ein, der sich ihnen in den Weg stellte. Das Fest war unter anderem auch ein Fruchtbarkeitsritus, denn die Römer glaubten, daß die Frau, die von der Peitsche getroffen wurde, wenig später empfänglich sein würde. Demzufolge kamen die beiden Priester auch nur langsam voran, da sich ihnen viele der jungen verheirateten Frauen anboten, um sich die schmerzhaften Segnungen einzuholen.

Plötzlich teilte sich die Menge. Die Frauen fingen an zu kreischen, dazwischen hörte man das Knallen der Peitschen. Man sah, wie sich die Frauen vordrängten und sich die Kleidung herunterrissen. Einige der nackten Rücken waren schon von Striemen entstellt. Hinter ihnen stolzierten die beiden Priester, die die blutigen februa schwangen.

Kleopatra erkannte einen von ihnen. Bis auf einen Lendenschurz aus Ziegenhaut trug er nichts. Er besaß einen makellosen Körper, die Muskeln auf Brust und Schenkeln wölbten sich unter einer Schicht aus Blut und Schweiß. Er wirkte wild, primitiv - und schön. Durch die Zuschauer ging ein ehrfürchtiges Raunen.

Marcus Antonius.

Kleopatra hörte, wie Decimus hinter ihr sagte: »Meine Güte, und dieser Mensch will ein Konsul sein? Hat er denn keinen Anstand mehr im Leib?«

»Es ist ungeheuerlich!« stimmte ihm Calpurnia zu. Kleopatra sah jedoch, daß sich auf ihrem Gesicht etwas anderes abzeichnete als Entrüstung.

Eine kreischende, aufgeregte Menge folgte den beiden Männern ins Forum. Ein junges Mädchen, das die Arme über den bloßen Brüsten verschränkt hielt, schrie vor Schmerz auf, als Antonius ihr die februa über den Rücken zog. Die Menge öffnete sich einen kleinen Spalt, um ihr Platz zu machen. Sie schoß darauf zu und wollte flüchten wie ein verängstigtes Reh.

Kleopatra fühlte sich unbehaglich. Da steckt mehr dahinter als der Wunsch nach Fruchtbarkeit, dachte sie. Wieder und wieder knallte die Peitsche. Antonius war seinem Opfer gefolgt, das nun, von den anderen erneut eingekeilt, den Hieben erbarmungslos ausgesetzt war. Kleopatra spürte die Erregung, die sich unter den Männern breitmachte. Es herrschte die gleiche aufgeladene Stimmung wie im Circus Maximus. Gewalttätige Menschen, die sich an ihrer Lüsternheit und ihrem Blutdurst berauschten.

Erst als es aussah, als ob das Mädchen erschöpft zusammenbräche, ließ Antonius von ihr ab, und sie konnte entkommen. Die Männer protestierten lautstark, doch sie war in Sicherheit, und es galt, nach einem neuen Opfer Ausschau zu halten.

Doch dann geschah etwas, das der Pöbel nicht erwartet hatte, etwas, das nichts zu tun hatte mit dunklen Begierden und uralten Riten.

Kleopatra wußte nicht, ob Antonius die Krone bereits in der Hand gehabt hatte, als er in das Forum kam, oder man sie ihm auf ein verabredetes Zeichen hin übergeben hatte. Plötzlich sprang er jedoch auf die Rostra und schwang das glänzende königliche Diadem. Man hörte, wie die Menge die Luft anhielt. Antonius trat vor Caesar. Auf dem Platz herrschte Grabesstille.

»Bei Jupiter«, hörte Kleopatra Brutus hinter sich murmeln. »Was hat dieser Narr nun wieder ausgeheckt?« Antonius hatte sich auf ein Knie vor Caesar niedergelassen und reichte das Diadem zu ihm empor. »Caesar«, rief er so laut, daß Kleopatra es bis zu ihrem Platz auf den Tempelstufen hören konnte, »ich überreiche Euch dieses Diadem im Namen des römischen Volkes. Ihr sollt die Krone tragen und Eures Volkes König sein!«

Unter den Senatoren wurden Äußerungen der Entrüstung laut. Die Menge war wie versteinert. Jeder wartete auf Caesars Reaktion. Mit einemmal wurden einzelne Stimmen laut, die riefen, er solle die Krone nehmen. Vielleicht waren sie aber auch von Caesar oder Antonius bezahlt worden, denn alle anderen blieben stumm.

Caesar Lippen kräuselten sich vor Wut und Enttäuschung. Kleopatra wußte, worauf er gehofft hatte. Er hatte gewollt, daß das Volk in einen Beifallssturm ausbrach, denn danach hätte er sagen können, daß er die Krone habe nehmen müssen, weil das Volk ihn dazu gezwungen hätte.

Statt dessen streckte er die Hand aus... und schob das Diadem beiseite.

Antonius wirkte überrascht. »Caesar, dies ist Eure Krone!« rief er erneut. »Das Volk wünscht Euch zum König.«

Caesar ließ den Blick über die Menge schweifen. Eisiges Schweigen. Das Volk hatte entschieden.

Nimm sie, dachte Kleopatra. Nimm sie, und mach der Sache ein Ende. Die Krone steht dir zu. Wer wagt es denn, dir Einhalt zu gebieten?

Dennoch wußte sie, daß sein Instinkt richtig war. Er konnte vielleicht ohne die Unterstützung des Senats vorgehen, auch ohne den Auftrag des Volkes, aber er konnte sich nicht beiden zugleich widersetzen.

Oder handelte es sich wieder um eine seiner Finten? Wollte er die Senatsväter womöglich nur in Sicherheit wiegen und sie glauben machen, daß er den Thron nicht anstrebte, um sie nachher hinterrücks zu überfallen? War es nur eine Taktik, eines seiner Manöver? Kleopatra wußte, daß er ihr darauf nie eine Antwort geben würde.

Antonius hielt Caesar das Diadem ein drittes Mal hin, doch Caesar hatte seinen Entschluß gefaßt. Er erhob sich und stieß die Krone fort. »Jupiter ist der König Roms«, verkündete er. »Nehmt die Krone und setzt sie auf sein Haupt in seinem Tempel.«

Die Menge brach in tosenden Beifall aus. Als Antonius sich mit dem Diadem in der Hand an allen vorbei zum Jupitertempel drängte, war es Kleopatra, als habe man ihr das Herz aus dem Leib gerissen. Julius hatte befunden, daß die Zeit noch nicht reif war. Die Gelegenheit war vertan. Einen Moment lang hatte die Zukunft Ägyptens in der Waagschale geschwebt, doch dann hatte das Schicksal sich gegen sie entschieden.

Als Kleopatra sich erhob, merkte sie, daß sie zitterte. Da Caesar sie nicht zu sich bat, bestieg sie ihre Sänfte und ließ sich nach Hause tragen. Sie versuchte sich einzureden, daß sie zu ungeduldig sei und daß Caesars Entscheidung richtig gewesen war. Hatte er zuletzt nicht auch Pothinos besiegt? Und würde er nicht schließlich auch hier triumphieren?

16

Ein wunderschönes Haus, doch es mangelte tatsächlich an Einrichtung. Ihre Majestät hatte recht gehabt. Es sah leer aus. Er mußte mit der Spielerei aufhören.

Ein kalter Luftzug ließ die Türen erzittern und die Lampenlichter aufflackern. In den Zimmerecken waren Kohlebecken aufgestellt worden, doch sie machten die Kälte lediglich etwas erträglich. Brutus und Cassius hatten sich auf den Ruhebänken ausgestreckt und wärmten sich mit ein paar Schlucken heißen Würzweins.

»Wie es scheint, plant Caesar schon wieder die nächste Heldentat. Er macht jetzt ernst mit Parthien«, begann Brutus.

»Er bezeichnet es als den krönenden Abschluß seines Lebens«, spöttelte Cassius.

Brutus sah Antonius an. »Ich frage mich nur, was in der Zeit aus Rom werden soll.«

Antonius tat, als wisse er nichts von dem Gerede, das in den Bädern kursierte. »Was meinst du damit?«

»Nun, Caesar besitzt immerhin die absolute Macht. Er ist Diktator des Volkes, Imperator der Armee und Pontifex Maximus der Priester. Alles geschieht nur auf sein Geheiß. Ohne ihn ist Rom hilflos. Will er diese Macht etwa abgeben, ehe er die Stadt verläßt?«

»Er hat mir gegenüber nichts in der Art verlauten lassen.«

»Vielleicht wird er dir die Geschäfte übertragen.«

»Vielleicht. Doch wenn Caesar nach Parthien zieht, würde ich eigentlich gern mit ihm ziehen.«

»Er wird zwei oder gar drei Jahre fort sein. Was soll in der Zeit aus Rom werden?«

Worauf wollen die beiden hinaus? fragte sich Antonius. Wenn mich nicht alles täuscht, verfolgen sie ganz bestimmte Absichten. Doch Caesar verraten können sie nicht. Cassius verdankt ihm sein Leben, und wenn man den Gerüchten Glauben schenkt, ist Brutus sogar sein Sohn. Außerdem hat er ihnen, obwohl sie seine Feinde waren, zu hohen Ämtern verholfen.

Dennoch mißtraute Antonius ihnen. Männer, die ihr Leben mit Denken zubrachten, konnten sich alles mögliche einreden. Wenn man ihm die Wahl ließe zwischen Geist oder Ehrgefühl, würde er sich für letzteres entscheiden.

Ein Diener trat ein, um die Öllampen nachzufüllen. Cassius und Brutus verstummten. Überall in Rom lauerten Spitzel. Selbst den Dienstboten war nicht zu trauen.

Nachdem der Mann wieder verschwunden war, begann Antonius erneut: »Was soll's? Ihr wißt ja, wie der alte Knabe ist. Er macht letztendlich doch, was er will.«

»Und gerade das lieben wir so an ihm«, ergänzte Cassius.

»Doch wir liebten ihn noch mehr, wenn er sich nicht wie der König von Rom aufführen würde«, setzte Brutus hinzu.

»Wie meinst du das?«

»Wenn er sich noch mehr Denkmäler setzt, werden die Wagen bald nicht mehr durch die Stadt kommen. Außerdem sollte ihm vielleicht jemand sagen, daß man das Triumphgewand auch einmal ablegen kann, und sei es nur, um es waschen zu lassen.«

»Er hat sich die Ehren, die er besitzt, reichlich verdient.«

»Das Gerede über sein Königtum beunruhigt dich demnach nicht, Marcus Antonius?«

»Nein, tut es nicht«, erwiderte Antonius. »Diktator oder König, wo ist da schon der Unterschied? Caesar ist Caesar. Mir ist es lieber, wenn er Rom regiert als die Schar alter Weiber aus dem Senat.«

Cassius antwortete mit einem frostigen Lächeln. Brutus schwieg. Antonius schenkte sich erneut Wein nach, und das Gespräch wandte sich anderen Themen zu.

Sie lagen beieinander und schauten durch die Fenster zu, wie die Nebel durch die Pinien zogen und der Mond das erste blasse Licht verstrahlte.

»Du bist also entschlossen? Du ziehst gegen Parthien?«

»Parthien ist mein Schicksal.«

»Ich flehe dich an, noch einmal darüber nachzudenken. Parthien ist nicht wie Afrika oder Gallien. Es liegt zu weit von Rom entfernt. Der Weg führt ins Verderben.«

»Der Weg führt zu den verlorenen Standarten des Crassus. Ich hole sie mir zurück, ebenso wie die gefangenen Legionäre. Die Schande wird getilgt!« Crassus war einer von Pompejus'

Kampfgefährten gewesen, der den Krieg gegen Parthien geführt hatte. Kleopatra war damals sechzehn Jahre alt gewesen. Er war in Charran in Medien getötet worden. Seine Soldaten waren gefallen oder in Gefangenschaft geraten.

»Und wenn du dabei umkommst?«

»Dann werde ich nicht so groß wie Alexander sein, denn er hat den Krieg geführt und ist dabei nicht umgekommen.«

Was sollte das alles? Mußte er sich denn immer noch mehr beweisen? »Ich verstehe dich nicht.«

»Parthien können wir beide regieren«, sagte er. Seine Augen leuchteten, als hätte er eine Vision. »Rom ist zu weit entfernt davon, als daß es sich einmischen könnte. Es wird mein Legat für unseren Sohn. Laut Gesetz erbt er nichts von dem, was mir in Rom gehört. Doch ich kann ihm ein eigenes Imperium schaffen... «

Er hielt jäh inne und preßte die Hände an die Schläfen. »Was ist mit dir?« fragte sie besorgt und fürchtete bereits, daß die Götter erneut bei ihm Einzug halten würden.

»Diese Kopfschmerzen«, sagte er. Er war kalkweiß geworden. Sein Gesicht wirkte eingefallen.

»Caesarion kann alles erben«, flüsterte sie, »ohne daß Caesar nach Parthien zieht.«

»Du hast die Menschen an den Lupercalien erlebt. Ich fürchte, es wird nicht möglich sein.«

Kleopatra spürte, wie der Zorn in ihr aufwallte. Wieviel länger sollten sie noch warten? Die Römer wurden zu Helden, wenn sie in die Fremde zogen, doch wenn sie zurückkehrten, verwandelten sie sich zu Kindern, die die Schelte der Mutter fürchteten.

»Ich kann nicht König sein«, sprach er weiter. »Doch ich kann Könige ernennen.«

»Du bist bereits König, es fehlt allein der Name. Du hast selbst gesagt, daß die Republik tot ist. Sie ist unnatürlich. Menschen wollen geführt werden, und dazu sind Könige da. Du hast keine Krone geerbt, doch du wurdest als König geboren.«

»Parthien gibt uns, was wir wünschen.«

»Ich habe bereits, was ich wünsche. Ägypten lebt im Frieden, ist unabhängig und stark. Ich brauche kein Parthien.«

»Aber du brauchst mich.«

Es war hoffnungslos. Warum konnte er es nicht einsehen? »Ich biete dir Stützpunkte, an denen du deine Truppen sammeln und dich ausruhen kannst. Mehr jedoch nicht.«

»Das reicht nicht. Ich brauche Vorräte, Ausrüstung und Reiterei.«

»Ich soll dir Männer und Geld geben, damit du deinen Träumen nachjagen kannst? Was ist denn mit meinen Träumen?«

»Ohne Rom - ohne mich - sind das Sklaventräume.« Sie starrte ihn an. Die Wahrheit! Endlich hatte er sie ausgesprochen. Sie war nur sein Werkzeug. Das wollte er ihr damit zu verstehen geben.

Vielleicht hatte er sich von dem Geschwätz im Forum beeinflussen lassen. Mardian hatte ihr erzählt, daß die Menschen glaubten, sie würde ihn beherrschen. Doch sie hatte ihn nirgendwo hingeführt, wo er nicht selbst auch hingewollt hatte.

»Wenn ich die Krone jetzt nähme«, sagte er besänftigend, »und zöge nach Parthien - was würde dann geschehen? Es gibt Mitglieder des Senats, die mir nicht gewogen sind, Männer, deren Einfluß ich nicht unterschätzen darf. In den drei Jahren, in denen ich fort bin, könnte ich die Krone niemals bewahren.«

»Dann ziehe nicht fort.«

»Wenn ich es nicht tue, fehlen mir die Stimmen des Volkes, die ich brauche.«

»Was sollst du denn noch alles tun? Mit oder ohne Parthien -Rom wird sich dir nicht widersetzen.«

»Ich muß Parthien erobern. Ich will nicht, daß Alexander mein Leben überschattet. Ich will so sein wie er!«

Das also ist der Kern des Problems, dachte Kleopatra. Es quält ihn, den Vergleich zu ziehen. Vielleicht zweifelt er selbst an seinem Recht zum Königtum, ehe er nicht in Babylon war.

Sie holte tief Luft. »Wenn du gehen mußt, dann mache mich zu deiner Königin. Laß mich Rom regieren, während du fort bist.«

Er schaute sie fassungslos an. »Eine Fremde als Herrscherin über Rom? Dein Leben wäre verwirkt, sobald ich einen Fuß aus der Stadt gesetzt hätte, selbst wenn ich närrisch genug wäre, deinem Ansinnen nachzugeben.«

»Heirate mich.«

Er setzte sich auf und faßte sich abermals an die Schläfen. Die Knöchel traten weiß hervor.

Er wird den Krieg nicht überleben, dachte Kleopatra. Caesar stirbt, aber nicht auf dem Schlachtfeld. Die Fallkrankheit wird ihn hinwegraffen.

Sie spürte, wie sie mit einemmal die Kraft verließ. Es war zwecklos. Sie hatte ihn ohne Unterlaß angefleht, aber es hatte immer Ausflüchte gegeben. Parthien, Calpurnia, der feindselige Senat. Der große Caesar, so berühmt für die Schnelligkeit und Entschlossenheit seines Handelns, ließ sich von Ängsten lahmen.

»Wenn ich aus Parthien zurückkehre, wird mich ganz Rom als Gott feiern«, sagte er. »Dann können wir tun, was wir wollen, und niemand wird sich uns widersetzen.«

»Laß sie sich doch widersetzen. Schon jetzt kann dir niemand Einhalt gebieten.«

»Du verstehst es einfach nicht. Rom hat seit vierhundert Jahren keinen König mehr.«

Er hatte recht. Sie verstand es nicht. Einen Thron mit einem zweiten zu verbinden, das ergab für sie Sinn. Warum sollte Rom sich gegen etwas wehren, was der übrigen Welt nur natürlich erschien?

»Was ist mit Calpurnia? Warum läßt du dich nicht von ihr scheiden? Soll das auch warten, bis du zurück aus Parthien kommst?«

Er wurde ärgerlich, wie immer, wenn man seine Beschlüsse in Frage stellte, wenn man ihn zu Erklärungen zwang. »Was für einen Unterschied macht das? Ich kann dich nicht heiraten, ehe sich meine Situation in Rom geändert hat.«

»Und wenn sie sich ändert?«

»Dann werde ich Calpurnia verlassen, obwohl es mir nicht leicht sein wird. Calpurnia war über vierzehn Jahre hinweg eine gute und treue Ehefrau, wenngleich ich selten in Rom war, um mich ihr zu widmen. Da sie unfruchtbar ist, wird sie keinen neuen Gefährten finden.«

»Da sie unfruchtbar ist, kannst du dich von ihr scheiden lassen, wann immer du willst.«

»Calpurnia ist eine römische Dame, und du hast kein Recht, mir Vorschriften zu machen.«

Natürlich, trotz ihrer Mängel war Calpurnia immer noch Römerin, wohingegen sie, obgleich sie ihm einen Sohn geschenkt hatte, immer noch eine peregrina, eine Fremde, war.

»Zudem«, sagte er, »gibt es nicht nur in meinem Leben Hindernisse.«

»Du redest von meinem Bruder.«

»Ich kann dich nicht heiraten, solange du verheiratet bist.«

»Es war dein Wunsch.«

»Damals hatte ich meine Gründe. Außerdem ist geschehen, was geschehen ist. Doch wenn es an der Zeit ist, solltest du auch deine Situation überdenken.«

»Er ist noch ein Junge.«

»Aber eines Tages ist er ein Mann. Er hat Anspruch auf deinen Thron. Denk darüber nach, Kätzchen!«

Sie erinnerte sich daran, wie sie seine Entschlossenheit bewundert hatte, als er Ptolemaios in den Tod schickte.

Würde sie sein können wie Caesar, wenn alles auf dem Spiel stand?

17

Apollodoros war noch immer der gleiche. Er schlug die Augen nicht nieder, wie es andere in ihrer Gegenwart taten, sondern musterte sie mit dem gewohnten Blick leichter Belustigung.

Kleopatra hatte ihn zum letzten Mal an jenem Tag gesehen, als er sie in den Lochias-Palast schmuggelte. Er war Zeuge ihrer Furcht gewesen, hatte sie elend erlebt und krank. Sie spürte einen Anflug von Befangenheit, den sie jedoch gleich wieder unterdrückte. Damals hatte Mardian ihn ausgewählt -und auch dieses Mal war es Mardians Idee gewesen, Apollodoros abermals mit einer heiklen Aufgabe zu betrauen.

»Mein treuer Apollodoros«, sagte Kleopatra. »Wie geht es dir?«

»Ich habe getan, was Ihr befahlt. Ich habe die letzten drei Monate in Diensten des Antonius zugebracht.«

»Hat er dich gut behandelt?«

»So gut, wie ein Mann seinen Sklaven nun einmal behandelt. Er hat mich gar nicht wahrgenommen. Ich hingegen kenne ihn gut.«

»Und?«

»Was wünscht Eure Majestät zu wissen?«

»In einem deiner Berichte erwähntest du, daß er sich eines Abends allein mit Cassius und Brutus getroffen hat. Worüber haben sie geredet?«

»Ich konnte kaum etwas verstehen. Sie verstummten, sobald ich den Raum betrat. Es sind vorsichtige Männer. Oder vielleicht sollte ich sie besser furchtsam nennen.«

»Du hast demnach nicht gehört, daß Antonius Schlechtes über Caesar redete?« »Nein. Beim Abschied schienen sie kühl, doch mehr war nicht zu erkennen.«

»Hast du ihn überhaupt jemals über Caesar reden hören?«

»Ja. Im vertrauten Kreis nennt er ihn den alten Knaben, und hin und wieder macht er auch einen Scherz, was Caesar und Euch betrifft - jedoch nur unter Freunden.«

»Welcher Art sind diese Scherze?«

»In der Art, daß er Caesar das exotische Nachtmahl neide, das dieser abends verzehre. Vor den gröberen Spaßen möchte ich Euch verschonen.«

»Sehr feinfühlig von dir, Apollodoros.«

»Verächtlich äußert Antonius sich lediglich über seine Frau, jedoch nicht ohne Grund. Fulvia ist eine Giftnatter, ein Weib, dem die Rute gebührt, wenn Ihr mich fragt. Sie hat mich zweimal geschlagen. Ich mußte mir vor Augen halten, daß ich in Euren Diensten bin, sonst hätte sie es gebüßt.«

»Ich werde es dir vergelten.«

»Das hat Mardian bereits getan.« Er zögerte. »Da wäre jedoch noch etwas anderes.«

»Sprich!«

»Es geschah nach einem seiner Feste auf dem Land. Man hatte ein Ritual nach Art des Bacchus veranstaltet. Eine Schar junger Männer und Frauen waren zusammengekommen, und es sind Dinge geschehen, die ich vor Euch nicht wiederholen mag. Der Wein floß in Strömen, soviel sei gesagt, und schließlich ließ man der Natur freien Lauf.«

»Eine Orgie?«

»Ja, Majestät. Sie führten sich auf wie hitzige Tiere.«

Kleopatra unterdrückte ein Lächeln. Apollodoros versuchte offensichtlich, sie auf versteckte Art herauszufordern. »Es liegt, wie du schon sagtest, wohl tatsächlich in unserer Natur«, erwiderte sie.

»Am folgenden Morgen fand ich eins der Mädchen tot im Wald.«

Sie beugte sich erschrocken vor. »Tot, sagst du?«

»Erwürgt, wie es den Anschein hatte.«

»Glaubst du, daß es Antonius war?«

Apollodoros schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn nie gewalttätig erlebt, Majestät, selbst wenn er sinnlos betrunken war, was häufig genug vorkommt. Dennoch möchte ich Euch vor ihm und seinesgleichen warnen. Wenn ein Römer dem Dionysos folgt, führt es in den Wahn. Antonius kann man trauen, doch nicht dem Gott, zu dem er betet.«

Nachdem Apollodoros gegangen war, dachte Kleopatra über seine Worte nach. Antonius war offenbar nicht so einfältig, wie sie geglaubt hatte. Doch konnte man überhaupt Caesars Gefolgsmann werden, wenn man nicht auch eine dunkle, zerstörerische Seite in seiner Seele besaß? Ihr Vater war wie viele Griechen Alexandrias ein Anhänger des Dionysos gewesen. Genaugenommen hatten die Ptolemaier den Gott erst in Ägypten eingeführt und ihn der Bevölkerung nahegebracht, indem sie ihn mit dem ägyptischen Osiris zu einer Gestalt verschmolzen, die sie Serapis nannten.

Für ihren Vater war dieser Gott Zuflucht geworden, die Anbetung eine Form des Vergessens - doch ihr Vater war auch ein schwacher Mensch gewesen. Die Römer hingegen suchten im Rausch die Erhöhung, wähnten sich göttlich im Trunk.

Was war es bei Antonius, das ihn dem Wein zuführte? Krankte auch er an einer Schwäche, trotz seiner Muskeln und dem kriegerischen Mut?

18

Auf dem Weinlaub lag noch der Rauhreif, und auf dem ruhigen Brunnenwasser trieb Eis, doch an den Pfirsich- und Kirschbäumen zeigten sich schon erste zarte Knospen. Die ersten Märztage waren vorüber, und die Truppen, die Caesar nach Parthien begleiten würden, sammelten sich auf dem Marsfeld.

Caesar kam in Mantel und Rüstung. Er war in Begleitung seiner Befehlshaber, Antonius, Decimus und Marcus Lepidus. Sie hatten die Truppen auf dem Marsfeld inspiziert. Caesar war blaß und wirkte müde.

Er stieg von seinem Pferd. Kleopatra erwartete ihn unter dem Eingangsportal, zusammen mit Mardian und weiteren Vertrauten. Sie hatten sich in dicke Pelzmäntel gehüllt, um sich gegen die Kälte zu schützen.

»Ich bin gekommen, um Lebewohl zu sagen«, begann Caesar.

»Wann brichst du auf?«

»In drei Tagen.«

So bald. Nun gab es kein Hoffen mehr.

Seit ihrem letzten Gespräch war ihre Beziehung angespannt. In den vergangenen Wochen hatten sie sich kaum gesehen. Die nächtlichen Besuche waren selten geworden. Caesars Gedanken richteten sich ganz auf den Feldzug gegen Parthien. Kleopatra hatte sich damit abgefunden. Nachdem sie Caesar nicht von seinem Kurs hatte abbringen können, war sie gewappnet und rechnete damit, erneut verraten zu werden. Man wußte schließlich nie, welches Spiel Caesar spielte. Wenn man ihn nicht überzeugen konnte, die Interessen seines einzigen Sohnes zu wahren - wußte man dann, was er tun würde, wenn er aus Parthien zurückkäme?

Wenn er zurückkäme.

»Was wirst du nun tun?« fragte Caesar.

»Ich kehre nach Ägypten zurück, sobald das Wetter es erlaubt.«

Er nickte, schien erleichtert. »Das wäre klug. Hier hast du Feinde.«

»Ich flüchte nicht vor Römern, ich kehre zu meinen Pflichten zurück.« Immer die gleiche Überheblichkeit. Als ob das Geschehen in Rom das Maß aller Dinge sei. »Ich werde Isis um deine sichere Rückkehr bitten.«

Caesar ging nicht darauf ein. Statt dessen murmelte er: »Vielleicht erfüllt sich unser Traum, bevor ich gehe.«

Kleopatra starrte ihn an, wagte kaum zu atmen. Er hatte ihre Hoffnungen so viele Male zerstört. »Was willst du damit sagen?«

Er lächelte matt. »Ehe ich losziehe, wird der Senat das Sibyllinische Orakel erörtern. Ich denke, daß man mich am Ende der Debatte zum König macht.«

War das wieder eines seiner Spiele? Warum hatte er denn nicht früher etwas davon verlauten lassen? »Ist es gewiß?«

Caesar zuckte die Achseln. »Nichts ist gewiß. Marcus Antonius sagte jedoch, daß die nötige Zahl der Senatoren für diesen Plan gewonnen werden konnte. Er hat sie bestochen, und die, die nicht käuflich waren, bedroht.«

»Dann wirst du König von Rom?«

Er wich ihrem Blick aus. »Es könnte einen Kompromiß geben.«

Oh, natürlich. Ihr geliebter Julius. Es gab immer irgendeinen Kuhhandel. »Einen Kompromiß?«

»Ich werde zwar König, doch nicht der von Rom. Statt dessen gewährt man mir die Teile des Reiches, die außerhalb Italiens liegen. Ich könnte eine Königin meiner Wahl heiraten, den Hauptsitz der Monarchie nach Alexandria verlegen, und Caesarion wäre für dieses Reich mein Erbe.«

Einen Moment lang war Kleopatra wie versteinert. »Ohne Rom wird dein Sohn nie sicher sein - nichts wird sich ändern!« begehrte sie schließlich auf.

»Für mich wird sich etwas ändern«, erwiderte er kalt.

»Läßt du dich dann auch von Calpurnia scheiden?«

»Das wird nicht vonnöten sein. Sie bleibt die kinderlose Frau des römischen Diktators. Du wirst meine Königin.«

Kleopatra erkannte die Absicht, die sich dahinter verbarg. Wie immer hatte er sich das Beste herausgepickt. Falls der Senat seinen Wünschen entsprach, würde er die Ehe mit ihr als politischen Schritt rechtfertigen, als geschicktes Taktieren seinerseits. Dagegen würde auch das Volk nichts einzuwenden haben, denn die Einverleibung Ägyptens, samt königlichem Haus und prall gefüllter Schatztruhe, wäre jedem recht. Damit besäße Caesar endlich alles - einschließlich der Liebe seines Volkes. Er hatte sie nicht verraten, sondern nur seine Schachfiguren verstellt.

Seine Lippen glitten über ihre Wange. »Wir werden Götter sein«, flüsterte er.

Du Mistkerl, dachte Kleopatra und wandte den Kopf ab. Er hob gleichgültig die Schultern. Zweifellos hatte er ihre Reaktion vorausgesehen. Und wenn schon? Er würde zwei Jahre in der Fremde sein - mindestens zwei Jahre. Bis er zurückkäme, würde sie ihm verziehen haben. Und schließlich warteten auf dem Weg nach Parthien schon die Frauen anderer Männer, die ihn trösten würden. Wie man hörte, hatte sich Herodes gerade wieder frisch vermählt.

»Auf daß die Götter dich begleiten und deinen Weg behüten«, sagte Kleopatra förmlich.

In seinen Augen glomm ein seltsamer Blick. War es etwa Reue? Nun, sie hätte darauf nicht wetten wollen. »Vale, Kätzchen.«

Sie schwieg und sah zu, wie er ging. Was immer auch geschieht, dachte sie, von einem Römer lasse ich mich nicht mehr betrügen.

Kleopatra konnte nicht schlafen.

Der März war inzwischen weiter fortgeschritten, doch der Winter wollte nicht weichen. Stürme kamen aus dem Norden mit Regengüssen und Windböen von solcher Stärke, daß sie etliche der Zypressen im Garten entwurzelten.

Kleopatra lag in ihrem Bett, hörte, wie der Wind um die Pinien stob, Äste brach und heulend durch die Türritzen fegte. Irgendwo ging ein Lampenständer mit lautem Getöse zu Boden.

In den vergangenen Tagen war die Stadt von einer eigenartigen Spannung erfaßt gewesen. Jeder wußte, daß der Senat am folgenden Tag - an den Iden des März - die Sibyllinischen Orakel diskutieren würde. Mardian hatte inzwischen Gerüchte vernommen, nach denen man Caesar nach dem Leben trachtete. Doch solche Gerüchte kursierten schon von jeher.

Auf den Märkten wurden die Schwätzer und Wahrsager belagert, als seien sie das eigentliche Orakel. Die Rede war von wunderlichen Zeichen, von neugeborenen Kindern, die mit zwei Köpfen zur Welt kamen, Statuen, die blutige Tränen vergossen, von Lichtern, die am Himmel erschienen. Eine Geschichte, die sich besonderer Beliebtheit erfreute, war die eines Wolfes, der aus den Wäldern auftauchte, einem Torwächter das Schwert entriß und damit in der Nacht verschwand.

Kleopatra starrte in die Dunkelheit, zerbrach sich den Kopf und dachte an Caesars Kompromiß. Im Grunde war es mehr, als sie damals zu hoffen gewagt hatte. Caesar als König und Gemahl der Königin von Ägypten! Es würde ihrem Land Frieden gewähren, und Caesarion wäre die Nachfolge sicher. Nein - das stimmte nicht, sicher wäre sie nicht. Caesarion war noch klein, und es war durchaus absehbar, daß Caesar seine Thronbesteigung gar nicht mehr erlebte. Und nach Caesars Tod gäbe es andere Menschen, die Rom regierten. Vielleicht würde der nächste Imperator all das zurücknehmen, was Caesar gewährt hatte. Letztlich habe ich gar nichts bekommen, dachte Kleopatra.

19

Die Zweige der Pinien schwankten heftig im Wind. Über den Himmel zogen dichte dunkle Wolken, und ein Blitz erhellte die Statuen in den Gärten, machte sie auf gespenstische Weise lebendig.

Kleopatra stand am Fenster und spürte, wie sie ein seltsames Gefühl des Unbehagens beschlich, so als würde ihr jeden Moment übel werden. Die Stadt schimmerte in einem unheimlichen grünlichen Licht, und ihre Katzen jagten aufgestört durch die Räume und fauchten. Die Diener fuhren bei jedem Blitz zusammen und befingerten ihre Amulette am Hals. In den späten Morgenstunden hörte einer von ihnen Lärm, der aus der Stadt zu ihnen drang, doch bis man ihr davon Meldung machte, war er wieder beigelegt. Kleopatra nahm an, daß Legionäre nach irgendwelchen Unruhen die Ordnung wiederhergestellt hatten. Sie fragte sich, ob es etwas mit dem Geschehen im Senat zu tun gehabt hatte. War es öffentlicher Beifall gewesen, als man Caesar zum König ausrief? Oder war die Senatsdebatte in einen Aufstand gemündet? Wo steckten Mardians Spitzel, wenn man sie brauchte?

Es war kurz nach Mittag, als ein Wagen vor dem Tor hielt. Der Mann, der ausstieg, war Konsul Marcus Antonius in Begleitung einer schwerbewaffneten Leibgarde. Die Männer strömten aus und verteilten sich wie Fliegenschwärme über die Gärten, mit gezückten Waffen, die Mienen starr und ernst. Kleopatra wußte, daß etwas Schreckliches vorgefallen sein mußte.

Sie empfing Antonius in dem großen Raum, von dem aus man die Gärten überblicken konnte. Sie erkannte ihn kaum wieder, so grau war sein Gesicht, die Züge so hart. Draußen ging ein Hagelschauer nieder, die Körner trommelten gegen die Fenster, als würden sie aus Katapulten geschleudert. Über den sieben Hügeln der Stadt grollte der Donner.

Nun wußte sie Bescheid.

»Er ist tot, nicht wahr?«

Antonius nickte. »Er wurde ermordet. Mitten im Senat, zu Füßen der Statue des Pompejus, vor aller Augen. Es waren etwa zwanzig, die sich um ihn drängten und mit Dolchen auf ihn einstachen.«

Es war, als stünde die Erde still. Das durfte nicht sein. Und doch war es der Moment, den sie seit ihrer Ankunft gefürchtet hatte. Der unbesiegbare Gott - tot! Kleopatra dachte an den Tag zurück, an dem er sich in den Hafen Alexandrias gestürzt hatte und in voller Rüstung durch die Wellen geschwommen war, während um ihn herum die feindlichen Speere niederprasselten. Hatte er das überlebt, nur um dem eigenen Senat zum Opfer zu fallen? Sie erinnerte sich wieder an die Worte ihres Vaters. Jeder Palast birgt Schlangen.

So viel, so unendlich viel hatte von dem Schlagen eines Herzens abgehangen.

Sie schloß die Augen. Es war wie ein böser Traum. »Wer war es?«

»Cassius. Decimus. Sogar Marcus Brutus. Später stürmten sie zum Forum und brüllten etwas von Freiheit und der Republik. Die übrigen Senatoren haben ihre Togen gerafft und sind geflohen wie Weiber. Jetzt herrscht Aufruhr, die Gladiatoren haben bereits mit Plünderungen begonnen.«

Kleopatra war wie betäubt. Warum fühlte sie nichts? »Ich habe ihn gewarnt«, stieß sie schließlich hervor.

»Wir alle haben ihn gewarnt, Majestät. Ich bin sicher, der alte Knabe wußte, in welche Gefahr er sich begab.«

Caesar war tot - und wenn man ihn ermorden konnte, war niemand mehr sicher. »Seid auch Ihr in Gefahr, Marcus Antonius?«

Er lächelte zum ersten Mal. »Dazu müßte ich ihnen erst einmal in die Hände geraten. Anders als Caesar traue ich der Leibwache mehr als der Liebe der Menschen.«

Kleopatra dachte daran, daß am Ende des Ganges ein kleiner Junge spielte, der als nächster auf der Liste der Mörder stehen konnte. Was war, wenn sie nicht nur Caesar, sondern alles von ihm vernichten wollten? »Und ich? Mein Sohn?«

Das Lächeln erlosch. »Es wäre gut, wenn Ihr nicht länger hier verweiltet. Die Zeiten sind unsicher. Nun, da Caesar nicht mehr ist, weiß niemand, was in Rom geschieht.«

Er hat recht, dachte Kleopatra. Wer weiß, vielleicht ist sogar er schon mein nächster Feind. Wie oft hatte man Antonius als Caesars Nachfolger im Munde geführt, obgleich dabei wohl niemand geglaubt hatte, daß sich die Frage so bald erhob. Doch nun warf die Lage ein ganz neues Licht auf diesen -diesen Feuerkopf und Taugenichts. Vielleicht war der Tag gar nicht mehr so weit, an dem sie, Kleopatra, ihn bekriegen oder befreunden mußte.

Seine Geliebte werden mußte.

»Ich nehme an, Ihr habt auch weiterhin gute Vorkehrungen zu Eurem Schutz getroffen«, sagte Kleopatra.

»Das habe ich«, er nickte.

»Sind Brutus und Cassius die neuen Herren Roms?«

»Brutus und Cassius schwingen nur wilde Reden. Dabei fuchteln sie mit dem Mörderdolch und schreien die alten Parolen. Zur Vorsicht habe ich Lepidus gebeten, die Legionen zum Marsfeld zu schaffen. Laßt mir zwei Tage. Dann hole ich das zurück, was sie glauben, gewonnen zu haben.«

Plötzlich verstand sie, weshalb Caesar Antonius geliebt hatte. Es gab Männer, die treu zur Stelle waren, wenn es zu kämpfen galt. Vielleicht taugten sie nicht zu Friedenszeiten, doch wenn Blut vergossen wurde, war auf sie Verlaß.

»Fühlt Ihr Euch unwohl, Majestät?«

Kleopatra sank auf das Sofa nieder. Die Beine versagten ihr mit einemmal den Dienst.

Sie dachte immer noch, es könne gar nicht sein, daß Caesar wahrhaftig tot sei. Sie hatte ihn für unverletzlich gehalten, trotz der Falten, die sein Gesicht zerfurchten, trotz der Fallsucht, die ihn gezeichnet hatte. Sie glaubte auch jetzt noch, daß er jeden Moment durch die Tür marschiert käme, mit Berichten in der Hand, Befehle erteilend. Sie sah das Gesicht vor sich, das ihr aus schwierigen Zeiten vertraut war, erschöpft und ungeduldig, so als strapaziere die bloße Gegenwart gewöhnlicher Menschen seine Geduld bereits über die Maßen.

Nun, von all diesen Problemen war er jetzt befreit. In einem kurzen Augenblick hatte die Erde angehalten - und danach hatte sich alles verändert.

»Marcus Antonius, ich danke Euch, daß Ihr mir die Nachricht überbracht habt. Ich werde nie vergessen, daß Ihr als Freund erschienen seid.«

Er verneigte sich. »Majestät.«

Dann ging er, und sie saß lange Zeit allein, schaute über die Gärten, beobachtete den Wind, der an den Ästen rüttelte, die Blitze, die sich in die römischen Hügel bohrten. Eine Träne rann ihr über die Wange. Das überraschte sie. Sie hätte nie geglaubt, daß sie einmal um einen Römer weinen würde.

Als Marcus Antonius Caesars Haus betrat, hatte Calpurnia die tragische Kunde bereits vernommen. Einer ihrer Diener war vom Forum aus zu ihr gelaufen, um ihr die Nachricht zu überbringen. Sie war leichenblaß, und ihre Augen waren vom Weinen gerötet.

Marcus Antonius stand vor ihr und trat von einem Fuß auf den anderen. Er wollte es hinter sich bringen. Später war noch genug Zeit, den alten Knaben zu beweinen. Jetzt gab es Wichtigeres zu erledigen.

»Ich habe es ihm gesagt«, wiederholte Calpurnia ein über das andere Mal. »Ich habe ihm gesagt, er soll vorsichtig sein. Es konnte ja nicht anders kommen.«

»Sie haben ihn verraten, Calpurnia.«

»Wie denn auch nicht? Was hat er denn erwartet?« Sie hatte ihre Morgentoilette noch nicht beendet. Es war das erste Mal, daß Marcus Antonius sie ohne Schmuck und Schminke sah.

Das Haar hing ihr wirr um den Kopf - eine alte Frau. »Wahrscheinlich bist du zuerst zu seiner Hure gerannt.«

»Kleopatra wurde benachrichtigt.«

»Und? Gewiß hat sie sich die Augen aus dem Kopf geweint.«

Antonius holte tief Luft. Er hatte Calpurnia nie gemocht und hatte nicht erwartet, daß sie die Nachricht mit Würde trug. Wie es den Anschein hatte, enttäuschte sie ihn nicht.

»Warst du dabei?«

»Glaubst du, ich lebte noch, wenn ich mich zwischen ihn und die Mörder hätte werfen können?«

In ihrem Blick blitzte ein Anflug von Verständnis auf. »Nein, Marcus. Sicherlich nicht. Ich weiß, du hast ihn geliebt - auf deine Art.«

»Wir können morgen um Caesar trauern«, lenkte Antonius ab, da er nicht Zeuge ihrer Gefühle werden wollte. »Heute gilt es, Dinge zu regeln, die Rom vor seinen Mördern bewahrt.«

Calpurnia preßte die Lippen zusammen. »Also gehen wir gleich zum Geschäftlichen über?« fragte sie.

»Die beste Rache ist, Brutus und seine Freunde daran zu hindern, die Früchte ihrer Tat zu ernten.«

Calpurnia nickte stumm. Ihr Schmerz war echt, stellte Antonius verwundert fest. Er hätte nie gedacht, daß sie Caesar geliebt hatte.

»Hast du sein Testament?« fragte er.

Sie schien zu zögern. »Mein Vater hat es von den Vestalinnen bekommen, als er die Nachricht erfuhr.«

»Hast du es geöffnet?«

Sie nickte.

»Ich muß es lesen, Calpurnia.«

Sie verließ das Zimmer und kam wenige Augenblicke später mit zwei Schriftrollen zurück, die sie vor ihm auf den Tisch warf. »Sieh selbst, was er getan hat.«

Zwei Testamente? Antonius setzte sich nieder und entrollte den ersten Bogen. Darauf war Octavian als Haupterbe des Vermögens eingesetzt. Dadurch würde der Junge als Caesars angenommener Sohn gelten und wäre berechtigt, Caesars Namen zu führen.

»Ich hätte ihm einen eigenen Sohn schenken müssen«, murmelte Calpurnia. »Nun bekommt dieser Schwächling alles.«

»Was steht in dem anderen Papier?« fragte Antonius und hielt das zweite Testament hoch.

Calpurnias Gesicht war grau geworden. »Lies!« drängte sie ihn.

Es war zwei Jahre nach dem anderen Schriftstück datiert. Der Inhalt war ungeheuerlich. Danach erbte Octavian zwar immer noch einen Teil des Vermögens, doch der Großteil ging an den Sohn über, den Caesar mit Kleopatra gezeugt hatte. Es gestattete dem Kind, Caesars Namen zu tragen, und beinhaltete die offizielle Anerkennung der Vaterschaft. Die Auswirkungen dieser Verfügung waren schlechthin unvorstellbar.

»Es ist ungesetzlich«, sagte Antonius.

»Unmoralisch wäre wohl das bessere Wort, doch wie soll ich einen Begriff wie Moral mit Caesar in Verbindung bringen?«

»Der alte Knabe muß von Sinnen gewesen sein, als er das niederschrieb.«

»Er erkennt den Bastard an. Vor aller Welt. Nicht allein, daß er durch alle Betten Roms gestiegen ist, nein, diese Sache hier muß er auch noch an die große Glocke hängen, als gäbe es Grund, stolz darauf zu sein.«

Antonius schüttelte den Kopf. Gerade Caesar hätte sehr wohl wissen müssen, daß es gegen das Gesetz verstieß, römisches Vermögen einem Fremden zu vererben. So etwas wurde nicht anerkannt. Doch falls der Inhalt dieses Testaments an die Öffentlichkeit drang, würde es jedem Nachfolger Caesars die Herrschaft erschweren. Caesarion würde wie eine anhaltende Gewitterwolke am Himmel drohen. Der einzige Ausweg für den nächsten Imperator läge darin, den Jungen zu ermorden - und wohl auch dessen Mutter.

»Wir müssen entscheiden, welches dieser beiden Testamente dem Senat vorgelegt wird«, sagte Antonius, obwohl es nur eine Antwort darauf gab.

Calpurnia starrte ihn entgeistert an. Antonius war überrascht, daß ihr dieser Gedanke nicht selbst gekommen war.

»Du meinst - wir könnten eins davon vernichten?«

»Nur dann werden wir ruhig schlafen können, meine Liebe. Abgesehen davon ist nur die erste Fassung gültig. Die andere verstößt gegen das Gesetz. Ihr Einfluß wäre allenfalls politischer Natur.«

Er wandte die Aufmerksamkeit wieder den beiden Dokumenten zu. Seinen lieben Freund, Marcus Antonius, hatte Caesar bei der Abfassung offenbar ganz vergessen. Dieser abgefeimte Gauner und Verräter! Wer weiß, ob ich den Dolch nicht auch gezückt hätte, hätte ich davon gewußt, ging es Antonius durch den Kopf.

Am liebsten hätte er beide Testamente vernichtet, doch für eins mußte er sich entscheiden. Wenn er es sich recht überlegte, zählte Octavian nicht. Er würde das Geld nehmen und es mit seinen holden Knaben durchbringen. Mit Octavian würde er fertig. Vielleicht war das sogar Caesars Absicht gewesen. Dieser elende Schurke und Verbrecher.

Antonius zog eine der Kerzen näher. Kurz darauf lag Caesars Testament als verbranntes Häufchen Asche auf dem Tisch. Antonius fuhr mit der Hand darüber und fegte es auf den Boden. »So - damit wäre Octavian Caesars Erbe. Es wird ihm Freude bereiten.«

»Er wird seine Freude irgendwo reinstecken, wie es seine Art ist.«

Antonius mochte es nicht, wenn Frauen derbe Anspielungen machten, aber Calpurnia war dafür bekannt. Wieso hatte Caesar es nur so lange mit ihr ausgehalten? Ihr politischer Nutzen war längst verbraucht.

»Ich nehme Caesars Testament mit und auch seine anderen Unterlagen.«

»Du willst seine Staatspapiere?«

»Es ist mein Recht und meine Pflicht als der alleinige, rechtmäßig amtierende Konsul.« Antonius hatte zwar keine Ahnung, ob das zutraf, nahm jedoch an, daß Calpurnias Kenntnisse des römischen Rechts nicht ausreichten, um ihm zu widersprechen.

Während Calpurnia den Raum verließ, um Caesars Papiere zu holen, betrachtete Antonius die verkohlten Reste zu seinen Füßen. Was hatte der alte Knabe sich nur dabei gedacht?

Er studierte das erste Testament und ging die Liste der Nacherben durch. Dort tauchte auch Decimus Brutus auf, einer derer, die ihn ermordet hatten. Der alte Knabe war zwar ein begnadeter Feldherr gewesen, doch bei allem, was recht war, ein guter Menschenkenner war er nicht.

Kleopatra mußte hinaus ins Freie. Blindlings stürzte sie aus dem Haus, spürte den Regen wie kalte Pfeile auf dem Gesicht. Sie lief einfach geradeaus, stolperte mit rauhen Schluchzlauten durch schlammige Pfützen, bis sie auf einer nassen Marmorbank niedersank.

Sie hatte ihn gewarnt. Als er die Leibgarde entließ, hatte er sich ihnen dargeboten, sie regelrecht herausgefordert, den Dolch zu zücken und über ihn herzufallen.

Warum hatte er nicht auf sie gehört? Warum?

Am liebsten hätte sie sich auf die Erde geworfen und getobt und geschrien. Alles war verloren, einfach weggeworfen. Nicht nur sein Leben, auch das ihrige und das ihres Sohnes. Du Narr, rief sie in den Wind und zu den peitschenden Regentropfen. Ihr Körper bebte vor Wut.

Du Narr!

Doch dann wurde ihr klar, warum alles so gekommen war. Es lag an diesem Volk, dieser Stadt. Sie glaubten an die Größe des Römertums, es war ihnen wichtiger als alles andere, und zuletzt hatte genau dies ihn getötet.

Tief in seinem Herzen mußte er selbst an der Richtigkeit seiner Absicht gezweifelt haben. Er wollte den römischen Göttern gefallen, den steinernen Figuren mit den strengen Gesichtern, an die er nicht zu glauben vorgab. Ihnen hatte er sich ausgeliefert, seinen Ehrgeiz auf ihren Prüfstein gelegt. Sein römisches Gewissen hatte sich seinen Wünschen widersetzt. Er selbst hatte nicht gewollt, daß Rom einen König erhielt - einen, der sich mit einer fremdländischen Königin vermählte. Kleopatras Zorn ebbte so schnell wieder ab, wie er gekommen war, und sie fing an zu weinen. Sie weinte um Ägypten, um Caesarion und schließlich um sich selbst. Sie weinte, weil sie Caesar am Vortag im Bösen hatte ziehen lassen - ohne ein Lebewohl.

20

Sie hatten Caesar ermordet, dachte Antonius, eine Tat begangen, die ihresgleichen suchte, und sich dann aufgeführt wie dumme Jungen. Sie hatten den Fehler gemacht, Brutus im Forum reden zu lassen, damit sie das Volk auf ihre Seite bekämen. Seine Ausführungen waren langatmig und verworren wie immer, gespickt mit Bezügen zur Republik, wo doch das Volk nur hinhörte, wenn es um Steuererlaß ging oder Krieg. Zudem hatte Brutus vergessen, daß der gemeine Mann Caesar geliebt hatte, wenn auch auf seine Weise. Nach einer Weile waren die Menschen Brutus' Worten überdrüssig geworden, hatten sich gegen ihn empört und ihn und seinen Anhang aus dem Forum gejagt.

Der nächste Fehler, den die Verschwörer begingen, war, Cicero zum neuen Führer Roms auszurufen. Er war ein großartiger Redner, aber ein Versager, wenn es einen Aufstand zu bekämpfen galt. Während er mit Cassius und Brutus in Gedanken das perfekte Rom entwarf, hatte Antonius sich der Unterstützung des Marcus Lepidus versichert, des Oberbefehlshabers der Reiterei, einer von Caesars Getreuen. Lepidus hatte vorgeschwebt, daß er dafür der neue Pontifex Maximus würde, eine Illusion, die Antonius ihm beließ.

Antonius hatte inzwischen drei Kohorten zum Forum verlegt und den restlichen Truppen befohlen, die Wachen an den Stadttoren zu verstärken. Ausgestattet mit Caesars Testament und seinen Staatspapieren, traf er sich mit Caesars Bankier, Caesars Sekretär und den Konsuln, die Caesar noch kurz vor seinem Tod ernannt hatte. Innerhalb weniger Tage besaß Antonius, dank der Dreifaltigkeit aus Geld, Politik und der Armee, die Kontrolle über Rom.

Die Verschwörer hatten nur ihre Prinzipien - eine mangelhafte Gegenwehr, wie sich bald herausstellte.

Zwei Tage nach Caesars Ermordung versammelte sich der Senat abermals im Theater des Pompejus. Cicero beantragte, die Caesarmörder zu begnadigen, doch anderen war das der Milde noch nicht genug. Freunde von Brutus und Cassius schlugen vor, den Verschwörern - oder Befreiern, wie sie sie nannten - Ehre zu bezeugen und sie als Retter des Volkes zu feiern. Einer der Senatoren ging sogar soweit, die Tat als Tyrannenmord zu loben und Caesars Verfügungen als ungültig zu erklären.

Antonius nahm sich Zeit und ließ sie alle ausreden, ehe er sich erhob und den Senatsvätern mit ruhiger Stimme das Unvernünftige ihrer Absichten darlegte. »Wenn Caesars Erlasse ungültig werden«, sagte er, an Brutus und Cassius gewandt, »seid ihr nicht mehr Prätor. Du, Decimus, wärest hinfort nicht mehr Statthalter des zisalpinischen Gallien, und Tillius Cimber verlöre Bithynien.« Er drohte den Senatoren mit dem Finger, wie kleinen Kindern, denen man das Naschwerk verwehrt. »Und für dich, Trebonius, gäbe es kein Asien.«

Aus den Reihen der übrigen ertönte schallendes Gelächter.

Als Cassius und Brutus einsahen, daß ihre Vorschläge ohne Resonanz blieben, wollten sie erreichen, daß Caesar heimlich und in Unehre begraben würde. Antonius seufzte und wies sie geduldig darauf hin, daß man ihrem Ansinnen deshalb nicht nachkommen könne, weil jeder Konsul, der im Amt verstarb, Recht auf ein öffentliches Begräbnis hatte. So wollte es das Gesetz.

Lächelnd, umsichtig und ausnahmsweise auch einmal nüchtern erreichte er sein Ziel nach Plan. Allerdings hatte er in aller Stille auch Lepidus' Legionen im Marsfeld aufmarschieren lassen.

Für alle Fälle.

21

Sie begruben Caesar an einem grauen Tag. Bleigraue Wolken jagten über die Stadt, der Nordwind fegte heulend durch die Gassen. Einige glaubten, es seien die alten Könige Roms, die den Tod des Caesar beklagten.

Er ist gestorben, dachte Kleopatra, und mit ihm meine Träume.

In diesem Augenblick haßte sie ihn mehr, als sie je einen Menschen gehaßt hatte. Wie typisch für ihn, an nichts und niemanden zu denken, außer an sich selbst. Selbst sein Tod war, wie er es gewünscht hätte, schnell und doch gewaltig. Auf dem Gipfel der Macht hatte er ihn ereilt, ihm die Prüfung in Parthien erspart. Im Vertrauen auf seinen Erfolg hatte Rom ihm den Ruhm eines Alexanders vorab gewährt - doch was wäre geschehen, wenn Caesar besiegt worden wäre?

Nun, er würde es nicht mehr erfahren. Seine Größe als Feldherr war unbestritten, selbst wenn er den letzten Beweis nicht hatte antreten müssen.

Doch was war ihr von seiner Hinterlassenschaft geblieben? Ihr Sohn war ohne Thron. Der Geliebten, der Königin, die so lange gewartet und der er so viel versprochen hatte, blieb nur die leere Asche. In den eigenen Tod hatte er sich vernarrt, hatte sich dieser neuen Leidenschaft hingegeben - ohne Rücksicht auf die, die ihm so lange treu ergeben war.

Und doch werde ich nicht in Selbstmitleid zerfließen, dachte Kleopatra. Ich wußte immer, daß es ein Spiel war. Und ich habe nicht alles verloren. Caesar hat mir den Thron zurückerobert, und dafür will ich dankbar sein. Nun beginnt eben alles noch einmal von vorn. Doch es wird lange dauern, bis ich seinen Tod verwunden habe, denn ich habe auch den Geliebten verloren, den Gefährten, den Menschen, dem ich mich öffnen konnte, meinen Lehrer in den Ränkespielen der Macht. Jemanden wie ihn wird es für mich nie mehr geben. Sie hatte die Einsamkeit begriffen, die das Königtum mit sich führte, doch Caesar hatte ihr gezeigt, daß diese Last teilbar war, wenn es jemanden gab, der einen verstand.

Er hat mich in die Falle gelockt, die ich immer vermeiden wollte, dachte Kleopatra. Das, was er mir hinterläßt, ist die Einsicht, daß ich ihn, diesen gerissenen, treulosen Mistkerl, mehr geliebt habe als er mich.

Die Totenbahre stand im Forum. Die Liegestatt für den Toten war dem Venustempel nachempfunden, geschnitzt aus reinem

Elfenbein, bedeckt mit Tüchern aus Gold und Purpur, umgeben von marmornen Säulen.

Die Ehrengäste zogen über die Stufen des Vestatempels zu der Galerie, die man hastig errichtet hatte. Da die Stimmung des Volkes als unberechenbar galt, hatte man Truppen zusammengezogen und um die Stätte postiert.

Kleopatra nahm ihren Platz ein. Sie schaute zur Seite und stellte fest, daß Calpurnia sie mit giftigen Blicken durchbohrte. Was sollen diese Blicke? dachte Kleopatra. Du hast nur einen Mann verloren, der dich nicht einmal geliebt hat, ich dagegen verlor eine Zukunft als Königin der Welt.

Die Trompeten begannen mit der Trauerweise, durchsetzt von den dumpfen Schlägen der Trommeln.

An den Rändern des Forums hatte man Fackeln entfacht. Sie warfen seltsame Schatten, die unruhig über die Mauern zuckten. Der Wind wurde kälter, und Kleopatra zog sich den Mantel enger um die Schultern.

Die Trage mit Caesars Leichnam wurde von zehn Magistraten durch die Menge geführt und ehrfürchtig auf der Liegestatt abgesetzt. Marcus Antonius folgte der Prozession und stellte sich auf der Rostra auf, gleich hinter der Totenbahre.

Er stand mit gesenktem Haupt und wartete, während ein Herold die Dekrete verlas, die der Senat dank Caesar erlassen hatte. Durch die Menge ging ein Stöhnen, als er zu dem Eid kam, mit dem man Caesar Unantastbarkeit geschworen hatte. Danach zählte er die Feldzüge auf und die Siege, die dieser errungen hatte - Gallien, Britannien, Alexandria, Spanien und Afrika -, benannte den Wert der Schätze, die er für Rom gewonnen, die Zahl der Regionen, die er dem Reich angegliedert, die Liste der Titel, die ihm ein dankbarer Senat verliehen hatte.

Es schien, als hörte diese Liste nie mehr auf. Als Antonius vortrat, um die Trauerrede zu halten, war es, als würde nicht ein Mensch, sondern ein Gott begraben.

Über die Menge hatte sich Stille gelegt. Antonius schaute über die dichtgedrängte Menschenmasse, die schweigend seiner Worte harrte. Die Fackeln knisterten im Wind. Er besaß ihre ganze Aufmerksamkeit.

Kleopatra betrachtete ihn mit einem Anflug von Respekt. Dieses Theaterstück hast du glänzend inszeniert, dachte sie. Rom hat dich unterschätzt.

»Caesar«, begann er so leise, daß man sich anstrengen mußte, ihn zu verstehen. »Mein Caesar!«

Er hielt inne, die Worte verhallten zitternd im Wind.

»Brüder! Sagt mir, ob die Geschichte der Welt je einen Römer sah wie ihn? Und gab es je einen Menschen, der Rom so liebte wie er?« Er machte eine Pause, als erwarte er eine Antwort. »Unsere Stadt hat viele große Feldherren und Staatsmänner gekannt, doch keinen wie ihn, den Gajus Julius Caesar, der von uns gerissen wurde.«

Er schien zu bewegt, um weitersprechen zu können. Die Menge hielt den Atem an. Dann hatte Antonius sich jedoch wieder in der Gewalt.

»Für die Götter war Caesar Priester, für die Menschen war er Konsul, den Soldaten ihr Imperator, den Feinden Diktator. In seiner kurzen Zeit auf Erden hat er uns mehr Ehre eingebracht als andere Männer in unserer langen Geschichte. Caesar war Rom.

Doch nun ist er tot, und wir sind hier zusammengekommen, um ihn zu beweinen. Wenn ihn die Jahre geraubt hätten, ertrügen wir es leichter. Wenn eine Krankheit die gierige Hand nach ihm gereckt hätte, hielten wir es für den Wunsch der Götter. Wenn er in einem Krieg gefallen wäre, wüßten wir, daß es Fortunas Wille war. Doch sein Schicksal war grausamer, zu grausam, als daß wir es fassen könnten. Caesar, unser Caesar, der große Feldherr, starb hier in unseren Mauern.

Caesar, unser Caesar, der Mann, der sein Leben für Rom in den fernsten Regionen aufs Spiel setzte, wurde ruchlos ermordet in der Stadt, die er liebte. In seinem Senatshaus, neben dem Haus seines Gerichts! Wehrlos ermordet! Dieser Caesar, der Mann, den Feinde nicht töten konnten, der tausendmal hätte sterben können im Kampf für Rom, wurde Opfer römischer Brüder. Unser barmherziger Caesar, der Mann, der seinen Feinden gnädig war, wurde verraten von jenen, die ihm ihr Leben verdankten.«

Antonius hielt abermals inne, und Kleopatra hörte, wie die Stille von Schmerzensschreien durchbrochen wurde. Die tiefe, bewegte Stimme von Marcus Antonius hatte sie alle mit ihrem Bann belegt.

Kleopatra betrachtete ihn inzwischen mit uneingeschränkter Bewunderung.

»Caesar war gnädig und gut. Doch zu welchem Zweck, frage ich euch? Brutus und Cassius begnadigte er bei Pharsalos. Was war der Dank, den sie ihm erwiesen?

Und wie stand es mit der Unantastbarkeit, die die Senatoren ihm versprachen? Was nützen uns Gesetze, wenn diejenigen sie brechen, die sie erlassen?«

Antonius beugte den Kopf, als habe der Gram ihn überwältigt.

Daraufhin erhob sich eine Stimme, die von irgendwoher rief: »Ist das die Art, mit der man Gnade vergilt? Habe ich sie gerettet, auf daß sie mich ermorden?«

Die Stimme schien von der Totenbahre zu kommen. Es war, als habe Caesar selbst gesprochen. In der Menge wurde Gemurmel laut. Es war ein Gemisch aus Entsetzen und Entrüstung. Wie geschickt! dachte Kleopatra.

Antonius hielt eine Toga in die Höhe, dunkel gefärbt von Blut. Die Menge erkannte sie als das Gewand, das Caesar am Tage seiner Ermordung getragen hatte. Schreie der Empörung wurden laut.

»Seht, was ihr ihm angetan habt«, rief Antonius. Seine Stimme hatte sich zu einem wütenden Aufschrei gesteigert, der durch das Forum hallte und danach von der Menge aufgegriffen wurde. »Zählt die Löcher! Jedes ist Zeuge eines Dolchstoßes. Seht, was sie unserem Caesar getan haben! Ihm, der euch so sehr geliebt hat!« Nun zog er ein Schriftstück aus seinem Gewand und hielt es so hoch, daß es für alle sichtbar war.

»Das ist Caesars Testament! Ihr werdet sehen, wie sehr er euch geliebt hat.«

Antonius bewies ein großartiges Gespür für den richtigen Moment, ging es Kleopatra durch den Kopf. Doch wen sollte es wundern, da Antonius Schauspieler als Freunde hatte, die ihn beraten konnten?

»Dem römischen Volk...«, begann er und wartete, bis sich der Tumult auf dem Platz wieder in absolute Stille verwandelt hatte. »Dem römischen Volk vermache ich die Gärten meines Hauses jenseits des Tibers als öffentlichen Park. Des weiteren hinterlasse ich jedem römischen Bürger eine Summe über dreißig Sesterzen.«

Beifall und laute Jubelrufe.

»Er hat euch seine Gärten überlassen. Er hat euch sein Geld vermacht. Und seht, was man ihm zugefügt hat! War das der Lohn für die Liebe zu euch, die Liebe zu Rom?«

Kleopatra hatte genug von der Vorstellung.

Die Soldaten schlugen die Schilde aneinander und verursachten ein wildes Blechgetöse. Dann warf jemand einen Brandpfeil auf den Scheiterhaufen, und die Menschen, die der Totenbahre am nächsten waren, nahmen die Stühle und Bänke, auf denen sie gesessen hatten, und schleuderten sie in die Flammen. Frauen, die von Hysterie erfaßt wurden, warfen ihren Schmuck in das Feuer, Männer die Gewänder, Soldaten die Brustpanzer. Funken stoben in den Himmel, gefolgt von dicken Rauchsäulen.

Als ein Mann in der Menge als Mitglied der Verschwörer erkannt wurde, wandten sich die Menschen gegen ihn und begannen, auf ihn einzuschlagen. Er stürzte und verschwand unter einem Meer trampelnder, tretender Stiefel. Danach setzte sich der Pöbel in Bewegung und zog zu dem Haus von Marcus Brutus. Fackeln wurden in die Luft gereckt, und man forderte brüllend, das Haus niederzubrennen. Der Mond, der inzwischen am Himmel erschienen war, wurde von Rauchwolken verhüllt. Die Stadt hatte sich dem Wahnsinn ergeben.

22

Vor der Küste Ägyptens

Das schwere Schiff legte sich auf die Seite und wurde erneut hochgestemmt, als sich die nächste Woge unter seinen Rumpf schob. Kleopatra schlug der Gestank aus den unteren Decks entgegen, eine ekelerregende Mischung aus Brackwasser und dem Schweiß der Galeerensklaven. Sie taumelte über den Gang, bekämpfte den Brechreiz und den Geschmack der Galle, der sie in der Kehle würgte. Das Schiff schlingerte abermals. Sie ertastete einen der Zedernholzpfosten und krallte sich daran fest.

Oben an Deck, hatte Mardian ihr berichtet, schiene die Sonne am sanftblauen Himmel. Der Kapitän hatte ihr versichert, daß sich kein besserer Reisetag denken ließe, die purpurfarbenen Segel blähten sich in einem Wind, der ihnen wohlgesonnen sei. Doch sie würde nicht nach oben gehen, würde Mannschaft und Dienerschaft nicht gestatten, sie in diesem Zustand zu erblicken. Isis Pelagia, die Königin des Meeres, elend wie ein Krüppel. Es mußte ihr Geheimnis bleiben. Nur der Arzt durfte davon wissen sowie ihr engster Kreis - Mardian, Charmion und Iras.

Davon - und von dem anderen Geheimnis.

Sie schleppte sich zu der nächsten Kabine, in der Antiochos auf seinem Bett lag. Eingefallen wie ein Greis, das Gesicht grau. Ein stickiger, enger Raum, in dem sich die Sklaven hilflos aneinanderdrängten. Der Gestank von altem Erbrochenem ließ Kleopatra abermals würgen, der Schweiß trieb ihr aus den Poren und überzog ihre Haut mit einer feuchtkalten Schicht. Der Raum neigte sich seitwärts, und Mardians Arm schoß vor, um sie aufzufangen.

Olympos saß am Bett. Er schaute auf, als er Kleopatra sah.

Sein Gesicht war ernst.

»Hinaus«, befahl Kleopatra mit einem ungeduldigen Wink in die Runde. Die Sklaven huschten fort.

»Wie geht es ihm?« fragte sie leise.

Olympos schüttelte den Kopf und schwieg.

Antiochos murmelte etwas im Schlaf. Er roch nach Verfall. Sie konnte sehen, wie sich die Form seines Schädels unter der Haut abzeichnete.

»Ich muß ihn füttern«, sagte Olympos. »Doch er behält nichts bei sich, sondern spuckt Blut. Ich fürchte, es ist die Lungenfäule. Er ist zu lange in Rom gewesen.«

»Ich will nicht, daß er so leidet«, entgegnete sie. »Wie weit sind wir von Alexandria entfernt?«

»Wir segeln noch zwei Tage.«

Sie legte die Hand auf ihren Bauch. Das ständige Erbrechen hatte etwas in ihrem Leib zerrissen. An diesem Morgen hatte sie geblutet.

»Seid Ihr wohlauf, Majestät?« erkundigte sich Olympos.

Das Kind, dachte sie flehentlich. Bitte, laß mich nicht noch den letzten Teil von ihm verlieren. Laß mir wenigstens sein Kind! Doch vielleicht war es der Wunsch der Göttin, ein Leben zu opfern.

Mit einemmal begann sich der Raum zu drehen. Kleopatra tastete nach der Wand, doch ein neuerliches Senken des Schiffes ließ sie in die Leere greifen. Ein Aufschlag, dann barmherzige Finsternis, die sie mit sich in den tiefen, stillen Abgrund des Vergessens führte.

Auf dem Palatin, in Rom

Fulvia hatte sich in aller Frühe erhoben und die Sklaven aufgescheucht, die sich nun, mit Eimern, Tüchern und Besen bewaffnet, daran machten, die Böden zu säubern. Nach dem Gelage der vergangenen Nacht hatte es im Haus ausgesehen wie in einem Schweinestall. Im Speiseraum lagen Hummerschalen und Schweineschwarten auf dem Boden, und das peristylium war übersät mit zerbrochenen Amphoren. Selbst auf dem Boden des Fischteichs, den die Sklaven hinter vorgehaltener Hand als vomitorium bezeichneten, fand man noch Reste von Scherben.

Der neue Herr über Rom lag rücklings ausgebreitet auf einer der Ruhebänke und schnarchte laut und vernehmlich vor sich hin, ungeachtet des Lärms, der um ihn herum veranstaltet wurde. Fulvia roch Wein, abgestandenen Schweiß und den Duft billiger Frauen. Sie hoffte, daß ihr Mann letztere ausschließlich zum Vergnügen der Gäste eingeladen hatte, denn sollte sie je entdecken, daß er sie in ihrem eigenen Haus betrog, würde sie ihm die Haut bei lebendigem Leib abziehen.

Sie hielt nach der Vase Ausschau, die ihr Vater ihr aus Palmyra mitgebracht hatte. Sie fehlte, ebenso wie die Marmorbüste des Pompejus. Wie es aussah, hatte der Herr Roms sie entweder seinen Gästen geschenkt oder beim Würfelspiel verloren.

»Mach die Augen auf!« schrie sie Antonius an, packte ihn bei den Schultern und zerrte ihn unter größter Anstrengung von seinem Lager. Antonius rollte auf den Fußboden. Fulvia griff nach dem Wasserkrug und goß ihm den Inhalt über den Kopf. Da brüllte er wie ein Stier und setzte sich auf. »Na, hast du dich letzte Nacht gut amüsiert?« Antonius fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Seine Augen waren noch verquollen vom Schlaf und glichen kleinen roten Beeren.

»So führst du dich also auf, während Octavian sich als der neue Herr Roms ausgibt!«

»Fulvia!« Es klang wie ein Fluch.

»Du bist ein Schwein.«

»Die Nacht... ist einfach zu kurz.«

»Hast du die Vase meines Vaters verschenkt?«

Er blinzelte so verdutzt, als hätte sie ihn auf aramäisch oder ägyptisch angesprochen.

»Was ist los?«

»Die Vase, die mir mein Vater geschenkt hat - sie hat ein Vermögen gekostet.«

Er wußte offenbar immer noch nicht, wovon sie redete. Es war zwecklos. Er erinnerte sich nie an etwas, das er während seiner berühmt-berüchtigten Komitien tat.

»Du stinkst. Außerdem solltest du längst auf dem Weg in den Senat sein.«

»Um Ciceros ellenlangen Reden über die öffentliche Moral zuzuhören?« Antonius gab den Versuch auf, aufrecht sitzen zu bleiben, und ließ sich zurück auf den Boden sinken.

»Aber Octavian wird dasein.«

»Dieses Bübchen!«

»Dieses Bübchen hat mittlerweile Caesars Legionen hinter sich.«

»Ich bekomme Kopfschmerzen von deinem Geschwätz.«

Fulvia stubste ihn mit dem Fuß in die Seite. Antonius gab ein Stöhnen von sich und versuchte, ihr auszuweichen.

»Mach, daß du auf die Beine kommst! Begreifst du nicht, was du anrichtest? Caesar ist tot. Du mußt der nächste Caesar werden.«

»Laß mich in Frieden.«

»Steh auf!«

Fulvia traktierte ihn so lange mit den Füßen, bis er sich taumelnd aufrichtete. Dann schickte sie ihn zu seinem tonsore und befahl den Sklaven, ihm eine frische Toga herbeizuschaffen. Sie hätte sich das Purpurgewand selbst umgelegt, wenn sie statt seiner in den Senat gekonnt hätte. Dieser schwerfällige Esel wollte nicht begreifen, daß Octavian eine Bedrohung darstellte. Ob Bübchen oder nicht - Octavian war berechnend. Warum sah Antonius das nicht ein? Jetzt, wo die erste Gefahr vorüber war, hatte er außer seinem Vergnügen wieder einmal nichts im Sinn.

Aber wenn er glaubte, sie würde zusehen, wie der alte Schlendrian wieder Einzug hielt, hatte er sich geirrt. Sie würde ihn schon noch zum Herrn über Rom machen - selbst wenn sie dafür zur Peitsche greifen müßte.

23

Die Öllampen in Kleopatras Gemächern brannten noch, lange nachdem der Mond über der Insel Pharos aufgegangen war. Sie arbeitete bis weit in die Nacht hinein, umgeben von Truhen und Kästen, in denen sich die Papyrusrollen stapelten: kopierte Erlasse, Korrespondenzen, Aufstellungen und Berichte.

Es gab so viel zu tun! Die strategoi hatten die Instandhaltung der Kanäle vernachlässigt, während sie fort war, und nun waren etliche davon versandet. Wenn sie keine Hilfsmaßnahmen ergriff, drohte die Gefahr einer neuerlichen Hungersnot.

Kleopatra legte den Stylus mit einem Seufzer nieder. Sie ließ die Blicke über die vertrauten Gegenstände ihres Gemachs schweifen und hing eine Weile ihren Gedanken nach. Es war gut, daß sie so viele Pflichten hatte, besser, als die Zeit mit Grübeln zu vertun und sich der Trauer anheimzugeben.

Oft wurde sie morgens vom Lärm aus dem Hafen geweckt, den Gesängen der Priester, die aus dem königlichen Tempel zu ihr drangen, den Wellen, die an die Felsen klatschten, dem Rascheln des Windes in den Bäumen. Dann kam es vor, daß sie die Glieder reckte und es genoß, zu Hause zu sein, der dunklen Höhle Roms entronnen.

Doch wenn ihre Hand über die leere Bettseite strich, sickerte das Ausmaß ihres Verlustes in ihr Bewußtsein zurück. Dann wußte sie, daß es keine Umarmungen mehr gab, keine Gespräche, keine Pläne - daß all dies unwiderruflich vorbei war. In solchen Augenblicken hatte sie auch den blutigen Klumpen wieder vor Augen, den sie in der Kabine ausgestoßen hatte -das, was von dem Kind übriggeblieben war -, Caesars zweitem Sohn. Nur die Sorgen waren beständig geblieben, das Bangen um ihre Sicherheit und um Caesarions Zukunft. Wenn sie sich dann genug gegrämt und schließlich die Fruchtlosigkeit ihrer Gedanken erkannt hatte, zwang sie sich aufzustehen, um Ablenkung in ihren Pflichten zu suchen. Nach ihrer Ankunft in Alexandria hatte sie eine Woche im Bett verbracht, geschwächt von dem Blutverlust und elend vor Kummer und Leid. Sie hatte die Nahrung verweigert, bis Olympos ihr warmen Wein und Kräuterelixiere einflößte, mit deren Hilfe sie allmählich wieder zu Kräften kam. Sobald sie die ersten Anzeichen der Genesung verspürt hatte, stürzte sie sich zur Verwunderung aller in die Arbeit. Du bist die Königin von Ägypten, hatte sie sich ermahnt. In der Politik ist für Trauer kein Platz.

Olympos hatte den Kopf geschüttelt und sie vor übertriebenem Eifer gewarnt, doch Kleopatra hatte festgestellt, daß Arbeit ebenso heilsam sein konnte wie Medizin. Was sollte sie auch im Bett? Schlaf fand sie ohnehin erst, wenn die Erschöpfung sie dazu zwang.

Sie trat ans Fenster und atmete die frische salzige Meerluft ein. Die Flamme des Leuchtfeuers spiegelte sich im Wasser und tauchte die Fischerflotte, die an der Insel vor Anker lag, in ein rötliches Licht.

Irgendwo da draußen, jenseits des schwarzen Ozeans, lauerten ihre Feinde und schmiedeten neue Pläne.

Brutus war aus Rom geflüchtet, um sich in Sicherheit zu bringen. Er hatte sich in Makedonien niedergelassen. Cassius hatte in Asien Truppen ausgehoben und Xanthus und Tarsos überfallen und geplündert. Gegenwärtig marschierte er gegen Syrien, gegen den dortigen Statthalter Dolabella, der einer von Caesars Getreuen gewesen war.

Doch es gab auch eine gute Nachricht: Trebonius, ein weiterer der Verschwörer, hatte die Stirn besessen, den Posten als Statthalter von Bithynien zu beziehen, den Caesar ihm zugedacht hatte. Doch Dolabella hatte ihn verfolgt, seine Truppen geschlagen und mit ihm abgerechnet. Wie es hieß, hatte er Trebonius' Kopf einer aufgebrachten Menge überlassen, die in den Straßen von Smyrna damit spielte wie mit einem Ball. Kleopatra hatte Dolabella mit den Legionen unterstützt, die Caesar ihr in Ägypten zurückgelassen hatte. Ihre Minister hatten gemurrt und ihr vorgehalten, daß Dolabella dennoch nicht über genügend Legionen verfüge, um Cassius im Falle eines Rachefeldzugs standzuhalten, und daß sie Gefahr liefe, auf der Verliererseite zu enden. Doch sie war standhaft geblieben. Was hätte sie denn auch anderes tun sollen? Etwa jenen zu Hilfe eilen, die den Vater ihres Sohnes ermordet hatten?

Und Antonius? Auf welcher Seite stand er bei diesen Auseinandersetzungen? Antonius hatte sich in die inneren Machtkämpfe Roms verstrickt und kämpfte an allen Fronten, ob gegen Octavian oder Cicero. Doch Kleopatra hatte sich inzwischen geschworen, daß sie nicht noch einmal warten würde, bis ein Römer sie rettete. Ägypten mußte in die Lage versetzt werden, sich aus eigener Kraft verteidigen zu können. Als Folge dieses Entschlusses hatte sie den Bau einer neuen Flotte befohlen. Zu Lande waren die römischen Legionen unschlagbar, doch auf dem Meer war ihnen der Erfolg seltener geglückt. Diese Schwäche galt es auszunutzen - die Flotte würde Ägyptens Schutzschild sein!

Bisher hatte Kleopatra den Bau von zweihundert Schiffen in Auftrag gegeben. Die Ausgabe würde zwar die Staatsreserven erschöpfen, doch welchen Zweck hatte es, die reichen Schätze zu horten, wenn später die Römer kommen würden, um sie zu erbeuten?

Für den Bau der Flotte kaufte Kleopatra Zedernholz aus Syrien und ließ sowohl in Alexandria als auch entlang des Nildeltas neue Werften errichten. Eine Hälfte der Flotte sollte aus den mächtigsten Vierruderern bestehen, die die Welt je gesehen hatte, die zweite aus leichten Seglern. Selbst Isis, die Königin des Meeres, wäre stolz gewesen auf diese Flotte.

Kleopatra wandte sich vom Fenster ab, wohl wissend, daß sie in dieser Nacht keinen Schlaf finden würde. Zu viele Gedanken kreisten ihr durch den Kopf. Ihre Füße trugen sie über den langen Gang zu den Gemächern des Bruders, Ehemanns und Mitregenten.

Man hatte Antiochos' Bett während der heißen Nächte draußen auf der Terrasse aufgeschlagen. Die zarte Gestalt wirkte klein und verloren. Auf dem abgezehrten Gesicht glänzten die Augen wie schwarze Seen. Olympos hatte zwar die Hoffnung geäußert, daß Antiochos sich nun, da er das unwirtliche Klima Roms hinter sich gelassen hatte, erholen würde, doch die Überfahrt hatte ihn zu sehr geschwächt, und er kümmerte weiter vor sich hin.

An diesem Abend hatte er die Augen auf den Himmel gerichtet, doch es waren nicht allein die Sterne, die seine Aufmerksamkeit gefesselt hatten. Kurz nach ihrer Ankunft in Alexandria war plötzlich ein Komet erschienen, und das Ende seines schimmernden Schweifs berührte die Spitze des Leuchtturms. Jede Nacht tauchte er auf, ein Wunder, das Sterndeuter selbst aus so weit entfernten Ländern wie Parthien angelockt hatte.

Viele von ihnen glaubten, daß es sich um ein Zeichen der Götter handele, legten es als Fluch aus oder als Verheißung. Andere wiederum waren der Meinung, daß es der Geist Caesars war, dessen Seele der Welt noch einmal Lebewohl sagte, ehe sie ihren Platz unter den Göttern einnahm. Es war ein gutes Geschäft für die Wahrsager, denn die Menschen auf den Straßen wurden es nicht müde, sich die Auswirkung des Kometen auf ihr Leben erklären zu lassen.

Doch auch andere Phänomene trieben die Abergläubischen derzeit auf die Marktplätze von Rhakotis. Ein Gerücht besagte, daß es eine Krokodilplage am Nil gäbe, oberhalb von Theben. Kleopatra hatte Berichte erhalten, nach denen sich die dortige Flußbevölkerung bereits nicht mehr in die Nähe des Wassers wagte. Angeblich waren den Raubtieren schon Kinder und Hunde zum Opfer gefallen. Unter den Gelehrten des Museion war man sich uneins, was die Bedeutung dieser Plage betraf, doch in den Tempeln der chora opferten die Menschen Sobek, dem Gott mit dem Krokodilkopf, und flehten ihn um Erlösung von dem Übel an.

Nun, dachte Kleopatra, wenn das dort oben Julius ist, der müßig durch die Wolken streift, dann könnte ich ihn eigentlich fragen, warum er mich nicht in seinem Testament bedacht hat. Und statt dessen Octavian, einen Burschen ohne Kenntnis, der nicht über die Erfahrung verfügte, öffentliche Ämter zu bekleiden? Ihm hatte er sein Vermögen vermacht, ihm den Namen gegeben, den Namen des Gottes.

Hatte er nicht gewußt, daß der Name dem Menschen große Macht verleihen konnte, mehr noch als Gold und Soldaten?

Sie hatte für Caesarion nichts gewollt außer diesen Namen, denn er hätte ihm Legitimation verschafft, ihm einen Platz in der Welt eingeräumt. Statt dessen hatte Caesar ihn an Octavian weitergereicht.

Warum hatte er das getan? Warum nur?

War es wieder eins seiner Spiele gewesen? Auch über den Tod hinaus war er ihr gegenüber rätselhaft geblieben, rätselhaft und treulos. Der Zorn darüber hatte sich mit ihrer Trauer verbunden und sie auf seltsame Weise verstärkt.

»Ich hasse dich, Julius«, flüsterte sie dem Nachthimmel zu.

Nach einer Weile zog der Komet auf seiner Bahn weiter und entschwand. Caesar hatte sich zur Ruhe begeben, sich der Bürde entledigt. Ihre hingegen bestand unverändert weiter.

Kleopatra beugte sich vor und führte die Lippen an das Ohr ihres Bruders. »Antiochos«, wisperte sie.

Der Junge regte sich nicht. Nichts deutete darauf hin, daß er sie gehört hatte. Seine Augen waren geöffnet, klar wie das Wasser am Fuße des Palasts, doch seelenlos und leer. Sie streckte die Hand aus, um seinen Atem zu fühlen. Warum dauerte dies so lange?

»Antiochos, es tut mir so leid«, sagte sie leise.

Als sie das Gemach verließ, wartete Mardian draußen auf sie. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war schwer zu deuten. Kleopatra glaubte, so etwas wie einen Vorwurf darin zu lesen.

»Wie geht es ihm?« fragte er.

»Ich glaube, er ist tot.«

Mardian nickte bedächtig. Es schien, als habe er mit dieser Antwort gerechnet. »Gift«, murmelte er.

»Sei nicht albern. Du hast doch gehört, was Olympos gesagt hat. Antiochos hatte die Lungenfäule, der Winter in Rom hat ihn zu sehr geschwächt.«

Es war, als habe Mardian ihre Worte nicht vernommen. »Habt Ihr das befohlen, Majestät?«

Sie erschrak und spürte, wie ihr das Blut in den Kopf stieg.

»Wie kannst du es wagen, mir dergleichen zu unterstellen?«

»Ich kenne Euch von klein auf, Majestät. Ich habe immer gewußt, daß es so kommen würde.« Er schüttelte den Kopf. »Der arme Antiochos. Wäre er in eine andere Familie geboren worden, wäre er für niemanden eine Gefahr gewesen.«

Kleopatra schwieg. Dachte Mardian denn, es wäre ihr leichtgefallen? Sie hatte es für Ägypten getan - und für Caesarion. »Ich hatte keine Wahl«, sagte sie.

»Das weiß ich, Majestät«, entgegnete Mardian bekümmert. Danach machte er kehrt und entfernte sich mit schwerfälligem Schritt.

24

Er wurde in den Palast geführt, durch die übermannshohen Pforten, über Böden aus Onyx und Alabaster, die wie Glasseen schimmerten. Jeder Raum war angefüllt mit erlesenen Kostbarkeiten: ziselierte Metalltische aus Damaskus, Lampenständer aus nubischem Silber, ägyptische Götterstatuen aus Porphyr und Basalt, prächtig geknüpfte Teppiche aus Indien, hohe griechische Vasen, Tische aus Zitronenholz, die von Elefantenzähnen getragen wurden. Nichts davon erinnerte mehr an die Umstände ihrer ersten Begegnung, damals in dem schmutzigen Zelt am Rande der Wüste Sinai, vor dessen Eingang zottige Kamele lagerten.

Nur an ihrer Art hatte sich nichts geändert, stellte er zufrieden fest. Hochmütig wie eh und je. Da es sich um eine inoffizielle Zusammenkunft handelte, hatte Kleopatra auf königliches Gepränge verzichtet. Sie lag auf einer der Ruhebänke und war in eine Schriftrolle vertieft. Als ihr seine Gegenwart gemeldet wurde, schaute sie so ungehalten auf, als habe ein Bettler gewagt, sie zu stören.

Nur der engste Kreis war anwesend, ihre Ratgeber, ihr dioiketes, Mardian und Charmion natürlich, und Diomedes, ihr Schreiber. Der dioiketes maß ihn mit feindseligen Blicken, wahrscheinlich mochte er keine Sizilianer. Diese engstirnigen, kleinlichen Griechen!

Apollodoros ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken. Er diente Kleopatra zuverlässig und gern. Dank der königlichen Protektion blühten seine Geschäfte, die wiederum eine perfekte Tarnung abgaben für das Netz an Kundschaftern und Spitzeln, das er in Rom und andernorts unterhielt. Abgesehen davon war die Entlohnung mehr als angemessen.

»Apollodoros«, grüßte Kleopatra.

Ihre Blicke trafen sich. Es gab nur wenige Menschen, die sie so zu Gesicht bekamen - ohne die prächtige Robe, ohne Juwelenschmuck, ohne sorgsam frisiertes Haar und bar jeder Schminke. Sie trug einen schlichten chiton, der in der Taille gegürtet war, und hatte glatte Goldreifen an Arm- und Fußgelenken. Das schwarze Haar lag ihr in einem Knoten im Nacken. Dennoch waren ihre Reize unverkennbar, die olivfarbene Haut, die dunklen Augen, die dem Gegenüber bis auf den Grund des Herzens zu sehen schienen, der geschmeidige Körper, der Duft von Lotusöl, der sie umwehte. Verführerisch und unnahbar zugleich.

Versuche gar nicht erst, mich einzuschüchtern, dachte Apollodoros. Ich habe dich wie einen Sack auf der Schulter geschleppt, meine Liebe. Du schuldest mir einiges - vergiß das nie!

»Was gibt es Neues aus Rom?« erkundigte sich Kleopatra.

»Es handelt sich um Geheimberichte, die erst heute eingetroffen sind.«

»Und was steht darin?«

»Was Ihr vorausgesagt habt, Majestät. Die Stadt versinkt im Chaos. Es gibt einen Aufstand nach dem anderen. Der Pöbel tut, was ihm beliebt, die Armee greift nicht ein, da sie selbst in Unordnung ist. Entgegen der allgemeinen Erwartung ist Octavian in Rom geblieben, um nach der Macht zu greifen.

Dagegen wehrt sich Marcus Antonius und bedient sich dabei der Hilfe Ciceros. Im Senat jedoch hetzt Cicero gegen Antonius und redet von der Wiederherstellung der Republik mit Octavian als Imperator.«

»Aber dafür ist Octavian doch noch viel zu jung«, warf der dioiketes ein.

»Bei allem Respekt«, unterbrach ihn Mardian, »das hat Pothinos auch von unserer Königin gesagt, als ihr Vater starb.«

»Und seht, wie es ihm ergangen ist«, warf Apollodoros ein. Kleopatra betrachtete ihn mit regloser Miene. Apollodoros befürchtete bereits, er habe sie beleidigt. Dann breitete sich jedoch ein vergnügtes Lächeln auf ihrem Gesicht aus, und sie sagte: »Den Kopf darf man in einer Krise nicht verlieren, nicht wahr, Apollodoros?«

»So ist es, Majestät.« Er grinste.

»Entschuldige bitte, daß wir dich unterbrochen haben. Fahre fort.«

»Cicero hat Antonius beschuldigt, Staatsgelder veruntreut und Caesars Siegel zur Fälschung von Urkunden benutzt zu haben, die ihm und seinen Freunden Vorteile verschafften.«

»Und? Trifft das zu?«

»Jawohl, Majestät. Antonius macht keinen Hehl daraus. Ihn stört jedoch, daß Cicero es zum Skandal erhebt.«

»Wird es zu einem Krieg kommen?« fragte Mardian.

»Daran besteht kein Zweifel. Antonius kämpft bereits gegen einen der Caesarmörder, Decimus Brutus, der gegenwärtig Statthalter des zisalpinischen Galliens ist. Der Senat hat Octavian beauftragt, Decimus mit Caesars Legionen zu Hilfe zu eilen.«

»Der Senat unterstützt einen Mann, der zu Caesars Mördern gehört?« fragte Kleopatra, die Stimme beinahe erstickt vor Zorn.

Apollodoros zuckte die Achseln. »Es bleibt ihm nichts anderes übrig, wenn er Antonius in die Schranken weisen will. Es ist eine Frage der Politik.«

»Und die Legionen?« wollte Diomedes wissen.

»Octavian wurde von Caesar zum Nachfolger bestimmt, daher sind die Soldaten auf seiner Seite. Er verfügt über die Vierte und die Marslegion, und bei beiden handelt es sich um Veteranen. Darüber hinaus besitzt er eine Legion aus Freiwilligen und eine weitere, die sein Freund Agrippa ihm in Etrurien ausgehoben hat.«

»Ihr wollt damit doch wohl nicht andeuten, daß Marcus Antonius diesen Krieg verlieren wird!« warf der dioiketes ein.

Wieder zuckte Apollodoros die Achseln. Wie sollte er das? Er war kein Militärexperte.

Diomedes schüttelte den Kopf. »Warum unterstützt man denn diesen Octavian?«

»Oh, das ist ganz einfach«, erklärte Kleopatra. »Cicero unterstützt ihn, weil er dessen Legionen benötigt. Zweifellos glaubt er, daß er ihn wieder los wird, sobald Antonius besiegt ist. Er wird sich vorgaukeln, daß er danach seine heißgeliebte Republik zurückerhält.«

»Ob Caesar gewußt hat, was er mit seinem Testament anrichtet?« murmelte Mardian vor sich hin.

Kleopatra rang sich ein dünnes Lächeln ab. »Er tat, was er für richtig hielt.«

»Im engeren Kreis verkündet Cicero, daß er >den Jungen< unter Kontrolle hat«, sagte Apollodoros.

»Er irrt sich«, entgegnete Kleopatra. »Octavian wird nicht nach seiner Pfeife tanzen.«

Die Umstehenden sahen sie fragend an.

»Cicero und die Senatoren sind so mit ihrer eigenen Bedeutsamkeit befaßt, daß ihnen das Nächstliegende entgeht«, fuhr sie fort. »Cicero selbst ist ein alter Mann, um ihn muß Octavian sich nicht mehr lange sorgen. Die Armee greift Octavian nicht an, weil er Caesars Namen trägt, und genau das ist das Problem von Marcus Antonius, der die Caesarmörder strafen will. Wenn Octavian klug ist, oder zumindest kluge Berater hat, wird er die Parteien gegeneinander ausspielen und warten, bis etwas Gras über die Sache gewachsen ist. Danach wird er der Held des Tages sein.«

Ihre Zuhörer brüteten stumm vor sich hin. Wenn die Königin recht behielt, bedeutete das Unheil für Alexandria, denn solange ihr Sohn lebte, gäbe es keinen Frieden im Land. Für Kleopatra bliebe Caesarion Caesars Erbe.

»Und was sollen wir nun tun?« begann der dioiketes nach einer Weile.

»Tun?«

»Soweit ich weiß, befindet sich eine Delegation des Cassius auf dem Weg zu uns. Sie werden uns um Schiffe und Versorgung bitten, um Rom im Kampf gegen Syrien zu unterstützen.«

»Das entspräche seiner Dreistigkeit. Er hat den Vater meines Sohnes ermordet - und nun sucht er bei mir Hilfe?«

»Es könnte ratsam sein, ihm nachzugeben.«

Kleopatra bedachte ihn mit einem so eisigen Blick, daß er die Augen niederschlug.

»Es ist weder ratsam noch ehrenhaft.«

»Aber wenn wir uns weigern und Cassius sich als siegreich erweist...«, murmelte er unter Zusammennahme allen Mutes.

»Wenn er sich als siegreich erweist, mein Lieber, wird es egal sein, ob wir sein Ersuchen nun mißachtet haben oder nicht. Er will uns ohnehin zu Knechten machen - wir können nur wählen, ob wir ihm dabei freiwillig folgen oder nicht. Ich hätte eigentlich gedacht, dies wäre offenkundig. Zu unserer nächsten Zusammenkunft bringt bitte Euer Gehirn wieder mit.«

Die anderen schauten betreten zu Boden. Kein Wunder, daß die Königin sich Feinde macht, dachte Apollodoros, sie spricht aus, was andere nur denken. Vielleicht unterrichtet man eine Königin nicht in den gefälligen Redensarten, mit denen die Menschen sich gemeinhin belügen. Dennoch sollte sie nicht so gnadenlos sein. Der dioiketes ist nur ein Höfling, der nach dem einfachen Vorteil trachtet. Das macht ihn zwangsläufig kurzsichtig und dumm.

»Gibt es sonst noch etwas?« fragte Kleopatra Apollodoros.

»Noch ein paar Einzelheiten. Ihr findet sie in meinem Bericht.«

»Dann danke ich dir abermals für deine Dienste«, antwortete Kleopatra. Danach war er entlassen. Gut, daß ich nicht zu ihren Schreibern und Ministern gehöre, dachte Apollodoros im Hinausgehen. Ich liefe zu häufig Gefahr, ihr eins hinter die Ohren zu geben, wenn sie es nicht anders verdient.

Doch dann wiederum gestand er sich ein, daß er seine Königin genau so haben wollte, wie sie war, und keinen Deut anders.

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