Lediglich unter Marssegeln und Klüver — alle anderen Segel waren aufgegeit — glitt die Destiny langsam über das tiefblaue Wasser von Rios äußerer Reede. Es war drückend heiß und kaum genug Wind, um mehr als ein leichtes Kräuseln unter dem Bug hervorzurufen, doch Bolitho spürte die Aufregung und Neugier an Bord, als sie sich den geschützten Ankerplätzen näherten.
Selbst der abgebrühteste Seemann konnte nicht abstreiten, daß der Anblick, der sich ihnen bot, majestätisch war. Sie hatten die Küste aus dem Morgennebel emporwachsen sehen, und nun lag sie ausgebreitet zu beiden Seiten vor ihnen, als wolle sie das Schiff umarmen. So etwas wie Rios großen Bergkegel hatte Bolitho noch nie gesehen. Er machte alle anderen zu Zwergen. Und dahinter gab es — verstreut zwischen üppig grünen Wäldern — weitere Hügel, die mit ihren steilen Gipfeln wie zu Stein erstarrte Wellen aussahen. Helle Strände, schäumende Brandung, und eingebettet zwischen Hügeln und Meer die Stadt; weiße Häuser, kantige Türme und nickende Palmen — welch ein Gegensatz zum Englischen Kanal!
An Backbord entdeckte Bolitho die erste Festungsbatterie unter der portugiesischen Flagge, die nur gelegentlich etwas auswehte und dann im harten Sonnenlicht zu erkennen war. Rio war gut befestigt und besaß genügend Batterien, um auch die kühnsten Angreifer abzuschrecken.
Dumaresq musterte die Stadt und die vor Anker liegenden Schiffe durch ein Fernglas. Er sagte:»Fallen Sie einen Strich ab.«»Kurs West-Nord-West, Sir!»
Palliser schaute auf seinen Kommandanten.»Ein Wachboot nähert sich.»
Dumaresq lächelte knapp.»Der fragt sich bestimmt, was, zum Te u-fel, wir hier wollen.»
Bolitho zupfte sein Hemd von der schweißnassen Haut ab und beneidete die halbnackten Matrosen, die nicht wie die Offiziere in GalaUniformen schwitzen mußten.
Mr. Vallance, der Oberfeuerwerker, musterte bereits die ausgesuchten Geschützbedienungen, um sicherzustellen, daß beim Flaggensalut nichts schiefging.
Bolitho fragte sich, wie viele unsichtbare Augen wohl die langsame Annäherung der englischen Fregatte beobachteten. Ein Kriegsschiff! Was wollte es? Kam es in friedlicher Absicht oder mit Nachrichten über einen weiteren Vertragsbruch in Europa?
«Fangen Sie an mit dem Salut!»
Geschütz für Geschütz krachten die Salutschüsse. In der drückenden Luft blieb der Pulverqualm auf dem Wasser liegen und nahm ihnen die Sicht auf das Land.
Das portugiesische Wachboot hatte mit einigen kräftigen Ruderschlägen um seine ganze Länge gedreht. Es sah aus wie ein großer Wasserkäfer.
Jemand bemerkte:»Er will uns hineinlotsen.»
Die letzte Kanone rollte beim Abschuß zurück, und die Bedienungen beeilten sich mit dem Auswischen der noch rauchenden Rohre und dem Festzurren jeder Waffe, als endgültiges Zeichen ihrer friedlichen Absicht.
Eine Gestalt auf dem Wachboot schwenkte eine Flagge, und als sich die langen Riemen tropfend aus dem Wasser hoben und so verharrten, bemerkte Dumaresq trocken:»Nicht zu weit hinein, Mr. Palliser. Sie trauen uns noch nicht ganz.»
Palliser hob das Sprachrohr an den Mund:»Klar zum Ankern! An die Brassen, Fallen und Schoten!»
Nach festgelegtem Plan eilten die Matrosen und Maaten auf ihre Stationen.
«Los die Schoten!«Pallisers Stimme scheuchte die Möwen auf, die sich nach den Salutschüssen gerade wieder auf dem Wasser niedergelassen hatten.»Gei auf die Marssegel! Laß fallen Klüver!»
Dumaresq sagte:»Es ist soweit, Mr. Palliser. Ankern!«»Ruder nach Luv!«[7]
Langsam drehte die Destiny in den Wind und verlor dabei an Fahrt.»Laß fallen Anker!»
Das Wasser spritzte auf, als der große Anker fiel, während oben auf den Marsrahen die Matrosen auslegten und die Segel aufholten und festbanden, als ob eine unsichtbare Hand sie wie Marionettenfiguren bewegte.
«Klar zum Aussetzen der Gig und des Kutters!»
Nackte Füße stampften über die heißen Decks, während die Destiny sich, jetzt an ihrer Ankertrosse hängend, in der Dünung des Ozeans wiegte.
Dumaresq verschränkte die Hände hinter dem Rücken.»Rufen Sie bitte das Wachboot längsseit. Ich werde an Land gehen und dem Vizekönig einen Höflichkeitsbesuch abstatten. Am besten erledigt man solch unangenehme Dinge möglichst bald. «Er nickte Gulliver und seinen Leuten am Ruder zu.»Gut gemacht!»
Gulliver suchte im Gesicht des Kommandanten nach einem Hintergedanken. Als er nichts dergleichen fand, antwortete er dankbar:»Es ist das erstemal, daß ich hier als Master einlaufe, Sir.»
Ihre Blicke trafen sich. Wäre der Zusammenstoß nicht so glimpflich ausgegangen, wäre es für beide das letztemal gewesen.
Bolitho war mit seinen Leuten bei der Arbeit und hatte keine Zeit zu beobachten, wie die portugiesischen Offiziere an Bord kamen. Sie sahen in ihren stolzen Uniformen prachtvoll aus und litten offenbar nicht unter der Hitze. Die Stadt lag nun fast verborgen in Dunst und flimmerndem Licht, was ihr zusätzlichen Zauber verlieh.
Dazu tragen auch die hell gestrichenen Häuser und die malerischen Boote bei, die wie arabische Handelsschiffe getakelt waren, wie Bo-litho sie oft an der Küste Afrikas gesehen hatte.
«Lassen Sie die Wache wegtreten, Mr. Bolitho. «Pallisers scharfe Stimme holte Bolitho in diese Welt zurück.»Und dann halten Sie sich mit dem Kommando der Seesoldaten bereit, den Kommandanten an Land zu begleiten.»
Dankbar verschwand Bolitho unter Deck und begab sich nach achtern. Im Gegensatz zum Oberdeck war es hier fast kühl.
Im Halbdunkel stieß er beinahe mit dem Schiffsarzt zusammen, der gerade vom Hauptdeck hochkam. Er schien ungewöhnlich erregt und sagte:»Ich muß den Kommandanten sprechen. Ich fürchte, der Kapitän der Brigantine stirbt.»
Bolitho ging durch die Messe in seine Kammer, um seinen Säbel und seinen besten Hut für den Landgang zu holen.
Sie hatten bisher wenig über den Kapitän der Heloise erfahren, außer daß er Jacob Triscott hieß und aus Dorset stammte. Wie Bulkley schon festgestellt hatte, bot es keinen besonderen Anreiz, am Leben zu bleiben, daß der Strick des Henkers auf einen wartete. Bolitho merkte, wie die Neuigkeit ihn berührte. Daß man einen Mann in Notwehr oder in Erfüllung seines dienstlichen Auftrags tötete, damit mußte man rechnen. Aber nun sollte der Mann, der versucht hatte, ihn niederzustechen, nach längerem Krankenlager sterben. Die Verzögerung schien ihm würdelos und unfair.
Rhodes stürzte hinter ihm in die Messe.»Ich bin am Verdursten! All diese Besucher an Bord, ich bin völlig geschafft!»
Als Bolitho aus seiner Kammer trat, rief Rhodes aus:»Was ist mit Ihnen los?»
«Der Kapitän der Brigantine stirbt.»
«Ich weiß. «Er zuckte die Achseln.»Er oder Sie. Nur so sollten Sie es betrachten. «Er fügte hinzu:»Der >Herr und Meister< ist davon am meisten betroffen. Er hatte auf die Information gesetzt, die er von dem Schurken bekommen wollte, bevor er den letzten Atemzug tat. So oder so.»
Er folgte Bolitho durch den Türvorhang, und zusammen schauten sie nach vorn in das flirrende Licht auf dem Oberdeck.
Rhodes fragte:»Hat sich schon etwas mit Jurys Uhr ergeben?»
Bolitho lächelte grimmig.»Der Kommandant hat befohlen, daß ich mich darum kümmere.»
«Das habe ich erwartet.»
«Ich nehme an, er hat es inzwischen vergessen, aber ich muß etwas unternehmen. Jury hat schon Pech genug gehabt.»
Johns, der Bootssteurer des Kommandanten, ging in seinem besten blauen Jackett mit vergoldeten Knöpfen vorbei. Er sah Bolitho und sagte:»Die Gig liegt längsseit, Sir. Sie sollten einsteigen.»
Rhodes klopfte Bolitho auf die Schulter.»Unser Kommandant hat es nicht gern, wenn man ihn warten läßt.»
Als Bolitho sich anschickte, dem Bootssteurer zu folgen, sagte Rho-des leise:»Hören Sie, Dick, wenn es Ihnen recht ist, daß ich etwas wegen dieser verdammten Uhr unternehme, während Sie an Land…»
Bolitho schüttelte den Kopf.»Nein, aber vielen Dank. Der Dieb gehört sicherlich zu meiner Division. Doch jeden Mann zu durchsuchen und seine Habseligkeiten an Deck auszubreiten, würde das Vertrauen und die Loyalität ruinieren, die ich in dieser kurzen Zeit gewinnen konnte. Ich muß mir etwas anderes ausdenken.»
Rhodes sagte:»Ich hoffe, der junge Jury hat seinen Zeitmesser nur verloren. Ein Verlust wäre besser als ein Diebstahl.»
Sie verstummten, als sie sich auf der Steuerbord-Laufbrücke dem Fallreep näherten, wo eine Korporalschaft der Seesoldaten und die Fallreepsgasten angetreten waren, um ihrem Kommandanten die traditionellen Ehren beim Vonbordgehen zu erweisen.
Aber Dumaresq stand breitbeinig da, den Kopf vorgestreckt, und schrie den Schiffsarzt an:»Nein, mein Herr, er darf nicht sterben! Nicht bevor ich die Information habe!»
Bulkley hob hilflos die Hände.»Aber der Mann ist schon halb hinüber, Sir. Ich kann nichts mehr machen.»
Dumaresq schaute auf die wartende Gig und den Kutter hinunter, der mit Colpoys' Begleitkommando beladen war. Er wurde in der Residenz des Vizekönigs erwartet. Eine Verspätung würde Verstimmungen zur Folge haben, die er gerade jetzt vermeiden mußte, weil er das Entgegenkommen der Portugiesen brauchte.
Er wandte sich abrupt zu Palliser um.»Verdammt, machen Sie das. Sagen Sie diesem Halunken Triscott, daß ich — wenn er Einzelheiten über seine Mission und seinen Bestimmungsort preisgibt — einen Brief an seine Heimatgemeide in Dorset schicken werde. Ich will dafür sorgen, daß er als ehrenwerter Mann in Erinnerung bleibt. Machen Sie ihm klar, was das für seine Familie und seine Freunde bedeutet. «Er bemerkte Pallisers zweifelnde Miene.»Herrgott noch mal, Mr. Palli-ser, denken Sie sich was aus. Verstanden?»
Palliser fragte sanft:»Und wenn er mir ins Gesicht spuckt?»
«Dann lasse ich ihn hier in aller Öffentlichkeit aufknüpfen. Mal sehen, was seine Familie dazu sagt.»
Bulkley trat vor.»Langsam, meine Herren. Der Mann liegt im Sterben und kann keinem mehr schaden.»
«Gehen Sie hinunter und tun Sie, was ich gesagt habe. Das ist ein Befehl. «Dumaresq drehte sich zu Palliser um.»Lassen Sie von Mr. Timbrell ein Jolltau an der Nock der Großrah anschlagen. Ich werde den Schurken persönlich daran hängen, ob er im Sterben liegt oder nicht, wenn er sich weigert, uns zu helfen.»
Palliser folgte dem Kommandanten zum Fallreep.»Es muß eine unterschriebene Erklärung sein, Sir. «Er nickte, wie um es zu bestätigen.»Ich werde einen Zeugen hinzuziehen, der seine Worte protokolliert.»
Dumaresq lächelte verkniffen.»Guter Mann! Sie machen das schon. «Er sah Bolitho und fuhr ihn an:»In die Gig mit Ihnen! Jetzt wollen wir den Vizekönig besuchen.»
Als das Boot frei von der Bordwand war, drehte Dumaresq sich um und musterte sein Schiff, wozu er die Augen wegen der starken Sonnenspiegelung zukneifen mußte.
«Bulkley ist ein guter Arzt, aber manchmal benimmt er sich wie ein altes Weib. Wir sind nicht zur Erholung hier, sondern um einen verschollenen Schatz zu bergen.»
Bolitho versuchte, seine Haltung zu ändern, da die Ducht, auf die er sich seinem Kommandanten gegenüber gesetzt hatte, kochend heiß war.
Der vertrauliche Ton Dumaresqs ermutigte ihn zu der Frage:»Gibt es wirklich einen Schatz, Sir?«Er sprach dabei so leise, daß der Schlagmann ihn nicht verstehen konnte.
Dumaresq packte seinen Säbelgriff fester und starrte auf das Land.
«Es gibt ihn irgendwo, das weiß ich. In welcher Form, bleibt herauszufinden. Aber dafür sind wir hier. Aus diesem Grund besuchte ich auch meinen alten Freund auf Madeira. Aber irgend etwas Unfaßbares geht im Hintergrund vor sich. Deshalb wurde mein Schreiber ermordet. Deswegen trieb die Heloise ihr gefährliches Spiel und versuchte, uns zu folgen. Und nun erwartet der arme Bulkley von mir, daß ich ein Gebet für einen Schurken lese, der vielleicht den Schlüssel zu allem besitzt; für einen Mann, der beinahe meinen jungen, sentimentalen Dritten Offizier getötet hätte. «Er wandte sich Bolitho zu und sah ihn merkwürdig an.»Sind Sie immer noch aufgebracht wegen Jurys Uhr?»
Bolitho schluckte. Der Kommandant hatte es tatsächlich nicht vergessen.
«Sobald wir zurück sind, werde ich die Sache in die Hand nehmen,
Sir.»
«Hm. Machen Sie keine zu große Affäre daraus. Wenn ein Verbrechen geschehen ist, muß der Schuldige bestraft werden — streng. Aber diese armen Burschen besitzen kaum einen Heller. Ich möchte sie nicht alle gedemütigt sehen wegen eines gemeines Diebes, obwohl Gott weiß, daß viele von ihnen auf die Weise begannen. «Dumaresq hob weder die Stimme, noch schaute er seinen Bootssteurer an.»Sehen Sie mal zu, was Sie da machen können, Johns.»
Mehr sagte er nicht, doch Bolitho spürte, daß es ein starkes Band zwischen dem Kommandanten und seinem Bootssteurer gab.
Dumaresq schaute zur Landungsbrücke. Da standen weitere Uniformierte und einige Pferde. Auch eine Kutsche wartete, um die Besucher zur Residenz zu bringen.
Dumaresq spitzte die Lippen.»Sie werden mich begleiten, Mr. Bo-litho. Dabei können Sie etwas lernen. «Er kicherte in sich hinein.»Als das Schatzschiff, die Asturias, vor dreißig Jahren das Gefecht abbrach, soll sie hinterher in Rio eingelaufen sein. Es wurde außerdem behauptet, daß die portugiesischen Behörden eine Hand mit im Spiel hatten, als die Goldbarren verschwanden. «Jetzt setzte er ein breites Lächeln auf.»Sicherlich sind einige Leute auf der Pier besorgter, als ich es im Augenblick bin.»
Der Bugmann hob seinen Bootshaken, und bei» Riemen hoch!«legte die Gig ohne den leisesten Stoß an der Landungstreppe an.
Dumaresqs Lächeln war verschwunden.»So, nun wollen wir sehen. Ich möchte so bald wie möglich zurückfahren und hören, welchen Erfolg Mr. Pallisers Überredungskünste gehabt haben.»
Oberhalb der Treppe nahm die in einer Reihe angetretene Gruppe von Colpoys' Seesoldaten Haltung an; ihre Gesichter hatten durch die brennende Sonne die rote Farbe ihrer Röcke angenommen. Ihnen gegenüber, in weißen Waffenröcken mit leuchtend gelben Aufschlägen, stand eine Korporalschaft portugiesischer Soldaten.
Dumaresq grüßte mit dem Hut und schüttelte die Hände verschiedener Würdenträger, während Begrüßungsfloskeln getauscht und übersetzt wurden. Bolitho war überrascht über die große Zahl schwarzer Gesichter in der Zuschauermenge. Sicher waren das Sklaven und Bedienstete von den großen Besitzungen und Plantagen, über Tausende von Meilen verschleppt, um, wenn sie Glück hatten, von einem freundlichen Dienstherrn gekauft zu werden. Wenn sie Pech hatten, lebten sie nicht mehr sehr lange.
Schließlich kletterte Dumaresq mit drei Portugiesen in die Kutsche, während die anderen Herren ihre Pferde bestiegen.
Colpoys steckte seinen Säbel in die Scheide, warf einen Blick auf die Residenz des Vizekönigs am Hang eines üppig bewachsenen Hügels und stöhnte:»Wir müssen marschieren, verflixt noch mal. Ich bin aber Seesoldat und kein dämlicher Infanterist.»
Bis sie das prächtig aussehende Gebäude erreicht hatten, war Bo-litho völlig durchgeschwitzt. Während die Seesoldaten von einem Diener hinter das Gebäude geführt wurden, durften Bolitho und Col-poys in einen hohen Raum treten, dessen eine Seite sich zur See und zu einem Garten mit leuchtenden Blumen und schattenspendenden Palmen öffnete.
Weitere Diener brachten auf leisen Sohlen unauffällig Stühle und Wein für die beiden Offiziere, und über ihren Köpfen begann ein großer Fächer hin und her zu wedeln. Colpoys streckte die Beine von sich und trank genüßlich den Wein.»Süß wie das Halleluja in der Kirche.»
Bolitho lächelte. Die portugiesischen Beamten, Militärs und Kaufleute lebten offenbar gut. Sie mußten sich lediglich an die Hitze gewöhnen und gegen das Fieber und sonstige Krankheiten widerstandsfähig werden. Aber die Reichtümer des wachsenden Imperiums waren so groß, daß man sie nicht einmal schätzen konnte: Silber, Edelsteine, seltene Metalle und riesige Flächen mit gut gedeihenden Zuckerrohrplantagen, die wiederum ganze Armeen von Sklaven benötigten, um die Forderungen des fernen Lissabon zu erfüllen.
Colpoys setzte sein Glas ab und stand auf. In der Zeit, die sie für ihren Marsch von der Pier hierher benötigt hatten, war Dumaresq offenbar mit seinen Geschäften fertig geworden. Doch als er aus einem Bogengang erschien, entnahm Bolitho seinem Gesichtsausdruck, daß er alles andere als zufrieden war.
Dumaresq sagte:»Wir wollen zurück zum Schiff.»
Die Verabschiedungszeremonie fand gleich in der Residenz statt. Bolitho erfuhr, daß der Vizekönig nicht in Rio war, aber zurückkehren würde, sobald ihn die Nachricht vom Besuch der Destiny erreichte.
Dumaresq erklärte das Notwendigste, als sie hinaus ins Sonnenlicht traten, wobei er als Antwort für die salutierende Wache die Hand an den Hut legte. Mit seiner sonoren Stimme knurrte er:»Er besteht darauf, daß ich seine Rückkehr abwarte. Aber ich bin doch nicht von gestern, Bolitho. Diese Leute sind zwar unsere ältesten Verbündeten, aber einige davon sind halbe Piraten. Also, ob der Vizekönig nun kommt oder nicht: wenn die Heloise erst zu uns gestoßen ist, werde ich schleunigst Anker lichten.»
Zu Colpoys sagte er:»Führen Sie Ihre Leute zurück. «Als die scharlachroten Röcke in einer Staubwolke abmarschierten, kletterte Duma-resq in die Kutsche.»Sie kommen mit mir, Mr. Bolitho. Wenn wir die Pier erreichen, möchte ich, daß Sie eine Nachricht für mich überbringen. «Er zog einen schmalen Briefumschlag aus seinem Rock.»Ich rechne immer mit dem Schlimmsten und habe deshalb dies hier vorbereitet. Der Kutscher wird Sie hinfahren, und ich zweifle nicht daran, daß die Nachricht von Ihrem Besuch innerhalb einer Stunde in der ganzen Stadt herum ist. «Er lächelte grimmig.»Der Vizekönig ist nicht der einzige Schlaukopf.»
Als sie mit klappernden Hufen hinter Colpoys und seinen schwitzenden Seesoldaten herfuhren, ergänzte Dumaresq noch:»Nehmen Sie einen Mann mit, als persönlichen Schutz. Ich sah diesen ehemaligen Preisboxer im Kutter. Stockdale heißt er wohl. Nehmen Sie den mit.»
Bolitho wunderte sich. Wie war es möglich, daß Dumaresq so viele Dinge auf einmal im Kopf behielt? Da draußen lag ein Mann im Sterben, und auch Pallisers Leben war vielleicht bald nicht mehr lebenswert, wenn es ihm nicht gelang, die Informationen zu bekommen. Dann war da irgendwo in Rio jemand, der mit den verschwundenen Goldbarren in Verbindung stand, aber nicht der, zu dem Bolitho Du-maresqs Brief bringen sollte. Schließlich waren da das Schiff, seine
Besatzung und die gekaperte Heloise, dazu Tausende von Meilen Fahrt, ehe sie wissen konnten, ob sie Erfolg hatten oder nicht. Für einen Kapitän von achtundzwanzig Jahren trug Dumaresq wahrlich eine große Bürde. Im Vergleich dazu war die Angelegenheit von Jurys verschwundener Uhr recht unbedeutend.
Ein schlankes, schwarzhaariges Halbblutmädchen mit einem Korb voller Früchte auf dem Kopf blieb stehen und schaute ihnen nach, als die Kutsche vorbeifuhr. Ihre nackten Schultern hatten die Farbe von Honig, und sie warf ihnen einen kecken Blick zu, als sie merkte, daß die beiden Offiziere sie bewundernd ansahen.
Dumaresq sagte:»Ein schönes Mädchen. Und eine schönere Bugverzierung habe ich noch nie gesehen. Es würde das Risiko lohnen, sie umzulegen.»
Bolitho wußte nicht, was er sagen sollte. Er war derbe Kommentare von Matrosen gewöhnt, aber aus Dumaresqs Mund klang es vulgär und seiner nicht würdig.
Dumaresq sagte nichts mehr, bis die Kutsche hielt. Dann:»Machen Sie, so schnell Sie können. Ich beabsichtige, morgen Trinkwasser zu übernehmen, und bis dahin ist noch eine Menge zu erledigen. «Er verschwand in der Gig.
Bolitho dirigierte den Kutscher zu der auf dem Umschlag stehenden Adresse. Stockdale saß ihm gegenüber und füllte die halbe Kutsche aus.
Dumaresq hatte an alles gedacht. Bolitho oder ein anderer Fremder hätten angehalten und ausgefragt werden können, aber die Kutsche mit dem Wappen des Vizekönigs auf der Tür hatte überall freie Fahrt.
Das Haus, vor dem die Kutsche schließlich hielt, war ein niedriges Gebäude, von einer dicken Mauer umgeben. Bolitho hielt es für eines der ältesten Häuser Rios. Es besaß den zusätzlichen Luxus eines großen Gartens und einer gepflegten Auffahrt.
Ein farbiger Diener empfing Bolitho ohne das geringste Zeichen von Überraschung und führte ihn in eine große, kreisrunde Eingangshalle, in der Marmorvasen voll Blumen standen, wie Bolitho sie auch im Garten gesehen hatte, und einige Plastiken, die in ihren Nischen wie verliebte Wachtposten in Schilderhäuschen wirkten.
Bolitho blieb in der Mitte der Halle zögernd stehen, ungewiß, was er als nächstes tun solle. Ein weiterer Diener ging vorbei, schaute auf irgendeinen fernen Punkt und ignorierte den Brief in Bolithos Hand.
Stockdale grollte.»Ich werde die Burschen auf Trab bringen, Sir!»
Eine Tür öffnete sich geräuschlos, und Bolitho bemerkte einen schmächtig gebauten Mann in weißer Kniehose und plissiertem Hemd, der ihn musterte.
Er fragte:»Sind Sie vom Schiff?»
Bolitho staunte, denn der Mann war Engländer.»Ja, Sir. Ich bin Leutnant Richard Bolitho von Seiner Britannischen.»
Der Mann trat mit ausgestreckter Hand näher und begrüßte ihn.
«Ich kenne den Names des Schiffes, Leutnant. Ganz Rio kennt ihn inzwischen.»
Er führte ihn zu einem von Bücherregalen umsäumten Raum und bot ihm einen Stuhl an. Als die Tür von einem unsichtbaren Bediensteten geschlossen wurde, sah Bolitho, daß Stockdale auf dem gleichen Platz stand, wo er ihn verlassen hatte, bereit, ihn zu beschützen und — wenn er irgendeinen Verdacht schöpfte — das Haus Stein für Stein niederzureißen.
«Mein Name ist Jonathan Egmont. «Der Hausherr lächelte höflich.»Das wird Ihnen nichts sagen, denn Sie sind noch sehr jung für Ihren Rang.»
Bolitho ließ die Arme auf den Stuhllehnen ruhen. Es war ein schön geschnitzter Lehnstuhl, er mußte hier — wie das ganze Haus — schon lange stehen.
Eine weitere Tür öffnete sich, und ein Diener wartete darauf, daß Egmont ihn bemerkte.»Etwas Wein, Leutnant?»
Bolithos Mund war wie ausgedörrt.»Ein Glas würde ich gern annehmen, Sir.»
«Ruhen Sie sich aus, während ich lese, was Ihr Kommandant mir mitzuteilen hat.»
Bolitho sah sich im Raum um, als Egmont zu einem Tisch hinüberging und Dumaresqs Brief mit einem goldenen Stilett aufschlitzte. Rundherum Bücher über Bücher, und auf dem Boden einige wertvolle Teppiche. Es war schwierig, Einzelheiten zu erkennen, weil seine Augen noch vom Sonnenlicht geblendet waren; außerdem waren die
Fenster so dicht verhängt, daß es fast zu dunkel war, um den Gastgeber näher zu betrachten. Ein intelligentes Gesicht, dachte Bolitho. Der Mann schien um die Sechzig zu sein, aber die Menschen in diesem Klima alterten schneller. Es war schwierig zu erraten, was Egmont hier tat und wie Dumaresq ihn entdeckt hatte.
Egmont legte den Brief sorgsam auf den Tisch und schaute zu Bo-litho hinüber.
«Ihr Kommandant hat Ihnen nichts über den Inhalt erzählt?«Er sah Bolithos Gesichtsausdruck und schüttelte den Kopf.»Nein, natürlich nicht. Es war falsch, Sie danach zu fragen. «Bolitho sagte:»Er befahl mir, den Brief unverzüglich zu überbringen. Das ist alles.»
«Verstehe. «Einen Augenblick schien er unsicher, sogar besorgt. Dann sagte er:»Ich werde tun, was ich kann. Es wird selbstverständlich einige Zeit dauern, aber da der Vizekönig nicht in der Residenz ist, wird Ihr Kommandant sicherlich noch bleiben.»
Bolitho öffnete den Mund, schloß ihn aber wieder, als die Tür sich öffnete und eine Frau mit einem Tablett eintrat. Er sprang auf und schämte sich sogleich seines zerknitterten Hemdes und seiner schweißverklebten Haare. Denn er kam sich wie ein Vagabund vor im Vergleich zu dieser Gestalt; sie war das schönste Wesen, das er je gesehen hatte.
Ganz in Weiß gehalten war ihr Gewand, in der Taille durch einen schmalen goldenen Gürtel zusammengerafft. Ihr Haar glänzte pechschwarz wie seines und fiel, obwohl im Nacken durch ein Band gebändigt, üppig auf ihre Schultern, deren Haut wie Seide glänzte.
Sie musterte ihn vom Scheitel bis zur Sohle, wobei sie den Kopf leicht auf die Schulter neigte.
Egmont war aufgestanden und sagte förmlich:»Das ist meine Frau, Leutnant Bolitho.»
Bolitho verbeugte sich.»Es ist mir eine Ehre, Madam. «Er wußte nicht, was er weiter sagen sollte. Ihre Erscheinung bewirkte, daß er sich unbeholfen vorkam und unfähig, auch nur einen Satz herauszubringen; aber auch sie hatte noch nichts zu ihm gesagt.
Sie setzte das Tablett auf einen Tisch und hielt ihm die Hand entgegen.
«Seien Sie uns willkommen hier, Leutnant. Sie dürfen meine Hand küssen.»
Bolitho ergriff die Hand, fühlte ihre weiche Haut und roch ihr Parfüm, das ihm vollends den Kopf verdrehte.
Ihre Schultern waren nackt, und trotz des Zwielichts im Raum sah er, daß sie violette Augen hatte. Sie war schön, ja, mehr als das. Auch ihre Stimme, als sie ihm die Hand geboten hatte, war aufregend. Wie kam es, daß sie Egmonts Frau war? Sie mußte beträchtlich jünger sein, Spanierin oder Portugiesin, gewiß keine Engländerin. Bolitho hätte sich nicht gewundert, wenn sie direkt vom Mond heruntergestiegen wäre.
Er stammelte:»Richard Bolitho, Madam.»
Sie trat einen Schritt zurück und hielt eine Hand vor den Mund. Dann lachte sie.»Bo-li-tho! Ich glaube, es ist leichter für mich, wenn ich Sie nur mit >Leutnant< anrede. «Ihr Gewand schwang herum, als sie sich ihrem Mann zuwandte.»Später, denke ich, darf ich Sie einfach Richard nennen.»
Egmont sagte:»Ich werde einen Brief schreiben, den Sie mitnehmen können, Leutnant. «Er schien hinter seine Frau, ja, durch sie hindurchzuschauen, als ob sie nicht da wäre.»Ich werde tun, was ich kann.»
Sie wandte sich wieder Bolitho zu.»Bitte kommen Sie uns besuchen, so lange Sie in Rio sind. «Sie deutete einen kleinen Knicks an, und ihre Augen ruhten dabei auf seinem Gesicht. Dann sagte sie mit weicher Stimme:»Ich habe mich gefreut, Sie kennenzulernen.»
Dann war sie verschwunden, und Bolitho sank in seinen Stuhl, als ob ihm die Beine weggezogen worden wären.
Egmont sagte:»Es wird einen Augenblick dauern. Genießen Sie den Wein, während ich Tinte und Papier hole.»
Schließlich war es geschafft, und als Egmont den Umschlag mit feuerrotem Siegellack verschloß, bemerkte er kühl:»Erinnerungen wirken lange nach. Ich lebe hier nun schon viele Jahre und war nur selten — außer in geschäftlichen Angelegenheiten — verreist. Und dann kommt eines Tages ein Schiff des Königs, befehligt von dem Sohn eines Mannes, der mir einst sehr nahestand, und plötzlich ist alles verändert. «Er hielt ihm den Brief hin.»Ich wünsche Ihnen einen guten Tag.»
Stockdale betrachtete Bolitho neugierig, als er die Bibliothek verließ.»Alles erledigt, Sir?«Bolitho hielt inne, weil sich eine andere Tür öffnete und er Mrs.
Egmont dastehen sah. Sie sagte nichts und lächelte nicht einmal, sondern schaute ihn lediglich an — als ob sie sich etwas Unbekanntem ausliefere, dachte Bolitho. Dann bewegte sich ihre Hand und hob sich einen Augenblick an ihre Brust. Bolitho fühlte, daß sein Herz so heftig schlug, als wollte es sich zu ihrer Hand drängen.
Die Tür schloß sich, und Bolitho glaubte fast, er habe sich alles nur eingebildet oder der Wein sei zu stark gewesen. Als er aber Stockdales Gesicht sah, wußte er, daß es kein Trugbild gewesen war.
«Wir kehren besser zum Schiff zurück, Stockdale.»
Stockdale folgte ihm hinaus ins Sonnenlicht. Keinen Augenblick zu früh, dachte er.
Es war Dämmerung, als das Boot, das sie von der Landungsbrücke abgeholt hatte, an den Rüsteisen festmachte. Bolitho kletterte zur Fallreepspforte hinauf, mit seinen Gedanken noch bei der wunderschönen Frau im weißen Gewand.
Rhodes wartete auf ihn mit den Fallreepsgasten und flüsterte ihm schnell zu:»Der Erste Offizier erwartet Sie, Dick.»
«Kommen Sie nach achtern, Mr. Bolitho!«Pallisers brüsker Ton brachte Rhodes zum Schweigen, bevor er mehr sagen konnte.
Bolitho kletterte zum Achterdeck hinauf und berührte seinen Hut.
«Sir?»
Palliser fuhr ihn an:»Ich warte schon eine Ewigkeit auf Sie!»
«Ja, Sir. Aber ich hatte einen Auftrag des Kommandanten.»
«Das hat ja lange Zeit in Anspruch genommen!»
Bolitho unterdrückte mit Mühe seinen aufsteigenden Ärger. Was er auch tat oder zu tun versuchte, Palliser war nie zufrieden.
Er sagte ruhig:»Gewiß, Sir. Und jetzt bin ich hier.»
Palliser starrte ihn an, als vermute er hinter seinen Worten eine Unverschämtheit. Dann sagte er:»Während Ihrer Abwesenheit hat der Wachtmeister auf meine Anordnung hin einige Wohnräume der Mannschaft durchsucht. «Erwartete auf eine Reaktion Bolithos.»Ich weiß zwar nicht, welche Art Disziplin Sie in Ihrer Division einzuführen versuchen, aber lassen Sie mich Ihnen versichern, daß es mehr als der Bestechung mit Schnaps und Wein bedarf, um etwas zu erreichen. Mr. Jurys Uhr wurde im Besitz eines Ihrer Männer vom Großmast gefunden. Murray heißt der Mann. Was sagen Sie nun?»
Bolitho sah Palliser ungläubig an. Murray hatte Jury das Leben gerettet. Ohne sein schnelles Handeln in jener Nacht an Deck der Heloi-se wäre der Midshipman jetzt tot gewesen. Und wenn Jury nicht ihm, Bolitho, den Degen zugeworfen hätte, um seinen verlorenen Säbel zu ersetzen, wäre auch er selbst jetzt eine Leiche. Das hatte sie miteinander verbunden, ohne daß einer davon gesprochen hätte.
Er protestierte:»Murray ist ein guter Mann, Sir. Ich kann nicht glauben, daß er ein Dieb sein soll.»
«Ich bin mir aber ganz sicher. Sie müssen eben noch eine Menge lernen, Mr. Bolitho. Männer wie Murray würden niemals einen Kameraden bestehlen, aber ein Offizier, selbst ein kleiner Kadett, ist für sie Freiwild. «Mit einiger Anstrengung dämpfte er seine Stimme.»Aber das ist noch nicht das Schlimmste. Mr. Jury hatte die Kühnheit, die unglaubliche Frechheit, mir zu sagen, er habe die Uhr Murray gegeben, als Geschenk! Das können doch selbst Sie nicht glauben!»
«Ich glaube, er sagte das, um Murray zu retten, Sir. Es war falsch, aber ich kann es verstehen.»
«Das habe ich mir gedacht. «Palliser beugte sich vor.»Ich werde dafür sorgen, daß Mr. Jury ausgeschifft wird und eine Rückfahrkarte nach England bekommt, sobald wir mit einer höheren Autorität zusammentreffen. Was halten Sie davon?»
Bolitho antwortete hitzig:»Ich glaube, da handeln Sie unfair. «Er fühlte, wie sein Ärger verzweifeltem Zorn Platz machte. Palliser hatte mehrfach versucht, ihn zu provozieren, aber diesmal war er zu weit gegangen. Er sagte:»Wenn Sie versuchen, über Mr. Jury mich zu treffen, werden Sie sicherlich Erfolg haben. Aber das zu erwägen, obwohl Sie genau wissen, daß er keine Familie hat und mit ganzem Herzen der Marine gehört — das ist gemein. An Ihrer Stelle, Sir, würde ich mich schämen.»
Palliser starrte ihn an, als wäre er geschlagen worden. »Was würden Sie tun?»
Eine kleine Gestalt trat aus dem Schatten hervor: Macmillan, der Kommandantensteward. Er sagte:»Verzeihung, meine Herren, aber der Kommandant bittet Sie sofort in seine Kajüte.»
Dumaresq stand breitbeinig in der Tageskajüte, die Hände in die Hüften gestemmt, und blickte seinen beiden Offizieren entgegen.
«Ich verbitte mir, daß Sie auf meinem Achterdeck wie zwei Straßenlümmel streiten! Was, zum Teufel, ist in Sie gefahren?»
Palliser sah empört, ja blaß aus, als er sagte:»Wenn Sie gehört haben, was Mr. Bolitho gesagt hat, Sir.»
«Gehört? Gehört?«Dumaresq stieß eine Faust in Richtung des Oberlichtfensters.»Ich glaube, das ganze Schiff hat es gehört. «Er schaute Bolitho an.»Wie können Sie sich eine solche Insubordination gegenüber dem Ersten Offizier erlauben? Sie haben ihm ohne Gegenrede zu gehorchen. Disziplin hat den Vorrang, wenn wir nicht zu einem Sauhaufen herabsinken wollen. Ich erwarte, nein: ich verlange, daß das Schiff jederzeit auf ein Wort von mir einsatzbereit ist. Über unwichtige Dinge in Hörweite aller Leute zu streiten, ist ein Wahnsinn, den ich nicht dulde. «Er prüfte Bolithos Gesicht und fügte milder hinzu:»Es darf nicht wieder vorkommen.»
Palliser versuchte es noch einmal.»Ich habe ihm gesagt, Sir. «Er verstummte, als sich ein Blitzstrahl aus den unwiderstehlichen Augen auf ihn richtete.
«Sie sind mein Erster Offizier, und ich stelle mich hinter alles, was Sie unter meinem Kommando tun. Aber ich möchte nicht, daß Sie Ihren Zorn an Kameraden auslassen, die zu jung sind, um sich gegen Sie zu wehren. Sie sind ein erfahrener und bewährter Offizier, während Mr. Bolitho ein Neuling in der Messe ist. Was Mr. Jury betrifft, so weiß er nicht mehr von den Bräuchen auf See als das, was er seit Plymouth gelernt hat. Können Sie diese Feststellung akzeptieren?»
Palliser schluckte, den Kopf unter die Decksbalken geneigt.»Jawohl, Sir.»
«Gut, darin stimmen wir also überein.»
Dumaresq ging zu den Heckfenstern und blickte auf die vom Wasser reflektierten Lichter.
«Mr. Palliser, Sie werden den Diebstahl weiter verfolgen. Ich möchte nicht, daß ein guter Mann wie Murray bestraft wird, wenn er nichts von der Sache weiß. Andererseits wird er der Strafe nicht entgehen, wenn er schuldig ist. Das ganze Schiff weiß inzwischen, was passiert ist. Wenn er wegen unserer Unfähigkeit, die Wahrheit herauszufinden, straflos ausginge, beraubten wir uns der Möglichkeit, die wirklichen Unruhestifter und selbsternannten Richter zu maßregeln. «Er streckte Bolitho die Hand entgegen.»Sie haben sicherlich einen Brief für mich. «Als er ihn an sich nahm, setzte er langsam hinzu:»Kümmern Sie sich um Mr. Jury. Sie haben es in der Hand, ihn fair, aber streng zu behandeln. Es wird ebenso eine Prüfung für Sie sein wie für ihn. «Er nickte ihm zu.»Abtreten!»
Als Bolitho die Tür hinter sich schloß, hörte er Dumaresq sagen:»Das war eine gute Aussage, die Sie von Triscott bekommen haben. Sie macht die vorangegangenen Fehlschläge wieder wett.»
Palliser murmelte etwas, und Dumaresq antwortete:»Noch ein Steinchen, und das Puzzlespiel könnte schneller aufgehen, als ich dachte.»
Bolitho machte sich unter den Blicken des Wachtpostens, die ihm bis in die Schattenzone folgten, davon. Er betrat die Messe und ließ sich so vorsichtig wie jemand, der gerade vom Pferd gefallen war, nieder.
Poad fragte:»Etwas zu trinken, Sir?»
Bolitho nickte, obwohl er kaum hingehört hatte. Er sah Bulkley an einem der dicken Holzbalken lehnen und fragte:»Ist der Kapitän der Heloise tot?»
Bulkley blickte müde auf und wartete, bis sein Blick Bolitho erfaßt hatte.»Aye. Minuten, nachdem er seinen Namen unter die Aussage geschrieben hatte, starb er. «Der Arzt war kaum zu verstehen.»Ich hoffe nur, die Sache war es wert.»
Colpoys kam aus seiner Kammer und schwang ein elegantes, weiß gekleidetes Bein über einen Stuhl.
«Langsam werde ich verrückt. Man liegt hier draußen vor Anker und hat nichts zu tun…«Er blickte von Bolitho zu Bulkley und zog eine Grimasse.»Es scheint, ich hatte unrecht. Hier herrscht der reinste Frohsinn!»
Bulkley seufzte.»Ich habe das meiste mit angehört. Triscott sollte nur diese eine Reise als Kapitän machen. Es scheint, er hatte Befehl, uns in Funchal zu treffen und herauszufinden, was wir vorhatten. «Der Arzt stieß versehentlich ein Glas Branntwein um, schien es aber nicht zu bemerken.»Sobald er unser Ziel wußte, sollte er in die Karibik segeln und das Schiff seinem Besitzer, der den Bau bezahlt hatte, übergeben. «Er hüstelte und tupfte sich das Kinn mit einem roten Taschentuch ab.»Statt dessen wurde Triscott neugierig und versuchte, uns zu folgen. «Er schaute prüfend nach achtern, als suche er Duma-resq durch das Schott hindurch.»Stellen Sie sich vor: eine Maus, die den Tiger jagen wollte! Nun, dafür hat er bezahlt.»
Colpoys fragte ungeduldig:»Schon, aber wer ist dieser mysteriöse Käufer von Brigantinen?»
Bulkley drehte sich so langsam zu dem Leutnant um, als täte es ihm weh, sich zu bewegen.»Ich hätte Sie für schlauer gehalten. Sir Piers Garrick natürlich! Ehemals Freibeuter im Namen des Königs und jetzt ein verdammter Seeräuber auf eigene Faust!»
Rhodes betrat die Messe.»Ich habe das eben mitgehört. Wir hätten es wissen müssen, nachdem unser Kommandant schon seinen Namen genannt hatte. Nach so vielen Jahren! Der Mann muß jetzt über sechzig sein. Glauben Sie wirklich, daß er weiß, was aus den Goldbarren der Asturias wurde?»
Colpoys sagte gelangweilt:»Der Knochensäbler ist eingeschlafen, Stephen.»
Poad, der sich in der Nähe aufgehalten hatte, sagte:»Es gibt heute frisches Schweinefleisch, meine Herren. Eine Aufmerksamkeit, die uns ein Mr. Egmont mit besten Empfehlungen geschickt hat. «Er wartete auf den richtigen Augenblick, um fortzufahren:»Der Überbringer sagte, als Erinnerung an den Besuch Mr. Bolithos in seinem Haus. «Bolitho errötete, als alle ihn anschauten.
Colpoys schüttelte bedauernd den Kopf.»Mein Gott, wir sind kaum angekommen, und schon hat eine Frau die Hand im Spiel.»
Als Gulliver sich zu Colpoys und dem Zahlmeister an den Tisch setzte, nahm Rhodes Bolitho beiseite.»Hat er Ihnen hart zugesetzt, Dick?»
«Ich habe meine Selbstbeherrschung verloren. «Bolitho lächelte reuig.
«Lassen Sie sich nichts gefallen! Vergessen Sie nicht, was ich Ihnen gesagt habe. «Rhodes vergewisserte sich, daß niemand zuhörte.»Ich habe Jury gesagt, daß er im Kartenraum auf Sie warten soll. Sie werden dort einige Zeit ungestört sein, bringen Sie es hinter sich. Ich habe so etwas auch schon durchgemacht. «Er schnupperte und rief:»Ich rieche Schweinebraten, Dick. Sie müssen an Land tatsächlich großen Eindruck gemacht haben.»
Bolitho arbeitete sich zu dem kleinen Kartenraum durch, der neben dem Niedergang lag, und sah Jury neben dem leeren Kartentisch stehen. Wahrscheinlich glaubte er seine Karriere ebenso vom Tisch gewischt wie Gullivers Berechnungen.
Bolitho sagte:»Man hat mir berichtet, was Sie getan haben. Der Fall Murray wird untersucht, darauf hat der Kommandant mir sein Wort gegeben. Sie werden nicht ausgeschifft, wenn wir auf das karibische Geschwader stoßen, sondern bleiben auf der Destiny.«Er hörte, wie Jury aufatmete, und sagte:»Es liegt jetzt also an Ihnen.»
«Ich — ich weiß nicht, was ich sagen soll, Sir.»
Bolitho spürte seine innere Entschlossenheit wanken. Er war selbst einmal so unerfahren wie Jury gewesen und wußte, was es bedeutete, einer offensichtlichen Katastrophe entgegenzusehen.
Er zwang sich zu sagen:»Sie haben falsch gehandelt, indem Sie logen, um einen Mann zu schützen, der wahrscheinlich schuldig ist. «Er unterband Jurys Protestversuch.»Es war nicht richtig, so stark für einen Mann einzutreten, wie Sie es für einen anderen kaum getan hätten. Ich habe den gleichen Fehler begangen. Wenn ich gefragt worden wäre, ob ich mich so für Murray eingesetzt hätte, wenn er eine Niete wäre, oder für Sie, wenn Sie mich nicht gerettet hätten, hätte ich zugeben müssen, daß ich zu Ihren Gunsten voreingenommen war.»
Jury sagte gepreßt:»Ich bedaure den Ärger, den ich verursacht habe. Besonders Ihnen.»
Bolitho sah ihn zum erstenmal voll an und bemerkte den inneren Kampf, den er durchmachte.»Ich weiß. Wir haben beide aus all dem gelernt. «Er fiel in einen härteren Tonfall:»Andernfalls wären wir beide es nicht wert, des Königs Rock zu tragen. Und nun gehen Sie bitte wieder in Ihr Quartier.»
Er hörte Jury den Kartenraum verlassen und wartete einige Minuten, um sich zu sammeln.
Er hatte korrekt gehandelt, auch wenn es jetzt schon etwas spät dafür war. In Zukunft würde Jury sich in acht nehmen und weniger willig sein, sich an andere zu hängen.»Heldenverehrung «hatte der Kommandant es genannt.
Bolitho seufzte und begab sich in die Messe. Als er eintrat, schaute Rhodes ihn fragend an.
Bolitho zuckte die Schultern.»Es war nicht leicht.»
«Das ist es nie. «Rhodes grinste und schnupperte wieder.»Wir werden etwas später essen, aber mir scheint, das Warten lohnt.»
Bolitho nahm Poad ein Glas Wein ab und setzte sich in einen Armstuhl. Rhodes' Rezept war einfacher, dachte er: Lebe für das Heute und sorge dich nicht um das Morgen, auf diese Weise kann dich nichts verletzen. Aber dann dachte er an Jurys verzagtes Gesicht und wußte, daß das nicht stimmte.