Die Erdoberfläche war sorgfältig untersucht worden. Die Roboter hatten ein-tausendsiebenhundertfünfundachtzig unterirdische Anlagen entdeckt und gründlich überprüft. Es waren Raketenabschußbasen, Hospitäler und unterirdische Städte größeren und kleineren Ausmaßes. In den Ozeanen waren bisher zweiundsiebzig militärische Stützpunkte festgestellt und ebenfalls untersucht worden. Doch zwei Drittel des Meeres, der Pazifische Ozean, der Südatlantik und der Indische Ozean waren noch nicht durchsucht. Auch auf dem Mond hatten die Roboter drei Stützpunkte ausgemacht, doch auch dort gab es keine Überlebenden, und die Atomraketen hatten die Stützpunkte fast zu Staub zerblasen.
Weiter hatte die Suchaktion große Mengen Metall zutage gefördert, unter anderem auch noch gutfunktionierende Roboter und Automaten des nicht selbständig denkenden Typs. Millionen von Büchern aller Arten, Drucke und Zeichnungen hatte man sortiert und in Regalen aufbewahrt, weil sie noch von Nutzen sein konnten. Vieles hatten die Roboter schon ausgewertet und ihren Elektronengehirnen einverleibt. Es gab eigentlich nichts mehr, was noch zu tun war. Ross brauchte nur noch knappe Befehle zu erteilen und konnte sich lange Ausführungen sparen. Abgesehen davon, kannten sich die Roboter in so manchen Dingen ohnehin bedeutend besser aus, wenn Ross das auch nicht immer zugeben wollte.
Doch jedes Ding hat seine zwei Seiten…
Trotz aller technischen Errungenschaften hatte man weder überlebende Menschen entdeckt noch tierisches Leben irgendwelcher Art. Keine Vögel und keine Insekten. Das Wasser des Meeres war jetzt klar, doch nach wie vor ohne Leben.
Langsam begann Ross das Gras zu hassen, das ihn von drei Seiten umschloß und eine erstaunliche Höhe erreicht hatte. Es war die einzige Vegetation auf dem ganzen Planeten. Die Roboter hatten riesige Weizenfelder angelegt. Doch all das war ziemlich wenig, wenn Ross berücksichtigte, daß inzwischen dreiundvierzigtausend Jahre vergangen waren.
Immer häufiger verlor er jetzt die Lust an seiner Arbeit, ging lustlos spazieren, warf sich irgendwo ins Gras und starrte stundenlang in den Himmel. Er lauschte auf jedes Geräusch und jede Bewegung in der ihn umgebenden Natur. Hätte er doch nur eine Spinne gesehen, einen Wurm, einen Vogel. Wäre ihm früher eine Spinne über den Handrücken gekrochen, hätte er sie ärgerlich abgeschüttelt; doch jetzt hätte er vor Freude einen Luftsprung gemacht und sie behandelt wie ein kostbares Kleinod.
Er unterhielt sich auch nicht mehr so oft mit den Robotern und wurde immer schweigsamer. Die Robotschwester merkte das und versuchte ihn für dieses oder jenes Wissensgebiet zu interessieren. Sie dachte sich alles mögliche aus. Eines Tages hatte sie mit ihren Bemühungen ein wenig Erfolg.
„Einer der Roboter, die wir geborgen haben, ist ein Schneider, Sir“, sagte sie, als Ross wieder einmal zu einem Spaziergang aufbrechen wollte.
„Ein Schneider?… Wie kommst du darauf?“
„Ich dachte nur, Sie würden sich über einen neuen Anzug freuen, Sir.“
„Was du nicht sagst…!“
„Sie können doch nicht dauernd nur Bettücher tragen, Sir.“
„Ich bin dir wohl nicht hübsch genug, wie?“
„Richtige Kleidung ist praktischer“, sagte die Robotschwester.
Ross sah es ein.
Drei Stunden später kletterte er in seinen neuen Maßanzug, den ersten seit über vierzigtausend Jahren.
Als er sich im Spiegel betrachtete, erinnerte ihn sein Bild an einen Kapitän in Tropenuniform. Möglich, daß der Roboter früher einmal ausschließlich Uniformen geschneidert hatte.
Doch die Uniform kleidete Ross nicht schlecht, und sein gebräuntes Gesicht hob sich recht vorteilhaft von dem weißen Tuch ab. Hätte ihn jetzt Alice sehen können…
„Du hast das aus Bettüchern gemacht“, sagte Ross schroff.
„Ja, Sir.“
„So weit, so gut. Aber wenn du einen offenen Kragen machst, vergiß nicht das Hemd und die Krawatte, sonst macht das einen komischen Eindruck.“
„Ja, Sir“, sagten der Robotschneider und die Schwester gleichzeitig.
Als der Schneider weg war, fragte die Schwester: „Haben Sie sonst noch einen Wunsch, Sir?“
Ross überlegte einen Augenblick und knurrte: „Ich sterbe vor Langeweile. Am liebsten möchte ich zum Mond fliegen. Ja, das wäre wirklich keine schlechte Idee!“
„Bedaure, Sir“, antwortete die Robotschwester.
„Aber ihr seid doch schon auf dem Mond gewesen?“
Die Robotschwester begann mit Fachausdrücken um sich zu werfen und erklärte, daß die Geschwindigkeit für ein Menschenwesen zu groß sei, die kosmischen Strahlungen des Weltalls den Schiffskörper durchdringen und ihn töten könnten. Da wären auch noch andere Gefahren, Meteoritenschwärme und dergleichen mehr. „Für den letzten Menschen“, endete sie, „ist eine Reise zu anderen Planeten zu gefährlich. Er kann durch einen Unglücksfall sterben. Wir dürfen den letzten Menschen keiner unnötigen Gefahr aussetzen.“
„Hm!“ machte Ross und sagte dann jedes Wort betonend: „Ich glaube, dann ist es besser für mich, meinen Tiefschlaf wieder aufzunehmen.“
„Wie lange, Sir? Und was ist der Grund?“
Für immer, wollte Ross antworten. Aber das durfte er nicht sagen, dann vermutete die Robotschwester am Ende eine seelische Krankheit und behandelte ihn wieder wie einen Patienten. Doch er hatte schon einen Grund — oder eine Ausrede. Daran hatte er in den Stunden, in denen er in der Sonne lag und die Wolken beobachtete, schon häufig gedacht.
„Es besteht nicht mehr die geringste Aussicht“, sagte er, „noch überlebende Menschen zu finden, weder zu Lande, zu Wasser noch in der Luft. Es gibt auch keine Tiefschlaf-Patienten mehr. Eine weitere Suche ist nur Zeitverschwendung. Also kann es nur meine Aufgabe sein, neues Leben zu schaffen. Das Leben kam aus dem Meer, und dieses Wunder wiederholt sich vielleicht noch einmal. Das einzige in großen Mengen vorhandene organische Material ist das Gras. Legt einen Landstrich an, der sich in ein Sumpfgebiet verwandelt. Nach und nach erhöht ihr den Wasserspiegel, so daß er den Sumpf bedeckt. Dann leitet ihr das Wasser wieder ab und ersetzt es durch eine Salzlösung. Dann stecht ihr die Stücke aus und pflanzt sie in seichtes Meerwasser um. Ich weiß, daß ich damit den Uhrzeiger der Entwicklungsgeschichte zurückdrehe, aber es besteht eine kleine Chance, daß das Gras vermodert und auf diese Weise organisches Leben erzeugt. Hast du meine Anweisungen verstanden?“
„Ja, Sir“, sagte die Robotschwester und fügte hinzu: „Die Durchforschung des Pazifischen Ozeans ist in siebenunddreißig Jahren beendet. Möchten Sie nach dieser Zeit erwachen, Sir?“
„Du wirst mich nicht früher wieder aufwecken,, bis das Unternehmen von Erfolg gekrönt ist“, sagte Ross.
Trat dieser Erfolg nicht ein, würden ihn die Roboter auch nicht mehr aufwecken. Im Augenblick war das Ross auch gleichgültig. Er litt unter einer schrecklichen Depression, und das Gefühl der Einsamkeit lastete wie ein Stein auf seiner Brust.
Seine Hoffnung, noch Überlebende zu finden, war eine glatte Selbsttäuschung gewesen; das galt auch für seinen Glauben an die Wiederbelebung der ganzen Welt. Aber er konnte nicht weitere Jahrtausende verschlafen und dann wieder eine Enttäuschung nach der andern erleben, lieber wachte er überhaupt nicht mehr auf. Es hatte ja alles keinen Sinn mehr.
Als ihn die Roboter auf die dritte Tiefschlafperiode vorbereiteten, hatte er den Wunsch, in diesem Schlaf zu sterben…