Aus der Sonne war ein teuflisch grinsender Himmelskörper geworden, der sich einen Spaß daraus zu machen schien, die Erde zu rösten. Es herrschte eine Hitze wie in einem Backofen.
Längst waren die Seen und Meere verdunstet. Die Erde besaß keine Lufthülle mehr, so daß die Meteoritenschwärme nicht mehr verglühen konnten und sich tief ins Erdreich bohrten.
Der Himmel war schwarz, soweit das Auge reichte. Die Sonne, die Ringe der Planeten, die geborstene, staubige Erde strahlten im harten Weiß.
Ein hohes, schrilles Summen erfüllte jeden Korridor und jeden Raum des Palastes. Als Ross sich nach dem Grund dieses Geräusches erkundigte, erklärte ihm die Robotschwester, daß man eine hochleistungsfähige Klimaanlage eingebaut habe, um die Temperatur in erträglichen Grenzen zu halten. Dabei ließen sich diese Töne nicht vermeiden.
Ross fiel auf, daß ihn die Robotschwester nicht mehr auf Schritt und Tritt begleitete. Früher war sie immer in seiner Nähe gewesen. Anfangs ärgerte er sich darüber, später gewöhnte er sich daran und jetzt vermißte er sie sogar. Er erkundigte sich bei einem anderen Roboter und bekam die Auskunft, daß sie zusätzlichen Pflichten nachzugehen habe und sich daher nicht mehr so oft um ihn kümmern könne.
Drei Tage lang blieb die Robotschwester unauffindbar. Als Ross planlos in einem der unteren Stockwerke herumwanderte, sah er sie neben der Tür einer Kraftzentrale stehen. Sie war nicht nur bewegungslos, sondern schien völlig ohne Leben zu sein. Das war ein großer Schock für ihn. Nie hätte er es für möglich gehalten, daß man sich derart an eine Maschine gewöhnen könne. Er stellte hastig Wiederbelebungsversuche’ an, schrie, so laut er konnte und pochte gegen ihr glänzendes Metallgehäuse. Doch er vernahm nicht das leiseste Lebenszeichen.
Zum erstenmal Begriff er, was sie ihm bedeutet hatte. Sie war kein seelenloser Roboter, sondern ein treuer Freund und Diener. Plötzlich fühlte er sich noch ängstlicher und einsamer als je zuvor. Denn erst wenn man jemand verloren hat, weiß man ihn richtig zu schätzen.
Ich habe nur Zeit verschwendet, dachte Ross betrübt, ich hätte schon früher mit mir Schluß machen sollen. Habe ich nur gearbeitet, um auf diesen Tiefstand zu kommen? Was für ein wahnsinniger Gedanke, aus dem Nichts Lebewesen schaffen zu wollen!
Die zwei Jahre in der rauchenden und pechschwarzen Welt waren noch seine glücklichsten gewesen. Er hatte gearbeitet, studiert, geplant und die erste Robotexpedition auf die Suche nach Überlebenden geschickt. Das war noch etwas, worauf er stolz sein konnte. Vor allem hielt ihn damals noch die Hoffnung aufrecht. Eine verhältnismäßig glückliche Zeit hatte es auch nach seiner zweiten Erweckung aus dem Tiefschlaf gegeben. Die herrliche, frische, grüne Welt…! Er erinnerte sich noch an den Ausflug mit der Robotschwester und dem Raumschiff A 17. Er konnte sich nicht entsinnen, daß er jemals so optimistisch gewesen war. Doch komischerweise wurde er bald wieder unzufrieden, so als hätte ihm eine innere Stimme zugeflüstert, daß letzten Endes doch alles vergeblich wäre. So ließ er sich wieder in Tiefschlaf versetzen — und nach diesem Erwachen löste eine Enttäuschung die andere ab. Eine Kette von Mißerfolgen in einer sich gefährlich verändernden Welt. Für Ross waren nur ein paar Tage vergangen, seitdem die beiden Robotflugschiffe in der Luft zusammenkrachten. Er bedauerte diesen Zwischenfall noch immer. Seine Haut war auch noch gebräunt. Ja, er hatte in der Sonne gelegen, und es kam ihm so vor, als wäre es erst gestern gewesen.
Er glaubte es nicht, konnte es nicht glauben. Die Robotschwester, so schien es ihm, hatte sorgfältig vermieden, genaue Jahreszahlen anzugeben. Doch Ross wußte jetzt, daß unzählige Millionen Jahre vergangen sein mußten, in denen er nur wenige Wochen älter geworden war. In diesem Zeitverhältnis konnte das ganze Universum geschaffen und vernichtet werden, und Ross hatte noch lange nicht sein dreißigstes Lebensjahr erreicht. Er würde weiterleben und nur den einzigen Wunsch haben, in die fernere Zukunft hineinzuschlafen, während sich um ihn die ewige Finsternis ausbreitete und die kalte Schlacke der einst silbern funkelnden Sterne.
Er lebte schon zu lange. Wäre er damals gestorben, als das Seegras sich zwecks Weiterexistenz zu Teppichen zusammenschloß und damit erstmals organische Bewegungen anzeigte, so hätte er vor dem letzten Atemzug die Hoffnung gehabt, daß das Leben in der Welt eines Tages wiedererwachen könnte. Zumindest wäre er mit der Gewißheit gestorben, daß er sein Möglichstes getan hatte. Nach diesem Grundsatz hatten auch Doktor Pellew, Courtland und alle anderen Wissenschaftler gehandelt. Wieder gedachte Ross dieser großartigen alten Männer, die die immer geringer werdende Zahl der Tiefschlaf-Patienten bewachten und selber schon mitten in der Ewigkeit standen. Sie hatten Einsamkeit und Verzweiflung ertragen und mußten dem Wahnsinn nahe gewesen sein. Dennoch hatten sie ihre hoffnungslosen Bemühungen zur Rettung der Menschheit ohne Rücksicht fortgesetzt. Bis zum letzten Atemzug. Ob sie geglaubt hatten, daß Ross noch Millionen Jahre leben würde? Oder nahmen sie an, daß er noch etwas am Lauf der Welt ändern könne? Sicher nicht. Doch ihre verzweifelten Bemühungen mußten für Ross ein Ansporn sein, sich selber bis zum letzten Atemzug zu behaupten. Aber das war nicht leicht.
Er hatte den feigen Wunsch, sich in Tiefschlaf versetzen zu lassen und dann nicht mehr zu erwachen. Doch die Roboter verhinderten es. Aus diesem Grunde erfand er eine Reihe unlösbarer Aufgaben und schickte die Roboter systematisch ins Verderben. Er hätte mehr interplanetarische Expeditionsgruppen aufstellen sollen und Lebensformen vom Mars oder der Venus auf die Erde überpflanzen sollen. Das Resultat wäre möglicherweise ein einziger Alptraum gewesen, doch wenigstens ein Fortschritt auf dem Gebiet der biologischen Wiederbelebung. Vielleicht hätte dieses von fremden Planeten entliehene Leben den Verfall der Erde aufgehalten. Ross war sicher, daß Doktor Fellew mit einem solchen Versuch einverstanden gewesen wäre, obwohl es sich um kein menschliches Leben handelte. Nein, Ross hatte noch nicht alles versucht, was in seinen Kräften stand.
Ross beugte sich vor, legte seine Hand auf den glatten Metallkörper der Robotschwester und blickte forschend in ihre reglosen Augenlinsen. Keine bewegte sich, so sehr er auch seine eigenen Augen anstrengte. Er konnte ihr nicht helfen, denn mit Robotmechanismen kannte er sich nicht aus. Merkwürdig, daß sich kein anderer Roboter um sie kümmerte. Anscheinend hatte sie keine Hilferufe ausgesandt.
„Tut mir leid“, sagte Ross betrübt. Er machte kehrt, um nach einem anderen Roboter Ausschau zu halten, der in der Lage war, ihn wieder in den wohltuenden Tiefschlaf zu versetzen. Es schien nur noch sehr wenige Roboter in diesen Tagen zu geben…
Ross erwachte in der festen Überzeugung, daß er dieses Erwachen nur geträumt hatte.
Die Robotschwester beugte sich über ihn.
„Aber du bist doch tot!“ sagte Ross.
„Nein, Sir“, erwiderte die Robotschwester.
„Warum hast du dich vorhin denn nicht gerührt?“
„Es war nur ein kleiner Schaden, der repariert werden konnte, Sir.“
„Ich freue mich, daß du… daß du wieder in Betrieb bist“, sagte Ross aufrichtig erleichtert. „Und diesmal, Schwester, werde ich wachbleiben und sterben wie in alten Zeiten, nämlich unter guten Freunden.“
„Bedaure, Sir“, wandte die Robotschwester ein. „Wir haben Sie nur geweckt, um Sie in eine besser geschützte Unterkunft zu überführen.“
„Ist etwas geschehen?“
„Ja, Sir. Die Kühlanlagen in den oberen Stockwerken sind ausgefallen, und nur noch wenige Sektionen des Palastes sind bewohnbar.“
„Und wie ist es mit der Reparatur?“
„Es kann lange Tage dauern, vorausgesetzt, daß die draußen herrschende Hitze nicht noch stärker wird. Darum werden wir Sie in eine andere Unterkunft bringen und dort wieder in Tiefschlaf versetzen.“
„Aber ich will nicht mehr schlafen! Habe ich das nicht eben gesagt?“
Die Robotschwester überhörte diese Frage. „Können Sie schon aufrecht gehen, Sir?“
„Ich glaube, ja.“
Draußen schlug Ross eine höllische Glutwelle entgegen. Er ging nicht, sondern schlug sofort ein Hundertmetertempo ein. Das glühende Gestein ließ buchstäblich seine Schuhsohlen qualmen, und der Wind brannte in seinem Gesicht. Tränen kollerten ihm die Wangen herunter. Er schloß die Augen und überließ der Robotschwester die Führung. Dabei befand er sich noch nicht einmal im Freien, sondern nur in einem Ausläufer des bereits angekohlten Palastes.
Der jagende Lauf endete in einem engen, kreisförmigen Tunnel, in dem sich ein winziges Abteil verbarg, das sicher viel mehr enthielt als einen jener Schlafsärge. Die schwere und luftdichte Tür schloß sich leise hinter ihnen.
„Bitte, drehen Sie sich um, Sir“, sagte die Robotschwester.
Ross tat es und sah eine Sprühflasche auf sich gerichtet.
„Das wird Ihnen später helfen, Sir.“
„Dieses Zeug färbt mich ja ganz grün!“ schnappte Ross. „Außerdem will ich wachbleiben, zum Teufel noch mal!“
Aber die Robotschwester beförderte ihn sanft in den Schlafsarg. Allerdings konnte man eher von einer,sanften’ Gewalt sprechen. Als sie eine Injektionsspritze mit einem Beruhigungsserum füllte und die Nadel ansetzte, bäumte sich Ross noch einmal verzweifelt auf. „Warte!… Bitte…!“ Er glaubte zu wissen, was geschah und fühlte eine fürchterliche Angst in sich aufsteigen. Konnte er nicht sterben, wann er wollte?
Die Roboter wollten ihn solange wie nur möglich am Leben halten. Wenn immer mehr und mehr Kühlanlagen ausfielen, wollten sie die noch verbleibende Kälte ausschließlich auf den Schlafsarg konzentrieren. Die Schwester hatte einmal durchblicken lassen, daß die Hitze allmählich auch für Roboter bedrohlich würde; doch er sollte im Tiefschlaf weiterleben können, bis auch der letzte Roboter seine mechanische Seele ausgehaucht hatte. Schließlich würde die Kühlanlage ganz aussetzen und Ross zum letztenmal für einen kurzen Augenblick erwachen, um bei lebendigem Leibe zu verbrennen…
Aber an dieser ganzen Situation stimmte etwas nicht.
„Warum habt ihr mich aufgeweckt?“ fragte er.
„Es mußte so sein, Sir.“
„Was du nicht sagst! Hättet ihr mich nicht auch im Tiefschlaf in diese Kammer transportieren können?“
„Das kann ich Ihnen jetzt nicht erklären, Sir.“
„Und warum hast du mir eine Spritze gegeben? Soviel ich weiß, ist der Vorrat an medizinischen Präparaten schon lange…“
„Ich möchte mich von Ihnen verabschieden, Sir“, sagte die Robotschwester. „Und viel Glück.“