Fünf

Eigentlich hatte die Durchquerung des Daiquon-Systems zum Sprungpunkt nach Ixion fünfeinhalb Tage in Anspruch nehmen sollen. Bei den fünf nennenswerten Objekten im Orbit um den Stern Daiquon handelte es sich um vier Felsblöcke, die kaum die Größe von Planeten erreichten, sowie einen Superriesen, dem es nur knapp an der nötigen Masse fehlte, um selbst das Kernfusionsfeuer eines Sternes gezündet zu haben. Die kleine Syndik-Einrichtung, die sich auf einem der Felsbrocken fand, war komplett kalt und wahrscheinlich vor langer Zeit eingemottet worden. Es gab also keinen Grund, länger als unbedingt nötig hier zu verharren.

Allerdings war der Schwere Kreuzer Brilliant so stark beschädigt worden, dass Geary die gesamte Formation langsamer weiterfliegen ließ, während der Hauptantrieb des Schiffs in aller Eile repariert wurde. Die einzige Alternative hätte darin bestanden, die Brilliant zurückzulassen, doch dazu war Geary nicht bereit.

Keine andere Wahl blieb ihm dagegen bei den Zerstörern Sword-Breaker und Machete. Beide waren so in Mitleidenschaft gezogen worden, dass man sie nur in einer großen Werft hätte reparieren können. Geary hatte die Besatzungen auf andere Schiffe umverteilt, und der Antrieb der Zerstörer war auf Überhitzung eingestellt worden, sodass die Schiffe sich in langsam ausbreitende Trümmerfelder verwandelten. Die Offiziere und Matrosen wurden anderswo dringend gebraucht, dennoch versetzte es der Moral einen Stich, dass sie zwei Schiffe aufgeben mussten.

Einige Zerstörer, drei Leichte Kreuzer und ein Schwerer Kreuzer hatten sich den drei Schlachtschiffen anschließen müssen, die ihre eigene Division aus schwer beschädigten Kriegsschiffen bildeten. Geary versuchte, den Stolz der Besatzung zu wahren, indem er sie offiziell zur Eskorte der Hilfsschiffe erklärte, dennoch fürchtete er, dass die Unzufriedenheit darüber, so weit von der Frontlinie entfernt zu sein, auf lange Sicht zu weiteren Problemen führen würde. Sie werden verärgert sein, auch wenn es die einzig sinnvolle Entscheidung ist. Aber was ist bei einem Krieg schon als sinnvoll zu bezeichnen?

Geary schloss die Augen und versuchte, die Bilder von sterbenden Raumschiffen, die ihre Besatzungen mit in den Tod rissen, aus seinem Kopf zu verdrängen. In seiner Kabine war alles ruhig, nur leise Geräusche aus der Ferne verrieten, dass die Dauntless ein lebendiges Schiff war, und spendeten ihm auf ihre Weise Trost. Lüftungssysteme summten, während sie gekühlte Luft im Schiff verteilten, Flüssigkeiten wurden nach hier und dort gepumpt, leise, kaum wahrnehmbare Stimmen kamen näher und entfernten sich wieder, manchmal begleitet vom Poltern einer Transportkarre. Seit wie vielen Jahrhunderten hörten Matrosen schon solche Geräuschkulissen? Früher waren es knarrende Holzbalken gewesen und das Knattern der Segel, mit deren Hilfe man sich über Ozeane bewegt hatte. Auf keinem Schiff war es jemals richtig ruhig, zumindest nicht auf lebenden Schiffen.

»Captain Geary? Hier ist Lieutenant Iger vom Geheimdienst.«

Er betätigte die Komm-Taste, um den Anruf anzunehmen. »Geary hier. Was haben Sie?«

»Wir haben die Kommunikation zwischen den Rettungskapseln der Syndiks analysiert, und so weit wir das einschätzen können, sind alle Senioroffiziere auf ihren Schiffen umgekommen. In keiner der Kapseln scheint jemand zu sitzen, der seine Autorität durchsetzen will oder der versucht, irgendetwas zu koordinieren.«

Es war nutzlos, eines seiner Schiffe loszuschicken, damit es eine Rettungskapsel an Bord holte, wenn deren Insassen doch nichts Nützliches berichten konnten. »Sind sie immer noch auf Kurs zu der stillgelegten Einrichtung im System?«

»Ja, Sir«, bestätigte Iger. »Woanders können sie auch nicht hin.«

»Wie lange können sie mit dem überleben, was sie an Bord haben und was sich in der Einrichtung befindet?« Bislang war die Allianz-Flotte in jeder eingemotteten Einrichtung der Syndiks auf Notrationen gestoßen.

»Die Kapseln enthalten genug Rationen für einen Zeitraum von mehreren Wochen, vorausgesetzt, sie sind überhaupt alle voll besetzt. Das kann man natürlich noch eine Weile strecken. Selbst wenn die meisten Schiffe hier warten sollten, ob wir in diesem System auftauchen, gehört es zu den Routinevorgängen der Syndiks, dass sie ein Kurierschiff losschicken, das den erfolgreichen Abschluss der Mission meldet. In diesem Fall bestand die Mission darin, die Minen zu deponieren. Wenn die gegnerischen Führer nichts von den Kriegsschiffen bei Daiquon hören, werden sie jemanden herschicken, damit der sich hier umsieht. Es könnte sogar bereits ein Schiff hierher unterwegs sein.«

»Okay, danke.« Es wäre sinnlos gewesen, Kapseln an Bord zu holen, die mit Syndik-Matrosen besetzt waren. Er konnte aber sicherstellen, dass diese Flotte eine Nachricht an die Syndik-Behörden auf der bewohnten Welt im Ixion-Sternensystem übermittelte, damit die von den Leuten erfuhren, die hier auf Rettung warteten.

Geary versuchte in seinen Tagtraum zurückzukehren, da wurde die Türglocke zu seinem Quartier betätigt. »Herein«, rief er resigniert, ohne die Augen zu öffnen.

Nach einer kurzen Pause hörte er eine ironische Stimme sagen: »Meinen Glückwunsch zu einem weiteren Sieg.«

Er schlug die Augen auf und sah Victoria Rione in der Türöffnung stehen. Als sie seinen Blick bemerkte, trat sie ein, woraufhin sich die Luke hinter ihr schloss. Sie nahm ihm gegenüber Platz. Anders als Desjani lehnte Rione sich entspannt zurück, wirkte dabei jedoch so angespannt wie eine Katze, die jeden Moment wieder aufspringen konnte. »Was verschafft mir diese Ehre?«

»Wie ich schon sagte: Ich bin gekommen, um meinen Glückwunsch auszusprechen.«

»Von wegen«, gab Geary mürrisch zurück. »Sie sind mir wochenlang aus dem Weg gegangen. Warum beschließen Sie auf einmal, sich wieder blicken zu lassen?«

Rione wich seinem Blick aus. »Ich habe meine Gründe. In dem jüngsten Gefecht haben wir ein Schiff der Callas-Republik verloren.«

»Die Glacis, ich weiß. Tut mir leid. Wir konnten noch etwa die Hälfte der Besatzung retten, die auf die übrigen Schiffe der Callas-Republik verteilt wurden.«

»Danke«, brachte sie verbissen heraus. »Ich hätte mich darum kümmern sollen. Schließlich ist das meine Zuständigkeit.«

»Nein, es ist meine, weil ich der Flottenbefehlshaber bin. Aber ich wäre Ihnen dankbar gewesen, wenn Sie mich dabei unterstützt hätten. Und offen gesagt, Madam Co-Präsidentin, die Schiffe der Callas-Republik fragen sich, wieso Sie nicht in engerem Kontakt mit ihnen gestanden haben.«

»Ich habe meine Gründe«, wiederholte Rione nach längerem Schweigen.

»Die könnten Sie mit jemandem teilen«, wandte Geary ein. »Waren Sie es nicht, die mir vor einer Weile empfahl, ich solle über meine Probleme reden?«

»Habe ich das gesagt? Waren Sie einsam?«, fügte Sie urplötzlich hinzu.

»Sie haben mir gefehlt.«

»Ich bin nicht die einzige Frau auf diesem Schiff, Captain Geary.«

»Sie sind die Einzige, die ich berühren kann«, betonte Geary energisch. »Das wissen Sie so gut wie ich. Alle anderen sind meine Untergebenen.«

Sie musterte ihn und ließ auf diese Weise, wie üblich, ihre Gefühle nicht erkennen. »Sie hatten niemanden, mit dem Sie reden konnten?«

»Ein paar Mal hatte ich jemanden. Mal Captain Duellos, mal Captain Desjani.«

»Ach?« Nach wie vor war es unmöglich zu sagen, was ihr durch den Kopf ging. »Captain Desjani? Haben Sie mit ihr darüber diskutiert, wie man am besten Syndiks abschlachtet?«

Das klang fast wieder wie Riones früherer, beißender Spott. Geary dachte gründlich über seine Erwiderung nach, beschloss dann jedoch, einfach mit offenen Karten zu spielen. »Vorwiegend waren es taktische und organisatorische Dinge. Aber wir sprachen auch einmal über Kosatka. Ich sagte ihr, wenn wir zurückgekehrt sind, würde ich den Planeten gern besuchen.«

Rione zog eine Augenbraue hoch.

»Wieso nicht? Es ist eine schöne Welt. Vielleicht könnte ich da nicht auf Dauer bleiben, aber ich würde gern noch einmal hin.«

»Diese Welt hat sich verändert, Captain Geary.«

»Das hat Desjani auch schon gesagt.« Er zuckte mit den Schultern. »Vielleicht will ich ja sehen, wie sie sich verändert hat. Vielleicht hilft es mir, die Tatsache zu begreifen, dass seit meinem letzten Besuch hundert Jahre vergangen sind.«

»Man würde Ihnen wohl kaum erlauben, sich da einfach so umzusehen«, wandte sie ein und verzog die Mundwinkel. »Black Jack würde von allen Seiten bestürmt werden.«

»Ich weiß. Desjani hat mir angeboten, mir den Planeten zu zeigen. Vielleicht könnte sie mir ja auch helfen, den Menschenmassen aus dem Weg zu gehen. Ihre Eltern leben noch, und ich kann mir vorstellen, dass sie uns helfen werden, damit wir nicht auffallen.«

Einen Moment lang rührte sich Victoria überhaupt nicht, dann entgegnete sie: »Sieh einer an. Tanya Desjani hat Sie zu sich nach Hause eingeladen, um Sie ihren Eltern vorzustellen.«

Es war ihm gar nicht bewusst gewesen, dass man Desjanis Angebot so deuten konnte. »Was ist los? Sind Sie eifersüchtig?«

Diesmal zog Rione ruckartig beide Augenbrauen hoch. »Wohl kaum.«

»Gut. Denn das Letzte, was ich will, ist, dass irgendjemand glaubt, ich sei an ihr oder sie sei an mir interessiert.« Hatte Rione die aus der Luft gegriffenen Gerüchte über ihn und Desjani gehört, auf die Duellos zu sprechen gekommen war?

Diesmal lächelte sie flüchtig. »Oh, ganz sicher nicht, John Geary. Denken Sie mal darüber nach, welche Vorteile damit verbunden sind, eine Frau zu haben, die glaubt, dass die lebenden Sterne Sie geschickt haben, um uns alle zu retten. Viele Männer beten für eine Frau, die sie anbetet. Eine von diesen Frauen wartet nur auf Sie.«

Geary stand auf, da sich Wut in ihm regte. »Ich finde das überhaupt nicht witzig. Tanya Desjani ist eine gute Offizierin. Ich will nicht, dass irgendjemand denkt, sie könnte zu unprofessionellem Verhalten neigen. Meine Gegner in der Flotte versuchen bereits, Unruhe zu stiften und meine Autorität zu unterhöhlen, indem sie andeuten, Desjani und ich hätten eine Affäre. Ich will nicht noch mehr Gerüchte von dieser Art hören. Ich werde ihr das nicht antun.«

Rione wurde ernst, und einen Moment lang senkte sie den Blick. Als sie ihn wieder ansah, wirkte sie gefasst. »Es tut mir leid. Sie haben recht.«

»Nicht zu fassen«, rutschte ihm heraus. »Ich habe eine Frau, die gerade zugegeben hat, dass ich recht habe. Dafür beten auch viele Männer.«

»Nur weil ich mich wie ein Miststück aufführe, müssen Sie nicht gleich den Bastard spielen.«

Jetzt war es an Geary, den Blick abzuwenden und betreten zu nicken. »Das stimmt.«

»Außerdem«, fuhr sie fort, »kann ich das viel besser als Sie.« Sie ließ sich wieder in ihren Sessel sinken, ihre Gesichtszüge verrieten Erschöpfung und Unzufriedenheit.

Geary beugte sich vor. »Was zum Teufel ist mit Ihnen los, Victoria? Ich weiß, irgendetwas macht Ihnen zu schaffen, aber ich glaube, es betrifft nicht mich. Ich versuche, eine Erklärung dafür zu finden, wieso Sie Ihren Pflichten gegenüber der Allianz und der Callas-Republik nicht nachkommen, und ich kann nur sagen, dass ich ratlos bin.« Sie saß schweigend da und ließ sich nicht anmerken, was in ihr vorging. »Hat es etwas mit mir zu tun? Sie haben mich seit Ilion nicht mehr angefasst. Ich weiß, wir haben uns nichts versprochen, aber ich verstehe beim besten Willen nicht, was passiert ist, dass sich alles so radikal verändert hat.«

Rione zuckte mit den Schultern und drehte den Kopf zur Seite. »Ich bin ein Miststück, und das wussten Sie von vornherein. Außerdem war es nur etwas Körperliches.«

»Nein, das war es nicht.« Rione sah ihn weiterhin nicht an, während er fortfuhr: »Ich habe es damals gesagt, und ich sage es jetzt auch wieder: Ich unterhalte mich gern mit Ihnen, und ich habe Sie gern um mich.«

»Mir fällt auf, dass Sie mir nicht widersprechen, was die Sache mit dem Miststück angeht.«

»Und Sie versuchen, das Thema zu wechseln.« Er bemerkte ihr Stirnrunzeln. »Hat es was damit zu tun, dass Sie und Captain Desjani sich jedes Mal am liebsten an die Gurgel gehen würden, wenn Sie beide sich im gleichen Raum aufhalten?«

Sie lachte spöttisch. »Was für ein aufmerksamer Mann Sie doch sind. Wären Desjani und ich zwei Formationen aus Syndik-Kriegsschiffen, dann hätten Sie uns schon längst durchschaut.«

Geary weigerte sich, den Köder zu schlucken. »Ich schätze Sie beide, und ich mag Sie beide, wenn auch auf unterschiedliche Art. Und ich respektiere Ihre und Desjanis Denkweise. Darum macht es mich ja auch so rasend, dass ich nicht weiß, warum Sie beide sich seit Ilion zu hassen scheinen.«

Rione sah eine Zeit lang zur Seite, ehe sie antwortete: »Captain Tanya Desjani hat Angst, dass ich dem Mann wehtue, den sie verehrt.«

»Verdammt, Victoria…«

»Ich scherze nicht, John Geary.« Sie seufzte schwer und sah ihn schließlich an. »Strengen Sie Ihren Kopf an!«, forderte sie ihn schroff auf. »Was haben wir bei Sancere an Bord genommen?«

»Eine Menge Dinge.«

»Darunter auch eine überholte, aber umfangreiche Liste der Kriegsgefangenen, die zur Allianz gehören.« Geary erschrak, als er sah, dass Rione leicht zu zittern schien, als sie redete. »Sie wissen, die Syndiks haben schon vor langer Zeit aufgehört, mit uns Listen der Kriegsgefangenen auszutauschen. Sie wissen auch, dass viele, die auf dieser Liste stehen, in der Allianz für tot gehalten wurden. Ihnen sollte klar gewesen sein, dass auf dieser Liste auch Namen von Menschen stehen, deren Tod als sicher angenommen wurde!« Die letzten Worte schrie sie ihm förmlich ins Gesicht.

Dann endlich begriff er. »Ihr Ehemann. Sein Name steht auf der Liste?«

Sie hatte die Fäuste geballt und zitterte unübersehbar. »Ja.«

»Aber Sie sagten, er ist tot.«

»Die, die von dem Schiff entkommen konnten, sagten mir, er sei gestorben!«, brüllte sie, doch Geary wusste, es war nicht gegen ihn gerichtet. Indem sie mehrere Male tief durchatmete, kam sie wieder zur Ruhe. »Aber auf der Liste stehen sein Name und seine Identitätsnummer. Es ist vermerkt, dass er zwar mit schweren Verletzungen, jedoch lebend gefangen genommen wurde.«

Er wartete einen Moment lang, doch sie sagte weiter nichts. »Das ist alles?«

»Ja, das ist alles, John Geary. Ich weiß, die Syndiks haben ihn lebend gefasst, und er war schwer verletzt. Ich weiß nicht, ob er am nächsten Tag noch gelebt hat, und ich weiß nicht, ob die medizinische Behandlung durch die Syndiks ihm das Leben gerettet hat. Ich weiß nicht, ob man ihn in ein Arbeitslager schickte. Ich weiß nicht, ob er danach gestorben ist.« Sie hielt kurz inne. »Ich weiß es einfach nicht.«

Victoria Rione, die sich sonst so gut im Griff hatte, strahlte nun Schmerz aus. Geary ging zu ihr und drückte sie an sich, wobei er ihr Zittern deutlich spüren konnte. »Es tut mir leid. Verdammt, es tut mir leid.«

Ihre Stimme klang jetzt ein wenig erstickt. »Ich weiß nicht, ob er noch lebt oder ob er tot ist. Wenn er irgendwie überlebt und man ihn irgendwo in ein Arbeitslager gesteckt hat, dann sind meine Chancen, ihn jemals wiederzusehen, so verschwindend gering, dass sie praktisch gar nicht existieren. Aber er könnte noch leben. Mein Ehemann… der Mann, den ich immer noch liebe.«

Und erfahren hatte sie das wenige Wochen, nachdem sie zum ersten Mal das Bett mit ihm geteilt hatte. Die gehässige Ironie, die dahintersteckte, ließ Geary darüber nachdenken, warum die lebenden Sterne Rione so etwas angetan hatten. »Okay, Sie müssen nicht weiterreden.«

»Doch, das muss ich. Nachdem ich seinem Andenken zehn Jahre lang treu geblieben war, gebe ich mich Ihnen hin, und dann muss ich erfahren, dass er vielleicht doch noch lebt.« Sie schob Geary von sich weg und schaute zur Seite. »Das Schicksal kann schon grausam sein, nicht wahr? Ich dachte, ich hätte mich richtig verhalten, John Geary. Ich dachte, ich hätte meinen toten Ehemann geehrt und das getan, was er von mir erwarten würde. Und jetzt muss ich feststellen, dass ich ihn womöglich entehrt habe. Ich mich selbst auch, aber vor allem ihn.«

»Nein«, antwortete er ohne nachzudenken, weshalb er innehalten musste, um erst das zu ordnen, was er sagen wollte. »Sie haben niemanden entehrt. Antworten Sie ehrlich: Wenn wir ihn im nächsten Sternensystem in einem Arbeitslager entdecken sollten, werden Sie sich dann wieder für ihn entscheiden, oder werden Sie bei mir bleiben?«

»Ich würde mich für ihn entscheiden«, gab sie ohne zu zögern zu. »Es tut mir leid, John Geary, aber das ist die Wahrheit, und daran wird sich auch nie etwas ändern. Ich habe Ihnen gesagt, wem mein Herz immer gehören wird.« Rione atmete wieder tief durch, um ihre Gefühle in den Griff zu bekommen. »Desjani weiß es auch. Sie entdeckte den Namen meines Mannes auf der Liste und kam zu mir, weil ihr Pflichtgefühl von ihr verlangte, es mir zu sagen. Ihre Captain Desjani ist ein sehr pflichtbewusster Mensch. Sie fühlte auch mit mir, obwohl ich ihr das zu dem Zeitpunkt nicht abnehmen wollte. Und sie war schockiert, als ich erwiderte, dass ich seinen Namen ebenfalls gesehen, aber Ihnen noch nichts davon gesagt hatte.« Sie sah ihm in die Augen. »Sie fand, ich sollte es Ihnen nicht verschweigen. Sie wollte nicht, dass Ihnen wehgetan würde, wenn Sie es herausfänden.«

Es gab keinen Grund, Riones Worte anzuzweifeln. Es hörte sich exakt nach dem an, was Desjani tun würde. »Und als Sie sich weigerten, es mir zu sagen…«

»Sie wollte mein Geheimnis nicht verraten. Nicht die ehrbare Captain Desjani.« Rione verzog kopfschüttelnd den Mund. »Sie verdient es nicht, dass ich so von ihr rede. Sie hat nur versucht, Sie zu beschützen. Tanya Desjani ist eine ehrbare Frau. Wenn es eine Frau gibt, die Sie verdient hat, dann sie.«

»Was?« Die Unterhaltung hatte deutlich zu schnell eine andere Richtung eingeschlagen. »Die mich verdient hat? Sie ist eine von meinen Untergebenen. Sie hat noch nie auch nur die leiseste Andeutung gemacht, dass…«

»Und das wird sie auch nicht«, unterbrach Rione ihn. »Wie ich sagte: Sie ist ehrbar. Selbst wenn sie ihre eigene Ehre aufs Spiel setzen müsste, würde sie Ihre Ehre niemals in Gefahr bringen. Ich dagegen bin eine Politikerin. Ich benutze Leute. Ich habe Sie auch benutzt.«

»Sie haben mir keine Versprechen gegeben«, wiederholte Geary ihre Worte. »Verdammt, Victoria, soll ich mich jetzt betrogen fühlen? Sie sind doch diejenige, die von ihren Gefühlen zerrissen wird.«

»Sie wurden von mir dazu verleitet, das Bett mit einer Frau zu teilen, deren Ehemann vielleicht noch lebt!«, fuhr Rione ihn an und verlor abermals die Beherrschung. »Ich habe Ihre Ehre besudelt und Sie für Ihre Feinde angreifbar gemacht! Warum können Sie sich darüber nicht aufregen?«

»Wer weiß noch davon?«, fragte er erschrocken.

»Ich…« Rione machte mit einer Hand eine wütende Geste. »Sie, ich, die ehrbare Captain Desjani. Das ist jedenfalls sicher. Andere könnten auf die gleiche Information gestoßen sein und warten jetzt darauf, sie dann öffentlich zu machen, wenn sie Ihnen am meisten schaden wird. Davon müssen Sie ausgehen. Und Sie müssen damit rechnen, dass früher oder später Ihre Ehre meinetwegen infrage gestellt werden wird.«

»Ich glaube mich daran erinnern zu können, wie Sie mir sagten, Sie könnten selbst auf Ihre Ehre aufpassen. Ich kann das auch.«

»Meinen Sie?« Rione atmete tief durch. »Wenn ich dafür als Beispiel dienen soll, dann geben Sie kein sehr überzeugendes Bild ab. Warum versuchen Sie, mich zu verteidigen?«

»Weil kein Mann, der etwas taugt, Ihnen diesen Fehler vorhalten wird…«

»Kein Mann? Sprechen Sie jetzt auch für meinen Ehemann, John Geary?« Rione sah ihn finster an. »Was sollte ich ihm sagen? Was soll ich meinen Vorfahren sagen? Seit ich davon erfuhr, habe ich nicht mehr mit ihnen gesprochen. Wie könnte ich das auch?«

Sekundenlang sah Geary sie schweigend an. »Wollen Sie, dass ich ganz ehrlich bin?«

»Ja, warum auch nicht? Wenigstens einer von uns sollte ehrlich sein«, antwortete Rione verbittert.

»Dann werde ich Ihnen ein paar Dinge erzählen.« Er sprach mit fester Stimme, so als würde er auf der Brücke einen Befehl erteilen. »Erstens ist meine Ehre nicht besudelt worden. Und das gilt auch für Ihre Ehre. So etwas wäre nur möglich, wenn wir wissentlich etwas Unehrenhaftes getan hätten.«

»Das ist nicht…«

»Mir ist egal, wie die Leute das heutzutage sehen! Vor hundert Jahren haben die Menschen das verstanden! Ist das Leben nach hundert Jahren Krieg nicht schon schwer genug? Müssen Sie es sich noch schwerer machen, indem Sie Maßstäbe anlegen, die kein Mensch erreichen kann?« Rione starrte ihn an. »Ich habe kein Recht, Ihnen zu sagen, wie Sie empfinden sollen, aber ich sage Ihnen, dass ich so empfinde. Zweitens«, fuhr er fort, »helfen Sie niemandem, wenn Sie sich selbst geißeln. In einem vollkommenen Universum könnten Sie so unglaublich loyal sein, wie Sie es von sich erwarten. Aber nicht in diesem Universum.«

Sie schüttelte den Kopf. »Das wird weder meinen Mann noch meine Vorfahren trösten.«

»Und wenn die Rollen vertauscht wären?«, fragte Geary. »Angenommen, Sie wären schwer verletzt worden, man würde Sie für tot halten, und Sie würden für immer von Ihrem Mann getrennt sein. Was würden Sie sich dann wünschen?«

Rione hielt lange Zeit den Blick gesenkt und schwieg. Schließlich schaute sie ihn wieder an. »Ich würde mir wünschen, dass er glücklich ist.«

»Selbst wenn das bedeuten würde, dass er sich eine neue Partnerin nimmt, wenn er davon überzeugt ist, dass Sie tot sind?«

»Ja.«

»Und wenn er dann erfahren sollte, dass Sie doch noch leben, Sie sich dennoch vielleicht nie wiedersehen werden?«

»Spielen Sie mich nicht gegen meinen Mann aus, John Geary«, warf sie ihm an den Kopf. »Dazu haben Sie kein Recht!«

Er wich zurück und nickte, während er sich bemühte, die Ruhe zu bewahren. »Das stimmt. Aber warum reden Sie nicht mit Ihren Vorfahren? Vielleicht bekommen Sie ja ein Zeichen von ihnen, das Ihnen zeigt, was sie von Ihnen halten.«

»Indem sie mir beispielsweise das Wort Ehebrecherin auf die Stirn schreiben?«, gab Rione immer noch wütend zurück.

»Warum nicht? Sie scheinen ja sowieso zu glauben, dass es längst da geschrieben steht«, konterte Geary. »Aber vielleicht werden sie Sie ja gar nicht verdammen. Sie sind Ihre Vorfahren. Sie waren auch menschlich und haben ganz sicher kein perfektes Leben geführt. Darum reden wir mit ihnen, denn sie können sich erinnern und uns verstehen. Und vielleicht können sie uns etwas von ihrer Weisheit zeigen, die wir selbst noch nicht erlangt haben.«

Sie schüttelte den Kopf und schaute wieder zur Seite. »Ich kann nicht.«

»Selbst wer ganz ohne Ehre ist, kann zu seinen Vorfahren sprechen! Niemand kann Ihnen das streitig machen.«

»Das habe ich damit nicht gemeint.« Ihr Blick erfasste stur das gegenüberliegende Schott.

Geary betrachtete ihr Profil, das entschlossen vorgeschobene Kinn, und allmählich begann er zu verstehen. »Sie haben Angst davor, mit ihnen zu reden? Angst davor, wie sie vielleicht reagieren werden?«

»Überrascht Sie das, John Geary? Natürlich habe ich Angst davor. Ich habe einige Dinge getan, auf die ich nicht sonderlich stolz bin. Aber nie zuvor habe ich etwas getan, das meine Vorfahren beschämen könnte.«

Eine Zeit lang dachte Geary nach. »Sie müssen sich ihnen nicht zwangsläufig allein stellen. Es gibt…«

»Ich werde meine Schmach mit keinem anderen teilen!«

»Sie haben sie bereits mit Desjani und nun mit mir geteilt!«, herrschte er sie an.

»Und dabei bleibt es auch«, murmelte sie starrsinnig.

»Ich könnte…«

»Nein!« Sie versuchte, ihre Beherrschung zurückzuerlangen. »Das wäre die Rolle, die mein Ehemann übernehmen müsste. Ich werde mich nicht mit Ihnen an meiner Seite meinen Vorfahren stellen.«

Damit blieb nur noch eine Möglichkeit offen. »Und Desjani? Können Sie sie fragen, ob sie Sie begleitet?«

Rione starrte ihn sichtlich schockiert an.

»Sie weiß es schließlich schon.«

»Und Sie verabscheut mich.«

»Weil Sie es mir nicht sagen wollten. Jetzt haben Sie das aber gemacht.« Riones Blick wurde unsicherer, während Geary fortfuhr: »Sie haben selbst erklärt, wie ehrbar Desjani ist. Gegen sie können Ihre Vorfahren nichts einzuwenden haben.«

Sie schüttelte den Kopf und wich wieder seinem Blick aus. »Warum sollte sie so etwas für mich tun?«

»Ich könnte sie für Sie fragen.« Das war die verkehrte Erwiderung, wie er Riones glühenden Augen ansehen konnte. »Oder Sie fragen sie selbst. Glauben Sie, Desjani würde sich weigern?«

Schließlich seufzte sie. »Oh nein. Nicht die ehrbare Captain Desjani. Sie würde sich sogar hinter einen Politiker stellen, wenn der sie nötig hat, nicht wahr? Vor allem wenn sie glaubt, dass der große Captain Geary es von ihr erwartet.«

»Ich glaube schon, aber Sie können den Blödsinn vom ›großen Captain Geary‹ bleiben lassen. Ich versuche, Ihnen zu helfen, und Captain Desjani wird Ihnen helfen, wenn Sie sie darum bitten. Sie können sich Ihre verbalen Attacken also sparen.«

Rione stand auf und betrachtete Geary mit einem suchenden Ausdruck in den Augen. »Sie werden nicht für alle Ewigkeit das Kommando über diese Flotte haben. Eines Tages werden Sie sie nach Hause bringen. Die lebenden Sterne allein wissen, wie Sie das anstellen wollen, aber irgendwie werden Sie es schaffen. Wenn Sie dann wollen, können Sie gleich am nächsten Tag in den Ruhestand gehen. Niemand in der Allianz würde Ihnen das verwehren. Wenn der Tag gekommen ist, an dem nicht länger die Verantwortung des Kommandos auf Ihnen lastet, wenn Vorschriften und Ehre Sie nicht mehr von einer persönlichen Beziehung zu einem Besatzungsmitglied abhalten können, möchten Sie dann lieber an jemanden wie mich gebunden sein, oder möchten Sie die Freiheit haben, mehr über eine Frau wie Tanya Desjani herauszufinden?«

»Ich habe nie…«

»Nein, und das werden Sie auch nicht. Zum Teufel mit Ihnen.« Rione drehte sich auf dem Absatz um und stürmte aus Gearys Kabine.


* * *

Geary schreckte aus dem Schlaf hoch, als die Tür zu seiner Kabine aufging und sich dann wieder schloss. Er drückte auf den Lichtschalter, die schwache Nachtbeleuchtung schaltete sich ein, und dann sah er Victoria Rione, wie sie dastand und ihn stumm betrachtete.

»Hallo, John Geary.« Sie kam mit etwas unsicheren Schritten auf ihn zu, setzte sich am Fußende auf sein Bett und stierte ihn an. »Willst du mich nicht fragen?«

Er konnte deutlich riechen, dass ihr Atem nach Wein roch, obwohl sie so weit von ihm entfernt saß. »Was soll ich dich fragen?«

»Wie es gelaufen ist.« Sie machte eine ausholende Geste. »Mit mir, mit meinen Vorfahren, mit Captain Desjani. Das wirst du doch sicher wissen wollen.«

»Victoria…«

»Nichts.« Sie schüttelte träge den Kopf, ihre Stimme klang belegt. »Ich habe ihnen erklärt, was passiert ist. Ich habe ihnen gesagt, wie sehr ich alles bedauere. Ich habe sie um Rat gebeten. Nichts. Ich habe nichts gespürt. Sie haben mir keine Antwort geschickt. Meine Vorfahren wollen mich nicht mal mehr zur Kenntnis nehmen, John Geary.«

Schließlich setzte er sich auf. »Das kann nicht sein.«

»Frag die ehrbare Captain Desjani! Zum Teufel mit ihr und zum Teufel mit dir.« Schwerfällig stand sie auf und begann sich auszuziehen.

Geary stand ebenfalls auf. »Was machst du da?«

»Ich gebe mich so, wie ich bin.« Sie ließ das letzte Kleidungsstück fallen, dann sank sie zurück aufs Bett und sah ihn an. »Mach schon, worauf wartest du?«

»Du musst verrückt sein, wenn du glaubst, dass ich deine momentane Situation ausnutze.«

»Weil du zu ehrbar bist? Mach dir nichts vor. Sei einfach für eine Weile Black Jack. Tu, was dir Spaß macht.«

Er starrte sie an und versuchte, die Worte für eine passende Erwiderung zu finden.

Rione redete weiter und schaute dabei an Geary vorbei, als sehe sie etwas anderes. »Du weißt, ich werde ihn umbringen, wenn es sein muss. Wenn Black Jack versucht, der Allianz zu schaden, und wenn es keinen anderen Weg gibt, um ihn zu stoppen, dann werde ich ihn umbringen. Zu viele andere sind schon gestorben, und ihr Opfer darf nicht vergebens gewesen sein. Vielleicht habe ich an dem Punkt meine Ehre verloren, als ich mir schwor, alles zu tun, um Black Jack aufzuhalten.« Mit Mühe kehrte ihr Blick zu ihm zurück. »Wirklich alles.«

Es kam ihm nicht mühelos über die Lippen, doch er musste den Gedanken aussprechen, der ihm durch den Kopf ging. »Hast du deshalb angefangen, mit mir zu schlafen?«

Sie bewegte die Lippen, schüttelte dann aber schwach den Kopf. »Nein«, flüsterte sie. »Ich glaube, nicht mal ich würde das tun.«

»Nicht mal du? Du hast mal von Dingen gesprochen, die nicht mal ich tun würde, und jetzt gehst du mit dir genauso hart ins Gericht. Vielleicht sogar noch härter. Ich glaube, deine Vorfahren können dir gar nicht vergeben, solange du dich weigerst, dir selbst zu vergeben.«

Lange Zeit herrschte Stille, dann stellte er fest, dass Rione eingeschlafen war. Sogar im Schlaf war ihr Gesicht von Sorgenfalten durchzogen.

Als man Geary auf die Dauntless gebracht und ihn aufgeweckt hatte, da war er zu benommen gewesen, um von den Leuten in der Flotte richtig Notiz zu nehmen, von den Nachfahren jener Menschen, die er noch gekannt hatte. Als er dann das Kommando über die Flotte übernahm, da wurden ihm schnell die Veränderungen deutlich, die im Lauf von hundert Jahren eingetreten waren; hundert Jahre, die zudem von einem ebenso langen Krieg geprägt worden waren. Er hatte unter dem Eindruck gestanden, von Fremden umgeben zu sein, von denen keiner so fühlte oder dachte wie er. Die Wochen vergingen, und er brachte mehr über diese Menschen in Erfahrung, und schließlich gelangte er zu der Ansicht, dass er zu hart über diese Leute geurteilt hatte und in Wahrheit grundlegende Dinge mit ihnen teilte.

Jetzt jedoch kamen ihm erneut Zweifel. Die Ehre konnte eine Last und ein Schwert sein. Sie ließ sich allzu leicht missbrauchen. Und wie es schien, benutzten die Menschen in dieser Gegenwart — die hundert Jahre von seiner eigenen entfernt war — die Ehre als eine Waffe, die sie gegen sich selbst richten konnten. Ehre war für sie so unerbittlich und unbeugsam, dass sie ihnen genauso schaden konnte wie ihre Feinde.

Geary seufzte und zog sich leise an. An der Tür blieb er stehen und sah zu Rione hinüber. Ich habe so viele Schmerzen erlitten, weil ich wusste, dass jeder tot war, den ich einmal gekannt und geliebt hatte. Aber wie vielen Menschen in der Allianz ergeht es so wie Victoria Rione? Wie viele von ihnen wissen nicht, ob geliebte Menschen noch leben oder schon tot sind? Wie viele von ihnen sind von dieser Ungewissheit innerlich zerrissen? Zum ersten Mal wurde ihm deutlich, dass die grausame Gewissheit, mit der er sich hatte abfinden müssen, zumindest einen Vorteil hatte: Er musste nicht zweifeln, er musste nicht hoffen. Er wusste, alle waren tot.

Er streifte durch die ruhigen Gänge und Abteile der Dauntless, grüßte die Besatzungsmitglieder, die in der tiefen Schiffsnacht ihren Wachdienst verrichteten, und versuchte, Trost in den Ritualen seines Kommandos zu finden.

Als er um eine Ecke bog, musste er feststellen, dass Captain Desjani genau das Gleiche machte wie er.

»Captain Geary?« Sie machte keinen Hehl aus ihrer Verwunderung. »Ist alles in Ordnung?«

»Ja, mir geht es gut.«

Sein Tonfall und sein Gesichtsausdruck mussten etwas anderes über ihn aussagen, da Desjani den Mund verzog. »Haben Sie mit Co-Präsidentin Rione gesprochen?«

Er nickte nur.

»Ich hatte gedacht…« Desjani hielt inne und fing noch einmal von vorn an. »Ich war sehr wütend auf sie, was Sie ja auch gemerkt haben. Ich dachte, sie wollte es Ihnen nicht sagen, weil es ihr an Ehre mangelt. Ich wusste nicht, dass sie in Wahrheit von ihrer Ehre innerlich zerrissen wurde.«

»Wie ist es wirklich gelaufen? Haben ihre Vorfahren sie tatsächlich verstoßen?«

Desjani ließ den Kopf sinken und dachte nach. »Ich habe etwas gespürt. Ich weiß nicht, was es war. Aber sie waren dort. Doch ich glaube, sie wollte das nicht akzeptieren.«

»Ja, den Eindruck hatte ich auch.«

»Sie… ähm…« Desjani wirkte verlegen und verärgert zugleich. »Vor Kurzem sah ich sie wieder. Sie hatte getrunken, und sie sagte ein paar Dinge.«

»Ja, ich weiß.«

»Sir, ich hoffe, ich habe nichts getan oder gesagt, das Sie auf den Gedanken bringen könnte, ich würde…«

Er hob eine Hand, um ihren Redefluss zu unterbrechen. »Sie haben sich absolut professionell verhalten. Ich könnte mir keinen besseren Offizier vorstellen.«

Dennoch wirkte Desjani beunruhigt. »Selbst wenn Sie keine wichtige Mission zu erfüllen hätten, selbst wenn die lebenden Sterne Sie nicht in der Stunde unserer größten Not zu uns geschickt hätten, wäre es dennoch verkehrt von mir, wenn ich…«

»Captain, bitte.« Geary hoffte, dass er sich nicht so aufgewühlt anhörte wie sie. »Ich verstehe das schon. Wir müssen das nicht wieder diskutieren.«

»Es kursieren Gerüchte, Captain Geary«, presste sie heraus. »Gerüchte, die Sie und mich betreffen. Ich bin darauf aufmerksam gemacht worden.«

»Gerüchte, die jeglicher Grundlage entbehren, Captain Desjani. In die Welt gesetzt von Offizieren, denen das Prinzip der Ehre fremd ist. Ich werde mich in Ihrer Gegenwart so professionell verhalten, wie ich nur kann, und ich bin davon überzeugt, Sie werden es ganz genauso machen.«

»Ja, Sir. Vielen Dank, Sir. Ich wusste, Sie würden das verstehen.« Sie nickte erleichtert, salutierte und ging dann weiter. Geary sah ihr nach und wusste, das Thema würde immer über ihnen schweben, ob sie nun darüber redeten oder nicht.

Schließlich führte ihn sein Spaziergang zurück zu seiner Kabine. Rione lag noch immer im Tiefschlaf, also setzte er sich an seinen Schreibtisch und rief wieder die Simulationen auf. Drei Tage lang würden sie sich noch im Daiquon-Sternensystem aufhalten, dann nahm die Allianz-Flotte Kurs auf Ixion.

Sollten sie wirklich nach Ixion fliegen? Die Syndiks hatten immerhin seinen nächsten Zug so gut vorausgeahnt, dass sie in letzter Minute begonnen hatten, in diesem System Minen zu legen. Was erwartete sie bei Ixion?

Doch die Alternativen waren nicht sonderlich verlockend. Außerdem hatten sie die Syndiks damit überraschen können, dass sie so früh in Daiquon eintrafen. Wenn die Allianz-Flotte schneller vorankam, als die Syndiks reagieren konnten, würde es sogar möglich sein, dass sie Ixion passiert hatten, bevor der Gegner eine Blockade errichten konnte.

Oder auch nicht. Laut der neuesten Syndik-Daten, die sie bei Sancere in ihren Besitz gebracht hatten, wartete Ixion mit einer bewohnten Welt und mehreren im System verteilten Kolonien und Einrichtungen auf, die alle noch aktiv sein konnten. Sicher war, dass es sich nicht um ein ungenutztes oder verlassenes System handelte.

Wenn sie Ixion erreichten, musste er seine Flotte einsatzbereit haben. Es war davon auszugehen, dass der Sprungpunkt vermint war und dass die Syndiks nur darauf lauerten, sie anzugreifen. Also musste seine Flotte in der Lage sein sein, einer solchen Gefahr begegnen zu können.

In der Theorie klang das nach einer Selbstverständlichkeit, doch er wünschte, er wüsste, wie er das in die Tat umsetzen sollte.

Schließlich schlief Geary in seinem Sessel ein. Wäre Rione bloß aus ihrem Rausch aufgewacht, dann hätte sie ihm einen Ratschlag geben können.


* * *

Als er aufwachte, schmerzte sein ganzer Körper, da er im Sessel geschlafen hatte. Rione lag noch in seinem Bett, sie war wach und starrte an die Decke. Wortlos stand er auf, ging zum Waschbecken und brachte ihr ein paar Kopfschmerztabletten und ein Glas Wasser.

Sie nahm beides an, mied es jedoch, ihn anzusehen. Erst als Geary sich wieder hingesetzt hatte, sagte sie: »Ich erinnere mich nicht an alles, was ich letzte Nacht gesagt habe.«

»Das ist vermutlich auch besser so«, meinte er in neutralem Tonfall.

»Und ich erinnere mich auch nicht an alles, was ich letzte Nacht getan habe.«

»Wir beide haben nichts getan, wenn Sie darauf anspielen.«

Rione nickte seufzend und verzog dann die Mundwinkel, da die Bewegung offenbar Stiche in ihrem Kopf verursachte. »Danke. Wenn Sie jetzt bitte so freundlich wären, sich wegzudrehen. Ich werde meine Kleider und meinen letzten Rest Würde zusammenklauben, damit Sie nicht länger mit meiner Anwesenheit behelligt werden.«

»Und wenn ich mich nicht wegdrehen will?«

»Zeigen Sie so viel Anstand, John Geary. Außer natürlich, Sie wollen sich an meiner Nacktheit erfreuen. Ich habe kein Recht, Ihnen dieses kleine Vergnügen zu verweigern.« Sie sah so niedergeschlagen aus, wie sie sich anhörte.

Geary spürte, wie in ihm Wut auf sie aufstieg, die er zu unterdrücken versuchte, bis ihm klar wurde, dass er mit Mitgefühl bislang gar nichts erreicht hatte. »Okay, Madam Co-Präsidentin, vielleicht habe ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt.« Rione stutzte, als sie seine schroffe Stimme hörte. »Mir ist egal, wie Sie im Moment über sich denken. Ich für meinen Teil bin enttäuscht, dass jemand von Ihrer Intelligenz und Ihren Fähigkeiten sich in Selbstmitleid ergeht, wenn ich dringend einen guten Ratschlag gebrauchen kann, damit diese Flotte überlebt und damit ich einen klaren Kopf bewahre. In weniger als drei Tagen springen wir nach Ixion, und ich habe keine Ahnung, was uns dort erwartet. Sind Sie zu der Ansicht gelangt, dass Black Jack Ihre Hilfe nicht länger benötigt, damit er die richtigen Entscheidungen trifft?«

Rione zog die Augenbrauen zusammen, aber Geary konnte auch einen Hauch Angst erkennen. Überlegte sie, was genau sie letzte Nacht gesagt hatte? Fragte sie sich, ob sie ihm erklärt hatte, wie weit sie gehen würde, um die Allianz vor Black Jack zu beschützen?

Geary sprach unverändert harsch weiter: »Sie haben mir mehr als einmal gesagt, wie wichtig Ihnen die Allianz ist. Die Allianz ist auf die Rückkehr dieser Flotte angewiesen. Wenn ich die Flotte nach Hause bringen soll, dann brauche ich Sie, damit ich vernünftig bleibe. Es behagt mir immer mehr, das Kommando zu haben, und es fällt mir schwerer und schwerer, nicht einfach irgendetwas zu tun, nur weil ich dazu in der Lage bin. Dem legendären Black Jack Geary würde man eine Menge durchgehen lassen, das John Geary weder für klug noch für ehrbar hält. Was ist Ihnen wichtiger, Madam Co-Präsidentin? Ihr eigenes Elend oder das Wohl der Allianz, von dem Sie behaupten, es liege Ihnen so sehr am Herzen?«

Rione setzte sich auf, das Bettlaken rutschte runter, doch davon schien sie nichts mitzubekommen, während sie ihn mit geröteten Augen wütend ansah. »So viel zum Thema mitfühlender Flottenkommandant.«

»Wenn Sie etwas gegen Depressionen einnehmen wollen, dann greifen Sie zu etwas Wirkungsvollerem als Alkohol«, fuhr Geary fort, woraufhin Riones Augen zornig aufblitzten. »Sie wollen sich offenbar selbst nicht vergeben, und es soll Ihnen wohl auch niemand sonst vergeben. Ich kann daran nichts ändern. Aber ich kann darauf bestehen, dass Sie mir die bestmögliche Unterstützung geben, zu der Sie fähig sind. Und ich kann von Ihnen verlangen, kein Verhalten an den Tag zu legen, das der Allianz als Ganzem oder der Callas-Republik schaden könnte. Ich erwarte von Ihnen ein Auftreten, das Ihrer Position als Senatorin der Allianz und als Co-Präsidentin angemessen ist.«

Sie hatte eine Faust geballt und machte den Eindruck, als wolle sie ihm an den Kragen gehen. »Wäre das dann alles, Captain Geary?«, knurrte sie ihn an.

»Nein.« Er hielt inne und bemerkte erst jetzt, dass sie halb nackt dasaß und ihn wütend anstarrte. Ihr Anblick erinnerte ihn an eine Göttin, die kurz davor stand, auf einen Ungläubigen Blitze herabzuschleudern. Trotz seiner Verärgerung über ihr Verhalten, hatte sie nie verführerischer ausgesehen als in diesem Moment. »Wenn es Ihnen lieber ist, hat es die letzte Nacht nicht gegeben. Und wenn Sie wollen, war auch nie etwas zwischen uns. Hauptsache, Sie bekommen sich wieder in den Griff.«

Sie stand auf und stellte ihren Körper zur Schau, auch wenn sie nach wie vor Zorn ausstrahlte. »Bedeute ich Ihnen so wenig? Wollen Sie das damit sagen?«

»Nein.« Er erhob sich ebenfalls und musste sich zwingen, auf Abstand zu bleiben, da er sie sonst an sich gedrückt hätte und mit ihr aufs Bett gesunken wäre. »Damit will ich sagen, dass Sie mir so viel bedeuten.«

Da er nicht wusste, wie lange er sich noch würde beherrschen können, machte Geary auf dem Absatz kehrt und verließ sein Quartier.


* * *

Ein ganzer Schlachtkreuzer stand ihm zur Verfügung — eine ganze Flotte aus Schlachtkreuzern und Schlachtschiffen —, und doch gab es keinen Platz, an dem er sich unbeobachtet aufhalten konnte, ohne dass jemand bei seinem Anblick darüber grübeln würde, ob er die letzte Nacht wohl in einem Sessel geschlafen hatte. Dann fiel ihm doch noch der Konferenzraum als mögliche Zuflucht ein. Er machte sich auf den Weg dorthin, schloss die Luke hinter sich und ließ sich in den Sessel am Kopfende des Konferenztischs sinken.

Es war ein seltsames Gefühl, sich ganz allein hier aufzuhalten. Keiner der anderen Plätze war besetzt, und der Raum selbst wies nur seine wahren Dimensionen auf, anstatt sich scheinbar in die Unendlichkeit zu erstrecken, damit alle Commander der Flotte dort sitzen konnten. Geary rief das Display auf, ließ dann die Flottenformation einblenden und musterte seine Schiffe. Ja. Meine Schiffe. Ich bin für sie alle verantwortlich. Und ich weiß, dass die Syndiks bei Ixion auf uns warten. Aber es ist egal, wohin wir von hier aus springen, sie haben für uns überall etwas vorbereitet.

Nicht zu wissen, wie er seine Flotte arrangieren sollte, war ihm schlicht zuwider. Wie soll ich das machen, wenn ich nicht weiß, was uns bei Ixion erwartet? Ich bin daran gewöhnt, die feindlichen Streitkräfte mindestens etliche Stunden oder sogar Tage bis Wochen im Voraus sehen zu können, damit ich meine Flotte so anordnen kann, wie ich sie dem Feind gegenüberstellen will. Ich kann mir so etwas wie bei der Ankunft hier in Daiquon nicht noch einmal leisten.

Es war so wie die Tatsache, dass er nicht wusste, wo sich Rione im Moment aufhielt. Möglicherweise befand sie sich noch in seinem Quartier, aber vielleicht würde er ihr auch in die Arme laufen, wenn er in irgendeinem Korridor um die nächste Ecke bog. Und dann? Er würde vom Schlimmsten ausgehen und die Initiative ergreifen müssen, damit Rione keine Gelegenheit bekam, ihm nach seiner kleinen Predigt den Hals umzudrehen.

Die Initiative ergreifen. Verdammt. Das klingt so einfach. Ich bin zu sehr an normale Raumschlachten gewöhnt, wo man Zeit genug hat, um das Aufeinandertreffen zu planen. Ich muss einfach davon ausgehen, dass die Syndiks mit einer großen Streitmacht auf uns warten. Und mit einem Minenfeld gleich vor dem Sprungpunkt. Sie wollen uns in einen Hinterhalt locken, das ist mir klar. Und mir bleibt keine andere Wahl, als in diese Falle zu fliegen. Also muss die Flotte in dem Moment manövrieren und kämpfen, da sie den Sprung verlässt.

Warum nicht? Die alte Flotte hätte das zu Gearys Zeiten nicht bewerkstelligen können. Und zwar nicht, weil es über ihre Fähigkeiten hinausging, sondern weil es sich zu sehr von dem unterschied, wofür sie geschult worden waren. Alles war zu der Zeit geordnet und geplant verlaufen, für chaotische Gemetzel hatte es keinen Platz gegeben. Aber diese Flotte, deren Offiziere nichts lieber mochten, als wild auf den Feind loszustürmen, konnte einen solchen Plan nicht nur in die Tat umsetzen, sie wollte es auch. Sie brauchten nur einen guten Plan, der zu ihrer Bereitschaft passte, alles Notwendige zu unternehmen, um die Syndiks zu töten.

Okay, wie wird der Hinterhalt bei Ixion aussehen? Geh vom Schlimmsten aus. Wenn es weniger als das Schlimmste wird, kann ich darauf immer noch reagieren. Also im ärgsten Fall Minen direkt vor dem Sprungpunkt. Gleich dahinter eine große Syndik-Streitmacht, die das Feuer eröffnen wird, sobald unsere Schiffe ins Minenfeld geraten sind. Sie werden das versuchen, was wir mit ihnen bei Ilion gemacht haben, nur werden sie alles noch dichter an den Sprungpunkt verlegen als wir. Wenn sie aufgepasst haben, wie ich vorgehe, warten ihre Schiffe auch noch über und unter dem Sprungpunkt sowie links und rechts davon. So können sie uns von allen Seiten ins Visier nehmen, während wir dem Hauptpulk ihrer Flotte in die Arme fliegen. Vielleicht auch nicht. Dafür benötigt man eine große Anzahl Schiffe. Ich muss ihnen einen Strich durch die Rechnung machen, indem ich diese Schiffe so agieren lasse, wie sie es normalerweise nicht tun würden. Auf eine Weise, wie diese Flotte sonst nicht vorgeht.

Er veränderte das Display und testete verschiedene Formationen und Flottenbewegungen, bis er zufrieden in sein Quartier zurückkehrte. Auf dem Weg dorthin war er sich unschlüssig, ob er ihr dort begegnen wollte oder nicht.

Seine Kabine war jedoch verlassen. Gleich hinter der Tür blieb er stehen und dachte an Victoria Riones Gesichtsausdruck, als er sie zuvor hier allein zurückgelassen hatte. Einen Moment lang überlegte er ernsthaft, ob er das Quartier nach Sprengfallen absuchen sollte. Nur seine Vorfahren konnten wissen, zu welcher Art von Vergeltungsschlag jemand wie Rione fähig war.

Jetzt unterstell ihr nicht auch noch etwas. Es ist schon schlimm genug, dass du nicht weißt, welchen Kommandanten deiner Flotte du vertrauen kannst und welchen nicht, ermahnte er sich. Er versandte eine Nachricht an die befehlshabenden Offiziere, sich in einer halben Stunde im Konferenzraum einzufinden, dann machte er sich frisch, damit er wieder vorzeigbar war. Auf dem Rückweg zum Besprechungsraum fragte er sich, ob Gerüchte über seine Auseinandersetzung mit Rione bereits in der Flotte die Runde machten und ob jemand das Thema zur Sprache bringen würde.

Captain Desjani hatte bereits ihren Platz eingenommen und sprang respektvoll auf, als Geary eintrat. »Gibt es etwas Wichtiges, Sir?«

»In gewisser Weise. Nichts Bedrohliches, nur eine Sache, die jeder wissen muss, bevor wir den Sprung nach Ixion unternehmen.«

Gemeinsam warteten sie, und als die genannte Zeit näher rückte, begannen rings um den Tisch die ersten Commander aufzutauchen. Je größer ihre Zahl wurde, umso weiter erstreckten sich der Tisch und der Raum in die Länge, um ihnen allen Platz zu bieten.

Als die Besprechung beginnen sollte, stand Geary auf, aber bevor er ein Wort sagen konnte, warf Captain Midea von der Paladin ein: »Haben Sie beschlossen, doch nicht nach Ixion zu fliegen? Werden wir uns nun doch wieder vom Gebiet der Allianz entfernen?«

Alle Anwesenden schienen gebannt den Atem anzuhalten, während sie auf Gearys Reaktion warteten. Er verspürte einen plötzlich aufwallenden Zorn, den er nur schwer bändigen konnte. Er konnte sich Nächte um die Ohren schlagen, um einen Weg zu finden, wie er den Syndiks ein Schnippchen schlug und die Schiffe und Besatzungsmitglieder der Allianz-Flotte rettete, und doch machten ihm immer wieder Senioroffiziere das Leben schwer, die eigentlich dankbar sein sollten, dass sie nicht längst in einem Syndik-Arbeitslager mit gerade eben noch atembarer Atmosphäre große Steine zu kleinen Steinen zerschlagen mussten. Es wirkte seiner Wut nicht entgegen, dass Captain Midea — die bislang bei den Konferenzen im Hintergrund geblieben war — jetzt so ernst dreinblickte und ihre Uniform so tadellos trug, dass sie ihn unwillkürlich an jene Leitenden Offiziere der Syndiks erinnerte, die Geary zu sehen bekommen hatte.

Während er ihr eindringlich in die Augen sah, erinnerten die ihrem Bild mitgelieferten Daten ihn daran, dass die Paladin Teil dieser immer unerträglicher werdenden Dritten Schlachtschiffdivision war, zu der auch Captain Casia und Commander Yin gehörten — ebenso wie Captain Faresa und Captain Numos, die beide unter Arrest standen.

Die Kombination aus respektlosem Betragen, seiner eigenen Müdigkeit nach einer schlechten Nacht, den Problemen mit Victoria Rione und der Verärgerung über diese unmögliche Schlachtschiffdivision hätten Geary beinahe dazu gebracht, dieser Frau förmlich ins Gesicht zu springen. Zum Glück fiel ihm dann ein, warum er die Besprechung einberufen hatte, und ihm wurde klar, dass entweder das Glück oder aber seine Vorfahren ihn mit der perfekten Erwiderung auf Captain Mideas Vorwurf ausgestattet hatten.

Anstatt also vor Wut zu explodieren, lächelte Geary sie finster an. »Wir reisen nach Ixion, Captain. Wir reisen nach Ixion, und wir werden in Gefechtsformation den Sprungpunkt verlassen, weil ich fest davon ausgehe, dass die Syndiks uns dort in eine Falle laufen lassen wollen. Ich habe diese Besprechung einberufen, damit Sie alle wissen, wie wir in dieses Gefecht ziehen werden.«

Geary sah ihr an, dass diese Antwort sie aus dem Konzept brachte. Sie hatte sich darauf eingestellt, mit ihm über seine allzu vorsichtige Vorgehensweise zu diskutieren. Keiner seiner Widersacher würde es wagen, gegen seinen unerwarteten Plan Einwände zu erheben. Captain Casia blieb so nichts anderes übrig, als den Mund zuzumachen und sich in seinem Sessel nach hinten zu lehnen.

Geary griff nach unten und tippte eine Reihe von Befehlen ein. Über dem Tisch erwachte das Display zum Leben und zeigte die Formation, die er am Morgen ausgearbeitet hatte. »Wir bringen die Flotte vor dem Sprung in die Formation Kilo One. Diese Gefechtsformation ist in etliche Unterformationen aufgeteilt, von denen jede um einen Schlachtkreuzer oder ein Schlachtschiff herum angeordnet ist. Diese Formationen wiederum sind so angeordnet, dass jede von ihnen der Nachbarformation Feuerschutz geben kann.« Er drehte die Darstellung des Displays, damit deutlich wurde, dass die Formation aus insgesamt zwölf Blöcken bestand, die zusammen die grobe Form eines Quaders ergaben.

Captain Desjani sah sich so wie die übrigen Offiziere die Formation an und meldete sich als Erste zu Wort. »Für den Fall, dass wir in eine ähnliche Situation wie hier in Daiquon geraten?«

»Ganz genau. Sie können erkennen, dass jede dieser Unterformationen eigenständig ist. Keine leichtere Einheit ist weit von der Unterstützung durch schwerere Schiffe entfernt, und die schweren Schiffe sind alle von leichten Einheiten umgeben, die ihnen wiederum Rückhalt geben. Ganz gleich, worauf wir auch treffen, diese Unterformationen werden in der Lage sein, sich selbst zu verteidigen, und gemeinsam können wir jede beliebige Syndik-Formation aus mehreren Winkeln gleichzeitig attackieren. Es ist keine perfekte Gefechtsformation, weil wir nicht wissen, wie die Syndiks ihre Schiffe anordnen werden. Aber in jedem Fall können wir so alle Syndik-Schiffe in der Nähe des Sprungpunkts aus dem Weg räumen und gleichzeitig unsere eigene Flotte bestmöglich schützen, bis wir das erste Kampfgebiet hinter uns gelassen haben. Danach können wir unsere Formation umstellen, um erneut zuzuschlagen.«

»Dann gehen Sie davon aus, dass es gleich am Sprungpunkt zu einer großen Auseinandersetzung kommen wird?«, fragte Captain Tulev. »Hier bei Daiquon war das ein Zufall, aber so sind wir noch nie vorgegangen.«

»Jetzt werden wir es machen.« Er lächelte Tulev zu, dann sah er sich am Tisch um. »Wenn wir den Sprungraum verlassen, werden wir in Gefechtsbereitschaft sein, um es mit einer großen Streitmacht aufzunehmen. Wir werden sie unter Beschuss nehmen und ihnen wehtun, noch bevor sie begreifen, dass wir eingetroffen sind.« Er sah, wie sich die Mienen der Offiziere aufhellten. Diese Flotte liebte es, sich ins Gefecht zu stürzen. Seit er das Kommando übernommen hatte, war er in erster Linie damit beschäftigt gewesen, diesen Männern und Frauen behutsam beizubringen, mit dem gleichen Eifer ihren Kopf zu gebrauchen, mit dem sie auch in den Kampf zogen. Für gewöhnlich bedeutete das, eben nicht draufloszustürmen, was viele von ihnen nur mit Mühe hatten akzeptieren können. Nun bot er ihnen genau das, was sie am liebsten machten, und die Aussicht auf ein richtiges Gemetzel ließ sie alle vor Freude strahlen.

»Alle Einheiten werden bei Zeit drei null Formation Kilo One einnehmen«, fuhr Geary fort. »Die jeweiligen Positionen innerhalb der Formation werden an Ihre Schiffe übermittelt, sobald diese Besprechung beendet ist. Außerdem erhalten Sie Manöverbefehle, die wirksam werden, sobald Ihre Schiffe Ixion erreichen. Wir werden den Sprungpunkt mit nur 0,05 Licht verlassen. In dem Moment, da jedes Schiff mit seiner Unterformation den Sprungraum verlassen hat, wird es seinen Kurs um sechs null Grad nach oben ändern.

»Minen?«, fragte Captain Cresida.

»Richtig. Eine so drastische Kursänderung sollte uns an den Minen vorbeiführen. Die Syndiks waren damit beschäftigt, den Sprungpunkt hier bei Daiquon zu verminen, folglich müssen wir davon ausgehen, dass sie das auch in allen anderen Systemen machen, in die wir ihrer Meinung nach gelangen können. Sobald wir das Minenfeld hinter uns gelassen haben, ändern wir abermals und beschleunigen in dem Maß, das nötig ist, um den Feind in einen Kampf zu verwickeln.«

»Das dürften eine Menge Minen sein«, stellte Captain Duellos fest. »Die Syndiks müssen viele Ressourcen opfern.«

»Und sie stören damit den Handel mit Systemen, die nicht ans Hypernet angeschlossen sind«, ergänzte Geary.

»Allmählich dürften sie verzweifeln«, folgerte Cresida. »Immer versuchen sie, uns aufzuhalten, aber nichts davon zeigt Wirkung, und wir kommen der Allianz beständig näher.«

Diese Aussage wurde durch genügend Belege gestützt, sodass niemand etwas dagegen einwenden konnte, auch wenn einige Commander eine nachdenkliche Miene aufgesetzt hatten.

»Gibt es noch Fragen?«, wollte Geary wissen.

»Wohin werden wir von Ixion aus weiterfliegen?« Captain Casia hatte sich von dem Schock genügend erholt, um wieder Fragen zu stellen.

Steck ihn doch endlich in die Arrestzelle, drängte Black Jack ihn, doch er atmete tief durch und antwortete ruhig, aber nachdrücklich: »Das habe ich noch nicht entschieden. Es hängt davon ab, was wir bei Ixion vorfinden. Von dort können wir zu vier weiteren Sternensystemen gelangen, fünf, wenn man Daiquon mitzählt, auch wenn ich nicht die Absicht habe, hierher zurückzukehren. Weitere Fragen?«

Commander Yin meldete sich zu Wort. »Warum nimmt Co-Präsidentin Rione nicht mehr an diesen Besprechungen teil?«

Die Gerüchte hatten sich so schnell verbreitet wie von Geary vermutet. Er fragte sich allerdings, wer darauf achtete, wer seine Kabine betrat und verließ, und wie derjenige das anstellte. »Das müssen Sie schon Co-Präsidentin Rione selbst fragen. Sie weiß, sie ist hier willkommen, aber ich habe auch allen Grund zu der Annahme, dass die Schiffe der Callas-Republik und der Rift-Föderation sie über alles auf dem Laufenden halten.« Die Befehlshaber dieser Schiffe nickten bestätigend, wenngleich zum Teil auch zögerlich.

»Warum äußert sie nicht mehr ihre Meinung?«, fragte Captain Midea. »Hier bei den Besprechungen, meine ich. Wir wissen, dass sie Ihnen gegenüber unter vier Augen nicht damit zurückhält.«

Seine Widersacher hatten schon einmal versucht, durch Unterstellungen für Unruhe zu sorgen, weil eine zivile Politikerin ihrer Ansicht nach viel zu großen Einfluss auf diese Flotte besaß. So wie es aussah, sollte das jetzt abermals zum Thema gemacht werden. Anstatt seiner Wut darüber freien Lauf zu lassen, beschloss er, das Ganze mit Humor zu nehmen. »Captain Midea, wenn Sie Co-Präsidentin Rione kennen, dann wissen Sie, dass nichts und niemand in der Lage ist, sie davon abzuhalten, ihre Meinung kundzutun, wann und wo immer sie das tun möchte.« Viele Anwesende begannen daraufhin zu grinsen. »Co-Präsidentin Rione lässt mich ihre Ansichten wissen, und sie hat wertvolle Beiträge geleistet, von denen die ganze Flotte profitieren konnte.«

Captain Desjani nickte bestätigend, während sie eine neutrale Miene aufsetzte. »Co-Präsidentin Rione befindet sich für gewöhnlich auf der Brücke, wenn wir eine Operation durchführen.«

»Co-Präsidentin Rione hat beim Bodeneinsatz auf Baldur offen ihre Vorschläge unterbreitet«, stimmte Colonel Carabali ein. »Niemand hat versucht, ihre Beteiligung zu verschleiern.«

»Aber warum ist sie nicht hier?«, beharrte Commander Yin, deren Tonfall andeutete, etwas würde ihnen allen verschwiegen.

»Ich weiß es nicht«, gab Geary kühl zurück. »Als Mitglied des Allianz-Senats ist sie nicht meiner Befehlsgewalt unterstellt. Als Bürgerin der Allianz ist es Ihr gutes Recht, jederzeit mit einem Senator Kontakt aufzunehmen und ihm die Fragen zu stellen, die Sie interessieren. Also, warum fragen Sie sie nicht selbst?«

»Eine Politikerin, für die der Flottenkommandant ständig zu sprechen ist«, sagte der Captain der Resolution verhalten. »Sie werden doch sicherlich verstehen, warum wir in Sorge sind, Captain Geary.«

Er versuchte, darauf ruhig zu antworten, auch wenn ihm diesmal gar nicht gefiel, in welche Richtung sich diese Diskussion bewegte. »Co-Präsidentin Rione ist eine Politikerin der Allianz, nicht der Syndiks. Sie steht auf unserer Seite.«

»Politiker denken nur an ihren eigenen Vorteil«, warf der Captain der Fearless ein. »Das Militär bringt Opfer für die Allianz, während die Politiker Fehlentscheidungen treffen und das große Geld einstreichen.«

»Zu einer solchen Diskussion gehören auch politische Einstellungen«, gab Geary zu bedenken. »Wir sind nicht hier, über das Für und Wider der politischen Führung der Allianz zu debattieren. Ich erkläre nochmals, dass Co-Präsidentin Rione keine Entscheidungen über die Vorgehensweise dieser Flotte getroffen hat und sie auch zukünftig nicht treffen wird. Aber sie hat das Recht und die Verantwortung, mir jederzeit ihre Meinung und ihre Empfehlungen mitzuteilen. Schließlich arbeiten wir für sie, weil sie letztlich für die Bürger der Allianz arbeitet.« War das jetzt zu dick aufgetragen? Er war sich nicht sicher. Allerdings hätte er auch nie erwartet, Offiziere der Allianz an solch grundlegende Dinge erinnern zu müssen.

Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann fragte Captain Duellos fast beiläufig: »Glauben Sie, dass die Autorität der Zivilregierung über Sie absolut ist, Captain Geary?«

Für ihn stellte es kein Problem dar, auf diese Frage zu antworten, allerdings überlegte er, warum sie überhaupt gestellt worden war. »Das ist richtig. Ich befolge die Befehle der Regierung, oder ich trete von meinem Posten zurück. So läuft das in der Flotte.« Weniger Anwesende als Geary sich erhofft hatte nickten zustimmend. Neben allem anderen, was in diesem schier unendlichen Krieg auf der Strecke geblieben war, hatten viele Offiziere der Flotte offenbar das Vertrauen in die Führung der Allianz verloren. Aus Gearys eigener Erfahrung mit Captain Falco wusste er, dass ein Teil der Flotte zu der Ansicht neigte, dass die militärische Pflicht der Flotte es rechtfertigen konnte, gegen die eigene Zivilregierung vorzugehen. Vielleicht konnte Black Jacks Ruf ja dazu beitragen, diesen schädlichen Gedanken aus der Welt zu schaffen, bevor er noch mehr Schaden anrichten konnte. »Das macht uns zur Allianz. Wir sind der Regierung zur Rechenschaft verpflichtet, die Regierung ist das wiederum ihren Bürgern gegenüber. Wenn einer von Ihnen an diesem System zweifelt, dann rate ich Ihnen, sich unsere Feinde etwas genauer anzusehen. Die Syndikatwelten sind das Resultat, wenn mächtige Leute nur das machen, was sie wollen.«

Seine Worte kamen einer Ohrfeige ins Gesicht derjenigen gleich, die Geary zu seinen Gegnern rechnete, und er sah, dass sie bei einigen von ihnen Wirkung zeigten. »Vielen Dank. Ich gehe davon aus, dass wir die nächste Besprechung bei Ixion halten werden.«

Die Teilnehmer lösten sich zügig in Luft auf, doch diesmal war es Captain Badaya, der im Konferenzraum zurückblieb. Er warf Desjani einen auffordernden Blick zu, sie betrachtete ihn abschätzend, dann zog sie sich zurück.

Nachdem sie gegangen war, wandte sich Badaya an Geary und sagte leise: »Captain Geary, ich habe zu denjenigen gehört, die ihre Zweifel hatten, was Sie anging. So wie alle in dieser Flotte war ich in dem Glauben aufgewachsen, Black Jack Geary sei das Idealbild des Allianz-Offiziers, ein mit keinem anderen Menschen vergleichbares Individuum, das die Allianz gerettet hatte und eines Tages zurückkehren würde, um sie erneut zu retten.«

Es missfiel ihm, so etwas hören zu müssen. »Captain Badaya…«

Der hielt eine Hand hoch, um ihn zu unterbrechen. »Lassen Sie mich ausreden. Als die Flotte Sie entdeckte, da gehörte ich nicht zu denjenigen, die bereit waren, Ihnen vorbehaltlos zu vertrauen. Ich war nicht gegen Sie eingestellt, aber ich war auch kein Befürworter. Nach so vielen Jahren Krieg fiel es mir schwer, an einen Wunderretter zu glauben.«

Geary lächelte schwach. »Ich kann Ihnen versichern, ich bin kein Wunderretter, Captain Badaya.«

»Stimmt«, pflichtete Badaya ihm bei. »Dafür sind Sie nämlich menschlich genug. Was mich dazu gebracht hat, mich denjenigen anzuschließen, die von ganzem Herzen an Sie glauben. Ich teile nicht deren abstraktes Vertrauen in Sie, aber ich kann sagen, dass Sie bewiesen haben, dass Sie ein außergewöhnlich guter Kommandant sind. Kein anderer Offizier, den ich kenne, hätte diese Flotte so weit bringen und dabei auch noch diese Siege erringen können. Aber das ist genau das, worüber ich mit Ihnen reden muss. Sollten wir ins Allianz-Gebiet zurückkehren, dann nur, weil Sie die Flotte dorthin geführt haben. Sie haben etwas geschafft, was niemand sonst konnte.«

Plötzlich wurde Geary klar, wohin dieses Gespräch führen würde, und er konnte nur inständig hoffen, er möge sich irren.

»Wie dumm wäre es, wenn jemand mit Ihrem Talent — jemand, der diesen Krieg letztlich gewinnen könnte — sich der Kontrolle durch die Dummköpfe im Großen Rat und im Senat unterwürfe, die beide ihren Beitrag dazu geleistet haben, diesen Krieg immer weiter in die Länge zu ziehen?«, fragte Badaya. »Sie besitzen den Idealismus der Vergangenheit, mit dem wir gut gefahren sind, aber Sie müssen sehen, was in den letzten hundert Jahren zu Hause geschehen ist. Ja, die Politiker sollten den Menschen der Allianz Rechenschaft ablegen, aber seit Langem kümmern sie sich nur noch um ihre eigenen Interessen. Sie haben mit dem Schicksal der Allianz ebenso gespielt wie mit dem Schicksal des Militärs, das die Allianz verteidigt. Wie viele Zivilisten und Soldaten sind in diesem Krieg schon gestorben, der kein Ende nimmt? Nur weil gedankenlose Politiker sich in die Entscheidungen eingemischt haben, die rechtmäßig von denjenigen getroffen werden sollten, die an der Front ihr Leben riskieren.«

Geary schüttelte den Kopf. »Captain Badaya…«

»Hören Sie mir bitte erst zu. Sie können etwas bewirken. Sie können die Allianz vor Politikern retten, denen die Menschen der Allianz nicht mehr vertrauen und nicht mehr glauben. Wenn wir zurück in der Allianz sind, dann können Sie für sich die Autorität in Anspruch nehmen, die man benötigt, wenn man diesem Krieg mit seinem endlosen Blutvergießen ein Ende bereiten will. Die Menschen werden Black Jack Geary folgen, wenn er sie ruft.« Badaya nickte ernst, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Es gibt viele Commander in der Flotte, die so denken wie ich. Mich hat man gebeten, für sie zu sprechen und Ihnen zu versichern, dass unser Glaube an Sie nicht allein auf den Legenden basiert, die Sie umgeben. Und natürlich gibt es einige, die sich immer gegen Sie aussprechen werden, egal was Sie tun. Dieser Offiziere können wir uns annehmen, damit ein für alle Mal Ruhe herrscht.«

So deutlich war Geary noch nicht das Angebot unterbreitet worden, sich zum Diktator aufzuschwingen. Badayas Ausführungen genügten, um ihn des Verrats anzuklagen, doch Geary benötigte Offiziere wie ihn, wenn er die Flotte nach Hause bringen wollte. »Ich… weiß Ihre Worte zu schätzen, und ich… ich bin Ihnen dankbar dafür, wie Sie über mich denken. Aber ich kann nicht guten Gewissens in Erwägung ziehen, was Sie mir anbieten. Es widerspricht allem, woran ich als Offizier der Allianz glaube.«

Wieder nickte Badaya. »Ich hatte auch nicht erwartet, dass Sie das Angebot auf der Stelle annehmen würden. Sie sind viel zu umsichtig, um auf einen solchen Vorschlag einzugehen, solange Sie nicht gründlich darüber nachgedacht haben. Wir möchten Ihnen lediglich deutlich machen, was Sie tun könnten und welchen Rückhalt Sie in unseren Reihen genießen, damit Sie vor unserer Rückkehr ins Allianz-Gebiet in Ruhe nachdenken können. Wenn Sie erst einmal aus erster Hand erlebt haben, wie die Politiker im Rat und im Senat sich verhalten, werden Sie Ihre Einstellung schon noch ändern.«

»Captain Badaya, ähnliche Überlegungen wurden bereits von Captain Falco geäußert, allerdings mit dem Unterschied, dass er sich selbst als denjenigen sah, der die Macht ergreifen sollte.«

Badaya verzog den Mund. »Captain Falco hatte noch nie ein Problem damit, seine Selbsteinschätzung kundzutun. Das hat mir nie gefallen. Sie unterscheiden sich von ihm. So wie sich der große Sieg, den Sie bei Ilion errungen haben, von der verheerenden Niederlage unterscheidet, die Falco bei Vidha angerichtet hat.«

Sag es. Sprich es klar und deutlich aus. Er konnte nicht zulassen, dass irgendwer glaubte, er würde ernsthaft über dieses Angebot nachdenken wollen. »Captain Badaya. Ich bin nicht Captain Falco, und ich kann mir keine Situation vorstellen, in der ich mich bereit erklären würde, die Herrschaft über die Allianz an mich zu reißen.«

Es schien Badaya nicht zu stören. Vielmehr nickte er erneut. »Wir haben diese Antwort erwartet, immerhin sind Sie Black Jack Geary. Aber Black Jack Geary fühlt sich dem Wohl der Allianz verpflichtet, nicht wahr? Wir bitten Sie nur, darüber nachzudenken, wie viel Gutes Sie damit tun könnten. Die Menschen der Allianz brauchen Sie, Captain Geary, weil Sie sie genauso retten können, wie Sie es mit dieser Flotte tun. Als wir Sie aus der Rettungskapsel bargen, da habe ich das nicht für möglich gehalten, aber Sie haben mich dazu gebracht, dass ich daran glaube. Erwarten Sie keine Dankbarkeit von den Politikern, wenn Sie die Flotte nach Hause gebracht haben. Die werden Sie als einen Rivalen ansehen und alles tun, um Sie zu vernichten. Doch ich kann Ihnen versichern, es wird niemanden geben, der deren Befehl ausführt, Sie zu inhaftieren. Die Mehrheit der Flotte steht hinter ihnen. Ich danke Ihnen für Ihre Zeit, Sir.« Badaya salutierte und wartete, bis Geary die Geste erwiderte, erst dann löste er sich auf.

Geary ließ sich in seinen Sessel fallen und drückte die Handflächen gegen sein Gesicht. Verdammt. »Überlegen Sie mal, wie viel Gutes Sie damit tun könnten.« Vorfahren, bewahrt mich vor denen, die mich hassen, und vor denen, die mich bewundern.

Als ich herausfand, dass die Syndik-Bürger auf Baldur mit ihren Führern unzufrieden sind, da hielt ich das für eine großartige Neuigkeit. Vielleicht würden sich die Syndiks endlich gegen ihre Regierung erheben. Und nun muss ich hören, dass viele Offiziere der Allianz mit ihrer eigenen Regierung genauso unzufrieden sind.

Wäre es nicht eine unglaubliche Ironie, wenn beide Regierungen zusammenbrächen, weil ihre Bürger genug haben von diesem endlosen Krieg? Aber was sollte an ihre Stelle rücken? Viele kleine, untereinander zerstrittene Mächte, die jeweils aus ein paar Sternsystemen bestehen?

Was soll ich tun, wenn ich vor die Wahl gestellt werde, entweder diese Entwicklung zuzulassen oder mich zu dem Diktator aufzuschwingen, den Badaya und seine Freunde aus mir machen wollen?

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