Sechs

»Ich muss mit Ihnen reden.« Gearys Stimme hörte sich spröde an, als er ins Komm sprach. Er wusste das, aber er konnte nichts daran ändern.

Rione reagierte nicht.

»Verdammt noch mal, Madam Co-Präsidentin, es geht hier um die Allianz. Es geht um Black Jack.«

Ihre Stimme schnitt sich wie eine stumpfe Klinge durch sein Herz. »Ich werde darüber nachdenken, und jetzt lassen Sie mich in Ruhe.«

Geary beendete die Verbindung und starrte finster auf das gegenüberliegende Schott. Ein Teil seiner Flotte war im Begriff, gegen ihn zu rebellieren, ein anderer Teil wollte, dass er Verrat an der Allianz übte, und wieder andere akzeptierten ihn so, wie er war, und betrachteten ihn als anständigen, brauchbaren Kommandanten. Unwillkürlich grübelte er darüber, was die letzte Gruppe wohl tun würde, sollte Geary der Versuchung erliegen, die die zweite ihm schmackhaft zu machen versuchte. Würde sich seine Flotte in drei Lager spalten und sich untereinander bekämpfen?

Die Lage wäre eine völlig andere, wenn er nichts über die Hypernet-Portale wüsste und damit über die allzu reale Möglichkeit, dass die Allianz-Regierung vom zerstörerischen Potenzial der Portale erfuhr und sich entschied, dieses Potenzial gegen die Syndiks einzusetzen. Hier ging es nicht bloß um die Rettung der Allianz, sondern möglicherweise um das Überleben der gesamten menschlichen Rasse.

Er wusste nicht, ob er die Kraft besaß, sich der Versuchung zu widersetzen, vor allem wenn er nicht zu sagen vermochte, welches der richtige Weg war, wenn die Existenz der Menschheit auf dem Spiel stand.

Einen Moment lang überlegte er, Captain Desjani zu rufen, um sie zu diesen Dingen zu befragen. Aber Desjani würde womöglich Badayas Einstellung befürworten, und Geary wollte sich lieber nicht der Tatsache stellen, dass sie solch grenzenloses Vertrauen in ihn setzte. Sie hatte zu keiner Zeit besonderen Respekt vor Politikern erkennen lassen, wenn man einmal von Co-Präsidentin Rione absah. Natürlich gab sie sich nach außen hin respektvoll, doch ihr war deutlich anzumerken, dass sie der politischen Führung der Allianz nicht vertraute. Und jetzt hatte sich auch noch herausgestellt, dass sie mit ihrer Meinung keineswegs allein war.

Vorfahren, was ist geschehen? Ich war der Ansicht, dass ich weiß, wie die Menschen in dieser Flotte denken, und mir klar ist, was sich durch ein Jahrhundert Krieg verändert hat. Aber jetzt muss ich eingestehen, dass ich vieles dabei gar nicht berücksichtigt habe und dass die Lage eigentlich viel ernster ist.

Irgendwann schlief er ein, ohne Antworten auf die Fragen gefunden zu haben, die ihm zu schaffen machten.


* * *

Etwas holte Geary aus dem Schlaf, ohne dass er wusste, was es war. Jemand saß in der Nähe. Er blinzelte, um in der Dunkelheit Konturen zu erkennen. »Madam Co-Präsidentin?«

»Das ist richtig.« Sie sprach in einem gelassenen Tonfall, was ihn ganz erheblich beruhigte. »Mich wundert, dass Sie die Sicherheitseinstellungen nicht angepasst haben, um mir den Zugang zu Ihrem Quartier zu verwehren.«

Er setzte sich auf und vertrieb den letzten Schlaf aus seinem Kopf. »Ich dachte, es wäre nicht schlecht, wenn Sie wissen, dass Sie weiter Zugang haben.«

»Ich weiß einiges von dem, was ich an dem Abend sagte, als ich betrunken war, John Geary. Ich weiß, was ich zu Ihnen gesagt habe.«

»Dass Sie alles in Ihrer Macht Stehende tun werden, um Black Jack aufzuhalten. Ja, ich weiß.«

»Ich habe mehr als nur das gesagt«, beharrte sie.

»Dass Sie mich töten werden, wenn es sein muss«, erwiderte er. »Vielleicht ist es ja gar nicht so schlecht, dass diese Drohung über mir schwebt.«

»Sie sind entweder sehr vertrauensvoll oder sehr naiv oder sehr dumm«, konterte sie aufgebracht.

»Versuchen Sie's mal mit ›sehr verängstigt‹«, schlug er ihr vor.

»Angst vor sich selbst?«, fragte sie und redete gleich weiter, ohne seine Antwort abzuwarten. »Wie ich hörte, hat man Ihnen ein Angebot gemacht.«

Er wünschte, er könnte ihr Mienenspiel sehen. Er hatte sich schon gefragt, ob Riones Spione in der Flotte davon irgendwie Wind bekommen würden. »Was haben Sie denn sonst noch so gehört?«

»Dass Sie geantwortet haben, Sie würden darüber nachdenken.«

»Nein, meine Antwort lautete, dass es dazu nicht kommen wird, und das habe ich klar und deutlich zu verstehen gegeben.«

Daraufhin begann sie zu lachen. »Ach, John Geary. Sie wissen nichts über die erste Lektion, die jeder Politiker lernt. Was Sie sagen, interessiert nicht. Es zählt nur, was die Leute hören wollen. Jemand, der Ihnen die Kontrolle über die Allianz anbietet, will von Ihnen kein Nein hören.« Sie ließ eine kurze Pause folgen. »Sie sagten, Sie wollten mit mir reden. Ich nehme an, Sie fühlen sich versucht, nicht wahr?«

»Ja«, gab er unumwunden zu. »Wegen der Hypernet-Portale.«

»Sie vertrauen den Politikern nicht, was das Wissen über diese Waffe angeht, richtig? Ich kann es Ihnen nicht verübeln. Aber Sie trauen sich selbst nicht über den Weg, oder? Das war doch der Grund, warum Sie mir das Programm für die Energieberechnung gegeben haben, die beim Zusammenbruch eines Hypernet-Portals freigesetzt wird.«

»Vielleicht sollten Sie der Diktator sein.«

»Ich glaube, ich habe Ihnen genügend Beweise für meine eigenen Unzulänglichkeiten geliefert, John Geary.« Sie hielt inne und seufzte. »Sie haben mir die ungeschminkte Wahrheit gesagt, und ich habe sie als solche erkannt. Sie können jetzt gern wieder einen Witz darüber reißen, dass eine Frau Ihnen recht gegeben hat.«

»Nein, danke.«

»Bei meinen Vorfahren, Sie haben tatsächlich etwas über Frauen gelernt, nicht wahr? Warum ist diese Flotte nach Ixion unterwegs?«

Sie wechselte so abrupt das Thema, dass er sich fast überrumpelt vorkam. »Weil es die beste von vielen schlechten Möglichkeiten ist.«

»Sie gehen davon aus, dass die Syndiks uns dort mit einer Streitmacht erwarten.«

»Ich gehe davon aus, dass sie uns in jedem Sternensystem erwarten, das wir von hier aus erreichen können.« Er schlug die Bettdecke zur Seite und drehte sich zu Rione um. »Ich kann nicht unentwegt Glück haben. Daiquon war äußerst knapp. Wäre das Minenfeld fertig gewesen, dann hätten wir genauso viele Schiffe verlieren können, ohne dabei dem Gegner irgendeinen Verlust beizubringen. Was haben Ihre Spione sonst noch berichtet? Ich muss wirklich wissen, was Ihnen zugetragen wird.«

»Casia und Midea sind nicht die Rädelsführer, die gegen Ihr anhaltendes Kommando über die Flotte Stimmung machen. Bislang konnte ich nicht herausfinden, wer der eigentliche Drahtzieher ist. Ich weiß nur, dass die beiden im Auftrag eines anderen handeln. Auch wenn Numos und Faresa von den Marines festgenommen und bewacht werden, ist es ihnen irgendwie gelungen, mit jenen Offizieren in Kontakt zu bleiben, die nach wie vor an sie glauben.«

Das war keine große Überraschung. »Aber Numos und Faresa sind nicht diejenigen, die meine Gegner anführen, oder?«

»Nein.« Plötzlich änderte sich Riones Tonfall und klang gekünstelt. »Und Sie sollten wissen, dass sich hartnäckig Gerüchte halten, wonach ich von Eifersucht auf Ihr Verhältnis mit Captain Desjani förmlich aufgefressen werde.«

Geary schlug sich mit der Faust auf den Oberschenkel. »Meine angebliche Beziehung?«

Sie ließ sich einen Moment Zeit, ehe sie antwortete: »Diesen Gerüchten begegne ich wohl am besten, indem ich aufhöre, einen Bogen um Sie zu machen, und indem ich mich gegenüber Desjani wieder normal benehme. Außerdem bin ich meinen Pflichten nicht nachgekommen, wie Sie mir ganz richtig vorgehalten haben. Wenn Sie mir gegenüber ehrlich waren, dann waren meine Ratschläge für Sie von Nutzen. Sie können darauf zählen, dass Sie mich wieder um Rat fragen dürfen.«

»Danke.« Geary zögerte, da er sich nicht sicher war, wie er die offensichtlichen nächsten Fragen formulieren sollte.

»Was geschehen ist, ist geschehen«, erklärte sie sanft. »Was ich zuerst gesagt habe, trifft unverändert zu: Mein Herz wird immer einem anderen gehören. Aber davon abgesehen hat sich eigentlich nichts geändert. Selbst wenn mein Ehemann noch lebt, ist er für mich so verloren, wie ich es für ihn bin, als hätte der Tod ihn geholt. Verpflichtet fühle ich mich unverändert der Allianz. Ich weiß, Sie braucht mich.«

Das klang nicht richtig. »Madam Co-Präsidentin…«

»Victoria.«

Es war schon eine Weile her, seit sie für ihn Victoria gewesen war. »Victoria, ich brauche deinen Rat, und ich schätze deine Gesellschaft. Mehr als das kann ich von dir nicht verlangen.«

»Meine Ehre wurde bereits infrage gestellt, John Geary. Ich muss das tun, was ich von nun an für das Beste halte. Und du hast mir gefehlt. Das hat nicht ausschließlich mit meiner Pflicht zu tun.«

»Das höre ich gern.«

»Ich wollte es nicht so unpersönlich klingen lassen. Willst du mich? Ich bin nicht betrunken. Ich… ich brauche dich.«

Er betrachtete sie in der Düsternis seiner Kabine und konnte kaum die Umrisse ihres Gesichts erkennen. Sie klang so, als würde sie es ernst meinen. Doch wenn es Riones oberste Priorität war, die Allianz vor Black Jack zu beschützen, dann war es für sie von Vorteil, wenn er wieder im gleichen Bett schlief wie sie. Sie wusste, ihm war das Angebot unterbreitet worden, das sie ihm vorausgesagt hatte. Und sie wusste, dass er sich davon in Versuchung geführt fühlte. War es ein Zufall, dass sie am Abend des Tages in sein Bett zurückkehrte, an dem Captain Badaya ihm den Posten eines Diktators angeboten hatte, der angeblich bei der Mehrheit der Flotte Rückhalt fand?

Wollte sie ihn wirklich? Oder ging es ihr nur darum, alle notwendigen Vorbereitungen zu treffen, damit sie eingreifen konnte, wenn der Zeitpunkt gekommen war, ihn zu stoppen? Oder wollte sie letztlich nur an seiner Macht teilhaben? Eine unmoralische Politikerin, die sich mit dem möglichen zukünftigen Herrscher über die Allianz gut stellen wollte?

Victoria Rione stand auf und streifte ihre Kleidung ab, die um ihre Füße herum auf dem Boden landete. Dann kam sie zu ihm ins Bett und schmiegte sich an seinen Körper. Als sich ihre Lippen berührten, wurde Geary klar, dass ihm die Antworten auf seine Fragen gar nicht so wichtig waren, solange sie wieder das Bett mit ihm teilte. Als sie ihn auf das Bett drückte und sich rittlings auf ihn setzte, wurde ihm klar, dass es ihn in diesem Moment nicht mal kümmerte, ob sie in einer Hand womöglich ein Messer hielt.


* * *

»Alle Schiffe zum Sprung bereit machen.« Mit dem bloßen Auge war der Stern Daiquon nur noch als heller Punkt wahrzunehmen. Die Flotte hatte bereits vor Tagen die Formation Kilo One eingenommen, um auf alles gefasst zu sein, wenn sie Ixion erreichte. Zumindest hoffte er das.

Victoria Rione saß wieder auf ihrem Beobachterplatz auf der Brücke der Dauntless und verfolgte das Geschehen, als hätte es nie die Phase gegeben, in der sie diesen Platz gemieden hatte. Desjani hatte Rione höflich begrüßt, jedoch war es Geary so vorgekommen, als sei aus ihren Worten eine gewisse Besorgnis herauszuhören gewesen. Was Rione anging, so glaubte er ein triumphierendes Funkeln in ihren Augen gesehen zu haben, als sie von Desjani willkommen geheißen wurde. Aber das hatte er sich sicher alles nur eingebildet, weil seine Sorge um das, was sie möglicherweise in Ixion erwartete, ihn in den Fieberwahn trieb.

»Alle Einheiten der Allianz-Flotte! Beim Eintreffen bei Ixion führen Sie augenblicklich die befohlenen Manöver aus und feuern auf alle feindlichen Kriegsschiffe in Reichweite. Wir springen jetzt nach Ixion.«


* * *

Nicht ganz vier Tage im Sprungraum, um Ixion zu erreichen. Es hätte keine große Sache sein sollen, und doch fühlte sich Geary in zunehmendem Maße unbehaglich, als sie wieder im Sprungraum unterwegs waren. Angesichts der Risiken, die sie eingehen mussten, wünschte er, Ixion befinde sich näher dem Allianz-Territorium, als es tatsächlich der Fall war. Obwohl der Sprungraum eine Chance bot, sich ausruhen und nachdenken zu können, ohne ständig von den Syndiks bedrängt zu werden, empfand er es als vertane Zeit, da die Stunden und Tage sich hinzogen, ohne dass sich außerhalb des Schiffs jemals irgendetwas änderte. Natürlich war das im Sprungraum nie der Fall, doch jetzt störte es ihn auf einmal. Er wollte etwas unternehmen, zur Tat schreiten, sich den Syndiks stellen, sie in einer Entscheidungsschlacht schlagen, herausfinden, was es mit dieser fremden Intelligenz auf sich hatte, die er und Rione auf der anderen Seite des Syndik-Territoriums vermuteten. Und er wollte diesen elenden Krieg beenden.

Dass er auch im Normalraum eigentlich gar keine Chance hatte, diese Dinge in die Tat umzusetzen, änderte nichts daran, dass er sich im Sprungraum maßlos frustriert fühlte. Hinzu kam die Erkenntnis, dass er während der Phasen im Sprungraum häufiger von der Vergangenheit träumte, von den Menschen, die er damals kannte und die heute seit Langem tot waren. Es war nicht sehr angenehm, aus der Unterhaltung mit einem alten Freund aufzuwachen und erkennen zu müssen, dass er sich mit diesem niemals wieder würde unterhalten können. Zumindest nicht in diesem Leben.

Sein einziger Trost war, dass er diesmal nicht über drei Ecken versuchte musste, etwas darüber in Erfahrung zu bringen, wie es Victoria Rione ging. Sie kam jeden Abend in sein Quartier und verbrachte die Nacht mit ihm. Und wenn sie sich liebten, schienen bei ihr Leidenschaft und Verzweiflung Hand in Hand zu gehen. Wenn sie aber nicht das Bett mit ihm teilte, verbarg sie weiter ihr Innerstes und ließ weder Leidenschaft noch Verzweiflung noch irgendeine andere Gefühlsregung erkennen.

Er vertrieb sich die Zeit damit, Simulationen zu programmieren und mit dem Versuch, einzuschätzen, was bei Ixion wohl auf sie wartete und wie die Flotte dort würde reagieren müssen. Doch er konnte das so lange machen, wie er wollte, es waren dennoch alles nur Vermutungen, denn allein die Ankunft in Ixion würde ihnen zeigen, was sie dort tatsächlich erwartete.

Geary versuchte sich auf das Display zu konzentrieren, als der Moment näher rückte, an dem die Flotte den Sprungraum verlassen würde. Derzeit zeigte es nur an, was die veralteten Syndik-Aufzeichnungen hergaben, die sie in bislang durchflogenen Sternensystemen zusammengetragen hatten. Die zum Teil jahrzehntealten Daten zeigten ein relativ gut entwickeltes System mit einem fast idealen Planeten, der über eine beachtlich große Bevölkerung verfügte, sowie diverse Aktivitäten und Einrichtungen abseits des Planeten. Die für Handelsschiffe bestimmten Daten enthielten keinerlei Angaben über militärische Einrichtungen, es tauchten lediglich immer wieder Warnungen auf, wonach man unbedingt den jeweiligen Aufforderungen Folge zu leisten hatte, wenn Militärbehörden mit einem Schiff Kontakt aufnahmen.

»Stimmt etwas nicht, Sir?«, fragte Captain Desjani.

»Oh, ich überlege nur, was uns da wohl erwartet«, erwiderte er. »Und ich frage mich, warum ein so gutsituiertes Sternensystem nicht mit einem Hypernet-Portal ausgestattet worden ist.«

Victoria Rione meldete sich von ihrem Platz auf der Brücke zu Wort, den sie mittlerweile wieder eingenommen hatte. »Das kann politische Gründe haben«, erläuterte sie. »In der Allianz wollten viel mehr Planeten ein Hypernet-Portal haben, als es finanzielle Mittel zu ihrem Bau gab. Und ab einem gewissen Punkt begannen sich die praktischen Erwägungen zwischen verschiedenen Welten so sehr zu gleichen, dass die Entscheidung dadurch bestimmt wurde, welcher Politiker welchen Rivalen geschickter ins Abseits drängen konnte.«

Desjani, die ihr Gesicht so abgewandt hielt, dass nur Geary, aber nicht Rione sie sehen konnte, verdrehte die Augen, um ihre Meinung über Politiker kundzutun. Geary hielt sich glücklicherweise ernst und nickte Rione in einer Weise zu, die von Desjani hoffentlich nicht als Zustimmung gedeutet wurde.

»Bereithalten zum Sprung in den Normalraum«, rief ein Wachhabender. »Fünf… vier… drei… zwei… eins… Sprung.«

Das Grau wich dem schwarzen All mit seinen weißen Sternen, die Stille wich augenblicklich den pulsierenden Alarmsirenen, da die Sensoren der Dauntless die ersten feindlichen Kriegsschiffe in der Nähe registrierten. Gleichzeitig spürte Geary, wie er in seinen Sessel gedrückt wurde, als die Steuersysteme des Schlachtkreuzers zum vorbereiteten Ausweichmanöver ansetzten, um einem möglichen Minenfeld aus dem Weg zu gehen. Der Bug wurde dabei so abrupt nach oben gedrückt, dass die Trägheitsdämpfer die Auswirkungen auf Schiff und Crew nicht vollständig ausgleichen konnten.

Nächstes Mal würden die Syndiks vermutlich ihr Minenfeld auf den Bereich oberhalb des Sprungpunkts ausweiten, diesmal jedoch konnte Geary zufrieden grinsen, als er sah, wie seine gesamte Flotte einer Aufwärtskurve folgte, die so eng war, wie es die physikalischen Gesetze zuließen. Die Sensoren nahmen währenddessen umfassende Spektralscans des Systems vor, registrierten kleine Anomalien rings um die Flotte, hinter denen sich getarnte Minen verbargen, und kennzeichneten die Positionen jener Minen, die sich entlang der Flugbahn befanden, der die Allianz-Schiffe folgen würden. Geary kalkulierte im Kopf die Zahlen und kam zu dem Schluss, dass die Flotte bei einer höheren Geschwindigkeit beim Eintritt ins System dem Minenfeld nicht früh genug hätte ausweichen können.

Ohne sich um den Rest des Systems zu kümmern, galt seine ganze Aufmerksamkeit dem Gebiet, das nur wenige Lichtminuten vom Sprungpunkt entfernt lag. Er benötigte einen Moment, ehe er begriff, was er da eigentlich sah. Die Minen wären gar nicht das Schlimmste gewesen, auch wenn er sogar diesen Fall einkalkuliert hatte. Viel gefährlicher waren nämlich die Syndik-Kriegsschiffe, die hinter dem Minenfeld lauerten. Vier Schlachtschiffe und sechs Schlachtkreuzer, dazu acht Schwere Kreuzer sowie lediglich drei Leichte Kreuzer und ein knappes Dutzend Jäger hatten dort in Form einer konkaven Scheibe ihre Position eingenommen. Alles, was es durch das Minenfeld geschafft hätte, wäre genau auf diese Schiffe zugeflogen, während die Schilde noch geschwächt waren und es noch keinen Überblick über die erlittenen Schäden gab. Aber…

»Die sind nur eine Lichtminute entfernt und stehen genau vor dem Sprungpunkt«, stellte Desjani verblüfft fest.

»Die haben gesehen, wie Captain Geary sich über die Spielregeln hinwegsetzt«, fügte Rione ironisch an.

Desjani sah kurz zu ihr, dann nickte sie. »Das Oberkommando der Syndiks hat zwar gesehen, dass wir neue Taktiken anwenden, aber deren Sinn hat es noch nicht begriffen. So wie wir es auch nicht verstanden hätten, wenn die Syndiks plötzlich von einem Befehlshaber angeführt würden, der auf alte Gefechtstaktiken zurückgreift. Die Syndiks glauben jetzt, dass sie uns schlagen können, indem sie uns nachahmen und es noch ein Stück weit übertreiben.«

»Glauben Sie, dass das hier gerade passiert?«, fragte Geary.

»Ich weiß es«, behauptete Desjani. »Wir hätten es genauso gemacht, davon bin ich überzeugt. Aber wenn sie zum Extrem greifen, haben sie den Zweck der Übung nicht verstanden. Es ist zwar nicht verkehrt, sich in der Nähe eines Sprungpunkts aufzuhalten, damit man das Feuer auf den Feind eröffnen kann, wenn der den Sprungraum verlässt. Doch es ergibt keinen Sinn, wenn man sich so dicht davor befindet, dass man nicht reagieren kann. Wenn man dann auch noch vor dem Sprungpunkt stillsteht, fehlt jeglicher Vorteil einer relativen Geschwindigkeit.«

»M-hm«, stimmte Geary ihr zu. Es freute ihn, dass Desjani nicht nur die Vorgehensweise der Syndiks analysiert hatte, sondern sich auch der Schwächen bewusst war, die die Allianz-Flotte unter gleichen Umständen demonstriert hätte. »Unsere Flotte hat schon jetzt einen Geschwindigkeitsvorteil. Der ist zwar nicht groß, aber da die beiden Streitmächte so dicht beieinander sind, hat niemand Zeit, um allzu sehr zu beschleunigen, bevor die Kriegsschiffe in Gefechtsreichweite gelangen.«

Die führenden Kastenformationen der Allianz-Flotte flogen soeben über den oberen Rand des Minenfelds hinweg. Geary konnte beobachten, wie die Syndiks zu beschleunigen begannen, um ihre Formation so zu drehen, dass sie die vorderen Einheiten der Flotte unter Beschuss nehmen konnte. Sofort gab er entsprechende Befehle aus, um den Gegner zu irritieren. »Alle Einheiten der Allianz-Flotte, beschleunigen Sie auf 0,1 Licht und ändern Sie den Kurs um zwei null Grad nach oben. Sofort ausführen.«

Die Allianz-Flotte folgte einem noch steileren Kurs, sodass sie sich fast vertikal zur Ebene des Ixion-Sternensystems bewegte. Die am weitesten zurückliegenden Schiffe traten gerade erst in den Normalraum ein und vollzogen ihr erstes Aufwärtsmanöver. Sie waren nicht in der Lage, die erneute Kurskorrektur sofort zu vollziehen, was sie ein wenig von ihrer gewünschten Position abbringen würde, doch das war jetzt nicht weiter wichtig.

Die konkave Syndik-Scheibe wurde zusehends flacher, da die großen Kriegsschiffe in der Mitte ihrer Formation schneller beschleunigten als die kleineren Schiffe ringsum. »Die hätten die Schlachtschiffe und Schlachtkreuzer am Rand positionieren sollen, nicht in der Mitte«, merkte Geary an.

»Aber sie sind davon ausgegangen, dass wir genau ins Zentrum ihrer Formation fliegen würden«, wandte Desjani ein. »Die schweren Schiffe hätten sich niemals mit einem Platz am Rand der Formation zufriedengegeben, weil dann den kleineren Schiffen in der Mitte die Ehre zuteil geworden wäre, von uns beschossen zu werden.«

Aha, dann folgte also Desjani auch immer noch den aktuellen Denkstrukturen, wonach es wichtiger war, die Ehre einzelner Commander zu befriedigen, anstatt eine Schlacht zu gewinnen. Dank sei den lebenden Sternen, dass die Syndiks sich mit Blick auf Gefechtstaktiken genauso dumm anstellen wie die Allianz.

Die Syndiks sahen Gearys Manöver und drehten ihre Formation abermals, um auf das Gebiet zu zielen, auf das sich die untere Ecke der Allianz-Formation zubewegte. Sie versuchten, die auf sich gestellten Einheiten unter Beschuss zu nehmen, wie Captain Cresida es mit seiner Eingreiftruppe Furious bei Sancere gemacht hatte — allerdings ohne die hohe relative Geschwindigkeit, die Cresida für seine Attacke genutzt hatte. Wie Desjani ganz richtig erkannt hatte, war die Taktik der Syndiks nichts weiter als eine Kopie von Gearys Vorgehensweise, ohne dass sie allerdings das Konzept erfasst hatten, das nötig war, um irgendeinen Erfolg zu erzielen. Da die Syndiks mit einer viel geringeren relativen Geschwindigkeit flogen, machten sie sich nur selbst zur Zielscheibe.

Und Geary war entschlossen, diesen Fehler gnadenlos auszunutzen. Geary wartete, bis die letzten Einheiten seiner Flotte den oberen Rand des Minenfelds hinter sich gelassen hatten. »Alle Einheiten, drehen Sie die Formation bei Zeit eins sieben um eins eins null Grad nach unten. Andern Sie bei Zeit eins acht den Kurs um eins eins null Grad nach unten und zwei null Grad nach Backbord.«

Die Syndiks richteten sich noch immer auf die Position aus, die ein Teil der Allianz-Formation in Kürze erreichen würde. Dabei bewegten sie sich nach wie vor nur halb so schnell wie die Allianz-Schiffe. Dann war die Zeit eins sieben erreicht, und alle Schiffe der Allianz drehten den Bug nach unten, um auf die Position zu zielen, auf die die Syndiks ihrerseits zusteuerten. Als die Allianz-Schiffe auf den neuen Kurs gingen, steuerte die breite Seite der Kastenformation auf einen Punkt zu, der sich genau in der Mitte der erwarteten Position des Gegners befand.

Der Befehlshaber der Syndik-Flotte mochte ein Dummkopf sein, aber so oder so blieben ihm nicht viele Möglichkeiten, um zu reagieren — und keine von ihnen war sehr erfreulich. »Meinen Sie, er wird noch ein Manöver versuchen?«, fragte Desjani gut gelaunt, während die Zielerfassungssysteme der Dauntless sich auf einen näher kommenden Syndik-Schlachtkreuzer einstellten. Durch die Neuausrichtung der Formation befand sich der Block Schiffe mit der Dauntless in der Mitte nun in der Nähe jenes Punkts, an dem die Syndik-Formation die der Allianz durchfliegen würde.

»Wenn er versucht, sich durch unsere Formation hindurchzuschlängeln, könnte er unsere Zielerfassung genügend irritieren, um…« Geary brach mitten im Satz ab. »Was ist denn das?«

Die Syndik-Formation begann sich abermals um ihre Achse zu drehen, doch ein Schwerer Kreuzer und ein Schlachtkreuzer achteten nicht aufeinander und waren zu hektischen Flugbewegungen gezwungen, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Durch diese Aktion veranlasste der Schwere Kreuzer einen weiteren Schlachtkreuzer zu einer wilden seitlichen Drehung und geriet dann genau in die Flugbahn eines Syndik-Schlachtschiffs.

Eigentlich hätte die Zeit sogar für das schwerste Schlachtschiff gereicht, um eine Kollision zu verhindern, aber das Ausweichmanöver erfolgte zu spät und fiel zu gering aus. Das Schlachtschiff erwischte den Schweren Kreuzer mit recht niedriger Geschwindigkeit, die aber immer noch einige hundert Kilometer in der Sekunde betrug, und verwandelte das kleinere Schiff in einen Trümmerhaufen. Die Schilde des Schlachtschiffs wiederum brachen zusammen und ließen das schwerere Raumfahrzeug seitlich davontrudeln, da dessen Backbordseite weggerissen worden war. Ein Leichter Kreuzer, der ihm mit allen Mitteln auszuweichen versuchte, rammte daraufhin einen Jäger, wodurch beide Schiffe zerstört wurden.

Innerhalb weniger Minuten hatte die Syndik-Formation drei Schiffe verloren, ein weiteres schwer beschädigt und sich in einen chaotischen Haufen verwandelt, der immer noch beschleunigte, um die Allianz-Flotte zu erreichen.

»Weiß denn von denen keiner, wie man ein Schiff steuert?«, fragte Geary verwundert und betrachtete mit Entsetzen die angerichteten Verwüstungen, auch wenn die sich in den feindlichen Reihen abgespielt hatten.

»Nein«, erwiderte Desjani strahlend. »Die sind kaum ausreichend ausgebildet. Wir haben den Syndiks so hohe Verluste zugefügt, dass sie neue Einheiten viel zu überhastet ins Gefecht schicken müssen. Meinen Glückwunsch, Sir.«

Glückwunsch? Das erschien ihm nicht das richtige Wort für eine Schlacht, die ohnehin sehr einseitig ausgefallen wäre, die jetzt aber zum Gemetzel werden sollte. Die Syndik-Kriegsschiffe bemühten sich gar nicht erst, ihre Formation wieder einzunehmen, sondern versuchten einfach, irgendwie davonzukommen. Wären sie von den Allianz-Schiffen weit genug entfernt gewesen, oder hätten sie zumindest eine ausreichende Geschwindigkeit gehabt, dann wäre es ihnen womöglich gelungen.

So aber waren sie dicht vor ihrem Gegner und gerade mal halb so schnell. »Alle Einheiten, erfassen Sie Ziele in Ihrer Nähe. Eröffnen Sie das Feuer, sobald der Gegner in Reichweite ist, und gehen Sie mit Ihrer Munition sparsam um.«

Die Kastenformation der Allianz glitt über das verstreute Durcheinander an Syndik-Schiffen hinweg. Ein paar Salven Phantom-Geschosse wurden von den Allianz-Schiffen abgefeuert und bewegten sich auf Ziele in den feindlichen Reihen zu. Der von der Dauntless erfasste Schlachtkreuzer versuchte zu beschleunigen, um sich seinen Weg durch die Allianz-Formation zu bahnen, ohne auch nur den Versuch eines Ausweichmanövers zu unternehmen. Für die Kartätschen der Dauntless, der Daring und der Victorious gab er damit ein perfektes Ziel ab, das man nicht verfehlen konnte.

Der Aufprall der Geschosse auf den Bugschilden des Syndik-Schlachtkreuzers sorgte für eine Serie von grellen Lichtblitzen, als die metallenen Kugeln beim Kontakt mit den Schilden verdampften. Die Schilde wiederum brachen unter der Fülle der Treffer zusammen, sodass die letzte, von der Victorious kommende Salve in der Bugpanzerung des Schiffs einschlug und das Metall in einem Inferno aus gleißendem Licht und Hitze in Gas verwandelt wurde. Die nachfolgenden Salven aus Höllenspeeren von allen drei Schiffen schnitten sich der Länge nach durch den Rumpf, ließen jedes System zusammenbrechen und töteten vermutlich den größten Teil der Crew.

Ohne es zu bemerken, hatte Geary gebannt den Atem angehalten, dann fluchte er, da ihm bewusst wurde, dass er ganz auf dieses eine Gefecht konzentriert gewesen war, anstatt sich um die Schlacht als Ganzes zu kümmern.

Die meisten Syndik-Kriegsschiffe waren von seiner Flotte bereits kampfunfähig geschossen worden. Drei überlebende Jäger versuchten, der Kastenformation der Allianz zu entkommen und wichen hektisch dem Beschuss aus, der von allen Seiten gleichzeitig kam. Zwei Schlachtschiffe hatten es irgendwie fast durch die ganze Allianz-Formation geschafft, doch ihre Schilde waren schwer in Mitleidenschaft gezogen worden, und etliche Treffer hatten Löcher in die Panzerung gerissen. Während Geary zusah, wurde eines der Schiffe von zwei Phantomen am Heck getroffen, woraufhin der Antrieb komplett ausfiel.

Die restlichen gegnerischen Schiffe konnte er nicht außer Gefecht setzen, wenn er gleichzeitig die Formation seiner Flotte beibehalten wollte. Geary betätigte eine Taste und wandte sich an den Gegner: »An alle Syndik-Einheiten. Schalten Sie die Schilde ab und deaktivieren Sie die Waffen, sonst werden wir Sie vernichten.« Er schaltete auf einen anderen Kanal um: »An alle Einheiten der Allianz-Flotte mit Ausnahme der Unterformation Kilo One Nine und Kilo One Ten: Nehmen Sie die Verfolgung auf. Formation auflösen und nach eigenem Ermessen den Gegner stellen.«

Den beschädigten Schiffen und den Hilfsschiffen in Unterformation Kilo One Nine sowie den Schlachtschiffen in Unterformation Kilo One Ten würde das gar nicht gefallen, das war Geary auch klar, und es dauerte nicht lange, da meldete sich die Indomitable: »Sir, wieso dürfen wir nicht die Verfolgung aufnehmen?«

»Weil ich Sie für den Fall brauche, dass einer der Syndiks versucht, die beschädigten Schiffe in Kilo One Nine zu rammen. Auf Ihrer Position sollen Sie diese Schiffe bewachen. Ihre Kameraden zählen darauf, dass Sie das auch tun.« Die Hilfsschiffe zählten erst recht darauf, aber Geary wusste, die Schlachtschiffe würden diese Rolle eher akzeptieren, wenn sie damit etwas für Ihresgleichen tun konnten.

»Die Orion, die Majestic und die Warrior können alles aufhalten, was von den Syndiks noch übrig ist«, hielt der Captain der Indomitable dagegen.

Er hatte wirklich keine Lust auf eine solche Diskussion, zumal die Zweite Schlachtschiffdivision sechs Lichtsekunden entfernt war und die Unterhaltung sich durch das ständige Hin und Her immer mehr in die Länge zog, während er die Schlacht im Auge behalten musste. Wie brachte er die Beschwerden am besten zum Verstummen? »Es ist eine größere Ehre, einen verletzten Kameraden zu beschützen, als selbst nach Ruhm zu streben, Captain«, erklärte er. »Ich glaube, die Indomitable und die anderen Schlachtschiffe der Zweiten Division sind dieser Ehre würdig, und ich glaube, man kann ihnen zutrauen, diese Aufgabe mit unerschütterlichem Mut zu bewältigen.«

Der Captain der Indomitable zwinkerte, als hätte diese Antwort ihn überrumpelt. »Ich…«

»Vielen Dank, Captain«, redete Geary sofort weiter. »Ich versichere Ihnen, die Zweite Schlachtschiffdivision wird bei der nächsten Gelegenheit wieder an vorderster Front ins Gefecht ziehen. Für den Moment danke ich Ihnen, dass Sie diese wichtige Aufgabe übernehmen.«

Das Syndik-Schlachtschiff, dessen Antrieb ausgefallen war, kämpfte immer noch und feuerte aus ein paar Batterien Höllenspeere ab, während Allianz-Schiffe es im Vorbeiflug wiederholt beschossen und es allmählich auf einen Klumpen Schrott reduzierten. Das zweite Schiff, das sich in seiner Nähe befunden hatte, stieß einen Schwall Rettungskapseln aus und explodierte schließlich.

Geary wurde plötzlich zur Seite gedrückt, da Captain Desjani die Dauntless hart beidrehen ließ, um eines der überlebenden Syndik-Schlachtschiffe zu verfolgen. Für ein Schiff, das mit 0,1 Licht flog, bedeutete das zwar immer noch einen weiten Bogen, dennoch veranlasste das Manöver die Trägheitskompensatoren, mit maximaler Leistung zu arbeiten.

Zwei der drei fliehenden Jäger waren tot, der dritte war durch einen direkten Raketentreffer ins Trudeln gekommen, und in diesem Moment wurden auch seine Rettungskapseln ausgestoßen.

Geary riss sich vom Anblick des Schlachtschiffs los, das von der Dauntless verfolgt wurde, stattdessen widmete er sich seinem Display und überlegte, von welchem Syndik-Schiff noch eine Gefahr für seine Flotte ausgehen mochte. Die Syndiks waren längst deutlich in der Unterzahl und konnten bereits seit dem Zerfall der Formation nicht mehr auf eine Flucht oder einen ernst zu nehmenden Gegenschlag hoffen. Lediglich ein einzelner Leichter Kreuzer schien noch eine Chance zu haben, den Allianz-Schiffen zu entkommen, doch Geary musste zweimal hinsehen, um sich zu vergewissern, dass er die Anzeige richtig gelesen hatte. Die lassen ihre Antriebseinheiten mit voller Kraft arbeiten. Was glauben die eigentlich, wie lange der Antrieb und die Trägheitskompensatoren das mitmachen werden?

Nicht allzu lange, denn noch während die Dauntless dem Schlachtschiff hinterherflog, konnte Geary beobachten, wie der Leichte Kreuzer sich in seine Einzelteile auflöste, da die Trägheitskompensatoren vor Überlastung ausfielen und das Schiff durch die eigene Beschleunigung förmlich zerrissen wurde. Er wollte lieber nicht darüber nachdenken, was in diesen Sekunden mit der Besatzung geschah.

Captain Desjani war ganz auf das Syndik-Schlachtschiff konzentriert, das soeben eine Salve von der Furious abbekommen hatte und seine überlebenden Waffensysteme einsetzte, um den Beschuss durch Zerstörer und Leichte Kreuzer abzuwehren, indem es ein oder zwei Höllenspeere bei jedem Vorbeiflug abfeuerte. »Zielen Sie vor allem auf die noch funktionstüchtigen Waffenbatterien«, wies Desjani an. »Feuern, sobald wir in Reichweite sind.«

Die Dauntless zuckte im Bruchteil einer Sekunde am SyndikSchlachtschiff vorbei, die automatischen Zielerfassungssysteme beider Schiffe jagten Höllenspeere los, doch die Syndiks konnten nur einen Treffer verbuchen, der jedoch an den Schilden der Dauntless wirkungslos verpuffte.

Die Geschosse der Dauntless dagegen waren alle ins Ziel gegangen, sodass dem Syndik-Schlachtschiff nur noch eine Batterie verblieb, um Höllenspeere abzufeuern. Während sich die Dauntless entfernte, näherte sich die Paladin und pumpte den Feind mit mehreren Salven voll, bis auch die letzte Geschützbatterie verstummt war und das Schiff manövrierunfähig im Raum trieb. Ergib dich endlich, flehte Geary den gegnerischen Kommandanten stumm an, doch obwohl bereits die ersten Rettungskapseln gestartet wurden, kam vom Syndik-Schiff keine Meldung, dass man kapituliere.

Obwohl das Syndik-Schlachtschiff praktisch tot im All trieb, richtete die Paladin ihren Null-Feld-Projektor auf das feindliche Schiff, als es sich in dessen unmittelbarer Nähe befand. Die glühende Kugel schnitt ein tiefes Loch in das wehrlose Schlachtschiff.

Hinter der Paladin näherte sich das Schlachtschiff Conqueror und jagte weitere Höllenspeere in das langsam trudelnde Wrack, während die Rettungskapseln hektisch das Weite suchten. Geary beobachtete das Geschehen und verspürte wachsende Wut auf diese sinnlose Bestrafung eines Gegners, der sich längst nicht mehr zur Wehr setzen konnte. Selbst Desjani schien diese Aktion für geschmacklos zu halten. Nachdem die Conqueror auch noch ein Null-Feld zum Einsatz gebracht hatte, jagte sie im Wegdrehen zusätzlich zwei Phantome in den Gegner.

Das war für Geary der benötigte Anlass, um sich zu melden. »Conqueror, sparen Sie Ihre Munition für Schiffe, die für uns noch eine Gefahr darstellen«, herrschte er den Kommandanten an.

In der Waffenreichweite der Allianz-Flotte existierte kein gegnerisches Schiff mehr, von dem noch eine Gefahr hätte ausgehen können. Ein kurzer Blick auf das Display bestätigte das. Geary veränderte den Maßstab, um wieder das ganze Ixion-System betrachten zu können, und auf einmal regte sich Verärgerung in ihm. »Jetzt wird mir klar, warum diese Schiffe nur von so wenigen Jägern begleitet wurden.«

Desjani schaute ebenfalls auf das Display. »Neun weitere Schiffe, in Gruppen zu je drei, die vor den anderen Sprungpunkten warten, die von Ixion wegführen.«

Geary überprüfte ihre Position. »Die Gruppe, die uns am nächsten ist, befindet sich in einer Entfernung von immerhin noch drei Lichtstunden. Die wissen nicht mal, dass wir schon hier sind.«

»Die werden sich nicht freuen, wenn das Licht der Schlacht sie erreicht«, meinte Desjani grinsend.

»Ich weiß gar nicht, ob man das überhaupt als Schlacht bezeichnen darf. Okay, die nächste Bedrohung ist drei Lichtstunden entfernt. Stellen wir erst mal die Formation wieder her, sofern ich die Dritte Schlachtschiffdivision dazu bringen kann, nicht länger auf tote Schiffe einzuprügeln.«

»Geben Sie ihnen den Auftrag, Teams loszuschicken, damit die Wracks gesprengt werden«, schlug sie vor. »Das ist eine langwierige Beschäftigung.«

»Warum sollte ich die Crews dieser Schiffe bestrafen?«, gab Geary zurück. Allerdings musste irgendwer dafür sorgen, dass sich an Bord der aufgegebenen Syndik-Schiffe nichts mehr befand, was zu bergen sich lohnte. »Andererseits sind Casia und Midea dann für eine Weile beschäftigt.« Er bereitete den Befehl vor, dann unterbrach er, um einen Blick auf die Schadensmeldungen zu werfen. Es war nichts Nennenswertes zu vermelden, da mit dem Zusammenbruch der Syndik-Formation die Schlacht sehr einseitig verlaufen war. Aber… »Verdammt. Wie konnte die Titan beschädigt werden?« Es waren so wenige Schiffe in Mitleidenschaft gezogen worden, warum dann ausgerechnet die Titan?

»Minentreffer«, antwortete Desjani. »Sie konnte keine so enge Kurve fliegen, dass sie an den Minen vorbeigekommen wäre.«

»Captain Tyrosian hatte mich gewarnt, dass die Titan so schwer zu manövrieren ist wie ein Elefant, wenn sie mit Rohstoffen vollgeladen ist.« Geary seufzte, hielt gebannt den Atem an und sah sich die Schadensliste an. »Ganz so schlimm ist es nicht, aber die Flotte muss das Tempo reduzieren, damit die Titan alle notwendigen Reparaturen erledigen kann.« Es war an der Zeit, wieder einen Anschein von Ordnung in die Flotte zu bringen. »Alle Einheiten, stellen Sie das Feuer ein, sofern Sie nicht beschossen werden, und nehmen Sie Formation Delta Two rings um Flaggschiff Dauntless ein.«


* * *

Geary saß auf der Brücke der Dauntless und sah zu, wie die Formation seiner Flotte wieder Gestalt annahm, während er darüber grübelte, was genau es war, das ihm nicht behagte. Mit den verbliebenen Syndik-Schiffen hatte es nichts zu tun, denn so ärgerlich es auch war, dass neun Jäger überlebt hatten, ließ sich daran nichts ändern. Ihre Aufgabe war es zweifellos, die Bewegungen der Allianz-Flotte zu beobachten, und sie würden eher das System verlassen, anstatt sich in einen aussichtslosen Kampf zu stürzen. Zwei Gruppen Jäger waren so weit entfernt, dass sie bis jetzt noch nichts von der Ankunft der Allianz-Flotte wussten. Es waren auch keine anderen Schiffe im System unterwegs, die Grund zur Sorge darstellten. Die Handelsschiffe stellten keine Bedrohung dar, und sobald sich das Licht von der Ankunft der Flotte im System verbreitete, würden sich die zivilen Schiffe ohnehin schnellstens irgendwohin in Sicherheit begeben.

Die Flotte war in einer Entfernung von sechs Lichtstunden zum Stern Ixion ins System gekommen. Von vereinzelten Bergbau- und Fabrikationsanlagen abgesehen konzentrierte sich die Präsenz der Syndiks auf die einzige bewohnbare Welt, die nur neun Lichtminuten von ihrem Stern entfernt ihre Bahn zog. Wie nicht anders zu erwarten, hatte Ixion darunter gelitten, dass es hier kein Hypernet-Portal gab, wenn auch nicht so dramatisch, wie Geary es in anderen Systemen gesehen hatte. Die Wirtschaft schien noch recht gut zu funktionieren, und nach der Analyse von Atmosphäre und Oberfläche des Planeten verfügte er nach wie vor über eine hohe Bevölkerungsdichte und ausreichende Industrieanlagen.

Um diesen Planeten kreiste eine Orbitaleinrichtung, die von den Sensoren der Flotte als wahrscheinlich militärisch eingestuft wurde, aber keine Gefahr darstellte. Geary hatte bereits eine Nachricht an alle Syndiks im Ixion-Sternensystem abgesetzt, um sie zu warnen, den Vorbeiflug der Flotte nicht zu stören, und um sie davon in Kenntnis zu setzen, dass bei Daiquon Überlebende darauf warteten, von ihnen gerettet zu werden.

Was war also das Problem? Die einzige nennenswerte Militärpräsenz der Syndiks im System war problemlos überrannt worden. Zu problemlos. Ja, genau. Das war's. »Die Besatzungen dieser Syndik-Schiffe waren im Kampf völlig unerfahren.«

Captain Desjani sah ihn an und nickte zustimmend. »Das ist ja auch kein Wunder.«

»Und trotzdem hat man am Sprungpunkt Position einnehmen lassen, als sei es völlig klar, dass wir Kurs auf Ixion nehmen.«

»Ja, Sir.« Nun runzelte Desjani die Stirn. »Das ist widersprüchlich, nicht wahr? Wenn sie geglaubt haben, dass Sie die Flotte herbringen, warum lassen sie dann den Sprungpunkt von Einheiten bewachen, die eindeutig keinerlei Erfahrung haben?«

»Gute Frage. Und man hat nicht nur ein paar Grünschnäbel geopfert, sondern auch Schlachtschiffe und Schlachtkreuzer. Warum werfen sie uns diese Schiffe praktisch zum Fraß vor?« Geary drehte sich um. »Madam Co-Präsidentin? Was meinen Sie dazu?«

»Ich glaube, ich muss mir da erst mal etwas erklären lassen«, erwiderte Rione. »Sie erkennen anhand ihres Verhaltens, dass diese Besatzungen unerfahren waren. Ich erinnere mich an etwas Ähnliches bei Sancere. Einige Kriegsschiffe der Syndikatwelten konnten nur mit Mühe eine Kollision verhindern. Aber hier war das erheblich schlimmer.«

»Die Formation bei Sancere bestand aus neuen Schiffen mit kaum geschulten Besatzungen«, machte Desjani deutlich. »Ähnlich wie die, der wir hier begegnet sind, allerdings etwas besser ausgebildet.«

»Und?«, hakte Rione nach. »Was macht das aus? Wie beeinflusst die Besatzung das Verhalten eines Schiffs, wenn ein Steuerbefehl gegeben wird? Werden die Schiffsbewegungen nicht von automatisierten Systemen kontrolliert?«

Geary nickte und musste zugeben, dass das eine völlig berechtigte Frage war. »Stimmt. Bei den Geschwindigkeiten, mit denen Kriegsschiffe unterwegs sind, wäre es fast Selbstmord, das manuell zu erledigen.«

»Welchen Unterschied macht es dann, wie gut ausgebildet und wie erfahren eine Crew ist?«

Desjani antwortete wie eine Lehrerin, die von Riones offensichtlich verärgertem Tonfall keine Notiz nahm: »Man unterteilt drei Phasen der Ausbildung und Erfahrung mit der Steuerung von Kriegsschiffen. Diejenigen mit der geringsten Erfahrung trauen den automatischen Steuersystemen einfach nicht über den Weg, schließlich wissen wir, dass alles Automatisierte unter Fehlfunktionen leiden kann. Das größte Problem sind dabei die relativistischen Verzerrungen, die den menschlichen Instinkt schlicht überfordern. Wir glauben, die Steuersysteme reagieren verkehrt, da unsere Erfahrung in einer viel langsameren Umgebung nicht zu dem passt, was wir zu sehen und zu fühlen scheinen, wenn wir mit einem Zehntel Lichtgeschwindigkeit reisen. Eine Besatzung in dieser Phase reagiert am ehesten mit Panik, kommt zu dem Schluss, dass das System einen schweren Fehler macht, und versucht manuell zu manövrieren.« Desjani deutete auf das Display. »Sie haben gesehen, was dabei herauskommt. Man benötigt eine Weile, bis man akzeptieren kann, dass die Steuersysteme wissen, was sie tun, und bis man versteht, was passieren wird, wenn man eingreift. Das ist die zweite Phase der Ausbildung und Erfahrung. Diejenigen, die lange genug überleben, gelangen zu der Erkenntnis, dass auch automatischen Steuersystemen schon mal eine Fehlberechnung unterlaufen kann, und in seltenen Fällen wird es tatsächlich nötig, manuell einzugreifen. Dann muss man wissen, wann man das macht und was dann zu tun ist, womit wir bei der dritten Phase wären.«

Desjani lächelte Geary an. »Korrekt, Sir?«

»So war es zu meiner Zeit auch. Man muss lange Zeit bei 0,1 Licht und bei bis zu 0,2 Licht reisen, um den Instinkt zu entwickeln, wann man an einem automatischen System zweifeln sollte.« Auch er zeigte auf das Display. »Ich rede ganz bewusst von Instinkt, weil sich das Ganze auf einer unterbewussten Ebene abspielen muss. Es bleibt nicht genug Zeit, um das Gehirn einzubeziehen. Und selbst dann würde nur ein Trottel eingreifen, wenn zwei Formationen einander durchfliegen. Wenn man nämlich dabei sieht, dass sich eine Kollision ereignen wird, hat man den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht und ist längst nur noch Teil eines Plasmaballs.«

»Vielen Dank«, erwiderte Rione tonlos. »Dann ist die Antwort auf Ihre Frage offensichtlich. Man zog in Erwägung, Sie könnten in dieses System kommen, aber es war nicht die wahrscheinlichste Route. Man hat eine Streitmacht für alle Fälle hier zurückzulassen, allerdings hat niemand damit gerechnet, dass die Flotte tatsächlich hier auftaucht.«

Geary sah zu Desjani, die ihm zunickte. »Das klingt plausibel. Nur warum soll das hier unser unwahrscheinlichstes Ziel gewesen sein?«

Rione machte eine ausholende Geste und sprach mit übertriebener Betonung: »Weil der große Black Jack Geary wiederholt demonstriert hat, dass er nicht auf dem schnellsten Weg zur Allianz zurückzukehren gedenkt. Er bewegt sich vorsichtig und macht einen Bogen um die offensichtliche Route, um stattdessen eine zu wählen, die von den Syndiks als unwahrscheinlich angesehen wird.«

Das hörte sich nach einem logischen Argument an. »Sie versuchen, mich anhand meines bisherigen Verhaltens einzuschätzen, aber in diesem Fall bin ich völlig uncharakteristisch vorgegangen.«

»So kann man es auch nennen«, stimmte Rione ihm sarkastisch zu.

»Auf jeden Fall hat es funktioniert«, merkte Desjani in spitzem Tonfall an, da sie Geary sofort wieder zu beschützen versuchte.

»Aber darauf können wir uns ein zweites Mal nicht verlassen«, gab Rione im gleichen Ton zurück. »Sie sehen, dass der erste Syndik-Jäger bereits den Sprungpunkt ansteuert. Er wird überall die Nachricht verbreiten, wo sich die Allianz-Flotte aufhält, und dann werden die Syndiks das neue Verhaltensmuster sehen.«

»Ja«, ging Geary dazwischen, um einem Streit vorzubeugen. »Sie haben beide recht.« Glücklich schien das keine der Frauen zu machen. »Ich muss über unser nächstes Ziel nachdenken. Danke für Ihre Ausführungen, Captain Desjani, Madam Co-Präsidentin.« Er stand auf und fühlte sich steif, da er seit der Ankunft in Ixion seinen Platz nicht mehr verlassen hatte.

Rione stand ebenfalls auf und folgte Geary von der Brücke. Als ihnen im Gang niemand mehr entgegenkam, sagte sie zu ihm: »Das funktioniert nicht noch mal.«

»Ich habe gesagt, ich muss darüber nachdenken«, antwortete er etwas schroffer als beabsichtigt.

»Da gibt es nicht viel nachzudenken. Ich weiß, der nächste Stern auf direktem Weg zum Allianz-Territorium ist T'negu. Wenn wir dorthinfliegen, erwartet uns eine viel tödlichere Falle, als die, die uns diese armen Narren zu stellen versucht haben.«

»Damit könntest du recht haben.«

»Damit habe ich recht! Auch wenn mir nicht all die kleinen Details über die Abläufe in einer Flotte bekannt sind, die du so gern mit Captain Tanya Desjani teilst.«

Abrupt blieb er stehen und sah Rione finster an. »Hat das mit deiner Frage nach der Erfahrung zu tun? Du hast gefragt, wir haben dir geantwortet. Und das, wo du dir Mühe geben willst, um die Gerüchte zu entkräften, dass du auf Captain Desjani eifersüchtig bist!«

»Eifersüchtig?« Rione schüttelte lächelnd, aber völlig humorlos den Kopf. »Wohl eher nicht. Ich will dir nur vor Augen halten, dass Captain Desjani den Boden küsst, den du betrittst. Das beeinflusst, welchen Ratschlag sie dir gibt. Sie glaubt nicht daran, dass du scheitern könntest.«

»Das ist ja…« Geary zwang sich, sein Temperament zu zügeln. »Also gut. Ich gebe zu, es ist wichtig, mir das vor Augen zu führen. Ich habe es auch nicht vergessen. Und jetzt erkläre ich dir noch mal, dass ich mich bislang nicht entschieden habe, wohin wir als Nächstes fliegen werden. Warte bitte, bis ich mich entschlossen habe, dann kannst du mir immer noch sagen, wie verkehrt ich damit liege.«

»Bis dahin werde ich gerne warten.« Rione seufzte und fuhr sich durchs Haar. »Ich will dich damit nicht ärgern, aber ich bin besorgt. Dieser Sprung in Richtung Allianz ist viel glatter gelaufen, als jeder von uns es erwartet hätte. Du bist doch auch überrascht, oder nicht? Danke, dass du das zugibst. Es verläuft ein schmaler Grat zwischen dem Selbstvertrauen, das nötig ist, um diese Flotte zu führen, und jener Selbstüberschätzung, die ihr den Untergang bringen wird.«

Aus ihrer Stimme waren weder Spott noch Wut herauszuhören, also antwortete er genauso ernst: »Ich weiß, und deshalb brauche ich jemanden, dem ich vertrauen kann, dass er meine Entscheidungen hinterfragt.«

»Jemand, der weiß, dass du in Wahrheit auch nur menschlich bist«, betonte Rione.

»Ich weiß, dass ich nicht der bin, den die Leute für Black Jack halten.«

»Mir ist das klar. Aber…« Diesmal zog Rione grübelnd die Augenbrauen zusammen. »Bist du eifersüchtig auf ihn?«

Diese Frage traf ihn völlig unvorbereitet. »Was?«

»Bist du eifersüchtig auf Black Jack? Auf den großen Helden, der jede Schlacht gewinnen kann? Willst du beweisen, dass du genauso gut sein kannst wie er?«

»Nein! Das ist lächerlich!«

»Wirklich?« Sekundenlang betrachtete sie ihn eindringlich. »Viele deiner Anhänger, darunter auch gewisse Captains verehren Black Jack, aber nicht zwangsläufig auch dich. Jeden Menschen würde so etwas frustrieren.«

»Gewisse Captains wissen mittlerweile, wer ich bin.« Dennoch geriet Geary ins Grübeln. Er reagierte wütend, wenn die Rede auf Black Jack kam, fast so, als wäre der Mythos ein Rivale für den eigentlichen Mann dahinter. »Ich glaube nicht, dass ich versuche, irgendetwas zu beweisen.«

»Danke, dass du das so ausdrückst. Ich kann dich nur bitten, dir vor Augen zu halten, dass Neid auf Black Jack dein Denken beeinflussen könnte.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich finde immer noch, dass dieser Vorstoß in Richtung Allianz ein gefährlicher Zug war. Bislang hat es ganz gut funktioniert, aber jetzt sind wir in Ixion, und die Syndiks kommen uns wieder näher. Und ich frage mich unwillkürlich, ob du das vielleicht nur gemacht hast, weil Black Jack es auch getan hätte.«

Vielleicht ja. Immerhin waren die Captains seiner Flotte wieder unruhig geworden und wollten ein Vorankommen sehen, sie wollten einen mutigen, keinen bedächtigen Zug sehen. Er hatte es gewusst, und er hatte ihnen gegeben, was sie wollten. »Ich kann nicht ignorieren, was die Offiziere dieser Flotte erwarten und sehen wollen. Das weißt du.«

»Ja, ich weiß. Aber was diese Offiziere brauchen, ist ein umsichtiger, kluger Captain John Geary, kein heroischer Black Jack.« Sie machte einen Schritt nach hinten. »Lass dir das mal durch den Kopf gehen. So, ich muss mich jetzt um die Schiffe der Callas-Republik kümmern. Wir sehen uns heute Abend, wenn sich nichts Unvorhergesehenes ereignet.«

»Okay.« Er sah ihr nach, dann machte er sich auf den Weg zu seinem eigenen Quartier. Habe ich versucht, Black Jack zu übertreffen oder es ihm zumindest gleichzutun? Nein. So nervenaufreibend es auch ist, diese Legende am Hals zu haben, sie verleiht mir doch auch den Einfluss, den ich benötige, um diese Flotte zu führen. Es geht nicht darum, dass ich versuche, klüger als Black Jack zu sein. Nein, ich versuche, klüger als die Syndiks zu sein, seit mir dieses Kommando aufs Auge gedrückt wurde. Jetzt haben die Syndiks genug von mir erlebt, und jetzt können sie versuchen mich zu überlisten, während ich sie zu überlisten versuche. Aber wie überliste ich mich und die Syndiks gleichzeitig?

Ich muss mit jemandem reden. Aber mit wem? Duellos, Tulev, Cresida — sie können alle gute Ratschläge geben, dennoch denken sie alle in Strukturen, mit denen die Syndiks vertraut sind. Rione ist eine sehr scharfsinnige Politikerin, aber wenn es um Entscheidungen über die Flotte geht, dann stößt sie an ihre Grenzen. Desjani… Rione hat recht. Tanya Desjani hält es nicht für möglich, dass ich eine falsche Entscheidung treffen könnte.

Wer ist da noch? Ich kann nicht meine Widersacher in der Flotte fragen, weil ich weiß, wie sie denken. Midea, Casia, Numos, Faresa.

Und Falco.

Falco.

Rione würde einen Tobsuchtsanfall bekommen.

Trotzdem frage ich mich, was Falco sagen würde. Der Mann ist ein Narr und er ist verrückt, aber… aber wenn ich eine Meinung hören will, die sich völlig von dem unterscheidet, was ich normalerweise mache…

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