Das Ghurubland

Noch bevor der Morgen graute, brach die Karawane auf. Mit schwerem Herzen zog ich durch die Dunkelheit dahin. Offenbar war es mir nicht beschieden, mich frei von Sorgen und mit heiterem Gemüt auf Reisen zu begeben. Immer gab es Ängste, die mir zusetzten. Fieberhaft beschwor ich die Erinnerung an Halba herauf, und ich betete inständig darum, dass Samija, Mustafa, Hamid und Hischam wohlbehalten seien und es ihnen gut gehe. Verstört grübelte ich darüber nach, wie dieser Krieg, den die zwei mächtigsten Länder führten, wohl ausgehen mochte.

Ich schaute auf zum Himmel, diesem funkelnden Garten, und murmelte leise vor mich hin: »O Du, Gott der Himmel und der Erde, sei mit uns, und steh uns bei.«

Ganz sacht ergoss sich das Licht des Herrn über die Welt, und nach und nach konnte ich erkennen, dass sich vor uns eine schier unendliche, ebene Wüste erstreckte. Ein angenehm warmer Sommertag kündigte sich an. Hier und dort sah ich Gazellen springen, und so kam ich auf den Gedanken, diesen Landstrich »Gazellenwüste« zu nennen.

Einen ganzen Monat waren wir unterwegs, und da wir keine sonderlichen Strapazen erdulden mussten, nahm ich das als Omen für einen guten Ausgang. Eines Nachts erscholl plötzlich eine Stimme; jemand rief, dass wir die Grenze des Ghurublands erreicht hätten. Wir hatten Halbmond, und die Luft glitzerte silbern, aber eine Mauer konnte ich nicht sehen. Es gab auch keinen Zollkommandanten. Auf meinen erstaunten Blick hin lachte der Führer der Karawane und sagte: »In diesem Land gibt es keine Wache. Also tretet ein in Frieden.«

»Aber wie soll ich den Weg zum Gasthaus für Fremde finden?«

Wieder lachte er. »Warte ab, bis es Tag geworden ist. Dann findest du, wonach du fragst.«

Gespannt wartete ich auf den Sonnenaufgang. Vielleicht war das die schönste Sonne, die ich in meinem Leben je erlebt hatte. Ihre Strahlen brannten nicht hernieder und quälten einen nicht. Es wehte eine leichte Brise, und die Luft duftete angenehm. Alles, was ich sah, waren Bäume; es musste ein riesiger Wald sein. Weit und breit gab es kein Gebäude — keine Hütte, kein Haus, keinen Palast. Ich konnte auch keine Menschen sehen. Ein neues Rätsel, dachte ich, das zu lösen war. Nur, was sollte ich mit meinem Gepäck machen? Ich ging zum Führer der Karawane.

»Lass die Sachen einfach stehen. Sei unbesorgt und ziehe in Frieden dahin«, erklärte er.

Ich wählte einen Platz in der Nähe der Wasserquelle, schien mir das doch ein markanter Punkt zu sein. Ich stellte die Reisetaschen ab und steckte die Dinare in den Gurt, den ich unter meinem Gilbab trug. Dann machte ich mich auf den Weg, um die Gegend zu erkunden. Ich lief über Rasen, auf dem Palmen und Obstbäume wuchsen. Hier und da gab es Quellen und kleine Seen. Schon glaubte ich, dass in diesem Land niemand lebte, da sah ich endlich unter einer Palme einen Mann sitzen. Ich ging zu ihm. Er war schon etwas älter und hatte weißes Haar und einen langen Bart. Kein Wort kam ihm über die Lippen, entweder war er eingenickt, oder er dämmerte vor sich hin. Ein Einsiedler, dachte ich, denn sonst hätte er ja einen Kameraden oder eine Frau bei sich. Aber wie auch immer, für mich war dieser Mann ein wahrer Schatz. Ich trat an ihn heran und sagte: »Frieden über Euch, Bruder.«

Doch er rührte sich nicht. Also wiederholte ich meinen Gruß und fügte hinzu: »Ich bin fremd hier und brauche jemanden, der mir den Weg erklärt.«

Er gab keinen Laut von sich und blieb versunken in seinem Reich.

»Möchten Sie nicht mit mir reden?« Meine Frage blieb ohne Antwort, ganz so, als gäbe es mich nicht.

Der Mann brachte mich zur Verzweiflung, also blieb mir nichts weiter übrig, als weiterzugehen. Je tiefer ich in den Wald vordrang, desto öfter begegnete ich menschlichen Wesen, die genauso auf dem Boden hockten wie der Alte. Mal war es ein Mann, mal eine Frau. Ich versuchte jedes Mal aufs Neue, eine Antwort zu erhalten, aber keiner nahm mich zur Kenntnis. Mir kam es vor, als wäre dieser Wald nur für Stumme, Taube, Blinde gemacht. Ich schaute mich um, konnte nicht genug staunen angesichts der grünen Pracht. »Ein Paradies ohne Menschen«, murmelte ich. Ich sammelte ein paar Früchte vom Boden auf und aß mich satt. Dann kehrte ich zu meinem Gepäck zurück. Die Händler stopften ihre Säcke mit Obst voll, und niemand beaufsichtigte ihr Treiben und zählte die Säcke. Als mich der Führer der Karawane sah, lachte er. »Na, konnten Sie jemanden zum Sprechen bringen?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Das ist das Paradies der Dämmernden, das seine Schätze großzügig verschenkt.«

Neugierig geworden, fragte ich: »Was wissen Sie über diese Menschen?«

Er zuckte mit den Achseln. »Es gibt dort einen alten Mann, den die meisten Reisenden aufsuchen. Vielleicht kann er Ihnen mehr erzählen.«

In meiner Brust regte sich wieder die Freude am Reisen, und wie ein Rausch überkam mich neuer Lebensmut. Ich atmete tief durch. »Was für ein angenehmer Sommer das hier ist!«

»Wieso Sommer? So sind alle Jahreszeiten.« Am nächsten Morgen stand ich, erfüllt von frischem Tatendrang, mit der Sonne auf. Ich hörte, wie einer der Händler vorschlug, zwischen dem Ghurub- und dem Amanland so lange zu pendeln, bis der Krieg beendet und die Karawanenstraße wieder frei sei. Ich hatte anderes im Sinn und machte mich wieder auf den Weg. Ohne zu rasten, drang ich Stunde um Stunde tiefer in den Wald ein. Irgendwann hörte ich auf einmal Gesang, es waren mehrere Stimmen. Vorsichtig ging ich weiter, und dann sah ich die Gruppe : Frauen und Männer saßen im Halbrund auf dem Boden, und vor ihnen hatte im Schatten eines großen Baums ein alter Mann Platz genommen. Offenbar unterrichtete er sie, denn er sang zuerst, und die Gruppe wiederholte sehr einfühlsam die Töne. Ich trat näher, und nachdem ich mich hinter der Gruppe niedergelassen hatte, schaute ich mir den alten Mann, der lediglich mit einem Lendenschurz bekleidet war, genauer an. Von dem klaren Gesicht und den glänzenden Augen ging ein Strahlen aus, als würde ein Lichtschein sein Haupt umspielen. Der Gesang verstummte, offenbar war der Unterricht beendet. Die Frauen und Männer standen auf und schritten gemächlich davon. Nein, Arusa war nicht dabei, auch am Tag zuvor hatte ich vergeblich nach ihr Ausschau gehalten.

Außer mir und dem alten Mann befand sich nun niemand mehr auf dem Platz. Ich stand ein wenig verschüchtert vor ihm, und als sein warmherziger Blick auf mir ruhte, wurde ich mir meines eigenen Ichs bewusst. Jegliches Gefühl von Befremdung, das mich gestern noch zu ersticken drohte, fiel von mir ab. Ich spürte, dass ich hierher gehörte und diese Reise nicht umsonst getan hatte. Ich legte zum Gruß die Hand an die Stirn und sagte: »Meister, Ihr seid der, nach dem ich seit langem suche.«

Er schaute mich durchdringend an. »Bist du ein neuer Gast?«

»Ja.«

»Was willst du?«

»Ich reise von Land zu Land, um mein Wissen zu mehren.«

Für einen kurzen Moment schloss er die Augen, und als er sie wieder öffnete, sagte er: »Du hast die Heimat um des Wissens willen verlassen, aber dein Ziel mehrmals aus dem Blick verloren. Kostbare Zeit hast du im Finstern vergeudet. Dein Herz hängt an zwei Frauen, die eine hast du zurückgelassen, nach der anderen bist du auf der Suche.«

Ich fuhr erschrocken zusammen. »Ihr könnt das Verborgene lesen?«

»Das können alle, das und noch mehr.«

»Seid Ihr der Herrscher dieses Landes?«

»Es gibt hier keinen Herrscher. Ich behandle Menschen, deren Geist verwirrt ist.«

»O bitte, erklärt mir das genauer!«

»Alles zu seiner Zeit.«

Ich wies mit der Hand auf den Wald. »Warum erwidert niemand einen Gruß? Warum hört einem keiner zu?«

»Ihr Leben ist auf die Wahrheit und das Alleinsein ausgerichtet.«

»Die Leute machten auf mich den Eindruck, als würden sie alle vor sich hindämmern.«

»Bist du der Bitternis von Heimsuchungen ausgesetzt, eröffnet dir einzig Geduld das Tor zu trauter Zwiesprache.«

Ich dachte einen Moment über das eben Gehörte nach, dann fragte ich: »Aber was wollen die Menschen damit erreichen?«

»Sie sind Flüchtlinge und kommen aus den verschiedensten Regionen. Sie haben ihre Heimat verlassen, um sich von ihren verderblichen Gelüsten zu befreien und für die Reise ins Gaballand bereit zu sein.«

Ins Gaballand! Mir hüpfte das Herz vor Freude. »Ist das wirklich wahr? Dann finde ich hier also Gefährten, die mit mir ins Gaballand ziehen.«

Seine Augen blitzten mich belustigt an. »Auch du hast dich auf diese Reise vorzubereiten.«

»Wie lange dauert das?«

»Das hängt ganz von der Willenskraft des Einzelnen ab. Wer in seinem Eifer nachlässt, erhält den Rat, im Ghurubland zu bleiben.«

Mir wurde beklommen zu Mute. »Und wenn ich trotzdem auf meinem Wunsch bestehe?«

»In diesem Fall ist zu befürchten, dass man dich dort für eine niedere Kreatur hält.«

»Wie bereitet Ihr die Menschen auf die Reise vor?«

»Es hängt alles ganz allein von ihnen ab. Ich unterweise sie im Gesang, um den Weg vorzubereiten. Aber es ist an ihnen, die Kräfte, die in ihnen schlummern, zu erwecken.«

»So etwas Seltsames habe ich noch nie gehört«, murmelte ich verwirrt.

»Das geht jedem Neuankömmling so.«

Fast flehentlich fragte ich: »Wozu soll es gut sein, die Kräfte, die in einem verborgen sind, zu entdecken?«

»Jeder Mensch verfügt in seinem Innern über Schätze, deren er sich bewusst werden muss. Das gilt vor allem für die, die ins Gaballand aufbrechen wollen.«

»Aber was hat das mit dem Gaballand zu tun?«

Er schwieg lange, dann sagte er: »Weil man sich im Gaballand auf diese Schätze beruft und auf sinnliche Empfindungen oder körperliche Vorzüge keinen Wert legt.«

»Könntet Ihr mir nicht genauer erklären, um welche Schätze es sich handelt?«

»Nur keine Eile.«

»Und woran merke ich, dass ich diese Schätze gehoben habe?«

»Wenn du ohne Flügel fliegen kannst«, erwiderte er sehr bedächtig.

Ich starrte ihn verblüfft an. Aber beeindruckt von dem Ernst, mit dem er sprach, sagte ich: »Bestimmt meint Ihr das im übertragenen Sinn.«

»O nein, das ist die reine Wahrheit. Das Gaballand gründet sich auf solchen Kräften, deshalb rückt es auch dem Zustand der Vollkommenheit immer näher.«

Aufs Äußerste entschlossen, erklärte ich: »Dann könnt Ihr mich zu denen zählen, die ehrlichen Herzens dabei sind.«

»Dein Lohn wird sein, dass du im Gaballand leben darfst.«

»Ich will es nur besuchen«, sagte ich hastig. »Danach kehre ich in meine Heimat zurück.«

»Du wirst alles vergessen, die ganze Welt.«

»Aber mein Land braucht mich.«

Er sah mich erstaunt an. »Warum bist du dann weggegangen?«

»Ich begann die Reise in der Hoffnung, mit Erfahrungen zurückzukehren, die für meine Heimat heilsam sind.«

»Du bist geflohen«, erwiderte er unwillig. »Die Reise diente dir lediglich als Vorwand, um dich deiner Pflicht zu entziehen. Die anderen, die dieses Land erreicht haben, sind alle ihren Pflichten nachgekommen. Manch einer hat seine besten Jahre im Gefängnis verbracht, und zwar nicht wegen einer Frauengeschichte, sondern weil er einen hehren Kampf führte.«

Ich fühlte mich bedrängt, deshalb rief ich aufgebracht: »Aber ich stand ganz allein einer tyrannischen Macht gegenüber!«

»Das ist die Ausrede aller Schwächlinge.«

»Mag in der Vergangenheit gewesen sein, was war, aber an meiner Aufgabe halte ich fest. Ich werde mein Leben nicht unnütz vergeuden.«

Er hüllte sich in Schweigen, und da ich das als Zustimmung nahm, fasste ich wieder Mut. »Ihr werdet sehen, dass ich aufrichtig bin und zu einem einmal gefassten Entschluss stehe.«

Ich stand auf und senkte demütig den Kopf. Plötzlich fiel mir etwas ein, aber ich schreckte davor zurück, meinen Gedanken laut zu äußern. Umso erstaunter war ich, als der alte Mann unversehens erklärte: »Du willst wissen, was aus Arusa geworden ist.«

Ich war nicht weniger verblüfft als in dem Moment, da dieser Man« meine Vergangenheit aus dunklen Tiefen heraufbeschworen hatte. Nun fragte ich mich, ob man vielleicht diese Gabe besitzen musste, um sich mit den Menschen des Gaballands verständigen zu können.

»Arusa ist bereits ins Gaballand gezogen.«

»Hat sie die Probezeit bestanden?«

Er lächelte. »O ja, und zwar auf Grund der großen Schmerzen, die sie in ihrem Leben erdulden musste.«

Als ich im Begriff war wegzugehen, fragte er: »Wozu brauchst du die Dinare, die in deinem Gurt stecken?«

Ich kehrte zum Lagerplatz der Karawane zurück und steckte die Dinare in eine Reisetasche. Der Führer der Karawane kam zu mir und teilte mir mit, dass man am nächsten Morgen in aller Frühe aufbrechen würde. — »Ich bleibe«, lautete meine kurze Antwort.

Gleich nach Sonnenaufgang machte ich mich auf den Weg zu meinem neuen Lehrmeister. Ich traf als Erster ein, aber nicht lange, und eine Gruppe Neuankömmlinge gesellte sich zu mir. Wir waren alle nur mit einem Lendenschurz bekleidet. Kaum hatten wir uns im Halbkreis hingesetzt, erklärte der Meister : »Liebt die Arbeit, und kümmert euch nicht um Früchte und Lohn.« Er schwieg kurz, dann fuhr er fort: »Die erste Stufe, die ihr auf der Leiter zu nehmen habt, ist, die Fähigkeit zu erlangen, eure ganze Aufmerksamkeit auf einen einzigen Gedanken zu lenken.« Er klatschte in die Hände. »Nur bei voller geistiger Sammlung kann sich der Mensch in sein inneres Wesen versenken.«

Er begann zu singen, und wir wiederholten die Liedzeilen. Ich hatte das Gefühl, mich in eine andere Welt aufzuschwingen. Wann immer wir neu einsetzten, sprudelte aus meinem Innern ein Quell der Kraft hervor.

Als ich wieder allein war, setzte ich mich unter eine Palme und begann zu üben. Ich rang darum, mich geistig zu sammeln, aber die geistige Sammlung war bemüht, mir zu entkommen. Ich stürmte in einer hitzigen Schlacht gegen die Bilder aus meinem bisherigen Leben an. Sie fielen voll treuer Anhänglichkeit über mich her, und es kostete mich bittere Mühe, sie zu vertreiben.

Tag um Tag verging, und jeder zeitigte neue Qualen, aber auch wachsende Willenskraft und Hoffnung. Zu Beginn jeder Lehrstunde, noch bevor wir zu singen begannen, ermahnte uns der Meister, die Arbeit zu lieben und uns nicht um Früchte und Lohn zu kümmern. »Nur dann wird das Band der Liebe, das zwischen euch und dem Sinn des Seins geknüpft ist, unzerstörbar sein.« Immer wieder sprach er darüber, wie wichtig es sei, sich geistig zu sammeln. »Das ist der Schlüssel zur Tür, hinter der die verborgenen Schätze auf euch warten.« Mit großer Überzeugung sprach er davon, dass die Menschen dort, also im Gaballand, »nicht nur dank ihres Verstands, sondern auch dank ihrer verborgenen Kräfte Entdeckungen machen, den Boden bestellen, Fabriken bauen und Gerechtigkeit, Freiheit und Reinheit verwirklichen«.

Sobald ich für mich allein war, stellte ich mir den Tag vor, an dem ich ins Land des Islam zurückkehrte und dank meiner verborgenen Kräfte jeglichen Missstand ausrottete. Eine neue, gute Heimat wollte ich schaffen, für all die, die ohne Falsch waren.

Die Zeit verging, ohne dass ich mir bewusst gemacht hätte, wie viel Tage oder Monate verstrichen waren. Mein ganzes Ich war von Vertrauen erfüllt, und aus dunklen Tiefen brach sich der Strahl der Erleuchtung seine Bahn. Eines Morgens wachte ich früher als zur gewohnten Zeit auf, noch vor Sonnenaufgang. Ich eilte sofort zum Lehrmeister. Der Glanz der Sterne fiel auf ihn, ich setzte mich neben ihn. »Hier bin ich, Meister.«

»Warum bist du gekommen?«

Mit fester Stimme sagte ich: »Ich hörte Euren Ruf.«

»Das ist der erste Schritt, der zum Erfolg führt. Jeder Regen beginnt mit einigen wenigen Tropfen.«

Schweigend warteten wir auf die Ankunft unserer Gefährten. Als sich die ersten Strahlen der Sonne zeigten, war unser Halbkreis vollkommen. Erst jetzt im Morgenlicht fiel mir auf, dass der Meister bedrückt aussah. Er begann zu singen. Wir wiederholten die Zeilen, aber der Gesang erfüllte uns nicht mit der Freude, die wir sonst empfanden. Bevor wir aufbrachen, sagte der Meister: »Es naht Unheil, also begegnet ihm mit dem Mut, der euer würdig ist.« Wir schauten ihn fragend an, dennoch gab er keine weitere Erklärung.

Am nächsten Morgen wurden wir in aller Frühe von lautem Lärm und dem Gewieher von Pferden geweckt.

Erschrocken schauten wir uns um — lodernde Fackeln erhellten wie Sterne die Umgebung. Berittene und einfache Fußsoldaten hatten ohne jegliche Vorwarnung das Ghurubland umzingelt. Wir stürzten hin zum Meister, scharten uns um ihn und verharrten schweigend. Plötzlich begann jemand zu singen, und alle anderen stimmten ein. Wir sangen bis zum Sonnenaufgang und verstummten erst, als ein hoher Offizier, gefolgt von Wachen, auf uns zukam und vor der Gruppe Halt machte. Ich entdeckte auf den ersten Blick, dass diese Männer zum Aman-Heer gehörten, und bänglich stellte ich mir die Frage, ob sie das Halbaland bereits besiegt hatten.

»Angesichts des Kriegs«, erklärte der Offizier, »in dem wir mit dem Halbaland stehen, und auf Grund der Nachricht, dass die Halba-Armee die Absicht hat, das Ghurubland zu besetzen, um damit unser Land umschließen zu können, ist es erforderlich geworden, euer Land zu besetzen.«

Es herrschte tiefes Schweigen; niemand fühlte sich gedrängt, auf diese Erklärung auch nur mit einem Wort einzugehen.

»Wenn ihr hier bleiben wollt, müsst ihr euch den Menschen anschließen, die arbeiten und den Boden bestellen. Sollte das nicht der Fall sein, werden wir eine Karawane zusammenstellen, die euch ins Gaballand bringt.«

Wir blieben stumm. Aber auf einmal ertönte die Stimme unseres Lehrmeisters. »Die Entscheidung liegt ganz allein bei euch«, erklärte er bedächtig.

Da riefen wir alle aus voller Kehle: »Das Gaballand! Das Gaballand!«

»Ihr werdet es dort schwer haben, noch seid ihr nicht gerüstet dafür«, warnte der Meister.

Doch unbeirrt riefen wir: »Das Gaballand! Das Gaballand!«

Der unmissverständliche Ton des Offiziers ließ uns verstummen. »Wer von euch nach dem Aufbruch der Karawane hier aufgegriffen wird, den betrachten wir als Kriegsgefangenen.«

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