8 Die Königin der Finsternis

»Drachenfürst Toede.«

Lord Ariakus lauschte mit träger Verachtung dem Aufrufen der Rangbezeichnungen. Nicht, daß ihn das Verfahren langweilte. Ganz im Gegenteil. Die Einberufung des Kriegsrats war zwar nicht seine Idee gewesen. In der Tat hatte er Einspruch dagegen erhoben. Aber er hatte darauf geachtet, nicht allzu heftig Einspruch zu erheben. Das hätte ihn schwach erscheinen lassen; und Ihre Dunkle Majestät ließ Schwächlinge nicht am Leben. Nein, dieser Kriegsrat würde alles andere als langweilig werden...Bei dem Gedanken an seine Dunkle Königin drehte er sich halb und blickte schnell zur Nische hoch. Ihr prächtiger Thron, der größte und wunderbarste in der ganzen Halle, war immer noch leer, das Tor war in der lebendigen, atmenden Dunkelheit nicht sichtbar. Keine Stufen führten zu diesem Thron. Das Tor war gleichzeitig Eingang und Ausgang. Und wohin das Tor führte, nun, es war besser, nicht daran zu denken. Unnötig zu sagen, daß kein Sterblicher jemals hinter diese eisernen Gitterstäbe getreten war.

Die Königin war noch nicht erschienen. Er war darüber nicht überrascht. Diese Eröffnungsrituale waren unter ihrer Würde.

Ariakus zog sich wieder in seinen Thron zurück. Sein Blick wanderte vom Thron der Dunklen Königin zu dem der Finsteren Herrin. Kitiara war hier, natürlich. Das war der Augenblick ihres Triumphes – so dachte sie jedenfalls. Ariakus verfluchte sie flüsternd.

»Laß sie ihr Schlimmstes anrichten«, murmelte er, nur halb lauschend, als der Feldwebel den Rang von Lord Toede noch einmal wiederholte. »Ich bin vorbereitet...«

Ariakus bemerkte plötzlich, daß etwas fehlte. Was? Was war passiert? Seinen Gedanken nachhängend, hatte er dem Zeremoniell keine Aufmerksamkeit geschenkt. Was war falsch?

Schweigen... ein fürchterliches Schweigen folgte... Was...? Er versuchte sich zu erinnern, was gerade gesagt worden war.

Dann fiel es ihm ein, und er starrte grimmig auf den zweiten Thron zu seiner Linken. Die Soldaten in der Halle, überwiegend Drakonier, hoben und senkten sich unter ihm wie ein Meer des Todes, als sich alle Augen zu diesem Thron bewegten.

Obwohl die Drakoniersoldaten aus Lord Toedes Kommando anwesend waren und sich ihre Banner mit den Bannern der anderen Drakonier vermischten, war der Thron selbst leer.

Tanis, der auf den Stufen zu Kitiaras Plattform stand, folgte Ariakus' strengem und kaltem Blick. Der Halb-Elf spitzte seine Ohren bei dem Namen Toede. Ein Bild des Hobgoblins tauchte vor ihm auf, so wie er ihn im Staub auf der Straße nach Solace gesehen hatte. Das Bild brachte Erinnerungen an jenen warmen Herbsttag zurück, der den Beginn seiner langen, dunklen Reise gewesen war. Es brachte Erinnerungen an Flint und Sturm zurück... Tanis biß die Zähne zusammen und zwang sich, seine Konzentration auf die Geschehnisse zu lenken. Die Vergangenheit war vorüber und – so hoffte er fieberhaft – auch bald vergessen.

»Lord Toede?« wiederholte Ariakus wütend. Die Soldaten in der Halle murmelten untereinander. Niemals zuvor hatte ein Fürst den Befehl mißachtet und nicht an dem Kriegsrat teilgenommen.

Ein menschlicher Offizier der Drachenarmee stieg die Stufen zu der leeren Plattform hoch. Auf der letzten Stufe blieb er stehen (das Protokoll verbot ihm, höher zu gehen), stammelte einen Moment voller Angst, als er jene schwarzen Augen und noch schlimmer – in die düstere Nische über Ariakus' Thron sah. Dann holte er tief Luft und begann mit seinem Bericht.

»Ich... ich bedaure, Ihrer Lordschaft und Ihrer D...dunklen Majestät mitteilen zu müssen«, ein nervöser Blick zu der Nische, die offenbar immer noch leer war, »daß Drachenfürst To...Toede ein unglückliches und unpassendes Ableben beschieden wurde.«

Tanis, der auf der obersten Stufe zur Plattform stand, wo Kitiara in ihrem Thron saß, hörte ein abfälliges Schnaufen unter Kits Drachenhelm. Ein amüsiertes Kichern fuhr durch die Menge, während die Offiziere der Drachenarmee wissende Blicke austauschten.

Lord Ariakus war jedoch alles andere als belustigt. »Wer hat es gewagt, einen Drachenfürsten zu töten«, fragte er zornig, und beim Klang seiner Stimme und im Begreifen der schlimmen Bedeutung seiner Worte fiel die Menge in Schweigen.

»Es war in K...Kenderheim, mein Fürst«, erwiderte der Offizier, und seine Stimme hallte in der riesigen Marmorhalle wider. Der Offizier verstummte. Selbst aus der Entfernung konnte Tanis sehen, wie der Mann seine Faust nervös öffnete und wieder schloß. Offensichtlich hatte er noch mehr schlechte Neuigkeiten mitzuteilen und zögerte, fortzufahren. Ariakus sah den Offizier finster an. Der Mann räusperte sich und sprach weiter.

»Ich bedaure, berichten zu müssen, mein Fürst, daß Kenderheim verl...« Einen Moment lang versagte die Stimme des Mannes völlig. Nur mit äußerster Kraftanstrengung gelang es ihm, den Satz zu beenden, »...verloren ist.«

»Verloren!« wiederholte Ariakus mit einer Stimme, die ein Donner gewesen sein könnte.

Offenbar wurde der Offizier von seiner Angst fast erschlagen. Zurückschreckend stammelte er einen Moment zusammenhanglos weiter, dann – offenbar entschlossen, die Sache hinter sich zu bringen, keuchte er hervor: »Drachenfürst Toede wurde von einem Kender namens Kronin Distelknot auf abscheuliche Weise umgebracht und seine Soldaten vertrieben...«

Ein tiefes Murmeln ging jetzt durch die Menge, zorniges und trotziges Knurren, wüste Drohungen wurden gegen Kenderheim ausgestoßen. Diese elende Rasse mußte vom Angesicht Krynns verschwinden...

Mit seiner behandschuhten Rechten machte Ariakus eine gereizte Geste. Sofort verstummten die Versammelten.

Und dann wurde das Schweigen gebrochen.

Kitiara lachte.

Es war ein fröhliches Lachen, hochmütig und höhnisch, und es hallte drohend unter den Tiefen der Metallmaske hervor.

Ariakus' Gesicht verzerrte sich vor Wut, und er erhob sich.

Er trat einen Schritt nach vorn. Stahl blitzte zwischen den Drakoniern auf, als die Schwerter aus ihren Scheiden gezogen wurden und die Speerenden auf den Boden dröhnten.

Bei diesem Anblick schlossen Kitiaras Soldaten ihre Reihen und traten näher zur Plattform ihrer Fürstin. Instinktiv legte sich Tanis' Hand fester um den Knauf seines Schwertes, und er trat eine Stufe höher, obgleich dies bedeutete, daß er seinen Fuß auf die Plattform setzte, wo er nicht stehen durfte.

Kitiara blieb ruhig sitzen und beobachtete Ariakus mit tiefster Verachtung.Plötzlich senkte sich über die Versammelten ein atemloses Schweigen, als ob der Atem jedes Anwesenden von einer unsichtbaren Kraft abgewürgt würde. Gesichter erblaßten, man versteifte sich, rang nach Luft. Lungen schmerzten, die Sicht verschwamm, das Herz hörte zu schlagen auf. Und dann schien die Luft aus der Halle aufgesogen zu werden, als eine Dunkelheit aufkam.

War es wirklich eine äußere Dunkelheit? Oder war es eine innere? Tanis war sich nicht sicher. Seine Augen sahen Tausende von Fackeln in der Halle hell flackern, er sah Tausende von Kerzen wie Sterne im Nachthimmel funkeln. Aber selbst der Nachthimmel war nicht dunkler als die Dunkelheit, die er jetzt wahrnahm.

Sein Kopf zerfloß. Verzweifelt versuchte er zu atmen, alles erinnerte ihn an seine Erlebnisse im Blutmeer von Istar. Seine Knie zitterten, er fühlte sich zu schwach, um zu stehen. Seine Kräfte verließen ihn, er taumelte und stürzte, und als er keuchend nach unten sank, bemerkte er andere, die auch auf den polierten Marmorboden fielen. Er hob seinen Kopf, obwohl die Bewegung eine Qual war, und sah Kitiara, die in ihren Thron rutschte, als ob eine unsichtbare Kraft sie hineinquetschte.

Dann hob sich die Dunkelheit. Kühle, süße Luft stürzte in Tanis' Lungen. Sein Herz begann wieder zu klopfen. Blut pulste in seinem Kopf, daß er fast ohnmächtig wurde. Einen Moment lang konnte er nicht anders, als wieder auf die Marmorstufen zurückzusinken, schwach und benommen, während in seinem Kopf Blitze explodierten. Als er wieder einigermaßen klar sehen konnte, bemerkte er, daß die Drakonier von all dem unberührt geblieben waren. Sie standen gleichmütig da, ihr Blick war auf einen Punkt fixiert.

Tanis hob seine Augen zu der prächtigen Plattform, die während der Eröffnungsrituale leer geblieben war. Jetzt war sie auch leer. Sein Blut gefor in seinen Adern, sein Atem stockte.

Takisis, Königin der Finsternis, hatte die Empfangshalle betreten.

Sie hatte viele Namen auf Krynn. Drachenkönigin hieß siebei den Elfen; Nilat, die Verderbte bei den Barbaren der Ebenen; unter Tamex, das Unechte Metall war sie bei den Zwergen in Thorbadin bekannt; in den Legenden bei den seefahrenden Leuten von Ergod wurde sie als Mai-tat der vielen Gesichter bezeichnet. Königin der vielen Farben und doch keiner nannten die Ritter von Solamnia sie; besiegt von Huma, vor langer Zeit von Krynn verbannt.

Takisis, Königin der Finsternis, war zurückgekehrt.

Aber nicht vollständig.

Selbst als Tanis zu der dunklen Form in der Nische über sich mit Ehrfurcht starrte, selbst als das Entsetzen durch sein Gehirn flutete, ihn betäubte und außer Ekel und Angst nichts zurückließ – selbst jetzt stellte er fest, daß die Königin nicht in ihrer körperlichen Form anwesend war. Es war, als ob ihre Anwesenheit in den Köpfen der Versammelten einen Schatten ihrer Existenz auf die Plattform warf. Sie selbst war nur da, weil ihr Wille die anderen zwang, sie wahrzunehmen.

Etwas hielt sie zurück, verhinderte ihren Eintritt in diese Welt. Eine Tür – Berems Worte fielen Tanis ein. Wo war Berem? Wo waren Caramon und die anderen? Tanis erkannte mit einem stechenden Schmerz, daß er die anderen über Kitiara und Laurana fast vergessen hatte. Sein Kopf drehte sich. Ihm war, als ob er den Schlüssel zu allem in seiner Hand hielt, wenn er nur Zeit hätte, in Ruhe darüber nachzudenken.

Aber das war nicht möglich. Die düstere Form nahm an Intensität zu, bis ihre Schwärze eine kalte Leere des Nichts in dem Granitsaal zu schaffen schien. Unfähig wegzusehen, war Tanis gezwungen, in diese fürchterliche Leere zu schauen, bis er das beängstigende Gefühl hatte, hineingezogen zu werden. In dem Moment vernahm er eine Stimme in seinem Bewußtsein.

Wir haben euch nicht zusammengeführt, um mitanzusehen, wie eure kleinlichen Streitereien und noch kleinlicheren Ambitionen den Sieg beeinträchtigen, der, wie wir spüren, immer näher kommt. Vergiß nicht, wer hier herrscht, Lord Ariakus!

Ariakus sank wie die anderen im Saal auf die Knie. Tanis fand sich selbst in Ehrerbietung auf die Knie fallend wieder. Erkonnte nicht anders. Obwohl er von Abscheu und Haß erfüllt war über dieses leidbringende, entsetzliche Böse, so war es doch eine Göttin, eine, die an der Entstehung der Welt mitgewirkt hatte. Seit Beginn der Zeit herrschte sie – und sie würde bis zum Ende der Zeit herrschen.

Die Stimme sprach weiter, brannte sich in sein Bewußtsein und in das Bewußtsein aller Anwesenden.

Fürstin Kitiara, du hast uns in der Vergangenheit sehr zufriedengestellt. Dein Geschenk an uns stellt uns noch zufriedener. Bring mir die Elfenfrau, daß wir sie uns ansehen und über ihr Schicksal entscheiden.

Tanis beobachtete Lord Ariakus, der zu seinem Thron zurückkehrte, aber nicht ohne Kitiara einen giftigen, haßerfüllten Blick zuzuwerfen.

»Das werde ich, Eure Dunkle Majestät.« Kitiara verbeugte sich und befahl Tanis, ihr zu folgen, als sie an ihm vorbeiging.

Ihre Drakoniersoldaten traten zurück, um ihr einen Weg zu bahnen. Kitiara stieg die rippenähnlichen Stufen der Plattform hinab, gefolgt von Tanis. Die Soldaten teilten sich, um sie durchzulassen, dann schlossen sich die Reihen gleich wieder.

Als Kitiara die Mitte des Saales erreichte, ging sie eine schmale Treppe hoch, deren Stufen wie Stacheln aus dem Rükken der Schlange hervortraten, bis sie mitten auf der marmornen Plattform stand. Tanis folgte langsamer, die Stufen waren schmal und schwer zu besteigen, besonders da er die Augen der dunklen Form in der Nische auf seiner Seele ruhen spürte.

Kitiara drehte sich um und machte eine Handbewegung zum verzierten Tor am anderen Ende der schmalen Brücke, die die Plattform mit den Hauptwänden der Empfangshalle verband.

Eine Gestalt erschien in der Tür – eine dunkle Gestalt, gekleidet in die Rüstung eines solamnischen Ritters. Fürst Soth betrat die Halle, und bei seinem Kommen wichen die Soldaten auf beiden Seiten der schmalen Brücke zurück, als ob eine Hand aus dem Grab griff und sie wegstieß. In seinen bleichen Armen trug Fürst Soth einen Körper, der in weißes Tuch gewickelt war. Das Schweigen im Saal war so intensiv, daß man die Fußtritte destoten Ritters auf dem Marmorboden hören konnte, obwohl alle den Stein durch den durchsichtigen, fleischlosen Körper sehen konnten.

Fürst Soth überquerte mit seiner weißumhüllten Last die Brücke und ging langsam weiter, bis er zum Kopf der Schlange gelangte. Auf eine weitere Handbewegung von Kitiara legte er das Bündel vor den Füßen der Drachenfürstin auf den Boden.

Dann erhob er sich und verschwand plötzlich, ließ alle vor Entsetzen blinzeln und sich fragen, ob er wirklich dagewesen oder nur ein Trugbild ihrer überhitzten Fantasien gewesen war.

Tanis konnte Kitiara unter ihrem Helm lächeln sehen, amüsiert über die Wirkung, die ihr Diener hervorgerufen hatte.

Dann zog sie ihr Schwert und beugte sich, um die ersten Bänder zu durchtrennen, in die die Gestalt wie in einen Kokon eingewickelt war. Dann trat sie zurück und beobachtete, wie ihre Gefangene in dem Netz kämpfte.

Tanis erblickte eine Woge von verheddertem, honigfarbenem Haar, das Aufblitzen einer Silberrüstung. Hustend, fast erstickt durch die einschnürenden Bänder kämpfte sich Laurana aus dem weißen Stoff frei. Verkrampftes Gelächter der Soldaten begleitete die schwachen, zappelnden Bewegungen der Gefangenen – dies war offenbar ein Hinweis auf weitere Belustigungen. Instinktiv trat Tanis einen Schritt vor, um Laurana zu helfen. Dann spürte er, daß Kitiaras braune Augen auf ihm ruhten, ihn beobachteten, ihn daran erinnerten...

Wenn du stirbst – stirbt auch sie!

Sein Körper erbebte vor Eiseskälte. Der Halb-Elf hielt inne, dann trat er zurück. Schließlich taumelte Laurana benommen auf die Füße. Einen Moment lang blickte sie sich wirr um, blinzelte im flackernden Fackelschein. Ihr Blick richtete sich auf Kitiara, die ihr hinter dem Drachenhelm zulächelte.

Beim Anblick ihrer Feindin, der Frau, die sie verraten hatte, richtete sich Laurana auf. Einen Moment lang vergaß sie in ihrem Zorn ihre Angst. Gebieterisch wanderte ihr Blick nach unten, dann nach oben, dann über die ganze Halle. Glücklicherweise sah sie nicht nach hinten. Sie sah nicht den bärtigen Halb-Elfen in der Drachenrüstung, der sie scharf beobachtete. Statt dessen sah sie die Soldaten der Dunklen Königin, sie sah die Drachenfürsten auf ihren Thronen, sie sah die Drachen oben an der Decke. Schließlich blieb ihr Blick auf der dunklen Form der Königin der Finsternis haften.

Und jetzt weiß sie, wo sie sich befindet, dachte Tanis, der sich elend fühlte, denn aus Lauranas Gesicht war jede Farbe gewichen. Jetzt weiß sie, wo sie ist und welches Schicksal sie erwartet.

Welche Geschichten muß man ihr erzählt haben, in den Verliesen unterhalb des Tempels, wie hat man sie gequält mit Geschichten über die Todeskammern der Königin der Finsternis.

Vermutlich hat sie die Schreie der anderen gehört, dachte Tanis. Sie hatte ihre Schreie in der Nacht gehört, und jetzt, binnen Stunden, vielleicht Minuten, würde sie in diese Schreie einstimmen.

Mit leichenblassem Gesicht wandte sich Laurana wieder Kitiara zu, als ob sie der einzige Fixpunkt in einem wirbelnden Universum wäre. Tanis sah Lauranas zusammengepreßte Zähne, sie biß sich auf die Lippen, um sich zu beherrschen. Sie würde dieser Frau niemals ihre Angst zeigen, sie würde keinem hier ihre Angst zeigen.

Kitiara machte eine kleine Handbewegung.

Laurana folgte ihrem Blick.

»Tanis...«

Sich umwendend, sah Laurana den Halb-Elfen, und als ihre Augen sich trafen, sah Tanis in ihnen Hoffnung. Er spürte, wie ihre Liebe ihn umfing und ihn wie das Erwachen des Frühlings nach der bitteren Dunkelheit des Winters segnete. Denn Tanis hatte erkannt, daß seine Liebe zu ihr das Band zwischen seinen beiden miteinander im Krieg stehenden Hälften war. Er liebte sie mit der unveränderbaren, ewigen Liebe seiner Elfenseele und mit der leidenschaftlichen Liebe seines menschlichen Blutes. Aber die Erkenntnis kam zu spät, und jetzt würde er für diese Erkenntnis mit seinem Leben und mit seiner Seele zahlen.

Er konnte Laurana nur einen Blick zuwerfen. Ein Blick, indem die Botschaft seines Herzens liegen mußte, denn er spürte Kitiaras braune Augen, die ihn aufmerksam beobachteten. Und andere Augen waren auf ihn gerichtet.

Sich dieser Augen bewußt, zwang sich Tanis, in seinem Gesicht nichts über seine Gedanken zu enthüllen. Seine ganze Beherrschung aufbringend, spannte er seine Kiefer an, hielt seinen Blick sorgfältig ausdruckslos. Laurana hätte eine Fremde sein können. Kalt drehte er sich von ihr weg, und er sah die Hoffnung in ihren leuchtenden Augen flackern und sterben. So wie eine Wolke die Sonne verdunkelt, verwandelte sich Lauranas Liebe in schiere Verzweiflung, die Tanis frösteln ließ.

Er hielt den Knauf seines Schwertes fest umklammert, um sein Zittern zu unterdrücken, und wandte sich Takisis, der Königin der Finsternis, zu.

»Eure Dunkle Majestät«, rief Kitiara, während sie Laurana am Arm ergriff und nach vorn zog, »ich überreiche Euch mein Geschenk – ein Geschenk, das uns den Sieg bringen wird!«

Einen Moment lang war sie von stürmischem Beifall unterbrochen. Sie hob ihre Hand, erbat sich Ruhe und fuhr fort.

»Ich gebe dir die Elfenfrau Lauralanthalasa, Prinzessin der Qualinesti-Elfen, Befehlshaber der schädlichen Ritter von Solamnia. Sie war es, die die Drachenlanzen zurückbrachte, sie war es, die die Kugel der Drachen im Turm des Oberklerikers anwendete. Auf ihren Befehl reisten ihr Bruder und ein Silberdrache nach Sanction, wo sie es mit Hilfe der Unfähigkeit von Lord Ariakus schafften, in den heiligen Tempel einzubrechen und die Zerstörung der Eier der guten Drachen zu entdecken.«

Ariakus trat einen drohenden Schritt vor, aber Kitiara ignorierte ihn kühl. »Ich schenke sie Euch, meine Königin, damit Ihr mit ihr verfahrt, wie sie es Eurer Meinung nach verdient hat.«

Kitiara schleuderte Laurana nach vorn. Die Elfenfrau stolperte und fiel vor der Königin auf die Knie.

Du hast dich bewährt, Fürstin Kitiara, und du wirst reich belohnt werden. Wir werden diese Elfe in die Todeskammern führen lassen, dann werden wir dir deine Belohnung gewähren.

»Vielen Dank, Majestät.« Kitiara verbeugte sich. »Bevor wirunseren Handel abschließen, bitte ich Euch um zwei Dinge.«

Sie streckte ihre Hand aus und fing Tanis mit ihrem starken Griff. »Zuerst möchte ich Euch jemanden vorstellen, der in Eurer großartigen und siegreichen Armee dienen möchte.«

Kitiara legte eine Hand auf Tanis' Schulter und deutete mit einem festen Druck an, daß er sich hinknien sollte. Unfähig, den letzten Blick von Laurana aus seinem Bewußtsein zu löschen, zögerte Tanis. Er konnte sich noch immer von der Dunkelheit abwenden. Er konnte sich immer noch zu Laurana stellen, und sie würden gemeinsam dem Ende entgegensehen.

Dann grinste er höhnisch.

Wie selbstsüchtig ich bin, sagte er bitter, daß ich sogar in Erwägung ziehe, Laurana für einen Versuch zu opfern, meine eigene Dummheit zu decken. Nein, ich allein werde für meine Untaten bezahlen. Wenn ich nichts Gutes mehr in meinem Leben machen kann, dann will ich wenigstens sie retten. Und ich werde dieses Wissen mit mir tragen wie eine Kerze, die meinen Weg beleuchtet, bis die Dunkelheit mich verzehrt hat!

Kitiaras Griff war selbst durch die Drachenschuppenrüstung schmerzhaft. Die braunen Augen hinter dem Drachenhelm begannen vor Wut zu flimmern.

Langsam sank Tanis mit gebeugtem Kopf vor Ihrer Dunklen Majestät auf die Knie.

»Ich stelle Euch Euren demütigen Diener, Tanis, den Halb-Elfen, vor«, fuhr Kitiara kühl fort, obwohl Tanis eine Spur Erleichterung in ihrer Stimme zu erkennen glaubte. »Ich habe ihn zum Kommandanten meiner Armee ernannt, als Nachfolger meines verstorbenen Kommandanten Bakaris.«

Unser neuer Diener soll vortreten, hörte Tanis in seinem Bewußtsein.

Tanis spürte Kits Hand auf seiner Schulter, als er sich erhob.

Sie zog ihn zu sich. Schnell flüsterte sie: »Vergiß nicht, du bist jetzt das Eigentum Ihrer Dunklen Majestät, Tanis. Sie muß völlig überzeugt sein, oder nicht einmal ich werde dich retten können, und du wirst deine Elfenfrau nicht retten können.«

»Ich vergesse es nicht«, sagte Tanis ausdruckslos. Er schüttelte sich aus Kitiaras Griff frei, trat nach vorn, um am äußersten Rand der Plattform unter dem Thron der Dunklen Königin stehenzubleiben.

Hebe deinen Kopf. Sieh mich an, kam der Befehl.

Tanis nahm seinen ganzen Mut zusammen, bat tief in seinem Innern um Stärke, eine Stärke, von der er nicht sicher war, sie zu besitzen. Wenn ich versage, ist Laurana verloren. Um der Liebe willen, muß ich die Liebe verbannen. Tanis hob seine Augen.

Sein Blick wurde festgehalten. Wie hypnotisiert starrte er auf die dunkle Form, unfähig, sich abzuwenden. Es war nicht notwendig, sich zu Ehrfurcht und Verehrung zu zwingen, denn das kam von allein, so wie es mit allen Sterblichen geschah, die einen Blick auf Ihre Dunkle Majestät warfen. Aber selbst jetzt stellte er tief in seinem Innern fest, daß er immer noch frei war.

Ihre Macht war nicht vollkommen. Sie konnte ihn nicht gegen seinen Willen verzehren. Obwohl Takisis sich bemühte, diese Schwäche nicht zu enthüllen, war sich Tanis des Kampfes bewußt, den sie führte, um in die Welt zu treten.

Ihre dunkle Gestalt schwankte vor seinen Augen, enthüllte sich in all ihren Verkleidungen, bewies, daß sie über keine die Kontrolle besaß. Zuerst erschien sie ihm als fünfköpfiger Drache gemäß der solamnischen Legende. Dann änderte sich die Gestalt, und sie war die Verführerin – eine Frau, für die Männer ihr Leben geben würden. Eine neue Gestalt. Jetzt war sie der Dunkle Krieger, ein hochgewachsener und mächtiger Ritter des Bösen.

Aber obwohl sich die Gestalten änderten, blieben die dunklen Augen beständig, starrten in Tanis' Seele, die Augen des fünfköpfigen Drachen, die Augen der wunderschönen Verführerin, die Augen des furchterregenden Kriegers. Tanis fühlte sich ihrer Prüfung hilflos ausgesetzt. Er konnte es nicht ertragen, er hatte nicht die Kraft. Niedergeschlagen warf er sich wieder auf die Knie, vor der Königin kriechend, sich selbst verachtend, als er hinter sich einen qualvollen, würgenden Schrei hörte.

Загрузка...