2 Der goldene Bogen

Die Drakonier blieben den Gefährten dicht auf den Fersen. Sie hielten sie nun für Spione.

Die Gruppe hatte den Pfad verpaßt, auf dem Caramon Berem nachgejagt war. Ihnen blieb jedoch zum Suchen keine Zeit.

Darum waren sie einigermaßen erstaunt, als sie plötzlich auf Caramon stießen, der ruhig auf einem Findling saß, Berem lag bewußtlos neben ihm.

»Was ist passiert?« fragte Tanis schweratmend und erschöpft von der Kletterei.

»Ich habe ihn schließlich erwischt.« Caramon schüttelte den Kopf. »Aber er ließ es auf einen Kampf ankommen. Er ist für sein Alter ganz schön stark, Tanis, Ich mußte ihn schlagen, leider wohl etwas zu hart«, fügte er hinzu und blickte reumütig auf die leblose Gestalt.

»Großartig!« Tanis war zu müde, um zu fluchen.

»Ich mach' das schon«, sagte Tika und griff in ihren Lederbeutel.

»Die Drakonier sind an dem letzten großen Stein vorbei«, meldete Flint. Der Zwerg schien völlig erledigt zu sein. Er brach auf einem Stein zusammen, wischte sein schweißnasses Gesicht mit dem Bartende ab.

»Tika...«, begann Tanis.

»Gefunden!« sagte sie triumphierend und zog ein Fläschchen hervor. Sie kniete sich neben Berem, nahm den Stopfen von dem Fläschchen und hielt es unter seine Nase. Der bewußtlose Mann atmete ein und begann unmittelbar darauf zu husten.

Tika schlug ihn auf die Wangen. »Auf die Füße!« sagte sie mit ihrer Dienstmädchenstimme, »Oder willst du, daß dich die Drakonier erwischen?«

Berem öffnete alarmiert die Augen. Er griff sich an den Kopf und richtete sich benommen auf. Caramon half ihm beim Aufstehen.

»Das war wunderbar, Tika!« sagte Tolpan aufgeregt. »Laß mich...« Bevor sie ihn aufhalten konnte, hatte Tolpan ihr das Fläschchen abgenommen, hielt es unter seine Nase und atmete tief ein.

»Iii ba pfui!« Der Kender würgte und taumelte nach hinten zu Fizban, der den Weg hinter Flint heraufgekommen war.

»Pfui! Tika! Das ist ja... grauenvoll!« Er konnte kaum sprechen. »Was ist das?«

»Eine Erfindung von Otik«, erklärte Tika grinsend. »Alle Mädchen im Gasthaus mußten so etwas bei sich haben. In vielen Situationen sehr nützlich, wenn du verstehst, was ich meine.« Ihr Lächeln erstarb. »Armer Otik«, sagte sie leise. »Ich frage mich, was aus ihm geworden ist. Und das Wirtshaus...«

»Wir haben dafür jetzt keine Zeit, Tika«, sagte Tanis ungeduldig. »Wir müssen weiter. Bleib stehen, alter Mann!« sagte er zu Fizban, der sich gerade gemütlich hinsetzen wollte.

»Ich habe aber einen Zauberspruch«, protestierte Fizban, als Tolpan an ihm zerrte und ihn hochzog. »Nehmt euch sofort vor diesen Nervensägen in acht!«

»Nein!« sagte Tanis. »Absolut nicht. Bei meinem Pech verwandelst du sie alle in Trolle.«

»Ich frage mich, ob mir das gelingen würde...«, strahlte Fizban.

Die Nachmittagssonne begann gerade unterzugehen, als sich der Pfad, der sie immer höher in die Berge führte, gabelte. Einer führte zu den Berggipfeln, der andere schien sich um eine Bergseite zu schlängeln. Zwischen den Gipfeln könnte ein Paß sein, dachte Tanis, ein Paß, den sie im Notfall verteidigen könnten.

Aber bevor er ein Wort sagen konnte, schlug Fizban den Pfad ein, der sich um den Berg schlängelte. »Diesen Weg«, verkündete der alte Magier, während er vorwärts wankte.

»Aber...«, wollte Tanis protestieren.

»Kommt schon, kommt schon. Diesen Weg!« sagte Fizban hartnäckig, drehte sich um und funkelte sie unter seinen buschigen, weißen Augenbrauen wütend an. »Der andere Weg endet in einer Sackgasse – in mehr als nur einer Hinsicht. Ich war hier schon einmal. Dieser Weg führt um die Bergseite zu einer Schlucht. Über die Schlucht ist eine Brücke gebaut. Wir können sie überqueren und dann die Drakonier bekämpfen, wenn sie versuchen, uns zu folgen.«

Tanis blickte finster, nicht willens, dem verrückten alten Magier zu vertrauen.

»Der Plan ist gut, Tanis«, sagte Caramon langsam. »Irgendwann müssen wir wohl gegen sie kämpfen.« Er zeigte auf die Drakonier, die hinter ihnen die Bergpfade hochkletterten.

Tanis sah sich um. Sie waren alle erschöpft. Tika war blaß, ihre Augen glasig. Sie lehnte sich an Caramon, der sogar Speere zurückgelassen hatte, um seine Last zu erleichtern.

Tolpan grinste Tanis fröhlich an. Aber der Kender keuchte wie ein junger Hund und hinkte.

Berem sah wie immer aus, verdrossen und verängstigt. Wegen Flint machte sich Tanis die größten Sorgen. Der Zwerg hatte während ihrer Flucht kein einziges Wort gesagt. Er hatte immer Schritt gehalten, aber seine Lippen waren blau, und sein Atem kam keuchend und stoßartig. Hin und wieder – wenn der Zwerg sich nicht beobachtet fühlte – hatte Tanis gesehen, wie er seine Hand auf seine Brust legte oder seinen linken Arm rieb, als ob er Schmerzen hätte.

»Nun gut.« Der Halb-Elf hatte sich entschieden. »Geh vor, alter Magier. Obwohl ich es höchstwahrscheinlich bedauern werde«, fügte er leise hinzu, als die anderen Fizban folgten.

Kurz vor Sonnenuntergang hielten die Gefährten an. Sie standen auf einem kleinen Felsvorsprung. Vor ihnen lag eine tiefe, enge Schlucht. Weit unten konnten sie einen Fluß ausmachen, der sich wie eine glänzende Schlange durch die Schlucht wand.

Es muß mehr als zweihundert Meter tief sein, rechnete Tanis. Über die Schlucht gab es nur einen Weg.

»Und diese Brücke«, sagte Flint – die ersten Worte seit Stunden, »ist älter als ich... und in einem schlimmeren Zustand.«

»Die Brücke hält seit Jahren!« erklärte Fizban beleidigt.

»Nun, sie hat immerhin die Umwälzung überlebt.«

»Das glaube ich«, sagte Caramon aufrichtig.

»Zumindest ist sie nicht so lang.« Tika versuchte, hoffnungsfroh zu klingen, obwohl ihre Stimme stockte.

Die Brücke war eine einzigartige Konstruktion. Riesige Vallenholzbaumstämme waren über die Schlucht hinweg in beide Schluchtwände getrieben worden. Die Stämme bildeten eine X-Form, die den hölzernen Gehweg trug. Vor langer Zeit mußte dieses Bauwerk ein architektonisches Wunder gewesen sein. Aber jetzt waren die Holzplanken verrottet. Wenn es einmal ein Geländer gegeben hatte, so mußte es schon vor langer Zeit in die Schlucht gefallen sein. Schon beim Hinsehen knirschte und bebte das Holz im eisigen Abendwind.

Dann hörten sie hinter sich gutturale Stimmen und das Klirren von Stahl.»Soviel zum Zurückgehen«, murmelte Caramon. »Wir sollten einzeln hinübergehen.«

»Keine Zeit«, sagte Tanis. »Wir können nur hoffen, daß die Götter mit uns sind. Und – ich gebe es nicht gern zu -, aber Fizban hat recht. Wenn wir erst einmal auf der anderen Seite sind, können wir die Drakonier mühelos aufhalten. Sie werden hervorragende Zielscheiben abgeben. Ich gehe zuerst. Caramon, du bildest den Schluß. Berem, bleib hinter mir.«

So schnell er sich wagte, betrat Tanis die Brücke. Er konnte die Planken zittern und beben spüren. Tief unten strömte der Fluß schnell zwischen den Bergwänden; spitze Steine ragten aus seiner weißen, schaumigen Oberfläche hervor. Tanis hielt den Atem an und sah schnell weg.

»Seht nicht nach unten«, rief er den anderen zu, während er eisige Leere spürte, wo sonst sein Magen war. Einen Moment lang konnte er sich nicht bewegen, dann kroch er Zentimeter für Zentimeter vorwärts. Berem folgte ihm dicht, die Angst vor den Drachenmännern ließ ihn alles andere Entsetzliche vergessen.

Nach Berem kam Tolpan, der sich mühelos mit der Geschicklichkeit der Kender fortbewegte und neugierig nach unten spähte. Ihm folgte der verängstigte Flint, von Fizban gestützt.

Tika und Caramon waren die letzten, die ihren Fuß auf die bebenden Planken setzten. Nervös schauten sie zurück.

Tanis hatte fast die Hälfte der Brücke hinter sich, als ein Teil von ihr nachgab, und das verrottete Holz unter seinen Füßen zersplitterte.

Fallend griff er instinktiv nach einer Planke und bekam sie zu fassen. Aber das Holz zerbröckelte in seiner Hand. Seine Finger rutschten ab und...

... eine Hand schloß sich um sein Handgelenk.

»Berem!« keuchte Tanis. »Halt fest!« Er zwang sich, steif zu bleiben, denn jede Bewegung würde es Berem schwerer machen, ihn zu halten.

»Zieh ihn hoch!« hörte er Caramon brüllen. »Keiner bewegt sich! Das ganze Ding bricht gleich zusammen!«

Berems Gesicht verkrampfte, Schweiß lief über seine Stirn, während er zog. Tanis sah die Muskeln am Arm des Mannes hervortreten, die Adern platzten fast aus der Haut. Mit scheinbar tödlicher Langsamkeit zog Berem den Halb-Elfen über den Rand der zerborstenen Brücke. Hier brach Tanis zusammen.

Vor Angst bebend lag er auf dem Holz.

Dann hörte er Tika schreien. Er hob den Kopf und stellte mit grimmiger Belustigung fest, daß er sein Leben wahrscheinlich gerade wiedergewonnen hatte, nur um es doch zu verlieren. Mehr als dreißig Drakonier waren auf dem Pfad erschienen. Die andere Seite der Brücke stand noch. Er könnte über das Loch in Sicherheit springen, und auch Berem und Caramon aber weder Tolpan, noch Flint, noch Tika oder der alte Magier.

»Hervorragende Zielscheiben, sagtest du«, murmelte Caramon, während er sein Schwert zog.

»Wirf einen Zauber, Alter!« sagte Tolpan plötzlich.

»Was?« blinzelte Fizban.

»Einen Zauber!« schrie Tolpan, auf die Drakonier zeigend, die die Gefährten auf der Brücke gefangen sahen und herbeieilten, um ihnen den Rest zu geben.

»Tolpan, wir haben schon genug Ärger«, begann Tanis. Die Brücke ächzte unter seinen Füßen. Caramon, sich vorsichtig bewegend, drehte sich um, um den Drakoniern gegenüberzustehen. Tanis legte einen Pfeil auf und schoß. Ein Drakonier griff an seine Brust und fiel kreischend in die Schlucht. Der Halb-Elf schoß wieder und traf noch einmal. Die Drakonier zögerten verwirrt. Es gab keine Deckung, keinen Ausweg, um den tödlichen Pfeilen des Halb-Elfen zu entkommen. Dann drängten die Vorderen weiter zur Brücke.

In diesem Moment begann Fizban, seinen Zauber zu werfen. Als Tanis den alten Magier singen hörte, verließ ihn der Mut. Dann erinnerte er sich bitter daran, daß sie kaum in einer schlimmeren Position sein konnten. Berem beobachtete die Drakonier mit undurchdringlicher Miene, was Tanis erstaunlich fand, bis ihm wieder einfiel, daß Berem keine Angst vordem Tod hatte, er würde immer wieder ins Leben zurückkehren. Tanis schoß wieder, und ein anderer Drakonier heulte vor Schmerz auf. Er war dermaßen in seine Zielscheiben vertieft, daß er Fizban vergaß, bis er Berem verblüfft aufkeuchen hörte. Tanis blickte auf und sah Berem in den Himmel starren. Als er seinem Blick folgte, hätte er vor Verblüffung beinahe seinen Bogen fallengelassen.

Hell in den letzten Sonnenstrahlen glitzernd, stieg ein langer goldener Brückenbogen von den Wolken herab. Gelenkt von den Handbewegungen des alten Magiers schwebte der goldene Bogen vom Himmel, um die Lücke in der Brücke zu schließen.

Tanis kam wieder zu sich. Er sah sich um. Die Drakonier waren zumindest im Moment genauso gelähmt und abgelenkt und starrten mit ihren Reptilienaugen auf den goldenen Bogen.

»Beeilt euch!« schrie Tanis. Er packte Berem am Arm, zog ihn mit sich und sprang auf den Bogen, als er nur einige Zentimeter von der Lücke entfernt schwebte. Berem stolperte unbeholfen hinterher. Der Bogen hing immer noch kurz über der Brücke, als Tolpan wild kreischend drauf sprang, den von Ehrfurcht ergriffenen Zwerg hinter sich ziehend. Die Drakonier, die plötzlich begriffen, daß ihre Beute zu entkommen drohte, heulten vor Wut auf und drängten auf die Holzbrücke. Tanis stand auf dem goldenen Bogen und schoß seine Pfeile auf sie ab.

Caramon trieb sie hinten mit dem Schwert zurück.

»Komm rüber!« befahl Tanis Tika, die zu ihm auf den Bogen hüpfte. »Bleib bei Berem. Paß auf ihn auf. Du auch, Flint, geh mit ihr. Geht schon!« knurrte er böse.

»Ich bleibe bei dir, Tanis«, bot Tolpan an.

Tika gehorchte widerstrebend nach einem Blick auf Caramon, nahm Berem an die Hand und zog ihn mit sich. Zusammen liefen sie über den Bogen auf die andere Hälfte der Holzbrücke. Unter dem Gewicht ächzte sie beunruhigend auf. Tanis hoffte nur, daß sie aushielt, aber er hatte keine Zeit, einen Blick zu riskieren. Offenbar hielt sie.

»Wir haben es geschafft!« schrie Tika von der anderen Seite der Schlucht.»Caramon!« rief Tanis, einen weiteren Pfeil abschießend, während er versuchte, auf dem goldenen Bogen das Gleichgewicht zu halten.

»Geh weiter!« schnarrte Fizban Caramon wütend an. »Ich muß mich konzentrieren. Ich muß den Bogen richtig in die Lücke setzen. Ein paar Zentimeter zur Linken, glaube ich...«

»Tolpan, geh weiter!« befahl Tanis.

»Ich lasse Fizban nicht allein!« erklärte der Kender dickköpfig, als Caramon den goldenen Bogen betrat. Die Drakonier drängten weiter vor, als sie den großen Krieger flüchten sahen.

Tanis schoß, so schnell er konnte, mit Pfeilen auf sie. Ein Drakonier lag auf der Brücke in einer Pfütze grünen Blutes, ein anderer stürzte in die Schlucht. Aber der Halb-Elf wurde müde.

Und, was noch schlimmer war, er hatte fast keine Pfeile mehr. Und die Drakonier kamen näher. Caramon blieb neben Tanis auf dem Bogen stehen.

»Beeil dich, Fizban!« bettelte Tolpan händeringend.

»Nun!« sagte Fizban zufrieden. »Paßt perfekt. Und die Gnome haben gesagt, ich wäre kein Ingenieur.«

Gerade als er sprach, rastete der goldene Bogen, der Tanis, Caramon und Tolpan trug, fest zwischen den beiden zerbrochenen Brückenteilen ein.

Und in diesem Moment knarrte die andere Hälfte der Holzbrücke – die Hälfte, die sie zur anderen Seite der Schlucht, in die Sicherheit führen sollte – und stürzte tief hinunter.

»Bei den Göttern!« Caramon verschluckte sich vor Angst, hielt sich an Tanis fest und zog ihn zurück, da der Halb-Elf gerade seinen Fuß auf die Holzplanke setzen wollte.

»Gefangen!« sagte Tanis heiser, während er zusah, wie die Holzstücke in die Schlucht fielen. Seine Seele schien mit ihnen zu stürzen. Auf der anderen Seite hörte er Tika aufschreien, ihre Schreie vermischten sich mit den Jubelrufen der Drakonier. Dann hörte er ein reißendes, schnappendes Geräusch. Die Jubelschreie der Drakonier verwandelten sich in ängstliches, entsetztes Aufkreischen.»Schau! Tanis!« rief Tolpan aufgeregt. »Schau mal!«

Tanis sah noch, wie der andere Teil der Holzbrücke mit den meisten Drakoniern in die Schlucht stürzte. Der goldene Bogen erbebte.

»Wir fallen auch!« brüllte Caramon. »Er hat keinen Halt mehr...«

Caramons Zunge schien im Mund zu gefrieren. Würgend und schluckend sah er langsam von einer Seite zur anderen.

»Ich glaube es nicht...«, murmelte er.

»Irgendwie doch...«, Tanis holte zitternd Luft.

Mitten in der Schlucht schwebte der magische goldene Bogen, glitzerte im Licht der untergehenden Sonne, während die Holzbrücke auf beiden Seiten runtergestürzt war. Auf dem Bogen standen vier Gestalten und starrten auf die Reste der Brücke unter sich und auf die riesigen Lücken zwischen sich und den Schluchtwänden.

Lange Zeit herrschte tödliches Schweigen. Dann wandte sich Fizban triumphierend an Tanis.

»Wunderbarer Zauber«, sagte der Magier voller Stolz.

»Habt ihr ein Seil?«

Die Dunkelheit war schon lange angebrochen, als die Gefährten endlich von dem goldenen Bogen kamen. Sie hatten Tika ein Seil zugeworfen, das sie mit Hilfe des Zwerges fest um einen Baum gebunden hatte. Dann hatten sich Tanis, Caramon, Tolpan und Fizban vorsichtig hintereinander vom Bogen gelöst und waren von Berem auf die andere Seite des Kliffs gezogen worden. Als sie auf der anderen Seite waren, brachen sie vor Müdigkeit zusammen. Sie waren so müde, daß sie sich nicht mehr die Mühe machten, Schutz zu suchen, sondern nur noch ihre Decken in einem Kiefernwäldchen ausbreiteten und die Wachen bestimmten.

Am nächsten Morgen erwachte Tanis steif und mit Schmerzen. Das erste, was er erblickte, war die Sonne, die den goldenen Bogen hell erleuchtete, der immer noch standhaft in der Luft schwebte.»Vermutlich kannst du dieses Ding nicht wegschaffen«, sagte er zu Fizban, der Tolpan beim Verteilen von quith-pa half.

»Leider nicht«, bestätigte der alte Mann, versonnen den Bogen betrachtend.

»Heute morgen hat er ein paar Zaubersprüche ausprobiert«, sagte Tolpan und wies auf eine Kiefer, die völlig mit Spinnweben überzogen, und auf eine andere, die völlig verkohlt war.

»Er sollte lieber aufhören, bevor er uns in Grillen oder etwas ähnliches verwandelt.«

»Gute Idee«, murmelte Tanis, der düster auf den leuchtenden Bogen starrte. »Nun, wir könnten keine deutlichere Spur hinterlassen.« Kopfschüttelnd setzte er sich zu Caramon und Tika.

»Sie werden uns verfolgen, darauf kannst du wetten«, sagte Caramon, der halbherzig am quith-pa knabberte. »Mit den Drachen ist das kein Problem.« Seufzend stopfte er den größten Teil der Trockenfrüchte in seinen Beutel.

»Caramon«, sagte Tika. »Du hast nicht viel gegessen...«

»Ich habe keinen Hunger«, murmelte er sich erhebend. »Ich sollte mich hier mal umsehen.« Er schulterte sein Gepäck und seine Waffen und ging auf den Pfad zu.

Tanis' Blick ausweichend, begann Tika ihre Sachen zu verstauen.

»Raistlin?« fragte Tanis.

Tika hielt inne. Ihre Hände fielen in ihren Schoß.

»Wird er immer so sein, Tanis?« fragte sie hilflos, während sie Caramon zärtlich nachsah. »Ich verstehe es nicht!«

»Ich auch nicht«, sagte Tanis ruhig, der auch dem Krieger hinterhersah. »Aber andererseits hatte ich niemals einen Bruder oder eine Schwester.«

»Ich verstehe ihn«, ließ sich Berem vernehmen. Seine leise Stimme bebte mit einer Leidenschaft, die Tanis' Aufmerksamkeit erregte.

»Was meinst du?«

Aber bei seiner Frage verschwand der ungeduldige, leidenschaftliche Blick aus Berems Augen.»Nichts...«, murmelte er, sein Gesicht war wieder eine undurchdringliche Maske.

»Warte!« Tanis erhob sich schnell. »Warum verstehst du Caramon?« Er legte eine Hand auf Berems Arm.

»Laß mich in Ruhe!« schrie Berem heftig und stieß Tanis zurück.

»He, Berem«, rief Tolpan, der aufsah und lächelte, als ob er nichts mitbekommen hätte. »Ich habe meine Karten durchgesehen und eine gefunden, über die es die interessanteste Geschichte gibt...«

Berem warf Tanis einen gehetzten Blick zu, dann schlurfte er zu Tolpan, der im Schneidersitz auf dem Boden saß, seine Karten um sich ausgebreitet. Berem beugte sich über die Karten und schien bei Tolpans Geschichte bald in Staunen verloren zu sein.

»Laß ihn lieber in Ruhe, Tanis«, riet Flint. »Wenn du mich fragst, versteht er Caramon nur aus einem einzigen Grund, weil er nämlich genauso verrückt ist wie Raistlin.«

»Ich habe dich zwar nicht gefragt, aber es ist in Ordnung«, sagte Tanis, der sich zum Zwerg setzte, um seine Portion quith-pa zu verzehren. »Wir müssen bald aufbrechen. Mit Glück findet Tolpan eine Karte...«

Flint schnaufte verächtlich. »Pah! Das wird nun wirklich weiterhelfen. Beim letzten Mal sind wir einer seiner Karten gefolgt, und sie führte uns zu einem Hafen ohne Meer.«

Tanis unterdrückte ein Lächeln. »Vielleicht ist es jetzt anders«, sagte er. »Zumindest ist es besser, als Fizban zu folgen.«

»Nun, da könntest du recht haben«, räumte der Zwerg mürrisch ein. Flint warf Fizban einen Seitenblick zu, dann beugte er sich zu Tanis. »Hast du dich jemals gefragt, wie er es geschafft hat, den Sturz in Pax Tarkas zu überleben?« flüsterte er.

»Ich frage mich eine Menge«, erwiderte Tanis ruhig. »Zum Beispiel – wie es dir geht?«

Der Zwerg blinzelte, völlig verwirrt über diese unerwartete Frage. »Gut!« schnappte er, knallrot anlaufend.

»Und warum reibst du deinen linken Arm?«»Rheuma«, knurrte der Zwerg. »Du weißt doch, daß ich im Frühling immer Probleme damit habe. Und das Schlafen auf dem Boden ist nicht gerade gut dagegen. Du hast doch gesagt, wir müssen bald aufbrechen.« Der Zwerg beschäftigte sich mit Packen.

»Richtig.« Tanis drehte sich seufzend um. »Etwas gefunden, Tolpan?«

»Ja, ich glaube ja«, sagte der Kender eifrig. Er rollte seine Karten auf, verstaute sie im Kartenbehälter, dann steckte er den Behälter in einen Beutel. Dabei warf er einen kurzen Blick auf seinen goldenen Drachen. Obwohl die Figur offenbar aus Metall war, änderte sie ihre Haltung auf die merkwürdigste Weise. Gerade jetzt krümmte sie sich um einen goldenen Ring – Tanis' Ring, den Laurana ihm einst geschenkt, und den er zurückgegeben hatte, als er ihr seine Liebe zu Kitiara gestand.

Tolpan war so vertieft, auf den Drachen und den Ring zu starren, daß er Tanis fast vergaß.

»Oh«, sagte er, als er den Halb-Elfen ungeduldig husten hörte. »Karte. Richtig. Ja, verstehst du, als ich noch ein kleiner Kender war, reisten meine Eltern und ich durch das Khalkist-Gebirge, in dem wir uns gerade aufhalten, nach Kalaman. Normalerweise nahmen wir die nördliche, die längere Route. In Taman Busuk fand jedes Jahr ein Jahrmarkt statt, auf dem man die wundersamsten Dinge kaufen konnte, und mein Vater verpaßte diese Gelegenheit nie. Aber einmal – ich glaube, es war das Jahr, als sie ihn wegen eines Mißverständnisses zwischen ihm und einem Juwelier verhaftet und ausgeprügelt hatten entschieden wir, durch das Gebirge zu wandern. Meine Mutter wollte immer schon die Heimat der Götter sehen, also...«

»Die Karte!« unterbrach Tanis.

»Ja, die Karte.« Tolpan seufzte. »Hier. Ich glaube, sie gehörte meinem Vater. Hier sind wir ungefähr. Und hier ist die Heimat der Götter.«

»Was ist das?«

»Eine alte Stadt. Sie ist zerstört, wurde während der Umwälzung aufgegeben...«»Und ist höchstwahrscheinlich mit Drakoniern übersät«, beendete Tanis.

»Nein, nicht die Heimat der Götter«, fuhr Tolpan fort und führte seinen kleinen Finger über das Gebirge zu einem Punkt, der die Stadt kennzeichnete. »Dieser Ort wird auch Heimat der Götter genannt. In der Tat hieß er schon so, bevor dort eine Stadt entstand, wie Fizban sagt.«

Tanis blickte zu dem alten Magier, der nickte.

»Vor langer Zeit glaubten die Leute, daß dort Götter lebten«, sagte er ernst. »Es ist ein sehr heiliger Ort.«

»Und er liegt versteckt«, fügte Tolpan hinzu, »in einem Bekken inmitten dieser Berge. Siehst du? Fizban sagt, daß niemand dorthin geht. Niemand außer ihm kennt den Weg. Und es gibt einen Pfad, der auf seiner Karte eingezeichnet ist, zumindest in das Gebirge...«

»Niemand geht dorthin?« fragte Tanis Fizban.

Die Augen des alten Magiers verengten sich vor Ärger.

»Nein.«

»Niemand außer dir?« fragte Tanis weiter.

»Ich bin schon an vielen Orten gewesen, Halb-Elf!« Der Magier schnaufte verächtlich. »Hast du ein Jahr Zeit? Dann zähle ich sie dir auf!« Er richtete anklagend einen Finger auf Tanis.

»Du schätzt mich nicht, junger Mann! Immer argwöhnisch! Und das nach allem, was ich für euch getan habe...«

»Uh, ich würde ihn nicht daran erinnern!« sagte Tolpan eilig, der Tanis' Gesicht sich verfinstern sah. »Komm schon, Alter.«

Die beiden eilten zum Pfad, Fizban wütend und mit gesträubtem Bart.

»Haben die Götter wirklich an diesem Ort gelebt, wo wir jetzt hingehen?« fragte Tolpan, um von Tanis abzulenken.

»Woher soll ich das wissen?« fragte Fizban wütend. »Sehe ich etwa aus wie ein Gott?«

»Aber...«

»Hat dir schon einmal jemand gesagt, daß du viel zuviel redest?«

»Fast jeder«, sagte Tolpan fröhlich. »Habe ich dir jemals die Geschichte erzählt, als ich ein wollenes Mammut gefunden habe?«

Tanis hörte Fizban aufstöhnen. Tika eilte an ihm vorbei, um Caramon zu holen.

»Kommst du, Flint?« rief Tanis.

»Ja«, antwortete der Zwerg, der sich plötzlich auf einen Stein setzte. »Laß mir einen Moment Zeit. Mir ist das Gepäck runtergefallen. Geht schon vor.«

In die Karte des Kenders vertieft, bemerkte Tanis nicht, daß Flint zusammengebrochen war. Er horte nicht den merkwürdigen Ton in der Stimme des Zwerges, noch sah er das kurze, schmerzhafte Aufzucken in seinem Gesicht.

»Nun, beeil dich«, sagte Tanis geistesabwesend. »Wir wollen dich nicht zurücklassen.«

»In Ordnung, Bursche«, sagte Flint leise und wartete, daß der Schmerz nachließ – wie es immer der Fall war.

Flint beobachtete seinen Freund den Pfad hinunterlaufen. Er bewegte sich immer noch etwas schwerfällig in der Drachenrüstung. Wir wollen dich nicht zurücklassen.

»In Ordnung, Bursche«, wiederholte Flint. Er fuhr sich mit seiner schwieligen Hand schnell über die Augen, dann erhob er sich und folgte seinen Gefährten.

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