II. Husni Allam

Vergiß es, Sunnyboy, vergiß es!

Das Antlitz des Meeres ist schwarz, durchsetzt mit Injektionen von Bläue. Es birst vor Zorn, aber es unterdrückt seinen Zorn. Seine Wellen schlagen aufeinander ein und suchen sich gegenseitig abzuwürgen. Es kocht vor ewiger Wut, die nirgends entweichen kann.

Eine Revolution! Warum nicht? Um euch zu bestrafen, euch arm zu machen, eure hocherhobenen Nasen in den Staub zu stopfen, ihr Gezücht höfischer Sklavinnen! Ich gehöre zu euch, und das ist ein Urteilsspruch, gegen den mir keiner der üblichen Rechtskniffe hilft. Das Mädchen mit den blauen Augen hatte mich durchschaut, als sie mir mit den Worten einen Korb gab: »Er ist ungebildet! Und die hundert Feddan bieten sich mir auf der Hand eines Rüpels!« Dann macht sie sich wieder klein und wartet auf den nächsten Zuchtbullen.

Vom Balkon des Cecil-Hotels sieht man die Corniche nicht. Ich muß mich dazu über die Brüstung beugen. Das Meer erstreckt sich unmittelbar unter mir, als wäre ich auf einem Schiff. Es dehnt sich bis zum Fort Qajitbey[49], eingezwängt aber zwischen die Mauern der Corniche und steinerne Arme, die ins Wasser schlagen wie böse Geister. In dieser Umarmung erstickt es. Seine Wellen schlagen schwerfällig gegeneinander, in unterdrückter Wut. Sein Antlitz ist bläulichschwarz, kündet von seinem Zorn. In seinem Bauch toben die Geheimnisse und die Abfälle des Todes.

Mein Zimmer ist ein Hotelzimmer wie alle anderen. Es erinnert mich an das Palais der Familie Allam in Tanta. Deswegen ersticke ich darin. Denn die Pracht und der Ruhm der Großgrundbesitzer des Rif sind geschwunden. Dies ist die Zeit der Diplome für den Pöbel. Dann eben Revolution! Soll sie euch zermalmen! Ich sage mich von euch los. Ich werde mir eine Arbeit suchen! Ich sage mich von euch los, ihr Fetzen zerschlissener Jahrhunderte!

Eines Tages, als Mohammed, der Nubier, mir das Frühstück aufs Zimmer brachte, kam es mir in den Sinn, mich bei ihm zu beklagen: »Ich fühle mich in eurem Luxusbau ausgesprochen unbehaglich!« Es ist mir zur Gewohnheit geworden, mit dem Personal der Hotels, in denen ich absteige, freundschaftlich zu verkehren und, wenn ich die Leute brauche, nicht nur freundlich, sondern auch großzügig zu ihnen zu sein.

Der Mann fragte mich jetzt: »Wollen Sie länger in Alexandria bleiben?«

»Sehr lange!«

»Wäre es dann nicht günstiger, in einer guten Pension zu wohnen?«

Als ich ihn neugierig ansah, fuhr er fort: »Es gibt da eine gute, sehr saubere Pension. Sie zahlen dort weniger und haben mehr Gesellschaft. Aber das muß selbstverständlich ein Geheimnis zwischen uns bleiben!«

Er ist höflich, nützlich und falsch. Verrichtet seinen Dienst auf der einen Seite und arbeitet zugunsten der anderen wie viele meiner teuren Landsleute. Natürlich herrscht in einer Pension eine familiäre, eine intime Atmosphäre. Und das ist passender für jemanden, der an ein neues Projekt denkt. Was hat mich denn zum Cecil gezogen außer der alten Gewohnheit und natürlich meinem immer noch ungebrochenen Stolz!


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Das Guckloch in der Tür wurde geöffnet und gab ein hübsches Gesicht frei, hübscher, als es sich für ein Dienstmädchen ziemt. Hübscher auch, als es sich für eine Dame ziemt. Was für ein bezauberndes junges Mädchen! Sie wird sich auf den ersten Blick in mich verlieben.

»Ja?«

Ein Fellachenmädchen? Seltsam! Von nun an soll das Cecil in seinen schwarzen Wellen begraben liegen!

»Mohammed Kamil im Cecil-Hotel hat mir die Pension empfohlen.«

Sie ließ mich im Entree Platz nehmen und verschwand im Inneren der Wohnung. Ich schaute auf die Fotos, um einen ersten Eindruck von denen zu erhalten, die auf ihnen abgebildet waren. Wer war dieser englische Offizier? Und wer die Schöne, die sich auf die Stuhllehne stützte? Sie war aufregend hübsch, aber das Foto war alt. Nach der Mode des Kleides mußte sie eine Zeitgenossin der Jungfrau Maria sein!

Dann kam eine alte Frau mit gefärbtem Haar in leuchtendem Goldblond, sicher die Besitzerin der Pension. Ganz der Typ einer französischen Kupplerin im Ruhestand, oder auch nicht im Ruhestand, wie ich hoffe. Und das dort ist ihr Foto aus der Zeit, bevor sie das Alter zur Ruine gemacht hat. Jetzt klären sich die Dinge langsam. Mohammed Kamil hat sich über mein Unbehagen seine eigenen Gedanken gemacht. Gut so! Je angenehmer das Leben wird, desto besser läßt sich's über die neuen Projekte nachdenken.

»Ich möchte ein Zimmer, Madame.«

»Sie haben im Cecil gewohnt?« Das imponiert ihr zweifellos. Sie wäre am liebsten vierzig Jahre jünger. Ich bejahte.

Sie fragte: »Wie lange wollen Sie bleiben?«

»Mindestens einen Monat, vielleicht wird aber auch ein ganzes Jahr daraus.«

»Ein Zimmer können Sie haben, aber für die Sommermonate treffen wir eine Sondervereinbarung.«

»Einverstanden!«

»Sie sind Student?«

»Ich komme aus besten Verhältnissen.«

Sie kam mit einer Liste und fragte nach meinem Namen.

»Husni Allam«, sagte ich.

Ein ungebildeter Mensch. Ein Rüpel mit hundert Feddan auf der Hand. Glücklich, weil er die Art Liebe nicht kennt, von der die Schlagersänger schluchzen.


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Ein angenehmes Zimmer mit veilchenfarbenen Wänden. Da erstreckt sich das Meer in reinem Blau bis zum Horizont. Eine herbstliche Brise spielt mit den Vorhängen, und am Himmel treiben verstreute Schäfchenwolken. Ich sah dem Fellachenmädchen zu, wie es das Bett mit Laken und Decken zurechtmachte. Ihr Körper war kräftig und anmutig, mit ausgeprägten Rundungen. Wenn ich mich nicht täusche, hat sie bisher weder ein Kind geboren noch abgetrieben! Jedenfalls dürfte es angebracht sein, daß ich mir Zeit nehme, um die Geheimnisse hier einzukreisen.

»Wie heißt du, meine Schöne?«

»Zuchra«, entgegnete sie mit ernstem Gesicht.

»Du bist, was dein Name sagt, eine hübsche Blume!«

Sie bedankte sich mit einer Neigung des Kopfes, jedoch ohne zu lächeln.

»Gibt es noch andere Gäste in der Pension?«

»Zwei ältere Herren und einen jungen Mann in Ihrem Alter, mein Herr.«

»Und welchen Kosenamen hat er dir gegeben?«

Höflich und kühl erwiderte sie: »Mein Name ist Zuchra.«

Sie ist ernster, als es nötig wäre. Sie wird jeder Wohnung zur Zierde gereichen, die ich in Zukunft miete. Sie ist zudem viel hübscher als meine dämliche Verwandte, die beschlossen hat, ihren Bräutigam nach Vorschrift der National-Charta[50] zu wählen.

Vergiß es, Sunnyboy, vergiß es!


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»Meinst du es wirklich ernst?«

»Aber natürlich, meine Liebe!«

»Ich bin mir ziemlich sicher, du kennst die Liebe gar nicht.«

»Ich will dich heiraten, wie du siehst.«

»Mir kommt es so vor, als ob du gar nicht lieben könntest.«

»Ich will dich heiraten. Heißt das nicht, daß ich dich liebe?«

Gegen meinen Zorn und meine Wut ankämpfend, stieß ich hervor: »Und ich bin doch durchaus geeignet für eine Ehe, nicht wahr?«

»Wie stehen die Bodenpreise zur Zeit?« fragte sie nach kurzem Zögern.

Ich sah die Schuld für diese demütigende Situation bei mir und sagte im Hinausgehen: »Ich verlasse dich jetzt, damit du in Ruhe überlegen kannst.«


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Am Frühstückstisch lernte ich die anderen Gäste kennen. Amir Wagdi, ein Journalist im Ruhestand, mindestens achtzig, schlank und ziemlich groß, von einer Gesundheit, um die man ihn nur beneiden konnte. Sein runzliges Gesicht mit den eingesunkenen Augen und den hervorstehenden Knochen würde keinen Wurm mehr fett machen. Sein Anblick war mir widerwärtig. Wie hatte er nur am Leben bleiben können, während jeden Tag Generationen jüngerer Männer umkamen.

Tolba Marzuq war mir kein Unbekannter. Mein Onkel väterlicherseits hatte eines Tages die Sequestration seines Vermögens mitfühlend kommentiert. Aber natürlich sagte ich ihm nichts davon. Wir hatten die Nachrichten von der Sequestration gierig verschlungen wie einen Horrorfilm und waren immer noch brennend an ihnen interessiert.

Er fragte mich: »Stammen Sie aus der Familie Allam in Tanta?«

Ich bejahte mit heimlicher Freude.

»Ich kannte Ihren Vater recht gut«, sagte er da, »er war ein hervorragender Grundbesitzer und Landwirt.« Dann wandte er sich an Amir Wagdi, der gerade vom Tisch aufstand, und lachte: »Er stand Gott sei Dank nicht allzu lange unter dem Einfluß dieser Clowns.« Da er merkte, daß ich nicht verstand, was er meinte, erklärte er: »Ich spreche von den Wafdisten.«

Gleichgültig bemerkte ich: »Soviel ich weiß, war er Wafdist, als das ganze Land wafdistisch war.«

Er glaubte mir und fragte dann weiter: »Soweit ich informiert bin, haben Sie noch Geschwister?«

»Mein Bruder ist Konsul in Italien, und meine Schwester ist die Gattin unseres Botschafters in Abessinien.«

»Und was tun Sie?« setzte er seine Fragerei mit hüpfenden Pausbäckchen fort.

In diesem Augenblick haßte ich ihn so, daß ich ihm den Tod wünschte. Sollte er zur Wasserleiche werden oder bei einem Brand verkohlen! Aber ich entgegnete, als mache es mir nichts aus: »Nichts!«

»Bestellen Sie denn Ihren Boden nicht?«

»Er ist verpachtet, wie Sie vielleicht wissen. Ich denke jedoch daran, etwas Neues anzufangen.«

Sarhan al-Buheri, der dritte Gast, Prokurist in der Spinnerei-Gesellschaft von Alexandria, und die alte Madame hatten uns zugehört. »Und was wollen Sie tun?« fragte Sarhan al-Buheri.

»Darüber bin ich mir noch nicht ganz im klaren.«

»Wäre es nicht das sicherste, Sie suchten sich einen Verwaltungsposten im Staatsdienst?«

Auch er war mir in diesem Moment widerwärtig. Die leichte Klangfarbe eines Menschen, der aus dem Rif kam, haftete ihm an wie Speisengeruch einem Gefäß, das nicht sorgfältig abgewaschen wurde. Und er war reichlich rüpelhaft. Für ihn wäre es keine Beleidigung gewesen, wenn Mirved ihn als unerzogen oder ungebildet bezeichnet hätte. Wenn ihm jetzt noch einfällt, nach meinem Diplom zu fragen, werfe ich ihm mein Teeglas ins Gesicht.


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»Woher hast du diese Begeisterung für die Revolution?«

»Sie ist meine Überzeugung, Onkel.«

»Ich glaube dir nicht.«

»Du mußt mir aber glauben!«

Er lachte müde und meinte dann: »Offensichtlich hat die Tatsache, daß dir Mirved einen Korb gegeben hat, dich um deinen Verstand gebracht.«

Gleichgültig entgegnete ich: »Ich hatte ohnehin nur flüchtig an eine Heirat gedacht.«

»Gott erbarme sich deines Vaters«, gab er mit demselben Gleichmut zurück, »er hat dir seine Starrköpfigkeit vererbt, aber nicht seine Klugheit.«


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Ich war so wütend, daß ich am liebsten die Revolution, personifiziert in der Gestalt von Sarhan al-Buheri, der zweifellos aus ihr Nutzen zog, angegriffen hätte, aber ich beherrschte mich.

Die Alte fragte mich: »Warum erzählen Sie uns nichts von Ihren Plänen?«

»Ich habe noch nichts Geeignetes gefunden.«

»So sind Sie also reich?«

Ich lächelte selbstsicher, ohne zu antworten. Da schaute sie mich aufmerksam an.


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Ich verließ die Pension zusammen mit Sarhan, und der Lift brachte uns hinunter. Er sah mich mit einem Lächeln an, das zu einem besseren gegenseitigen Kennenlernen aufzufordern schien. So legte sich meine Wut auf ihn langsam. Fast so, als wolle er einen Schnitzer korrigieren, den er gar nicht bemerkt hatte, sagte er: »Ein Verwaltungsposten im Staatsdienst ist heute sicherer als alles andere, aber ein freier Beruf, mit Bedacht gewählt… »Wir verließen den Lift, bevor er seinen Satz beendet hatte, doch sein bekräftigender Tonfall machte weitere Worte überflüssig. Wir trennten uns. Er ging zur Straßenbahnhaltestelle, ich zur Garage. Ich kam am Cafe Miramar unten im Gebäude vorbei und mußte daran denken, wie ich in früheren Tagen mit meinem Onkel dort gesessen hatte, bevor die Katastrophe eingetreten war. Er ging jeden Nachmittag dorthin, um die Wasserpfeife zu rauchen, und saß dann, in seine leichte Abaja[51] gehüllt, inkognito da wie ein König im Gewand eines Mannes aus dem Volk, umringt von einer Schar von Scheichs, Abgeordneten und angesehenen Männern. Ja, das sind längst vergangene Tage, aber er hätte noch mehr verdient als das, was ihn ohnehin getroffen hat.

Ohne ein bestimmtes Ziel zu haben, nur getrieben von meinem ewigen Verlangen nach Schnelligkeit und Vagabundieren, bestieg ich meinen Ford. Ich sagte mir, daß es gut wäre, Sarhan al-Buheri nicht links liegen zu lassen, denn seine Erfahrung und seine Bekannten in der Stadt konnten mir vielleicht von Nutzen sein. So fuhr ich im irren Tempo, das meinen aufgepeitschten Nerven entsprach, an den Stranden von Mazarita, von Schatbi[52] und Ibrahimijja vorbei. Die Luft unter dem von Wolken verschatteten Himmel war angenehm, erfrischend, aktivierend. Die Corniche, eingefaßt von der Bläue des Meeres, wirkte rein und klar, war sie doch frei vom Schweiß und Lärm der Sommergäste. Ich war fest entschlossen, nur noch nach Tanta zu fahren, um Geld zu holen oder Land zu verkaufen. Zum Teufel mit dieser Stadt und den Erinnerungen an sie!

Ich fuhr in Richtung Sijuf und raste dann über die Straße nach Abuqir[53], die schönste aller Straßen. Mit der Geschwindigkeit des Wagens stiegen wieder meine Lebensgeister und meine Lust zu provozieren. Doch zum letzten Glück fehlten mir die Europäerinnen, die es früher hier gab, die alte Pracht, die Barren reinen Goldes. Dann sah ich mir die Morgenvorstellung im Kino Metropol an. Ich flirtete mit einem Mädchen im Aufenthaltsraum vor dem Büfett. Wir aßen im Omar Khajjam gemeinsam zu Mittag und schliefen während der Siesta miteinander in ihrer Wohnung in al-Ibrahimijja. Als ich am späten Nachmittag in die Pension zurückkam, wußte ich nicht einmal mehr ihren Namen.

Das Entree und der Salon waren leer. Ich nahm eine Dusche, und als das Wasser an mir hinunterlief, fiel mir das hübsche Fellachenmädchen wieder ein. Nachdem ich in mein Zimmer zurückgekehrt war, verlangte ich eine Tasse Tee, um sie wiederzusehen. Ich bot ihr ein Stück Schokolade an, aber sie zögerte, es anzunehmen.

»Warum denn nicht«, redete ich ihr gut zu, »wir sind doch hier eine Familie!« Voller Freude schaute ich ihr zu, während sie mich ohne jede Verlegenheit ansah und nicht einmal den Blick senkte. War sie schüchtern oder gerissen?

»Zuchra, gibt es viele wie dich im Rif?«

»Unzählige!« gab sie zur Antwort, als merke sie nicht, worauf ich hinauswollte.

»Aber wie viele von ihnen sind so schön wie du?«

Sie bedankte sich bei mir für die Schokolade und ging. War sie schüchtern oder gerissen? Jedenfalls mußte ich sie jetzt nicht unbedingt haben. Sollte sie sich nur etwas zieren und kokettieren. Das war ihr gutes Recht. Schließlich hatte sie ja auch meine Komplimente für ihre außerordentliche Schönheit verdient.

Vergiß es, Sunnyboy, vergiß es!

Ich betrachtete so lange das alte Foto von Madame, daß sie schließlich lachend fragte: »Gefällt es Ihnen?« Sie erzählte mir die Geschichte ihrer ersten Ehe, dann die der zweiten. »Und wie finden Sie mich jetzt?«

Ich sah auf die Adern, die an ihrem Handgelenk hervorsprangen, und auf ihre grobe, großporige Haut, die mich an Fischschuppen erinnerte, und erklärte: »Schön wie eh und je!«

»Meine Krankheit hat mich vor der Zeit altern lassen«, kommentierte sie ergeben. Dann, übergangslos: »Aber ist es eigentlich klug, daß Sie Ihr Geld für ein neues Projekt riskieren wollen?«

»Warum denn nicht?«

»Und wenn der Staat es nun kassiert?«

»Es gibt doch auch sichere Projekte!« Da es sein konnte, daß sie ihren Kies zusammenkratzen wollte, witzelte ich: »Wie war's denn, wenn wir unser Geld zusammenwerfen und gemeinsam etwas Profitables starten?«

Sie gab sich erschrocken und wehrte lachend ab: »Ich? Oje, die Pension wirft knapp mein tägliches Brot ab!«

Der Methusalem der Journalistik stieß zu uns, in einen schweren Morgenmantel gehüllt. Ich fand ihn ganz munter trotz seiner ekelhaften Vergreisung. Als wolle er meine und seine Situation kommentieren, verkündete er: »Die Jugend sucht nach Abenteuern, und das Alter preist das Wohlergehen.«

Ich wünschte ihm eine gute Gesundheit, da fragte er mich: »Sind Sie wegen eines Projekts nach Alexandria gekommen?«

Da ich bejahte, fragte er weiter: »Bemühen Sie sich ernsthaft um etwas?«

»Ich habe jedenfalls das Nichtstun tüchtig satt!«

Er rezitierte den Vers:


»Jungsein und Geld und Müßiggang

führen zum sicheren Untergang.«


Aber ich verabscheue Gedichte ebenso wie Gespräche über Zeugnisse und Diplome. In mir spürte ich das Überlegenheitsgefühl eines turkmenischen Reiters vor einem Haufen Pöbel. Ja, das Schicksal hat einigen von ihnen die Nase vergoldet. Dasselbe Schicksal, das unser Licht hatte verlöschen lassen. Ich versuchte mich damit zu trösten, daß Revolutionen außergewöhnlich sind wie Naturkatastrophen, und fühlte mich im übrigen wie jemand, der ein Auto mit leerer Batterie starten will.

Da erschien plötzlich ein uns noch unbekannter junger Mann hinter dem Wandschirm und ging auf die Wohnungstür zu. Madame lud ihn ein, sich zu uns zu setzen, und stellte ihn uns vor: »Monsieur Mansur Bahi.«

Sprecher bei Radio Alexandria. Wieder einer mit Hochschuldiplom. Ein zartes, hübsches Gesicht, nicht sehr männlich. Auch er einer vom Pöbel mit der vergoldeten Nase. In seiner Zurückhaltung lag etwas, was mich reizte, ihm eine zu versetzen.

Nachdem er gegangen war, fragte ich Madame: »Wird er länger hierbleiben oder nicht?«

Stolz entgegnete sie: »Er wird länger bleiben, mein Lieber. Bei mir steigt niemand nur für kurze Zeit ab.«

Zuchra kam von draußen mit einem Plastikbeutel voller Lebensmittel. Ich schaute ihr gierig hinterher. Das Land war voller Frauen, aber dieses Mädchen wirkte auf mich einfach sexy.

Vergiß es, Sunnyboy, vergiß es!


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»So hast du dich also doch noch verliebt?«

»Ach wo! Das ist weder Liebe noch Leidenschaft. Aber es handelt sich um ein wunderbares Mädchen. Noch dazu mein eigenes Fleisch und Blut. Und ich möchte heiraten.«

»Jedenfalls bist du ein junger Mann, wie ihn sich jedes

Mädchen wünscht.«


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Die Umm-Kulthum-Soiree war selbst in der Pension Miramar ein Höhepunkt. Wir aßen, tranken und lachten. Wir redeten über Gott und die Welt, sogar über Politik. Aber nicht einmal der Alkohol konnte die Angst ausräumen. Amir Wagdi machte sich wichtig und trug uns wie ein alter Volkserzähler Heldenmärchen vor, die er selbst erlebt haben wollte. Dieser Jammergreis war offenbar wild entschlossen, uns davon zu überzeugen, wie großartig er früher einmal war. Durchschnittstypen gibt's ja nicht auf dieser verdammten Welt. Und natürlich auch niemanden, der sich nicht begeistert für die Revolution einsetzt. Sogar Tolba Marzuq. Selbst meine Wenigkeit. Wir mußten vorsichtig sein. Sarhan war ein Nutznießer des Regimes und Mansur höchstwahrscheinlich ein Spitzel. Und der Alte, wer weiß? Selbst bei Madame war es nicht abwegig anzunehmen, daß die Sicherheitsorgane ihr eine Art Überwachungsfunktion übertragen hatten.

Als Zuchra mir eine Flasche Soda brachte, fragte ich sie: »Und du, Zuchra, liebst du die Revolution?«

»Sehen Sie sich doch nur einmal das Bild an, das sie sich ins Zimmer gehängt hat!« forderte Madame mich auf.

War das etwa eine Erlaubnis, mich in ihr Zimmer zu schleichen? Zwar hatte der Whisky uns jetzt zur Intimität verleitet, aber ich wußte, daß das nicht von langer Dauer sein würde. Zwischen mir und Sarhan oder Mansur würde es nie eine echte Freundschaft geben. Und dies bißchen Sympathie würde bald ebenso vergessen sein wie das Mädchen, das ich im Büfett des Kinos Metropol aufgelesen hatte. Ich mußte mir unbedingt eine Arbeit suchen, die meine Kräfte brauchte und meine Zeit einteilte, weil ich sonst aus irgendeiner Situation heraus irgendeine Erzdummheit oder gar einen Mord begehen würde. Sicher war, daß ich für immer Junggeselle bleiben würde, denn ich wollte mich nicht noch einmal einem »Nein!« aussetzen. Außerdem gab es in dieser aufstrebenden Gesellschaft kein passendes Mädchen für mich. So konnte ich also alle Frauen als wandernden Harem für meine Gelüste betrachten bis hin zu einem exzellenten Hausmädchen, das die Leere meiner künftigen Wohnung füllen würde. Ein Hausmädchen wie Zuchra. Aber nein doch, Zuchra selbst. Sie wird das sicher dankbar annehmen. Sie wird die Aufgaben der Dame des Hauses übernehmen, aber auf die Mühen von Schwangerschaft, Geburt und Kinderaufzucht verzichten. Und sie ist schön. Ihre niedrige Herkunft ist der Garant dafür, daß sie all meine Kapriolen und Liebschaften hinnehmen wird. So wird das Leben trotz allem akzeptabel sein und mir Vergnügungen bieten, die jedenfalls nicht zu verachten sind.

Sarhan wußte so viele Witze zu erzählen, daß wir uns halb kranklachten. Selbst Mansur platzte manchmal los, zog sich dann aber schnell wieder in sein Schneckenhaus zurück.


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Hört… Lest… Das ist das Todesurteil… Werden die Engländer reglos zusehen, wie uns der Kommunismus verschlingt!


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Jetzt begannen die Lieder, begann das Lauschen. Wie üblich packte mich Unruhe. Ja, ich konnte einem Stück oder auch zweien folgen, dann überkamen mich Zerstreutheit und Langeweile. Die anderen waren außer sich vor Begeisterung, während ich in Einsamkeit versank. Was mich wirklich in Erstaunen setzte, war, daß Madame als Griechin Umm Kulthum genauso liebte wie die anderen.

Sie hatte offenbar mein Erstaunen bemerkt, denn sie sagte: »Ich habe sie schließlich ein ganzes Leben lang gehört.«

Tolba Marzuq horchte hingebungsvoll. Dann flüsterte er mir zu: »Nur gut, daß sie mein Gehör nicht auch sequestriert haben!«

Der Methusalem hielt die Augen geschlossen und gab sich dem Zuhören hin oder vielleicht eher einem Nickerchen. Verstohlen blickte ich zu Zuchra auf ihrem Sessel neben dem Wandschirm. Sie war wirklich schön. Aber hörte sie zu? Woran dachte sie? In welcher Hoffnung mochte sie sich wiegen? Irritierte sie das Leben so, wie es das mit uns tat? Plötzlich ging sie ins Innere der Wohnung, während alle anderen vor Begeisterung hingerissen waren. Ich stand auf und ging in Richtung Bad, um sie auf dem Korridor abzufangen.

Spielerisch griff ich nach ihrem Zopf und flüsterte ihr zu: »Nur dein Gesicht ist schöner als der Gesang!«

Sie erstarrte, da trat ich auf sie zu, um sie an mich zu ziehen, aber ihr kühler, warnender Blick hielt mich zurück.

»Ich habe lange auf diesen Moment gewartet, Zuchra!«

Sie entzog sich mir schnell und ging zu ihrem Sessel. Gut. Im Allam-Palais in Tanta gibt es Dutzende deiner Sorte, kapierst du? Oder reicht dir etwa meine Bildung nicht, du Dreckstück? Ich kehrte zu meinem Platz zurück und suchte meine Wut hinter bewundernden Seufzern für Lieder zu verbergen, denen ich gar nicht zuhörte. Dann packte mich der zwingende Wunsch, mit meiner Meinung nicht hinterm Berg zu halten, um wenigstens einmal in dieser langen Nacht ehrlich mit mir selbst zu sein. Aber ich tat es nicht. Während einer Pause ergriff ich die Gelegenheit, mich vorläufig von den Versammelten zu trennen, und verließ die Pension. Ich nahm meinen Wagen und fuhr zum Cleopatra[54]. Es war kalt und stürmisch, aber mir hatte der Alkohol eingeheizt. Ich steuerte die Wohnung einer maltesischen Kupplerin an, die ich in den Sommernächten oft aufgesucht hatte. Sie erschrak, als ich nach Mitternacht und in dieser kalten und unwirtlichen Jahreszeit vor ihr auftauchte.

»Es ist niemand im Haus außer mir, und ich kann jetzt auch kein Mädchen herbestellen.« Sie stand im Nachthemd vor mir, fünfzig oder älter, fett und schwammig, aber doch immerhin noch eine Frau, obwohl auf ihrer Oberlippe Flaum wuchs fast wie ein Schnurrbart. Ich stieß sie in ihr Zimmer, doch sie wehrte erschrocken ab: »Aber doch nicht jetzt, ich habe mich überhaupt nicht zurechtgemacht!«

»Das ist absolut unwichtig«, lachte ich auf, »alles ist unwichtig!«

Wir schwatzten hinterher eine Stunde lang, und schließlich fragte sie mich, was mich nach Alexandria getrieben hätte. Als ich von meinen Plänen erzählte, sagte sie: »Viele sind jetzt dabei, ihre Angelegenheiten zu ordnen, und dann verlassen sie das Land.«

Gähnend entgegnete ich: »Ich werde bestimmt weder eine Firma noch eine Fabrik eröffnen.«

»Dann such dir einen geeigneten Khawaga, und setz dich an seine Stelle!«

»Gar keine schlechte Idee, aber ich muß erst alles überprüfen.«

Es regnete in Strömen, als ich zurückfuhr. Ich konnte die Straße nur mühsam erkennen, obwohl die Scheibenwischer wie wild hin und her fuhren. Wütend sagte ich mir, daß die Zeit gegen mich arbeitete.


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Sie war schön, trotz des Küchengeruchs schön.

»Zwei Stückchen Zucker, bitte!« Ich bat sie darum, weil der Zucker sich im Tee auflösen und sie eine Minute bleiben sollte. »Du warst hart mit mir, Zuchra!«

»Nein, Sie sind zu weit gegangen!«

»Ich wollte dir doch nur meine Gefühle für dich zeigen.«

»Ich bin zum Arbeiten hier, zu nichts sonst!« entgegnete sie scharf.

»Das Thema haben wir doch schon erledigt.«

»Sie scheinen es aber nicht zu glauben.«

»Zuchra, du verstehst mich falsch!«

»Sie sind ein anständiger Herr, also seien Sie auch anständig zu mir!«

Sie ging, denn meine Worte: »Ich werde dich ewig lieben!« hatten sie vertrieben.


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Komm mit mir auf eine seltsame Reise, an einem schrecklichen Tag! Schelte und Tadel von meinem Bruder, Tadel von meinem Onkel. Die Schule bleibt die Schule wie immer. Wir wollen auf den Feldweg gehen, eine lange, seitsame Reise antreten, nach Nord und nach Süd, viele Tage und Nächte lang. In jeder Ortschaft, durch die wir kommen, versorgen wir uns mit Nahrungsmitteln und Getränken. Ich bin nicht mehr minderjährig!


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Ich habe euch beide zusammen gesehen. Auf dem Gang vor dem Bad habe ich euch beide zusammen gesehen. Sarhan ist es also! Er zwickte dich zärtlich in die Wange. Aber du hobst nicht zornig den Kopf! Vielmehr lächelte dein hübsches Gesicht und strahlte in bräunlichem Glanz. Kokett warfst du deine Zöpfe nach hinten, als wärst du mit ihm im Maisfeld. So ist mir also dieser Fellache um ein paar Tage zuvorgekommen! Das macht mir nichts aus, wenn die Aufteilung gerecht erfolgt, von mir aus jeweils einen Tag für mich und zwei für ihn.


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Ich lache lange, als ich den Ford starte, und rufe: »Vergiß es, Sunnyboy, vergiß es!«


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Ich bringe Tolba Marzuq mit dem Auto zum Trianon, und er lädt mich ein, dort mit ihm zu sitzen. Auf dem Weg kommen wir an Sarhan al-Buheri vorbei, der mit jemand anderem die Straße entlang geht, und grüßen uns gegenseitig.

Tolba fragt mich, wie ich meine Zeit verbringe, und ich sage ihm, daß ich mit dem Auto herumfahre und über ein neues Projekt nachdenke.

»Haben Sie Erfahrung mit einer bestimmten Tätigkeit?« will er von mir wissen.

Ich verneine.

»Vergeuden Sie Ihr Geld nicht!« rät er.

»Aber ich bin fest entschlossen…«

»Heiraten Sie lieber, damit Sie zur Vernunft kommen!«

»Ich bin fest entschlossen, Junggeselle zu bleiben und ein Projekt zu riskieren!« entgegne ich, vor unterdrückter Wut fast platzend.

»Das ist ein cleverer Bursche!« meint er und weist auf Sarhan al-Buheri.

Interessiert frage ich: »Wissen Sie etwas über ihn?«

»Ich habe einen alten Freund, der Beziehungen zur Spinnerei-Gesellschaft hat. Dort bezeichnet man ihn als einen jungen Revolutionär. Das reicht doch.«

»Halten Sie ihn denn für aufrichtig?«

»Mein Lieber, wir leben schließlich in einem Dschungel, in dem die Bestien miteinander um unsere Wänste kämpfen…«

Ich bin insgeheim erleichtert. Er fährt fort: »Auch in jeder Uniform steckt einer, der verrückt ist nach Wohlstand und Luxus.«

Voller Zustimmung und im Vertrauen darauf, daß wir ganz unter uns sind, werfe ich ein: »Aber gibt es nicht auch Reformen, die man durchaus gutheißen kann?«

Er läßt seine Pausbäckchen tanzen und sagt: »Mit denen will man doch nur Leute ansprechen, die nicht den Verstand haben, die Dinge zu begreifen. Und die unterstehen — wie wir beide — der Gnade und Barmherzigkeit der Uniformen.«

Als es mir einfällt, in die Pension zurückzukehren, treffe ich draußen auf Sarhan und nehme ihn im Auto mit. Es ist fast so, als müßte man zu diesem verdammten Kerl auch noch immer freundlich sein. Obwohl ich ihn verachte, lasse ich ihn ungeschoren. Vielleicht ist er mir irgendwann nützlich.

Ich stoße ihn mit dem Ellbogen an und lache: »Haben Sie ein Glück, alter Junge!« Da er mich mit freundlicher Neugier ansieht, fahre ich fort: »Zuchra!«

Er hebt die starken Augenbrauen, senkt dann aber kapitulierend den Blick.

Ich schlage vor: »Sie sind sicher ein edelmütiger Fellache und werden sich mir gegenüber nicht geizig zeigen…«

»Ich verstehe wirklich nicht, worauf Sie hinauswollen!« entgegnet er ärgerlich.

Spöttisch lächelnd sage ich: »Ich werde offen mit Ihnen reden, wie es sich für Freunde gehört. Bezahlen Sie sie dafür, oder geben Sie das Geld Madame?«

»Die Sache ist nicht so, wie Sie denken«, gibt er abweisend zurück.

»Und wie soll ich sie mir dann denken?«

»Sie ist ein anständiges Fellachenmädchen, nicht…, glauben Sie mir!«

»Von mir aus! Das sieht ja fast so aus, als hätte ich ein Privatauto angehalten in der Annahme, es sei ein Taxi.«

Keine Zeit für Lappalien, Sunnyboy! Mein Fehler war, daß ich eine Weile lang einem Feind vertraute, weil ich ihn für einen Freund hielt. Aber ich bin glücklich über meine Freiheit. Meine Klasse hat mich ins Wasser gestoßen, als das Schiff bereits sank, aber ich bin glücklich über meine Freiheit. Ich bin frei wie ein Vogel. Das ist das wahre Glück, wenn man an nichts und niemanden mehr gebunden ist, an keine Klasse, an kein Vaterland, an keine Pflicht. Von meiner Religion weiß ich nur noch so viel, daß Gott verzeiht und barmherzig ist.

Vergiß es, Sunnyboy, vergiß es!


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Draußen herrscht ein Lärm, der für die Pension ganz und gar ungewöhnlich ist.

Ich bin nach meinem Nachmittagsschläfchen auf der Stelle hellwach und gehe in den Salon. Im Entree ist ganz offensichtlich eine Prügelei im Gange. Ich schaue durch einen Spalt im Wandschirm, und mir bietet sich ein wahrhaft amüsanter Anblick: Eine unbekannte Frau hält unseren Freund al-Buheri am Kragen und prügelt und schimpft auf ihn ein. Zuchra steht daneben, das reinste Nervenbündel, stößt aufgeregt irgendwelche Worte hervor und versucht, die beiden voneinander zu trennen. Da stürzt sich die Frau plötzlich auf Zuchra. Doch die stellt unter Beweis, daß sie sich auf Prügeleien hervorragend versteht. Sie versetzt ihr zwei Faustschläge, treibt sie mit jedem ein Stück zurück, bis sie sie schließlich an die Wand gedrängt hat. Sie ist schön, aber sie hat eine eiserne Faust wie ein Landpolizist. Ich bleibe in meinem Versteck, um von dieser exklusiven Show ja nichts zu verpassen. Aber als ich eine Tür quietschen höre, trete ich vor, packe die unbekannte Frau am Handgelenk und ziehe sie hinaus, mit nichts weiter bekleidet als dem Morgenmantel über dem Pyjama. Ich stoße sie sanft vor mir her, bekunde ihr mein äußerstes Bedauern und biete ihr meine Dienste an. Sie kocht vor Wut, schimpft und flucht. Es sieht nicht so aus, als ob sie mich überhaupt bemerkt.

Sie ist gar nicht so übel. Auf dem zweiten Treppenabsatz kann ich sie dazu bringen, stehen zu bleiben, und sage ihr: »Warten Sie einen Moment! Sie müssen sich erst wieder herrichten, bevor Sie auf die Straße hinausgehen!«

Sie ordnet ihr Haar und klammert den zerrissenen Kragen ihres Kleides mit einer Haarnadel zu. Dann reiche ich ihr ein parfümiertes Taschentuch, damit sie sich das Gesicht abwischen kann.

»Mein Wagen steht vor dem Haus. Ich werde Sie nach Hause bringen, wenn Sie gestatten.«

Zum ersten Mal schaut sie mich an, dankt mir schnell. Dann gehen wir gemeinsam hinunter. Sie setzt sich neben mich ins Auto, und ich frage sie, wohin ich sie bringen soll. Sie murmelt heiser: »Nach Mazarita.«

Wir fahren unter einem wolkenverhangenen Himmel, und die Dunkelheit überrascht uns vor der Zeit. »Schlimm, wenn einen die Wut so packt!« sage ich, um sie zum Reden zu bringen.

»Dieser Mistkerl!« schimpft sie.

»Er macht aber doch den Eindruck eines anständigen Fellachen!«

»Ein Mistkerl!«

»Er ist wohl Ihr Verlobter?« frage ich mit verstecktem Sarkasmus.

Doch sie antwortet nicht. Sie ist immer noch höchst erregt. Und sie ist wirklich nicht übel. Mit Sicherheit irgendwie professionell. Ich halte vor einem Gebäude in der Lido-Straße.

Sie sagt, während sie die Tür aufmacht: »Besten Dank! Sie sind wenigstens ein anständiger Mensch!«

»Ich möchte Sie aber jetzt nicht gern allein lassen. Ich möchte ganz sichergehen, daß Sie sich wirklich besser fühlen.«

»Danke schön, mir geht es bestens!«

»Soll das heißen, daß wir uns nicht wiedersehen?«

Sie streckt mir zum Abschied die Hand entgegen und erklärt dann: »Ich arbeite im Genevoise!«

Als ich wende, bin ich noch höchst begierig, mehr über sie in Erfahrung zu bringen. Aber mein Eifer ist schon erloschen, bevor ich vor dem Haus angelangt bin. Die Sache liegt eigentlich auf der Hand. Banalitäten. Eine Liebesaffäre, ein entlaufener Liebhaber und dann die übliche Prügelei. Da hat er nun Zuchra getroffen und eine neue Geschichte begonnen. Die Frau ist jedenfalls nicht übel. Und vielleicht kann ich sie eines Nachts gebrauchen. Aber warum nur habe ich die Strapazen dieses blödsinnigen Ausflugs auf mich genommen?

Vergiß es, Sunnyboy, vergiß es.


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Das Auto fliegt über die aschgrauen Straßen. Straßenlaternen und Kampferbäume galoppieren in Gegenrichtung an mir vorbei. Diese rasende Geschwindigkeit belebt das Herz, vertreibt Faulheit und Langeweile. Die Luft sirrt, Zweige erbeben und zersplittern in wahnwitzigen Wellen. Manchmal strömt Regen nieder, wäscht den Ackerboden, und die Felder erglänzen in glitzerndem Grün. Von der Festung Qajitbey nach Abuqir, von der Küste nach al-Sijuf, vom Zentrum der Stadt in ihre Vororte. Über jedes Stück planierten und asphaltierten Bodens rase ich mit meinem Wagen.

Die Zeit verstreicht, und ich unternehme keinerlei ernsthafte Schritte, um das Projekt zu verwirklichen. Statt dessen kommt es mir in den Sinn, eine Entdeckungsreise zu den heißen Adressen von früher zu unternehmen. Ich besuche eine alte Kupplerin in al-Schatbi, und sie bringt mir ein einigermaßen akzeptables Mädchen für den Morgen. Das Mittagessen nehme ich bei einer anderen Kupplerin im Sporting-Club ein. Sie versorgt mich mit einer Armenierin, die wirklich außergewöhnliche Qualitäten aufweist. Die Kupplerin im Sidi Gaber[55] vermittelt mir ein wahres Prachtstück, die Tochter einer italienischen Mutter und eines syrischen Vaters. Ich bestehe darauf, sie zu einer Autofahrt einzuladen. Sie warnt mich vor den grauen Wolken, die Regen ankündigen. Ich sage ihr, daß ich mir wünschte, daß es in Strömen gösse. Als wir auf der Landstraße nach Abuqir sind, bricht tatsächlich heftiger Regen los. Die Menschen fliehen. Ich mache die Fenster zu und schaue auf das herabströmende Wasser, die tanzenden Bäume und das reine, endlose, offene Land. Die Schöne aber hat Angst und meint, das sei Wahnsinn. Ich entgegne ihr, sie solle sich zwei splitternackte Menschen vorstellen, die wie wir in einem Auto steckten, aber trotzdem sicher sind vor aller Neugier, die sich im Takt der zuckenden Blitze, der Donnersalven und des rauschenden Regens küssen. Sie wendet ein, das sei ganz und gar unmöglich. Ich frage sie, ob sie nicht Lust habe, im Schutz dieses elementaren Zornesausbruchs der Welt und allen, die auf ihr sind, die Zunge herauszustrecken. Unmöglich sei das, meint sie, vollkommen unmöglich. Das werde aber gleich passieren, sage ich ihr, nehme einen Schluck aus der Flasche, und jedesmal, wenn der Donner lospoltert, fordere ich ihn auf, lauter zu grollen. Ich flehe den Himmel an, seine Wassertanks zu entleeren. Die Schöne meint, dann könne das Auto streiken: Ich bekräftige: »Amen, Amen, Amen!« Sie fürchtet, es könne dunkel werden. Ich finde, es soll ewig dauern. »Du bist verrückt«, schimpft sie, »total verrückt!«

Ich schreie, so laut ich kann: »Vergiß es, Sunnyboy, vergiß es!«


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Am Frühstückstisch höre ich die seltsame Kunde über Zuchras Entschluß, etwas zu lernen. Sie bekommt unterschiedliche Kommentare zu hören, die nicht frei sind von Foppereien, aber ihr doch insgesamt Mut machen wollen. Die Geschichte schneidet mir ins Herz und reißt alte Wunden auf. Schließlich hat sich um mich nie jemand wirklich gekümmert, als ich aufgewachsen bin. So habe ich mich voll und ganz ins Amüsement gestürzt. Damals habe ich nichts bereut, aber ich habe zu spät begriffen, daß die Zeit gegen mich arbeitet, nicht für mich, wie ich zunächst angenommen hatte. So hat sich also das Fellachenmädchen entschlossen, etwas zu lernen. Madame setzt mir auseinander, was sie auf dem Dorf erlebt und was sie nach Alexandria getrieben hat. Mir wird klar, daß sie ja gar nicht Madames Untergebene ist. Vielleicht ist sie sogar noch Jungfrau, wenn nicht Sarhan einer von denen ist, die dafür sorgen, daß eine Jungfrau nicht lange eine bleibt.

Doch ich sage boshaft zu Madame: »Ich dachte, Zuchra…« und mache eine entsprechende Handbewegung.

»Aber nein!« wehrt sie ab.

Ich tue plötzlich so, als wollte ich von dem ganzen Thema nichts mehr wissen, und fordere sie auf: »Sie müssen unbedingt an unser Projekt denken!«

Mit der Gerissenheit einer alten Kupplerin fragt sie zurück: »Und woher soll ich das Geld dafür nehmen?«

»Was wäre eigentlich, wenn ich eine Freundin hierher einladen wollte?« will ich, Interesse am guten Ruf der Pension vortäuschend, von ihr wissen.

»Die Pension ist voll besetzt«, entgegnet sie mit bedauerndem Kopf schütteln. »Und wenn ich es einem erlaube, kann ich es einem anderen nicht abschlagen! Aber ich könnte Ihnen einen Hinweis auf ein Plätzchen geben, wenn Sie wollen…«

Als ich Zuchra zufällig im Salon treffe, beglückwünsche ich sie zu ihrem Entschluß und empfehle ihr lachend: »Streng dich an! Wenn aus meinem Projekt etwas wird, brauche ich eine gute Sekretärin!«

Sie lächelt so glücklich, daß sie noch hübscher wirkt als sonst. Tatsache ist, daß ich immer noch scharf auf sie bin, obwohl mir von vornherein klar ist, daß ich sie nach einer Woche satt habe. Aber diese eine Woche, die muß sein!


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Das Auto durchstreift Straßen und Stadtviertel. Die Luft ist so rein, ruhig und ausgeglichen, daß es meine Nerven aufpeitscht. Um meinen Geschwindigkeitswahn voll entfalten und ohne jedes Hindernis auskosten zu können, lenke ich zur Wüstenstraße und gehe dort auf 120 Stundenkilometer. Dann rase ich mit derselben Geschwindigkeit zurück. Das Mittagessen nehme ich im Pampam ein. Ich gable ein Mädchen auf, das gerade aus einem Frisiersalon kommt. Am Nachmittag fahre ich in die Pension zurück. Im Entree sehe ich Zuchra neben einem jungen Mädchen sitzen und begreife auf der Stelle, daß es nur die Lehrerin sein kann. Ich setze mich zu Madame und schaue zur Lehrerin hinüber. Nicht übel! Sie hat zwar einen leichten Buckel, kaum wahrnehmbar, aber auch ein ganz hübsches, ja aufregendes Stupsnäschen. Schade, daß ein Mädchen wie sie nicht für eine schnelle Nacht zu haben ist! Für solche Mädchen muß es schon eine feste und längere Beziehung sein. Vielleicht wäre sie nicht einmal damit zufrieden, sondern hält nach einer echten Ehe Ausschau, als hätte sie von der Forderung der Revolution nach Familienplanung noch nie etwas gehört.

Madame macht uns miteinander bekannt. Wie es ihre Gewohnheit ist, stellt sie mich vollständig vor, das heißt samt den hundert Feddan und dem Projekt. Ich freue mich darüber und lobe ihre Gewandtheit, das Resultat vieljähriger Erfahrungen. Bei meinen Rundfahrten konzentriere ich mich jetzt auf das Muharram-Bey-Viertel, wo ihre Schule liegt. Einmal habe ich sogar Erfolg. Ich sehe sie am frühen Nachmittag an der Bushaltestelle stehen. Ich stoppe und lade sie ein, mit mir zu fahren. Sie zögert zunächst, aber die Tatsache, daß sich der Himmel zunehmend bezieht, bringt sie schließlich dazu, meine Einladung anzunehmen. Ich fahre sie zu unserem Haus und klage ihr dabei, wie einsam ich in Alexandria bin, wie sehr ich einen Rat und eine Meinung zu meinem Projekt brauche, und sage schließlich, als sie sich von mir verabschiedet: »Ich glaube, ich muß Sie unbedingt wiedersehen!«

»Aber bitte, besuchen Sie uns doch!« ermutigt sie mich herzlich.

Tatsache ist, Sunnyboy, daß dein Alter und dein Geld dich mit zwingender Logik zu einer guten Partie machen. Deswegen sollte ich besser gar keine Lehrerin, Ärztin, Rundfunksprecherin oder Beamtin nach Hause begleiten. Wenn ich meinen Aktionsradius erweitern will, muß ich unbedingt meine Umgebung mit einem Ring hinters Licht führen, mit einer Ehe, die ich gar nicht führe.

Mir fällt für den Rest des Tages nichts anderes mehr ein, als zu der maltesischen Kupplerin im Cleopatra zu fahren und sie aufzufordern, so viele wie möglich von ihren Mädchen herzuschaffen. Und dann erlebe ich eine ganz tolle, wilde Nacht voll der ausgefallensten Tobereien, wie sie die Geschichte seit der Zeit unseres Kalifen Harun al-Raschid, Ehre seinem ewigen Andenken, nicht mehr gekannt hat.

»Er hat seine Mutter nie kennengelernt, und sein Vater hat ihn allein gelassen, als er sechs Jahre alt war. Deswegen kann ich einfach nicht streng zu ihm sein!«

Er sagte das ganz ruhig, aber mein Bruder kochte vor Zorn.


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Ringsum lauter Leichen. Den Methusalem der Journalistik kann ich echt nicht ausstehen. Wenn ich schon morgens sein Gesicht am Frühstückstisch sehe, weiß ich, daß mir das Pech bringt. Tolba Marzuq will von mir wissen, wie ich mit meinem Projekt vorangekommen bin. Ich schnuppere, rieche den Duft von Räucherwerk und frage, was es damit auf sich hat.

Da lacht Tolba Bey und sagt: »Sie sollten Madame sehen, wie sie mit dem Räuchergefäß in der Hand durch die Zimmer wandelt!«

»So lieben Sie Umm Kulthum und glauben auch daran, daß Räucherwerk gegen den bösen Blick hilft?« Ich schaue sie fragend an, denn das ist wirklich seltsam bei einer Griechin. Sie lächelt beiläufig, weil sie ganz gebannt einem griechischen Schlager zuhört.

Ich sage zu Tolba Bey: »Ich muß mir unbedingt einen Khawaga suchen, der auswandern will, damit ich übernehmen kann, was er hier abstößt.«

»Eine gute Idee! Was meinen Sie dazu, Mariana?«

»Ja«, sagt sie schnell, denn sie will sich nicht von dem griechischen Schlager ablenken lassen, »warten Sie, ich glaube, der Besitzer des Cafes Miramar denkt daran.«

»Worum geht es eigentlich in dem Schlager?«

»Er handelt von einem Mädchen im heiratsfähigen Alter«, entgegnet sie gespreizt. »Ihre Mutter fragt sie, und sie zählt auf, welche Vorzüge sie von ihrem späteren Bräutigam verlangt.«

Ich lasse den Blick zwischen dem Foto des Kapitäns und ihrem Jugendbild hin und her gehen, und sie erklärt leise: »Ich könnte heute noch eine große Dame sein.«

»Aber Sie sind doch eine Dame durch und durch!«

»Ich meine, eine Dame im Ibrahimijja-Palais«, wendet sie ein.

»Vergeuden Sie Ihre Zeit nicht tatenlos«, fordert mich der Methusalem der Journalistik auf. Insgeheim verfluche ich ihn.

Es ist beißend kalt und ganz still. Ich habe mich mit dem italo-syrischen Mädchen in der Wohnung der Kupplerin in Sidi Gaber verabredet.

Vergiß es, Sunnyboy, vergiß es!

Am Frühstückstisch erfahre ich, daß Zuchras Schwester und ihr Mann dagewesen sind. »Sie hat endgültig beschlossen, bei uns zu bleiben«, freut sich Madame.

»Wir wollen froh sein, daß die Begegnung friedlich verlaufen ist«, werfe ich ein. »Ich meine, daß man nicht versucht hat, sie umzubringen.«

»Al-Buhera scheint mir ganz schön abgeschlafft!« spotte ich dann zu Sarhan al-Buheri.

»Abgeschlafft?«

»Man sagt, daß es so nahe bei Alexandria liegt, daß die strengen ländlichen Sittenbegriffe abgeschliffen sind.«

Er brüstet sich mit seiner dröhnenden Stimme: »Das heißt doch nur, daß es heute zivilisierter ist als der übrige Rif!«


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Tolba Marzuq fährt mit mir, denn ich soll ihn ins Windsor-Hotel bringen. Er ist der einzige, für den ich so etwas wie Sympathie und Verehrung habe. Mir kommt er immer wie die Statue eines alten Königs vor, dessen Reich vergangen und dessen Zeit längst vorüber ist, der aber alle seine persönlichen Vorzüge bewahrt hat.

Voll boshafter Gedanken sage ich zu ihm: »Wäre es nicht das Beste für das Fellachenmädchen gewesen, wenn es mit ihren Leuten gegangen wäre?«

»Das Beste wäre zweifellos gewesen, wenn sie gar nicht erst geflohen wäre!«

»Das heißt, es gibt ernsthafte Gründe, die sie daran hindern zurückzukehren, selbst wenn sie das wollte?«

»Sie meinen den Burschen aus al-Buhera?«

»Ich denke zwar nicht speziell an ihn, aber es hängt jedenfalls mit ihm zusammen.«

»Sehr wahrscheinlich«, lacht der Mann. »Wahrscheinlich ist er auch unschuldig an dem, was Sie argwöhnen. Und ein anderer stand hinter ihrer Flucht aus dem Dorf.«

Mein Mißtrauen ihr gegenüber wächst, als ich — ein paar Tage später — erfahre, daß sie den Heiratsantrag von Machmud Abul-Abbas, dem Zeitungsverkäufer, ausgeschlagen hat. Machmud hat mich nämlich in der Angelegenheit um Rat gefragt, da ich ein alter Kunde von ihm bin, bevor er sich getraute, zu Madame zu gehen, um um die Hand des Mädchens anzuhalten. Als ich am Tag nach seinem vergeblichen Versuch vor seiner Auslage stehe, bin ich mir ganz sicher, daß er auf das Thema zu sprechen kommen wird. Er scheint ärgerlich und aufgeregt. Wir schauen uns gegenseitig in einer Weise an, die nicht mehr vieler Worte bedarf. Ich versuche ihn zu trösten: »Ein Paradebeispiel für die Mädchen von heute!«

Erbost entgegnet er: »Soll sie noch einmal so einen finden wie mich!«

»Gott wird Ihnen eine bessere geben als sie. Und wenn Sie meine Meinung wissen wollen: Die Pension ist nicht der rechte Ort für Sie, sich eine Braut zu suchen.«

»Ich hatte sie für ein anständiges Mädchen gehalten!«

»Ich habe nicht gesagt, daß sie das nicht ist, aber…«

»Aber was?« fragt er interessiert.

»Was kümmert Sie das denn noch, wo die Geschichte für Sie vorbei ist?«

»Ich will wieder in Frieden leben können.«

»Würden Sie das tun können, wenn ich Ihnen sage, daß sie Sarhan al-Buheri liebt?«

»Sie muß doch total verrückt sein! Wird Ustas Sarhan al-Buheri sie denn heiraten?«

»Ich habe von Liebe geredet, nicht von Heirat«, sage ich zum Abschluß.

Vom ersten Tag an konnte ich Sarhan nicht leiden. Ja, meine Abneigung war nahezu verschwunden, als er meine Gesellschaft suchte, mir sein Herz öffnete, mich ins Vertrauen zog. Aber sehr schnell war alles wieder beim alten. Zuchra hatte mit dieser Abneigung nichts zu tun. Sie war viel zu unbedeutend, als daß ich ihretwegen einen Menschen verabscheute oder liebte. Vielleicht haßte ich ihn wegen seiner ungeschminkten Art daherzureden, vielleicht auch, weil er hartnäckig die Revolution bei passender oder unpassender Gelegenheit in den höchsten Tönen lobte. Dabei zwang er mich oft, daß ich mich, wenn auch schweigend, auf seine Seite stellte.

Einmal stach mich der Hafer, und ich sagte ihm: »Wir glauben zwar an die Revolution, aber die Zeit vorher war doch keine völlige Leere.«

»Doch, sie war es«, widersprach er mit einer Widerborstigkeit, die mich ärgerte.

»Es gab die Corniche schon vorher ebenso wie die Universität von Alexandria!«

»Aber die Corniche war nicht für das Volk da, und die Universität auch nicht.«

Dann fragte er mich lachend und anscheinend ohne Neid: »Sagen Sie mir doch, warum besitzen Sie allein hundert Feddan, während meine Familie nur ganze zehn Feddan ihr eigen nennt?«

Meine Wut unterdrückend, erwiderte ich: »Und warum besitzt sie zehn Feddan, während Millionen von Fellachen nicht über eine Handbreit Acker verfügen?«


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»Was du da erzählst, ich glaube sowieso nicht daran. Daß Mirved dir einen Korb gegeben hat, hat dich ganz einfach um deinen Verstand gebracht. Du glaubst doch selbst nicht an das, was heute von Gerechtigkeit und Sozialismus dahergeredet wird. Alles läßt sich in einem einzigen Wort zusammenfassen: Macht. Wer die Macht besitzt, verfügt auch über alles andere. Danach kann er ruhig dem Volk Loblieder auf Gerechtigkeit und Sozialismus singen. Oder hast du jemals gesehen, daß einer von denen fast hungrig über die Märkte gegangen wäre, wie es seinerzeit unser Herr Omar Ibn al-Khattab, der gerechte Kalif[56], getan hat?«


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Sehr schnell jedenfalls kommt mir die frohe Botschaft von der Schlägerei zwischen Machmud Abul-Abbas, dem Zeitungshändler, und Sarhan al-Buheri aus der Zwiebelregion zu Ohren. Da der aber offensichtlich nicht darüber reden will, tue ich so, als wüßte ich von nichts. Doch ich packe die Gelegenheit beim Schöpf, ihn nach seiner Meinung zu dem Projekt zu fragen, als ich einmal am Eingang zur Pension mit ihm zusammenstoße. Eifrig empfiehlt er mir: »Lassen Sie die Finger von dem Projekt mit dem Cafe und ähnlichen Dingen. Sie stammen doch aus einer guten Familie. Sie müssen sich etwas Angemesseneres suchen.«

»Zum Beispiel?«

»Ich würde sagen, eine Hühnerfarm oder eine Kälberfarm. Das bringt was ein.«

Dann, nach kurzem Nachdenken: »Vielleicht pachten wir ein Stück Land in der Region Scmucha. Dann könnte ich Ihnen auch mit meiner Erfahrung und meinen Freunden helfen. Unter Umständen beteilige ich mich sogar daran.«


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Wie klein kommt einem Alexandria vor, wenn man so ein rasantes Traumschiff hat! Ich brause in Windeseile dahin, aber es verwandelt sich in eine Sardinenbüchse. Mit alberner Beständigkeit folgt die Nacht auf den Tag, und es passiert nichts. Obwohl sich der Himmel jeden Morgen mit einem ändern Festgewand fein macht, das Wetter einem Ringkämpfer gleicht, dessen nächste Bewegung man nicht vorhersagen kann, die Frauen in unzähligen Formen gefügig sind, passiert überhaupt nichts. In Wirklichkeit ist die Welt schon tot, und dies sind nur noch ihre letzten Zuckungen vor der Leichenstarre.

Das Genevoise kommt mir in den Sinn.

Es liegt an der Corniche, trotzt dem Meer und dem Winter, aber der Eingang ist in einer schmalen Seitenstraße. Dort gibt es eine Bühne für Gesangsund Tanzvorführungen und in der Mitte eine Tanzfläche für die Gäste. Die fahlrote Farbe der Decke, der Wände und der Lampen erweckt den Eindruck, als sei es ein Gespensterschloß. Ein Blick auf die Mädchen und die Kunden gibt einem das unbestimmte Gefühl, man befinde sich in einem Bordell.

Ich sehe das Mädchen von al-Buheri einen ziemlich obszönen volkstümlichen Tanz tanzen. Ich lade sie ein, an meinen Tisch zu kommen, doch sie erkennt mich zunächst nicht. Dann entschuldigt sie sich mit dem Zustand, in dem sie an dem Tag war, an dem wir uns kennengelernt haben. Schnell sagt sie, daß sie schon seit langem auf mich warte, und ich gebe vor, wenig Zeit und viel Arbeit gehabt zu haben. Ich erfahre nun, daß sie Safejja Barakat heißt, doch wer weiß, welches ihr richtiger Name ist. Sie ist hübscher als die Lehrerin, aber ein bißchen zu fett. Sie hat den Gesichtsausdruck der Professionellen. Ich trinke bis zur Bewußtlosigkeit, dann lade ich sie ein, in mein Auto zu kommen und fahre mit ihr zur Lidostraße in Mazarita. Als ich mit ihr schlafen will, entzieht sie sich mir jedoch mit einer zwingenden Begründung. So kehre ich ebenso betrunken wie frustriert in die Pension zurück.

Auf dem Weg in mein Zimmer sehe ich Zuchra im Nachthemd aus dem Bad kommen. Ich stelle mich mit offenen Armen vor sie hin. Sie bleibt erschrocken stehen. Als ich auf sie zutrete, fordert sie mich resolut auf: »Gehen Sie weg!«

Ich weise mit dem Finger auf mein Zimmer, aber sie ruft mit drohender Stimme: »Machen Sie sofort Platz!«

Gepackt von Gier und Verlangen, stürze ich mich auf sie, doch sie versetzt mir einen erstaunlich kräftigen Faustschlag gegen die Brust, der mich unheimlich wütend macht. Halbirr vor Zorn, schlage ich sie brutal. Dann will ich über sie herfallen, da legt sich mir eine Hand auf die Schulter, und ich höre Sarhans Stimme keuchen: »Husni, sind Sie total verrückt geworden!«

Ich stoße ihn heftig zurück, aber er packt mich noch fester an der Schulter und befiehlt: »Gehen Sie sofort ins Bad, und stecken Sie den Finger in den Mund!«

Ich drehe mich zu ihm um und versetze ihm einen derben Schlag, der ihn völlig unerwartet trifft. Er tritt brüllend einen Schritt zurück und drischt dann kräftig auf mich ein.

Da plötzlich kommt Madame, zieht ihren Morgenrock um sich zusammen und fragt wütend: »Was ist denn hier los?« Sie stellt sich zwischen mich und Sarhan und schimpft: »Das geht zu weit, das ist der Ruin! Das kann ich nicht dulden!«


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Die Engel schwimmen oder tanzen an der Decke. Der Regen klopft im Takt gegen die Fenster, und das Tosen der Wellen gellt in den Ohren wie die Detonationen einer brausenden Schlacht. Unter den Schlägen meiner Kopfschmerzen schließe ich wieder die Augen. Ich seufze und verfluche alles. Dann entdecke ich, daß ich den Rest der Nacht in Anzug, Mantel und Schuhen geschlafen habe. Die Erinnerungen an diese letzte Nacht stürmen auf mich ein, und ich fluche allem und jedem.

Madame klopft an und tritt in mein Zimmer. Sie bleibt an der Tür stehen und sieht zu, wie ich schwerfällig und träge in meinem Bett höherrutsche, um mich ans Kopfende lehnen zu können.

»Nun, haben Sie Ihren Termin versäumt?« fragt sie. Dann sinkt sie in den großen Sessel und wirft mir vor: »Das kommt vom vielen Alkohol!« Unsere Blicke treffen sich, lächelnd sagt sie: »Ich mag Sie sehr, aber trinken Sie nicht noch einmal so viel!«

»Es tut mir leid«, murmle ich und hebe den Kopf zur Decke, die mit Engeln verziert ist. Dann, nach einer Weile: »Ich muß mich bei Zuchra entschuldigen!«

»Gut, aber versprechen Sie mir, daß Sie sich so benehmen, wie es sich für jemanden aus Ihrer Familie gehört!«

»Bitten Sie doch bei Zuchra für mich um Verzeihung, bevor ich selbst dazu in der Lage bin!«

Das war das Ende meiner Beziehung zu Sarhan. Mit Zuchra dagegen versöhnte ich mich nach einigem Widerstreben ihrerseits wieder. Ich leugne nicht, daß der Streit mit Sarhan eine Leere in mir hinterlassen hat. Den anderen, Mansur Bahi, kenne ich kaum. Wir wechseln höchstens ein paar flüchtige Worte am Frühstückstisch, die mir gar nicht erst im Gedächtnis bleiben. Zweifellos empfinden wir eine unausgesprochene Abneigung gegeneinander. Ich verachte seine Introvertiertheit, seinen Stolz, sein feminines Gehabe, die billige Wohlerzogenheit, in der er sich gefällt. Einmal habe ich ihn im Radio gehört, und seine Stimme — so verlogen wie er selber -, zu der man sich einen Ritter mit Rednertalent vorstellt, versetzte mich in Schrecken. Seltsam ist, daß nur der Methusalem der Journalistik sich zu ihm hingezogen fühlt, was mich zu der Vermutung treibt, der alte Junggeselle sei früher vielleicht mal Päderast gewesen.


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Es empfiehlt sich für mich, das Zimmer nicht zu verlassen, aber da draußen spielt sich ein Glücksfall ab, offenbar im Zimmer von al-Buheri? Ja! Ein Wortwechsel oder besser ein Streit, vielleicht sogar ein Gezänk, eine Prügelei zwischen Romeo, dem Buheri, und Julia, der Buheritin. Was hat das zu bedeuten? Verlangt sie von ihm, daß er die Angelegenheit wieder in Ordnung bringt? Will er sich drücken und sie sitzenlassen, wie er es mit Safejja getan hat? Das ist höchst amüsant, aber es empfiehlt sich für mich, das Zimmer nicht zu verlassen. Wo hatten sich nur all diese freudigen Überraschungen verborgen gehalten? Sunnyboy, paß gut auf, und genieß diesen wundervollen Augenblick!

Die Stimme dröhnt: »Ich bin ein freier Mensch! Ich heirate, wen ich will! Ich werde Alejja heiraten!«

Mein lieber heiliger Badawi! Alejja! Das ist doch die Lehrerin! Also hat er ihre Einladung, sie zu Hause zu besuchen, wahrgenommen und ist von der Schülerin zur Lehrerin umgestiegen? Aufgepaßt, Sunnyboy! Wie schön ist dein Tag, Alexandria! Es lebe die Revolution! Auch die Juli-Gesetze[57] sollen leben! Ich höre die Stimme von Madame, die auf arabisch kauderwelscht, und da ist auch die eifrige Stimme des Rundfunksprechers leibhaftig. Zum Schluß geruht also auch er, sich um die Probleme der Untertanen zu kümmern. Er wird sicher eine Lösung für diese Provinz-Komplikationen finden! Seid mir herzlich willkommen, ihr Prügeleien! Nichts wie los, Sunnyboy. Paß auf, daß dich die Ereignisse nicht überrollen!

Ich höre die Geschichte ein weiteres Mal, in Flötentönen vorgetragen von Madame. Zum Schluß sagt sie mir: »Ich habe ihn hinausgeworfen. Ich hätte ihn gar nicht erst als Gast aufnehmen dürfen!«

Ich lobe Madames fürsorgliches Verhalten und frage dann nach Zuchra.

»Sie hat sich in ihr Zimmer zurückgezogen. Sie fühlt sich gar nicht wohl.«

Ja. Die alte Geschichte, die immer wieder neu erwächst wie Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Al-Buheri kann man eigentlich nur gratulieren, daß er hinausgeworfen wurde, denn er hat die Beförderung in den fünften Stock erreicht. Niemand weiß, wohin ihn sein Weg noch führen wird.

»Der Besitzer des Cafes Miramar denkt ernsthaft daran zu verkaufen!« verkündet Madame. Selbstbewußt entgegne ich: »Ich bin gern bereit, mit ihm zu verhandeln.«

Und wieder treibt mich das Verlangen, Alexandria nach allen Richtungen zu durchstreifen, und ich verlasse die Pension.

Vergiß es, Sunnyboy, vergiß es!


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Zum ersten Mal erlebe ich sie niedergeschlagen, bedrückt. Sie hat ihre frischen Farben verloren, ihre braunen Augen sind ohne die gewohnte Schönheit, den Glanz, den sie sonst ausstrahlen. Sie gießt mir meinen Tee ein und will gehen, aber ich bitte sie, noch zu bleiben. Der Sturm heult in Böen, und die dicken Wolken draußen haben das Zimmer in Dunkel getaucht.

»Zuchra, die Welt ist voller Gemeinheiten, aber sie ist auch nicht ganz frei von guten Taten.« Es scheint nicht so, als wolle sie mir zuhören oder als interessiere sie sich überhaupt für irgend etwas.

»Sieh doch, was ich getan habe! Für mich war das Leben bei meiner Familie in Tanta äußerst unerquicklich, und da bin ich nach Alexandria ausgerissen.«

Sie schweigt und zeigt keine Spur von Interesse.

»Ich sage dir, kein Schmerz dauert ewig und auch keine Freude. Der Mensch muß seinen Weg selbst finden. Wenn ihn das Schicksal auf einen Pfad führt, auf dem er nicht weiterkommt, dann muß er sich einen anderen suchen.«

»Es ist ja alles in Ordnung. Ich bedaure nichts!«

»Nein, Zuchra, du bist traurig, sehr traurig. Und du darfst es auch sein. Aber du mußt das hinter dich bringen! Wenn du dich zu dieser Entscheidung durchringst, ist das schon deine halbe Rettung, wenn nicht die Rettung überhaupt!«

Ich kämpfe dagegen an, mich nicht von dem Ausdruck eines starken Willens beeinflussen zu lassen, der ihr Gesicht vorübergehend entstellt, und sage: »Hör mir gut zu! Ich mache dir einen Vorschlag. Sag jetzt nichts dazu, sondern denk in Ruhe darüber nach!«

Nach einer kurzen Pause: »Es wird nicht mehr lange dauern, dann habe ich mein Projekt.«

Sie murmelt etwas vor sich hin. Ich fahre fort: »Wenn du willst, kannst du bei mir eine ehrenhafte Anstellung finden.«

In ihren Augen zeichnet sich Mißtrauen ab. Ich spreche weiter: »Das hier ist doch nicht das richtige für dich. Ein anständiges Mädchen wie du in einer Wohnung mit allen möglichen Männern, die ihr Vergnügen und ihre Zerstreuung suchen. Wer kann das noch mit ansehen!«

Sie hält nichts von dem, was ich vorbringe, für ernst. Das ist sehr deutlich zu merken. So bekräftige ich: »Du wirst bei mir gut aufgehoben sein, eine respektable Tätigkeit und ein schönes Leben haben!«

Sehr leise sagt sie etwas, was ich nicht verstehe, nimmt das Tablett und geht hinaus.

Ich bin wütend, wütend auf sie ebenso wie auf mich. Es ist eine Wut, die an Haß grenzt. Die Begierden frustrierter Männer haben sie ihren niedrigen Stand vergessen lassen. Verflucht sei die Erde, die dich in ihrem Staub hat aufwachsen lassen, Zuchra! Gedemütigt und bitter sage ich: »Vergiß es, Sunnyboy, vergiß es!«


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Ich verbringe eine Nacht zwischen den fahlroten Wänden des Genevoise. Safejja hatte mich aufgefordert, die Nacht bei ihr zu verbringen, und ich bin der Einladung gefolgt.

Stockbetrunken trage ich ihr meine Probleme und Sorgen vor. Als das Gespräch auf das Projekt kommt, wird sie lebhaft: »Endlich! Wie schön!« Dann, sich eine Zigarette anzündend: »Das Genevoise… Sein Besitzer will verkaufen!«

Mit alkoholisierter Stimme wehre ich ab: »Aber es ist ein elender Schuppen!«

»Denk doch, wie günstig es liegt! Man könnte daraus einen Nachtklub und ein vorzügliches Speiserestaurant machen!« Sie versichert mir, daß es jetzt schon, obwohl so heruntergekommen, viel einbringt, und prophezeit einen weitaus größeren Erfolg, wenn es renoviert würde.

»Du bist doch jemand«, unterstreicht sie, »das wird die Polizei in Betracht ziehen, wenn sie Kontrollen durchführt. Und ich verfüge über umfangreiche Erfahrungen. Der Sommer ist ohnehin sicher, und das übrigejahr ist es auch dank der Libyer, die mit ihren Petrodollars über uns hereingebrochen sind.«

Wie im Traum bitte ich sie, mir einen Termin mit dem Khawaga zu machen.

»So schnell wie möglich. Und ich werde mich um die Mädchen kümmern!«

»Einverstanden!«

Sie küßt mich und fragt: »Warum ziehst du eigentlich nicht zu mir?«

»Das ist eine gute Idee! Aber du mußt auch wissen, was für einer ich bin, damit wir zusammen arbeiten können. Das, was man Liebe nennt, kenne ich nicht.«


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Gegen zehn Uhr morgens kehre ich in die Pension zurück. Am Eingang zum Gebäude treffe ich Sarhan al-Buheri. Er tut, als kenne er mich nicht, und ich mache es mit ihm ebenso. Wir stehen beide da und warten darauf, daß der Lift herunterkommt. Ich sage mir, daß er vielleicht die Familie seiner Braut besuchen will. Plötzlich wendet er sich zu mir: »Sie waren schuld an dem, was sich zwischen mir und Machmud Abul-Abbas abgespielt hat!«

Ich ignoriere ihn völlig und tue so, als höre ich ihn nicht.

»Das hat er mir gestanden«, fährt er fort. Als ich ihn kühl und voller Verachtung weiter ignoriere, sagt er nervös: »Jedenfalls haben Sie keinen Funken männlichen Anstands!«

Ich drehe mich zu ihm und schreie ihn wütend an: »Halten Sie den Mund, Sie Schwein.«

Plötzlich sind wir in eine Prügelei verwickelt, bis der Pförtner und einige seiner Kameraden kommen und uns auseinanderreißen. Das bedeutet das Ende der Schlägerei, aber nun beginnt ein wildes Geschimpfe. Schließlich ruft er: »Ich werde es Ihnen heimzahlen, warten Sie nur!«

»So komm schon, ich werde dich von deinem dreckigen Leben befreien!« schreie ich zurück.

Zur nachmittäglichen Runde um das Radio finde ich Madame und Tolba Bey beisammen. Madame fordert mich auf: »Denken Sie doch mit uns nach! Was wollen wir in der Silvesternacht machen?«

»Er ist der Ansicht, wir sollten ins Monsieur gehen«, sagt sie, auf Tolba Bey weisend, »aber Amir Bey zieht es vor hierzubleiben.«

»Wo ist denn Amir Bey jetzt?«

»Er hat sich zurückgezogen, er hat eine Erkältung.«

»Dann lassen Sie ihn allein hier, und wir gehen zusammen ins Monsieur! Wir müssen uns bis zum frühen Morgen kräftig amüsieren!«

Nach kurzem Schweigen sage ich ihr: »Endlich wird etwas aus dem Projekt! «Ich erzähle ihr die Geschichte und sehe, wie sich auf ihrem Gesicht deutlich Enttäuschung abzeichnet. Schließlich empfiehlt sie: »Uberstürzen Sie nichts, Sie müssen noch darüber nachdenken!«

»Das habe ich bereits zur Genüge getan!«

Sie zögert kurz und ruft dann: »Das Cafe Miramar ist mit Sicherheit besser! Und ich überlege mir sogar ernsthaft, Ihre Teilhaberin dabei zu werden!«

»Vielleicht denke ich später ja wirklich an eine Erweiterung!« lache ich. Jetzt habe ich den dringenden Wunsch, mich in der Silvesternacht so intensiv zu amüsieren, wie es nur geht.


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Noch am selben Abend lerne ich den Besitzer des Genevoise in seinem Büro im Club kennen. Wir kommen zu einer prinzipiellen Einigung über den Kauf. Dann lädt er mich ein, nach Lokalschluß noch in seine Wohnung im Camp de Cesar[58] zu kommen. Safejja ist an diesem Abend zugegen und beteiligt sich an der Besprechung der Einzelheiten. Schließlich kommt das Gespräch auf die Silvesternacht, und wir einigen uns auch hier, nämlich darauf, sie gemeinsam im Genevoise zu verbringen und die letzten Stunden der Nacht in der Wohnung des Khawaga oder irgendwo anders zu feiern. Ich beglückwünsche mich dazu, daß ich wenigstens für diese Nacht die Leichen los bin, die mich sonst umgeben.

Am nächsten Morgen fällt mir auf, daß mich das Frühstückszimmer anders als sonst empfängt. Ja, der Methusalem der Journalistik ist immer noch auf seinem Zimmer, aber auch Mansur Bahi ist bis jetzt nicht erschienen, und ich sehe keine Spur von Zuchra. In den Gesichtern von Madame und Tolba Bey bemerke ich einen düsteren Ausdruck, der nichts Gutes zu verheißen scheint.

»Ja, wissen Sie denn noch nichts?« will der Mann wissen. Ich werfe ihm einen fragenden Blick zu, er fährt fort: »Man hat Sarhan al-Buheris Leiche auf dem Weg nach Palma gefunden!«

Einige Sekunden lang bin ich wie erschlagen, bis mir die volle Bedeutung dieser Nachricht ins Bewußtsein dringt. Ein Gefühl der Betroffenheit und des Mitleids überkommt mich, auch die Beunruhigung gegenüber der düsteren, rätselhaften Natur des Todes.

»So ist er also tot?« frage ich.

»Er wurde ermordet!«

»Aber…«

»Lesen Sie die Zeitung, hier!« fällt mir Madame ins Wort. »Eine widerliche Nachricht. Und mein Herz sagt mir, daß sie uns noch viel Ärger an den Hals ziehen wird.«

Ich muß an meine Prügelei mit ihm kürzlich vor dem Lift denken und bin wütend. Jetzt befürchte ich, daß der Ärger, den Madame prophezeit, vor allem mir ins Haus stehen wird.

»Wer kann denn der Mörder sein?« frage ich und begreife im selben Augenblick, wie dumm meine Frage ist.

»Das ist das Kardinalproblem!« bekräftigt Madame.

»Und wenn sie nun fragen, ob er Feinde hatte?« überlegt Tolba Marzuq.

»Tatsache ist jedenfalls, daß er keinen Freund bei uns hatte«, antworte ich, denn ich habe nun zu einer Art Zynismus gefunden.

»Hatte er noch andere Feinde?« fragt Tolba weiter.

»Früher oder später werden Sie die Wahrheit ohnehin erfahren!«

Ich will wissen, wie es Zuchra geht. Madame erklärt: »Sie ist in ihrem Zimmer, in einer ganz schlechten Verfassung.«

Allmählich komme ich nach dem Schock, den diese Nachricht mir versetzt hat, wieder zu mir, und ich wiederhole: »Es muß Gottes Wille gewesen sein!«

Eigentlich hatte ich Madame von meinem Plan erzählen wollen, aus der Pension auszuziehen, aber jetzt verschiebe ich das auf später.

Als ich hinausgehen will, warnt Tolba Bey: »Vielleicht werden wir alle hier verhört.«

Schon an der Tür angelangt, werfe ich hin: »Soll uns von mir aus verhören, wer will!«

Ich beschließe, mir mit einem meiner improvisierten Streifzüge durch ganz Alexandria einen klaren Kopf zu verschaffen. Weiße Wolken kommen näher, aus denen gleißendes Licht rinnt. Ein leichter, schneller, heißer Wind weht. Es ist der letzte Tag des Jahres, und mein Wunsch, bis zum Morgengrauen eine irre, heiße Nacht auf die Beine zu stellen, hat sich vervielfacht. Die Zeichen des Weges sind mir jetzt deutlich. Soll doch sterben, wer im Sterben liegt, aber leben, wer noch am Leben ist!

Ich rase mit dem Auto davon und sage zu meinem Spiegelbild: »Vergiß es, Sunnyboy, vergiß es!«

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