Elf

Erneut war es eine Frage des richtigen Timings. Geary wartete und beobachtete, wie die Syndiks die Allianz-Flotte jagten. Bei einer Geschwindigkeit von 0,14 Licht schlossen sie die Lücke kontinuierlich. Der Sprungpunkt nach Ixion war noch etwas mehr als eine Stunde entfernt, aber die Verfolger würden sie deutlich eher einholen und in Feuerreichweite gelangen. Wann werden sie Raketen und Kartätschen abfeuern? Ich muss noch ein bisschen warten. Wir geraten allmählich in den äußersten Randbereich, den ihre Waffen erreichen können. Ein wenig werden sie noch warten, um eine Fehlermarge einzukalkulieren, falls wir in letzter Minute doch noch beschleunigen sollten. Noch nicht… jetzt! »An alle Einheiten, ändern Sie bei Zeit vier sieben die Formationsausrichtung um eins acht null Grad, ändern Sie den Kurs um eins vier Grad nach oben, und bremsen Sie ab auf 0,05 Licht. Alle Schiffe eröffnen das Feuer, sobald der Gegner in Waffenreichweite kommt.«

Während die Allianz-Schiffe den Bug herumdrehten, damit der auf die Syndiks gerichtet war, und den Hauptantrieb herunterfuhren, um die Fluggeschwindigkeit zu reduzieren, kam die feindliche Streitmacht immer schneller näher. Die Allianz-Schiffe flogen jetzt mit 0,05 Licht rückwärts, die Syndiks rasten mit viel höherer Geschwindigkeit auf sie zu.

Abermals wurden die Syndiks von einem Manöver überrumpelt, das ihnen kaum Zeit zum Reagieren ließ. Sie stießen ein Sperrfeuer aus Raketen und Kartätschen aus, doch nur das, was von den Schiffen abgefeuert wurde, die dem Punkt am nächsten waren, auf den die Allianz-Flotte zusteuerte, hatte eine Chance, einen Treffer zu landen. Die vorderen Ränder des Zylinders blitzten dann auch auf, als die Geschosse auf die Schilde trafen.

Die Allianz-Schiffe nahmen ihren Gegner ebenfalls unter Beschuss, sie zielten auf einen relativ kleinen Punkt in der riesigen Syndik-Mauer. Die Schilde der Syndik-Kriegsschiffe flammten an der Stelle annähernd in Kreisform auf, auf den die Allianz-Formation zusteuerte. Nicht weit von der Mitte dieses Kreises entfernt befand sich das Syndik-Flaggschiff. Bei einer relativen Geschwindigkeit von nicht ganz dreißigtausend Kilometern in der Sekunde war die feindliche Formation eben noch weit entfernt, und im nächsten Moment befand sie sich bereits hinter ihnen, da sich der Allianz-Zylinder durch die Syndik-Mauer gebohrt hatte wie eine Kugel durch ein Holzbrett.

Der Kontakt war nur einen Wimpernschlag später bereits Vergangenheit. Geary atmete erleichtert aus, obwohl ihm gar nicht bewusst gewesen war, dass er den Atem angehalten hatte. Die Dauntless erzitterte unter den Treffern, die die Syndiks in jenem Sekundenbruchteil hatten landen können, als die beiden Streitmächte sich so nahe gekommen waren, dass sie sich innerhalb der gegenseitigen Reichweite all ihrer Waffen befanden. »Schilde leicht geschwächt, punktuell ausgefallen, kleinere Treffer, keine Systemausfälle«, meldeten die Wachhabenden auf der Brücke der Dauntless sofort.

»An alle Einheiten, ändern Sie bei Zeit fünf neun die Formationsausrichtung um eins acht null Grad, beschleunigen Sie auf 0,1 Licht.«

»Wir fliegen ihnen noch mal entgegen?«, fragte Rione entsetzt.

»Das ist meine Absicht. Wenn sie abbremsen, um sich an unsere Geschwindigkeit anzupassen, dann stecken wir in großen Schwierigkeiten. Aber ich hoffe, sie nehmen an, dass wir vor ihnen davonfliegen und beschleunigen wieder.« Gearys Blick ruhte auf dem Display, wo die Schadensanzeigen beider Flotten aufgelistet wurden, als die Sensoren die Folgen des kurzzeitigen Kontakts analysierten.

»Zwei Schlachtschiffe«, stellte Desjani zufrieden fest. »Und drei Schlachtkreuzer außer Gefecht gesetzt. Einer davon war vermutlich das Flaggschiff.«

»Wollen wir's hoffen.«

Nur noch zehn bis zwanzig derart erfolgreiche Vorbeiflüge, und sie würden in diesem Sternensystem das Machtgleichgewicht wieder hergestellt haben. Es war nicht gerade ein Grund, hochnäsig zu werden. »Viel Schaden haben wir nicht angerichtet, aber beim nächsten Mal wird es schlimmer werden.«

Die Allianz-Schiffe hatten den Bug wieder komplett in die entgegengesetzte Richtung gedreht und waren nun erneut zum Sprungpunkt nach Ixion hin ausgerichtet — und damit auf die Syndik-Formation. Geary beobachtete deren Bewegungen und hoffte, sie würden kehrtmachen, um die Flotte weiter zu verfolgen.

Das taten sie auch, allerdings nicht schnell genug.

»Sie kommen uns wieder entgegen, aber wir werden sie mit einer relativen Geschwindigkeit von nur 0,02 Licht passieren«, meldete Desjani.

Das bedeutete, sie blieben länger in der Reichweite der gegnerischen Waffen und stellten ein leichteres Ziel für Raketen und Kartätschen dar, von denen der Feind viel mehr besaß als die Allianz-Flotte.

Nach all diesen Manövern wollte er sich lieber gar nicht ansehen, in welchem Zustand sich die Brennstoffzellen seiner Schiffe befanden. Aber es war letztlich auch nicht weiter wichtig. Sie mussten diese Manöver fliegen, sonst würde diese Flotte nicht lange genug überleben, um sich je wieder Gedanken über Brennstoffzellen zu machen.

Die Syndik-Formation faltete sich in sich selbst zusammen, um sich dort zu verdichten, wo die Allianz-Flotte sie durchfliegen würde. Doch zum Glück blieb ihnen nicht viel Zeit für dieses Manöver.

Die Mauer aus Syndik-Schiffen zog über sie hinweg, und die Schilde der Dauntless glühten vor feindlichen Treffern.

»Punktuelle Ausfälle am Bug und an den seitlichen Schilden, geringe Schäden durch Kartätschen-Einschläge. Mehrere Treffer mittschiffs durch Höllenspeere. Höllenspeer-Batterien 3A und 5B ausgefallen, geschätzte Reparaturzeit unbekannt, Zahl der Opfer unbekannt«, meldete der Wachhabende der Dauntless.

Geary musterte den Zustand seiner Flotte. Die Dauntless war im Vergleich zu den anderen Schlachtkreuzern noch glimpflich davongekommen. Duellos' Courageous hatte es schwer getroffen, die Daring hatte die Hälfte ihrer Geschütze verloren, die Leviathan und die Dragon wiesen Treffer am Antrieb auf, hielten aber fest entschlossen mit der Flotte mit. Die Formidable und die Incredible waren mittschiffs aufgeschlitzt worden. Sogar die Schlachtschiffe hatten Treffer hinnehmen müssen, auch wenn es keines von ihnen so schwer erwischt hatte wie die Schlachtkreuzer. Das Scout-Schlachtschiff Exemplar war mehrfach getroffen worden, aber wie durch ein Wunder waren keine wichtigen Systeme ausgefallen. Die Schweren Kreuzer Basinet und Sallet waren vernichtet worden, der eine war in einem Hagel aus Syndik-Geschossen explodiert, den anderen hatte es so schwer erwischt, dass er steuer- und antriebslos durchs All trudelte, während die Besatzung in Rettungskapseln die Flucht ergriff.

Die Leichten Kreuzer Spur, Damascene und Swept-Guard waren zerstört oder flugunfähig, und trotz ihrer geschützten Position inmitten des Zylinders waren auch die Zerstörer War-Hammer, Prasa, Talwar und Xiphos beschädigt worden.

Die Titan war wieder getroffen worden. Das Hilfsschiff schien Munition wie ein Magnet anzuziehen, doch wenigstens waren es keine bedenklichen Schäden. Trotz des Schmerzes, den ihm all diese Verluste bereiteten, verspürte Geary Zufriedenheit, als er den Zustandsbericht der Warrior, Orion und Majestic las. Die geschwächten Schilde und die neuen Schäden verrieten ihm, dass die drei Schlachtschiffe tatsächlich alles gegeben hatten, um die Hilfsschiffe zu beschützen.

Die Syndiks waren beim letzten Vorbeiflug nicht ungeschoren davongekommen, was der lokalen Überlegenheit der Feuerkraft der Allianz zu verdanken war. Ein weiteres ihrer Schlachtschiffe trieb steuerlos durchs All, drei Schlachtkreuzer waren entweder zerstört oder unrettbar beschädigt worden. Mehr als ein Dutzend Schwere Kreuzer waren außer Gefecht gesetzt oder komplett vernichtet worden, und die Wracks zahlreicher Leichter Kreuzer und Zerstörer übersäten den Weltraum.

»Noch ein Vorbeiflug?«, fragte Desjani mit gedämpfter Stimme, während sie die Schäden an ihrem Schiff verarbeitete.

»Nein. Dann müssten wir auch noch einmal aus der anderen Richtung attackieren, und dann würden sie uns in Stücke schießen. Wir sind weniger als eine Stunde vom Sprungpunkt entfernt. Wir nehmen Kurs auf ihn.«

Die Mauerformation der Syndiks, die durch zwei Begegnungen mit den Allianz-Schiffen und die Wendemanöver verformt und verdreht war, machte abermals kehrt und beschleunigte, um den Abstand zum Feind wieder zu verringern.

Sollte er trotzdem versuchen, die Syndiks noch einmal zu treffen? Versuchen, sie ein weiteres Mal zu überrumpeln? Geary sah sich aufmerksam den Status der Schilde seiner Schiffe an und überprüfte, wie wenige Phantome und Kartätschen noch vorhanden waren. Außerdem führte er eine überschlägige Bestandsaufnahme der Schäden an seinen Schiffen durch und kam zu dem Urteil, dass seine vorangegangene Einschätzung zutreffend gewesen war. Zwei weitere Vorbeiflüge an den Syndiks kämen einem Selbstmord gleich. Er besaß nicht den Vorteil der Geschwindigkeit oder der Entfernung, der notwendig gewesen wäre, um eine Flanke der Syndik-Formation zu treffen, die nicht mehr so hoch und so breit, dafür jetzt dicker war und den Raum hinter der Allianz-Flotte für sich in Anspruch nahm.

Fünfundvierzig Minuten bis zum Sprungpunkt, und die Allianz-Flotte würde auch noch abbremsen müssen, um das Minenfeld vor dem Sprungpunkt zu umfliegen.

Die Syndiks waren zu nah, und sie kamen schnell noch näher. Es würde nicht genügen. Er hatte alles versucht, was in seiner Macht stand, und doch genügte es nicht.

Er sah sich an, wie die Steuersysteme das Ergebnis der gegenwärtigen Geschwindigkeit und der Richtungsvektoren vorausberechneten, und er konnte dabei miterleben, wie die Syndiks den hinteren Bereich der Allianz-Flotte überholten. Allem Anschein nach blieb ihm nur die Wahl, die Schiffe ganz am Ende seiner Formation aufzugeben oder die Geschwindigkeit der Flotte insgesamt zu reduzieren, damit sie wieder den Anschluss fanden, und damit den Untergang für all seine Schiffe zu besiegeln. Also die Wahl zwischen mindestens einem Drittel seiner Flotte und der gesamten Flotte. Aber selbst wenn sie die Flucht antraten und so viele Schiffe ihrem Schicksal überließen, waren sie damit noch nicht in Sicherheit, denn sobald die Überlebenden Ixion erreichten, würde die Streitmacht der Syndiks kurz darauf dort eintreffen und sie weiter jagen.

»Captain Geary.« Ein kleines Fenster öffnete sich und zeigte Captain Mosko, der auf eine merkwürdig benommene Art völlig ruhig wirkte. »Meine Division ist von der Formation am weitesten entfernt und den Syndiks am nächsten.«

»Ja, ich weiß.« Die Siebte Schlachtschiffdivision hatte auf dem ersten Flug durch die Syndik-Formation die schwersten Treffer durch feindliche Raketen und Kartätschen einstecken müssen, während ihr das beim zweiten Vorbeiflug erspart geblieben war, als die Kriegsschiffe an der Vorderseite des Zylinders dem Feind begegneten. Nun würden die Syndiks sie aber erneut unter Beschuss nehmen, sobald sie die Allianz-Flotte eingeholt hatten. Und es gab nichts, was Geary dagegen hätte unternehmen können.

»Wir müssen die Syndiks daran hindern, den Rest der Flotte zu überholen, bevor der Sprungpunkt erreicht ist«, fuhr Mosko fort. »Wir… das heißt… meine Division. Ich würde das gern der Defiant übertragen, aber die kann das allein nicht bewerkstelligen. Gemeinsam mit der Audacious und der Indefatigable werden wir in der Lage sein, sie aufzuhalten.«

Plötzlich wurde ihm klar, was Mosko damit meinte. »Den Befehl kann ich Ihnen nicht geben.«

»Doch, das können Sie«, erwiderte der Captain. »Aber ich weiß, wie schwer Ihnen das fallen würde. Und es ist ja nicht so, als hätten Sie selbst nicht auch schon so etwas gemacht. Wir sind alle mit den Geschichten über Grendel aufgewachsen, und wir haben uns geschworen, ganz genauso zu handeln, wenn es jemals dazu kommen sollte. Das gehört zu den Dingen, die ein Schlachtschiff macht, Captain Geary.« Er klang jetzt fast reumütig. »Wenn es erforderlich ist, setzen wir unsere Feuerkraft, unsere Schilde und unsere Panzerung ein, um andere Schiffe zu beschützen. Sie verstehen schon. Ein Himmelfahrtskommando. Meine Schiffe und meine Leute melden sich freiwillig, weil das eine der Missionen ist, die wir ausführen sollen, wenn die Umstände es erfordern. Sie müssen den Befehl nicht erteilen, Sir. Wir melden uns freiwillig, und wir tun es im Sinne und nach dem Vorbild von Black Jack Geary.«

Geary war mit dem Begriff Himmelfahrtskommando nur vertraut, weil er ihn im Rahmen der Beschreibung seiner eigenen verzweifelten Verteidigungsmaßnahmen gelesen hatte. Eine Nachhut, von der man nicht erwartete, dass sie überlebte. Die wusste, sie würde geopfert werden, um den Rest der Streitmacht zu retten. Eine Nachhut, die das im Sinne und nach dem Vorbild von Black Jack Geary tat.

Das Schlimmste daran war, dass er selbst genauso gehandelt hatte, wie Mosko es jetzt beabsichtigte, und daher konnte er es ihm nicht verbieten. Er benötigte tatsächlich diese drei Schlachtschiffe, um die Syndiks davon abzuhalten, die Flotte einzuholen und hier bei Lakota zu vernichten.

Etwas kam ihm in den Sinn, ein alter Text, den er zuvor nur selten gehört hatte. »Captain Mosko, auf Sie und Ihre Schiffe und deren Besatzungen… Mögen die lebenden Sterne Sie willkommen heißen und in Ihrem Mut erstrahlen. Mögen Ihre Vorfahren bereitstehen, um Sie in ihre Arme zu schließen. Möge die Erinnerung an Ihre Namen und Taten im Geiste all jener leuchten, die nach Ihnen kommen. Sie sind nicht verloren und vergessen, denn man wird immer Ihre Ehre und Ihre Tapferkeit in Erinnerung behalten.«

Mosko setzte sich etwas gerader hin, als Geary den alten Segen sprach, der einer offenbar aussichtslosen Schlacht vorausging. »Mögen unsere Taten unserer Vorfahren würdig sein«, gab er zurück. »Captain Geary, wenn Sie den letzten Syndik geschlagen haben, und ich glaube bei den lebenden Sternen, dass Ihnen das gelingen wird, dann sorgen Sie dafür, dass alle Überlebenden dieser Schiffe befreit werden und dass man sich ihrer so annimmt, wie sie es verdient haben. Ich werde Sie eines Tages auf der anderen Seite wiedersehen. Irgendwelche Nachrichten, die ich überbringen kann?«

»Ja. Wenn Ihnen der Geist von Captain Michael Geary begegnen sollte, dann lassen Sie ihn wissen, dass ich mein Bestes gebe.« Sein Großneffe, der fast sicher mit seinem Schiff Repulse im Syndik-Heimatsystem ums Leben gekommen war.

»Selbstverständlich. Und wenn Sie mit der Flotte zu Hause ankommen, berichten Sie bitte meiner Familie von mir.« Mosko salutierte. »Auf die Ehre unserer Vorfahren.«

Der Fenster schloss sich, und mit ihm verschwand Captain Mosko.

»Captain?«, fragte Desjani, die nichts von der Unterhaltung mitbekommen hatte.

Er schüttelte den Kopf, atmete tief durch und zeigte auf das Display, wo die Audacious, die Defiant und die Indefatigable soeben drehten, um ihren Antrieb als Bremse zu benutzen. »Die Siebte Schlachtschiffdivision wird sich zurückfallen lassen, um als Nachhut zu dienen«, brachte er heraus. »Sie haben sich freiwillig gemeldet.«

Desjani nickte ernst. »Ja, natürlich.« In diesem Moment wusste Geary, wenn die Dauntless in eine solche Situation geraten sollte, dann würde Desjani genauso handeln. Nicht mit Begeisterung, und auch nicht als eine Gelegenheit für eine heldenhafte Erlösung, sondern weil sie wusste, andere würden auf sie zählen. Letztlich war es nur das, worauf es ankam. Man tat, was man für die tun musste, die auf einen zählten, weil man sie sonst nur enttäuschen konnte. »Ich gehe davon aus«, redete Desjani weiter, »dass Captain Mosko seine Schiffe drei Lichtminuten weit zurückfallen lassen wird, um dann diese Position zu halten.«

»Drei Lichtminuten«, wiederholte Geary.

Rione hatte sich zu ihm gestellt und beugte sich vor. »Muss das sein?«, fragte sie leise.

»Ja.«

Sie musterte ihn, und zur Abwechslung hatte sie diesmal offenbar keine Schwierigkeiten ihm anzusehen, wie sehr er diese Entscheidung bereute. »Wird es etwas bewirken?«

»Wenn es etwas gibt, das diese Flotte retten kann, dann wird es deren Opfer sein.«

Für sich betrachtet verfügte ein einzelnes Schlachtschiff über beträchtliche Feuerkraft, dazu gesellten sich schwere Schilde und eine massive Panzerung. Drei Schlachtschiffe zusammen waren eine Streitmacht, die es in sich hatte und die nicht mal von der Zahl an Syndik-Kriegsschiffen unterschätzt werden durfte.

Captain Mosko näherte sich mit der Audacious, der Defiant und der Indefatigable den heranstürmenden Syndiks und brachte die drei Schiffe in ein vertikales Dreieck, bei dem die Defiant die Spitze bildete. Alle Schlachtschiffe blieben dabei dicht genug beieinander, um sich gegenseitig zu decken und Feuerschutz zu geben. Nachdem sie weit genug zurückgefallen waren, ließ er die drei wieder beschleunigen, damit ihre Geschwindigkeit der der Syndiks entsprach. Die konnten damit die kleine Allianz-Formation nur mit geringer relativer Geschwindigkeit überholen und boten ein viel leichteres Ziel.

Allerdings bedeutete das umgekehrt, dass die drei Schlachtschiffe für die Syndiks ebenfalls ein leichtes Ziel darstellten.

Die verbliebenen Phantome und Kartätschen wurden von den drei Schiffen ausgestoßen, als die vordersten Leichten Kreuzer und die Jäger der Syndiks in Feuerreichweite gelangten. Etliche der leichteren feindlichen Schiffe flogen Ausweichmanöver nach links und rechts oder nach oben und unten, um dem Beschuss aus dem Weg zu gehen. Dabei mussten sie so stark verzögern, dass es ihnen nicht mehr gelingen würde, die Allianz-Flotte noch einzuholen.

Ungefähr zwanzig Jäger und ein halbes Dutzend Leichte Kreuzer versuchten, an der Siebten Schlachtschiffdivision vorbeizukommen, aber als die Jäger in Feuerreichweite der Höllenspeere gerieten, schossen die geladenen Partikelspeere durch das All und bohrten sich von verschiedenen Seiten in die leichten Raumfahrzeuge.

Das Weltall wurde von grellen Lichtern erhellt, da Schilde aufflammten und aufflackerten, dann rissen die nächsten Treffer Löcher in die Schiffe und töteten Besatzungsmitglieder. Jäger und Leichte Kreuzer vergingen in leuchtenden Kugeln aus Trümmern und Gas, die Überreste wirbelten durch das All, während andere Schiffe einfach nur verstummten, da alle Systeme ausfielen, und anschließend von der Wucht der folgenden Treffer hin und her geschleudert wurden.

Keine der leichten Syndik-Einheiten kam durch, aber dahinter befanden sich die Schweren Kreuzer und die Schlachtkreuzer. Für sich betrachtet, konnte keines von ihnen ein Schlachtschiff in die Knie zwingen. Doch diese Kriegsschiffe rückten als erdrückende Übermacht vor.

Geary ballte die Fäuste und sah hilflos mit an, wie sich der Pulk der Syndik-Flotte Moskos Schiffen näherte.

»Phantome«, sagte Desjani plötzlich.

Sie hatte recht. Er konnte helfen. Die Gefechtssysteme bestätigten, dass die Nachhut sich in äußerster Reichweite der Phantome befand, über die die Allianz-Flotte noch verfügte. »An alle Schiffe, feuern Sie sämtliche verbliebenen Phantome auf die Syndik-Kriegsschiffe rings um die Allianz-Schiffe Audacious, Defiant und Indefatigable ab. Ich wiederhole: sämtliche verbliebenen Phantome!«

Die Raketen wurden gestartet, wählten eigenständig ihr Ziel aus und beschleunigten, um den Allianz-Schlachtschiffen zu helfen, die von den Syndiks unerbittlich beschossen wurden. Es waren nicht annähernd genug Phantome, sie reichten allenfalls aus, um die verfolgenden Syndiks ein wenig abzulenken und einen Teil des Sperrfeuers von den Allianz-Schiffen auf sich zu ziehen. Dennoch waren sie besser als gar nichts, da sie unter anderem genügend Treffer bei einem Schweren Kreuzer der Syndiks landen konnten, um ihn außer Gefecht zu setzen. Außerdem beschädigten sie ein paar Schlachtkreuzer, deren Schilde durch den Beschuss mit Höllenspeeren von der Audacious, der Defiant und der Indefatigable geschwächt worden waren. Aber von weiter hinten rückten immer mehr Schwere Kreuzer und Schlachtkreuzer vor, und sogar die Syndik-Schlachtschiffe kamen allmählich in Feuerreichweite.

Die Defiant musste am meisten einstecken, ihre Schilde glühten unter der Wucht der gegnerischen Treffer. Die Audacious schaltete einen weiteren Schweren Kreuzer aus, dann feuerte sie ihre Höllenspeere auf einen Schlachtkreuzer ab, während die Indefatigable von einer ganzen Division Schlachtkreuzer unter Beschuss genommen wurde. Mit ihrem Null-Feld konnte sie einen soliden Treffer landen, als ein Schlachtkreuzer versuchte, sich zu dicht an ihr vorbeizuschieben.

Es bereitete körperliche Schmerzen, den drei Schlachtschiffen zuzusehen, wie sie von einer immer erdrückender werdenden Übermacht von Syndik-Schlachtkreuzern geprügelt wurden, doch sie erfüllten ihre selbst gewählte Mission. Die vorderen Reihen der Syndik-Flotte wurden am Vorrücken gehindert, sie wurden beschossen, und sie versuchten auszuweichen. Die Allianz-Flotte dagegen war inzwischen in Reichweite des Sprungpunkts vorgedrungen.

Die Allianz-Formation näherte sich dem Sprungpunkt schräg von oben, um das Minenfeld der Syndiks zu umgehen. »Alle Einheiten, Geschwindigkeit auf 0,04 Licht reduzieren, und dann folgen Sie den Flugbewegungen der Dauntless«, befahl Geary. Da es jetzt auf jede Sekunde ankam, wollte er sich nicht mit detaillierten Kursvorgaben beschäftigen, und ebenso wenig stand ihm der Sinn danach, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, ob jede Einheit minutiös ihre vorgegebene Position einhielt.

Die Dauntless hatte sich gedreht, ihr Bug zeigte nun in Richtung Feind, während der Antrieb sich einschaltete, um das Tempo zu drosseln. Ringsum folgten die anderen Schiffe unterschiedlich schnell ihrem Vorbild, da nicht jeder Antrieb gleichermaßen leistungsfähig war.

Die Displays aktualisierten ständig die Daten, um die näher kommenden Syndiks anzuzeigen, die sich ihren Weg um die trudelnden Schiffe der Siebten Schlachtschiffdivision herum zu bahnen bemühten. Sie kamen nun wieder schneller hinter ihnen her, nachdem die Allianz-Flotte mit ihrem Bremsmanöver begonnen hatte.

Desjani wandte den Blick nicht von ihrem Display ab, als die Dauntless an einer Seite des Sprungpunkts den geschätzten Rand des Minenfelds überwand. »Kurs ändern um eins acht null Grad nach unten und null fünf Grad nach Backbord. Jetzt!«, befahl sie.

Die Dauntless drehte sich und sank nach unten, als würde sie in den Sprungpunkt eintauchen, der Rest der Allianz-Kriegsschiffe folgte wie eine Welle.

Die Syndik-Streitmacht mit vier Schlachtschiffen und vier Schlachtkreuzern, die sie zuletzt bei Ixion gesehen hatte, entschied sich genau für diesen Augenblick, um aus dem Sprungpunkt zum Vorschein zu kommen und nach oben zu fliegen, sodass die eintreffenden Syndiks und die fliehende Allianz-Streitmacht genau aufeinander zuflogen.

Das Einzige, was eine Katastrophe in letzter Minute verhinderte, war die Tatsache, dass die Syndiks nicht damit gerechnet hatten, in exakt der Sekunde auf eine feindliche Streitmacht zu treffen, in der sie den Sprungraum verließen. Während der wenigen Augenblicke, die die Syndik-Crews benötigten, um überhaupt zu begreifen, wie ihnen eigentlich geschah, um dann zu reagieren und das Feuer zu eröffnen, entfesselten die sie umgebenden Allianz-Kriegsschiffe einen wahren Orkan aus Höllenspeeren, der die leichteren Einheiten sofort auslöschte und drei der vier Schlachtkreuzer aufriss.

Die vier Schlachtschiffe jedoch flogen weiter. Ihre Schilde wurden unter dem Beschuss durch die Allianz-Flotte regelrecht zerfetzt, aber die feindlichen Schiffe erwiderten nun das Feuer und flogen geradewegs auf die vier Hilfsschiffe zu. Da der Kontakt in wenigen Sekunden erfolgen würde, blieb der Titan, der Witch, der Jinn und der Goblin keine Zeit mehr für ein Ausweichmanöver.

Aber die Warrior, die Orion und die Majestic waren noch immer da, um sie zu schützen. Die Orion schien in den Momenten vor dem Kontakt zurückzuschrecken, die Majestic bewegte sich ein wenig seitlich des Geschehens, doch die Warrior befand sich genau zwischen den Hilfsschiffen und den

Syndik-Schlachtschiffen. Sie wich nicht aus, sondern feuerte aus allen verfügbaren Batterien Höllenspeere ab, während die vier gegnerischen Schiffe das einzelne Schiff unter massiven Beschuss nahmen.

Hätte das Gefecht länger als nur ein paar Sekunden gedauert, wäre dies das Ende der Majestic gewesen. Doch die Syndiks ergriffen plötzlich wie in Panik die Flucht, und das, wo zwei der Schiffe von Treffern der Allianz durchlöchert und kaum noch funktionstüchtig waren. Die Warrior, die erneut von Syndik-Feuer erschüttert worden war, hielt tapfer durch, während die Hilfsschiffe mit dem Rest der Flotte Kurs auf den Sprungpunkt nahm.

Innerhalb weniger Momente nach ihrem Auftauchen war die Syndik-Streitmacht von der Allianz-Flotte dezimiert worden, die im Weiterflug zusätzliche Zerstörungen anrichtete und schockierte Syndik-Überlebende zurückließ.

Von der Siebten Schlachtschiffdivision war inzwischen nicht mehr viel übrig. Die Syndiks hatten sie eingeholt und schossen nun systematisch die Audacious, die Defiant und die Indefatigable in Stücke. Die Indefatigable verfügte nur noch über eine einzige Höllenspeer-Batterie, aber sie feuerte auf den Feind, so gut sie konnte. Von der Audacious war nur noch ein stummes Wrack übrig, das langsam zur Seite wegfiel, während die Defiant mehrere Breitseiten fast gleichzeitig einstecken musste und von zwei schweren Explosionen mittschiffs und nahe dem Heck zerrissen wurde.

»Captain Geary? Captain Geary! Die Flotte hat den Sprungpunkt erreicht!«

Er wandte seinen Blick von den letzten Momenten im Leben der Defiant ab und versuchte, nichts von dem Trümmerfeld wahrzunehmen, das das Universum zu überziehen schien, ebenso von den Syndik-Raketen, die sich nach hinterher eilenden Allianz-Schiffen streckten, von den beschädigten Kriegsschiffen, die sich bemühten, mit der Flotte mitzuhalten, von den Wracks der Syndik-Streitmacht, mit der sie fast kollidiert wären. »Alle Einheiten: Springen Sie jetzt!«

Die Sterne verschwanden, das Schwarz zwischen den Sternen zuckte davon, und dann war vom letzten Aufbäumen der Audacious, der Defiant und der Indefatigable nichts mehr zu sehen. Das galt auch für das ferne, verlassene Wrack der Paladin und die im All treibenden Überreste der Renown. Auch das Hypernet-Portal war fort und mit ihm alle Syndik-Flotten. Wo eben noch eine verbissene Schlacht getobt hatte und wo Wracks durch das Vakuum schlingerten, herrschten jetzt nur noch das endlose graue Nichts, die Stille und die wandernden Lichter des Sprungraums.

Er war noch nie direkt aus einer Schlacht in den Sprungraum übergewechselt, und er hatte auch nie erwartet, praktisch auf der Türschwelle eines Sprungpunkts in ein Gefecht verwickelt zu werden. Geary spürte, wie sein Herz raste. Sein Atem hörte sich ohrenbetäubend laut an in der Stille, die sich abrupt über die Brücke der Dauntless gelegt hatte, während alle anderen genauso fassungslos dasaßen und den jähen Wechsel von hektischem Trubel zu absoluter Ruhe zu begreifen versuchten. Er schloss die Augen und versuchte zu erfassen, was soeben geschehen war. Drei weitere Schlachtschiffe verloren. Insgesamt vier Schlachtschiffe und ein Schlachtkreuzer. Zwei Schwere Kreuzer. Leichte Kreuzer und Zerstörer. Dutzende Schiffe in der Flotte in unterschiedlichem Maß beschädigt. Den größten Teil der verbliebenen Syndik-Streitmacht, die ihnen zahlenmäßig nach wie vor weit überlegen war, im Nacken. Die Syndiks würden eine Weile benötigen, um die Audacious, die Defiant und die Indefatigable vollständig zu erledigen. Dann würden sie sich neu ordnen und ihnen durch Sprungpunkt nach Ixion folgen. Im Sprungraum konnten sie die Allianz-Schiffe nicht attackieren, sie waren für sie hier ja nicht mal zu sehen, da jede Gruppe von Schiffen sich in ihrer eigenen trostlosen Realität zu bewegen schien.

Aber bei Ixion würde die Allianz-Flotte in den Normalraum zurückkehren, und die Syndiks würden dann nicht lange auf sich warten lassen.

Geary stand auf, da er das Gefühl hatte, tagelang ohne Unterbrechung in seinem Kommandosessel zugebracht zu haben. Er blickte zu Captain Desjani, die ihn ernst anschaute. Das war wohl der Moment, um etwas zu sagen. »Danke, Captain. Die Dauntless hat sich gut geschlagen. Widmen Sie sich bitte den Schadensberichten und Ihrer Crew.«

Als er sich aufrichtete, merkte er, dass die Wachhabenden auf der Brücke ihn ansahen, als wäre er ein Rettungsring, der sie vor dem Ertrinken bewahren konnte. Was sollte er zu ihnen sagen? »Gut gemacht.«

Er wollte zur Luke gehen, da rief ihm ein junger Lieutenant voller Verzweiflung nach: »Was werden wir machen, Sir? Wenn wir Ixion erreicht haben?«

Wenn er das bloß wüsste! »Ich werde mich mit unseren Möglichkeiten beschäftigen.« Er zwang sich, eine zuversichtliche Miene zu zeigen. »Wir liegen nicht am Boden.« Für den Augenblick war das eine korrekte Aussage. Für den Augenblick.

Sie nickten und schienen neuen Mut zu fassen, während Geary von einer schweigsamen Rione begleitet die Brücke verließ.

Das Grau des Sprungraums schien auf seine Seele übergesprungen zu sein. Geary saß im Sessel zusammengesunken in seinem Quartier, während sich seine Gedanken ständig nur im Kreis drehten und seine Erinnerung wieder und wieder zeigte, wie ein Schiff nach dem anderen zerstört wurde.

»Es war ein anstrengender Tag«, sagte Rione schroff. Sie saß ein Stück weit von ihm entfernt, ihr Gesicht wirkte, als sei sie an diesem einen Tag um ein paar Jahrzehnte gealtert. »Reiß dich zusammen, wir müssen uns auf Ixion vorbereiten.«

»Ixion?« Geary machte sich nicht die Mühe, verächtlich zu lachen. »Was soll ich denn in Ixion machen?«

»Ich weiß nicht. Ich bin nicht der Befehlshaber dieser Flotte. Und wenn du gar nichts tust, wirst du diesen Posten auch nicht mehr lange innehaben.«

»Wenn das ein dezenter Hinweis darauf sein soll, dass die Vernichtung dieser Flotte bei Ixion unausweichlich zu sein scheint…«

»Nein!« Sie gestikulierte heftig. »Das ist es nicht. Es ist ein großes Problem, bei dem ich dir nicht behilflich sein kann, weil ich nicht weiß, wie man eine Flotte befehligt. Aber es sind nicht nur die Syndiks, über die du dir Gedanken machen musst«, erklärte sie. »Dein Schicksal und deine Position sind eng mit dem Schicksal und dem Zustand dieser Flotte verbunden. Momentan ist diese Flotte verwundet, und damit bist du auch verwundet. Was geschieht mit einem verwundeten Hirsch, John Geary?«

Das Bild, das sie heraufbeschwor, behagte ihm nicht, doch ihm war klar, wie recht sie hatte. »Er wird zu einem verlockenden Ziel für Wölfe, die sich zusammenrotten, ihn angreifen und zu Boden ringen.«

»Du kennst einige Wölfe in dieser Flotte, aber nicht alle. Seit du das Kommando übernommen hast, stellen sie dich immer wieder auf die Probe, um nach Schwächen zu suchen und um dich zu Fall zu bringen. Trotzdem hast du jedes Mal gewonnen und richtig gelegen, sodass sie nicht genug Anhänger auf ihre Seite ziehen konnten. Jetzt haben sie Blut geleckt, und bei der nächstbesten Gelegenheit werden sie sich auf dich stürzen. Sobald diese Flotte Ixion erreicht, werden sie auf ihre Chance lauern und gegen dich vorgehen. Nach allem, was bei Lakota geschehen ist, wirst du von desillusionierten und verängstigten Offizieren keinen Rückhalt bekommen.«

Es gelang ihm, genügend Zugang zu seinen Gefühlen zu finden, um Rione einen wütenden Blick zuzuwerfen. »Wenn du mich mit deiner kleinen Ansprache motivieren willst, damit ich wieder die Initiative ergreife, dann muss ich dir leider sagen, dass bei dir auf dem Gebiet noch großer Nachholbedarf besteht.«

Sie konterte mit einem ebenso giftigen Blick. »Meinst du, nur du bist hier die Zielscheibe? Jeder weiß, ich bin deine Verbündete und deine Liebhaberin. Zumindest ein paar deiner Widersacher in dieser Flotte haben herausgefunden, dass mein Mann bei seiner Gefangennahme noch lebte. Ja, da bin ich mir ganz sicher. Sie warten darauf, diese Information dann einzusetzen, wenn sie den größten Schaden anrichten wird. Das wird bei Ixion der Fall sein. Dort wird man deine Liebhaberin als eine Opportunistin entlarven, die keinen Funken Ehre besitzt. Auf dich wird das abfärben, weil du mich verteidigst, oder aber du wirst wie ein Schwächling dastehen, weil du zulässt, dass andere mich schneiden. Nicht jede Waffe, die auf dich gerichtet wird, muss auch zwangsläufig dich treffen.«

Ihm kam nichts Vernünftiges in den Sinn, was er dazu sagen sollte, abgesehen von einem schwachen, hilflosen: »Es tut mir leid.«

»Soll ich dir dafür etwa dankbar sein?«, fuhr Rione ihn an, stand auf und ging in seinem Quartier wütend auf und ab. »Du musst mich nicht verteidigen. Ich kam aus freien Stücken zu dir, und wenn ich Schande über mich bringe, dann ist das ganz allein meine Schuld.«

»Ich werde dich verteidigen.«

»Erspar mir deine Ritterlichkeit!« Mit einem Zeigefinger fuchtelte sie zornig vor seinem Gesicht hin und her. »Verteidige lieber diese Flotte! Die braucht dich! Ich kann sie nicht retten. Ich kann den Männern und Frauen der Flotte sagen, wie sehr ich sie bewundere und respektiere. Ich kann ihnen sagen, wie sehr die Allianz ihren Dienst und ihre Aufopferung zu schätzen weiß. Aber ich kann ihnen keine Befehle erteilen. Ich weiß gar nicht, wie das geht. Und das gilt für jeden deiner Verbündeten. Ich weiß, du erwartest von Captain Duellos, dass er deine Nachfolge antritt. Aber er wird noch viel mehr Widerstand begegnen als du, und er wird scheitern.«

Jetzt wurde er auch allmählich wütend. »Willst du damit vielleicht sagen, ich sei nicht zu ersetzen? Niemand außer mir könne diese Flotte befehligen? Seit wir uns das erste Mal unterhalten haben, bekomme ich von dir zu hören, ich solle es bloß nicht wagen, so etwas jemals zu glauben! Und wenn doch, dann würde ich damit den Untergang dieser Flotte besiegeln und auch den Untergang der Allianz. Und ob du es mir glaubst oder nicht, Victoria Rione, aber ich höre dir zu und lasse mir deine Worte gründlich durch den Kopf gehen. Ich bin nicht Black Jack.«

»Doch, der bist du.« Rione kam näher und legte beide Hände an seinen Kopf, um ihm in die Augen zu sehen. »Du bist Black Jack. Der bist du wirklich. Kein Mythos, sondern der einzige Mensch, der diese Flotte und die Allianz retten kann. Lange Zeit habe ich das nicht geglaubt. Ich habe nicht an diesen Mythos geglaubt. Vielleicht bist du ja auch gar nicht dieser Mythos,… aber die Legende gibt dir die Fähigkeit, andere zu inspirieren und zu führen. Diese Fähigkeit hast du nicht missbraucht. Und genauso wichtig ist, dass du das Wissen mitgebracht hast, wie man kämpft. Ein Wissen, das diese Flotte schon einige Male gerettet und den Syndiks schwere Verluste zugefügt hat. Und das kannst du wieder machen, weil so viele dich für Black Jack halten und weil du die Dinge vollbracht hast, die man nur von Black Jack erwarten konnte.«

»Ich kann nicht…«

»Du musst!« Sie wich wieder ein paar Schritt zurück. »Ich sage nicht die richtigen Dinge. Wir haben das Bett geteilt und kennen uns körperlich, während unsere Seelen voreinander verborgen geblieben sind. Du brauchst jemanden, an dessen Worte du glaubst, jemanden, der zu dir in der Form sprechen kann, die dir als Befehlshaber der Flotte vertraut ist.«

Der Zorn war verflogen, Müdigkeit machte sich wieder breit. »Worte werden nichts ändern, ganz egal, wer sie spricht.« Worte konnten nichts am Zustand der Flotte ändern, sie machten die Verluste nicht ungeschehen. Und sie änderten auch nichts an der Größe der Syndik-Streitmacht, von der sie nach Ixion verfolgt wurden.

»Das werden wir ja sehen.« Rione verließ sein Quartier, und lediglich die Automatik verhinderte, dass sie die Luke hinter sich zuschlug.

Irgendwann später wurde die Türglocke betätigt, was ihm verriet, dass es nicht Rione war, die sich an einer weiteren Motivationsrede versuchen wollte, denn sie hätte einfach hereinkommen können. »Ja, herein?«

»Captain Geary, Sir?« Captain Desjani stand in der Tür und sah ihn unsicher an.

Geary bemühte sich, gerade in seinem Sessel zu sitzen, und zog seine Uniform zurecht. »Entschuldigung, Captain Desjani.« Er sollte noch etwas sagen. »Was führt Sie zu mir?«

»Ich… Darf ich mich setzen, Sir?«

Darum hatte sie ihn noch nie gebeten, folglich war das kein routinemäßiger Besuch — aber darauf hätte er auch so kommen müssen. »Natürlich. Entspannen Sie sich.« Frag sie nach ihrem Schiff, du Idiot. »Was macht die Dauntless?«

Sie setzte sich, aber natürlich entspannte sie sich nicht. »Unsere Höllenspeer-Batterien arbeiten alle wieder. Im Munitionsdepot befindet sich nur noch eine Teilsalve Kartätschen, Phantome überhaupt keine mehr. Der Schaden an der Hülle wird bei der Ankunft im Ixion-System noch nicht vollständig behoben sein, aber wir werden alles so flicken, dass wir wieder kämpfen können.« Sie hielt inne. »Wir haben siebzehn Besatzungsmitglieder verloren, sechsundzwanzig sind so schwer verletzt, dass sie vorläufig ihren Dienst nicht verrichten können.«

Siebzehn Tote. Er fragte sich, wie viele er von ihnen wohl wiedererkannt hätte. Vermutlich die meisten. »Ich werde an der Totenfeier teilnehmen. Lassen Sie mich wissen, wann sie stattfindet.« Die Beerdigungen konnten erst nach der Ankunft bei Ixion vorgenommen werden. Niemals wurden irgendwelche sterblichen Überreste dem Sprungraum überantwortet.

»Selbstverständlich, Sir.« Desjani wandte den Blick für einen Moment ab, dann sprach sie hastig weiter: »Sir, Co-Präsidentin Rione hat mich gebeten, mit Ihnen zu sprechen. Sie sagt, unsere Verluste bei Lakota hätten Sie schwer getroffen, und sie meint, ich sei womöglich in der Lage, mit Ihnen darüber zu reden.«

Na, großartig! Als ob es nötig war, dass Desjani ihn deprimiert erlebte! Warum konnte Rione nie etwas auf sich beruhen lassen? »Danke, aber das halte ich nicht für erforderlich.«

Sie sah ihn an, musterte sein Gesicht und seine Uniform, dann sagte sie: »Sir, bei allem Respekt, doch danach sieht es nicht aus.«

Er konnte Desjani eine wütende Bemerkung an den Kopf werfen, aber das wäre ungerecht gewesen, und es hätte auch zu viel Mühe gekostet. »Schon verstanden. Okay.«

Wieder schwieg sie, als warte sie ab, ob er tatsächlich einverstanden war, dann erklärte sie eindringlich: »Ich wusste, Ihnen würden die Verluste zu schaffen machen, Sir. Das ist Ihre Art. Es gehört mit zu den Dingen, die Sie zu einem so großartigen Befehlshaber machen. Aber Sie sind auch jemand, der versteht, warum der Kampf weitergehen muss. Das konnte ich so oft beobachten. Sie müssen sich eigentlich weder von mir noch von irgendwem anders gut zureden lassen. Sie bekommen sich wieder in den Griff, und dann denken Sie sich aus, was getan werden muss. Und dann werden wir die Syndiks wieder schlagen.«

»Diesmal haben wir sie nicht geschlagen.« So ungern er das auch sagte, doch diese Wahrheit musste ausgesprochen werden.

Desjani dachte kurz nach und schüttelte den Kopf. »Das stimmt nicht, Sir. Die Syndiks wollten uns in eine Falle locken und vernichten. Es ist ihnen nicht gelungen. Wir wollten Lakota verlassen, und genau das haben wir geschafft.«

Das machte ihn stutzig, denn genau genommen hatte Desjani völlig recht. Wenn man es so betrachtete, dann hatten die Syndiks verloren, und die Allianz-Flotte hatte gesiegt, da es ihr gelungen war, zu überleben und zu entkommen. Dennoch… »Danke, Tanya. Aber… wir haben viele Schiffe verloren. Ein Schlachtkreuzer, vier Schlachtschiffe…«

»Ja, Sir, ich weiß«, unterbrach sie ihn. »Ich wünschte, dieser Sieg wäre so wie die anderen verlaufen, bei denen die Verluste vernachlässigt werden konnten. Aber nicht jedes Gefecht kann so glimpflich ablaufen, erst recht nicht, wenn wir mit einer solchen Übermacht konfrontiert werden.«

Eigentlich sollte sie ihm diese Dinge gar nicht erst noch sagen müssen. Für einen Moment ließ er sich seine Trauer und seine Wut anmerken und sah, dass Desjani darauf reagierte. »Diese Leute haben mir vertraut, dass ich sie nach Hause bringen werde. Sie werden jetzt nicht mehr nach Hause kommen.«

»Sir.« Sie beugte sich vor, ihr Gesicht ließ ihre Gefühle erkennen. »Nicht jeder kehrt aus einer Schlacht zurück. Das lernt jeder von uns sehr früh. Wir alle haben Freunde und Kameraden verloren, so wie es unseren Müttern und Vätern vor uns ergangen ist, und so wie es deren Müttern und Vätern vor ihnen ergangen ist. Aber Sie wurden geschickt, um uns zu retten. Ich weiß das, und die meisten Offiziere und fast alle Matrosen in dieser Flotte wissen das. Sie sind auf einer Mission der lebenden Sterne unterwegs, und diese Mission lautet, die Flotte nach Hause zu bringen und die Allianz zu retten. Das bedeutet, Sie können gar nicht scheitern. Wir alle wissen das, und schon bald werden Sie sich auch wieder daran erinnern und sich überlegen, was als Nächstes geschehen muss.«

Ihr Glaube an ihn hatte etwas fast Beängstigendes an sich, denn er wusste, wie fehlbar er war, und er konnte einfach nicht glauben, dass jemand wie er von irgendeiner höheren Macht auf eine Mission geschickt werden könnte. »Ich bin so sehr ein Mensch wie Sie, Tanya.«

»Natürlich sind Sie das! Die lebenden Sterne und unsere Vorfahren wirken durch die Lebenden! Das weiß doch jeder!«

»Diese Flotte braucht mich nicht. Die Allianz braucht mich nicht. Ich bin kein…«

»Sir, selbstverständlich brauchen wir Sie!«, unterbrach Desjani ihn in einem fast flehenden Tonfall. »Ich weiß nicht, was ich… was diese Flotte ohne Sie machen sollte und was ohne Sie aus der Allianz werden sollte. Sie kamen aus einem bestimmten Grund zu uns. Wären Sie nicht bei uns im Syndik-Heimatsystem gewesen, dann hätte dies das Ende der Flotte bedeutet, und die Allianz wäre verloren gewesen. Wir sind Ihnen gefolgt, weil wir Ihnen vertrauen, und Sie haben durch Ihre Taten und Worte wieder und wieder bewiesen, dass Sie dieses Vertrauen verdienen.«

Wieder wollte Geary protestieren, doch dann begriff er auf einmal, als hätte einer seiner Vorfahren es ihm zugeflüstert. Er hatte die Crews jener Schiffe enttäuscht, die bei Lakota vernichtet worden waren. Das war schlimm, daran gab es keinen Zweifel, aber viel schlimmer wäre es, die Besatzungen der überlebenden Schiffe zu enttäuschen, ihnen den Glauben an ihn zu nehmen, wenn das das Einzige war, was sie nach vorn schauen ließ. Sie vertrauten auf ihn, und er wusste es. So wie die Besatzungen der Audacious, der Defiant und der Indefatigable gewusst hatten, dass der Rest der Flotte auf sie zählte. Er musste sich in den Griff bekommen, und Desjani und Rione hatten beide recht, wenn sie sagten, dass er derjenige sein musste, der sie anführte.

Denn der Glaube, den andere in ihn setzten, bedeutete, dass nur er eine halbwegs brauchbare Chance hatte, diese Flotte zusammenzuhalten. Das würde genauso schwierig sein wie seine Bemühungen, ihre Zerstörung zu verhindern, und doch musste er es versuchen. Und das hieß, er musste sich seinen nächsten Zug überlegen.

Also setzte er sich etwas gerader hin, nickte und sprach mit festerer Stimme: »Ich trage eine Verantwortung.« Ob sie mir gefällt oder nicht, ist nicht wichtig, auch wenn ich weiß, sie gefällt mir kein bisschen. »Danke, dass Sie mir die Augen geöffnet haben.«

Sie lehnte sich zurück und lächelte erleichtert. »Dafür haben Sie mich nicht gebraucht.«

»Doch, das habe ich.« Er setzte zu einem gezwungenen Lächeln an, bis er plötzlich merkte, dass daraus ein ehrliches Lächeln wurde. »Vielen Dank, Tanya. Ich bin sehr froh, dass ich auf Ihrem Schiff bin.«

Sie lächelte weiter, dann schluckte sie, sah ihn unsicher an und stand schließlich auf. »Danke, Sir. Ich sollte jetzt besser auf die Brücke zurückkehren.«

»Natürlich. Wenn Sie Co-Präsidentin Rione begegnen, richten Sie ihr bitte aus, dass es mir gut geht.«

»Das werde ich machen, Sir.« Sie salutierte rasch, dann eilte sie nach draußen.

Geary saß eine Weile da und dachte nach. Schließlich bewegte sich seine Hand zu den Kontrollen des Displays. Das Bild des Ixion-Sternensystems nahm dort Gestalt an, die Allianz-Flotte wurde in der wirren Anordnung dargestellt, in der sie Lakota verlassen hatte und in der sie Ixion erreichen würde. Ich muss mir etwas einfallen lassen. Nur was?

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