Goldstein, kehre zurück, alles vergeben

Die Frage, wer Schlomo Goldstein aufgefordert hat, unser Schlafzimmer neu zu tünchen, ruft in unserer Familie immer noch stürmische Diskussionen hervor. Die beste Ehefrau von allen behauptet, ich hätte ihr wegen der Flecken auf der Decke das Leben zur Hölle gemacht. Ich meinerseits erinnere mich nur an ihren wenig abwechslungsreichen Ausruf:

»Schau dir die Wände an! Bitte schau dir die Wände an!«

Wie dem auch immer sei - eines Morgens erspähte sie vor der Türe unserer Wohnungsnachbarn Seelig zwei Zimmermaler mit Leitern und Eimern, schlich sich sofort an sie heran und lud sie in unser Schlafzimmer ein. Die beiden, Schlomo Gold­stein und sein Gehilfe Mahmud, sagten ja, sie würden kom­men, Donnerstag um halb acht in der Früh, wenn's recht ist. Die Frage der Bezahlung blieb zunächst offen; es wurde ledig­lich ein Vorschuß in der Höhe von 400 Shekel zur Auszahlung gebracht.

Am Donnerstag kamen sie überpünktlich um 7 Uhr 10. Mahmud verhüllte unsere Möbel sorgfältig mit ausländischen Zeitungen, für den Fußboden verwendete er die »Jerusalem Post«. Als nächstes stellten sie eine buntfarbene Holzleiter auf, banden sich Taschentücher vor den Mund, gegen den Staub, kratzten drei Wände und die halbe Decke ab und verschwan­den.

Es verschwanden allerdings nur Goldstein und Mahmud, nicht die Leiter, nicht die Zeitungen und nicht der Staub unter unseren Füßen. Anfangs dachten wir, daß die beiden Raum­pfleger nur weggegangen wären, um Farbe oder etwas Ähnli­ches zu kaufen, aber nach drei Tagen wurden wir doch ein wenig nervös. Es ist schwer, in einem mit Zeitungspapier ta­pezierten Zimmer zu schlafen und beim Aufstehen sofort in knöcheltiefem Staub zu versinken, den wir nämlich auf Gold­steins ausdrückliche Anordnung nicht wegkehren durften, weil er - der Sand, nicht Goldstein - einen natürlichen Schutz gegen herabtropfende Farbe darstellt. Aber es tropfte keine Farbe, und es war kein Goldstein zu sehen.

»Und er hat einen so soliden Eindruck gemacht...« Die beste Ehefrau von allen schüttelte den staubigen Kopf. »Ich hätte ihm das niemals zugetraut.«

Sie ging zu den Seeligs hinüber und fand deren Wohnung in gleichem Zustand wie die unsere: verwaiste Leitern, verein­samte Eimer, viel Staub und weder Goldstein noch Mahmud. Die beiden hatten auch bei Seeligs nur einen halben Tag gear­beitet, und Mahmud hatte sein bevorstehendes Verschwinden vorsorglich durch die Anfrage getarnt, ob er am Morgen im­mer ein Glas Milch haben könnte, er sei daran gewöhnt und danke im voraus. Seither fehlt von ihm und Goldstein jede Spur.

Die Seeligs besuchten letzten Samstag die mit ihnen be­freundete Familie Friedländer in Ramat-Gan und wurden gleich beim Eingang von einer alleinstehenden Leiter begrüßt. Sie ersetzte die Aufschrift »Goldstein war hier«. Allem An­schein nach hatte er seine dortige Arbeit unmittelbar nach seinem Abgang von uns aufgenommen. Einige Tage später erschien Mahmud mit der Mitteilung, daß ihre beiden Frauen, Goldsteins und die seine, sich im Krankenhaus befänden. Das war das letzte, was man von ihnen sah.

»Ephraim«, erklärte die beste Ehefrau von allen, »wir haben es mit zwei Verrückten zu tun.«

Es mußte eine sonderbare Verrücktheit sein, eine Art Sprach­fehler vielleicht: Die beiden konnten nicht nein sagen. Nach­forschungen in unserer näheren Umgebung ergaben nicht we­niger als acht Goldstein-Mahmud-Spuren. Die beiden emsigen Handwerker nahmen ganz einfach jeden Auftrag an, erschie­nen überall pünktlich, stellten ihre Leiter hin, schabten hier ein wenig Material ab, klatschten dort ein wenig Material an und machten sich auf die Suche nach neuen Jagdgründen. Eine Familie im nächsten Häuserblock hatte drei Monate in einer Wüstenei von Farbtöpfen und Mörtel gelebt, ehe Goldstein eines Abends plötzlich auftauchte, die Wände betastete, mit dem Ausruf: »Trocken!« einen anderen Arbeitskittel anzog und für weitere sechs Monate verschwand. Er hat viele Kun­den, Schlomo Goldstein. Eine Adresse läßt er niemals zurück. Er gehört zu jenem Typus, der immer sagt:

»Nein, Sie brauchen mich nicht anzurufen, ich rufe Sie an.«

Mahmud sagt gar nichts und glotzt stumm vor sich hin, wäh­rend er die Farbe umrührt und Zigarettenstummel raucht.

Die beiden beherrschen ihr Handwerk, daran besteht kein Zweifel. Niemand ist so gut wie Goldstein, vorausgesetzt, daß er kommt. Seine Spezialität sind Türen und Schwellen. Leider pflegt er die Türen zum Trocknen immer über zwei Stühle zu legen, aber man kann ja schließlich auf ihnen sitzen, sobald sie getrocknet sind. Zahlreiche Goldstein-Kunden speisen seit Monaten auf horizontalen Türen.

Vor ein paar Tagen besuchten wir die Spiegels. Sie hatten für die Ecke ihres Salons ein sehr geschmackvolles Leiter- und Eimer-Arrangement gefunden, das ein wenig an Pop-Art erin­nerte.

Natürlich sprachen wir über die Welt des Schlomo Goldstein und einigten uns darauf, daß er ein netter, freundlicher Zeitge­nosse sei. Ein wenig müde, nicht? Das schon, aber er ist ja auch ständig unterwegs. Wie bewegt er sich eigentlich? Wo­mit? Wann? Niemand hat ihn je unterwegs gesehen. Er ist plötzlich da, komplett mit Leiter und Mahmud.

»Vielleicht lebt er in einem Wohnwagen«, erwog Fried­länder. »Das macht ihn so beweglich.«

Ein von Goldstein Aufgesuchter und wieder Verlassener war einmal von der Polizei aufgefordert worden, ihn zu Identifizie­rungszwecken zu beschreiben, und mußte ablehnen. Er konnte sich nur an das Taschentuch vor Goldsteins Mund erinnern und brachte ihn damit vorübergehend in den gänzlich unge­rechtfertigten Verdacht, einen Raubüberfall geplant zu haben. Nichts liegt Goldstein ferner. Er erscheint zwar überfallartig, aber er raubt nicht. Im Gegenteil, er läßt etwas zurück: Leitern,

Eimer, Zeitungspapier.

Die Zahl der Goldstein-Opfer beträgt derzeit etwas über hun­dert. Wir haben uns zu einem Verein mit dem Titel »Die Ritter der Türtafelrunde« zusammengeschlossen. Unser Doyen ist ein angesehener Schriftsteller. Er wartet auf Goldsteins Wie­derkunft bereits seit achtzehn Monaten, das geht aus dem Da­tum der bei ihm zurückgelassenen Zeitungen klar hervor.

Zu unseren Diskussionsthemen gehört die Frage, wovon Goldstein lebt und wo er so viele Leitern her hat.

Wir kamen überein, daß er einen Computer haben muß, sonst hätte er längst den Überblick verloren. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er von Vorschüssen.

Nachforschungen unseres Exekutivkomitees ergaben, daß Goldstein an einem für ihn typischen Arbeitsmorgen gleichzei­tig in sieben Wohnungen erschienen war, eine davon im nörd­lichen Nazareth. Angeblich wurde auch Mahmud beim Aus­heben einer Türe in Galiläa gesichtet, während er am Strand Ping-Pong spielte.

Da es mir immer schwerer fiel, mich an ein Leben zwischen Eimern und alten Zeitungen zu gewöhnen, stellte ich in unse­rer letzten Vorstandssitzung den Antrag, Goldstein durch sy­stematische Suchaktionen stellig zu machen. Unsere Mitglie­der sollten miteinander ständig Kontakt halten, zum Teil durch Sprechfunkgeräte, und sobald Goldstein irgendwo aufkreuzte, würden wir ihn mit Suchhunden einkreisen. Friedländer, der über einen kräftigen Bariton verfügt, wurde mit dem Zuruf beauftragt:

»Sie sind umzingelt, Goldstein! Widerstand ist zwecklos! Er­geben Sie sich!«

In den anschließenden Verhandlungen wird Goldstein natür­lich versuchen, sich durch die Zusage, morgen ganz bestimmt zu erscheinen, aus der Schlinge zu ziehen. Aber darauf gehen wir nicht ein. Wir schicken ihm einen Wagen mit Chauffeur. Goldstein windet sich. Er bietet uns Mahmud als Geisel an. Nichts da! Njet und abermals njet. Er braucht Terpentin? Wir werden es zu seiner Arbeitsstätte schaffen.

Am Abend bekommt er zwei Glas Milch, eines für Mahmud. Und übernachten muß er im Badezimmer...

Träumereien. Leere Phantasmagorien. Wenn wir das Haus, in dem wir Goldstein entdeckt haben, endlich stürmen, ist Gold­stein verschwunden. Wahrscheinlich stellt er gerade an der Schwelle eines Wohnzimmers in Herzlia seine Leiter auf. Und Mahmud beginnt im Farbtopf zu rühren.

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