Sieben

»Wie geht es Captain Falco?«, fragte Geary in einem dienstlich forschen Ton, in den sich eine Spur von Sorge um einen Offizier der eigenen Flotte mischte. Schließlich sollte niemand behaupten können, er habe sich über Falco lustig gemacht.

Der Flottenarzt auf dem Bildschirm zog leicht die Augenbrauen zusammen. »Er ist glücklich.«

Was nur bedeuten konnte, dass Falco weiter in seinen Wahnvorstellungen lebte. Hätte er gewusst, dass er unter Arrest stand, aber nicht das Kommando über die Flotte innehatte, wäre es vermutlich zu einem Tobsuchtsanfall gekommen. »Wird er behandelt?«

»Er wird in einer stabilen Verfassung gehalten«, erwiderte der Arzt. »So lauten unsere Befehle, und das ist auch die übliche Vorgehensweise, wenn kein Verwandter verfügbar ist, der über die weitere Behandlung entscheiden kann. Wir sorgen dafür, dass sich sein Zustand nicht verschlechtert, und wir achten darauf, dass er nicht gewalttätig wird oder sich sogar selbst Verletzungen zufügt. Die meiste Zeit verbringt er damit, Feldzüge zu planen und sich um organisatorische Bedürfnisse einer virtuellen Flotte zu kümmern, auf die er zugreifen kann.«

»Als ich mich das letzte Mal erkundigt hatte, führten die Arzte bei ihm noch immer Tests durch, um seinen Zustand zu beurteilen. Können Sie mir sagen, ob eine Heilung möglich ist?«, fragte Geary, auch wenn er sich gar nicht sicher war, ob er die Antwort darauf tatsächlich hören wollte.

»Warten Sie, ich muss seine Unterlagen aufrufen.« Das Bild des Doktors verschwand, an seine Stelle rückte ein Platzhaltermotiv, das Flottenärzte bei der Arbeit zeigte. Geary versuchte, sich nicht über das Benehmen des Mannes zu ärgern, das die gleiche Art von Arroganz gegenüber medizinischen Laien erkennen ließ, wie es schon in seiner Zeit hundert Jahre zuvor an der Tagesordnung gewesen war — und wohl auch schon in den Jahrtausenden davor.

Schließlich tauchte der Doktor wieder auf dem Schirm auf. »Eine Heilung ist möglich. Sogar wahrscheinlich, würde ich sagen. Aber nur für einen Teil der Symptome«, erklärte er dann. »Wir könnten die Wahnvorstellungen deutlich reduzieren. Ich habe mich mit Captain Falcos Unterlagen und Vorgeschichte beschäftigt, und bei ihm besteht eine lange Vorerkrankungszeit. Sein Verhalten ist für ihn zur Gewohnheit geworden, und eine grundlegende Behandlung würde jetzt auch nichts mehr an Captain Falcos Denkstrukturen ändern.«

»Eine lange Vorerkrankung? Sie meinen, Captain Falco hat dieses Verhalten entwickelt, als er sich in der Gefangenschaft der Syndiks befand?«

»Nein, nein«, widersprach der Arzt in diesem leicht gereizten Tonfall, der bei seinem Berufsstand weit verbreitet war und immer dann zum Vorschein kam, wenn er mit einem Nicht-Mediziner sprach, der die Geheimnisse der Medizin zu begreifen versuchte. »Viel länger als das. Lange vor seiner Gefangennahme zeigte Captain Falco bereits diese Symptome, da er glaubte, er allein sei dazu qualifiziert und fähig, die Allianz-Flotte zu befehligen und den Krieg für die Allianz zu gewinnen. Das kommt viel häufiger vor, als Sie sich vorstellen können«, führte der Arzt aus, der offenbar bereits vergessen hatte, dass er mit dem Befehlshaber der Flotte sprach.

»Tatsächlich?«

»O ja. Vor einigen Jahrzehnten trat das so gehäuft auf, dass man dem Verhalten einen Namen gab.«

»Einen Namen?«

»Aber selbstverständlich. Man nennt das einen Geary-Komplex.« Der Doktor stutzte, dann sah er Geary an und kniff die Augen ein wenig zusammen. »Das sind Sie, nicht wahr?«

»Soweit ich weiß, ja«, entgegnete Geary und fragte sich, wie viele Offiziere wohl in den letzten hundert Jahren unter dem Geary-Komplex gelitten haben mochten.

Der Arzt nickte nachdenklich und musterte Geary eindringlich, als erwarte er jeden Moment, dass er einen Wutanfall bekam. »Na, dann dürften Sie ja wissen, wovon ich rede.«

Geary begann zu lachen, dann geriet er aber ins Stocken. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, was Victoria Rione dazu sagen würde, und zum Teil hätte sie damit sogar recht. Er glaubte tatsächlich, dass er am besten geeignet war, um diese Flotte zu befehligen. Doch das lag daran, dass er seine Legende nutzen konnte, um die Flotte zusammenzuhalten, und dass er durch Ausbildung dasjenige Wissen aus der Vergangenheit besaß, das ihm hier half, Siege zu erringen. Er hatte keine überzogenen Vorstellungen von seinen Fähigkeiten, er glaubte auch nicht, dass nur er allein die Flotte zum Sieg führen konnte, und er wollte sich auch nicht mit der Legende von Black Jack messen.

Ich bin nicht wie Falco, und ich will auch nicht so sein wie er. Die Unterschiede zwischen uns sind der Grund, wieso ich mit ihm reden möchte.

Letztlich beließ er es bei einem Schulterzucken. »Mag sein, Doktor. Aber ich wollte das Kommando über diese Flotte eigentlich nie haben. Mir blieb keine andere Wahl. Ich bin der dienstälteste Offizier und ich habe meine Pflicht zu erfüllen.«

Der Arzt nickte auf eine Weise, als stimme er einem Patienten allein aus dem Grund zu, selbst seine Ruhe zu haben. »Ja, natürlich. So oder ähnlich formulieren sie es alle. Die Pflicht, die Verantwortung, um die Allianz zu retten, und so weiter.«

Geary seufzte, da ihm die Richtung nicht gefiel, in die sich diese Unterhaltung entwickelte. »Ich habe die Verantwortung, Leben zu retten, Doktor, und wenn Sie die Datenbank der Flotte aufrufen, werden Sie sehen, dass ich der bei Weitem dienstälteste Captain der Flotte bin.« Vor hundert Jahren hatte man ihn zum Captain befördert, posthum, weil man glaubte, er sei bei Grendel ums Leben gekommen, doch das war für die Regularien der Flotte unerheblich. Als er lebend aufgefunden wurde, zählte nur noch, seit wann er Captain war. »Kann ich für Captain Falco eine Behandlung anordnen? Damit er in die Realität zurückkehrt?«

»Wenn Sie der Flottenkommandant sind, können Sie das anordnen. Natürlich werden sich die Allianz-Behörden später damit befassen.«

Die Entscheidung hätte ihm eigentlich leichtfallen müssen. Warum sollte ein Mann dem Wahnsinn überlassen bleiben, wenn es auch anders ging? Aber Falco stand unter Arrest und hatte sich einer Reihe von Verstößen gegen Flottenbestimmungen und Gesetze der Allianz schuldig gemacht, die die Todesstrafe nach sich ziehen würden. Wenn er ein Heilmittel bekam, fand er sich in einer Realität wieder, die deutlich unerfreulicher war als die Wahnvorstellungen, in deren Bann er sich befand. Aber wer hatte das Recht zu entscheiden, einem anderen die Heilung seiner Krankheit zu verweigern, wenn es in seiner Macht stand? »Keine leichte Entscheidung«, befand er schließlich.

»Ich würde davon abraten«, ließ der Doktor ihn wissen. »Wenn man alle Umstände bedenkt, könnte Captain Falco in tiefe Depressionen versinken und einen Suizid versuchen, sobald er wieder in der Lage ist, die Realität wahrzunehmen. Mit den Fakten sollte er besser erst konfrontiert werden, wenn er in einer entsprechenden Einrichtung untergebracht ist, die über angemessen ausgebildetes Personal verfügt.«

Das war die Ausrede, auf die Geary gehofft hatte. So musste er nicht selbst die Entscheidung treffen. »Ich sehe keinen Grund, mich über Ihre Empfehlung hinwegzusetzen. Informieren Sie mich bitte umgehend, wenn es einen Grund für Sie gibt, Ihre Meinung zu ändern, oder wenn sich Captain Falcos Zustand ändert oder deutlich verschlechtert.«

»Ich denke, das kann ich machen. Ja, Sie sind der Flottenkommandant, und damit sind Sie auch autorisiert, diese Informationen einzusehen.«

»Danke. Ich würde Captain Falco gern im virtuellen Modus besuchen.«

»Ihn besuchen?«, wiederholte der Arzt verdutzt.

»Bekommt Captain Falco keinen Besuch?«

»Er steht unter Arrest. Wussten Sie das nicht?«

»Doch«, erklärte Geary geduldig. »Ich bin derjenige, der den Arrest angeordnet hat.«

»Oh. Ja. Aber wollen Sie ihn jetzt sehen?«

»Sehen und mit ihm reden.«

Der Doktor machte eine nachdenkliche Miene, dann nickte er. »Aus der Sicht von Captain Falcos Zustand spricht nichts dagegen. Und da Sie nicht körperlich anwesend sein werden, besteht für keinen von Ihnen Verletzungsgefahr. Ich würde Ihnen allerdings raten, ihn nicht nachdrücklich auf seinen wahren Zustand anzusprechen.«

»Das hatte ich auch nicht vor. Ich nehme doch an, die Software im Konferenzraum erlaubt einen virtuellen Besuch in Falcos Quartier. Dafür benötige ich von Ihnen den Link und alle notwendigen Zugriffscodes.«

Es folgten weiteres Stirnrunzeln sowie ergänzende Warnungen und Hinweise auf medizinische Abläufe und Wahrung der Privatsphäre, aber letztlich gab der Arzt die erforderlichen Daten heraus. Erleichtert machte sich Geary auf den Weg zum Konferenzraum, wobei er ein ungutes Gefühl abzuwehren versuchte.

Er wollte nicht darüber nachdenken, was mit Falco geschehen war. Eigentlich wollte er den Mann dafür hassen, dass er den sinnlosen Tod so vieler Schiffe und Besatzungsmitglieder auf dem Gewissen hatte. In gewisser Weise tat ihm der Mann aber sogar leid, zugleich fürchtete er sich jedoch davor, was Falco noch alles anrichten würde, wenn er in die Realität zurückgeholt wurde — oder zumindest in seine Version der Realität, wie er sie sich vor langer Zeit zurechtgelegt hatte.

Geary achtete darauf, den Zugang zum Konferenzraum mit seinem eigenen Zugangscode zu versiegeln, dann aktivierte er die Konferenzsoftware auf der höchsten Sicherheitsstufe und gab die Daten ein, um sich an Falco wenden zu können.

Einen Moment später stand das Bild des Captains vor ihm, makellos in seine Uniform gekleidet, und machte den Eindruck, als sei er gerade mit etwas Wichtigem beschäftigt gewesen. Er sah sich um und entdeckte Geary. »Ja?« Es dauerte wohl nicht mal eine Sekunde, da wich sein verärgerter Gesichtsausdruck jenem einstudierten, kameradschaftlichen Lächeln, das Geary von ihm in Erinnerung hatte.

»Captain Falco, ich wollte Sie fragen, ob Sie wohl Zeit hätten, um ein paar Dinge mit mir zu besprechen«, begann Geary behutsam.

»Zeit? Sie wissen, ein Flottenkommandant wie ich trägt eine immense Verantwortung«, machte Falco ihm klar und lächelte erneut. »Aber für einen Offizier der Flotte kann ich immer ein paar Minuten erübrigen. Ich habe die Ehrengarde der Marines vor meinem Quartier angewiesen, jeden Offizier passieren zu lassen, der mich sprechen möchte.«

Wie der Arzt gesagt hatte, glaubte Falco tatsächlich, er habe das Kommando über die Flotte. Selbst für die Wachen vor seiner Tür hatte er eine Erklärung, die sich in seine Wahrnehmung der Realität einfügte. Ob er ihn überhaupt wiedererkannte? »Es geht um ein taktisches Anliegen, das die Bewegung der Flotte betrifft.«

»Ja, selbstverständlich. Ich habe mich mit der Situation beschäftigt, aber ich bin noch zu keiner Entscheidung gekommen, welches System wir als Nächstes ansteuern sollen.«

Das klang so sehr nach der Antwort, die Geary Rione gegeben hatte, dass er sich zusammenreißen musste, um nicht vor Schreck zusammenzuzucken. »Darf ich?«, fragte er Falco und aktivierte das Sternendisplay, das die aktuelle Umgebung anzeigte. Falco betrachtete die Darstellung, als kenne er sie bereits in- und auswendig. »Die Flotte befindet sich bei Ixion.«

»Ja, natürlich. Die jüngste Offensive verläuft bestens«, erklärte Falco.

»Ahm… ja. Aber wir haben jetzt Kurs auf das Allianz-System genommen.«

»Hmmm.« Falco studierte das Display, und einen Moment lang wirkte er verwirrt. »Hypernet. Das Hypernet der Syndiks.«

»Wir können es benutzen«, entgegnete Geary. »Doch die Syndiks werden versuchen, jedes Portal zu zerstören, bevor wir es erreicht haben.«

»Richtig«, stimmte Falco ihm zu. »Der direkte Weg in Richtung Allianz führt über T'negu. Aber das wird nicht unser Ziel sein.«

»Nicht?« Geary hatte erwartet, Falco würde T'negu als ihre einzige Alternative bezeichnen.

»Natürlich nicht!« Falco lächelte noch eine Spur gefälliger. »Das ist eine Falle! Ganz offensichtlich sogar. Ist das nicht deutlich?« Geary nickte, auch wenn ihm in Wahrheit gar nichts deutlich war. »Minen! Das System wird mit Minen übersät sein.« Falcos Miene fiel förmlich in sich zusammen, und er murmelte: »Minen.« Geary fragte sich, ob der Mann daran zurückdachte, welche Verheerungen das Minenfeld der Syndiks bei Vidha angerichtet hatte.

Bislang hatte Geary nicht die Möglichkeit in Betracht gezogen, die Syndiks könnten bei T'negu einen regelrechten Minenteppich ausrollen, aber der Gedanke war gar nicht so verkehrt. Die Nähe zur Allianz lockte dort, und wenn sie sich dem heimischen Gebiet weiter nähern wollten, dann war das nur in diese Richtung möglich. Das System T'negu verfügte über keinerlei bewohnbare Planeten, und nur auf einer Welt, die zu weit von der Sonne entfernt war, daher nicht genügend Wärme abbekam, und deren Atmosphäre zu dünn war, existierte eine kleine Syndik-Präsenz in unterirdischen Städten. Nicht nur jeder Sprungpunkt in diesem System, sondern das ganze System an sich konnte großflächig vermint werden. Wie großflächig, das hing einzig davon ab, wie viele Minen die Syndiks zur Verfügung hatten.

Falco starrte noch immer auf das Sternendisplay und schwieg.

»Wohin sollten wir stattdessen reisen?«, fragte Geary.

»Wohin?« Falco blinzelte, sah zu Geary und wandte sich dann wieder dem Display zu. »Lakota.«

»Lakota? Da gibt es ein Hypernet-Portal. Die Syndiks können mühelos mehr Streitkräfte in dieses System verlegen.«

»Eben. Den Syndiks ist bekannt, dass wir das wissen! Und das bedeutet, sie müssen keine Verstärkung schicken. Schließlich glauben sie, wir haben Angst, uns dorthin zu begeben.« Falco grinste triumphierend. »Wir werden sie überraschen.«

Geary versuchte, Falcos Argumentation zu folgen, und musste einsehen, dass es durchaus überzeugend klang. Zudem war es etwas, das Geary eigentlich nicht in Erwägung gezogen hätte. Lag Falco richtig? Die Syndiks mussten die Verluste zu spüren bekommen haben, die die Allianz-Flotte ihnen in den letzten Monaten zugefügt hatte. Sie hatten zahlreiche Schiffe verloren. Aber würden sie es wagen, keine Verstärkung nach Lakota zu schicken, nur weil sie glaubten, die Allianz-Flotte würde den Sprung in dieses System gar nicht erst wagen?

Falco wusste nichts von der Zerstörung des Hypernet-Portals bei Sancere, und ihm war damit auch nicht bekannt, dass die Syndiks lieber ein Portal zerstörten, anstatt der Allianz-Flotte Gelegenheit zu geben, durch das Portal zu entkommen. Aber die Syndiks wussten, dass die Allianz-Flotte darüber informiert war.

»Es wird eine Syndik-Streitmacht anwesend sein, um das Hypernet-Portal zu bewachen«, machte Geary ihm klar. »Die können es sich nicht leisten, auf eine große Flotte im System zu verzichten.«

»Sicher«, stimmte Falco ihm zu und winkte ab. »Aber damit kommen wir klar. Wir werden die Verteidiger ausradieren, die bewohnte Welt in Schutt und Asche legen, und dann verlassen wir das System, wenn wir es wollen.«

Das mochte so sein, doch Geary hatte nicht die Absicht, zivile Ziele zu bombardieren. Das Material von Baldur, das Lieutenant Iger ihm gezeigt hatte, war nur eine Bestätigung seiner eigenen Ansicht gewesen, dass die Strategie der Allianz, einen bedingungslosen Krieg zu führen, ganz massiv nach hinten losgegangen war. Die Bürger einer durchschnittlichen Syndikatwelt fürchteten sich vor der Allianz und hatten Angst, ihre Heimatwelten könnten verwüstet werden, und aus diesem Grund setzten sie sich umso energischer gegen die Allianz zur Wehr. Aber was war mit dem grundsätzlichen Argument, Lakota zum Ziel zu nehmen? War Falco einfach nur völlig verrückt?

Geary betrachtete das Display. Für eine Weiterreise mit Sprungantrieb ging es von Lakota aus zu drei weiteren Sternen.

Es könnte funktionieren.

»Danke, Captain Falco. Und entschuldigen Sie die Störung.« Als Falco ihn wieder anlächelte, verspürte Geary Schuldgefühle, da er einen geisteskranken Mann getäuscht hatte. »Geht es Ihnen gut?«

Falco überlegte kurz. »Ob es mir gut geht? Ja, natürlich. Wenn man einmal von dem Stress absieht, den ein solches Kommando mit sich bringt. Aber Sie wissen ja selbst, wie das ist. Dennoch, es ist mir eine Ehre, der Allianz in jeder denkbaren Hinsicht zu dienen. Das ist meine Pflicht.« Dann lächelte er wieder.

»Benötigen Sie irgendetwas?«

»Ja, wir sollten in Kürze eine Flottenkonferenz anberaumen. Bereiten Sie bitte alles vor, Captain…?«

»Geary.«

»Tatsächlich? Sind Sie verwandt mit dem großen Helden?«

Geary nickte. »Ja, entfernt verwandt.«

»Großartig. Gut, wenn Sie mich dann entschuldigen würden — die Pflicht ruft.« Plötzlich sah sich Falco unsicher um.

Er unterbrach die Verbindung, das Bild des Captains verschwand. Verdammt, verdammt, verdammt!


* * *

»Lakota?«, fragte Victoria Rione so laut, dass sie fast schrie. »Wie kommst du denn auf diese Idee?« Dann riss sie entsetzt die Augen auf. »Du hast heute Nachmittag mit Captain Falco gesprochen! War das seine Idee? Hast du auf ihn gehört?«

»Ich…« Plötzlich stutzte Geary. »Du weißt, dass ich mit Falco gesprochen habe? Diese Unterhaltung unterlag der höchsten Geheimhaltungsstufe.«

»Ich weiß nicht, was du mit ihm besprochen hast, wenn dich das beruhigt.« Kopfschüttelnd drehte sie sich weg. »Sag mir bitte, dass du ihn nicht um Rat gefragt hast.«

»So würde ich das nicht ausdrücken.« Geary fühlte sich in die Defensive gedrängt, zumal er wusste, dass Rione allen Grund hatte, sich zu entrüsten. »Ich wollte nur wissen, was er tun würde.«

»Irgendetwas Blödsinniges! Das hätte ich dir auch so sagen können!«

»Er wollte nicht nach T'negu.«

Rione wirbelte herum und sah Geary mit zusammengekniffenen Augen an.

»Falco meint, in T'negu lauert eine Falle auf uns.«

Sie fuchtelte wild mit den Händen. »Und jetzt muss ich auch noch feststellen, dass ich mit Captain Falco einer Meinung bin. Ich hätte nicht gedacht, dass ich den Tag erleben werde.«

Geary warf einen prüfenden Blick zur Luke, ob die auch tatsächlich geschlossen war. Er wollte nicht, dass irgendjemand diese Unterhaltung belauschte. »Sieh mal, ich persönlich würde nicht nach Lakota fliegen.«

»Dann tu es auch nicht.«

»Naja, aber die Syndiks werden vermutlich wissen, dass ich das nicht machen würde«, erklärte Geary mit aller Geduld, die er aufbringen konnte. »Sie wissen, wohin ich die Flotte wahrscheinlich schicken werde, nämlich zu einem der anderen Sterne, die von Ixion aus zu erreichen sind. Und sie wissen, welcher Stern unser Ziel ist, wenn wir weiter in Richtung Allianz-Territorium vordringen wollen. Lakota fällt in keine dieser Kategorien.«

»Weil es Irrsinn ist, nach Lakota zu fliegen!«

»Die Syndiks wissen, dass es Irrsinn ist, und wir wissen das ebenfalls, und genau deshalb halten sie es vielleicht für am unwahrscheinlichsten, dass wir dorthin fliegen.«

Rione sah ihn starr an. »Das ist dein Ernst, nicht wahr?«

»Ja.« Geary ging in seinem Quartier auf und ab, dann blieb er stehen und warf einen Blick auf das Sternendisplay, in dessen Mitte sich Ixion befand. »T'negu ist ein zu offensichtliches nächstes Ziel. Wenn wir dorthin fliegen, müssen wir davon ausgehen, dass jeder Sprungpunkt mit mehr Minen bestückt ist als hier. Kehren wir nach Daiquon um, dann versetzen wir der Moral dieser Flotte einen Tiefschlag, und wir laufen Gefahr, einer Syndik-Streitmacht zu begegnen, die uns möglicherweise von System zu System verfolgt. Vosta führt uns wieder tiefer ins Syndik-Territorium hinein, und mit dem Sprungantrieb können wir von da nur zwei Sterne erreichen. Kopara führt seitlich von hier weg, dort entlang nähern wir uns der Allianz nicht, aber wir verlieren auch nicht an Boden. Von da gibt es allerdings nur einen einzigen Stern, den wir per Sprung erreichen können, nämlich Dansik. Nach den Aufzeichnungen, die wir in unseren Besitz gebracht haben, handelt es sich dabei um ein regionales Militärhauptquartier, das auf jeden Fall über erhebliche Verteidigungsanlagen verfügen wird. Damit bleibt nur Lakota.«

Riones Blick wanderte vom Display zu Geary und zurück, wobei ihre Miene nichts verriet. »Wohin würde Captain Geary reisen?«

»Nach Vosta. Um mögliche Verfolger abzuschütteln.«

»Die Syndiks haben doch schon mehr als einmal erlebt, dass du einen solchen Haken schlägst.«

»Richtig.«

»Würden sie glauben, dass du dich für Kopara entscheidest?«

»Eher nicht. Sie müssten nur in zwei Sternensystemen je eine große Streitmacht postieren, und schon säßen wir in der Falle. Es wäre schön, wenn sie mich für so dumm hielten, aber darauf kann ich nicht bauen.«

Ihre Gesichtszüge verhärteten sich. »Du hast es geschafft, uns nach Ixion zu bringen, und hier gefällt dir keine der Optionen, die dir zur Auswahl stehen.«

Fast hätte er sie angefaucht, doch dann wurde ihm klar, wie recht sie hatte. »Ich hatte gar nicht damit gerechnet, dass wir es bis Ixion schaffen würden. Ich dachte, die Syndiks reagieren schneller und wir müssten schon bei Daiquon unseren Vorstoß in Richtung Allianz abbrechen.«

»Und jetzt basiert dein Plan auf der Hoffnung, dass die Syndiks dich nicht für dumm halten? Sieh dich doch nur an! Du lässt dir von Falco Ratschläge geben! Falco war schon immer ein Idiot, und jetzt ist er auch noch ein geisteskranker Idiot!« Rione ging um das Display herum und vergrub das Gesicht in ihren Händen. »John, tu das nicht. Schick diese Flotte nicht nach Lakota.«

Nie zuvor hatte sie ihn nur mit seinem Vornamen angesprochen. »Die anderen Alternativen sind nicht so gut. Falls Lakota funktioniert…«

Rione warf ihm einen zornigen Blick zu. »Falls! Und falls nicht? Welche Möglichkeiten stehen dir dann noch offen?«

»Wir können einem Gefecht aus dem Weg gehen, das System durchqueren und ein anderes Ziel anfliegen.«

Sie ließ bestürzt den Kopf sinken. »Glaubst du wirklich, diese Flotte wird es zulassen, dass du ihr eine Schlacht verweigerst? Ja, nach den verheerenden Verlusten im Heimatsystem der Syndiks hat das geklappt, weil jeder so schockiert war, dass der Überlebensinstinkt den Kampfgeist vorübergehend gelähmt hatte. Aber wenn du bei Lakota einem Kampf aus dem Weg gehen willst, werden einige Schiffe ausscheren und auf eigene Faust den Kampf suchen. Und was soll dann sein?«

Diese Möglichkeit hatte Geary bislang nicht berücksichtigt. Nachdenklich sah er an Rione vorbei. »Du glaubst wirklich, einige von ihnen würden das wagen? Diejenigen, die wie Casia gegen mich arbeiten, machen auf mich nicht den Eindruck, als wären sie heldenhaft genug, um in ein aussichtsloses Gefecht zu ziehen.«

»Um die musst du dir keine Sorgen machen! Wofür haben die lebenden Sterne dir eigentlich ein Gehirn gegeben, John Geary?« Sie kam näher und packte ihn an den Armen. »Die größte Gefahr stellen diejenigen dar, die so sehr an dich glauben, dass sie dich zum Diktator machen wollen, die aber nicht genügend an dich glauben, um ihre Denkweise umzukrempeln! Frag die Offiziere, denen du am meisten vertraust. Roberto Duellos. Er wird es dir sagen. Sogar Tanya Desjani wird es dir sagen. Wenn du mir nicht glaubst, dann frag sie!«

Das alles klang durchaus überzeugend. »Ich schätze, es hat manchmal seine Vorteile, wenn man wie ein Politiker denkt.«

»Danke für das Kompliment — falls es eins war«, warf Rione ihm an den Kopf, entfernte sich aufgebracht ein paar Schritte von ihm und deutete auf das Display. »Wenn von denen keiner geglaubt hat, dass du dich für Kopara entscheidest…«

»Nein! Wenn wir in Kopara in eine Falle laufen, gibt es für uns keinen Ausweg mehr! Lakota lässt uns Möglichkeiten offen!« Er betrachtete das Display, dann schaute er wieder Rione an. »Warum hast du's nicht gesagt?«

»Was gesagt?«

»Warum hast du mir nicht damit gedroht, dass du den Schiffen der Callas-Republik und der Rift-Föderation sagst, sie sollen nicht länger meine Befehle ausführen?«

»Weil ich keine Drohungen ausspreche, von denen ich nicht sicher weiß, dass ich sie auch in die Tat umsetzen kann«, antwortete sie wütend. »Tu nicht so, als wüsstest du nicht, dass die Loyalität meiner eigenen Kommandanten gespalten ist. Egal was ich sage, viele von ihnen würden dir trotzdem folgen.«

»Tatsächlich?« Sein Erstaunen musste ihm anzusehen sein. »Ich habe nicht versucht, deren Loyalität zu unterwandern und…«

Rione stieß einen gellenden Wutschrei aus, kam auf Geary zu und stieß ihm die Faust gegen die Brust. »Hör auf, den Dummkopf zu spielen! Diese Leute glauben an dich, John Geary! Weil du die Flotte so weit vorangebracht hast und unterwegs einige bemerkenswerte Siege errungen hast! Sie glauben, du bist Black Jack und wirst sie und die Allianz retten. Sie halten dich nicht für einen Politiker, und in dem Punkt haben sie völlig recht. Aber du hast dir ihr Vertrauen verdient.« Mit dem Zeigefinger deutete sie wütend auf das Display. »Verspiel dieses Vertrauen nicht, indem du sie nach Lakota bringst!«

»Verflucht!« Er ließ sich in einen Sessel fallen und fühlte sich mit einem Mal müde und erschöpft. »Meinst du, ich verbringe nicht jede Minute des Tages damit, mir zu überlegen, was das Beste für all diese Menschen sein könnte, die mir ihr Vertrauen schenken?«

Ihr Zorn ebbte sichtlich ab, und schließlich betrachtete sie ihn mit erkennbarer Hilflosigkeit. »Und was wirst du machen?«

»Eine Konferenz einberufen und sehen, wie die anderen auf Lakota reagieren.«

»Die werden davon begeistert sein. Das ist genau der kühne Schachzug, den sie alle von Black Jack Geary erwarten.« Sie ließ sich ebenfalls in einen Sessel plumpsen.

Nachdem sie beide gut eine Minute lang geschwiegen hatten, fragte er plötzlich: »Hast du schon mal was von einem Geary-Komplex gehört?«

Rione hob den Kopf und zog eine Braue hoch. »Ja. Davon habe ich vor Jahren zum ersten Mal gehört, als ein Senator mit mir über Captain Falco sprach. Ist das jetzt auch bis zu dir vorgedrungen?«

»Mich wundert, dass du mir nie vorgehalten hast, ich würde an diesem Komplex leiden.«

»Man kann dir wohl nicht ernsthaft vorwerfen, dass du dir einbildest, Captain John Geary zu sein.«

»Ich vermute, mindestens ein Flottenarzt ist aber dieser Ansicht«, erwiderte er ironisch. »Ich begreife das nicht. Diesmal bist du anders.«

»Vielen Dank«, presste sie heraus. »Und wie soll ich das verstehen?«

»Nun, unter anderem hast du mich nicht vor den Gefahren gewarnt, die von Black Jack ausgehen. Und auch nicht davor, was passieren könnte, wenn ich tatsächlich anfange, mich für ihn zu halten.«

Sie zuckte mit den Schultern. »Davor habe ich dich schon wiederholt gewarnt, und du scheinst um diese Gefahren zu wissen. Wenn ich sie jetzt wieder ausspreche, führt das zu nichts.«

»Das hat dich bislang auch nicht davon abgehalten.«

»Vielleicht ist es an der Zeit, dich vor deinem deplatzierten Sinn für Humor zu warnen«, gab Rione in einem bedrohlichen Unterton zurück. »Willst du auf irgendetwas Bestimmtes hinaus?«

»Ja.« Er musterte sie wachsam. »Du sprichst dich vehement gegen Lakota als unser nächstes Ziel aus. Du glaubst, ich irre mich. Du glaubst, ich will womöglich nur dem Ruf von Black Jack gerecht werden. Aber du bist nicht vor Wut explodiert. Und du bist nicht aus meinem Quartier gestürmt, um mir dabei kaum verhüllte Drohungen an den Kopf zu werfen, was mir alles zustoßen wird, wenn ich anfange, mich wie Black Jack zu verhalten. Warum hast du das jetzt noch nicht gemacht?«

Sie zuckte mit den Schultern und sah zur Seite. »Vielleicht versuche ich ja, unberechenbar zu sein. Du denkst, ich tue etwas so, und weil ich weiß, dass du das denkst, mache ich stattdessen etwas anderes. Nur ist es in meinem Fall so, dass ich keine Dummheit begehe.«

»Du hast ja auch Sinn für Humor.« Dann fuhr er frei jeglicher Ironie fort: »Mal ernsthaft. Was ist vorgefallen?«

Es dauerte eine Weile, ehe sie die richtigen Worte für eine Erwiderung gefunden hatte. »Geradeheraus gesagt: Ich habe dich immer wieder nachdrücklich vor den von dir beabsichtigten Entscheidungen gewarnt, weil ich jedes Mal fest davon überzeugt war, im Recht zu sein. Aber genauso hat sich jedes Mal herausgestellt, dass ich mich geirrt habe und du recht hattest. Sancere ist meine bislang gravierendste Fehleinschätzung. Niemand vermag zu sagen, wo diese Flotte heute wäre, hättest du auf mich gehört. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass sie dann in einer besseren Verfassung wäre oder dass unser Feind größere Verluste erlitten hätte.«

»Das heißt, du vertraust mir?«

Sie lächelte ihn schief an. »Ich fürchte, das tue ich. Ich halte Lakota für einen Fehler, ich habe es dir gesagt, und ich habe meine Gründe genannt. Du hast mir zugehört. Ja, ich habe dir angemerkt, dass du mir zugehört hast. Mit Blick auf die Vergangenheit finde ich, dass ich kein Recht habe, gegen deinen Instinkt zu handeln. Der hat bislang zu oft richtig gelegen.« Sie hielt inne und sah ihm in die Augen. »Ja, ich weiß, du fragst dich, ob du dich auf deinen Instinkt verlassen kannst, was mich angeht. Du weißt nicht so recht, wieso ich zu dir zurückgekommen bin, wieso ich überhaupt mit dir ins Bett gegangen bin.«

Er nickte. »Ja, das stimmt.«

»Und du wirst mich auch nicht danach fragen, weil du nicht weißt, ob du glauben kannst, was ich dir antworten werde. Du musst es gar nicht leugnen, ich merke dir dein Zögern an. Ich habe das so auch verdient.«

»Ich habe nicht gesagt…«

»Das musst du auch gar nicht. Erwartest du von mir, dass ich sage, ich liebe dich? Das werde ich nicht machen. Du weißt, wem mein Herz gehört.«

»Und warum dann?«, wollte Geary wissen. »Warum schläfst du dann mit mir?«

»Weil Frauen dich unwiderstehlich finden. Wusstest du das nicht?« Rione lachte. »Du hättest gerade dein Gesicht sehen müssen.«

Er lächelte sie an, während ihm klar wurde, dass sie nie die Frage beantworten, sondern nur immer noch mehr reden würde, um eine Ernsthaftigkeit zu demonstrieren, für die er keinen Beweis finden konnte. »Ich werde darüber nachdenken.«

»Über Lakota? Wirst du das machen?« Ihr Lachen verstummte, und sie nickte. »Vielleicht bin ich deswegen hergekommen, John Geary. Vielleicht ist das der Grund, weshalb ich heute Abend wieder herkommen werde.«

»Und was wird sein, wenn wir zurück in der Allianz sind? Angenommen, wir schaffen es. Wirst du dann Arm in Arm mit mir dieses Schiff verlassen? Wirst du dann weiter die Nächte mit mir verbringen?«

Schweigend betrachtete sie ihn. »Du fragst eine Politikerin, was sie irgendwann viel später einmal tun wird? Ja. Glaubst du mir?«

»Ich weiß nicht.«

»Gut so. Ich werde dir noch das ein oder andere über Politiker beibringen. Dinge, die du wissen solltest, wenn du nach Hause kommst.« Sie stand auf und gab ihm die Hand. »Komm, lass uns was zu essen holen. Gemeinsam, damit uns alle sehen. Damit alle in der Flotte wissen, dass ihr Held glücklich ist.«

Er stand ebenfalls auf, fühlte sich aber noch so müde wie zuvor. »Ich schätze, für ein paar Stunden kann ich so tun, als wäre ich glücklich.«

»Du kriegst das schon hin.« Wieder lächelte sie, diesmal jedoch auf eine andere Art. »Und dann kommen wir hierher zurück und werden uns für eine Weile gegenseitig richtig glücklich machen.«

Auch wenn ihr Versprechen Vorfreude bei ihm erwachen ließ, hätte Geary doch zu gern gewusst, was ihr in diesem Moment in Wahrheit durch den Kopf ging.


* * *

»Es ist mir nicht leichtgefallen, unseren nächsten Schritt zu entscheiden«, gab Geary bekannt, während sein Blick über die im Konferenzraum versammelten Hologramme der Captains wanderte. Die Stimmung war so angespannt wie vor einer Schlacht. Offensichtliche Widersacher, wie Captain Casia, Captain Midea und Commander Yin, befanden sich in Lauerstellung, um sich auf alles zu stürzen, was ihrer Meinung nach nicht aggressiv genug klang.

Seine Verbündeten, wie Captain Duellos, Captain Tulev und Captain Cresida, waren gleichermaßen besorgt, dass Geary etwas vorschlagen könnte, womit er die Flotte beschwichtigen wollte — was diese Flotte gleichfalls in Gefahr bringen konnte. Er hatte vor dieser Konferenz mit jedem von ihnen unter vier Augen gesprochen, um ihnen zu versichern, dass er sich das Ganze gründlich durch den Kopf hatte gehen lassen. Er konnte nur hoffen, dass er überzeugend gewirkt hatte.

In seiner Nähe wartete die real anwesende Captain Desjani, die so auf Gearys Widersacher fixiert war, als sei sie seine persönliche Leibwächterin. Etwas weiter entfernt, dort wo die Kommandanten der Schiffe der Callas-Republik gemeinsam saßen, fand sich auch die virtuelle Präsenz von Co-Präsidentin Rione, die diesen Weg einem persönlichen Erscheinen vorgezogen hatte, damit die Schiffe ihrer Republik das Gefühl hatten, dass sie nach wie vor für sie da war. Dennoch fragte sich Geary, wie viel Rione in ihrer vorangegangenen Unterhaltung für sich behalten hatte. Würde sie seinem Vorschlag zustimmen oder schweigen oder sich gegen seinen Plan aussprechen, sobald die Diskussion im Gang war?

Das Sternendisplay erwachte zum Leben. »Jedem von Ihnen sind sicherlich die Optionen bekannt, aus denen wir auswählen können. T'negu sieht sehr verlockend aus, aber da erwartet uns mit Sicherheit eine Falle.«

»Aber wir sind doch bislang auf unserem Weg in Richtung Allianz-Territorium gut vorangekommen«, wandte Captain Casia ein.

»Und damit haben wir ein Bewegungsmuster geschaffen, das die Syndiks sogar mit geschlossenen Augen erkennen können«, gab Duellos zurück. »T'negu ist wie geschaffen für ausgedehnte Minenfelder.«

»So sehe ich das auch«, stimmte Geary ihm zu und warf Casia einen zornigen Blick zu. »Die anderen Sterne, die wir von hier aus erreichen können, weisen unterschiedliche Mängel auf, und von ihnen gehen verschiedene Bedrohungen aus. Nach langem Überlegen und Beratschlagen bin ich zu dem Schluss gekommen, dass Lakota unsere beste Wahl ist.«

Captain Midea wollte zu einer Bemerkung ansetzen, verstummte aber gleich wieder, als sie begriff, was er da gerade eben gesagt hatte. »Lakota?«, fragte sie schließlich.

»Ja.« Ob er die Syndiks damit überraschen würde, das blieb noch abzuwarten, doch auf jeden Fall hatte er Midea damit überrascht. Das war ermutigend, weil es hieß, dass es den Spitzeln seiner Gegner nicht gelungen war, seine Pläne noch vor dieser Konferenz in Erfahrung zu bringen. »Dort wird sich natürlich eine Syndik-Flotte aufhalten, um das Hypernet-Portal im System zu bewachen, aber die Syndiks dürften unser Auftauchen bei Lakota für so unwahrscheinlich halten, dass die Flotte zu schwach sein wird, um uns etwas entgegenzusetzen.«

»Können wir selbst das Portal benutzen?«, hauchte jemand.

»Es wäre möglich«, erwiderte Geary in ruhigem Tonfall, weil er es sich nicht erlauben konnte, den Leuten irgendwelche Illusionen zu machen. »Aber wir wissen, dass die Syndiks lieber ihre eigenen Portale zerstören, bevor sie zulassen, dass wir sie benutzen. Die Flotte bei Lakota wird diesen Befehl ganz sicher erhalten haben. Wenn wir sehr viel Glück haben, gelingt es uns vielleicht, diese Flotte zu überrumpeln und das Portal vor den Syndiks zu erreichen. Doch da müssten wir wirklich vom Glück verwöhnt werden. Wenn die Syndiks tatsächlich damit beginnen sollten, das Portal zu zerstören…«

»Wir könnten das Portal anfliegen und versuchen, die Syndiks zu stoppen«, hielt Commander Yin dagegen.

»Um ehrlich zu sein«, warf der Captain der Daring ein, »ich möchte mich nicht noch mal in der Nähe eines kollabierenden Portals aufhalten.«

»Ich auch nicht«, ergänzte der Captain der Diamond. »Wenn die Orion das erledigen möchte, dann nur zu. Sie darf gern den Befehl ausführen.«

Commander Yin sah die beiden Kommandanten missgelaunt an, war aber offenbar klug genug, um zu erkennen, dass sie sich nur weiterem Spott aussetzen würde, wenn sie noch länger auf dem Thema herumritt.

»Wie viele Syndiks könnten bei Lakota auf uns warten?«, fragte der Captain der Warspite. »In den letzten Gefechten haben wir ihnen doch erhebliche Verluste zugefügt, außerdem haben wir ihre im Bau befindlichen Schiffe bei Sancere zusammen mit den Werften zerstört. Wenn der Haufen, der uns hier bei Ixion empfangen hat, als Maßstab gelten kann, dann sind die Syndiks wohl verzweifelt auf der Suche nach Schiffen, um eine Flotte zusammenzukratzen.«

Captain Tulev antwortete in ernstem Tonfall: »Vergessen Sie nicht den Hinterhalt im Syndik-Heimatsystem. Jeder Verlust, den wir den Syndiks seitdem zugefügt haben, dient nur dazu, allmählich das Gleichgewicht wiederherzustellen, dass durch die Vernichtung eines großen Teils unserer Flotte gestört worden ist.«

Betretenes Schweigen machte sich am Konferenztisch breit, da niemand Tulevs Aussage widersprechen wollte.

»Aber die Besatzungen dieser Schiffe hier waren doch blutige Anfänger«, hielt Commander Neeson von der Implacable dagegen. »Die hätte man noch gar nicht ins Gefecht schicken dürfen.«

»Das stimmt«, pflichtete Captain Duellos bei. »Captain Geary und ich haben darüber schon gesprochen, und wir glauben, die Syndiks hielten unser Auftauchen bei Ixion für so unwahrscheinlich, dass sie die erfahreneren Schiffe in andere Systeme geschickt haben.«

»Aber das bedeutet, dass sie zu wenig Schiffe haben«, beharrte Neeson.

»Zu wenige auf jeden Fall, um in mehr als einem System eine übermächtige Flotte in Position zu bringen, da sie nicht wissen, wo genau wir auftauchen werden«, betonte Duellos. »Sie haben mit Sicherheit zunehmend Schwierigkeiten, alle Möglichkeiten abzudecken.«

»Und mit etwas Glück«, fuhr Geary fort, »wird das auch Auswirkungen auf die Streitmacht haben, die bei Lakota wartet.«

»Haben Sie diese Angelegenheit mit Senatorin Rione besprochen?«, wollte plötzlich Captain Midea wissen.

Geary sah sie ohne jede Gefühlsregung an und fand, dass sie von Mal zu Mal mehr wie ein CEO der Syndiks aussah. »Ihr korrekter Titel lautet Co-Präsidentin Rione der Callas-Republik, Captain Midea, auch wenn sie ein Mitglied des Allianz-Senats ist. Ja, ich habe das mit ihr besprochen.«

»Dann ist es ihre Entscheidung, dass wir Lakota anfliegen?«

Als Geary sah, wie sich einige der Anwesenden reflexartig gerader hinsetzten, wusste er, wie er diese Reaktion zu deuten hatte. Und ihm war auch klar, wenn Rione sich im Rahmen der Konferenz gegen seinen Plan aussprechen wollte, dann war ihr soeben der perfekte Anlass geliefert worden. »Wie ich bereits bei früheren Gelegenheiten erwähnt habe, trifft Co-Präsidentin Rione keine Entscheidungen über den Kurs, dem diese Flotte folgt«, erwiderte er nachdrücklich.

Rione selbst meldete sich zu Wort und ergänzte ohne Gefühlsregung in ihrer Stimme: »Als Mitglied des Allianz-Senats besitze ich keine Befehlsgewalt über die Flotte, Captain Midea. War Ihnen das nicht bekannt?«

Mideas Gesicht lief rot an. »Wenn Co-Präsidentin Rione großen Einfluss auf Entscheidungen des Flottenkommandanten nimmt, dann kommt das aufs Gleiche raus.«

»Ich habe kein Problem damit«, gab Rione kühl lächelnd zurück, »bei der Ehre meiner Vorfahren zu schwören, dass Captain Geary so gut wie nie auf meinen Ratschlag gehört hat, was den Kurs dieser Flotte angeht.«

»Politikerehre«, murmelte jemand.

Einige, aber nicht alle, befehlshabende Offiziere der Schiffe der Callas-Republik verzogen das Gesicht, ein paar andere Offiziere am Tisch reagierten mit flüchtigem Lächeln auf die Beleidigung. Die meisten jedoch ließen keine Regung erkennen.

Geary wusste, dass ihm seine Reaktion nur zu deutlich anzusehen war. »Stellt meine Ehre diejenigen zufrieden, die an Co-Präsidentin Riones Worten zweifeln?«, forderte er die versammelten Offiziere heraus. Rione hatte die Gelegenheit nicht genutzt, seiner Entscheidung zu widersprechen, was für ihn Grund zur Erleichterung und zur Dankbarkeit war.

Nur Schweigen schlug ihm entgegen, bis Captain Mosko zögerlich zu einer Antwort ansetzte: »Man erwartet von Ihnen, dass Sie sie verteidigen, Captain Geary, wenn man die Beziehung zwischen Ihnen beiden bedenkt. So handelt auch ein ehrbarer Offizier.«

»Co-Präsidentin Rione erteilt Captain Geary keine Befehle. Und wenn sie es versuchen sollte, würde er nicht darauf achten«, widersprach Captain Desjani mit klarer Stimme, die frei von Gefühlsregungen war. »Das ist mein Urteil aus direkten Beobachtungen von Captain Gearys Verhalten auf der Brücke der Dauntless. Ich sage das bei meiner Ehre, und ich schätze, niemand glaubt, zwischen Co-Präsidentin Rione und mir könnte eine Beziehung bestehen, durch die ich mich verpflichtet fühlen könnte, sie zu verteidigen.«

»Sie fühlen sich offenbar verpflichtet, Captain Geary zu verteidigen«, erwiderte Captain Midea mit einem Unterton, der unterstellte, dass Desjanis Verpflichtung, ihn zu verteidigen, nicht allein dienstliche Gründe hatte.

Desjani warf der anderen Frau einen vernichtenden Blick zu. »Captain Midea, ich werde jeden Offizier verteidigen, der in der Lage ist, unseren Feind zu schlagen. Ganz besonders sogar, wenn er es so effizient erledigt wie Captain Geary. Er ist mein Flottenkommandant, und er ist ein Mann von Ehre. Meine Feinde sind die Syndiks und jeder, der sie unterstützt.«

Das nachfolgende Schweigen war noch angespannter als zuvor. Etwas widerwillig mischte sich Captain Casia ein, um Midea den Rücken zu stärken. »Diskussionen und Debatten zwischen den befehlshabenden Offizieren sind ein in der Flotte akzeptiertes Verhalten. Sie sind kein Anlass, um jemanden des Verrats zu bezichtigen.«

»Habe ich denn jemanden des Verrats bezichtigt?«, wollte Desjani wissen.

Geary setzte dem sich anschließenden betretenen Schweigen ein jähes Ende. »Offene Diskussionen und Debatten werden akzeptiert, aber nicht mehr, nachdem bereits über eine Vorgehensweise entschieden worden ist. Ich weiß, es gibt einige Offiziere in dieser Flotte, die hinter vorgehaltener Hand Dinge sagen, die sie öffentlich nicht wiederholen wollen. Ich habe es schon zuvor gesagt, und ich werde es jederzeit wiederholen, dass ich für Vorschläge und konstruktive Kommentare immer empfänglich bin, trotzdem mache ich auch noch einmal deutlich, dass ich der Befehlshaber dieser Flotte bin und es meine Pflicht und Verantwortung ist, Entscheidungen zu treffen und Befehle zu erteilen.«

Captain Badaya nickte. »Genau das erwarten wir auch von Ihnen«, merkte er an und warf Casia einen verächtlichen Blick zu. »Wenn wir das Hypernet-Portal bei Lakota nicht benutzen können, was wird dann unser nächstes Ziel sein?«

Dankbar dafür, dass er auf das eigentliche Thema zurückkommen konnte, anstatt über reale oder eingebildete Beziehungen zu reden, deutete Geary auf das Display. »Uns stehen dann einige gute Möglichkeiten offen. Wohin wir weiterfliegen werden, hängt zum Teil davon ab, was wir bei Lakota vorfinden und wie sehr wir dadurch in Kämpfe verwickelt werden.« Er sah zu Captain Tyrosian und den anderen Kommandanten der Hilfsschiffe. »Dank der herausragenden Anstrengungen unserer Hilfsschiffe sind wir in der Lage gewesen, den Vorrat an Brennstoffzellen und Munition auf ein gutes Niveau zu bringen, auch wenn wir im Durchschnitt noch nicht wieder hundert Prozent erreicht haben. Dafür wurde aber auch ein Großteil der Rohstoffe aufgebraucht, die wir bislang an Bord geholt haben. Wir müssen auf jeden Fall wieder unsere Vorräte aufstocken. Wie dringend das zu erfolgen hat, hängt davon ab, wie viele Brennstoffzellen wir bei Lakota verbrauchen und wie viele Waffen wir abfeuern werden.«

»Es scheint so, als würden wir sehr viel Zeit damit verbringen, die Hilfsschiffe zu bewachen oder deren Vorräte aufzustocken«, brummte der befehlshabende Offizier der Intrepid.

»Würden wir das nicht machen«, gab Captain Duellos gut gelaunt zurück, »dann säßen Sie jetzt schon längst in einem Syndik-Arbeitslager. Ohne Waffen und ohne Brennstoffzellen lässt sich nämlich nur schwer kämpfen.«

Der Kommandant der Bracer nickte. »Mein Schiff ist bei Daiquon schwer beschädigt worden. Die Ingenieure haben bis zur Erschöpfung gearbeitet, um uns bei den Reparaturen zu helfen. Für meine Crew und mich ist es eine Freude, diese Schiffe zu begleiten, bis wir wieder voll einsatzfähig sind.«

Mehrere Offiziere schauten zu Commander Yin und den Befehlshabern der Majestic und der Warrior. Alle drei Schlachtschiffe mussten sich umfangreichen Reparaturen unterziehen, aber keiner dieser Offiziere hatte bislang ein gutes Wort über die Hilfsschiffe verloren. »Wir sind auch dankbar«, meldete sich hastig Commander Suram von der Warrior zu Wort. »Mit etwas Glück sind wir bis Lakota wieder einsatzbereit.«

»Die Vierte Division wäre ohne Sie nicht die Gleiche«, meinte der Captain der Revenge lächelnd, wurde dann jedoch ernst. »Wir müssen noch immer die Triumph rächen, aber wir freuen uns schon darauf, die Warrior bald wieder bei uns zu haben.«

Schäden. Geary machte eine nachdenkliche Miene und versuchte, sich die Details der am schwersten beschädigten Schiffe ins Gedächtnis zu holen. Der von der Mine verursachte Schaden an der Titan selbst war inzwischen behoben worden. Die Warrior machte gute Fortschritte, die Orion und die Majestic dagegen waren nach wie vor kaum einsatzfähig, und an einigen leichteren Einheiten wurde noch intensiv gearbeitet, um sie wieder in Form zu bringen. Hätte er doch zwei Monate zur Verfügung, in denen er nicht vor den Syndiks davonlaufen musste und die er in einem an Ressourcen reichen Sternensystem verbringen könnte, am besten mit einer Werft… einer richtig großen Werft… Da kann ich mir ja auch gleich ein unbewachtes Hypernet-Portal wünschen. So etwas werde ich auch nie zu sehen bekommen. »Wir werden weiterhin Vergeltung für unsere Verluste üben«, fügte er laut an. »Die Flotte wird den Kurs anpeilen, um zum Sprungpunkt nach Lakota zu fliegen. Wir wechseln mit etwas niedrigerer Geschwindigkeit in den Sprungraum über, als wir es auf dem Weg nach hier gemacht haben. Außerdem werden wir diesmal nach dem Verlassen des Sprungraums eine zuvor genau festgelegte Kehre nach Backbord beschreiben, um Minenfeldern der Syndiks aus dem Weg zu gehen. Wenn wir Lakota erreichen, werden wir gefechtsbereit sein, auch wenn ich nicht damit rechne, dass man uns dort genauso empfangen wird wie hier bei Ixion.«

»Wenn die Syndik-Behörden hier in Ixion erst mal melden, wie rasant wir die Streitmacht am Sprungpunkt ausgelöscht haben, wird deren Oberkommando diese Taktik so schnell nicht wiederholen«, urteilte Tulev.

»Wiederholen werden sie die nur, wenn wir großes Glück haben«, gab Geary zurück und löste damit amüsierte Reaktionen aus. »Noch irgendwelche Fragen? Gut, dann sehen wir uns in Lakota wieder.«

Diesmal löste sich die Versammlung schnell auf, zurück blieben außer Geary vier Personen: natürlich Captain Desjani, aber auch die Captains Badaya, Duellos und Tyrosian.

Tyrosian stutzte, als sie Badaya und Duellos sah, dann erklärte sie hastig: »Ich wollte mich nur bei Ihnen bedanken, Captain Geary, dass Sie die Rolle gewürdigt haben, die wir in der Flotte spielen. Ich habe unter verschiedenen Kommandanten gedient, die immer nur die Schwierigkeiten gesehen haben, die Hilfsschiffe einer Flotte bereiten. Es tut gut, wenn unser Beitrag zur Flotte auch mal gewürdigt wird.«

»Ich bin dankbar dafür, dass ich die Witch, Titan, Jinn und Goblin in dieser Flotte habe«, versicherte Geary ihr. »Ihre Anwesenheit ist unbezahlbar, und die Anstrengungen ihrer Besatzungen sind wirklich außerordentlich. Geben Sie das bitte an alle Schiffe weiter.«

Tyrosian nickte, salutierte schnell und verschwand dann.

Captain Badaya wandte sich stirnrunzelnd an Desjani: »Sie sollten sich ein solches Verhalten von Midea nicht gefallen lassen. Vor drei Jahren wäre sie fast vors Kriegsgericht gekommen, weil sie ein Verhältnis mit ihrem XO hatte, und jetzt besitzt sie die Dreistigkeit, Ihnen das Gleiche zu unterstellen.

Desjani verzog das Gesicht. »Bei Leuten wie ihr störe ich mich nicht daran, was sie reden.«

»Der Flotte wäre damit gedient, wenn man ihr das Kommando abnehmen würde«, fand Badaya. »Wenn sie nicht mit energischer Hand geführt wird, neigt sie zu impulsivem Verhalten, anstatt erst mal nachzudenken. Es würde nicht viel Widerspruch auslösen, wenn Sie sie ihres Postens entheben, Captain Geary. Sie genießt keinen guten Ruf, und das gilt auch für Captain Casia.«

»Captain Numos auch nicht«, betonte Duellos. »Und doch haben viele auf ihn gehört.«

»Das ist richtig«, räumte Badaya ein. »Aber die Zahl solcher Offiziere nimmt nicht mehr zu. Ich bin nicht der Flottenkommandant, und ich maße mir auch nicht an, ihm zu sagen, was er tun oder lassen sollte. Ich will ihn nur wissen lassen, dass er Mideas sinnloses Gerede nicht hinnehmen muss. Und ich wollte mein Bedauern gegenüber Captain Desjani ausdrücken, auch wenn ich glaube, dass es schlimmere Schicksale gibt, als für jemanden gehalten zu werden, der die Gunst von Captain Geary genießt.«

Desjani errötete. Dieser letzte Kommentar missfiel ihr auf das Äußerste, doch Badaya schien davon keine Notiz zu nehmen. »Vielen Dank, Captain Badaya«, gab sie kühl zurück.

Der salutierte zackig und lächelnd, dann verschwand auch sein Bild.

Kopfschüttelnd erklärte Desjani an Geary gewandt: »Ich denke, ich sollte nicht allein mit Ihnen hierbleiben, Sir. Deshalb werde ich mich jetzt zurückziehen, solange Captain Duellos noch hier ist.«

Duellos trat vor. »Tanya, wer Sie kennt, der nimmt von diesen Gerüchten keine Notiz.«

»Danke«, sagte sie und nickte. »Aber mir ist auch wichtig, was diejenigen denken, die mich nicht kennen.« Mit diesen Worten salutierte sie hastig, dann verließ sie den Raum.

Geary sah ihr ernst nach. »So was hat sie nicht verdient.«

»Nein«, stimmte Duellos ihm zum. »Doch entgegen Captain Badayas Meinung würde sich nichts ändern, wenn Captain Midea ihren Platz räumt. Ich halte es sogar für wahrscheinlicher, dass ein solcher Akt Gerüchte nach sich ziehen wird, Sie hätten versucht, sie zum Schweigen zu bringen.«

»Damit könnten Sie recht haben. Was Badaya dazu gesagt hat, dass sie mit fester Hand geführt werden muss… Sehen Sie das auch so?«

Duellos nickte. »Schon ironisch, nicht wahr? Captain Numos wird nur von wenigen Leuten für einen fähigen Offizier gehalten, aber er hatte Midea so gut im Griff, dass ihre gedankenlose Art nie zum Tragen kam, solange er diese Schlachtschiffdivision befehligte.«

»Das ist wirklich ironisch. Ich hätte nicht gedacht, dass ich jemals glauben würde, Numos könnte irgendwelche Führungsqualitäten besitzen.« Geary atmete seufzend aus und schaute auf den Platz, auf dem eben noch Captain Desjani gesessen hatte. »Wie kann ich diesen Gerüchten ein Ende bereiten? Das Einzige, was mir einfallen will, ist, Desjani so zu behandeln wie jeden anderen Offizier auch.«

»Das sehe ich auch so. Allerdings war es nicht sehr hilfreich, dass Badaya auf eine ziemlich tollpatschige Art dem Gedanken, sie als Ihre Begleiterin zu haben, seinen Segen geben musste. Auch wenn er es nicht ausgesprochen hat, ist es nach Meinung vieler nicht annähernd so erstrebenswert, eine Politikerin an seiner Seite zu haben.«

»Wen ich an meiner Seite habe, geht nur mich etwas an! Jedenfalls, solange ich mich ehrbar verhalte und nicht gegen irgendwelche Vorschriften verstoße«, ergänzte Geary.

»Das will ich gar nicht bestreiten. Aber Sie sind kein beliebiger Flottenkommandant, und Politikern kann man nun mal nicht vertrauen, selbst wenn man ihnen wie im Fall von Co-Präsidentin Rione nachsagt, dass sie aufrichtig sind. Wer so denkt wie Badaya, der wird es befürworten, wenn Sie sie verlassen und sich stattdessen Desjani zuwenden. Zwei Offiziere der Flotte, die gemeinsam über die Flotte herrschen.« Nach einer kurzen Pause fügte Duellos an: »Würden Sie das machen?«

»Was?« Geary sah ihn verdutzt an. »Wie können Sie mich so etwas überhaupt nur fragen? Ich sagte bereits, dass ich Desjani nicht so behandeln würde.«

Duellos verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln. »Entschuldigen Sie. Ihre Äußerung zu Captain Desjani hatte ich bereits akzeptiert. Ich bezog mich auf das Angebot, das Captain Badaya Ihnen vor Kurzem unterbreitet hat.«

»Oh.« Gearys Wut ebbte gleich wieder ab, und er schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe es nicht angenommen, und das wird auch nicht passieren. Das habe ich ihm deutlich gesagt. Wie viele Leute in der Flotte wissen davon?«

»Vermutlich jeder befehlshabende Offizier in dieser Flotte.« Duellos sah Geary forschend an. »Ich bin froh, dass Sie das so kategorisch ablehnen. Ich ärgere mich auch manchmal über unsere politische Führung, aber ich nehme meinen Eid gegenüber der Allianz ernst. Ich könnte Sie bei so etwas nicht unterstützen, sondern würde mich gegen Sie stellen.«

Geary nickte nur, er vertraute Duellos, dass er ganz sicher seiner Regierung treu bleiben würde. »Hat Badaya recht? Würde der größte Teil der Flotte einen solchen Schritt unterstützen? Ich hoffe auf ein Nein.«

»Das kann ich Ihnen leider nicht geben. Höchstwahrscheinlich würden zwei Drittel der Flotte Sie als Diktator akzeptieren, wenn vielleicht auch nicht jeder aus den gleichen Gründen.« Duellos sah einen Moment zur Seite. »Und natürlich würden einige Captains, die sich in dem Fall gegen Sie aussprechen, von ihrer Crew abgesetzt, um jemanden nachrücken zu lassen, den Sie bestimmen.«

Mit beiden Händen rieb Geary über seine Stirn, während er nachzudenken versuchte. »Ich wage es gar nicht, Colonel Carabali zu fragen. Sie wird noch glauben, ich will sie aushorchen und ihren Standpunkt in Erfahrung bringen.«

»Die Marines?« Duellos zog die Augenbrauen zusammen. »Die wären eine unberechenbare Größe. Ihnen gegenüber wären sie auf jeden Fall loyal, allerdings hat auch ihre Loyalität gegenüber der Allianz einen legendären Ruf.« Er zuckte mit den Schultern. »Es würde aber nichts ändern. Wenn die Besatzungen sich hinter Sie stellen, gibt es nicht genug Marines, um etwas dagegen zu unternehmen.«

»Ich kann es gar nicht fassen, dass ich überhaupt über so etwas rede.« Geary schüttelte den Kopf, ging langsam im Konferenzraum auf und ab, dann kehrte er zu Duellos zurück. Er musste sich selbst gegenüber und nach außen ein klares Zeichen setzen. »Ich werde Badayas Angebot nicht annehmen.«

Duellos lächelte. »Gut. Ich hatte es auch nicht erwartet, aber wenn so viel auf dem Spiel steht, fühlt es sich gut an, die Antwort direkt von Ihnen zu hören. Ich würde mich nicht gegen Sie stellen wollen.«

»Dann können wir uns ja die Hand reichen«, erwiderte Geary und lächelte ebenfalls. »Ich glaube, wir werden immer auf der gleichen Seite sein.«

»Tanya Desjani würde Ihnen folgen. Sie wäre zwar innerlich zerrissen, aber sie würde loyal zu Ihnen stehen.«

»Warum erzählen Sie mir das?«

»Weil ich nicht glaube, dass Sie sie jemals darum bitten würden, gegen ihren Eid zu verstoßen, und unter jeglichen anderen Umständen würde sie das auch nicht tun… Es sei denn, Sie sind derjenige, der sie dazu auffordert.«

»Danke.« Er war sich noch immer nicht im Klaren, wieso Duellos ihn das wissen lassen wollte, aber für den Augenblick ließ Geary es auf sich beruhen. »Und wie denken Sie jetzt über Lakota? Immer noch besorgt?«

»Sie nicht? Es ist riskant. Doch es ist egal, wohin wir von hier aus weiterreisen, es ist alles riskant. Ich denke, wir können dieses Risiko eingehen. Wir können noch so gründlich abwägen und planen, irgendwann wird unsere Glückssträhne ein Ende haben, und diese Flotte wird in große Schwierigkeiten geraten. Aber dann können wir auch wie Krieger sterben, die nach den Sternen gegriffen haben, nicht wie Mäuse, die sich in einem Loch verkrochen haben.«

»Selbst wenn uns bei Lakota ein großes Syndik-Aufgebot erwartet, heißt das nicht, dass diese Flotte sterben wird.«

»Hoffentlich nicht. Aber selbst wenn doch, haben Sie uns geholfen, nach dem Desaster im Syndik-Heimatsystem das Gleichgewicht der Kräfte wieder auszugleichen. Wenn wir genügend Syndiks mit in den Untergang reißen, wird die Allianz immer noch eine Chance haben.« Duellos salutierte. »Wir sehen uns in Lakota.«


* * *

»Wir bekommen Gesellschaft, Sir.«

Desjanis Stimme riss ihn in seinem Quartier aus dem Schlaf, und er klatschte seine Hand auf das Komm-Panel, um die eingehende Nachricht anzunehmen. »Wie viele?«

»Acht große Syndik-Schiffe sind durch den Sprungpunkt von Dansik nach Ixion gekommen. Vier Schlachtschiffe, vier Schlachtkreuzer, begleitet von sechs Schweren Kreuzern und der üblichen Mischung aus Leichten Kreuzern und Jägern. Sie sind ungefähr zwei Lichtstunden an Steuerbord von uns entfernt. Vor zwei Stunden waren sie mit 0,1 Licht unterwegs.«

»Inzwischen werden sie Kurs auf uns genommen haben.«

»Ja, Sir. Es passiert in diesem Moment. Sie drehen bei, aber ich glaube nicht, dass sie versuchen werden, auf Abfangkurs zu gehen. Wir sind vier Stunden und zehn Minuten vom Sprungpunkt nach Lakota entfernt.«

»Nein, ganz sicher kein Abfangkurs«, stimmte er ihr zu. Bei 0,1 Licht benötigten sie für eine Strecke von zwei Lichtstunden zwanzig Stunden. Da sich die Syndiks zudem noch in einem Winkel näherten, würde die zurückzulegende Strecke sogar noch etwas länger ausfallen. »Die verfolgen uns zum Sprungpunkt und fliegen uns einfach hinterher.« Der Feind war gesichtet worden, aber sie konnten schlichtweg nichts dagegen unternehmen. Kehrtzumachen und die Syndiks abzufangen, wäre ein sinnloses Unterfangen, da diese Flotte einfach jeder Konfrontation aus dem Weg gehen und auf weitere Verstärkung warten konnte. »Danke für die Information. Bleiben Sie auf Kurs zum Sprungpunkt nach Lakota.«

»Jawohl, Sir«, erwiderte Desjani.

Er legte sich wieder hin und wurde prompt von Schuldgefühlen heimgesucht. Desjani saß auf der Brücke, behielt die Situation im Auge und beobachtete den Feind, während er in seinem Quartier im Bett lag. Natürlich hätte er sich auf der Brücke in keiner Weise nützlich machen können, dennoch kam es ihm verkehrt vor, dass er nicht dort war.

Riones Hand schob sich über seine Brust. »Werden die uns nach Lakota folgen?«, murmelte sie ihm ins Ohr.

»Ja. Tut mir leid, dass du aufgewacht bist.«

»Nicht so schlimm. Du wirst jetzt sicher Probleme haben, wieder einzuschlafen.« Ihre Hand wanderte weiter nach unten. »Es wäre doch unsinnig, wenn wir beide einfach nur wach im Bett liegen, nicht wahr?«

Dass ihnen Syndik-Schiffe in dieses System gefolgt waren, schien Rione gar nicht zu stören. Oder sie versuchte, ihn von seinen Sorgen abzulenken. Oder sie war insgeheim darüber beunruhigt, was sie womöglich bei Lakota erwartete, dass sie keine Gelegenheit verpassen wollte, Zeit mit ihm zu verbringen.

Nach einigen Augenblicken hörte er auf zu grübeln, welche Motive sie für ihr Handeln haben mochte.


* * *

Geary saß auf der Brücke der Dauntless und musterte das Display, das seine Flotte darstellte. Er hatte seine Schiffe eine alte, als Echo Five bekannte Formation einnehmen lassen, die aus fünf Unterformationen in der Form von Münzen bestand. Jede dieser Scheiben wies ein wenig Tiefe auf und war vertikal nach vorn ausgerichtet. Angeführt wurde die Flotte von Echo Five One, die sich aus Überresten von Captain Cresidas Fünfter Schlachtkreuzerdivision und der dezimierten Siebten Schlachtkreuzerdivision zusammensetzte. Zwei Schlachtkreuzerdivisionen, die aus gerade mal fünf Schiffen bestanden. Das war deprimierend, und er dachte lieber gar nicht erst darüber nach. Dank der Schweren und Leichten Kreuzer sowie der Zerstörer, die dieser Einheit zugeteilt worden waren, besaß die Vorhut zumindest eine passable Kampfstärke.

Zu beiden Seiten der Hauptformation fanden sich Echo Five Two und Five Three. Zu Five Two gehörten die acht Schlachtkreuzer der Ersten und Zweiten Division, außerdem einige leichtere Schiffe, während Five Three aus den acht Schlachtschiffen der Zweiten und Fünften Division sowie aus leichteren Einheiten bestand. Die Nachhut bildete Echo Five Five, zu der die vier Hilfsschiffe, beschädigte Kriegsschiffe wie die Warrior, die Orion und die Majestic sowie die Indefatigable, die Defiant und die Audacious der Siebten Schlachtschiffdivision gehörten.

Die restlichen fünf Schlachtkreuzer — darunter die Dauntless —, die dreizehn übrigen Schlachtschiffe und die beiden Scout-Schlachtschiffe bildeten den Kern der Unterformation Echo Five Four, der von den übrigen Schweren und Leichten Kreuzern sowie den Zerstörern begleitet wurde. Insgesamt betrachtet sollte die Allianz-Flotte mit allem zurechtkommen können, was sich ihnen womöglich in den Weg stellte, sobald sie den Sprungpunkt bei Lakota verließen.

»Alle Einheiten haben ihre Geschwindigkeit auf 0,04 Licht reduziert«, meldete Captain Desjani. »Alle Einheiten melden, dass sie zum Sprung bereit sind.«

Geary nickte bedächtig und hoffte inständig, dass ihm jetzt nicht jener Fehler unterlief, vor dem er schon seit dem Tag Angst hatte, an dem ihm das Kommando über diese Flotte übertragen worden war. »An alle Einheiten: Gehen Sie in Gefechtsbereitschaft, wenn Sie bei Lakota den Sprungraum verlassen. Alle Einheiten: Springen Sie jetzt.«

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