Zehn

»Zehn Syndik-Schlachtschiffe, zwölf Schlachtkreuzer, siebzehn Schwere Kreuzer, fünfundzwanzig Leichte Kreuzer, zweiundvierzig Jäger«, meldete der Ops-Wachhabende.

»Die Hälfte unserer Kampfkraft«, stellte Desjani fest. »Allerdings sind wir bei den leichteren Einheiten deutlich im Vorteil. Werden sie uns aus dem Weg gehen oder den Kampf suchen?«

»Sie müssen den Befehl haben, uns zu stoppen oder uns zumindest für eine Weile aufzuhalten«, erwiderte Geary. »In beiden Fällen müssen sie sich auf einen Kampf einlassen.«

»Nach dem, was diese Flotte bei Lakota erreicht hat, könnten sie zu viel Angst vor einer Auseinandersetzung haben.«

Dann ging ihr ein Gedanke durch den Kopf. »Die wissen vielleicht noch gar nicht, was bei Lakota passiert ist. Womöglich nehmen sie an, dass die Verfolgerflotte, die wir bei Lakota vernichtet haben, uns auf den Fersen ist und jeden Moment auftauchen wird.«

»Damit könnten Sie recht haben, immerhin kommen sie von Anahalt oder Dilawa.« Geary betrachtete die acht Lichtstunden entfernten Bilder der Syndik-Formation, die auf einen neuen Vektor einschwenkte. Die Syndiks hatten bereits acht Stunden lang überlegen können, wie sie vorgehen sollten, und ergriffen längst die notwendigen Maßnahmen.

»Bislang ist das die standardmäßige Kastenformation der Syndiks.«

»Vielleicht ist dieser CEO genauso dumm wie der bei Kaliban«, gab Desjani zu bedenken. Jener feindliche Commander war einfach auf die deutlich überlegene Allianz-Formation losgestürmt, sodass Geary die feindliche Flotte mit seiner überlegenen Feuerkraft hatte eliminieren können.

»Das wäre wirklich schön«, stimmte Geary ihr zu. »Aber darauf können wir nicht bauen. Ich habe den Verdacht, dass wir die dummen CEOs schneller töten, als die Syndiks sie auf ihre Posten befördern können.«

»Mir fällt es schwer, die Fähigkeiten eines jeden Systems zu überschätzen, was die Beförderung der Dummen angeht.«

In Anbetracht des bevorstehenden Gefechts war Desjani so gut gelaunt, dass sie sogar in der Stimmung war, Witze zu reißen, auch wenn Geary zugeben musste, dass sie völlig recht hatte. »Gehen wir mal davon aus, dass er kein Dummkopf ist.

Glauben Sie, die werden versuchen, mit schnellen Vorstößen unsere Flanken zu attackieren? Oder werden sie auf eine der Unterformationen frontal losgehen, wenn ich die Flotte in Gruppen aufteile?«

Desjani dachte über seine Frage nach. »Man hat ihnen beigebracht, so zu kämpfen, wie wir es bislang gemacht haben, nämlich stur drauflos. Selbst wenn sie etwas Ausgefallenes versuchen sollten, wird es wahrscheinlich doch darauf hinaus-laufen, dass sie auf uns losstürmen. Aber es wird wohl keine Attacke gegen eine Flanke oder eine Ecke werden, so wie Sie es uns beigebracht haben. Das ist das, was ich erwarten würde.«

Im Idealfall musste er seine eigene Flotte lediglich zu einer großen Formation zusammenziehen, auf die die Syndiks dann losgehen konnten. Aber bei einer solchen Formation würden nicht alle seine Schiffe das Feuer auf den Feind eröffnen können, womit sie einen Großteil ihrer Überlegenheit einbüßen würde. Falls die Syndiks andererseits nur eine Unterformation unter Beschuss nehmen wollten, würden Taktiken wie die bei Kaliban angewandten auch nicht funktionieren. Er würde sich etwas anderes einfallen lassen müssen.

In dem Moment betrat Rione die Brücke und blieb kurz stehen, um einen Blick auf das Display vor ihrem Platz zu werfen, dann wandte sie sich an Geary: »Was beabsichtigen Sie zu tun?«

Geary zeigte auf sein eigenes Display, auf dem der ausholende Bogen, der den vorausberechneten Kurs der Syndik-Formation darstellte, auf einen Vektor einschwenkte, der den Bogen der Allianz-Flotte kreuzte. Am Schnittpunkt der beiden Linien sah es so aus, als würden zwei Säbel aufeinandertreffen.

»Ich beabsichtige, auf den Feind zu treffen, Madam Co-Präsidentin, und zwar in weniger als eineinhalb Tagen.«

Rione sah von ihrem Display auf, das die Zahl der gegnerischen Schiffe anzeigte, und schüttelte den Kopf. »Es ist so, als würde man gegen eine Hydra kämpfen. Wir können noch so viele Syndik-Kriegsschiffe zerstören, es tauchen immer neue auf.«

»Die bauen ja auch fleißig neue Schiffe, und im Gegensatz zu »ins können sie Verstärkung schicken«, betonte Geary.

»Ich empfehle, diesen CEO lebend zu fangen, Captain Geary.

Er könnte in der Lage sein, uns ein paar Fragen zu beantworten.«

»Ich werde mein Bestes tun, Madam Co-Präsidentin.«

»Captain, wir empfangen eine sehr stark gebündelte Übertragung aus der Richtung der vorrangig bewohnten Welt. Sie ist an Captain Geary gerichtet.«

Desjani sah ihn skeptisch an. Bis zum Kontakt mit der Syndik-Flotte dauerte es noch fast acht Stunden, und sie hatten bislang noch keine Gefechtsformation eingenommen. »Auf mein Display«, sagte Geary. »Und lassen Sie Captain Desjani mitschauen.«

In dem Fenster, das sich vor ihm öffnete, war eine ältere Frau zu sehen, die eine CEO-Uniform eines Syndiks im mittleren Dienstgrad trug. »Ich nehme an, Sie fragen sich, warum die Senioroffizierin der Syndikatwelten in diesem Sternensystem mit Ihnen Kontakt aufnimmt, Captain Geary, und das auch noch auf eine Weise, die die Gefahr gering hält, dass irgendjemand herausfindet, was sie getan hat.«

Sie deutete auf ein Foto auf dem Schreibtisch, es zeigte einen jungen Mann, der Geary irgendwie bekannt vorkam.

»Ich hatte einen Bruder, der vor langer Zeit bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. Jedenfalls dachte ich das. Jetzt habe ich einen Bruder, und jetzt weiß ich auch, dass ein Unternehmen, das sehr eng mit einem sehr hochrangigen Führer der Syndikatwelten verbunden ist, den Entschluss fasste, meinen Bruder und Hunderte seiner Kollegen im Wendig-System zurückzulassen, weil so die Ausgaben im Jahresbericht des Unternehmens ein klein wenig niedriger ausfielen. Ich habe jetzt auch eine Schwägerin und einige Nichten und Neffen, von deren Existenz ich bislang nichts wusste. Dass sie leben, verdanken sie alle Ihnen.«

Plötzlich konnte Geary das Foto auf dem Schreibtisch zuordnen. Es zeigte den um Jahrzehnte jüngeren Bürgermeister von Alpha.

Die Offizierin schüttelte den Kopf. »Ganz zu schweigen von all den anderen, die in dem System umgekommen wären, hätten Sie stattdessen den Planeten bombardiert. Aber ich habe von Leuten aus Systemen wie Corvus, Sutrah und sogar Sancere gehört, und daher weiß ich, dass Sie überall auf die gleiche Weise vorgegangen sind und Ihre durch unsere Angriffe ausgelösten Vergeltungsschläge ausschließlich gegen militärische Ziele oder Industrieanlagen gerichtet haben. Ich weiß nicht, wie viele Millionen oder Milliarden Bürger der Syndikatwelten Sie bislang mühelos hätten töten können, aber ich weiß, dass Sie das nicht getan haben.«

Mit einem Mal begann die Frau finster zu lächeln. »Ich finde mich jetzt in der Situation wieder, dass ich der Allianz-Flotte danke, weil so viele Leben gerettet wurden, aber gleichzeitig verlangen meine Befehle von mir, dass ich alle notwendigen Maßnahmen ergreife, um so viele Ihrer Schiffe wie möglich zu zerstören und um Sie so lange wie möglich aul-zuhalten, ganz gleich, welche Verluste die Bewohner dieses Sternensystems dafür hinnehmen müssen. Ich bin mir durchaus der Situation bewusst, in der Sie sich befinden. Man hat uns mindestens ein halbes Dutzend Mal erzählt, dass Ihre Flotte in eine Falle geraten ist und bald vernichtet werden wird. Wie Sie es bis hierher schaffen konnten, das wissen allein die Lebenden Sterne. Dass Sie das Kommando führen, Captain Geary — und die Syndikatwellen haben Ihre Identität offenbar bestätigen können -, veranlasst mich zu der Frage, ob die Lebenden Sterne wohl in diesen Krieg eingegriffen haben. Wenn sie das getan haben, dann bin ich ihnen sehr dankbar, weil Sie eine für den Krieg geschaffene Streitmacht dazu benutzten, das Leben Ihrer Feinde zu retten. Ich bin Ihnen etwas schuldig, Captain Geary, und ich glaube daran, dass man Gutes mit Gutem vergelten sollte. Ihre Flotte ist auf dem Weg zu einer Konfrontation mit einer großen Streitmacht der Syndikatwelten, aber Sie sind ihr zahlenmäßig weil überlegen. Auch wenn unsere Führer versuchen, alles über Sie und Ihre Flotte geheimzuhalten, kursieren zahlreiche glaubwürdige inoffizielle Berichte über Sie. Mit Blick auf diese Berichte glaube ich nicht, dass die Syndik-Flotte Erfolg haben wird, aber angesichts der Dinge, die Sie bislang getan haben, erfüllt mich diese Aussicht nicht mit Furcht. Ihre Flotte wird für die Menschen hier eine geringere Bedrohung darstellen als eine Flotte, die dem Exekutivrat der Syndikatwelten unterstellt ist.«

Abermals schüttelte die Frau den Kopf. »Ich werde nicht vergessen, was Sie getan haben, Captain Geary. Viele von uns sind längst zu der Ansicht gelangt, dass dieser Krieg an dem Tag sinnlos wurde, an dem er begann. Wir sind es leid, in unseren Sternensystemen mit Mühe und Not über die Runden zu kommen, während unsere Führer den Wohlstand der Syndikatwelten in einem Krieg verpulvern, der nicht gewonnen werden kann. Wenn Sie heimkehren, richten Sie Ihren Führern aus, dass es hier Menschen gibt, die genug vom Krieg haben und die verhandeln möchten.« Nach einer kurzen Pause fügte die Frau an: »Als unsere Einrichtungen in Dilawa vor gut zwanzig Jahren eingemottet wurden, da hielt man es für unwirtschaftlich, die in den Bergbauanlagen gelagerten Vorräte abzutransportieren. Vieles wurde dort zurückgelassen. Sie sollen nur wissen, dass es dort Vorräte gibt, falls Sie noch Bedarf haben.«

Ihr Bild verschwand vom Display, und Geary lehnte sich nachdenklich zurück.

»Können wir ihr vertrauen?«, fragte Desjani.

»Ich weiß nicht. Wo ist Co-Präsidentin Rione?«

»In ihrem Quartier, vermute ich.«

»Schicken Sie ihr eine Kopie und bitten Sie sie um eine Einschätzung.« Desjani verzog den Mund und zögerte gerade lange genug, dass Geary es noch bemerkte. »Schon gut, ich erledige das selbst.«

Fünf Minuten später kam Rione auf die Brücke. »Ich glaube, sie meint es ehrlich.«


»Sie will über einen Friedensschluss reden, sie rechnet damit, dass wir die Syndik-Flotte in diesem System besiegen, und sie sagt uns, wo wir Rohstoffe für unsere Hilfsschiffe finden können«, machte Geary klar. »Wenn die Syndik-Behörden das herausfinden, wird sie das ihren Kopf kosten.«

Rione nickte nachdenklich. »Eine CEO eines Sternensystems sagt uns ohne Umschweife, dass sie den Krieg nicht länger unterstützt. Das Ganze deutet auf größere Probleme in der Syndik-Hierarchie hin als von uns erwartet.«

»Und sie sympathisiert mit uns gegen ihre eigenen Streitkräfte«, betonte Desjani, die zwischen Dankbarkeit und Abscheu zu schwanken schien.

Anstatt ihr zu antworten, wandte sich Rione an Geary. »Die Syndik-Flotte war stets ein wichtiges Instrument, mit dem die Führer der Syndikatwelten die Kontrolle über ihr Territorium gewahrt haben. Wer versuchte, Unabhängigkeit zu de-monstrieren, sah sich im Handumdrehen mit einer Flotte Kriegsschiffe konfrontiert, die den Willen des Exekutivrats durchsetzten. Je größer die Verluste sind, die Sie dieser Flotte zufügen, umso mehr bieten sich Gelegenheiten für lokale Führer, aus eigenem Antrieb zu handeln.«

»Diese Flotte setzt sich aus ihren eigenen Leuten zusammen«, sagte Desjani zu Geary. »Dass sie bereit ist, uns anzu-feuern, aber nicht sie, sollte eine Rolle bei unserer Beurteilung dieser CEO spielen.«

Rione schüttelte den Kopf, während sie sich wieder an Geary wandte. »Ein vom Hypernet übergangenes Sternensystem ist wahrscheinlich nicht mit vielen Bürgern in der Flotte vertreten und fühlt sich dadurch auch nicht in gleicher Weise als Teil der Syndikatwelten.«

Geary sah zu Desjani, und erst in diesem Moment begriff er, dass beide Frauen nur mit ihm redeten und sich dabei gegenseitig ignorierten, so als würden sie sich in zwei verschiedenen Räumen befinden und könnten nur ihn direkt ansprechen.

»Die Syndik-CEO«, fuhr Desjani fort, »die wir gesehen haben, ist eine Politikerin, und ich nehme an, eine Politikerin verspürt weniger Gewissensbisse, wenn es um die Verluste von Militärpersonal geht.«

Diese Bemerkung sorgte dafür, dass Rione die Lippen auf-einanderpresste, doch auch jetzt nahm sie Desjani mit keinem Blick zur Kenntnis. »Sie haben meine Einschätzung gehört, Captain Geary. Wenn Sie mich nun entschuldigen würden, ich muss mich um andere Dinge kümmern.« Mit diesen Worten machte sie kehrt und verließ die Brücke.

Unwillkürlich presste er die Fingerspitzen gegen seine Stirn, um drohende Kopfschmerzen zurückzudrängen. »Captain Desjani«, murmelte er so leise, dass nur sie ihn hören konnte. »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie davon Abstand nehmen könnten, sich einen offenen Schlagabtausch mit Co-Präsidentin Rione zu liefern.«

»Einen offenen Schlagabtausch?«, wiederholte sie genauso leise. »Ich verstehe nicht, Sir.«

Er warf ihr einen wütenden Blick zu, doch Desjani betrachtete ihn mit einer Miene, die vorgab, schlichtweg ahnungslos zu sein. »Ich möchte wirklich nicht ins Detail gehen.«

»Ich fürchte, das werden Sie aber müssen, Sir.«

Desjani schien der Meinung zu sein, dass er von den Lebenden Sternen geführt wurde, wenn es um das Kommando über die Flotte ging, doch was Rione betraf, da war sie ganz offensichtlich anderer Ansicht.

»Versuchen Sie einfach nur so zu tun, als würde sie sich im gleichen Raum aufhalten wie Sie.«

»Aber das tut sie nicht, Sir. Sie hat die Brücke verlassen.«

»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen, Captain Desjani?«


»Nein, Sir, das würde ich niemals machen.« Soweit er es einschätzen konnte, war sie völlig ernst.

Es war eindeutig an der Zeit, diese Diskussion einfach zu beenden. Er konnte nicht noch mehr ins Detail gehen, ohne wütend zu werden und die Aufmerksamkeit der Wachhabenden auf sich zu lenken, und genau das wollte er vermeiden.

»Danke, Captain Desjani. Ich bin sehr froh, das zu hören. Es gibt nämlich genug andere Dinge, um die ich mich kümmern muss.«

Wenigstens machte Desjani eine annähernd bedauernde Miene, als Geary die Brücke verließ, weil er versuchen wollte, Rione einzuholen.

Sie war in einem gemächlichen Tempo unterwegs, sodass er sie auf halber Höhe des Korridors erreicht hatte. »Sagen Sie mir die Wahrheit«, forderte er sie auf. »Ist die Allianz auch in einer so schlechten Verfassung? Ist sie im Begriff zu zerbrechen?«

»Warum fragen Sie?« Ihre Stimme war so frei von Emo-tionen wie sonst auch.

»Weil Sie nicht glücklich darüber zu sein schienen, dass Sie einen Beleg dafür zu sehen bekommen haben, wie schlecht es um die Syndiks bestellt ist. Sie haben mir selbst gesagt, dass das Allianz-Militär mit der Regierung unzufrieden ist und dass alle längst genug von diesem Krieg haben. Aber ist es bei uns so schlimm wie hier bei den Syndiks? Droht die Allianz zu zerfallen?«

Rione blieb stehen und sah vor sich auf den Boden, schließlich nickte sie, ohne Geary anzuschauen. »Ein Jahrhundert Krieg, John Geary. Wir können nicht besiegt werden, die Syndiks aber auch nicht. Aber beide Seiten können so weit vorangetrieben werden, dass sie daran zerbrechen.«

»Haben Sie deshalb diese Expedition begleitet? Nicht nur, weil Sie Angst hatten, Bloch hätte sich zum Diktator aufschwingen können, sondern weil Sie wussten, es würde ihm gelingen, und weil die kriegsmüden Bürger der Allianz ihm dann folgen würden, weil sie den Glauben an die Allianz verloren haben?«

»Bloch wäre das nicht gelungen«, erklärte sie ruhig. »Er wäre zu Tode gekommen.«

»Weil Sie ihn ermordet hätten.« Sie nickte. »Bloch musste gewusst haben, was Sie vorhatten. Er musste Vorsichtsmaßnahmen gegen Sie ergriffen haben.«

»Das hatte er tatsächlich.« Ein schwaches Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Aber die hätten nicht genügt.«

Geary sah sie aufmerksam an. »Und was wäre aus Ihnen geworden?«

»Da bin ich mir nicht sicher, allerdings wäre das auch unwichtig gewesen. Es ging nur darum, einen Mann zu stoppen, bevor er zum Diktator aufsteigen konnte.«

Da war keine Spur von Spott oder Unehrlichkeit aus ihrem Tonfall herauszuhören. Rione meinte jedes Wort so, wie sie es sagte. »Sie waren bereit, Ihr Leben zu geben, nur um sicherzustellen, dass er tatsächlich stirbt. Victoria, manchmal machen Sie mir Höllenangst.«

»Manchmal mache ich mir selbst Höllenangst.« Sie schien auch das völlig ernst zu meinen. »Ich habe es Ihnen gesagt, John Geary. Ich war der Meinung, dass der Mann, den ich liebte, in diesem Krieg gefallen war. Von meiner Hingabe für die Allianz abgesehen, hatte mein Leben keinen Sinn mehr.

Würde die Allianz zerbrechen, dann hätte ich überhaupt nichts mehr besessen. Mein Ehemann starb für die Allianz, und wenn es erforderlich ist, macht es mir nichts aus, wenn mir das Gleiche widerfährt.«

»Warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt?«


Rione musterte ihn sekundenlang, ehe sie antwortete.

»Weil Sie keine Ermutigung gebraucht hätten, wenn Sie ein Mann vom Schlag eines Admiral Bloch gewesen wären. Und wären Sie tatsächlich wie Black Jack gewesen, dann hätten Sie mir kein Wort geglaubt, weil Black Jack die Vorstellung nicht akzeptiert hätte, dass die Allianz vor dem Zusammenbruch steht. Sie mussten mit eigenen Augen sehen, wie ernst die Lage ist, damit Sie es auch verstehen. Außerdem habe ich Ihnen das eine oder andere gesagt, aber das haben Sie nicht immer gemerkt.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe Sie aus-gefragt und beobachtet. Ich tat, was ich tun musste, um Ihre Einstellung so zu beeinflussen, damit Sie die Dinge sehen, wie sie sich heute gestalten.«

»Sie taten, was Sie tun mussten?« Das klang sogar fürjeman-den wie Rione kaltherzig. »Sie haben mir einmal gesagt, dass Sie nicht nur mit mir geschlafen haben, um mich zu beeinflussen.«

Ihr Blick löste sich nichtvon ihm. »Das war tatsächlich nicht der einzige Grund. Aber es war einer der Gründe. Zufrieden?

Sie haben meinen Körper bekommen, ich Ihren. Und im Dunkel der Nacht habe ich Ihnen zugeflüstert, wie wichtig es ist, die Allianz vor denjenigen zu beschützen, die sie zerstören wollen, während sie nach außen hin vorgeben, sie nur retten zu wollen. Oh, der Sex hat mir gefallen, das gebe ich freimütig zu. Aber der Tag kam, an dem ich wusste, dass ich dich nicht länger fürchten musste. Und ich spürte, dass meine Gefühle begannen, Verrat an meinem Ehemann zu üben, den ich nach wie vor liebe und der durchaus noch leben könnte. Ich habe dich nicht ihr überlassen, weil ich so edelmütig bin, John Geary. Das tat ich für mich selbst. Und weil ich getan hatte, was ich tun musste.«

Er glaubte ihr nicht jedes Wort. Ihre Haltung und ihr Gesichtsausdruck hatten sich nicht verändert, aber er erinnerte sich gut an die Worte, die sie in betrunkenem Zustand gesprochen hatte. Und ihm entging auch nicht, dass sie zwar in leidenschaftslosem Tonfall ihr gesamtes Handeln rechtfertigte, dass sie aber noch immer nicht Tanya Desjanis Namen in den Mund nahm. »Sie haben mich überhaupt niemandem überlassen, erst recht nicht Captain Desjani.«

»Mag sein, dass Sie sich selbst etwas vormachen müssen, John Geary, aber glauben Sie nicht, dass ich genauso bin.«

»Und warum bleiben Sie dann auf der Dauntless? Es haben genügend Schiffe der Callas-Republik überlebt, auf die Sie wechseln können.«

»Weil Sie mich in Ihrer Nähe brauchen, sobald wir zu Hause eintreffen. Nicht als Bedrohung, sondern als Verbündete. Ich weiß, wie die politischen Führer auf Sie reagieren werden. Black Jack ist zurückgekehrt, der Retter der Flotte und der Allianz. Sie werden nichts von dem annehmen, was die anderen Ihnen anbieten werden, um im Gegenzug mehr Macht für sich selbst zu gewinnen. Und Sie werden nicht tun, was wieder andere fürchten, nämlich alle Macht an sich reißen. Nein, John Geary«, beteuerte sie, »Sie werden auf den Bollwerken der Allianz stehen und sie gegen jeden Feind verteidigen, ob er aus den eigenen Reihen oder von außen kommt, denn das macht der Mann, der Sie sind — ein Mann aus einer simpleren Vergangenheit. Und ich werde Ihnen helfen, sich gegen diejenigen zu behaupten, die Sie für ihre Zwecke benutzen wollen oder die aus Angst gegen Sie vorgehen wollen.«

»Gegen mich vorgehen? Sind Sie der Ansicht, dass die politische Führung der Allianz eine Gefahr für mich darstellt?«

»Säße ich bei Ihrer Rückkehr im Regierungsrat, dann würde ich dafür sorgen, dass man Sie sofort verhaftet und in Isolationshaft steckt, während öffentlich erklärt wird, Sie seien zu einer Geheimmission aufgebrochen. Ich würde nämlich davon ausgehen, dass Sie auf der gleichen Linie liegen wie Admiral Bloch oder Captain Falco. Ich konnte herausfinden, dass dem nicht so ist, und ich werde den anderen Senatoren sagen, was ich weiß. Glauben Sie mir, Sie werden mich noch brauchen«, ließ Rione ihn wissen. »Selbst die Politiker, die mich nicht leiden können — und von der Art gibt es eine ganze Menge -, wissen genau, dass ich niemals die Allianz verraten würde. Mein Wort wird auch bei denen nicht auf taube Ohren stoßen.«

Geary wandte den Blick ab, rieb sich den Nacken und versuchte nachzudenken. Ganz gleich, wie schwierig es ihm von Anfang an erschienen war, diese Flotte nach Hause zu bringen, hatte er doch damit gerechnet, nach der Rückkehr ein ganz einfaches Leben zu führen. Er wollte seinen Abschied von der Flotte einreichen, sich irgendwohin zurückziehen, wo ihn niemand erkannte, und sich vor der Legende von Black Jack verstecken sowie den unrealistischen Erwartungen derjenigen entkommen, die glaubten, dass die Lebenden Sterne ihn geschickt hatten, um diese Flotte und die Allianz zu retten.

Er halte sich ganz auf diese Aussicht konzentriert, damit nichts anderes ihn überwältigen konnte, auch wenn ihm die Vorstellung, dieser Flotte und diesen Menschen den Rücken zu kehren, längst nicht mehr die richtige Entscheidung zu sein schien.Jetzt musste er sich eingestehen, dass auf ihn noch eine ganze Reihe von Problemen wartete, mit denen er sich befassen musste, bevor er auch nur daran denken konnte, sich von dieser Verantwortung zu befreien. »Danke, Victoria. Ich bin mir sicher, Ihre Hilfe wird vonnöten sein.«

Sie schüttelte den Kopf. »Danken Sie mir nicht. Ich tue das nicht für Sie.«


»Trotzdem danke. Wollen Sie etwas zum anstehenden Gefecht sagen?«

»Sie machen das schon. So wie immer.«

Fast wäre er vor Wut geplatzt. »Verdammt noch mal, es hilft der Flotte ganz sicher nicht, wenn ich übermütig werde! Ich werde versuchen, unsere Verluste so gering wie möglich zu halten, aber diese Schlacht wird kein Spaziergang werden.«

Rione lächelte ihn auf eine Weise an, die ihn nur noch wütender machte. »Sehen Sie? Das wissen Sie doch bereits, da muss ich Ihnen das nicht erst noch sagen. Sonst noch etwas?«

»Ja«, presste Geary heraus. »Was ist mit der Frage, ob wir danach nach Anahalt oder nach Dilawa springen sollen?«

»Folgen Sie Ihren Instinkten, Captain Geary«, sagte sie und spreizte die Finger in einer wegwerfenden Geste. »Ihre Instinkte sind weitaus besser als meine, zumindest solange wir uns im Syndik-Gebiet aufhalten.«

»Trotzdem möchte ich immer noch Ihre Meinung wissen, ob wir dieser Syndik-CEO vertrauen können.«

»Natürlich können Sie das nicht. Aber das heißt nicht, dass sie es dieses Mal nicht ehrlich meint. Finden Sie heraus, ob das, was sie über Dilawa gesagt hat, mit den Aufzeichnungen übereinstimmt, die uns in die Hände gefallen sind.« Sie wandte sich zum Gehen, dann fügte sie noch an: »Das ist mein politischer Ratschlag. Wenn Sie einen militärischen Ratschlag wollen, dann fragen Sie Ihren Captain. Das wird Ihnen beiden eine weitere dienstliche Gelegenheit geben, die Köpfe ganz dicht zusammenzustecken.«

Er sah Rione nach, wie sie fortging, ohne noch mehr zu sagen.


Vier Stunden noch bis zum Kontakt mit den Syndiks. Die Allianz-Flotte und die Syndik-Flotte waren keine fünfzig Lichtminuten mehr voneinander entfernt. Jede Streitmacht bewegte sich mit 0,1 Licht fort, womit die kombinierte Geschwindigkeit jenem Maximum von 0,2 entsprach, die eine wirkungsvolle Zielerfassung noch eben zuließ. Geary konnte jetzt sehen, welche Manöver die Syndik-Schiffe vor nicht ganz einer Stunde geflogen waren, während der Gegner die Allianz-Formation so sah, wie sie sich vor genau der gleichen Zeit präsentiert hatte. Es war immer noch zu früh, in Gefechtsformation zu gehen, zu früh, den Syndik-Befehlshaber erkennen zu lassen, wie Geary dem Feind begegnen wollte.

»Captain Geary? Da ist etwas, das Sie sich ansehen müssen.«

Er bestätigte die Meldung von Captain Desjani und machte sich auf den Weg zu der Abteilung, von der aus sie ihn gerufen hatte. Als er unterwegs Crewmitgliedern der Dauntless begegnete, gab er sich Mühe, sich seine Unruhe nicht anmerken zu lassen. Auch wenn er sich auf die bevorstehende Schlacht konzentrieren musste, war er dennoch ständig in Sorge, was seine Feinde innerhalb der Flotte wohl als Nächstes vorhatten.

Die Meldung hörte sich ganz so an, als ob sie erneut versucht hatten zuzuschlagen.

Die Abteilung entpuppte sich als eine der Kontrollstationen für die Primärsysteme, was seine Befürchtungen zu bestätigen schien. Als sich die Luke hinter ihm schloss, sah er Desjani, den Lieutenant Commander, der der zuständige Offizier für die Systemsicherheit der Dauntless war, sowie die virtuelle Präsenz von Captain Cresida. »Was haben wir jetzt schon wieder?«

Desjani und der Lieutenant Commander sahen beide Cresida an, die auf einige der Systemmodule hinter ihr deutete.

»Ich habe nachgedacht, Sir«, begann Cresida. »Ich habe versucht herauszufinden, wie es den Aliens möglich sein könnte, unsere Flugbewegungen nachzuvollziehen. Dieser Vorfall mit den Würmern hat mich ins Grübeln gebracht, ob in unseren Systemen vielleicht noch etwas versteckt worden ist.«

Geary stutzte. »Die Aliens? Hier geht es nicht um einen neuen Wurm, der irgendwo in dieser Flotte seinen Ursprung hat?«

»Nein, Sir. Was wir gefunden haben, kann unmöglich aus unseren Reihen stammen. Wir mussten Captain Desjanis Sicherheitsoffizier hinzuziehen.«

»Es kann unmöglich aus unseren Reihen stammen?«, wiederholte Geary und sah Desjani und deren Offizier ratlos an. »Aber Sie haben etwas gefunden.«

Cresida nickte. »Ja, Sir. Ich habe mich gefragt, wenn da noch etwas ist, das es den Aliens erlaubt, unseren Kurs zu verfolgen, wie kann es dann immer noch versteckt sein? Es musste also etwas völlig Andersartiges sein als das, wonach bei den Scans gesucht worden war. Also habe ich mir dies und jenes angesehen, um festzustellen, ob in unseren Systemen irgendetwas Ungewöhnliches oder Unerwartetes auftaucht.«

Desjanis Sicherheitsoffizier betätigte eine Kontrolle, daraufhin entstand neben ihm ein virtuelles Display, das ein seltsam anmutendes Bild aus sich überlappenden Wellen mit fluktuierenden Rändern zeigte. »Dies hier stellt Befehle dar, die durch das Navigationssystem geschickt werden, Sir«, er-läuterte er. »Nicht den Code, sondern die tatsächliche Ver-breitung des Elektronensignals. Es ist natürlich eine Dar-stellungsform, die wir begreifen können. Captain Cresida hat herausgefunden, dass auf diesen Befehlen etwas huckepack mitgeschickt wird.« Er zeigte auf fluktuierende Stellen im oberen Bereich und an den Seiten.

Auch Cresida zeigte darauf. »Ich weiß nicht, wie sie es anstellen, aber sie sind irgendwie in der Lage, einen Wurm zu verschlüsseln, der sich einer selbsterhaltenden Wahrschein-lichkeitsmodulation auf Quantenebene bedient. Natürlich besitztjedes Partikel, aus dem sich das Signal zusammensetzt, Quanteneigenschaften, aber den Aliens ist es auf irgendeine Weise gelungen, diesen Eigenschaften so etwas wie eine Programmierung aufzudrücken. Ich weiß, dass das nicht natürlich ist, weil es zufällige Variationen in der Art geben müsste, wie diese Ereignisse an den Quantenrändern der Partikel auf-treten. Aber das ist nicht der Fall, denn das Ganze folgt bestimmten Mustern. Was diese Muster bewirken und wie sie es anstellen, können wir nicht sagen, aber es ist auf jeden Fall etwas, das dort nicht zu finden sein dürfte.«

Desjani deutete mit einem Kopfnicken auf das Display. »Ich glaube, wir haben unseren Spion gefunden, Captain Geary.«

»Nicht zu fassen. Und das steckt in den Navigationssystemen?«

»Und in den Kommunikationssystemen. Wir scannen die anderen Systeme noch, aber etwas in dieser Art haben wir bislang nicht finden können.«

Erstaunt betrachtete er das Display. »Es ist so eingerichtet, dass es weiß, wohin wir unterwegs sind, und dass es diese Information an irgendjemanden weitergibt. Kann das Ding mit Überlichtgeschwindigkeit Nachrichten senden?«

Cresida hob frustriert die Schultern. »Das weiß ich nicht.

Ich habe keine Ahnung, wie das überhaupt funktioniert, ganz zu schweigen davon, wozu es in der Lage ist. Ich weiß nur, es gehört da nicht hin.«

Der Lieutenant Commander meldete sich zu Wort: »Kein Schutzprogramm und keine Firewall ist darauf aufmerksam geworden, denn das Ganze ist so fremd, dass kein Programm danach suchen kann.«


»Und wir können nichts dagegen unternehmen?«, wollte Geary wissen. »Wir müssen zulassen, dass sich dieses Ding in unsere Systeme eingenistet hat?«

Seine Bemerkung entlockte Oesida ein triumphierendes Lächeln. »Nein, Sir. Ich weiß zwar nicht, wie es arbeitet, aber ich weiß, wie ich es unschädlich machen kann.«

»Das ist das erste Mal, dass ich Sie wie einen Marine reden höre, Captain Cresida. Und wie machen wir das Ding unschädlich?«

Sie deutete wieder auf die sich wellenförmig bewegenden Ränder. »Ich bin mir sicher, dass wir Quanten-Wellenmuster erzeugen können, die die entgegengesetzten Eigenschaften dieser Wellen besitzen. Im Prinzip erzeugen wir eine zerstörerische Interferenz, um die modulierten Uberdeckungen aufzuheben. Wir müssen nicht wissen, was das Muster bewirkt oder wie es aufrechterhalten wird, wir können trotzdem ein sehr kurzlebiges negatives Abbild davon erschaffen.

Sobald die Uberdeckungen in einen Null-Wahrscheinlich-keitszustand versetzt worden sind, sollten sie nicht noch einmal wieder auftauchen können, abgesehen von einigen wenigen Zufallselementen, die unmöglich ihre ursprüngliche Funktion ausführen können.«

Geary stutzte. »Wie können überhaupt noch Zufallselemente auftauchen, wenn sie auf Null-Wahrscheinlichkeit reduziert worden sind?«

»Das ist… eine Quantensache, Sir. Für uns ergibt das keinen Sinn, aber so läuft das auf dieser Ebene.«

Der Sicherheitsoffizier nickte bestätigend. »Im Prinzip schlägt Captain Cresida vor, ein Antivirenprogramm zu ent-wickeln, mit dem Quantenwahrscheinlichkeitsmuster entdeckt und unschädlich gemacht werden können. Das ist zwar ein völlig neuartiges Konzept, aber die Entwicklung dieses Programms bewegt sich im Rahmen unserer Möglichkeiten.«

»Vielen Dank, Captain Cresida. Ich glaube nicht, dass ich übertreibe, wenn ich sage, dass die ganze Menschheit in Ihrer Schuld steht. Ich möchte, dass Lieutenant Iger vom Geheimdienst auch davon in Kenntnis gesetzt wird. Irgendeine Ahnung, wie das in unsere Systeme gelangen konnte?«

Die anderen sahen sich kurz an, dann antwortete Desjani:

»Ich habe darüber nachgedacht, seit Captain Cresida mir das hier gezeigt hat. Sie, Sir, vermuten, dass die Technologie für die Hypernet-Portale von den Aliens stammt. Die Dauntless hat so wie jedes Schiff in dieser Flotte einen Hypernet-Schlüssel der Allianz an Bord, der mit seinem eigenen Betriebssystem arbeitet.«

Cresida riss die Augen auf. »Das über eine Schnittstelle mit dem Navigationssystem des Schiffs verbunden ist. Sie könnten recht haben! Wir nehmen uns die Schlüssel vor und sehen, was wir herausfinden können.«

Nun machte der Sicherheitsoffizier eine besorgte Miene.

»Aber wenn das aus dem Hypernet-Schlüssel kommt, können wir es dann wagen, den Schlüssel zu säubern? Das könnte seine Funktionsweise beeinflussen.«

»Guter Gedanke«, stimmte Cresida ihm zu. »Wir müssen also sehr sorgfältig vorgehen. Aber wir können einen Antiviren-Schirm zwischen dem Schlüssel und den Schiffssyste-men errichten, sobald das Programm läuft.«

»Dann fangen Sie an«, befahl Geary. »Wenn Sie irgendetwas brauchen, aber nicht bekommen, dann lassen Sie es mich sofort wissen.«

»Jawohl, Sir, allerdings möchte ich damit gern bis nach der Schlacht warten.«

»Nach der Schlacht?« Fast hätte sich Geary mit der flachen Hand an die Stirn geschlagen. Durch die Feinde in den eigenen Reihen und die feindseligen Aliens war für einen Moment das anstehende Gefecht völlig in Vergessenheit geraten.

»Ja, natürlich erst nach der Schlacht. Und falls Ihnen noch etwas auffällt, das nicht sofort in Angriff genommen werden muss, dann geben Sie mir anschließend Bescheid.« Ich kann es mir nicht leisten, mich noch mal so komplett ablenken zu lassen. Viele Schiffe in dieser Flotte könnten sterben, wenn ich mich nicht ganz und gar auf das Wesentliche konzentriere. Was Cresida entdeckt hatte, war ohne Auswirkungen auf den bevorstehenden Kampf gegen die Syndiks. Aber es war langfristig von erheblicher Bedeutung, weil es die Möglichkeiten der Aliens einschränkte, ihnen die Syndiks auf den Hals zu hetzen. Wir kommen euch schon auf die Schliche, ihr verdammten Mistkerle. Und wenn wir genügend von euren Tricks durchschaut haben, dann werden wir mit euch über diesen Krieg reden und euch mal erzählen, was Menschen mit Nichtmenschen machen, die sie zu manipulieren versuchen.

Noch eine Stunde bis zum Aufeinandertreffen beider Streitmächte, falls sie ihren momentanen Kurs und die Geschwin-digkeitsvektoren beibehielten. Nun konnte Geary die Syndik-Formation so sehen, wie sie sich vor zwölf Minuten gestaltet hatte: nach wie vor in der Kastenform, die sich mit einer kurzen Seite voran und damit einem Hammer gleich den Allianz-Schiffen näherte. »Bereit?«, fragte er Desjani.

»Jetzt?« Ihr Blick war bereits auf die feindliche Formation gerichtet.

»Ja. Früher ging es nicht, sonst hätte ich untypische Flugbewegungen anordnen müssen. Aber ich muss dem Syndik-CEO, der diese Flotte befehligt, Zeit geben zu sehen, was ich mache, damit ich wiederum Zeit genug habe, um beobachten zu können, wie der Gegner reagiert.« Geary tippte auf seine Kontrollen. »An alle Einheiten der Allianz-Flotte: Nehmen Sie bei Zeit null drei Formation Echo Four relativ zum Flaggschiff Dauntless ein.«

Bei Zeit null drei begann sich die Formation Delta aufzulösen, in der sich die Flotte bis dahin bewegt hatte. Kriegsschiffe bewegten sich in einem komplexen Tanz hin und her, um ihre Positionen in fünf Unterformationen einzunehmen. »Das ist die Formation, die Sie bei Lakota zum ersten Mal angewandt haben«, stellte Rione fest, als sich die Umrisse abzuzeichnen begannen.

»So in etwa«, bestätigte er. »Die münzenförmigen Unterformationen sind sehr flexibel. Wegen der Form und der ge-ringeren Größe kann ich sie leichter drehen lassen. Aber sie werden anders angeordnet sein als in der Formation Echo Five, die wir bei Lakota gewählt hatten.« Vier Münzen bildeten die Umrisse eines Diamanten, ihre Breitseite war dem Feind zugewandt, während in der offenen Mitte des Diamanten ein Stück weit nach hinten verlagert eine größere Münze positioniert war, zu der auch die Dauntless gehörte.

»Sind die Hilfsschiffe wieder der Köder?«

»Nein, ich versuche sie zu beschützen. Sie befinden sich im hinteren Teil der Formation, und wenn die Syndiks versuchen sollten, unsere Hilfsschiffe dort anzugreifen, steht ihnen ein sehr unangenehmes Spießrutenlaufen bevor.«

Er wartete so wie alle anderen, während die Minuten da-hinschlichen und die Syndiks näher kamen. Ganz sicher würde der Syndik-Commander nicht mitten durch die Formation hindurchfliegen, allerdings hatten die Syndiks bislang ihren Kurs nicht geändert und zielten nicht auf einen bestimmten Teil der Allianz-Flotte. Zwanzig Minuten bis zum Kontakt. Fünfzehn Minuten. Waren die Syndiks vor Unentschlossenheit wie gelähmt, waren sie zu dumm zu handeln, oder wollten sie tatsächlich bis zur allerletzten Sekunde warten, ehe sie den Kurs ihrer Formation änderten?

Allmählich wurde es knapp. Die Syndik-Kastenformation konnte noch immer in jede Richtung schwenken, aber Geary wusste, dass er nicht länger warten konnte. Im Geiste ging er die möglichen Maßnahmen der Syndiks durch, und überlegte sich Allianz-Manöver, die besonders knifflig waren, da sich die Triebkraft auf die Kursvektoren auswirken würde, wenn die Flugrichtung geändert wurde. In der Hoffnung, alles richtig gemacht zu haben, gab er seine Befehle aus. »Formation Echo Four Two, drehen Sie sich gemeinsam und ändern Sie den Kurs nach Backbord null acht fünf Grad, nach oben eins null Grad bei Zeit eins fünf.« Damit würde sich Echo Four Two von einer flachen Formation, bei der alle Schiffe wie bei einer Mauer nach vorn zeigten, zu einer Messerklinge verändern, bei der die Schiffe zur schmalen Seite hin ausgerichtet waren und sich aufwärts durch die Syndik-Flotte schneiden würden, sofern die zum gleichen Zeitpunkt dort eintraf. »Formation Echo Four Three, drehen Sie sich gemeinsam und ändern Sie den Kurs nach Steuerbord null acht eins Grad, nach unten eins null Grad bei Zeit eins sechs.« Die Unterformation auf der linken Seite des Diamanten würde sich damit nach rechts unten bewegen.

Er musste tief durchatmen, bevor er die nächsten beiden Befehle gab. »Formation Echo Four Four, drehen Sie sich gemeinsam und ändern Sie den Kurs nach oben null neun null Grad bei Zeit eins sieben. Formation Echo Four Five, drehen Sie sich gemeinsam und ändern Sie den Kurs nach unten null neun fünf Grad bei Zeit eins acht.« Damit würden auch die Ober- und die Unterseite des Diamanten das Zentrum queren.


Nun war der Hauptpulk der Flotte an der Reihe, zu dem die Dauntless und die Hilfsschiffe gehörten. »Formation Echo Four One, drehen Sie nach unten ab um null neun null Grad mit Flaggschiff Dauntless als Orientierung und ändern Sie den Kurs nach oben null eins zwei Grad bei Zeit zwei null. Alle Einheiten der Allianz-Flotte: Feuern Sie Raketen und Höllen Speere ab, sobald der Feind in Feuerreichweite gelangt.«

Desjani zog die Augenbrauen hoch, als sie die Befehle verar-beitete. »Wenn sie genau durch die Mitte kommen, machen wir sie fertig.«

»Wollen wir hoffen, dass sie das auch tun.« Geary betrachtete sein Display, auf dem zu sehen war, wie die Syndiks mil mehreren zehntausend Kilometern pro Sekunde auf sie zu-gerast kamen. Das Bild des Feindes wurde jetzt nahezu in Echtzeit dargestellt, da das Licht für die Entfernung zwischen den beiden Streitmächten nur noch wenige Sekunden benötigte.

»Verdammt, das machen sie also.« Die Schiffe in der Kastenformation veränderten im letzten Augenblick den Kurs nach oben, um die Unterformation zu attackieren, die dir Oberkante des Diamanten bildete — nur dass diese Formation längst nicht mehr da war, sondern in einer ausholenden Kurve nach unten und auf die Syndiks zuflog. Ein Sperrfeuer aus Syndik-Raketen gefolgt von Kartätschen jagte auf die erwartete Position der Allianz-Unterformation zu, doch anstelle der Schiffe fand sich dort nur noch leerer Raum. Die Kartätschen flogen ziellos weiter, während die Raketen zur Jagd ansetzten, um die Ziele einzuholen, die ihnen entkommen waren.

Aber die Syndik-Flotte hatte nur eine viel geringere Kursänderung vorgenommen, sodass die einzelnen Allianz-Unterformationen die Flugbahn der Syndiks wenige Sekunden zuvor gekreuzt und ihrerseits Raketen abgefeuert hatten, die den leichteren Kriegsschiffen übel mitspielten und die Schilde der Schlachtschiffe und Schlachtkreuzer in diesem Teil der Kastenformation strapazierten.

»Verdammt«, murmelte Geary. Die Kursänderung der Syndiks war nicht sehr groß ausgefallen, hatte aber genügt. Die Allianz-Unterformationen hatten es zwar vermieden, von den Syndiks getroffen zu werden, waren damit aber außer ReichWeite für den Einsatz der Höllenspeere, als die Syndiks das Sperrfeuer aus Raketen hinter sich ließen. Wenigstens war nichts von dem geringen Vorrat an Kartätschen vergeudet worden.

Das würde aber nicht mehr gelten, sobald die Kastenforma-lion auf die große, hinterherhängende Allianz-Formation traf.

Die Hilfsschiffe, die sich im rückwärtigen Bereich aufhielten, hatten sich nach oben bewegt, als die Mauer aus Allianz-Schiffen rotierte und sich aufwärts richtete, sodass sie vor dem Beschuss durch jene Syndik-Schiffe geschützt waren, die unter den Allianz-Schiffen hindurchlliegen würden. »Sie haben sie auf den Punkt durchschaut«, sagte Desjani, ohne den Blick von ihrem Display abzuwenden.

»Vielleicht etwas zu knapp«, gab Geary zurück und aktivierte die Komm-Taste. »Allianz-Schiffe in Formation Echo Four One, alle Waffen abfeuern, auch Kartätschen.«

Die Dauntless und die anderen Allianz-Kriegsschiffe in ihrer Formation feuerten zuerst Raketen ab, dann folgten kom-pakte Gruppen aus Kugelgeschossen. In der Kastenformation der Syndiks befänden sich zwar mehr Kriegsschiffe als in der Formation rund um die Dauntless, dennoch konnte fast jedes Allianz-Schiff dank der flachen Münzenformation das Feuer auf die Syndiks eröffnen, während aus der Kastenformation heraus nur die äußersten Lagen ihre Waffen abzufeuern vermochten.


Die Kriegsschiffe im oberen Teil der Syndik-Kastenformation wurden von einer Welle nach der anderen getroffen; zunächst von den Raketen der Allianz, dann von den Kartätschen, während die gesamte feindliche Formation in nahezu horizontaler Richtung unter den Allianz-Schiffen hindurchflog und sich beide Flotten dabei fast berührten. Den Syndiks war keine Zeit geblieben, die Raketenwerfer erneut zu laden, die beim Ansturm auf die erste Allianz-Unterformation abgefeuert worden waren, dafür reagierten sie jedoch mit einem Hagel aus Kartätschen.

Das Ganze spielte sich im Bruchteil einer Sekunde ab, dann flammten Höllenspeere auf und strapazierten die durch voran-gegangene Treffer geschwächten Schilde. Zudem trafen sie Kriegsschiffe, deren Schilde unter dem vorherigen Beschuss teilweise ausgefallen waren.

Geary wusste, er konnte sich nicht die Zeit nehmen, um das Resultat dieses Aufeinandertreffens zu analysieren. Die Dauntless erzitterte noch unter den Treffern, die Wachhabenden gaben noch Schadensmeldungen durch, da erteilte er bereits die nächsten Befehle. »Formation Echo Four Two, drehen Sie sich nach Steuerbord um eins eins null Grad, nach oben zwei null Grad bei Zeit zwei vier. Formation Echo Four Three, drehen Sie sich nach Backbord um eins eins acht Grad, nach oben eins sechs Grad bei Zeit zwei vier. Formation Echo Four Four, drehen Sie sich nach Steuerbord um null fünf Grad, nach unten eins drei eins Grad bei Zeit zwei fünf. Formation Echo Four Five, drehen Sie sich nach Steuerbord um null acht Grad, nach oben eins fünf zwei Grad bei Zeit zwei fünf.«

Er schnappte hastig nach Luft und fuhr fort: »Formation Echo Four One, drehen Sie sich nach Steuerbord um null drei Grad, nach oben eins sechs null Grad bei Zeit zwei fünf.«

Diese kombinierten Manöver sollten alle Unterformationen wieder zurück zur Kastenformation der Syndiks bringen. Wenn er sehen konnte, wie die Syndiks reagiert hatten, würde er seine Befehle sicher anpassen müssen, doch für den Augenblick genügten die Anordnungen, um seine Schiffe wieder in die richtige Richtung fliegen zu lassen.

Als er dann endlich einen Augenblick Zeit fand, um sich mit den Statusberichten zu befassen, machte er sich auf alles gefasst. Der Großteil der Syndik-Raketen war von der Allianz-Verteidigung zerstört worden, als die versuchten, ihre Ziele einzuholen, dennoch waren einige von ihnen durchgekom-men. Der Schwere Kreuzer Gussei hatte einen Ausfall der Antriebseinheiten erlitten, die Leichten Kreuzer Kote und Caltrop waren außer Gefecht gesetzt worden, und den Zerstörer Flail hatten mehrere Treffer in Stücke gerissen. Die Schlachtkreuzer Intrepid und Courageous waren zwar beschädigt worden, bildeten aber nach wie vor einen Teil der Formation.

Der brutale Schusswechsel zwischen Echo Four One und der Kastenformation hatte den Syndiks schwerere Verluste beschert, aber die Allianz-Zerstörer Ndziga und Tabar waren zerstört worden, vom Leichten Kreuzer Cercle war nur noch ein zerschossenes Wrack übrig, und die Schweren Kreuzer Armet und Schischak waren beide ausgefallen. Das Scoutschiff Braveheart hatte einen Ausfall der Antriebs- und der Waffensysteme erlitten und konnte damit auch nicht mehr der Formation folgen. Viele weitere Allianz-Schiffe waren ebenfalls beschädigt worden, lediglich die Schlachtschiffe hatten naturgemäß am wenigsten gelitten.

Die vorderen Kanten der Syndik-Formation hatten den größten Teil der abgefeuerten Raketen abbekommen, gefolgt von der Oberseite der Kastenformation, die mit Echo Four One aneinandergeraten war. Der Vorteil der Allianz, hatte sich ausgezahlt, vor allem mit Blick auf die zahlenmäßig am deut-lichsten unterlegenen Leichten Kreuzer und Jäger der Syndiks. Von den fünfundzwanzig Leichten Kreuzern, die in die Schlacht gezogen waren, galten zwölf als zerstört oder zumindest als so schwer beschädigt, dass sie den Kampf nicht fortsetzen konnten. Von den zweiundvierzig Syndik-Jägern waren fast zwanzig außer Gefecht gesetzt worden, das Gleiche galt für fünf Schwere Kreuzer. Das Beste jedoch war, dass für vier Syndik-Schlachtkreuzer der Kampf vorzeitig beendet war. Einer von ihnen war zerstört worden, die übrigen drei wiesen zu schwere Schäden auf, als dass sie noch mitmischen konnten.

Außerdem hatte ein Syndik-Schlachtschiff den größten Teil seiner Antriebseinheiten verloren und musste sich zurückfallen lassen, als die Formation insgesamt zu einer Kurve ansetzte, um erneut anzugreifen.

Das habe ich verbockt, dachte Geary mürrisch. Der Syndik-Kommandant hat so spät reagiert, dass ich meinen Angriff nicht richtig konzentrieren konnte.

Desjani allerdings schien bester Laune zu sein. »Sehen Sie sich nur an, welche Schäden wir ihnen zugefügt haben! Noch so einen Ansturm werden die nicht überstehen.«

Geary erwiderte nichts, sondern konzentrierte sich ganz auf die Flugbewegungen der Syndiks. Die flogen noch immer eine ausladende Kurve, was sich nicht vermeiden ließ, wenn ein Schiff mit 0,1 Licht unterwegs war und eine Kursumkehr vornehmen wollte. Er war sich sicher, dass sie wieder auf Echo Four One zuhielten, weil der Commander vielleicht hoffte, diesmal die Hilfsschiffe der Allianz zu erwischen. In rascher Folge gab er seine Befehle an die vier anderen Formationen durch, damit deren Kurs die Flugbahn der Syndiks kreuzte, wenn die erneut versuchten, Echo Four One abzufangen. Der Tonfall, in dem er sprach, brachte ihm einen skeptischen Blick von Desjani ein.


Diesmal hatte er mit seiner Vermutung richtig gelegen. Als die lückenhafte Kastenformation sich von Backbord und von schräg unten der Formation näherte, jagten die vier übrigen Allianz-Unterformationen vor den Syndiks vorbei und fügten den führenden Schiffen weitere Schäden zu, sodass sich die vorderen Reihen immer weiter lichteten und an ihre Stelle die dahinter befindlichen Kriegsschiffe rückten. Immer mehr feindliche Schwere und Leichte Kreuzer sowie Jäger explodierten, zerbrachen in große Stücke und fielen aus der Formation heraus, da wichtige Systeme zerstört worden waren. Zwei weitere Schlachtkreuzer trudelten aus der Kastenformation, gleich darauf gefolgt von einem dritten, während die Schlachtschiffe in den vordersten Reihen immer mehr Treffer einstecken mussten.

Die Syndiks konnten sich gegen jede Formation nur einmal zur Wehr setzen. Auch wenn sie einige Treffer landeten, gelang es ihnen dennoch nicht, einem einzigen Schiff schwerere Schäden zuzufügen.

»Echo Four One«, befahl Geary schroff. »Drehen Sie nach Steuerbord null acht Grad, nach oben eins vier Grad bei Zeit vier drei.«

Die Syndik-Kastenformation behielt ihren Kurs bei. Entweder hatte der Syndik-Commander das Manöver der Allianz nicht rechtzeitig bemerkt, oder aber sein Flaggschiff war so beschädigt, dass er seine Befehle nicht schnell genug übermitteln konnte. Die um die Dauntless herum angeordnete Allianz-Formation schoss über die vordere Kante der Kastenformation hinweg und war dabei in der Lage, den Feind massiv unter Beschuss zu nehmen, während sie selbst deutlich weniger Treffer einstecken musste.

Desjani stieß einen Freudenschrei aus, als ein Syndik-Schlachtschiff nach dem Feuer von Echo Four One explodierte, gefolgt von einer Antriebsüberhitzung auf einem weiteren Schlachtschiff und einem der überlebenden Schlachtkreuzer.

Geary dagegen starrte nur auf sein Display, um sich ein Bild von den Ereignissen zu machen und dabei herauszufinden, wie er die verschiedenen Elemente wieder zusammenführen konnte. Die Syndiks näherten sich nun von Steuerbord und leicht von oben.

Die Unterformationen der Allianz-Flotte folgten vier völlig verschiedenen Vektoren und waren unterschiedlich weit vom Flaggschiff entfernt. Geary versuchte, die Situation im Griff zu behalten, um die Vorgehensweise der Unterformationen aufeinander abzustimmen, doch das wollte ihm nicht gelingen.

Ihm machte noch immer zu schaffen, dass er bei der ersten Begegnung mit seinen Manövern danebengelegen hatte, und nun waren die Bewegungen und die notwendigen Flugmanöver auf den verschiedenen Zeitebenen zu schwierig, um sie noch zu erfassen. Aber er konnte der Flotte nicht den Befehl geben, nach eigenem Ermessen gegen den Feind vorzugehen.

Noch nicht. Alle seine Schiffe würden sich auf die Syndik-Flotte stürzen und ein wildes Gemetzel beginnen, das nur die Kollisionsgefahr erhöhen und die Übermacht an Schiffen und Feuerkraft zunichte machen würde. Auch konnte er nicht darauf bauen, die Bewegungen der Unterformationen der Künstlichen Intelligenz, des Steuersystems anzuvertrauen. Das würde sich nämlich auf die wahrscheinlichsten Feindbewe-gungen konzentrieren und damit selbst für den Feind berechenbar sein.

Ihm war nicht bewusst, dass er wortlos auf sein Display starrte, während er die Situation in ihrer ganzen Komplexität zu erfassen versuchte und gleichzeitig kostbare Sekunden ungenutzt verstreichen ließ. Plötzlich zischte ihm Rione ins Ohr: »Was ist los? Unsere Verluste sind doch gar nicht so schlimm.«

»Es ist zu kompliziert«, flüsterte Geary. »Ich kann es nicht koordinieren…«

»Dann vertrauen Sie Ihren Untergebenen, Captain Geary«, gab sie verärgert zurück. »Uberlassen Sie den Kommandanten die Verantwortung für ihre eigenen Unterformationen, während Sie sich um Ihre Formation kümmern!«

Verdammt, sie hat recht. Warum glaube ich, ich müsste das ganz allein erledigen? Ich habe Befehlshaber für die Unterformationen bestimmt, denen ich vertrauen kann, dass sie ihre Arbeit erledigen können. Und jetzt vertraue ich ihnen nicht? »Captain Duellos, Captain Tulev, Captain Badaya, Captain Oesida, nehmen Sie eigenständig mit Ihren Formationen den Kampf auf.«

Die überwältigende Komplexität der Situation sank, da sich Gearys Probleme darauf reduzierten, die eigene Formation zu manövrieren und die Unterformationen nur noch im Auge zu behalten, ohne für sie entscheiden zu müssen. Er musste schlucken, dann spürte er, wie das Gefühl zurückkehrte, Herr der Lage zu sein. Ihm wurde bewusst, dass er die Kontrolle über alles zurückerlangt hatte, weil er nicht versuchte alles zu kontrollieren. Vergiss nicht, das hier ist keine Einmannshow. Du hast wohl gedacht, du bist Black Jack, nicht wahr?, ermahnte er sich. »Echo Four One, drehen Sie nach Backbord eins sieben fünf Grad, nach unten zwei null Grad bei Zeit zwei sieben.«

Es war absurd, aber obwohl die Schlacht noch immer im Gange war, schienen auf der Brücke der Dauntless alle ruhiger und entspannter zu werden. Da wurde Geary bewusst, dass sein eigener Ärger und Frust die anderen aus der Ruhe gebracht hatten. Er zwang sich dazu, ein Lächeln aufzusetzen, während er sich umsah. »Bislang gut gemacht. Dann wollen wir das Ganze mal zu Ende bringen.«


Captain Desjani erteilte eine Reihe von Befehlen, die die Prioritäten bei der Beseitigung von Schäden betrafen, die die Dauntless bei der ersten Begegnung mit dem Feind davongetragen hatte, dann sah sie zu Geary und lächelte ihn an wie eine Löwin, die sich auf ihre Beute freute. »Die hätten nach dem ersten Anlauf das Weite suchen sollen«, meinte sie.

»Wenn wir ihre Formation jetzt knacken, dann werden die verbliebenen Einheiten nicht mehr lange durchhalten.«

»Vielleicht können wir das ja ein wenig beschleunigen.«

Geary gab Desjani ein Zeichen. »Kann ich eine Verbindung zur Syndik-Flotte bekommen?«

Sie zog eine Augenbraue hoch, dann zeigte sie mit einem Finger auf ihren Komm-Wachhabenden, der hastig etwas ein-tippte und dann bestätigend nickte, wobei er vier Finger hoch-hielt. »Sie haben Ihre Verbindung, Sir. Auf Kanal vier.«

Geary atmete tief durch, um zur Ruhe zu kommen, dann öffnete er die Leitung und sprach mit beiläufiger Gelassenheit: »An alle Kriegsschiffe der Flotte der Syndikatwelten, die sich im Gefecht mit der Allianz-Flotte befinden: Hier spricht Captain John Geary, Befehlshaber der Allianz-Flotte. Zweifellos erwarten Sie, dass jeden Moment Verstärkung zu Ihnen stößt in Form jener großen Flotte, der wir vor etwa zwei Wochen im Lakota-System begegnet sind. Ich möchte Sie wissen lassen, dass diese Flotte von uns vollständig vernichtet wurde. Sie wird also weder hier noch in einem anderen System auftauchen können. Ich rate Ihnen daher, sich jetzt zu ergeben, um sinnlose weitere Verluste zu vermeiden.«

Wieder musste Desjani lächeln. »Damit werden Sie deren Moral wohl einen Dämpfer versetzt haben.«

»Das war auch meine Absicht.«

»Ich werde sehen, welchen zusätzlichen Dämpfer ihnen die Dauntless versetzen kann.« Echo Four One hatte den Wende-Vorgang abgeschlossen und näherte sich diesmal der ausge-fransten Syndik-Formation von hoch oben.

Bevor Echo Four One die Syndiks erreichen konnte, wurde deren vorderste Reihe von Echo Four Three und Echo Four Five erneut unter Beschuss genommen, wodurch ein weiteres Schlachtschiff so stark beschädigt wurde, dass es sich zurückfallen lassen musste.

»Setzen Sie die restlichen Kartätschen ein«, befahl Desjani ihrem Gefechtsoffizier, während Echo Four One und die Syndik-Formation weiter aufeinander zurasten.

Ein weiterer Kontakt zuckte vorbei, dann konnte Geary sehen, wie die Flottensensoren den Schaden beim Gegner analysierten. Gleichzeitig näherten sich Echo Four Two und Echo Four Four von oben und von unten der feindlichen Kastenformation. Die drei verbliebenen Syndik-Schlachtkreuzer hatten alle Schilde verloren und feuerten trotz viel zu großer Entfernungen hektisch auf die nächsten beiden Allianz-Formationen, die sich ihrer Position näherten. Nur sechs Schwere Kreuzer waren noch in der Formation, der Rest war in unterschiedlich schlechter Verfassung auf den Wegen verstreut, die die Syndik-Flotte im Laufe der Schlacht genommen hatte. Fünf Leichte Kreuzer und ein Dutzend Jäger hatten ebenfalls überlebt. Im Kern der feindlichen Formation fand sich noch eine Reihe von Schlachtschiffen, und fünf davon waren nach wie vor in einem guten Zustand.

Geary blieb kaum Zeit zu hoffen, dass die Commander von Echo Four Two und Echo Four Four im Kampf mit diesen fünf Schlachtschiffen das Glück nicht herausforderten, dann musste er zu seinem Schrecken mitansehen, wie die beiden Unterformationen haarscharf den Feind passierten.

Als Folge dieser Attacke trudelte ein weiteres Syndik-Schlachtschiff aus der Formation und zwei von drei Schlachtkreuzern waren zerstört. Doch die Courageous, die Incredible und die Illustrious hatten schwere Schäden davongetragen, der Schwere Kreuzer Gusoku war explodiert, und die Zerstörer Cestus und Balta existierten ebenfalls nicht mehr. »Diese Schlacht verläuft nicht gut«, murmelte Geary zu sich selbst.

Desjani hatte ihn aber gehört und stimmte ihm zu: »Die Syndiks leisten sich keine Fehler. Aber das kann sie jetzt auch nicht mehr retten. Noch ein Vorbeiflug und…«

»Die Formation löst sich auf!«, rief der Ops-Wachhabende aufgeregt.

»Danke, Mr. Gaciones«, erwiderte Desjani. »Sie müssen nicht schreien, ich höre Sie auch so.«

Während sich der peinlich berührte Wachhabende wieder zu seiner Station umdrehte, sah sich Geary auf seinem Display an, was noch von der zerfallenen Syndik-Formation übrig war.

Zwei Schlachtschiffe blieben zusammen, begleitet von drei Jägern, die zu ihrem Schutz in der Nähe verharrten. Alle anderen Schiffe dagegen flogen in alle möglichen Richtungen davon, um ihren Verfolgern zu entkommen.

Das machte das Ganze natürlich einfacher. »An alle Schiffe der Formationen Echo Four Two, Echo Four Three, Echo Four Four und Echo Four Five: Nehmen Sie die Verfolgung auf. Lösen Sie Ihre Formationen auf und feuern Sie nach eigenem Ermessen auf den Feind. Echo Four One wird sich den beiden Schlachtschiffen widmen, die sich nicht voneinander gelöst haben.«

Was einfacher gesagt als getan war, da seine Formation Zeit und Platz zum Wenden benötigte. Andererseits waren die zwei Syndik-Schlachtschiffe zu nah und zu schwerfällig, als dass sie ihnen hätten entkommen können. Während Echo Four One kehrtmachte, beobachtete Geary, dass die anderen Unterformationen sich so rasch auflösten, als würden sie von einer gewaltigen Explosion in alle Richtungen geschleudert. Einzelne Allianz-Kriegsschiffe konzentrierten sich auf gegnerische Schiffe und nahmen sie unter Beschuss, wobei jedes einzelne Syndik-Schiff zur Zielscheibe einer Vielzahl von Allianz-Verfolgern wurde. Auf dem Display bildeten die vorausberechneten Flugbahnen der Allianz-Kriegsschiffe ein komplexes Netz, aus dem der Gegner voller Hektik zu entkommen versuchte.

»Was zum Teufel machen denn die Brillianl und die Inspire da?«, wunderte sich Desjani.

Geary schaute auf das Display. Die beiden Schlachtkreuzer hatten ihre Formation verlassen und sich von der Opportune getrennt, einem weiteren Schiff dieses Typs in dieser Unterformation, und beschleunigten, um die zwei Syndik-Schlachtschiffe abzufangen. Seine Wut über den Preis, den diese Schlacht bislang bereits gefordert hatte, flammte wieder auf. Wir haben heute schon genug Schiffe verloren, und jetzt müssen diese Idioten auch noch meine Befehle missachten und sich einen Kampf Schiff gegen Schiff liefern!

»Sie werden deutlich vor uns eintreffen«, rief Desjani voller Enttäuschung. »Aber warum? Sie können die beiden Schiffe nicht allein erledigen!«

»Nein, das können sie tatsächlich nicht«, stimmte Geary ihr zu und schlug mit der Faust förmlich auf seine Kontrollen.

»Brilliant, Inspire, hier spricht Captain Geary. Brechen Sie sofort Ihren Angriff auf die beiden Syndik-Schlachtschiffe ab!«

Er wartete ab, er überprüfte die Entfernung, um festzustellen, wie lange es dauern würde, bis sein Befehl die Schiffe erreichte und bis er eine Antwort bekam. Aber es erfolgte keine Rückmeldung, und beide Schiffe flogen unbeirrt weiter.

Dann auf einmal wurde ihm bewusst, dass die Opportune beige-dreht hatte und nun versuchte, die Brilliant und die Inspire einzuholen. Diesmal musste Geary mehrmals tief durchatmen, um einen Wutanfall zu unterdrücken, ehe er sich abermals an die Schiffe wandte: »Brilliant, Inspire und Opportune, Ihr Befehl lautet, sofort Ihren Angriff auf die beiden Syndik-Schlachtschiffe abzubrechen!«

Weitere Sekunden verstrichen, in denen sich Echo Four One selbst in Position brachte, um die Syndik-Schiffe zu attackieren. »Die Zeit reicht nicht, um sie ein weiteres Mal zu rufen«, stellte Desjani fest.

Gearys Kiefer schmerzte, so fest hatte er vor Wut die Zähne aufeinandergepresst, und er zwang sich zur Ruhe, da er nichts anderes mehr tun konnte als zuzusehen, wie drei Schlachtkreuzer einen sinnlosen Angriff auf zwei Schiffe mit überlegener Feuerkraft flogen.

Die Brilliant und die Inspire jagten an den beiden Schlachtschiffen vorbei, konzentrierten ihr Feuer auf eines von ihnen und gingen so nah ran, dass sie ihre Null-Felder, die Höllenspeere und ihre wohl letzten Kartätschen einsetzen konnten.

Die Schilde des anvisierten Syndik-Schiffs flammten wiederholt auf, hielten aber stand, bis das zweite Null-Feld weit genug vordrang, um ein Stück aus einer der Antriebseinheiten zu reißen und das Schiff langsamer werden zu lassen.

Die Syndiks hatten ihrerseits das Feuer jedoch auch konzentriert, und so entfernte sich die Brilliant von der Begegnung mit massiven Schäden, zerschossenen Antriebssystemen und größtenteils ausgefallenen Waffensystemen.

Dann folgte die Opportune mit einigem Abstand allein, ein einzelner Schlachtkreuzer, der sich dem Beschuss durch zwei Schlachtschiffe ausgesetzt sah. Die Höllenspeere der Syndiks bohrten sich durch die Schilde und fraßen sich in den Rumpf der Opportune. Es war nur die Triebkraft, die das Schiff rettete, das schrecklich beschädigt in sichere Entfernung trudelte.

»Wenn der Kommandant der Opportune noch lebt, dann werde ich ihn persönlich umbringen«, schwor Geary, der daran denken musste, wie viele Matrosen an Bord dieses Schiffs völlig sinnlos ihr Leben verloren haben mochten.

»Vor sechs Monaten hätte ich noch Beifall gespendet«, sagte Desjani voller Erstaunen. »Jetzt dagegen ist mir klar, wie sinnlos diese Aktion war. Welchen Sinn hat Tapferkeit, wenn sie nur dem Feind hilft, einen selbst zu vernichten?« Ihr Tonfall änderte sich und wurde schroffer. »Also gut, Dauntless«, rief sie ihrer Brückencrew zu. »Lassen wir die Syndiks bereuen, was sie der Opportune angetan haben.«

Die drei Schlachtkreuzer hatten dafür gesorgt, dass die Schilde der Syndik-Schlachtschiffe geschwächt waren, aber sie selbst waren dabei viel stärker in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Kriegsschiffe der Echo Four One nahmen die Syndiks so massiv unter Beschuss, dass deren Schilde komplett ausfielen. Die vier Allianz-Schlachtschiffe verwandelten eines der gegnerischen Schiffe in ein treibendes Wrack, auf dem anderen fielen so gut wie alle Systeme aus. »An alle Kriegsschiffe von Echo Four One: Formation auflösen und nach eigenem Ermessen Ziele suchen.« Geary schaltete auf eine interne Verbindung um. »Lieutenant Iger, ich möchte wissen, ob sich irgendwelche Syndik-CEOs in den Rettungskapseln befinden. Sehen Sie, was Sie herausfinden können.«

Es war eine hässliche, schmerzhafte Schlacht gewesen, aber die Allianz hatte immerhin weniger Ausfälle erlitten als die Syndiks. Beim Anblick der durch das All trudelnden Opportune war diese Erkenntnis für Gearyjedoch kein großer Trost.

Загрузка...