10. Die Abendflut

Wir trafen Liz um kurz nach fünf an der Bushaltestelle vor dem Tropical Bird Park. Ganze Busladungen von Touristen strömten in Scharen auf den Parkplatz. Wie Scherenschnitte tanzten ihre Schatten über den Asphalt. Väter mit Bierbauch und Baseballkappe mit dem Aufdruck >Born to Kill<, in fluoreszierende Shorts und viel zu enge TShirts gekleidet. Blonde Mütter mit schlecht sitzender Dauerwelle, in hautengen Radlerhosen, auf kleinen weißen Stilettos. Schwitzende, übergewichtige Kinder mit >New Kids on the Block<-TShirts, grauen Socken und Sportschuhen. Durch das monotone Gewummer der Autoradios konnten wir die lauten und durchdringenden Schreie der verschiedenen Vögel hören, die aus dem Park nach draußen schallten.

Ich fand, dass Liz müde und ein wenig ... na ja, aufgewühlt aussah, als beschäftige sie sich in Gedanken mit irgendeiner Sache. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen, und immer wieder strich sie ihre Haare aus der Stirn, als leide sie unter Kopfschmerzen.

»Wie war's?«, fragte ich sie, nachdem wir im Bus einen Platz gefunden hatten.

»Oh, schrecklich. Man sollte alle Touristen erschießen.«

»Na, hör mal. Keine Touristen, kein Job.«

Sie rang sich zu einem schiefen Lächeln durch. »Stimmt schon. Ich fühle mich heute nur ein wenig daneben. Ist nicht meine Periode oder so. Ich bin einfach nur müde.«

»Fortyfoot House ist ja auch nicht gerade der beste Platz für einen festen Schlaf.«

Danny ließ seine Beine schaukeln und sah in das Flackern, als die Äste der Bäume vor der Sonne vorüberhuschten. Er war noch nicht sehr oft Bus gefahren, und daher war das hier für ihn etwas Besonderes. Etwas Besonderes, dachte ich sarkastisch.

Wenn ich niemanden fand, der meinen Wagen reparieren konnte, würden wir für den Rest des Sommers mit dem Bus fahren müssen. In Ryde gab es einen Audi-Händler. Vielleicht sollte ich morgen zu ihm fahren und sehen, ob ich ihm nicht ein paar Ersatzteile abschwatzen konnte. Im Grunde benötigte ich nur eine Windschutzscheibe, Lampen, Reifen und einen Tacho. Alles andere konnte ich später in Angriff nehmen.

An der grasbewachsenen dreieckigen Verkehrsinsel, von der es nach Bonchurch ging, stiegen wir aus dem Bus. Es war ein ruhiger Spaziergang, vorbei am Dorfladen und an einem Café mit Strohdach und einem Garten voller Stockrosen. Auf der linken Straßenseite befand sich ein großer Teich, in dem Enten umherschwammen. Die Spätnachmittagswolken spiegelten sich in der Wasseroberfläche wie die Wolken über einem ertrunkenen mittelalterlichen Königreich. Ich sah zu Liz, um etwas zu diesem Anblick zu sagen, doch im gleichen Augenblick verspürte ich einen kalten Hauch, und aus irgendeinem Grund wusste ich, dass sie nicht interessiert sein würde. Und ich hätte wie ein Narr dagestanden.

Danny lief voraus, hüpfte über die Risse im Asphalt und sang einen Kinderreim. Es war ein Anblick wie auf einer Ansichtskarte, außer dass wir auf dem Weg zurück zum Fortyfoot House waren und Liz gereizt war. Und ich hatte mit einem Mal das Gefühl, die Kontrolle über meine gesamte Existenz zu ver lieren. Vielleicht hatte ich sie auch schon vor langer Zeit verloren und es jetzt erst bemerkt.

An der Steinmauer, die im Schatten des überhängenden Lorbeers lag, bogen wir um die Ecke und sahen das Tor zu Fortyfoot House, die leicht abfallende Einfahrt, die zur Haustür führte - und ich fühlte eine Angst, wie ich sie noch nie erlebt hatte: Angst vor dem, was sich in diesem Haus verbar g und dem ich mich würde stellen müssen.

Ich nahm Liz am Arm. »Hör mal«, sagte ich, »warum gehen wir nicht runter zum Strandcafe, um erst: noch was zu trinken? Zur Entspannung, meine ich. Du hattest einen schweren Tag.«

Sie sah erst mich, dann das Haus an. Wir näherten uns aus nördlicher Richtung der Seite, die im Schatten lag. Alle Fenster waren dunkel. Ich konnte die Anspannung in ihren Muskeln fühlen. Ich spürte ihre Müdigkeit und ihre Kälte, als wären wir eine einzige Person. Wir waren uns nah, sehr nah. Aber warum war da keine Leidenschaft? Vereinfacht gesagt: Wenn sie krank gewesen wäre, hätte ich sie ausziehen und baden können, aber ich konnte sie nicht lieben, nicht wirklich.

Wir ließen das Haus aus und gingen zwischen den Gärten hindurch nach unten. Danny sprang auf die Sonnenuhr und rief: »Es ist halb sechs.«

»Das kann er gut«, sagte Liz. »Ich konnte die Uhr nicht lesen, bis ich zehn war.«

Ich ging zur Sonnenuhr. Der Zeiger war ein einfaches Dreieck aus Bronze. Es war deutlich zu erkennen, dass die Spitze des Zeigers abgebrochen war und sich verfärbt hatte. Nein, abgebrochen war sie nicht, eher geschmolzen. Und die einst scharfen Kanten waren von Blasen verunstaltet worden, die das Metall geworfen hatte. Ich berührte die Stelle und glaubte zu wissen, was damit geschehen war. Ein schwaches knisterndes Gefühl. Ein Gefühl von Höhenangst, als hätte ich den Boden verlassen und würde immer weiter emporgewirbelt.

Liz stand ein Stück von mir entfernt und hielt sich wegen der tief stehenden Sonne die Hand vor ihre Augen. »Was ist?«, fragte sie mich.

Ich trat von der Sonnenuhr weg und folgte Liz über den Rasen. »Ich weiß nicht, nur so ein Gefühl.«

»Ich glaube, wir lassen uns von diesem Ort einschüchtern«, sagte sie. »Wir hätten gestern abreisen sollen. Egal, ob hier Hausbesetzer, Geister oder wer auch immer am Werk sind.«

»Glaubst du immer noch an Hausbesetzer?«

Sie warf mir einen knappen, fast vorwurfsvollen Blick zu. »Schon gut. Nein, das glaube ich nicht mehr. Aber ich glaube auch nicht an Geister. Glaubst du an Geister? Um Himmels willen, David! Ich weiß nicht, was es ist. Ich habe den ganzen

Tag darüber nachgedacht. Ich bin nicht mal sicher, ob ich wissen will, was es ist.«

»Wenn du möchtest, können wir morgen auch noch abreisen«, erwiderte ich. Ich versuchte, aufmunternd zu sein. Aber wer konnte das schon angesichts von Geräuschen und Lichtern, von blassen toten Kindern im Nachthemd und dunklen Gestalten, die sich in Fotografien bewegten?

»Ich weiß nicht«, sagte sie. Sie klang gereizt und deprimiert.

»Ich habe mir heute ein wenig freigenommen und bin zum Vikar gegangen.«

»Was? Soll das ein Witz sein?«

»Warum sollte ich Witze machen? Wenn ein Rohr platzt, lässt man einen Klempner kommen. Und wenn das Haus voller unruhiger Geister ist, ruft man einen Vikar. Du hast es selbst vorgeschlagen, weißt du noch? Ich sollte das Haus beschwören lassen, hast du mir empfohlen. Erstaunlicherweise weiß dieser Vikar verdammt viel über Fortyfoot House und die Billings und Brown Jenkin. In den Aufzeichnungen der Pfarrei ist einiges darüber niedergeschrieben.«

»Und?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, ob er mir geglaubt hat - du weißt schon, das mit den Lichtern und mit Sweet Emmeline.«

Emmeline ..., dachte ich. Emmeline ... hat seil über einer Woche niemand gesehen ... sie verschwand zwischen ...

»Was?«, fragte Liz. »Wovon redest du?«

Ich blinzelte sie an. »Was ... was meinst du?«

»Du hast irgendwas gesagt von Emmeline hat seit über einer Woche niemand gesehen.«

»Ich wusste nicht, dass ich das laut ausgesprochen hatte.«

Liz seufzte. »David Williams, ich glaube, du hast es bald hinter dir.«

»Das ist von A. A. Milne«, erklärte ich ihr. »Du weißt schon, der Kerl, der auch Winnie Puh geschrieben hat. Emmeline ... hat seit über einer Woche niemand gesehen ... sie verschwand zwischen. ... den beiden großen Bäumen am Ende des Rasens ... wir haben sie alle gesucht. >Emmeline!< Dieses Gedicht hat mir früher immer Angst eingejagt. Es gab eine Zeichnung, zwei Bäume, die an einem Zaun standen. Ich dachte immer, dass niemand zwischen diesen Bäumen verschwinden könne, es sei denn ...«

»Es sei denn was, David? Allmählich mache ich mir Sorgen um dich.«

»Es sei denn ... keine Ahnung. Es sei denn, dass sich Emmeline am selben Ort aufhielt, aber in einer anderen Zeit. Sie war eine Woche lang weg? Ohne etwas zu essen? Ohne zu schlafen? Und wo ist sie gewesen? Das hat mir immer Angst eingejagt.«

»Himmel, David! Das ist ein Kinderbuch.«

»Vielleicht. Aber irgendetwas hat mich daran erinnert. Vielleicht will mir mein Unterbewusstsein irgendetwas sagen. Emmeline ... am selben Ort, in einer anderen Zeit.«

»Ich glaube, dein Unterbewusstsein will dir sagen, dass du nicht länger im Fortyfoot House übernachten sollst. Das glaube ich ganz sicher.«

»Und falls der Vikar das alles klären kann?«, erwiderte ich.

»David, was kümmert es dich, was er machen kann und was nicht? Das hier ist nicht dein Problem. Und mein Problem ist es auch nicht, das kannst du mir glauben.«

»Natürlich ist es mein Problem. Ich möchte nicht um jeden Preis Geld ausgeben, um woanders zu wohnen. Außerdem bin ich bereits dafür bezahlt worden, um das Haus in Schuss zu bringen.«

»Stimmt genau«, sagte Liz. »Du wirst bezahlt, um das Haus zu renovieren, nicht um es zu beschwören. Warum sagst du den Maklern nicht, dass es verflucht ist und dass du erst wieder arbeiten wirst, wenn es ... >entflucht< ist?«

»Ja, sicher, und sie werden mir natürlich glauben.«

»Jeder hier scheint zu glauben, dass Fortyfoot House verflucht ist. Ich glaube ja bald schon selbst daran, und ich glaube eigentlich überhaupt nicht an solche Dinge.«

»Liz, ich kann es ja wenigstens versuchen.«

Sie schüttelte fassungslos ihren Kopf. »Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass dieser Vikar irgendetwas erreichen kann, oder etwa doch?«

»Er kommt heute Abend vorbei, um zu sehen, ob er herausfinden kann, was hier nicht stimmt, weiter nichts. Vielleicht kann er uns ja auch nicht helfen. Vielleicht hat das alles überhaupt nichts mit Satan zu tun. Aber wenn es eine Chance gibt, dass hier Ruhe einkehrt, dann ist das einen Versuch wert. Für jemanden, der sich mit Geistern auskennt, könnte es ein ganz gewöhnliches Problem sein. Vielleicht sind nur die richtigen Gebete erforderlich.«

»So wie bei deiner Ehe«, sagte Liz mit ihrer Begabung, abrupt das Thema zu wechseln. Sie erwischte mich kalt.

»Meine ... was?«, fragte ich sie. »Meine Ehe? Was hat meine Ehe damit zu tun?«

»Alles und nichts. Vielleicht hat sie nichts mit Fortyfoot House zu tun, aber sie hat sehr viel mit uns beiden zu tun.«

»Um ganz ehrlich zu sein, glaube ich nicht, dass es jemals ein >wir beide< gegeben hat.«

»Oh ja, und ich habe wohl mit irgendeinem von diesen Geistern geschlafen, oder? Es hätte ein >wir beide< geben können. Es könnte immer noch ein >wir beide< geben. Aber du kannst dich ja nicht entscheiden. Du weißt nicht, ob du Fortyfoot House verlassen willst oder nicht. Gehen - bleiben - gehen - bleiben. Du bist wie dieser Song von Jimmy Durante. Du kannst dich nicht entscheiden, ob du dich von Janie scheiden lassen willst oder nicht. Du weißt nicht, ob du mit mir schlafen willst oder nicht. Du hast so große Angst davor, die falsche Entscheidung zu treffen, dass du dich am Ende gar nicht mehr entscheiden kannst. David, um Himmels willen, entscheide dich doch endlich mal!«

»Tut mir Leid«, sagte ich.

»Es soll dir nicht Leid tun!«, gab sie zurück. »Ich will nicht, dass es dir Leid tut! Ich will, dass du dein Leben wieder in den Griff bekommst, ob nun mit mir oder mit einer anderen. Du kannst mit keiner anderen Frau eine Beziehung eingehen, solange du nicht Janie hinter dir lässt. Du musst dich von ihr scheiden lassen, David, und dann musst du sie vergessen. Wahrscheinlich wirst du ihr dann aber trotz allem jahrelang hinterhertrauern. Du musst das mal aus meiner Sicht sehen. Es ist nicht sehr schmeichelhaft, mit einem Mann ins Bett zu gehen, der so tut, als wäre ich seine Ex, und der dann schlappmacht.«

Ich blieb stehen, mein Gesicht zur Hälfte von meiner Hand verdeckt, damit die Sonne mich nicht blendete. Wahrscheinlich sah ich aus wie das Phantom der Oper mit dieser halben Maske. Sie hatte natürlich Recht, größtenteils jedenfalls. Dass ich keine Leidenschaft empfand, hatte nicht nur mit Janie zu tun. Fortyfoot House hatte damit auch etwas zu tun. Aber in erster Linie lag es an Janie. Ich hing immer noch zu sehr an den Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit, und ich war rasend eifersüchtig auf Raymond. Die Eifersucht war schlimmer als das Nicht-loslassen-Wollen. Das kann mit der Zeit nachlassen. Aber die Eifersucht muss sofort mit einem glutroten Eisen ausgebrannt werden, so wie eine Schusswunde in einem Film mit John Wayne. Ein Zischen, ein Aufschrei, und das war's dann.

»Tut mir Leid«, wiederholte ich. Und weil es mir wirklich Leid tat, sagte ich noch einmal: »Tut mir Leid.«

Liz trat vor mich, vergrub ihre Finger in meinen Haaren und küsste mich. Sie war ziemlich klein, viel kleiner als Janie, und auch viel sanfter und klüger als Janie. Sie drückte ihr Gesicht gegen meine Schulter, und ich nahm sie in die Arme. Danny stand auf der kleinen Holzbrücke, die den Bach überspannte, die Wolken zogen gemächlich vorüber, als ...

... als ich mich zur Sonnenuhr umdrehte und sah, wie eine massige in einen schwarzen Anzug gekleidete Gestalt langsam um sie herumwirbelte, in der Horizontalen, als sei sie ein riesiger Propeller. Eine Hand war schmerzhaft zur Spitze des Zeigers ausgestreckt. Ihre Haare waren steil aufgerichtet und rauchten, ihre Rockschöße flatterten wild umher.

»Jesus! Siehst du auch, was ich ...« Ich versuchte, Liz' Kopf anzuheben, damit sie sehen konnte, was ich sah ...

Tausende Volt Elektrizität bahnten sich ihren Weg aus dem Zeiger der Sonnenuhr. In einem wilden Funkenregen bohrten sie sich unter die bebenden Fingernägel des Mannes. Ich konnte den Geruch von Ozon und verbrannten Nägeln wahrnehmen. Ich konnte riechen, wie das Blut kochte. Ich konnte hören, wie der Mann unverständliche Worte schrie. N'ggaaa nngggaa sothoth nyaa - völlig ungewöhnliche, erstickte, gutturale Laute, die meine Nackenhaare sich steil aufrichten ließen. Dann brüllte er: »Lass mich sterben, du Miststück. Lass mich sterben. Oh, verdammt, verdammt, lass mich sterben.«

»Liz, sieh doch!«, sagte ich. Sie blickte zu mir auf und legte die Stirn in Falten, als könne sie mich nicht verstehen. Als sie sich endlich zur Sonnenuhr umdrehte, war die Gestalt verschwunden. Zurückgeblieben waren nur ein paar Schwaden dünnen blauen Rauchs, die sich rasch entwirrten und von der steifen Seebrise fortgeweht wurden.

»Was ist los?«, fragte sie. »Stimmt was nicht?«

»Ich dachte, ich ...« Ich presste meine Fingerspitzen gegen die Stirn. »Ich dachte, ich hätte etwas gesehen. Ich weiß nicht, was. Wahrscheinlich bin ich nur übermüdet.«

»Dir geht es so wie mir. Ich wäre heute fast eingeschlafen, als ich den Tee aufbrühen sollte. Die Chefin meinte, sie werde mich feuern, wenn ich mich nicht zusammenreiße. Es geht doch nichts darüber, gleich am ersten Tag die Kündigung zu erhalten, was?«

Ich sah wieder zur Sonnenuhr. Was hatte Reverend Dennis Pickering gesagt? Der alte Mr. Billings war von einem Blitz getroffen worden? Vielleicht hatte ich soeben den Tod des alten Mr. Billings mit angesehen, so als wäre ich tatsächlich Zeuge davon geworden, wie er auf diesem Grund und Boden ums Leben kam, der jetzt und damals gleichzeitig zu existieren schien.

»Komm, wir gehen jetzt was trinken«, sagte ich.

Wir überquerten die Brücke und gingen an den Bäumen entlang und durch das Gartentor hinaus. Wie üblich lief

Danny auf dem Weg zur See voraus. Es herrschte Ebbe, und der Strand war geprägt von zahllosen Wasserlachen und angespültem Seetang, der sich an den Felsen festklammerte. Der Geruch des Seetangs war sehr intensiv, und Dutzende von Möwen zogen an der Küste ihre Kreise, um sich auf die winzigen grünen Taschenkrebse und die durchscheinenden Krabben zu stürzen.

Wir erreichten das Strandcafé und nahmen Platz. Erstaunlicherweise war Doris Kemble nirgends zu sehen. Genau genommen war überhaupt niemand zu sehen. Im Garten gleich neben dem Café schaukelten riesige Sonnenblumen gemächlich in der leichten Brise, und eine kleine hölzerne Windmühle quietschte unablässig vor sich hin.

Ich ging ins Café und sah den Tisch, an dem Mrs. Kemble sonst saß und ihr Geld zählte. Die verschiedenen Münzen waren ordentlich aufgetürmt worden. Es waren insgesamt wohl rund dreißig oder vierzig Pfund, an denen sich jeder hätte bedienen können. Eine Tasse mit kaltem Tee stand außerdem auf dem Tisch.

»Mrs. Kemble?«, rief ich, erhielt aber keine Antwort. »Mrs. Kemble?« Wieder nichts. Ich lief wieder nach draußen, wo Liz auf der Mauer saß und Danny von den Papageien im Tropical Bird Park erzählte. »Du hättest die Aras sehen müssen, die sind schrecklich. Und ein Papagei sagt immer: >Benimm dich.< Der kann einen wirklich verrückt machen.«

»Kann ich morgen mitkommen?«, fragte Danny.

»Es ist niemand hier«, sagte ich zu Liz. »Sie hat ihr Geld auf dem Tisch liegen lassen, aber von ihr selbst fehlt jede Spur.«

»Vielleicht musste sie noch irgendetwas einkaufen gehen«, überlegte Liz. »Brot. Oder Salatdressing. Oder irgendwas anderes.«

»Kann ich denn morgen mit zu den Vögeln gehen?«, nervte Danny noch immer.

»Vielleicht am Freitag«, antwortete ich, während ich den Strand absuchte. Niemand war zu sehen, von einem einsamen

Fischer in einem kleinen Boot weit draußen auf dem Meer abgesehen.

»Das ist sehr seltsam«, sagte ich.

Liz sah mich an. »Was sollen wir machen? Bis nach Ventnor zum nächsten Pub gehen?«

»Ich schätze, wir müssen uns aus Mrs. Kembles Kühlschrank selbst bedienen und ihr das Geld hinlegen.«

»Eine gute Idee.« Sie zog einen der roten Plastikstühle nach hinten, setzte sich und zog ihre Schuhe aus. »Sieh dir das an. Doppelt so groß wie normal. Ich hätte die Schuhe in der nächstkleineren Größe nehmen sollen.«

Ich ging zum Kühlschrank und holte zwei Harp Lager und eine Coca-Cola heraus, öffnete sie und nahm sie mit nach draußen. Von unserem Tisch aus beobachteten wir die Möwen, wie sie ihre Kreise zogen, und sahen zu, wie die Sonne sich allmählich dem Horizont näherte. In der Ferne konnte ich einen Öltanker ausmachen, der nach Westen in Richtung Kanal fuhr. Die See stimmte mich immer nostalgisch, obwohl ich als kleiner Junge keine besonders schönen Erlebnisse mit ihr verband.

Danny hatte seine Coke ausgetrunken und begann zu zappeln. »Möchtest du an den Strand gehen?«, fragte ich. »Du kannst doch noch ein Krebsrennen veranstalten. Der schnellste Krebs kommt in den Eimer und geht morgen wieder an den Start.«

Wir sahen zu, wie er auf die Felsen kletterte und bis zum Wasser balancierte, das fast hundert Meter entfernt war. Ich lehnte mich zurück und trank einen Schluck Lager.

»Wann kommt denn der Exorzist vorbei?«, fragte Liz.

»Du meinst Reverend Pickering? Er kommt nur vorbei, um sich umzusehen.«

»Glaubst du wirklich, dass er irgendetwas machen kann?«

»Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Er hat selbst gesagt, dass echte Geister nichts mit den Geistern im Kino zu tun haben. Sie verschwinden nicht einfach, nur weil jemand es ihnen befiehlt. Ich meine, wir haben es hier nicht mit Linda

Blair oder Patrick Swayze zu tun.« Ich musste wieder an diese massige schwarze Gestalt denken, die sich langsam um die Sonnenuhr drehte, mit rauchendem Haar, das Gesicht schmerzverzerrt. N'gciaa nngggaa sothoth nggaaa. Es war eine Täuschung gewesen. Es musste eine gewesen sein. Aber was wäre geschehen, wenn ich nach ihm gegriffen hätte, während er an mir vorbeikam? Hätte ich ihn wirklich spüren können? Oder wären seine Beine einfach durch mich hindurchgegangen?

»Ich meine immer noch, dass wir ausziehen sollten«, sagte Liz. »Wir könnten uns einen Wohnwagen auf dem Shanklin Caravan Park mieten. Das kostet nicht viel, und du könntest trotzdem deine Arbeit hier erledigen, oder?«

»Ich glaube schon«, antwortete ich. Aber da nun Dennis Pickering vorbeikommen wollte, war ich zuversichtlicher, dass wir die Geister im Fortyfoot House zur Ruhe kommen lassen konnten. Die Erscheinungen waren wirklich beängstigend gewesen, vor allem in der Nacht. Doch abgesehen von Harry Martin - und, mal ehrlich, das musste doch wirklich ein Unfall gewesen sein - war niemandem etwas zugestoßen.

»Warum hören wir uns nicht erst an, was der Vikar zu sagen hat, und entscheiden dann?«, schlug ich vor. »Es sind nur Geister, im Grunde sind es nur Bilder. Und dazu noch von Menschen, die vor über hundert Jahren gestorben sind. Sie sind ... ich weiß nicht ... so etwas wie lebende Fotografien. Wie sollen die uns etwas antun?«

»Ich glaube kaum, dass ich das herausfinden möchte«, sagte Liz. Sie klang überraschend entschlossen.

Ich sah sie aufmerksam an: »Du meinst, du willst nicht mal heute Nacht bleiben?«

»David, es tut mir wirklich Leid. Aber mir fällt es ohnehin schwer genug, meine Gedanken zusammenzuhalten, da brauche ich nicht noch Lichter und Geräusche in der Nacht.«

»Was ist los mit dir?« Ich wusste, dass ihre Stimmung ständig schwankte, aber das hatte ich auf ihr Alter geschoben oder auf ihre Monatsblutung oder auf den puren Schrecken der Ereignisse um uns herum.

Geistesabwesend streichelte sie mein Knie. »Ach, ich weiß nicht. Ich glaube, ich bin nicht besser als du. Ich kann mich auch nicht entscheiden, was ich sein will. Ich kann mich ja nicht mal entscheiden, wer ich sein will. Und dass ich hierher gekommen bin, hat die Antwort nicht leichter gemacht. Eigentlich ist es jetzt nur noch schlimmer.«

»Ich verstehe nicht.«

Sie lächelte mich an. »Ich glaube, ich habe ein Identitätskrise«, sagte sie schließlich. »In der einen Minute fühle ich mich stark und unabhängig, und dann fühle ich mich wieder so schwach wie ein kleines Kätzchen. Einmal glaube ich, dass ich mein Leben völlig unter Kontrolle habe, dann wieder scheint alles in die Brüche zu gehen. Mal glücklich, mal traurig. Heute Morgen habe ich meine Augen geöffnet und ich kam mir so vor, als sei ich jemand anderes. Ich kann es nicht beschreiben. Aber es hilft mir nicht, wenn ich hier bleibe.«

»Du willst wirklich abreisen?«

Sie nickte. Sie sah zwar müde aus, aber auch sehr hübsch. Ich legte meine Hand auf ihre.

»Allen Ernstes«, sprach sie weiter. »Das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann, sind seltsame Geräusche, riesige Ratten und arme alte Männer, denen der Kopf abgerissen wird.«

»Da haben wir ja was gemeinsam«, sagte ich.

»Ja«, stimmte sie mir zu. »Aber ich brauche keinen Mann, der sich ebenfalls nicht entscheiden kann.«

»Da muss ich dir wohl beipflichten.«

Ich sah mich um. Von Mrs. Kemble war noch immer nichts zu sehen. Eine dünne Gestalt kam aus Richtung Ventnor am Strand entlanggelaufen. Etwa eine halbe Meile entfernt. Bauz! Da geht die Türe auf, Und herein in schnellem Lauf... Aber als ich eine Hand über meine Augen hielt, konnte ich sehen, dass es sich nur um einen alten Mann handelte, der mit seinem schwarzweiß gefleckten Hund spazieren ging.

Die Sonne stand noch immer recht hoch, aber die Schatten wurden allmählich länger, und die Brise von der See her war ungewöhnlich frisch. Ich konnte nicht verstehen, warum Mrs. Kemble so spät am Nachmittag ihr Café verließ, ohne zu schließen.

In dem Moment hörte ich ein hohes, pfeifendes Geräusch vom Strand her. Zunächst konnte ich es nicht definieren; es klang wie eine Flöte oder eine Pfeife. Ich kniff die Augen zusammen und konzentrierte mich auf den Bereich nahe am Wasser, wo die Möwen hartnäckig kreisten. Ich sah Danny zwischen den Felsen und winkte ihm zu, aber er winkte nicht zurück. Stattdessen stand er in einer sonderbar gebückten Haltung da, wie erstarrt, die Fäuste geballt. Allmählich wurde mir klar, dass er dieses Geräusch verursachte. Er schrie!

»Danny!« Ich hechtete über die Mauer, die das Café umgab, und landete im Sand. Mit meinem Knöchel stieß ich gegen einen schlüpfrigen Felsen, fand dann aber mein Gleichgewicht wieder und sprang einer Gemse gleich von einem Fels zum nächsten. Zwischendurch glitt ich aus und trat in eine Wasserlache. Einmal fiel ich hin und zog mir eine Abschürfung an der Hand zu, aber dann hatte ich endlich ein ebenes Stück Strand erreicht und rannte in Richtung Meer. Das Wasser spritzte an mir hoch, während mein Herz raste und der Wind in meinen Ohren donnerte.

Danny stand neben einem flachen bräunlichen Felsen. Er schrie nicht mehr, aber sein Gesicht war noch immer angstverzerrt. Er musste mir gar nicht erst erzählen, was ihm solche Angst eingejagt hatte, ich konnte es mit eigenen Augen sehen. Ich schnappte mir Danny, nahm ihn auf den Arm und ging sofort durch den nassen Sand zurück in Richtung Promenade.

Liz war mir gefolgt und stand nach Luft schnappend vor mir. »Kannst du Danny zurück ins Café bringen? Ruf von Mrs. Kembles Apparat die Polizei an.«

»Was ist passiert?«, fragte sie mit weit aufgerissenen Augen.

»Es ist Mrs. Kemble«, sagte ich.

Ich setzte Danny ab, Liz nahm ihn sofort an die Hand. »Daddy«, sagte er jämmerlich.

»Ich weiß, Danny«, sagte ich. »Ich sehe nur nach, ob ich noch irgendetwas mitnehmen muss, bevor die Flut kommt. Danach komme ich sofort ins Café zurück.«

»Ist sie tot?«, fragte Liz mit gesenkter Stimme.

Ich nickte. »Dauert nicht lange.«

Widerwillig ging ich zurück zu den Felsen. Der Wind riffelte das klare Meerwasser, das gerade begonnen hatte, sich wieder voranzukämpfen. Über mir kreischten die Möwen. Mrs. Kemble lag auf dem Rücken, sie war nackt, abgesehen von der zerrissenen Strumpfhose, die bis zu ihren Knien heruntergezogen worden und voller Sand und Tang war. Ihre Kopf lag in einer flachen Aussparung eines Felsens, ihr graues Haar war strähnig und nass wie ein Mopp. Ihre dünnen Unterarme waren beide angewinkelt, als würde sie noch immer versuchen, sich gegen jemanden zur Wehr zu setzen. Ihre Haut war weiß und vom Meerwasser aufgeschwemmt.

Am schlimmsten aber war, dass sich die Krebse an ihr zu schaffen gemacht hatten. Ich hatte schon den einen oder anderen Heilbutt gesehen, der von Fischern zu lange im Netz gelassen und von Krebsen angefressen worden war. Aber ich hatte mir nicht vorstellen können, wie brutal Krebse einen menschlichen Körper angreifen konnten. Mrs. Kembles Gesicht war von einem kleinen grünen Taschenkrebs, der jetzt mit ihrer Augenhöhle beschäftigt war und bereits ihre Lippen und ihre rechte Wange zur Hälfte aufgefressen hatte, in eine geisterhafte Karikatur verwandelt worden. Mrs. Kembles dritte Zähne waren zu einem gespenstischen Grinsen freigelegt worden.

Sie hatten auch ihren Bauch aufgerissen, sodass die gesamte Bauchhöhle nur noch eine zappelnde Masse aus zahllosen kleinen Taschenkrebsen war, deren Schalen und Scheren wie Kastagnetten unablässig gegeneinander schlugen. Einige Krebse krabbelten bereits durch die zur Hälfte weggefressene Öffnung zwischen ihren Beinen und bearbeiteten das zarte weiße Fleisch ihrer Schenkel.

Meine Kehle schnürte sich zu, in meinem Mund sammelte

sich warmes bitter schmeckendes Lager. Auf den ersten Blick war nicht zu erkennen, wie Mrs. Kemble ums Leben gekommen sein mochte. Die Taschenkrebse hatten schon zu viel weggefressen. Noch während ich daneben stand, bahnte sich einer von ihnen den Weg aus ihrem Mund heraus, um sich mit zwei oder drei anderen um die gräuliche Haut ihres Zahnfleischs zu streiten.

Ich sah mich um. Die Flut hatte bereits eingesetzt, das Meer begann wieder, das Land für sich zu beanspruchen, und spülte Schaum und Treibholz und regenbogenfarbene Ölflecken an den Strand.

Von Mrs. Kembles Kleidung war nichts zu sehen, auch nicht von ihrer Handtasche. Nichts, was der Polizei einen Hinweis daraufgeben konnte, wie sie ums Leben gekommen war. Ich überlegte, ob ich ihre Leiche weiter auf den Strand ziehen sollte, aber ich wusste, dass ich mich nicht überwinden und sie anfassen konnte. Außerdem hätte ich auf diese Weise jede Spur verwischen können, die die Taschenkrebse vielleicht noch nicht vernichtet hatten. Jedenfalls redete ich mir das ein. In Wahrheit hatte ich nur panische Angst, dass bei dem Versuch, sie an Land zu ziehen, die Armknochen aus den Schultergelenken reißen konnten. So wie die Schenkel bei einem Hühnchen, das man zu lange kocht. Ich kehrte zum Strand zurück. Ich hatte vielleicht sechs oder sieben Schritte zurückgelegt, als mir der Geruch von Meerwasser, Ol und von einem gerade geöffneten menschlichen Körper entgegenschlug. Mein Magen verkrampfte sich und ich übergab mich lange und heftig. Es dauerte eine Weile, ehe ich mich so weit erholt hatte, dass ich wieder aufstehen konnte. Ich ging zurück zum Strandcafe.


Detective Sergeant Miller kam in die Küche und stellte sich in den kalten Lichtschein der Deckenlampe.

Er sah mich auf die gleiche Weise an, wie ich meinen zertrümmerten Wagen angestarrt hatte. Seine Augen vermitteilen die Müdigkeit eines Mannes, der zu viele Dinge dieser Art gesehen hat, um noch schockiert zu reagieren.

»Das schlägt einem so richtig auf den Magen«, sagte er schließlich.

»Ja«, erwiderte ich. »Einen Drink?«

»Nein danke. Aber ich nehme eine Tasse Tee, wenn das keine große Mühe macht.«

Ich stand auf und stellte den Kessel auf den Herd. Miller zog sich einen Stuhl heran, setzte sich an den Küchentisch und holte seinen Notizblock hervor. Er hatte seine Notizen in einer winzigen Schrift verfasst und dabei einen Füllfederhalter benutzt, der eine solche Seltenheit darstellte, dass er fast etwas Affektiertes an sich hatte.

»Zwei Todesfälle in zwei Tagen«, sagte er. »Zwei hässliche Todesfälle in zwei Tagen.«

»Ich weiß. Und bis vor zwei Tagen hatte ich noch nie einen Toten gesehen.«

»Sie Glücklicher«, meinte Miller. »Sie haben Mrs. Kemble zuletzt heute Mittag gesehen?«

Ich nickte. »Sie machte einen ganz normalen Eindruck. Wir haben über Fortyfoot House gesprochen, über früher. Sie war ziemlich besessen davon ... Nein, besessen ist das falsche Wort. Eher verärgert. Sie erzählte mir, dass ihre Mutter hier als Putzfrau gearbeitet hat, als sie noch ein kleines Mädchen war. Ihre Mutter hatte ihr immer irgendwelche Geschichten über das Flaus erzählt. Aber sie wirkte gut gelaunt.«

»Haben Sie sonst noch jemanden gesehen? Jemanden, der irgendwie verdächtig ausgesehen haben könnte?«

Den jungen Mr. Billings mit seinem schwarzen Hut und seinem, bleichen Gesicht, wie er im Schatten der Bäume stand und zu ihr blickte. Aber wie sollte ich Miller erzählen, dass ich einen Geist gesehen hatte? Und dass der Geist möglicherweise Mrs. Kemble auf dem Gewissen hatte? Miller war sehr aufgeschlossen, er war sogar bereit, an das Übernatürliche zu glauben. Aber wenn ich ihm auch nur ein Wort von Halluzinationen und

Erscheinungen erzählte, dann hätte er gar keine andere Wahl, als mich festzunehmen. Mord in geistiger Umnachtung. Für den Rest des Lebens nach Broadmoor eingewiesen, zusammen mit all den anderen Psychopathen und Mördern und sonstigen Gestörten.

»Es war völlig ruhig, außer uns war niemand da. Ach ja, und der Typ, der jeden Nachmittag an den Strand kommt, um seine Fischernetze vorzubereiten.«

»Ja, mit ihm habe ich schon gesprochen.«

Der Wasserkessel begann zu pfeifen. Ich warf einen Teebeutel in den Becher und goss das Brühwasser darüber. »Keinen Zucker«, sagte Miller, während er etwas aufschrieb.

»Wissen Sie, wie sie umgekommen ist?«, fragte ich vorsichtig.

Er blickte nicht auf. »Noch nicht endgültig. Das ist immer so, wenn die Taschenkrebse sich an dem weichen Gewebe zu schaffen machen. Aber beide Ellbogen waren mehrfach gebrochen. Darum auch ihre Armhaltung. Wie ein Grashüpfer. Wir haben noch keine Ahnung, was diese Verletzungen hervorgerufen hat, aber ich kann mit Sicherheit sagen, dass sie angesichts der Umstände nicht auf natürliche Weise ums Leben gekommen ist.«

»Das klingt so richtig nach Polizeijargon«, sagte ich.

»Das lernt man in Mount Browne. Das war noch zu der Zeit, als ich bei der Polizei von Surrey war.«

»Warum haben Sie sich versetzen lassen?«

Er klappte das Notizbuch zu. »Ich dachte, hier werde es ruhiger zugehen. Meine Frau war der Meinung, dass es hier viel zu ruhig war, und hat mich verlassen. Und jetzt sitze ich hier und habe es mit zwei brutalen Todesfällen in nur zwei Tagen zu tun.«

»Stellen Sie mir keine weiteren Fragen?«

»Nicht nötig. Ein Nachbar von Mrs. Kemble hat sie noch lebend gesehen, nachdem Sie und Danny gegangen waren. Und Reverend Pickering hat Ihren Besuch bei ihm bestätigt. Wenn Sie nicht gerade in der Lage sind, sich an zwei Orten gleichzeitig aufzuhalten, dann ist es einfach unmöglich, dass Sie Mrs. Kemble etwas angetan haben.«

Miller trank seinen Tee in kleinen Schlucken aus, dann stand er auf, stellte den Becher ins Spülbecken und sagte: »Vielleicht komme ich noch mal wieder. Sie bleiben doch noch hier, oder?«

Ich war sicher, dass ich ein schwaches pelziges Rascheln hinter der Fußleiste hörte. Hatte Detective Sergeant Miller es auch wahrgenommen?

»Ja«, antwortete ich. »Ich bin vorläufig noch hier. Sie haben ja bemerkt, wie mein Wagen aussieht.«

»Das wollte ich Sie ohnehin noch fragen«, sagte Miller, während ich ihn zur Haustür brachte.

»Höhere Gewalt.«

»Hmh«, machte er. Während er fortging, hörte ich hinter mir wieder dieses Scharren.


Загрузка...