Marks letztes Wort...

War dies wirklich unsere letzte Gelegenheit, diese Tiere zu sehen? Unglücklicherweise sind zu viele Unbekannte im Spiel, um darauf eine einfache Antwort geben zu können. Durch energische Bemühungen vor Ort haben die Bestände einiger dieser Arten inzwischen tatsächlich zu wachsen begonnen. Klar ist aber, daß schon ein kurzfristiges Einstellen dieser Bemühungen bedeuten würde, daß die Kakapos, die Yangtse-Delphine, die nördlichen weißen Nashörner und viele andere umgehend verschwinden würden.

Wie sich in der Vergangenheit häufig gezeigt hat, ist das Fortbestehen einer Tierart durch einen großen Bestand nicht zwangsläufig gewährleistet. Das berühmteste Beispiel ist die nordamerikanische Wandertaube, früher die weltweit verbreitetste Vogelart. Bis sie durch die Jagd im Verlauf von etwas mehr als fünfzig Jahren vollständig ausgerottet wurde. Aus dieser Erfahrung haben wir nichts gelernt: Vor zehn Jahren gab es in Afrika noch 1,3 Millionen Elefanten, aber inzwischen sind so viele von Wilderern getötet worden, daß heute nicht mehr als sechshunderttausend übrig sind.

Andererseits können sogar die kleinsten Bestände vom Rand des Abgrundes zurückgeholt werden. Bis 1965 war die Zahl der Juan-Fernandez-Seebären von mehreren Millionen auf weniger als hundert gesunken; heute sind es wieder dreitausend. Und obwohl der Bestand an Chatham-Island-Drosseln auf Neuseeland 1978 bis auf ein trächtiges Weibchen dezimiert war, konnte die Art durch die Fürsorge von Don Merton und seinem Team vor dem Aussterben bewahrt werden, so daß heute wieder mehr als fünfzig Tiere existieren.

Auch der Kakapo könnte sich auf dem langsamen Wege der Besserung befinden. Kurz nach unserer Rückkehr nach England erreichte uns folgender Brief aus Neuseeland:


»P. O. Box 3, Stewart Island.

Lieber Douglas, lieber Mark, ich hoffe, daß Euch das hier schnell erreicht – es gibt gute Nachrichten aus dem Kakapo-Land auf Stewart Island. Um 8 Uhr 45 am 25. August 1989 hat einer unserer Hundeführer, Alan Munn, mit seinem englischen Setter ›Ari‹ bei Lees Knob in 380 Metern Höhe ein neues Kakapo-Weibchen aufgespürt. ›Jane‹ wog 1,25 Kilo und war mächtig am Skrarken, als Alan sie hochgehoben hat. Sie hatte die Mauser gerade hinter sich, machte aber einen guten Eindruck, und wir werden sie in den nächsten Tagen in ihre neue Heimat fliegen – nach Codfish Island.

Nochmals herzlichen Dank für Euren Besuch. Er hat mit Sicherheit ein bißchen dazu beigetragen, daß man sich jetzt in angemessener Form für diese großen grünen Burschen interessiert.

Mit freundlichen Grüßen, Andy Roberts (Kakapo Project Manager), i.A. R.Tindal, District Conservateur Department of Conservation, Rakiura.«


Später erreichten uns noch mehr gute Nachrichten von den Kakapos. Zwei weitere Weibchen waren auf Stewart Island gefunden und nach Codfish umgesiedelt worden, womit der Kakapo-Gesamtbestand jetzt dreiundvierzig beträgt.

Inzwischen haben viele der Männchen auf Little Barrier Island geschrien, unter ihnen zur allgemeinen Freude auch der neunjährige »Schnark«. 1981 auf Stewart Island geboren, war Schnark das einzige Kakapo-Küken, das ein Mensch in diesem Jahrhundert gesehen hat.

Die beste Nachricht von allen sollte aber noch kommen. Unmittelbar vor der Drucklegung rief ein sehr aufgeregter Don Merton an, um uns mitzuteilen, daß man gerade ein frisch errichtetes Kakapo-Nest auf Little Barrier Island entdeckt hatte. In diesem Nest, das von einem neunjährigen Weibchen namens »Heather« gebaut worden war, liegt ein einzelnes Kakapo-Ei.

Die Kakapos nach Little Barrier Island und Codfish Island umzusiedeln bedeutet, bewußt ein Risiko einzugehen – nur besteht keine andere Hoffnung, den Kakapo vor dem Aussterben zu bewahren. Heathers Nest ist das erste ermutigende Zeichen, daß das Projekt tatsächlich Früchte trägt, und jetzt wartet alles nervös darauf, ob sie ein Junges ausbrüten und es in ihrer Wahlheimat aufziehen kann.

Wir bekamen auch einen Brief von Kes Hillman-Smith aus Zaire, in dem sie uns mitteilte, daß, seit wir Garamba verlassen hätten, dort drei nördliche weiße Nashornbabys zur Welt gekommen seien, womit sich der Gesamtbestand auf jetzt fünfundzwanzig Tiere erhöht hat. Die begeisterten Parkangestellten tauften sie »Mpiko«, gleichbedeutend mit Mut, »Molende«, gleichbedeutend mit Beharrlichkeit, und »Minzoto«, gleichbedeutend mit Stern.

Man muß sich im klaren darüber sein, daß nicht jede Schutzstrategie auch zwangsläufig funktioniert: Wir tappen beim Experimentieren häufig im dunklen. Während der Anfangsphase des Garamba-Projekts wurde großer Druck auf die Zairer ausgeübt, all ihre nördlichen weißen Nashörner einzufangen und in Gefangenschaft zu halten. Die Regierung von Zaire war damit nicht einverstanden. Ihrer Auffassung nach gehörten die Nashörner ihnen und sollten nicht in Zoos in anderen Teilen der Welt ausgestellt werden. Zum Glück scheint diese Entscheidung richtig gewesen zu sein. Wie sich herausstellte, vermehren sich nördliche weiße Nashörner nicht besonders gut in Gefangenschaft – das letzte wurde 1982 geboren, während in Freiheit im selben Zeitraum mehr als zehn Tiere zur Welt kamen.


Die Nachrichten aus Mauritius waren durchwachsener. Mit den Falken geht es bergauf, und nach Carls Ansicht leben heute schätzungsweise hundert von ihnen in Freiheit, darunter zwölf brütende Pärchen. Der Bestand an wirklich freilebenden Rosa Tauben hingegen ist unter zehn abgesunken. Einige der in Gefangenschaft aufgezogenen Tauben wurden wieder freigelassen. Bisher sind sie den Jägern entkommen, und es scheint ihnen ganz gutzugehen.

Was die Mauritiussittiche betrifft, ist mindestens einer von ihnen gestorben, seit wir sie gesehen haben, aber dafür haben ein paar andere zu brüten begonnen. Im November 1989 entdeckte Carl ein Sittich-Nest mit drei Eiern. Eines dieser Eier verschwand kurz darauf unerklärlicherweise, und deswegen riskierte er es, die anderen herauszunehmen und im Zuchtzentrum in Gewahrsam zu nehmen. Beide Eier wurden erfolgreich ausgebrütet, und die Küken sind gesund und wohlauf.

Das Wichtigste überhaupt ist vielleicht (zumindest für Nichtornithologen), daß der Bestand an in Freiheit lebenden Rodrigues-Flederhunden vor kurzem die Tausendergrenze überschritten hat.


Es gibt auch schlechte Nachrichten; nach Ausstrahlung der Rundfunksendung erreichte uns folgender beunruhigende Brief von einem Paar, das in China gearbeitet hatte:


»Lieber Douglas, lieber Mark,

die Yangtse-Delphin-Sendung hat uns sehr gefallen – nur haben wir uns beim Zuhören ein bißchen schuldig gefühlt. Wir waren kürzlich drei Monate in Nanjing, um dort in verschiedenen Fabriken zu arbeiten. Wir haben eine wunderbare Zeit mit den Menschen dort verbracht und gut gegessen. Uns zu Ehren hat einer von ihnen zu unserem Abschied einen Yangtse-Delphin gekocht, also waren wohl in Wirklichkeit 201 da. Tut uns leid.

Mit freundlichem Gruß...

P.S. Verzeihung, es waren zwei Delphine – mein Mann hat mich gerade daran erinnert, daß er der Ehrengast war und das Embryo bekommen hat.«


Es besteht vermutlich wenig Hoffnung, die Delphine im Yangtse-Fluß retten zu können, trotz all der Zeit und Mühe, die auf ihren Schutz verwandt werden. Vielleicht haben sie in Halbgefangenschaft eine Chance, im Schutzgebiet in Tongling und dem neuen in Shi Shou, obwohl das Leben dort niemals ein Ersatz für das Leben in Freiheit wird sein können. Der Lärm und die Verschmutzung gehen inzwischen natürlich unvermittelt weiter.


Niemand kann sagen, wie viele andere Arten kurz vor dem Aussterben stehen. Wir wissen nicht einmal, wie viele Tier- und Pflanzenarten es insgesamt auf der Welt gibt. Bisher sind schwindelerregende 1,4 Millionen vorgefunden und identifiziert worden, aber manche Experten glauben, daß weitere dreißig Millionen noch zu entdecken sind. Das ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, daß wir über die Mondoberfläche mehr wissen als über Teile unseres eigenen Planeten. Viele Tiere und Pflanzen verschwinden, vielleicht irgendwo in den Tiefen eines unerforschten Meeres oder in einer stillen Ecke eines tropischen Regenwaldes verborgen, bevor wir von ihrer Existenz erfahren.

Und es ist nicht nur den winzigen, unauffälligen Lebewesen gelungen, unserer Aufmerksamkeit zu entgehen. Zum Beispiel hat man in den Regenwäldern von Madagaskar einige aufregende neue Entdeckungen gemacht, seit Douglas und ich dort 1985 nach dem Aye-Aye gesucht haben. Feldforscher haben zwei neue Lemurenarten entdeckt: eine, der sogenannte goldene Bambuslemur, hat hübsche, goldene Augenbrauen, orangefarbene Wangen und ein volles, rötlichbraunes Fell; der andere hat oben auf dem Kopf einen goldroten Haarschopf und wurde goldfarbener Diademsifaka getauft.

Beide Lemuren sind äußerst selten und praktisch unbekannt. Welche Rolle spielen sie in den Regenwäldern von Madagaskar? Können wir von ihnen irgend etwas über unsere eigene Entstehungsgeschichte lernen? Was bedroht ihren Fortbestand am stärksten? Wir wissen es nicht. Sie könnten aussterben, bevor Experten genügend Wissen zu ihrer Rettung gesammelt haben. Die Erhaltung von Tierarten ist immer ein Wettlauf mit der Zeit. Die Zoologen und Botaniker, die unerforschte Gegenden erkunden, sich abmühen, die bloße Existenz einer Spezies zu dokumentieren, bevor sie ausstirbt, sind fast wie jemand, der durch eine brennende Bibliothek eilt und versucht, ein paar der Titel jener Bücher hinzukritzeln, die niemand mehr wird lesen können.

Seit Millionen von Jahren sterben Arten aus: Tiere und Pflanzen verschwanden lange Zeit, bevor Menschen auf den Plan traten. Was sich jedoch geändert hat, ist die Aussterbens-Rate. In Millionen von Jahren starb durchschnittlich eine Art pro Jahrhundert aus. Die meisten Arten starben jedoch in den letzten dreihundert Jahren aus.

Und die meisten der Arten, die in den letzten dreihundert Jahren ausgestorben sind, verschwanden in den letzten fünfzig Jahren.

Und die meisten der in den letzten fünfzig Jahren verschwundenen Arten starben wiederum in den letzten zehn Jahren aus.

Schon die Erhöhung des Tempos ist erschreckend genug. Wir vernichten heutzutage jährlich mehr als tausend verschiedene Tier-und Pflanzenarten auf unserem Planeten.

Derzeit gibt es fünf Milliarden Menschen, und es werden kontinuierlich mehr. Wir kämpfen um Lebensraum mit Tieren und Pflanzen, die zudem mit der Jagd fertig werden müssen, mit Verschmutzung, Pestiziden und, was am wichtigsten ist, dem Verlust von Habitaten. Allein die Regenwälder beherbergen die Hälfte aller Tier- und Pflanzenarten auf Erden, und trotzdem wird jährlich eine Fläche von der Größe des Senegal vernichtet.

Es gibt auf der Welt so viele bedrohte Tierarten, daß es Douglas und mich, bei einer durchschnittlichen Quote von einem Exemplar in drei Wochen, mehr als dreihundert Jahre gekostet hätte, alle zu suchen. Und hätten wir beschlossen, auch noch bedrohte Pflanzenarten zu berücksichtigen, hätten wir weitere tausend Jahre gebraucht.

In jeder noch so entlegenen Ecke gibt es Menschen wie Carl Jones und Don Merton, die ihr Leben der Rettung dieser Arten verschrieben haben. Allzu häufig ist ihre Entschlossenheit alles, was zwischen einer bedrohten Art und deren Aussterben steht.

Aber warum machen sie sich die Mühe? Ist es denn wirklich so schlimm, wenn der Yangtse-Delphin, der Kakapo, das nördliche weiße Nashorn oder irgendeine andere Art lediglich in den Notizbüchern von Wissenschaftlern weiterleben?

Ja, das ist es. Jedes Tier und jede Pflanze ist ein unerläßlicher Bestandteil seiner beziehungsweise ihrer Umgebung:

Sogar Komodo-Warane spielen eine bedeutende Rolle für die ökologische Stabilität ihrer empfindlichen Inselheimat.

Würden sie verschwinden, könnten viele andere Arten folgen. Darüber hinaus ist die Erhaltung von Arten unerläßlich für unser eigenes Überleben. Tiere und Pflanzen versorgen uns mit lebensrettenden Arznei- und Nahrungsmitteln, sie gewährleisten erfolgreiche Ernten und produzieren wichtige Bestandteile diverser industrieller Verfahren. Ironischerweise sind es häufig nicht die großen, schönen Geschöpfe, sondern die häßlichen und weniger aufsehenerregenden, die wir am nötigsten brauchen.

Trotzdem mag einem der Verlust einiger weniger Arten angesichts solch schwerwiegender Umweltprobleme wie der globalen Erwärmung oder der Zerstörung der Ozonschicht fast belanglos erscheinen. Aber wenn die Natur auch sehr geduldig ist, so hat diese Geduld doch Grenzen. Niemand weiß, wie weit wir uns dieser Grenze schon genähert haben. Je dunkler es wird, desto schneller fahren wir.

Es gibt noch einen letzten Grund, sich zu kümmern, und ich glaube, daß er allein ausreicht. Jenen Grund, der zweifellos die vielen Menschen antreibt, die ihr ganzes Leben damit zubringen, sich den Interessen von Nashörnern, Sittichen, Kakapos und Delphinen zu widmen. Es ist ein sehr einfacher Grund: Die Welt wäre ärmer, dunkler und einsamer ohne sie.

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