Sich schwerfällig durch den nördlichen Korridor schleppend, auf der Suche nach Berem, ignorierte Caramon die Überraschten Schreie und Rufe und Hände der Gefangenen, die sich ihm aus den Zellen entgegenstreckten. Aber Berem war nirgendwo zu sehen und auch keine Spuren seines Vorbeikommens. Er versuchte, die anderen Gefangenen zu fragen, ob sie ihn gesehen hätten, aber die meisten waren durch die Folter, die sie ertragen mußten, so verwirrt, daß ihre Antworten keinen Sinn ergaben, und schließlich ließ Caramon sie voller Entsetzen und Mitleid in Ruhe. Er lief weiter den Korridor entlang,der ihn immer tiefer nach unten führte. Er sah sich um und fragte sich verzweifelt, wo er den verrückten Mann finden konnte. Sein einziger Trost war, daß von diesem Korridor kein anderer abzweigte. Berem mußte also diesen Weg genommen haben. Aber wo steckte er dann?
Caramon spähte in die Zellen, stolperte in die Ecken und hätte beinahe einen Hobgoblinwächter nicht bemerkt, der sich auf ihn stürzte. Gereizt schwang er sein Schwert, über die Unterbrechung verärgert, und schlug den Kopf der Kreatur ab und setzte bereits seinen Weg fort, bevor der Körper auf den Steinboden aufschlug.
Dann seufzte er erleichtert auf. Als er eine Treppe hinuntereilte, wäre er beinahe auf den Körper eines anderen toten Hobgoblins getreten. Sein Hals war von starken Händen erwürgt worden. Berem war also hier gewesen, und das vor nicht allzu langer Zeit, denn der Körper war noch warm.
In der Gewißheit, auf der Spur des Mannes zu sein, begann Caramon zu laufen. Die Gefangenen in den Zellen nahm er gar nicht mehr wahr. Ihre Stimmen, die um Freiheit bettelten, hallten in seinen Ohren wider.
Wenn ich sie freilasse, hätte ich eine Armee, dachte Caramon plötzlich. Er spielte mit dem Gedanken, die Zellentüren zu öffnen, als er auf einmal ein schreckliches Heulen und Schreien hörte.
Berems Brüllen erkennend, stürzte Caramon weiter. Die Zellen endeten, der Korridor verengte sich zu einem Tunnel, der sich tief in den Boden schnitt. Fackeln schimmerten an den Wänden, aber es waren wenige, und sie waren in großen Abständen aufgestellt. Caramon lief weiter, das Brüllen kam immer näher. Der Krieger versuchte sich zu beeilen, aber der Boden war glitschig und schleimig, die Luft wurde noch dumpfer und schwerer von der Feuchtigkeit, je tiefer er in den Tunnel lief. Um nicht auszurutschen und zu fallen, mußte er langsamer gehen. Die Schreie wurden lauter. Der Tunnel wurde heller – er näherte sich offenbar seinem Ende.
Und dann sah er Berem. Zwei Drakonier schlugen auf ihnein, ihre Schwerter glänzten im Fackellicht. Berem wehrte sie mit bloßen Händen ab. Das Licht des grünen Edelsteins ließ den kleinen Raum in einer unheimlichen Helligkeit erstrahlen.
Nur Berems Wahnsinn gab ihm die Kraft, sie so lange abzuwehren. Blut strömte aus einer Schnittwunde über sein Gesicht.
Als Caramon ihm zu Hilfe sprang und im Schleim ausrutschte, ergriff Berem mit einer Hand die Schwertklinge eines Drakoniers, gerade als die Spitze seine Brust berührte. Der Stahl drang in sein Fleisch, aber er nahm den Schmerz nicht wahr.
Blut floß über seine Hände, als er die Klinge drehte und den Drakonier mit einem Ruck nach hinten schob. Dann taumelte er, japste nach Luft. Der andere Drakonier näherte sich.
Da die Wachen nur auf ihr Opfer achteten, bemerkten sie Caramon nicht. Er sprang aus dem Tunnel und dachte nur daran, die Kreaturen nicht zu erstechen, um sein Schwert nicht zu verlieren. Er packte eine Wache mit seinen riesigen Händen und drehte ihr den Kopf um, bis das Genick brach. Dann ließ er den Körper fallen und begegnete dem Sprung des anderen Drakoniers mit einer schnellen Bewegung der Handkante gegen die Kehle der Kreatur. Sie fiel zurück.
»Berem, ist alles in Ordnung?« Caramon drehte sich um und wollte Berem helfen, als er plötzlich einen stechenden Schmerz in seiner Seite spürte.
Vor Schmerz aufkeuchend, taumelte er herum und sah auf einen Drakonier. Offenbar hatte er sich in den Schatten versteckt gehalten, vielleicht hatte er Caramon kommen gehört. Sein Schwerthieb hätte töten sollen, aber er war in Eile ausgeführt worden und an Caramons Kettenrüstung abgeglitten. Caramon stolperte zurück, um sein Schwert zu suchen und Zeit zu gewinnen.
Aber der Drakonier hatte nicht vor, ihm Zeit zu lassen. Er hob erneut seine Klinge und sprang auf Caramon zu.
Eine Bewegung, grünes Licht blitzte auf, und der Drakonier fiel tot vor Caramons Füße.
»Berem!« keuchte Caramon und preßte seine Hand auf seine Seite. »Danke! Wie...«Aber Berem starrte nur Caramon an, schien ihn nicht wiederzuerkennen. Doch dann nickte er langsam, drehte sich um und wollte weiterlaufen.
»Warte!« rief Caramon. Er biß die Zähne vor Schmerzen zusammen, sprang über die Körper der Drakonier und eilte Berem hinterher. Er ergriff ihn am Arm und hielt ihn an. »Warte, verdammt!« wiederholte er.
Die plötzliche Bewegung forderte ihren Tribut. Der Raum verschwamm vor seinen Augen. Caramon war gezwungen, einen Moment stillzustehen und den plötzlichen Schmerz abklingen zu lassen. Als er wieder sehen konnte, blickte er sich um, um sich zu orientieren.
»Wo sind wir?« fragte er, ohne eine Antwort zu erwarten. Er wollte nur, daß Berem seine Stimme hörte.
»Tief, tief unter dem Tempel«, erwiderte Berem mit hohler Stimme. »Ich bin in der Nähe. Ganz in der Nähe.«
»Ja«, stimmte Caramon zu, ohne etwas zu verstehen. Er hielt Berem weiter fest und sah sich um. Der Tunnel, aus dem er gekommen war, endete in einer kleinen kreisrunden Kammer.
Ein Wachraum, erkannte er, als er einen alten Tisch, mehrere Stühle und eine Fackel an der Wand sah. Das ergab einen Sinn.
Die Drakonier mußten hier Wache gehalten haben. Deshalb war Berem auf sie gestoßen. Aber was konnten die Drakonier bewacht haben?
Caramon sah sich schnell in der kleinen Steinkammer um, konnte aber nichts entdecken. Der Raum hatte einen Durchmesser von vielleicht zwanzig Schritten und war aus dem Fels herausgehauen worden. Die spiralförmigen Steinstufen führten vom Tunnel in diesen Raum, und gegenüber von ihnen führte, ein Bogengang hinaus. Berem war auf diesen Bogengang zugelaufen, bevor Caramon ihn aufgehalten hatte. Caramon sah nichts, als er in die Öffnung spähte. Es war dunkel, so dunkel, daß Caramon dachte, er würde in die Große Finsternis starren, von denen die Legenden erzählten. Eine Finsternis, die in der Leere existiert hatte, lange bevor die Götter das Licht erschaffen hatten.Das einzige, was er hörte, war das gurgelnde und aufspritzende Geräusch von Wasser. Ein unterirdischer Fluß, dachte er, darum die feuchte Luft. Er trat einen Schritt zurück und untersuchte den Bogengang naher.
Er war nicht aus dem Fels herausgehauen worden wie die kleine Kammer, in der sie sich befanden. Er war von fachmännischen Händen aus Steinen gefertigt worden. Er konnte schwache Umrisse von kunstvoll ausgeführten Meißelarbeiten sehen, die ihn einst verziert hatten, aber er erkannte keine Einzelheiten. Der Zahn der Zeit und die Luftfeuchtigkeit hatten sie fest zerstört.
Als Caramon die Bogen studierte, in der Hoffnung, hier einen Hinweis zu finden, stürzte er beinahe, denn Berem klammerte sich plötzlich mit einer wilden Heftigkeit an ihn.
»Ich kenne dich!« schrie der Mann.
»Sicher«, grunzte Caramon. »Was im Namen der Hölle machst du hier unten?«
»Jasla ruft...«, sagte Berem. Der wahnsinnige Blick erschien wieder in seinen Augen. Er drehte sich um und starrte in die Dunkelheit hinter dem Bogen. »Dort hinein muß ich gehen... Wachen... haben versucht, mich aufzuhalten. Du kommst mit mir.«
Dann wurde Caramon klar, daß die Drakonier diesen Durchgang bewacht haben mußten! Aber warum? Was lag dahinter?
Hatten sie Berem erkannt, oder hatten sie nur dem Befehl gehorcht, jedem den Eintritt zu verwehren? Er wußte keine Antwort auf all diese Fragen, und dann kam ihm der Gedanke, daß die Antworten keine Rolle spielten, und auch nicht die Fragen.
»Du mußt hier durch«, sagte er zu Berem. Es war eine Feststellung, keine Frage. Berem nickte und trat ungeduldig einen Schritt vor. Er wäre direkt in die Finsternis gelaufen, wenn Caramon ihn nicht zurückgezogen hätte.
»Warte, wir brauchen Licht«, sagte der Krieger seufzend und trat zurück, den Blick weiter auf Berem gerichtet blieb, bis seine suchende Hand eine Fackel an der Wand berührte. Er hob sie aus der Halterung und kehrte zu Berem zurück.»Ich gehe mit dir«, sagte er mit schwerer Stimme, während er sich fragte, wie weit er noch laufen konnte, bevor er vor Schmerzen und Blutverlust zusammenbrechen würde. »Hier, halt mal.« Er reichte Berem die Fackel, riß einen Streifen von Berems zerfetztem Hemd ab und verband damit die Wunde.
Dann nahm er wieder die Fackel und trat in den Bogengang.
Als er an zwei Steinträgern vorbeiging, spürte Caramon etwas sein Gesicht streifen. »Spinnenweben!« murmelte er und griff voller Ekel danach. Er sah sich ängstlich um; er fürchtete sich vor Spinnen. Aber es waren keine da. Achselzuckend setzte er seinen Weg fort und zog Berem mit sich.
Hörnerrufe zerrissen die Luft.
»In der Falle!« sagte Caramon grimmig.
»Tika!« keuchte Tolpan stolz, als sie durch den düsteren Verlieskorridor liefen. »Dein Plan hat funktioniert.« Der Kender riskierte einen Blick über seine Schulter. »Ja«, bekräftigte er atemlos. »Ich glaube, alle folgen uns!«
»Wunderbar«, murrte Tika. Irgendwie hatte sie nicht erwartet, daß ihr Plan so gut funktionieren würde. Noch nie hatte einer ihrer Pläne in ihrem Leben funktioniert. Wer hätte gedacht, daß ausgerechnet dieser erfolgreich sein würde? Auch sie warf schnell einen Blick über die Schulter. Es mußten sechs oder sieben Drakonier mit langen Krummschwertern in ihren Klauenhänden sein, die ihnen nachjagten.
Obwohl die klauenfüßigen Drakonier nicht so schnell laufen konnten wie das Mädchen und der Kender, so verfügten sie doch über eine unglaubliche Ausdauer. Tika und Tolpan hatten zwar einen guten Vorsprung herausgeholt, aber er schrumpfte stetig. Das Mädchen japste bereits nach Luft, und an ihren Seiten spürte sie einen solch stechenden Schmerz, daß sie sich am liebsten vor Qual gekrümmt hätte.
Aber mit jeder Sekunde, die ich renne, gebe ich Caramon ein bißchen mehr Zeit, sagte sie sich. Ich ziehe die Drakonier einfach von ihm weg.
»Sag mal, Tika«, Tolpans Zunge hing aus seinem Mund, seinGesicht, fröhlich wie immer, war vor Erschöpfung blaß, »weißt du, wohin wir laufen?«
Tika schüttelte den Kopf. Sie hatte keinen Atem zum Sprechen. Sie spürte, wie sie langsamer wurde, ihre Beine waren wie Blei. Ein weiterer Blick zeigte ihr, daß die Drakonier rasch aufholten. Sie sah sich schnell um, hoffte, eine Abzweigung zu finden oder eine Nische, einen Türeingang, irgendein Versteck.
Aber es gab nichts. Der Korridor erstreckte sich stumm und leer vor ihnen. Es gab nicht einmal Zellen. Es war ein langer, schmaler, glatter und scheinbar endloser Steintunnel, der allmählich anstieg.
Dann brachte eine plötzliche Erkenntnis sie fast zum Anhalten. Langsamer werdend, nach Atem keuchend, starrte sie Tolpan an, der im trüben Licht der rauchenden Fackeln kaum sichtbar war.
»Der Tunnel... steigt...« Sie hustete.
Tolpan blinzelte sie verständnislos an, dann erhellte sich sein Gesicht.
»Er führt nach oben und nach draußen!« schrie er jubelnd.
»Du hast es geschafft, Tika!«
»Vielleicht...«, antwortete Tika vorsichtig.
»Komm schon!« schrie Tolpan aufgeregt, zu neuer Energie erwacht. Er nahm Tikas Hand und zog sie weiter. »Ich weiß, daß du recht hast, Tika! Riech mal!« Er schnüffelte. »...frische Luft! Wir entkommen... und finden Tanis... und kommen zurück und... befreien Caramon...«
Nur ein Kender kann erzählen und zugleich durch einen Korridor rennen, während er von Drakoniern gejagt wird, dachte Tika erschöpft. Nur die Angst trieb sie selbst vorwärts, das wußte sie. Und bald würde ihr alles gleichgültig sein. Dann würde sie im Tunnel zusammenbrechen, so müde und erschöpft, daß es ihr einerlei wäre, was die Drakonier.., Dann flüsterte sie: »Frische Luft!«
Sie hatte wirklich gedacht, daß Tolpan nur gelogen hätte, um sie am Laufen zu halten. Aber jetzt konnte sie einen feinen Windhauch an ihrer Wange spüren. Hoffnung machte ihre blei-ernen Beine leichter. Als sie kurz einen Blick zurückwarf, kam es ihr vor, als wären die Drakonier langsamer geworden. Vielleicht erkennen sie, daß sie uns jetzt nicht mehr kriegen! Sie wurde von Jubel erfüllt.
»Beeil dich, Tolpan!« gellte sie. Mit erneuter Kraft stürmten sie den Korridor entlang, die süße Luft wehte immer stärker und stärker.
Als sie um eine Ecke rannten, kamen sie so plötzlich zum Halt, daß Tolpan über einige lockere Steine glitt und gegen eine Mauer prallte.
»Darum also sind sie langsamer geworden«, sagte Tika leise.
Der Korridor war hier zu Ende. Zwei mit Querbalken versehene Holztüren hielten ihn verschlossen. Kleine vergitterte Fenster in den Türen ließen die Nachtluft in das Verlies wehen.
Tika und Tolpan konnten nach draußen sehen, sie konnten die Freiheit sehen – aber nicht erreichen.
»Gib nicht auf!« sagte Tolpan nach einem Moment. Er erholte sich schnell und rannte zu den Türen und rüttelte an ihnen. Sie waren verschlossen.
»Verdammt«, murmelte Tolpan und untersuchte fachmännisch die Türen. Caramon wäre in der Lage gewesen, sich seinen Weg durch die Türen zu schlagen oder das Schloß mit einem Schwertschlag aufzubrechen. Aber nicht der Kender, auch nicht Tika.
Während sich Tolpan zur näheren Untersuchung über das Schloß beugte, lehnte sich Tika gegen eine Wand und schloß erschöpft die Augen. Das Blut pochte in ihren Schläfen, die Muskeln in ihren Beinen verknoteten sich in schmerzhaften Zukkungen. Ermattet schmeckte sie salzige Tränen, und ihr wurde bewußt, daß sie vor Schmerz und vor Wut und vor Enttäuschung schluchzte.
»Nicht doch, Tika!« sagte Tolpan, eilte zu ihr und tätschelte ihre Hand. »Es ist ein einfaches Schloß. Ich bringe uns hier in Null Komma nichts heraus. Wein nicht, Tika. Ich brauche nur einen kleinen Moment, aber du solltest für diese Drakonier bereit sein, falls sie kommen. Halt sie einfach beschäftigt...«»In Ordnung«, sagte Tika und schluckte die Tränen hinunter.
Eilig wischte sie mit dem Handrücken über die Nase, dann drehte sie sich mit dem Schwert in der Hand in den Korridor, während sich Tolpan wieder dem Schloß widmete.
Es war ein einfaches, ein sehr einfaches Schloß, sah er mit Zufriedenheit, mit solch einer simplen Falle kombiniert. Er fragte sich, warum sie sich überhaupt solche Umstände gemacht hatten.
Fragte sich, warum sie sich überhaupt solche Umstände gemacht hatten... Einfaches Schloß... simple Falle... Die Worte klangen in ihm nach. Vertraute Worte! Er hatte sie schon einmal zuvor gedacht... Erstaunt sah er zu den Türen hoch und stellte fest, daß er hier schon einmal gewesen war! Aber nein, das war unmöglich.
Wütend schüttelte Tolpan den Kopf und suchte in einem Beutel nach dem Werkzeug. Dann hielt er inne. Kalte Angst ergriff den Kender und schüttelte ihn, wie ein Hund eine Ratte schüttelt.
Der Traum!
Das waren die Türen, die er in dem Silvanesti-Traum gesehen hatte! Das war das Schloß gewesen. Das einfache, so einfache Schloß mit der simplen Falle! Und Tika hatte hinter ihm gestanden, kämpfend... sterbend...
»Sie kommen, Tolpan!« rief Tika und schloß ihre schwitzenden Hände fester um das Schwert. Sie warf ihm einen Blick über die Schulter zu. »Was machst du denn? Worauf wartest du?«
Tolpan konnte nicht antworten. Er konnte die Drakonier jetzt hören, sie lachten mit ihren groben Stimmen, nahmen sich Zeit, ihre Opfer zu erreichen, da sie wußten, daß sie nicht entkommen konnten. Sie bogen um die Ecke, und Tolpan hörte, daß ihr Lachen noch lauter wurde, als sie Tika mit dem Schwert sahen.
»Ich... ich glaube, ich schaffe es nicht, Tika!« wimmerte Tolpan, entsetzt auf das Schloß starrend.
»Tolpan«, sagte Tika schnell und grimmig, trat zurück, ummit ihm zu reden, ohne die Feinde aus den Augen zu lassen, »wir können nicht zulassen, daß sie uns gefangennehmen! Sie wissen über Berem Bescheid! Sie werden versuchen, uns zum Reden zu bringen, was wir über ihn wissen, Tolpan! Und du weißt, was sie mit uns machen, um uns zum Reden zu bringen...«
»Du hast recht!« sagte Tolpan kläglich. »Ich versuche es.«
Du hast den Mut, auf diesem Weg zu gehen..., hatte Fizban gesagt. Er holte tief Luft und zog einen dünnen Draht aus dem Beutel. Trotz allem, sagte er streng zu seinen zitternden Händen, für einen Kender ist der Tod doch das größte aller Abenteuer. Und dann ist Flint dort draußen, ganz allein. Wahrscheinlich in alle möglichen Probleme verstrickt... Seine Hände waren jetzt ganz ruhig. Tolpan schob den Draht sorgfältig in das Schloß und machte sich an die Arbeit.
Plötzlich hörte er hinter sich rohes Gebrüll; er hörte Tika schreien und Stahl gegen Stahl schlagen.
Tolpan wagte einen schnellen Blick. Tika hatte niemals die Schwertkunst erlernt, aber sie war eine erfahrene Wirtshausraufboldin. Sie hackte und schlitzte mit der Klinge, trat und stieß und biß und schlug. Die Wut und Heftigkeit ihres Angriffs ließ die Drakonier ein Stück zurückweichen. Alle waren verletzt und bluteten; einer krümmte sich in seinem grünen Blut auf dem Boden, sein Arm hing herab.
Aber sie wird sie nicht mehr lange aufhalten können. Tolpan wandte sich wieder seiner Arbeit zu, aber jetzt zitterten seine Hände, das Werkzeug entglitt ihm. Der Trick bestand darin, das Schloß zu sprengen, ohne daß die Falle zuschnappte. Er konnte die Falle sehen – eine winzige Nadel, die von einer gewundenen Sprungfeder gehalten wurde.
Hör auf, befahl er sich. War das für einen Kender eine Art zu handeln? Er führte den Draht wieder sorgfältig ein, seine Hände waren wieder ruhig. Plötzlich, als er es fast geschafft hatte, wurde er angestoßen.
»He«, rief er gereizt zu Tika und drehte sich um. »Paß ein bißchen auf...« Er hielt inne. Der Traum! Er hatte genau die selben Worte gesagt. Und wie in dem Traum sah er Tika zu seinen Füßen liegen, Blut floß in ihren roten Locken.
»Nein!« kreischte Tolpan vor Wut. Der Draht rutschte, seine Hand traf das Schloß.
Es klickte, als sich das Schloß öffnete. Und mit dem Klicken kam ein anderes Geräusch, ein knirschendes, kaum hörbares Geräusch. Die Falle war zugeschnappt.
Mit aufgerissenen Augen starrte Tolpan auf den winzigen Blutfleck an seinem Finger, dann auf die kleine goldene Nadel, die aus dem Schloß ragte. Die Drakonier hatten ihn jetzt bei den Schultern gepackt. Tolpan ignorierte sie. Es spielte sowieso keine Rolle mehr. Er spürte einen stechenden Schmerz im Finger, und bald würde sich der Schmerz über seinen Arm und dann auf seinen ganzen Körper ausbreiten.
Wenn er mein Herz erreicht, werde ich nichts mehr spüren, dachte er verträumt. Ich werde überhaupt nichts mehr spüren.
Dann hörte er Hörner, schmetternde Hörner, Messinghörner. Er hatte solche Hörner schon einmal gehört. Wo? Ach ja.
Es war in Tarsis gewesen, kurz bevor die Drachen angegriffen hatten.
Und dann waren die Drakonier plötzlich verschwunden – sie hatten ihn losgelassen und waren hektisch in den Korridor zurückgelaufen.
»Muß eine Art Generalalarm sein«, dachte Tolpan, der mit Interesse verfolgte, daß seine Beine ihn nicht mehr tragen wollten. Er glitt auf den Boden neben Tika. Er streckte eine zitternde Hand aus und streichelte sanft ihre schönen roten Locken, die jetzt mit Blut verschmiert waren. Ihr Gesicht war weiß, ihre Augen geschlossen.
»Es tut mir leid, Tika«, sagte Tolpan mit zugeschnürter Kehle. Der Schmerz breitete sich schnell aus, seine Finger und Füße waren bereits starr. Er konnte sie nicht mehr bewegen.
»Es tut mir leid, Caramon. Ich habe es versucht, wirklich versucht...« Leise weinend lehnte sich Tolpan an die Tür und wartete auf die Dunkelheit. Tanis konnte sich nicht bewegen, und einen Moment lang, als er Lauranas herzzerreißendes Schluchzen hörte, hatte er auch nicht das Bedürfnis, sich zu bewegen. Statt dessen betete er zu einem gnädigen Gott, ihn zu erschlagen, während er vor der Dunklen Königin kniete. Aber die Götter erfüllten ihm nicht seinen Wunsch. Der Schatten hob sich, als sich die Aufmerksamkeit der Königin von ihm weg bewegte. Tanis taumelte auf die Füße, sein Gesicht vor Scham gerötet. Er konnte Laurana nicht ansehen, er wagte nicht einmal, Kitiaras Augen zu begegnen, da er sich ihres Spotts sicher war.
Aber Kitiara hatte Wichtigeres im Sinn. Dies war der Augenblick ihres Ruhms. Alles lief nach Plan. Sie streckte ihre Hand aus und fing Tanis mit ihrem kräftigen Griff ab, als dieser vortreten wollte, Laurana zu begleiten. Kühl schob sie ihn zur Seite und stellte sich vor ihn.
»Schließlich wünsche ich einen meiner Diener zu belohnen, der mir bei der Gefangennahme der Elfenfrau geholfen hat.
Fürst Soth bat um die Seele dieser Lauralanthalasa, damit er seine Rache an der Elfenfrau, die vor langer Zeit den Fluch auf ihn geworfen hat, nehmen kann. Wenn er schon verdammt ist, in ewiger Dunkelheit zu leben, dann bittet er, daß diese Elfenfrau sein Leben im Tod mit ihm teilt.«
»Nein!« Laurana hob ihren Kopf, Furcht und Entsetzen durchbohrten ihre betäubten Sinne. »Nein«, wiederholte sie mit ersterbender Stimme.
Sie trat einen Schritt zurück und sah sich panisch nach Fluchtmöglichkeiten um, aber es gab keine. Unter ihr waren die Drakonier, die erwartungsvoll zu ihr hinaufsahen. Vor Verzweiflung würgend, blickte sie noch einmal zu Tanis. Sein Gesicht wirkte düster und gefährlich; er sah sie nicht an, sondern starrte mit brennenden Augen zu der menschlichen Frau. Laurana bedauerte bereits ihren erbärmlichen Ausbruch und beschloß, lieber zu sterben, als weiter Schwäche zu zeigen. Sie richtete sich stolz auf, hob ihren Kopf, gewann ihre Beherrschung wieder.
Tanis sah Laurana nicht. Kitiaras Worte rasten wie sein Blut durch seinen Kopf, vernebelten seinen Blick und seine Gedanken. Wütend tat er zu Kitiara. »Du hast mich betrogen!« würgte er hervor. »Das war nicht Teil unserer Abmachung!«
»Sei ruhig!« befahl Kit mit ruhiger Stimme. »Oder du wirst alles vermasseln!«
»Was...«
»Halt den Mund!« schnappte Kitiara böse.
Dein Geschenk erfreut uns, Fürstin Kitiara. Wir gewähren dir deine Wünsche. Die Seele der Elfenfrau wird Fürst Soth gegeben, und wir nehmen den Halb-Elfen in unsere Dienste. In Anerkennung dessen wird er sein Schwert zu Füßen von Lord Ariakus niederlegen.
»Nun mach schon!« befahl Kitiara kühl, ihre Augen ruhten auf Tanis. Die Augen aller Anwesenden im Saal ruhten auf dem Halb-Elfen.
Seine Gedanken verschwammen. »Was?« murmelte er. »Davon hast du mir nichts erzählt! Was soll ich tun?«
»Geh zur Plattform und lege dein Schwert zu Ariakus' Füßen nieder«, antwortete Kitiara schnell und begleitete ihn zum Rand der Plattform. »Er wird es aufheben und dir zurückgeben, dann bist du ein Offizier der Drachenarmee. Es ist nur ein Ritual. Aber dadurch gewinne ich Zeit.«
»Zeit wofür? Was hast du geplant?« fragte Tanis barsch. Er griff ihren Arm. »Du hättest es mir sagen sollen...«
»Je weniger du weißt, desto besser, Tanis.« Kitiara lächelte bezaubernd, für jene, die sie beobachteten. Es gab nervöses Gelächter, grobe Witze über das, was wie die Trennung von Liebenden aussah. Aber Tanis sah kein Lächeln in Kits braunen Augen. »Vergiß nicht, wer neben mir auf dieser Plattform steht«, flüsterte Kitiara. Ihren Schwertknauf streichelnd, warf Kit Laurana einen bedeutungsvollen Blick zu. »Mach keine Dummheiten.« Sie drehte sich um und ging wieder zurück und stellte sich neben Laurana.
Tanis zitterte vor Furcht und Wut, seine Gedanken wirbelten wirr durcheinander, als er die Stufen hinabstolperte. Der Lärm der Versammlung überrollte ihn wie Meereswellen. Speerspitzen blitzten auf, Fackeln vernebelten seine Sinne. Er setzte seinen Fuß auf den Boden und ging auf Ariakus' Plattform zu, ohne sich bewußt zu sein, wo er war oder was er tun sollte. Er bewegte sich mechanisch über den Marmorboden.
Die Gesichter der Drakonier, die Ariakus' Ehrenwache bildeten, schwebten um ihn wie ein entsetzlicher Alptraum. Er sah sie als körperlose Köpfe, funkelnde Zahnreihen und zuckende Zungen. Sie teilten sich vor ihm, die Stufen materialisierten sich vor seinen Füßen, als ob sie aus einem Nebel hervorgekommen wären.
Er hob den Kopf und starrte benommen hoch. Dort stand Lord Ariakus; ein riesiger Mann, majestätisch, mächtig. Das ganze Licht im Saal schien zu der Krone auf seinem Kopf hingezogen zu werden. Ihre Helligkeit verwirrte die Augen, und Tanis, von ihr geblendet, blinzelte, als er die Stufen mit der Hand am Schwert hochstieg.
Hatte Kitiara ihn verraten? Würde sie ihr Versprechen halten? Tanis bezweifelte es. Bitterlich verfluchte er sich. Wieder einmal war er ihrem Zauber erlegen. Wieder einmal hatte er den Narren gespielt, weil er ihr vertraut hatte. Und jetzt hatte sie alle Karten in der Hand. Er konnte nichts machen... oder doch?
Ihm kam so plötzlich eine Idee, daß er, mit einem Fuß auf der oberen Stufe, mit dem anderen auf der unteren, verhielt.
Narr! Geh weiter, befahl er sich, spürte, daß ihn alle anstarrten. Er zwang sich, nach außen hin ruhig zu wirken, und stieg weiter die Stufen hoch. Je näher er Lord Ariakus kam, um so klarer wurde sein Plan.
Wer auch immer die Krone trägt, herrscht! Die Worte hallten durch Tanis' Bewußtsein.
Töte Ariakus, nimm die Krone! Es ist ganz einfach! Tanis' Blick huschte fiebrig zur Nische. Keine Wachen standen bei Ariakus. Natürlich! Kein Soldat durfte auf der Plattform stehen. Aber er hatte nicht einmal Wachen auf den Stufen wie die anderen Fürsten. Offenbar war der Mann so hochmütig, fühlte sich so sicher, daß er sie für unnötig hielt.
Tanis' Gedanken überschlugen sich. Kitiara würde ihre Seelegegen diese Krone eintauschen. Und solange ich sie trage, wird sie mir gehorchen! Ich kann Laurana retten... wir können zusammen fliehen! Wenn wir erst einmal draußen in Sicherheit sind, kann ich es Laurana erklären. Ich kann alles erklären! Ich werde mein Schwert ziehen, aber statt es vor Lord Ariakus'
Füße zu legen, werde ich ihn durchbohren! Wenn die Krone erst in meiner Hand ist, wird niemand wagen, mich zu berühren!
Tanis bebte vor Aufregung. Mit äußerster Anstrengung gelang es ihm, sich zu beruhigen. Er konnte Ariakus nicht ansehen, weil er fürchtete, der Mann könnte seinen verzweifelten Plan in seinen Augen lesen.
Er hielt den Blick auf die Stufen gerichtet, er wußte nur, daß er sich Lord Ariakus näherte, weil es noch fünf Stufen bis zur Plattform waren. Tanis' Hand zuckte an seinem Schwert. Als er glaubte, sich unter Kontrolle zu haben, richtete Tanis den Blick auf das Gesicht des Mannes, und einen Moment lang ließ ihn das Böse, das sich ihm enthüllte, die Fassung verlieren. Es war ein Gesicht, leidenschaftlos geworden, ein Gesicht, das den Tod Tausender Unschuldiger als Mittel zu nur einem einzigen Zweck gesehen hatte.
Ariakus hatte Tanis mit gelangweilter Miene beobachtet, mit einem Lächeln amüsierter Verachtung. Dann hatte er das Interesse an dem Halb-Elfen völlig verloren und sich seinen Sorgen gewidmet. Tanis sah, wie der Blick des Mannes zu Kitiara wanderte. Er wirkte nachdenklich. Es war der Blick eines Spielers, der über ein Spielbrett gebeugt saß, über seinen nächsten Zug brütete und die Absichten seines Gegners herauszufinden versuchte.
Voller Abscheu und Haß begann Tanis, das Schwert aus der Scheide zu ziehen. Selbst wenn sein Versuch, Laurana zu retten, scheitern würde, selbst wenn sie beide innerhalb dieser Mauern sterben würden, dann konnte er zumindest noch eine gute Tat in dieser Welt verrichten, indem er den Oberbefehlshaber der Drachenarmee tötete.
Aber als Ariakus hörte, wie Tanis sein Schwert zog, blitztenseine Augen wieder zum Halb-Elfen zurück. Sein dunkler Blick durchbohrte Tanis' Seele. Tanis spürte, wie er von der gewaltigen Macht des Mannes überwältigt wurde, sie schlug ihm entgegen wie die Hitze aus einem Kamin. Und dann traf die Erkenntnis Tanis wie ein Schlag, ließ ihn fast die Treppe hinunterstürzen.
Er wurde von der Aura der Magie umgeben... Ariakus war ein Zauberkundiger!
Blinder, idiotischer Narr! verfluchte sich Tanis. Denn jetzt, als er nähertrat, sah er um den Fürsten eine schimmernde Wand. Natürlich, deshalb hatte er keine Wachen! Seine eigene Magie beschützte ihn!
Und er war jetzt auf der Hut. Soviel konnte Tanis deutlich in den kalten, gefühllosen Augen erkennen.
Die Schultern des Halb-Elfen sackten zusammen. Es war aussichtslos.
Und dann: Schlag zu, Tanis! Fürchte nicht seine Magie! Ich helfe dir!
Die Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, dennoch so deutlich und so intensiv, daß Tanis warmen Atem an seinem Ohr zu spüren glaubte. Seine Nackenhaare sträubten sich, ein Schauer überlief seinen Körper.
Bebend blickte er sich um. Niemand war in seiner Nähe, niemand, außer Ariakus! Er war nur noch drei Schritte entfernt, finster blickend, offensichtlich ungeduldig, da diese Zeremonie immer noch kein Ende fand. Als er Tanis zögern sah, bedeutete Ariakus ihm mit einer gebieterischen Geste, sein Schwert vor seine Füße zu legen.
Wer hatte gesprochen? Tanis' Augen blieben auf einer Gestalt neben der Königin der Finsternis haften. Sie war schwarz gekleidet, er hatte sie vorher nicht bemerkt. Jetzt starrte er sie an, sie kam ihm irgendwie vertraut vor. War die Stimme von dieser Gestalt gekommen? Wenn ja, dann ließ sie es nicht erkennen, weder durch ein Zeichen noch durch eine Bewegung.
Was sollte er tun, fragte er sich hektisch.
Schlag zu, Tanis! flüsterte wieder die Stimme. Schnell! Schwitzend und mit zitternder Hand zog Tanis langsam sein Schwert. Er befand sich jetzt auf gleicher Höhe mit Ariakus.
Die schimmernde Wand der Magie umgab den Fürsten wie ein Regenbogen, der sich im schäumenden Wasser widerspiegelt.
Ich habe keine andere Wahl, sagte sich Tanis. Wenn es eine Falle ist, dann soll es so sein. Ich wähle diesen Tod.
Er gab vor zu knien, hielt sein Schwert am Knauf, um es auf die Marmorplattform zu legen. Unvermittelt hob er sein Schwert und ließ es in Richtung von Ariakus' Herz schnellen.
Der Halb-Elf erwartete den eigenen Tod. Er biß die Zähne zusammen, als er zuschlug, machte sich auf den magischen Schild gefaßt, darauf, wie ein vom Blitz getroffener Baum vernichtet zu werden.
Und ein Blitz schlug ein, aber nicht auf ihn! Zu seiner Verblüffung explodierte die Regenbogenmauer und ließ sein Schwert durch. Er spürte es in Fleisch eintauchen. Ein heftiger Aufschrei des Schmerzes und der Wut betäubte ihn fast.
In Tanis' Kopf explodierte eine Welle des Schmerzes. Verschwommen sah er sein Schwert neben sich fallen, rot von Blut.
Einen Moment lang glaubte er, das Bewußtsein zu verlieren, und das würde seinen Tod bedeuten, seinen Tod und Lauranas Tod. Benommen schüttelte er den Kopf. Er mußte sich sammeln! Er mußte die Krone gewinnen! Er sah auf; Ariakus stand drohend über ihm. Er hielt die Hände hoch und bereitete sich auf einen Zauber vor, um Tanis' Leben ein Ende zu setzen.
Tanis konnte nichts unternehmen. Er war hilflos gegenüber der Magie, und irgendwie wußte er, daß auch sein unsichtbarer Helfer ihm nicht weiterhelfen würde. Er hatte bereits bekommen, was er gewünscht hatte.
Aber so mächtig Ariakus auch war, es gab eine größere Macht, die er nicht besiegen konnte. Er würgte, seine Gedanken schwankten, die Worte der Magie gingen im unerträglichen Schmerz verloren. Als er herabschaute, sah er sein eigenes Blut die purpurne Robe beflecken, der Fleck wurde mit jeder Sekunde größer, während sein Leben aus der Herzwunde strömte. Der Tod kam, er beanspruchte ihn. Ariakus konnte ihn nicht länger hinhalten. Verzweifelt kämpfte der Drachenfürst gegen die Dunkelheit an, schrie zu seiner Dunklen Königin um Hilfe.
Aber sie ließ Schwächlinge im Stich. So wie sie Ariakus beobachtet hatte, als er seinen Vater tötete, so beobachtete sie jetzt Ariakus selbst beim Sterben, ihr Name war das letzte Wort, das über seine Lippen kam.
Ein schreckliches Schweigen zog durch die Empfangshalle, als Ariakus zu Boden stürzte. Die Krone der Macht fiel klirrend von seinem Kopf und blieb in einem Gewirr aus Blut und dichten schwarzen Haaren liegen. Wer würde sie beanspruchen?
Ein durchdringender Schrei stieg auf. Kitiara rief einen Namen, schrie jemandem etwas zu.
Tanis konnte es nicht verstehen. Es kümmerte ihn auch nicht. Er streckte seine Hand nach der Krone aus.
Plötzlich materialisierte sich vor ihm eine Gestalt in schwarzer Rüstung. Fürst Soth!
Das Gefühl schierer Panik und schieren Entsetzens bekämpfend, hielt Tanis sein Bewußsein auf eine Sache fixiert. Die Krone war nur wenige Zentimeter von ihm entfernt. Verzweifelt griff er nach ihr. Dankbar fühlte er das kalte Metall in seiner Hand, als eine andere Hand – eine Skeletthand – auch danach griff.
Sie gehörte ihm! Sofhs brennende Augen flackerten auf. Die Skeletthand holte aus, um ihm die Beute gewaltsam zu entreißen. Tanis konnte Kitiaras Stimme hören, die zusammenhanglos Befehle kreischte.
Aber als er das blutverschmierte Stück Metall über seinen Kopf ziehen wollte, als seine Augen ohne Angst auf Fürst Soth haften blieben, wurde das Schweigen im Saal vom Klang von Hörnern, von schmetternden Hörnern durchbrochen. Fürst Soths Hand blieb in der Luft stehen, Kitiaras Stimme verstummte plötzlich.
Ein unterdrücktes, unheilvolles Murmeln fuhr durch die Menge. Einen Moment lang dachte Tanis in seinem schmerzumwölkten Verstand, daß die Hörner zu seinen Ehren ertönten.
Aber dann, als er seinen Kopf zur Halle drehte, sah er Gesichter, die sich beunruhigt umschauten. Alle – sogar Kitiara – sahen zur Dunklen Königin.
Die dunklen Augen Ihrer Dunklen Majestät hatten auf Tanis geruht, aber jetzt war ihr Blick abgelenkt. Ihr Schatten wuchs und intensivierte sich, verbreitete sich durch die Halle wie eine dunkle Wolke. Auf einen stummen Befehl reagierend, eilten Drakonier, die ihr schwarzes Emblem trugen, von ihren Plätzen und verschwanden durch die Türen. Die schwarzgekleidete Gestalt, die Tanis neben der Königin stehen gesehen hatte, war nicht mehr da.
Und immer noch erschollen die Hörner. Tanis starrte gelähmt auf die Krone in seiner Hand. Zweimal zuvor hatten die Hörner Tod und Zerstörung gebracht. Was hatte das entsetzliche Omen dieser Musik diesmal zu bedeuten?